Alkohol ist ein gefährliches Produkt Alkohol ist ein gefährliches

Werbung
Mai 2008
Alkohol ist ein gefährliches Produkt –
Werbung für Alkohol gefährdet Kinder und Jugendliche
Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW) und seine Kam
Kampagne zur
Desorientierung
Einleitung
Vor dem Hintergrund drohender Einschränkungen der Werbung für alkoholische Getränke legte der Zentralverband der Deutschen
Werbewirtschaft (ZAW) ein Dossier „Alkohol
und Werbung - Fakten gegen Desinformation“
vor. Darin stellt der ZAW die Problematik des
Alkoholkonsums in Deutschland zielführend
verzerrt dar. Die komplexe Thematik wird auf
einige Teilaspekte reduziert, Literaturzitate
werden aus dem Zusammenhang gerissen und
Fakten durch Meinungen ersetzt.
In Deutschland und Europa steht umfangreiches, wissenschaftlich abgesichertes Datenmaterial zur Verfügung, das eine differenzierte
Analyse des Alkoholkonsums, seiner Ursachen
und Wirkungen ermöglicht. Auf dieser Basis
entwickelte die Europäische Kommission eine
Empfehlung an die Mitgliedsstaaten, und auf
dieser Basis bereitet die Drogenbeauftragte
der Bundesregierung ein „Nationales Aktionsprogramm zur Alkoholprävention“ vor. Dieses
wird durch den Drogen- und Suchtrat bei der
Drogenbeauftragten diskutiert werden. Eine
Arbeitsgruppe des Drogen- und Suchtrates
bereitete ein Strategiepapier vor, welches u.a.
die Auswirkungen von Werbung beleuchtet und
ein Bündel von Maßnahmen präsentiert, das
geeignet ist, alkoholbedingte Risiken, Probleme und Schäden kurz-, mittel- und langfristig
zu reduzieren.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(DHS) vertritt als Dach- und Fachverband die
bundesweit tätigen Verbände der ambulanten
Suchtberatung und -behandlung, der stationären Versorgung Suchtkranker sowie der
Selbsthilfe. Die DHS hat das Ziel, Menschen im
Hinblick auf suchtstoff- und verhaltensbezogene Probleme zu informieren, zu beraten und
auf Hilfeangebote aufmerksam zu machen.
Daneben ist es ihre Aufgabe, über problematische Konsummuster und über Suchtgefahren
generell zu informieren. Die DHS vertritt ihre
Positionen, um Menschen vor problematischem Konsum und seinen Folgen zu schützen. Dieser Schutz bezieht sich insbesondere
auf junge Menschen. Es geht aber auch um die
Interessen Dritter, die durch übermäßigen
Alkoholkonsum geschädigt werden. Das betrifft z.B. Opfer von alkoholbedingten Unfällen,
Kinder suchtkranker Eltern und Opfer von
alkoholbedingter Gewalt.
Ein wissenschaftliches Kuratorium, bestehend
aus angesehenen und hervorragenden Wissenschaftlern der deutschen Suchtforschung
und angrenzender Arbeitsfelder berät die DHS
kontinuierlich in wissenschaftlichen Fragen.
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
Sechs Fakten zum Alkoholkonsum
Um die Diskussion über Werbung für alkoholische Getränke bewerten zu können, stellen wir sechs
wissenschaftlich unbestrittene Fakten an den Anfang:
1.
Alkohol ist eine toxische, d.h. giftige Substanz, die nahezu alle menschlichen Organe schädigen kann und mehr als 60 verschiedene akute und chronische Krankheiten verursacht.
2.
Alkohol ist ein Stoff, der das Potenzial für Abhängigkeit in sich birgt wie jede andere Droge
auch. Es gibt bisher keine Möglichkeit festzustellen, ob jemand ein biologisch erhöhtes Risiko
hat, alkoholabhängig zu werden oder nicht.
3.
Alkohol ist eine wichtige gesundheitliche Determinante. Nach Bluthochdruck und Tabakkonsum birgt Alkoholkonsum das dritthöchste Risiko für Krankheit und vorzeitigen Tod.
4.
Alkohol schädigt Menschen, die selbst keinen Alkohol trinken. In Deutschland werden jährlich ca. 3.000 Kinder mit fötalem Alkoholsyndrom, auch Alkoholembryopathie genannt, geboren. Jährlich geschehen über 50.000 Verkehrsunfälle, bei denen Alkohol im Spiel ist, bei über
20.000 davon kommt es zu Personenschäden. Fast jede dritte Gewalttat in Deutschland wird
unter Alkoholeinfluss begangen. Etwa 2,65 Millionen Kinder von alkoholabhängigen bzw.
-missbrauchenden Eltern werden durch den Alkoholkonsum ihrer Eltern für ihr zukünftiges
Leben negativ geprägt und in ihren gesellschaftlichen Chancen beeinträchtigt.
5.
Alkohol ist eine Ursache für gesundheitliche Ungleichheit. Obwohl ärmere Menschen häufiger
abstinent leben als reichere, haben sie insgesamt gesehen ein höheres Risiko, eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln oder Alkohol zu missbrauchen.
6.
Alkohol verursacht ökonomische Kosten, die höher sind als sein möglicher ökonomischer
Nutzen. Allein die Kosten, die durch alkoholbezogene Krankheiten verursacht werden, werden
in Deutschland pro Jahr auf ca. 20 Mrd. € geschätzt. Dazu kommen Kosten alkoholassoziierter Delikte, die z.B. der Polizei, Gerichten, Gefängnissen und Versicherungen entstehen, sowie
Kosten durch Produktivitätsverluste aufgrund alkoholassoziierter Fehlzeiten und Arbeitslosigkeit. 2003 entstand infolge von Alkoholunfällen insgesamt ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe von rund 2,4 Mrd. €.
Diese knapp zusammen gestellten Fakten
machen deutlich, dass es sich bei alkoholischen Getränken nicht um Lebensmittel oder
Artikel des täglichen Bedarfs handelt, sondern
dass der Konsum des Suchtmittels mit erheblichen Risiken verbunden ist.
Diese Fakten begründen auch den Handlungsbedarf für ein Nationales Aktionsprogramm
zur Alkoholprävention. Über die Inhalte dieses
Aktionsprogramms wird der Drogen- und
Suchtrat der Drogenbeauftragten beraten –
auf der Basis eines in einer Unterarbeitsgruppe erarbeiteten Papiers zu kurz-, mittel- und
langfristigen Zielsetzungen. Entgegen der
Behauptung, der Drogen- und Suchtrat und die
Deutsche Hauptsstelle für Suchtfragen (DHS)
strebten in diesem Zusammenhang die Abstinenz für die gesamte deutsche Bevölkerung
an, wird diese Forderung mit guten Gründen
an keiner Stelle erhoben oder verfolgt.
Die DHS betont dagegen immer wieder –auf
der Basis der Forderungen der Europäischen
Union (EU) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) - dass der durchschnittliche ProKopf-Konsum von reinem Alkohol in Deutschland wesentlich zu hoch sei und gesenkt werden müsse. Basis dafür sind, neben den eingangs genannten Fakten, auch die Grenzwerte
des Konsums, ab denen das Risiko für alkoholassoziierte Störungen steil ansteigt und
nicht mehr als relativ niedrig zu bezeichnen
ist. Diese Grenzwerte wurden vom wissenschaftlichen Kuratorium der DHS nach Abwägung der neuesten Studien und unter Einbeziehung der Empfehlungen internationaler
Fachgesellschaften ermittelt (Seitz et al. 2008).
2
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
Alkoholkonsum in Deutschland
Deutschland nimmt mit einem pro Kopf
Verbrauch von 10,1 Litern reinem Alkohol im
Jahr 2006 einen Spitzenplatz im europäischen
Vergleich ein (DHS 2008). Außerdem zählt
Deutschland zu jenen Ländern, in denen seit
mehr als 25 Jahren Alkohol auf einem konstant hohen Mengenniveau konsumiert wird.
Die klassischen Weinländer Frankreich und
Austria
Italien zeigen im selben Zeitraum einen deutlichen Rückgang des pro Kopf Verbrauchs an
reinem Alkohol. Diese Zahlen sind der Dokumentation der „World Drink Trends“ entnommen, die bis 2005 im Auftrag der Spirituosenhersteller zusammen getragen wurden.
(WARC 2005).
Finland
Germany
Ireland
Italy
France
16
14
12
10
8
6
4
2
02
03
20
01
20
00
20
99
20
98
19
97
19
96
19
95
19
94
19
93
19
92
19
91
19
90
19
89
19
19
87
88
19
86
19
85
19
19
83
84
19
82
19
81
19
19
19
80
0
Abbildung 1: Pro Kopf Verbrauch reinen Alkohols in ausgewählten EU Ländern
(WARC, World Drink Trends 2005)
Um alkoholbedingte Schäden in der Bevölkerung spürbar zu reduzieren, ist es notwendig,
den Pro-Kopf Konsum kurz- bis mittelfristig
um ca. 2 Liter zu senken. Bei Einhaltung der
Grenzwerte für einen Alkoholkonsum mit relativ niedrigem gesundheitlichem Risiko würde
dieses der Zielkorridor sein. Dies ergäbe einen
Durchschnittskonsum von ca. 8 Litern reinem
Alkohol pro Jahr, in den die Gesamtbevölkerung, Männer wie Frauen, vom Kleinkind bis
zum Greis, auch die abstinent lebenden Menschen, eingerechnet wäre. Um diese Reduzierung auf eine Trinkmenge mit relativ niedrigem Risiko zu erreichen, sind in der Tat Veränderungen des Konsumverhaltens in der
Bevölkerung notwendig und ist es besonders
wichtig, diejenigen Maßnahmen umzusetzen,
die alkoholbezogene Schäden auf das Wirksamste senken.
Um die Risiken des Alkoholkonsums in
Deutschland differenziert darzustellen, ist es
erforderlich, die konsumierte Alkoholmenge
pro Tag zu betrachten. Für den Alkoholkonsum
der 18- bis 59-Jährigen ist anzumerken, dass
zwar die Mehrheit der Befragten (64,5%) in
einer Repräsentativerhebung 0 bis 20 g (Frau-
en) bzw. 0 bis 30 g (Männer) reinen Alkohol pro
Tag (Pabst & Kraus 2008) tranken. Legt man
die neuesten Forschungsergebnisse zugrunde,
so ist das Risiko für alkoholbezogene Krankheiten jedoch nur dann relativ gering, wenn
Grenzwerte von 12g für Frauen bzw. 24g für
Männer Reinalkohol pro Tag eingehalten werden (Seitz et al. 2007; Burger, Brönstrup &
Pietrzik 2004). Ausgehend von diesen Schwellenwerten steigt der Anteil riskanter Konsumenten in den 30 Tagen vor der Erhebung im
Durchschnitt von 10,7% auf 17,5% an, bei Männern sogar auf 20,9 % (Pabst & Kraus 2008).
Das heißt konkret, jeder fünfte deutsche Mann
trinkt mehr als die Schwellendosis und läuft
damit Gefahr, eine alkoholbezogene Störung
zu entwickeln. Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass diese Grenzwerte für gesunde
Menschen ohne zusätzliche Risiken gelten
(Pabst & Kraus 2008) und nicht jeden Tag Alkohol getrunken werden sollte, denn Alkoholkonsum ist grundsätzlich mit einem erhöhten
Risiko der Entwicklung akuter und chronischer
(psychischen und somatischen) Krankheiten
und sozialer Probleme verbunden (Seitz et al.
2007).
3
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
Dass dies nicht reine Theorie ist, belegen Mortalitätsraten und Fallzahlen im Krankenhausbereich: Jeder vierte Mann (25%) in Deutschland, der im Alter von 35 bis 65 Jahren stirbt,
stirbt an den Folgen von Alkoholkonsum. Dass
dies mehr Menschen sind, als eine kleine Minderheit übermäßiger Trinker, wie uns der ZAW
glauben machen will, liegt auf der Hand. Die
Behauptung des Gegenteils mutet zynisch an.
Wie neueste Studien zum Thema Brustkrebs
zeigen, genügen schon kleine Mengen Alkohol
bei Frauen, besonders bei Frauen nach der
Menopause, um das Brustkrebsrisiko signifikant zu erhöhen (Boffetta et al. 2006; Tjonne-
land et al. 2006; Coutelle et al. 2004). Bei
männlichen Patienten war die häufigste
Hauptdiagnose für Krankenhausaufenthalte im
Jahr 2006 „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (F10)“ mit insgesamt
222.530 Fällen (Bundesamt für Statistik
Deutschland). Dies stellt nur die Spitze des
Eisberges dar, denn Alkohol verursacht nicht
zuletzt massive und lebensbedrohliche somatische Störungen, wie Leberzirrhose, Entzündungen der Bauchspeicheldrüse, Krebs im
Mund- und Rachenraum sowie im Verdauungstrakt und viele andere Krankheiten mehr
(s.o und s.u).
Rauschtrinken
Rauschtrinken oder auch „Binge Drinking“
wird von der WHO als der Konsum von fünf
oder mehr Gläsern Alkohol zu einer Trinkgelegenheit definiert. Die Popularität des Rauschtrinkens ist ungebrochen, insbesondere in der
Altersgruppe der 18-24 Jährigen ist ein Anstieg dieser exzessiven Form des Alkoholkon-
sums zu verzeichnen. Für die älteren Altersgruppen verliert das Rauschtrinken an Attraktivität (siehe Abb. 2). Bei den 18-24 Jährigen
handelt es sich um die so genannte Alkopopgeneration, die später in einem Extrakapitel
skizziert wird.
50
45,4
45
36,8
Angaben in %
40
35
30
25
37
38,8
35,2
33
31,2
32,7
28,6
26,2
26,8
31,4
20
23
23,2
15
20,8
10
5
0
1995
1997
18-24 Jahre
2000
25-29 Jahre
2003
2006
40-59 Jahre
Abbildung 2: Trends der 30-Tage-Prävalenz des Rauschtrinkens 18- bis 59-Jähriger,
1995-2006 (Pabst & Kraus 2008).
Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass
immer mehr Frauen in der Altersgruppe der
18- bis 24-Jährigen das Rauschtrinken praktizieren (siehe Abb. 3). Forschungsergebnisse
belegen unisono, dass Frauen eine wesentlich
höhere Vulnerabilität gegenüber Alkohol aufweisen als Männer - bei gleicher konsumierter
Menge (Anderson et al.1993, Péquignot et al.
1974, Mann et al. 1996, Piazza et al. 1989).
Außerdem erhöht sich bei riskantem Konsum
das Brustkrebsrisiko (Boffetta et al. 2006;
Collaborative group of hormonal factors in
breast cancer 2002). Auf die Rolle der Alkopops bei der Verbreitung des „Binge drinking“
wird im Kapitel „Alkopopgeneration“ eingegangen.
4
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
70
57,7
60
Angaben in %
49,7
50
47,6
51,1
26,1
26
2000
2003
41,9
40
30
20
23
23,1
1995
1997
32,1
10
0
Männer (18-24)
2006
Frauen (18-24)
Abbildung 3: Trends der 30-Tage-Prävalenz des Rauschtrinkens 18-24-jährigen Frauen
und Männer, 1995-2006 (Pabst & Kraus 2008)
Konsequenzen
Auf eine ausführliche Darstellung der gesundheitlichen Konsequenzen des Alkoholkonsums
wird verzichtet, da dieses den Rahmen der
Ausführungen sprengen würde. Hier wird auf
den Bericht „Alcohol in Europe“ verwiesen, der
detailliert auf die Konsequenzen des Alkohol-
konsums eingeht und den aktuellen Stand der
Forschung skizziert (Anderson & Baumberg
2006). An dieser Stelle sollen die Themen Gewalt, Kinder aus alkoholbelasteten Familien
und die alkoholbedingte Mortalität genauer
betrachtet werden.
Gewalt
Zwischen riskantem Alkoholkonsum und gewalttätigen Auseinandersetzung besteht ein
erwiesener Zusammenhang. In Deutschland
steht ein Drittel der Gewaltdelikte im Zusammenhang mit Alkoholkonsum (Bundesministerium des Innern 2006). Gewaltdelikte sind
Mord, Todschlag, gefährliche und schwere
Körperverletzung, Raub, sowie Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung.
dem Einfluss von Alkohol. Davon waren 29%
(absolut 60.524) Gewaltstraftaten wie schwere
Körperverletzung, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Seit 1997 ist die Zahl an Tatverdächtigen (absolut 175.055), die zum Zeitpunkt
der Tat unter Alkoholeinfluss standen, um
über 54,24% gestiegen (BKA 2006). Es ist davon auszugehen, dass die tatsächlichen Zahlen
insbesondere bei den Sexualdelikten noch
weitaus höher liegen.
In Deutschland begingen 2006 11,8% (absolut
269.999) aller Tatverdächtigen Straftaten unter
Kinder in alkoholbelasteten Familien
In Deutschland sind 2,65 Millionen Kinder und
Jugendliche im Alter bis zu 18 Jahre von elterlicher Alkoholstörung betroffen (Klein 2005).
Diese Angabe basiert auf den Ergebnissen
einer repräsentativen bundesdeutschen Studie
(n=3021) die zeigte, dass der Anteil der Eltern
mit problematischem oder abhängigem Alkoholkonsum sehr hoch ist. 11,9% der Väter und
4,7% der Mütter wiesen dauerhaft oder zeitweise Alkoholmissbrauch bzw. –abhängigkeit
auf (Lachner & Wittchen 1997). Umgerechnet
sind aus jeder siebten Familie Kinder vom
Alkoholmissbrauch oder –abhängigkeit wenigstens eines Elternteils betroffen. (Klein
2008).
Die langfristigen psychophysischen Folgen für
Kinder aus alkoholbelasteten Familien sind
erheblich. Kinder von Alkoholikern müssen als
größte Risikogruppe für die eigene Entwicklung
von
Alkoholmissbrauch
und
–
abhängigkeit angesehen werden. Bei ihnen
5
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
besteht ein bis zu 6-fach erhöhtes Risiko,
selbst abhängig zu werden oder Alkohol zu
missbrauchen (Klein 2001).
Mortalität
Auch wenn Alkohol immer wieder als kulturell
verankertes Konsumgut dargestellt wird, handelt es sich hierbei um eine toxische Substanz,
die nachweisliche schwerste Erkrankungen
und Tod verursachen kann und verursacht.
Schätzungen gehen von 73.714 vorzeitigen
Todesfällen pro Jahr aus, die direkt oder indirekt durch den Alkoholkonsum allein oder
durch den Konsum von Tabak und Alkohol
verursacht wurden (Hanke & John 2003). Neben der Abschätzung der gesamten alkoholbedingten Mortalität gibt die Todesursachenstatistik hinsichtlich der Mortalitätsindikatoren
Hinweise auf zeitliche Veränderungen. Die
nachfolgenden Ergebnisse basieren ausschließlich auf durch Alkoholkonsum bedingten Todesfällen, die entsprechend im Toten-
schein vermerkt wurden (Rübenach et al.
2007).
Betrachtet man den Zeitraum zwischen 1980
und 2005 so hat sich die Zahl der jährlichen
Todesfälle aufgrund alkoholbedingter Krankheiten in Deutschland von 9024 auf 16.329
erhöht. Hierbei wurde ausschließlich Alkohol
als Todesursache zugrunde gelegt. Im Vergleich zu anderen Diagnosen kamen in den
letzten 15 Jahren jährlich mehr Menschen
durch Alkoholerkrankungen ums Leben als
durch Verkehrsunfälle und Suizid (siehe Abbildung 4). Eine differenzierte Betrachtung der
zum Tode führenden Alkoholerkrankungen
zeigt, dass insbesondere zwei Diagnosen ins
Gewicht fallen: das Abhängigkeitssyndrom und
die alkoholbedingte Leberzirrhose.
Abbildung 4: Verlauf der Sterblichkeit infolge von Alkohol, Verkehrsunfällen und Suiziden
Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland mit durchschnittlich 19,8 alkoholbedingt Vestorbener
pro 100.000 Einwohner Rang 5 von 18 Rängen ein (siehe Abb. 5, Rübenach et al. 2007).
6
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
Abbildung 5: Internationaler Vergleich alkoholbedingter Sterbefälle
Alkohol
Jugend und Alkoh
ol
Eine besonders aufmerksame und differenzierte Betrachtung erfordert der Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen. Die Weichen für einen gesundheitsgefährdenden Umgang mit Alkohol werden bereits im Kindesund Jugendalter gestellt (Richter & Settertobulte 2003). Je früher Jugendliche beginnen,
Alkohol regelmäßig zu konsumieren, umso
größer ist die Gefahr, später alkoholbezogene
Probleme oder eine Alkoholabhängigkeit zu
entwickeln. Darüber hinaus wurden bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit regelmäßigem riskanten Alkoholkonsum Funktionseinschränkungen im neurokognitiven Bereich festgestellt. Diese betrafen insbesondere
die Aufmerksamkeit und die visuelle Reizverarbeitung (Tapert et al. 2004, Sher 2006).
Laut einer Studie im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lag im Jahr 2006 das
Durchschnittsalter des ersten Alkoholkonsums Jugendlicher bei 13,2 Jahren und war
damit besorgniserregend niedrig. Noch ernstzunehmender ist die Tatsache, dass das
durchschnittliche Alter des ersten Alkoholrausches mit 13,9 Jahren nur unwesentlich höher
lag. Das zeitliche Zusammenrücken von erstem Alkoholkonsum und erstem Alkoholrausch zeigt deutlich, dass Jugendliche bereits
kurz nach der ersten Erfahrung mit Alkohol
ihren Alkoholkonsum derart steigern, dass er
zu Trunkenheit führte. Darüber hinaus hat sich
der noch 2002 bestehende Geschlechtsunterschied hinsichtlich des Alters der ersten Trunkenheit im Jahr 2006 erstmals aufgehoben.
(Settertobulte & Richter 2007, Richter & Settertobulte 2003).
Insgesamt zeigt sich, dass die in den letzten
Jahren aus diesem Anlass öffentlich geführte
Diskussion zur Alkoholproblematik bei jungen
Menschen und die Einführung der Alkopopsteuer zu einem leichten Rückgang des
Gesamtalkoholkonsums bei Jugendlichen
geführt hat. Dennoch überschritt etwa jeder
zehnte Jugendliche die neuen, für Erwachsene
festgelegten Grenzwerte von 12/24g (Frauen/Männer) Reinalkohol pro Tag und nahm
damit ein erhöhtes Risiko körperlicher Folgeschäden in Kauf (Kraus et al. 2008). Im Zusammenhang mit riskantem Alkoholkonsum
muss auch das so genannte Binge Drinking
erwähnt werden. Hier blieb die Monatsprävalenz bei den Jugendlichen von 2003 (59%) auf
2007 (58,7%) nahezu unverändert (Settertobulte & Richter 2007, Richter & Settertobulte
2003).
Seit dem erfolgreichen Zurückdrängen des
Einstiegsproduktes „Alkopop“ gewinnen die
Biermischgetränke und Spirituosen an Bedeutung (BZgA 2007). Inwiefern diese alkoholischen Getränke tatsächlich die Alkopops ersetzen ist noch nicht abschließend untersucht
(Richter & Leppin 2008, Pabst & Kraus 2008).
Es zeigt sich aber, dass Spirituosen zunehmend häufiger von Jugendlichen konsumiert
werden, obwohl diese an Minderjährige nach
dem Jugendschutzgesetz nicht verkauft werden dürften (siehe Abb. 6).
7
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
2004
0
5
10
15
2005
20
2007
25
30
35
40
45
50
31
30
Bier
37
29
Cocktails und
Longdrinks
24
26
23
bier- u. weinhaltige
Mixgetraenke
21
24
16
16
Spirituosen
21
20
16
W ein und Sekt
18
spiriuosenhaltige
Alkopops
28
16
10
Abbildung 6: Beliebteste Getränkesorten (mindestens 1x im Monat) im letzten Jahr konsumiert (BZgA 2007)
Alkopopgeneration
Wie erwähnt besaßen Alkopops bis zur Einführung der Sondersteuer eine hohe Attraktivität
bei Kindern und Jugendlichen. Mit diesen alkoholischen Mischgetränken kam ein Produkt
auf den Markt, das durch die Beigabe von
Fruchtsäften und viel Zucker geschmacklich
so verändert wurde, dass die beigemengten
Spirituosen nicht mehr herauszuschmecken
waren. Dies hatte besonders fatale Folgen für
Kinder, Jugendliche und weibliche Teenager.
Aufgrund der geschmacklichen Unterdrückung
des Alkohols konsumierten Minderjährige
erhebliche Mengen an Alkopops. Heute sind
branntweinhaltige Mischgetränke weitgehend
vom Markt verschwunden, trotzdem haben
diese deutliche Auswirkungen auf den heuti-
gen Alkoholkonsum Jugendlicher und junger
Erwachsener.
Durch die Markteinführung der Alkopops stieg
der Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen kontinuierlich an. Im Rahmen der WHO
Studie Health Behaviour on School Aged
Children (HBSC) stellte man fest, dass gerade
der regelmäßige Alkoholkonsum bei den 15jährigen Jungen von 29% in den Jahren
1997/98 auf 37% in den Jahren 2001/02 massiv
zunahm. Bei den gleichaltrigen Mädchen fiel
der Anstieg zwar geringer aus, lag aber im
allgemeinen Trend. Selbst bei den 13-Jährigen
Mädchen und Jungen wurde eine Zunahme des
regelmäßigen Alkoholkonsums festgestellt
(siehe Abb. 7, Richter & Settertobulte 2003).
37
1515-Jährige
Jährige
29
25
25
22
18
10
4
5
1994
5
1998
11
9
1313-Jährige
2002
Jungen
Mädchen
Abbildung 7: Entwicklung des regelmäßigen Alkoholkonsums (alle Getränke zusammen)
(Angaben in Prozent) (Richter & Settertobulte 2003)
8
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
Mit dem steigenden regelmäßigen Alkoholkonsum nahmen in diesen Altersgruppen auch die Alkoholrauscherfahrungen zu. In der Drogenaffinitätsstudie der BZgA von 2004 fiel die erhebliche Zunahme
von Alkoholrauscherfahrungen bei den 12- bis 25-Jährigen zwischen 1997 und 2004 ins Auge (siehe
Abbildung 8).
Es hatten sechsmal oder häufiger einen
Alkoholrausch in ihrem Leben…
30
28
Angaben in %
25
27
20
15
21
20
18
14
13
10
12
7
5
0
1997
gesamt
2001
2004
männlich
weiblich
Abbildung 8: Alkoholrauscherfahrungen 1997 bis 2004 (BZgA 2004)
aus werden in der Adoleszenz auch die Weichen für die späteren Alkoholkonsummuster
gestellt. Die Alkoholpops führten nicht zuletzt
zu einer Zunahme des regelmäßigen Alkoholkonsums und der Rauscherfahrungen bei
Mädchen und jungen Frauen, die als Zielgruppe mit geringem Konsum besonders im Mittelpunkt der einschlägigen Werbestrategien
standen.
Das Fatale an den spirituosenhaltigen Alkoholpops war, dass sie auf Kinder und Jugendlichen, die auf Alkohol besonders empfindlich
reagieren, aufgrund des hohen Zuckergehaltes
eine besondere Anziehungskraft hatten. So
überrascht nicht, dass in dieser Zeit auch die
Anzahl an Jugendlichen stieg, die mit einer
akuten Alkoholintoxikation stationär behandelt
werden mussten (siehe Abb. 9) (Statistisches
Bundesamt Deutschland 2008). Darüber hin-
Krankenhausaufenthalte mit Diagnose
"Akute Alkoholintoxikation"
25000
Fallzahlen
20000
15000
12035
14910
2000
2002
17931
19500
2004
2006
10000
5000
0
Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 20 Jahren
Abbildung 9 Statistisches Bundesamt. Jan. 2008
9
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
Die Generation jugendlicher Alkoholkonsumenten, die zum Zeitpunkt des Konsums von
Alkopops im Alter zwischen 13 und 15 Jahre
waren, wurde durch diese spirituosenhaltigen
Mixgetränke geprägt. Die Markteinführung der
Alkopops führte insgesamt bei Jugendlichen
und jungen Erwachsenen zu einer stärkeren
Akzeptanz von Spirituosen. Heute zählt diese
Alkopopgeneration zur Altersgruppe der 18bis 24-Jährigen und zeichnet sich durch eine
hohe Alkoholaffinität aus, was sich in hohen
Quoten beim Rauschtrinken (siehe Abb. 2 und
3), sowie beim Spirituosenkonsum niederschlägt (siehe Abbildung 10).
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
18-20
21-24
25-29
30-39
Männer
40-49
50-59
60-64
Frauen
Abbildung 10: Monatsprävalenz Spirituosen nach Altersgruppen (Pabst & Kraus 2008)
Der frühe Einstieg in den Alkoholkonsum und
die Bedeutung spirituosenhaltiger Getränke
bei den ersten Alkoholerfahrungen haben für
die
Alkopopgeneration
auch
langfristig
schwerwiegende Folgen. Es wird davon ausge-
gangen, dass die Anzahl junger Alkoholabhängiger steigt und künftig alkoholassozierte
Erkrankungen wie z.B. Leberzirrhose bereits
vor Erreichen des 30. Lebensjahres diagnostiziert werden.
Zur Rolle der Hersteller
Die hier vorgelegten wissenschaftlichen Daten
zeigen, dass der Alkoholkonsum in Deutschland einen beträchtlichen Einfluss auf Gesundheit, Gesellschaft und Ökonomie hat.
Alkohol ist weder ein gewöhnliches noch ein
gesundes Konsumgut, da es erhebliche Gefahren in sich birgt. Die Folgen des Alkoholkonsums betreffen nicht nur den Konsumenten
selbst, sondern auch sein Umfeld. Dies betrifft
neben dem Straßenverkehr auch Opfer von
Gewalttaten, die unter dem Einfluss von Alkohol begangen werden. Kinder aus alkoholbelasteten Familien sind in besonderer Weise
gefährdet und tragen ein hohes Risiko im späteren Leben selbst Alkoholprobleme zu entwickeln. Das gesundheitliche Risiko bei riskantem Alkoholkonsum ist langfristig gesehen
enorm. Der von Alkoholproduzenten unabläs-
sig behauptete gesundheitliche Nutzen hat
dagegen verschwindend geringe Bedeutung.
Er betrifft nur eine äußerst kleine Bevölkerungsgruppe mit einem Risiko für eine ganz
bestimmte Art der Herzerkrankung und gilt
nur für extrem geringen Alkoholkonsum. Das
bedeutet ein kleines Glas Alkohol am Tag jedes weitere Glas macht diesen Nutzen sofort
zunichte. Im hohen Alter schwindet dieser
protektive Effekt zudem wieder.
Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig für die ausgeklügelten Werbestrategien der
Marketingfachleute. Hinzu kommt, dass die
Alkoholindustrie in unverantwortlicher Weise
ein alkoholisches Getränk - die Alkopops - auf
den Markt gebracht hat, das eindeutig Kinder
und Jugendliche - insbesondere auch Mädchen
10
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
- aufgrund seines Geschmacks, Designs und
Marketings anspricht und ansprechen sollte.
Die Folgen sind die Verfestigung riskanter
Alkoholkonsummuster bei Jugendlichen und
jungen Erwachsenen. Eine ähnliche Strategie
lässt sich im Moment bei der Bierindustrie
beobachten, die Biermischgetränke auf den
Markt bringt, die eindeutig jugendliche Konsumenten ansprechen. Es scheint als haben
die Vertreter der Brauindustrie die Einführung
der Sondersteuer auf branntweinhaltige Alkopops nicht zu verhindern gesucht, um die so
entstehende „Marktlücke“ mit eigenen preiswerten Produkten zu füllen. Äußerst bedenklich ist inzwischen auch, dass der regelmäßige
Alkoholrausch als völlig normal angesehen
wird. Der Vollrausch hat sich etabliert. Mangelnde Alterskontrollen beim Verkauf alkoholischer Getränken an Minderjährige, sowie die
mangelnde Einsicht von Wirten, keinen weiteren Alkohol an betrunkene Gäste auszuschenken, tragen dazu bei, dass sich Alkohol zu
einem der größten Risikofaktoren für die Gesundheit Jugendlicher und junger Erwachsener entwickelt hat.
Die Alkoholproduzenten sprechen sich in ihren
neusten Veröffentlichungen für einen „verantwortlichen“ Alkoholkonsum aus. Was sie darunter verstehen, bleibt allerdings unklar, und
ihre Kampagnen zielen regelmäßig ins Leere.
Zahlreiche internationale und deutsche Studien, belegen nämlich, dass nicht erzieherische Programme und Aufklärungskampagnen
den größten Effekt bei der Reduzierung alkoholbedingter Schäden bewirken, sondern
strukturelle Maßnahmen, wie die Regulierung
der Verfügbarkeit von Alkohol und die Preispolitik für alkoholische Getränke. Daher finden
sie auch in den Überlegungen des Drogen- und
Suchtrates Beachtung (Anderson et al. 2006,
Bühler et al. 2006). Von der Alkoholindustrie
werden diese wirksamen Instrumente abge-
lehnt. Sie würden den Gesamtkonsum und
damit den Absatz senken.
Die Alkoholproduzenten setzen in ihren Kampagnen zur Verbesserung ihres durch alkoholbedingte Todesfälle von Jugendlichen angeschlagenen Images gerade auf Aufklärungskampagnen. Es darf angezweifelt werden, dass
diese Kampagnen wirksam alkoholbedingte
Schäden senken und dass die Gesellschaft ein
Interesse daran hat, ihre Kinder und Jugendlichen von denjenigen über Alkohol aufklären zu
lassen, die ein ökonomisches Interesse am
Verkauf dieser Produkte haben. Verantwortungsübernahme für den möglichen Missbrauch, der ihren Produkten innewohnt, lehnt
die Alkoholwirtschaft ab und lastet die Schuld
für übermäßigen Gebrauch von Alkohol den
Konsumenten an.
Die DHS betrachtet Alkoholkonsum, die unterschiedlichen Trinkmuster und daraus entstehende Probleme sowie den Prozess der Entwicklung von Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit sehr differenziert. Den komplexen Zusammenhängen bei der Entstehung
alkoholbezogener Probleme kann man nicht
mit eindimensionalen Lösungen begegnen.
Daher plädiert die DHS auch nicht für eine
einzige Maßnahme, die alle Probleme lösen
soll, sondern für ein Maßnahmenbündel. Diese
Meinung vertreten all diejenigen, die professionell mit den negativen Folgen von Alkoholkonsum befasst sind. Eine Reduzierung der
Debatte allein auf Rauschtrinken Jugendlicher
sowie Werbung und Marketing wird den Problemen nicht gerecht. Die Rolle der Werbung ist
nur ein Element innerhalb eines Gesamtkonzeptes zur effektiven Reduzierung der mit
Alkoholkonsum verbundenen Probleme und
Schäden, jedoch ein nicht zu unterschätzendes.
Werbung und Marketing
Werbung ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Es ist unmöglich, sich ihrem Einfluss
zu entziehen, denn sie erreicht die Menschen
im Straßenbild durch Plakate, auf dem Weg
zur Arbeit oder nach der Arbeit beim Lesen in
Zeitungen und Zeitschriften, bei der abendlichen Entspannung durch die Medien Fernsehen und Kino oder am Wochenende beim Betrachten gesponsorter Sportveranstaltungen.
Die Zielgruppe „Jugendliche“ erreicht sie überdies durch das Internet und bei Events.
Werbung spricht die Menschen in ihrem Unterbewusstsein an. Das Unterbewusstsein ist
für 70 bis 80 Prozent aller menschlichen
Handlungen verantwortlich und ist im Stammhirn, im limbischen System, verankert. Hier
werden emotionale Reize verarbeitet, die
scheinbar rationale Handlungen des „mündi11
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
gen Konsumenten“ auslösen (Scheier et al.
2006). Werbeexperten kennen die Macht der
Suggestion sehr gut. Vom Kindesalter an wird
das Unterbewusstsein mit Werbebotschaften
überhäuft, die uns suggerieren, durch den
Kauf eines bestimmten Produktes Freiheit und
Abenteuer, Liebe, Glück, Reichtum und Erfolg
oder Trost zu erlangen.
differenziert ansprechen. Alkoholwerbung ist
hierbei keine Ausnahme, sondern ein besonders extremes Beispiel. Neben der klassischen Werbung in Printmedien und dem Fernsehen wird heute besonders das Internet zu
Marketingzwecken genutzt. Sponsoring, Promotionsaktionen und Event-Marketing spielen
eine zunehmend größere Rolle.
Die Werbewirtschaft wirbt weniger mit Informationen über Produkte, sondern betreibt so
genannte Imagewerbung. (Eine Ausnahme
stellen allenfalls technische Geräte wie PC,
Bohrmaschinen, Fotoapparate u.ä. dar.) Die
Imagewerbung soll besondere Zielgruppen
Die vom ZAW angeführten Datensammlungen
stellen die Werbeausgaben für alkoholische
Getränke dem Gesamtkonsum an Alkohol
gegenüber. Die Schlüsse, die der Verfasser
daraus zieht sind, sind statistisch unhaltbar
und irreführend:
1.
2.
3.
Die Begriffe sind nicht klar definiert und werden unpräzise gebraucht. Es ist unverständlich,
was unter Gesamtkonsum bzw. Alkoholmenge zu verstehen ist.
Was sich hinter dem Begriff „Werbeausgaben“ verbirgt, wird nicht erklärt. Es bleibt gänzlich
unklar, ob die Mehrausgaben durch ein Mehr an Alkoholwerbung verursacht wurden, oder ob
die Kosten für Werbung generell gestiegen sind, z.B. die Preise für Anzeigen, die Kosten für
Arbeitskraft, Einsatz neuer Technologien und personalintensiverer Marketingmethoden wie
z.B. das Verteilen von Werbegeschenken etc..
Anhand der oben genannten Datenzusammenstellung im ZAW Dossier ist keine Aussage darüber möglich, dass Werbung nicht wirkt. Sie lässt schon gar nicht eine differenzierte Aussage
über die Wirkung von Werbung auf verschiedene Altersgruppen zu. Die Daten sagen auch
nichts über den kausalen Zusammenhang der beiden erhobenen Variablen. Sie lassen auch
keinen Schluss darüber zu, wie die Entwicklung des Alkoholkonsums ohne werbende Manipulation verliefe.
Es gibt keine Studie, die belegt, dass Werbung
nicht wirkt. Experimentelle Studien, die sich
mit der Reaktion von Kindern und Jugendlichen auf Werbung befassen, weisen Wirkungen von Werbung auf das Trinkverhalten von
Jugendlichen und auf ihre Einschätzung der
Risiken, die mit Alkoholkonsum verbunden
sind nach. Es hat sich deutlich gezeigt, dass
Werbung die Vorstellung von Alkoholkonsum
als etwas Positivem und Angenehmen geprägt
hat. Da Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen überdurchschnittlich oft Alkoholwerbung in Radio und TV ausgesetzt sind, sind
diese Studienergebnisse besonders besorgniserregend. Diejenigen Jugendlichen, die die
meiste Werbung gesehen hatten, tendierten zu
einer positiveren Einschätzung von Alkohol,
sowohl was die Einstellung zu Alkoholkonsum
als auch zu Trinkmengen angeht (Snyder et al.
2006, CASA 2006, Babor et al. 2005). Daher ist
es besonders wichtig, die fehlende Regulierung der Werbemenge mit in die Diskussion
einzubringen. Die in Deutschland bestehende
Selbstregulierung bezieht sich nur auf
Werbeinhalte und greift damit zu kurz.
Dass die Werbewirtschaft, vertreten durch den
Werberat, die selbst aufgestellten Regeln der
freiwilligen Selbstbeschränkung zur Kontrolle
von Werbeinhalten nicht einhält, wird vielfach
kritisiert, nicht nur von der DHS. Die Regeln
sind so formuliert, dass sie von kreativen Werbeexperten leicht auszuhebeln sind. Sie sind
im Wortlaut erfüllbar, aber entstellen den
ihnen zugrunde liegenden Sinn. So stellt der
Werberat z.B. mit der Formulierung „Kommerzielle Kommunikation für alkoholhaltige
Getränke soll keine trinkenden oder zum Trinken auffordernde Leistungssportler darstellen“ sicher, dass er Alkoholkonsum mit Sport
in Verbindung bringen kann. Der BierWerbebotschafter Boris Becker ist kein aktiver
Leistungssportler mehr, für Deutschland und
alle Tennisfans in der ganzen Welt stellt er
jedoch das Sinnbild für einen der erfolgreichsten Leistungssportler dar.
Die Regeln hinken auch den aktuellen Rezeptionstrends hinterher. Zu den wirksamsten
Elemente von Werbung, gerade bei jungen
Menschen, zählen Witz und Komik (ELSA Project 2007). Diese Elemente werden in den frei12
Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
willigen Verhaltensregeln
jedoch nicht gebannt.
des
Werberates
Wie alle, die in der professionellen Suchtprävention und Suchthilfe tätig sind, weiß auch die
DHS, dass eine effektive Regulierung von Alkoholwerbung dringend erforderlich ist, aber
nicht jedoch das einzige Mittel zur Reduzierung alkoholbedingter gesundheitlicher und
sozialer Schäden darstellen kann. Daher sind
die angestrebten Maßnahmen im Bereich des
Marketing auch eingebettet in ein Paket wirksamer Maßnahmen. Hierzu gehören besonders
die Preisgestaltung und die Verfügbarkeit von
Alkohol.
Der Kampf gegen Alkoholmissbrauch ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Eben aus
diesem Grunde ist nicht zu verstehen, warum
die Regulierung eines ganzen Industriezweiges
allein denjenigen überlassen wird, die aufgrund ökonomischer Interessen befangen
sind. Die Werbewirtschaft bestimmt für sich
selbst die Regeln und besetzt den Deutschen
Werberat, das einzige Gremium, das Werbung
beurteilt. Alkoholwerbung vermarktet ein toxisches Produkt, daher gilt hier eine besondere
Sorgfaltspflicht und Unabhängigkeit in der
Beurteilung des Marketings, die nur durch ein
unabhängiges Gremium gewährleistet werden
könnte.
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Stellungnahme der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
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Werbebeispiele
Werbebeispiele
Verbindung zum Sport
Krombacher
Bit Sun - Milder Genuss
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Veltins
Hasseröder
Leistungssportler
Lewis Hamilton für Johnnie Walker
Boris Becker für König Pilsener
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Verbindung zu „Lifestyle und Party“
Spot Vplusfriends: "Mehr Freunde, mehr Spaß mit VIVA und Vplusfriends.de."
Quelle: http://www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=871&sid=161
Quelle: http://www.vplusfriends.de/paradise-beach/people/#_pages_navigation_15
Jägermeister
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„Sex Sells“
Bacardi
Jägermeister
Martini
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Alkohol ist besser als alles andere und noch besser als Sex
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