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BMBF-Projekt: Optische Cochlea-Implantate
Ein Lichtschalter für besseres Hören
Die Hörschnecke (lateinisch: Cochlea) ist der Teil im menschlichen Innenohr, der für die
Wahrnehmung verschiedener Tonfrequenzen und Lautstärken zuständig ist. In der
Hörschnecke ist es eigentlich dunkel. Eine neue Generation von Cochlea-Implantaten soll nun
den Lichtschalter umlegen.
Quelle: Fotolia
29.10.2015 Als 1984 die ersten Cochlea-Implantate auf den Markt kamen, war das
eine Revolution. Viele Skeptiker hatten es für unmöglich gehalten, dass man
tatsächlich mit elektrischen Impulsen Klänge und Sprache hörbar machen kann.
Nun streben Forscher eine neue Revolution an: das Hören per Licht. Die
sogenannte optogenetische Stimulation des Hörnervs ist sehr präzise. Anfang
Oktober ist ein Verbundprojekt gestartet, das vom Bundesforschungsministerium
gefördert wird. Gemeinsam mit Wissenschaftlern entwickelt die inomed
Medizintechnik GmbH eine neue Generation von Cochlea-Implantaten. von Tim
Gabel
Auf Mandarin-Chinesisch hat das Wort „Ma“ vier verschiedene Bedeutungen, abhängig
davon, wie sich die Stimmhöhe verändert: Mutter, Pferd, Hanf oder Schimpfen.
Tausende Chinesen, die ein Cochlea-Implantat tragen, können solche feinen
Unterschiede nicht wahrnehmen. Für viele Schwerhörige und taube Menschen ist ein
Cochlea-Implantat zwar ein Segen. Es bringt die Welt der Geräusche, Töne und
Sprache zurück. Unterschiedliche Tonhöhen kann ein Cochlea-Implantat aber nur sehr
eingeschränkt wiedergeben. Die Hörqualität ist weit schlechter als bei einem gesunden
Ohr. Dabei sind mehr als 30.000 gehörlose Menschen in Deutschland und zehnmal so
viele weltweit auf ein CI angewiesen, um wieder hören zu können. Das CI ist die
erfolgreichste Neuroprothese.
Klavier spielen mit
Boxhandschuh
Die geringe Klangqualität hat mit
den elektrischen Impulse zu tun,
mit denen das CI die Nervenzellen in
der Hörschnecke anregt. Ein
elektrischer Impuls regt alle feinen
Haarzellen an, die im Bereich von
Elektrische Impulse eines herkömmlichen Cochlea
etwas mehr als einem Millimeter
Implantats stimulieren ganze Bereiche des
entlang der Cochlea sitzen. Das ist
Hörnervs. Tonhöhen sind so schwer zu
in etwa so, als würde ein Pianist mit
unterscheiden.
Boxhandschuhen auf seinem Flügel
Quelle: Elsevier
spielen. Unterschiedliche Tonhöhen
lassen sich nicht mehr gut heraushören, die Frequenzen verschwimmen. „Das Ergebnis
ist für Menschen, die mit Musik und Sprache beruflich zu tun haben nicht befriedigend“,
sagt Professor Tobias Moser von der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der
Universitätsmedizin Göttingen. Youtube-Videos geben auch für Normalhörende einen
guten Eindruck von der Leistungsfähigkeit herkömmlicher Cochlea-Implantate:
Lichtsignal kann engen Bereich von Zellen fokussieren
Ein internationales Forscherteam
unter Leitung von Wissenschaftlern
der Universitätsmedizin Göttingen
(UMG) will das jetzt ändern. Licht
statt – wie bisher – Strom könnte
als Stimulans für die Zellen im
Hörnerv benutzt werden. „Ein
Lichtsignal kann auf einen sehr viel
Optische Cochlea-Implantate funktionieren mit
winzigen Leuchtdioden, die auf einem Mikrokabel in
die menschliche Hörschnecke eingebracht werden.
Wenn die Zellen darauf trainiert sind, können
Lichtreize gezielt einzelne Bereiche des Hörnervs
engeren Bereich von Zellen
fokussiert werden“, sagt Moser. Die
ersten Erfolge können die
Wissenschaftler aus
Untersuchungen mit Nagetieren
stimulieren. Dadurch können Tonhöhen wesentlich
ableiten. Ergebnisse, die Anfang
präziser wahrgenommen werden.
2014 im renommierten Medizin-
Quelle: Elsevier
Fachjournal „Journal of Clinical
Investigation“ veröffentlicht
wurden. Über eine optische Anregung der Nervenzellen im Innenohr kann die Anzahl
der Stimulationskanäle verzehnfacht werden, was eine dramatische Verbesserung der
Klangqualität verspricht. „Das würde für hunderttausende Menschen eine
fundamentale Verbesserung bei der Unterscheidung von Tonhöhe und Lautstärke
bedeuten", sagt Moser.
Wie Nervenzellen lernen auf Licht zu reagieren
Aber wie sollen Sinneszellen, die zum Hören gedacht sind, auf Licht reagieren? Diese
Frage beantwortet die Optogenetik: In die Membran von Nervenzellen können Proteine
eingebaut werden, die dort als zelluläre Lichtschalter fungieren. Das dabei verwendete
„Kanal-Rhodopsin-2“, das aus Algen gewonnen wird, reagiert auf geringste Mengen
blauen Lichts. Damit die Zelle die Proteinkanäle in die Zelle einbaut, braucht sie deren
Bauplan. Das geschieht mit Hilfe ungefährlicher Viren, die auch in der Gentherapie beim
Menschen eingesetzt werden. Als eine Art Schleuser bringen sie ein Stück DNA in die
Nervenzelle, auf dem die nötigen Informationen abgespeichert sind. „Das Erbgut der
Zelle wird dadurch nicht verändert. Aber die Zelle lernt, auf Licht zu reagieren“, so
Moser. Der Wissenschaftler wurde für seine Forschungen im Bereich der Optogenetik in
diesem Jahr mit dem renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet.
Noch viel zu tun bis zum neuen Cochlea-Implantat
Die Miniaturisierung der LED ist die
Leistung von Professor Ulrich
Schwarz. Er betreute die technische
Entwicklung des neuen optischen
Cochlea-Implantats zunächst beim
Freiburger Fraunhofer Institut für
Angewandte Physik und dann als
Leiter einer Arbeitsgruppe am
Institut für Mikrosystemtechnik der
Universität Freiburg (Imtek). Im
Die Miniaturisierung der LEDs ist sehr kompliziert:
BMBF-Projekt „Lichthören“ haben
Analog zum konventionellen Cochlea-Implantat
Schwarz und seine Kollegen ein
müssen auf einem hochflexiblem Band von etwa 20
optisches Implantat mit mehr als
mm Länge und einem Durchmesser von einem
einhundert Mikroleuchtdioden für
halben Millimeter mindestens hundert einzeln
Nager entwickelt. Jede der
ansteuerbare Lichtquellen untergebracht werden.
Leuchtdioden bedeutet einen
Quelle: Daniel Keppler, Institut für Auditorische
Neurowissenschaften, UMG
weiteren Kanal für die Hörenden
und damit weitere Tonhöhen für ein
bessere Klangauflösung. Ein
Cochlea-Implantat mit bis zu 120 Kanälen ist im Tierversuch technisch möglich.
„Bis zu einer Anwendung in der klinischen Rehabilitation bei schwerhörigen Menschen
bleibt noch viel zu tun“, sagt Prof. Moser. Es müssen zunächst schnellere
„Lichtschalter“ für die Zelle entwickelt werden, um den Ansprüchen der
Signalverarbeitung im Hörsystem gerecht zu werden. Auch die entscheidende Frage,
ob es durch das Stimulationslicht möglicherweise zu langfristigen Schäden kommt,
müsse geklärt werden. In einer Kooperation mit dem Deutschen Primatenzentrum
(DPZ) wird die Technik daher ab November an Affen getestet. Das European Research
Council fördert die neu gegründete Gruppe „Auditory Neuroscience“ am DPZ als
Leuchtturmprojekt mit 2,5 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre.
BMBF fördert Projekt seit Oktober mit 2 Millionen Euro
Seit dem 1. Oktober ist das
deutsche KMU inomed
Medizintechnik GmbH mit an Bord.
Gemeinsam mit dem
österreichischen
Partnerunternehmen MED-EL soll
der Spezialist aus Emmendingen
Mikro-LEDs für das CochleaImplantat entwickeln. Dies soll dann
zunächst an Affen getestet
werden. Es wird als Initiativprojekt
vom BMBF mit rund 2 Millionen
Euro gefördert. „Wir sind immer
Die Leuchtdioden sind so klein, dass man sie auf
einer Fingerspitze kaum sieht.
Quelle: Christian Gossler, IMTEK Universität
Freiburg
offen was Innovationen angeht.
Aber die Förderung macht dieses Projekt erst möglich, weil es im Bereich der
Hochrisikoforschung einzuordnen ist“, sagt Dr. Thilo Krüger, Projektkoordinator der
inomed GmbH. Es gibt viele Unwägbarkeiten, für die Lösungen gefunden werden
müssen. „Das Implantat ist für den Einbau in den menschlichen Kopf bestimmt, wir
müssen also sicher gehen, dass keine Flüssigkeit eintreten kann und keine Substanzen
aus der Diodenkette austreten können“, sagt Krüger.
Leistungsfähige Dioden in sensibler Umgebung
Die eingesetzten Gallium-Nitrid-Dioden sind besonders energieeffizient und langlebig.
Sie stecken deshalb inzwischen auch in vielen Displays. Allerdings sind die Materialien
für den Menschen auch sehr giftig. „Nicht zuletzt muss auch eine Ansteuereinheit für
die Ärzte geschaffen werden. Eine Oberfläche mit der der behandelnde Arzt oder
Akustiker beispielsweise die Intensität des Cochlea-Implantats einstellen kann“, sagt
Thilo Krüger. Auch auf Seiten der Optogenetik und Humanbiologie ist noch einiges zu
tun. Für die Entwicklung einer optogenetischen Hörprothese für den Menschen
benötigt es effiziente und vor allem sichere Viren, die das Erbgut fürs „Lichthören“ in
die Zellen bringen. Bis all das entwickelt und evaluiert ist, werden noch einige Jahre ins
Land gehen. „Wir wollen Patienten keine falsche Hoffnung machen. Wir werden noch
einige Jahre an den Grundlagen forschen müssen“, sagt Tobias Moser. Der Aufwand
soll sich aber lohnen: Wenn die technische Umsetzung gelingt, erschließt sich für die
beiden Industriepartner ein riesiger Markt weltweit. Die „heterogene Integration von
μLEDs in eine flexible Polymer-Matrix“ sei darüber hinaus auch als
Technologieplattform für andere medizintechnischen Anwendungen einsetzbar, sagt
Thilo Krüger von inomed.
Mehr im Internet:
Laudatio für Leibniz-Preisträger Prof. Dr. Tobias Moser
Gruppe Auditorische Neurowissenschaften am Deutschen Primatenzentrum
Vorläuferprojekt „Licht hören“
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