GERMANICA WRATISLAVIENSIA 136 Acta Universitatis Wratislaviensis No 3437 Wroc³aw 2012 Petra Szatmári Budapest Partikelverben im Kontrast: auf- und fel-Verben 1. Vorüberlegungen Wortschatzerweiterung durch Wortbildung erfolgt vor allem im Bereich der Hauptwortarten. Neben der Komposition ist als zweite äußerst produktive Wortbildungsart des Deutschen die sog. explizite Derivation (Ableitung) anzusehen. Dabei werden an eine Derivationsbasis Derivationsaffixe angefügt. Diese hinzugefügten Affixe führen somit zu einer „»Substanzvermehrung« des Ausgangswortes“ (Lohde 2006: 38), die sich demzufolge auch explizit zeigt. Bei den hinzutretenden Affixen handelt es sich überwiegend um Präfixe und Suffixe, so dass von Präfigierung und Suffigierung gesprochen wird. Beiden kommt ein unterschiedliches Gewicht im Rahmen der deutschen Wortbildung zu: Größeres Gewicht besitzt zweifellos die Suffigierung, da Suffixe bei allen Wortarten anzutreffen sind. […] Im Vergleich dazu ist die Präfigierung von untergeordneter Bedeutung; die insgesamt kleine Zahl der Präfixe begegnet beim Substantiv und Adjektiv, bei Adverbien fehlen sie ganz […]. Die eigentliche Domäne der Präfigierung ist das Verb: kaufen → er-kaufen, klopfen → an-klopfen, parken → ein-parken (Lohde 2006: 40). Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf Wortbildungsphänomene im verbalen Bereich. Die Wortbildung der Verben stellt etwas Besonderes dar, weil sie geprägt ist von den „grammatischen Besonderheiten dieser Wortart und ihre[r] Funktion im Satz“ (auf Barz / Schröder 2001 referierend vgl. Eggelte 2008: 131). Im Beitrag sollen deutsche auf-Verben im Rahmen der kontrastiven Linguistik einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Hintergrund ist die Tatsache, dass aufgrund der Lehnkontakte mit dem Deutschen die ungarische Partikel fel- mit Semen der deutschen Partikel auf- ausgestattet wurde, was mit zahlreichen Lehnübersetzungen einherging. Dadurch kommt es bei Deutschlernern ungarischer Muttersprache immer wieder zu Übergeneralisierungen.1 Ausgehend von den deutschen 1 Bspw. führt der negative Transfer bei wichtigen hochfrequenten Verben (lesen – olvas) zu falscher lexikalischer Äquivalenzfindung. Vgl. fel-olvas – auf-lesen statt vor-lesen. Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 165 2012-12-03 14:48:37 166 Petra Szatmári auf-Verben soll ein Vergleich vor allem lexikalisch-semantischer Merkmale Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit den ungarischen fel-Verben verdeutlichen und so zu einem bewussteren Umgang mit diesen Bildungen beitragen. An ausgewählten Verbgruppen werden im gegebenen Rahmen verschiedene syntaktische Erscheinungen beleuchtet. Translatologische Aspekte spielen allerdings keine Rolle. Empirisch werden die Aussagen durch Belege aus der Fachliteratur, ein- und zweisprachigen Wörterbüchern gestützt, eine quantitative Korpusauswertung wird hier nicht angestrebt. 2. Terminologisches Derivation bedeutet – wie Eichinger (2000) betont – in Bezug auf die Wortart Unterschiedliches; im Hinblick auf das Verb bedeutet sie: „Beim Verb, das ja dazu dient, Szenen um sich her aufzuspannen und in verschiedener Ausrichtung zu aktualisieren bzw. zu modalisieren, fließen daher die Modifikation, also die Variation im bestehenden Muster, und die Transposition, das Herüberholen aus einer anderen Wortart zum Zwecke anderer Inszenierungen, in denselben Mitteln zusammen“ (Eichinger 2000: 147). Innerhalb der expliziten Derivation weist Lohde (2006: 41, Beispiele auch dort) auf eine Sonderform hin, auf die sog. kombinatorische Derivation, bei der Suffixe und Präfixe mit der Basis verknüpft werden, vgl. im Substantivbereich Gepfeif-e, im Adjektivbereich ge-lehr-ig, inter-disziplin-är. Hier ordnet er ebenfalls Bildungen von Lexemen ein, die eine partizipiale Struktur haben, deren Basis aber nicht ein Verb, sondern ein Nomen ist, vgl. ge-stiefel-t. Kombinatorische Derivation tritt ebenfalls im Verbbereich als Präfix-Suffix-Derivation (auch: Zirkumfixderivation) und Präfixkonversion in Erscheinung. Mit dem Begriff PräfixSuffix-Derivation bezieht sich Lohde auf die Bildung von Verben aus Substantiven mithilfe von Affixkombination und führt folgende Beispiele dafür an: Aufsicht → be-aufsicht-ig-en, Eid → ver-eid-ig-en (Lohde 2006: 41). Auf die wichtige Rolle derartiger Bildungen weist implizit auch Eichinger hin, wenn er Beispielsätze mit den Verben befreien, benachrichtigen, entfernen, erinnern und verwirren anführend feststellt, dass „eine ganze Reihe von Bildungen nur durch das Präfix gekennzeichnet wird“ (Eichinger 2000: 156). Lohde (2006: 49, Beispiele dort) beschreibt Präfixkonversion als Anfügung eines Präfixes an eine substantivische Basis (Kern → ent-kern-en, Arm → umarm-en, Silber → ver-silber-n, Kette → an-kett-en) und fügt in der Fußnote 21 hinzu: „Da das neue Verb erst durch das Zusammenwirken von Präfix und Infinitivsuffix gewonnen wird, rechnet man die Präfixkonversion ebenfalls zur kombinatorischen Derivation“ (Lohde 2006: 49). Die verbale Wortbildung lässt sich unter Bezug auf die erste Konstituente (Präverb), d.h. das Wortbildungsmorphem, das vor dem Basismorphem aufscheint, unterteilen. Allerdings zeigen sich dabei verschiedene Uneinheitlichkeiten, auf die Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 166 2012-12-03 14:48:37 Partikelverben im Kontrast: auf- und fel- Verben 167 im Rahmen des Beitrags nur verwiesen werden kann.2 Konsens scheint in Bezug auf Verbbildungen mit untrennbarem Erstglied wie be-, ent-, ver-, zer- usw. zu bestehen, wenn diese als Präfixverben bezeichnet werden. Anders sieht es bereits bei den trennbaren präpositionalen Erstkonstituenten wie ab-, an-, auf-, mit- usw. aus: Diese werden u.a. als trennbare (unfeste) Präfixverben (Lohde 2006: 232), Partikelverben (Eichinger 2000: 102, Eggelte 2008), Präverbfügungen (Schlotthauer / Zifonun 2008) oder als Präfixoidbildungen (Kessel / Reimann 32010: 115) angeführt.3 Auf eine Diskussion dieser Termini wird hier verzichtet; ich werde im Weiteren den Terminus Partikelverb verwenden. Charakteristisch für die erste Konstituente dieser gebildeten Verben ist, dass sie auch als freies Morphem vorkommen kann, unter bestimmten morphosyntaktischen Bedingungen diskontinuierlich gebraucht wird, reihenbildend und betont ist. Das Präverb entstand aus sog. primären Präpositionen.4 Diese älteren Präpositionen wiederum haben sich aus Lokaladverbien (Orts-, Raumadverbien) herausgebildet, wobei sich die Lokalpräpositionen später auch zu Zeitpräpositionen entwickelt haben (vgl. Fröhlich 2003: 8). Diese Entwicklungsgeschichte der Partikel auf- ist insofern von Relevanz, als sie auch in die Bedeutung der mit ihr gebildeten Verben / Wörter einfließt.5 3. Konvergierendes und Divergierendes bei den Partikel-verben mit auf- bzw. fel3.1. Einführendes Nach Erben (21983) gibt es im Wortschatzbereich ein großes „Bedürfnis nach »motivierten« Zeichen oder »durchsichtigen« Wörtern, deren Aufbau durch2 Ein Überblick über den Stand der Diskussion findet sich u.a. bei Kolehmainen (2005). denen dann noch Doppelpartikelverben (Eichinger 2000: 103) wie hinaus- / herausheben, herankommen zu unterscheiden sind. 4 Primäre Präpositionen (an, auf, aus, bei, durch, für, gegen, in, nach, neben, ohne, über, um, vor, von, während, wegen, zu) stellen den Grundbestand der Wortklasse dar und drücken instrumentale, lokale, temporale Relationen aus (vgl. Diewald 1997: 66). Nach Helbig / Buscha (2001) verfügen primäre Präpositionen über folgende Charakteristika: (a) sind nicht als Ableitung oder Zusammensetzung erkennbar; (b) bilden eine relativ geschlossene Wortklasse; (c) regieren Akkusativ und / oder Dativ (lediglich während, wegen, trotz stehen mit dem Genitiv); (d) können von Verben, Adjektiven oder Substantiven regiert werden, was mit einem weitgehenden bzw. völligen Verlust ihrer lexikalischen Bedeutung verbunden ist (vgl. Helbig / Buscha 2001: 353). 5 Während sich z.B. bei mit diese Entwicklungsgeschichte noch deutlich in den unterschiedlichen, heute noch gebräuchlichen Verwendungsweisen spiegelt (er saß mit am Tisch; er war mit / mit war er; sie fuhr mit Anita mit), wird die Partikel auf im Gegenwartsdeutsch überwiegend als Präposition und Präverb (Terminus vgl. Kohlemainen 2005, Schlotthauer / Zifonun 2008) verwendet, als Adverb (auf und davon gehen, auf und ab gehen) kommt sie nur noch in Zwillingsformeln vor und erstarrt ist auch ihr Gebrauch in der Bedeutung ‚los‘, vgl. das Jägerlied „Auf, auf zum fröhlichen Jagen“. Diese Art des Initiierens einer Aktivität kennt auch das Ungarische, vgl. Auf zur Arbeit! Fel a munkára! 3 Von Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 167 2012-12-03 14:48:38 168 Petra Szatmári schaubar ist und die nicht isoliert im Zeichensystem der Sprache stehen, sondern mit anderen sprachlichen Einheiten durch Motivationsbeziehungen verbunden und im Sprachbewußtsein verankert sind“ (Erben 21983: 20). Dieses „Bedürfnis“ scheint zu einem großen Teil die Übernahme von fremden Wortbildungselementen zu blockieren, da bei diesen oftmals keine Motiviertheit in der Zielsprache vorhanden ist (vgl. Erben21983: 20). Es findet sich jedoch eine Reihe von übernommenen Wortbildungsmustern, in denen sowohl Affixe wie auch Affixoide (leserfreundlich – olvasóbarát) nach dem Modell der Gebersprache angewendet werden. Zur Erörterung dieses Problems als Quelle möglicher Schwierigkeiten werden ungarische fel-Verbbildungen einer genaueren Betrachtung unterzogen. Fel-, das seit dem 13. Jahrhundert im Ungarischen belegt ist und sich aus einem die Richtung ‚aufwärts‘ bezeichnenden Adverb zu einer verbalen Partikel entwickelte, wurde mit der Bedeutung des deutschen auf- ausgestattet und zahlreiche Lehnübersetzungen gelangten so in den ungarischen Wortschatz, vgl. u.a. fel-vonásban (1778) ‚Aufzug <eines Schauspiels>‘; felvilágosodás (1789) ‚Aufklärung <als kulturhistorische Richtung>‘; felvágás (1960) ‚Aufschneiden‘; felvilágosult (1831) ‚aufgeklärt‘; felfogható (1833–1842) ‚auffassbar‘; felfog (1495) ‚hochheben‘ – (1790) ‚(auf)fassen‘; felvág (1557) ‚zerschneiden‘ – (1889) ‚großsprechen‘.6 Im Folgenden werden zunächst lexikalisch-semantische Aspekte der aufbzw. fel-Verbbildungen präsentiert und verglichen, anschließend rücken morphologische und syntaktische Merkmale ausgewählter auf- / fel-Verben ins Blickfeld. Bei der Darstellung der lexikalisch-semantischen Merkmale stütze ich mich auf Analysen der Fachliteratur. Dieses methodische Vorgehen hat den Vorzug, dass ich dadurch kompetente Darstellungen in der jeweiligen Einzelsprache als Grundlage für den Vergleich gewinne, allerdings aufgrund der unterschiedlichen Ansätze auch bestimmte Zugeständnisse machen muss. Spätere, empirisch untermauerte Einzelanalysen, wobei auch quantitative Auswertungen vorgenommen werden müssen, werden zu weiteren Präzisierungen beitragen. 3.2. Lexikalisch-semantische Merkmale… 3.2.1. des Wortbildungselements aufLohde (2006: 244) hält fest, dass die Partikel auf- meist mit einfachen, selten mit komplexen Verben (aufmarschieren) und Präfixderivaten (aufbekommen, am häufigsten mit er-Bildungen wie auferbauen, auferstehen, auferlegen) kombiniert wird. Daneben kann als Derivationsbasis auch ein Nomen (auftischen, aufmöbeln) oder seltener ein Adjektiv (aufheitern, aufmuntern) fungieren. Auf dieses Phänomen könnte man den Begriff Präfixkonversion anwenden. 6 Quelle: EWUng (1993). Dabei wird betont, dass die abstrakten Bedeutungen größtenteils unter deutschem Einfluss entstanden sind. Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 168 2012-12-03 14:48:38 Partikelverben im Kontrast: auf- und fel- Verben 169 Die semantische Leistung der Partikel auf- besteht einerseits in der Modifizierung des durch das Basisverb Ausgedrückten und andererseits im Bewirken der „Inkorporierung sehr unterschiedlicher funktionaler Zusammenhänge, wodurch eine außerordentliche Präzision der Verbhandlung erreicht wird“ (Eggelte 2008: 133). Unter Bezug auf die Fachliteratur (Lohde 2006: 244ff., Eggelte 2008: 133ff., Eichinger 2000: 238ff.) lassen sich folgende Muster mit ihren Submustern unterscheiden: Tabelle 1. Semantische Leistungen der Partikel aufHauptmuster Submuster a) ‚nach oben‘ - allgemeine Aufwärtsbewegung: aufsteigen (Rauch), aufschauen, aufwachsen - Bewegen des Subjekts: aufhüpfen, sich aufschwingen, aufspringen, aufstehen - Bewegen des Objekts: aufbauen, aufheben, aufsammeln, aufforsten - ohne konkrete Richtungsangabe: Erweiterung des Volumens: aufblasen, aufpumpen, aufpolstern (1) ‚lokal‘ - Bewegung einer Person in Sinne von ‚Aufstören der seelischen Ruhelage‘, „ekstatische ‚Überhöhung‘“ (Eichinger 2000: 241): jmdn. aufregen, aufbringen (= wütend machen), jugendsprachlich: aufgeilen - ‚Oberflächenkontakt‘: unterschiedlich ausgeprägter Kontakt entsteht an der Oberseite bzw. Oberfläche eines Objekts: aufgießen, aufprallen (Auto auf einen Baum), aufleimen, auflegen, aufdrucken, aufsetzen, aufstellen - Kontaktaufnahme mit Personen: aufdrängen, auffordern, aufnötigen, aufrufen, aufzwingen, aufschwatzen): pejorativ empfunden, denn es wird eine gegen den Willen der Person gerichtete Handlung vollzogen bei verschiedenen lokalen Derivaten sind syntaktische Modifizierungen beobachtbar: Valenzreduzierung (teilweise mit Objektverschiebung): etw. auf den Stoff drucken – etw. aufdrucken, jmdn zu etw. zwingen – jmdm. etw. aufzwingen (2) ‚modal‘ a) ‚öffnen, auseinander gehen‘, wodurch ein neuer Zustand erreicht wird, wobei Semantik des Basisverbs über Art und Weise dieses Öffnens entscheidet: aufschlagen (Ei), aufkratzen (Wunde), aufschließen (Tür), aufschnüren (Schuh), aufmachen, aufdecken (= freilegen), aufdrehen (Wasserhahn) b) ‚Zustandsverbesserung‘, gelegentlich verbindet diese sich mit einer (einmaligen) Wiederholung: aufwärmen (Suppe), aufglühen, aufkochen, aufklingen, aufschluchzen, aufpolieren (Möbel) (3) ‚inchoativ‘ plötzliches Eintreten einer Handlung (‚punktuell‘), häufig bei Verben, die optische Erscheinungen oder (menschliche) Geräusche / Lautäußerungen bezeichnen: aufleuchten, aufblühen, aufglühen, aufklingen, aufschreien - oft mit der Konnotation einer Verbesserung: aufatmen, auffrischen, aufheitern, aufhellen, aufmuntern, aufputzen - kann auch mit Iteration verbunden sein: auflesen, aufreihen, aufsammeln, aufzählen, aufsagen Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 169 2012-12-03 14:48:38 170 Petra Szatmári (4) ‚perfektiv‘ idiomatisierte Bildungen vollständiger Abschluss einer Handlung (= restlose Verarbeitung oder Beseitigung eines Objekts): aufessen, aufbrauchen (Heizöl), auffressen, aufteilen, auflösen, aufsaugen, aufspießen, aufnehmen - gelegentlich mit Zusatzmerkmal ‚intensiv‘: auffinden, sich aufopfern (hier kann Präfix auch entfallen) - häufig in Form des Partizips II: ein aufgeschossener (sehr großer und schlanker) Junge, aufgekratzte (gute) Stimmung, aufgewecktes (schnell denkendes, intelligentes) Kind 3.2.2. des Wortbildungselements felWie bereits erwähnt, ist die Partikel fel seit dem 13. Jahrhundert Bestandteil des ungarischen Wortschatzes und diente als Adverb zur Richtungsbezeichnung (‚aufwärts‘). Diese Semantik mag auch der Grund für die Affinität zur deutschen Partikel auf- sein, was der Bedeutungsentlehnung den Weg ebnete, so dass fel- durch den Sprachkontakt nach dem Vorbild der deutschen Partikel auf- zusätzliche Seme zugeordnet wurden. Es ist also davon auszugehen, dass es hinsichtlich semantischer Merkmale zahlreiche Parallelitäten gibt. Dies scheint ein Blick in das Deutsch-ungarische Wörterbuch von Előd Halász (81986) zu bestätigen, wo von 524 auf-Verben 410 mindestens eine fel-Verbbildung haben, d.h. 78% der Partikelverben mit auf- haben ein entsprechendes fel-Verb. Das bedeutet jedoch nicht, dass es immer identische Derivationsbasen gibt.7 Es kann sein, dass im Ungarischen die Basis bereits besetzt war oder sich nicht durchgesetzt hat, so dass ein die Bedeutung ausdrückendes Wort als Basis genutzt wurde, vgl. auftischen – feltálal. Das ungarische Verb tálal bedeutet so viel wie ‚auftragen, kredenzen, servieren‘. Das von diesem abgeleitete Derivat feltálal wurde sowohl mit der wortwörtlichen wie auch mit der übertragenen Bedeutung versehen, vgl. den Braten auftischen – feltálalja[serviert-er-objektive Konjugation] a[der] pecsenyét[Braten-Akkusativflexiv],8 jmdm. Lügen auftischen – hazugságok[Lügen] at[Vokalharmonisierung Akkusativflexiv] tálal[serviert] fel vkinek[Dativergänzung] (zum diskontinuierlichen Vorkommen von Derivationsbase und Verbpartikel Abschnitt 2.3.2.). Generell ist jedoch festzuhalten, dass ein auf-Verb oft mehrere strukturell abweichende Entsprechungen im Ungarischen hat, wobei sehr häufig mehrere, aber mindestens eine Bedeutungskomponente über ein fel-Verb transportiert wird. Relativ selten werden übertragene Ausdrücke, Phraseologismen mit entlehnt, vgl. aufwiegen – felér: eine gute Frau wird durch keinen Schatz aufgewogen – a jó asszonnyal semmi sem ér fel; nicht mit Gold aufzuwiegen sein – arannyal sem lehet felmérni; auftauchen 7 1:1-Entsprechungen wie aufstochern – felpiszkál, aufsieden – felforral, aufrunden – felkerekít, aufsummen – felzümmög sind eigentlich äußerst selten. 8 Auch das ungarische Verb fordert wie das deutsche auftischen die Akkusativergänzung (gekennzeichnet mit dem Akkusativflexiv -t). Da die Akkusativergänzung determiniert ist (hier signalisiert durch den bestimmten Artikel), wird das Verb nach dem Paradigma der objektiven Konjugation konjugiert. Bei nicht determinierter Akkusativergänzung folgt es der subjektiven Konjugation (mehr dazu bei Bassola 2008, Winkler 2007). Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 170 2012-12-03 14:48:38 Partikelverben im Kontrast: auf- und fel- Verben 171 – felmerül, felbukkan: es tauchte ein Gedanke in ihm auf – felmerült agyában egy gondolat (vgl. auch Abschnitt 2.3.2.). Die Partikel fel- kann mit einfachen (áll [stehen] → feláll – aufstehen) und komplexen Verben (állít [stellen] → felállít – aufstellen; bátorít [bátorAdjektiv: mutig, bátorítVerb jn ermutigen] vmire[Sublativ] felbátorít – zu etw. aufmuntern) kombiniert werden. Präfixkonversionen wie im Deutschen kommen jedoch nicht vor, so dass die Partikel fel- immer nur zu Verben tritt. Fungieren mit dem Deutschen vergleichbare Nomen und Adjektive als Derivationsbasis, werden diese erst durch Suffigierung zu Verben abgeleitet, bevor fel- angefügt werden kann. Die schematische Erfassung der Muster/Submuster der fel-Verben basiert auf der profunden Arbeit von Szili (2009, Beispiele auch dort): Tabelle 2. Semantische Leistungen der Partikel felGruppe Funktion9 1 allgemeine Aufwärtsbewegung in offenen oder geschlossenen Räumen: felmegy (hinaufgehen / -fahren), felnéz (hinaufsehen, aufschauen), felhág (hinaufsteigen, aufsteigen) mit Orientierungsmetaphern verknüpfte Bedeutungen: An einen zentraleren / gesellschaftlich besser angeseheneren Ort gelangen, Bewegung in Richtung Norden: felküld – (hinaufschicken <Ministerium>), felmegy (hinauffahren), fellátogat (hinauf-besuchen, ‚jmd fährt nach Budapest, um jmdn zu besuchen‘; ‚jmd bewegt sich nach oben / in ein oberes Stockwerk, um jmdn zu besuchen‘) 2 Bewegen in eine positive Richtung: Entwicklung, Wachstum, Gesundheit, Wärme, Bewegung in Richtung hoher Töne: felfrissít – auffrischen, felfrissül – sich auffrischen, felgyógyul (genesen, aufkommen), felgyorsít (beschleunigen), felgyorsul (sich beschleunigen, aufholen), felhangol – an- / aufstimmen, felhevít – aufheizen, aufwärmen, feljavít – aufbessern, feljavul (sich verbessern) Bewegen in Richtung Glücksgefühl; in Richtung Verärgerung, Gereiztheit: felvidít – aufheitern, felbosszant – [auf-ärgern] / aufregen / aufbringen / aufstachen, felmérgesít – (böse machen, aufbringen). felpezsdít – aufbrausen/aufschäu-men Achtung / Respekt / Werte / Moral: felmagasztal (hoch-/lobpreisen), felküzd (emporarbeiten), felken – aufstreichen / -tragen / -schmieren Vielfältige Gerichtetheit: felver – aufschlagen, felemel – aufheben / aufhieven 9 Erklärungen: In runden Klammern sind die entsprechenden Lexem aus dem Wörterbuch angegeben, wenn dem ungarischen fel-Verb keine Wortbildungen mit auf- entspricht – sollte es im Lexikoneintrag eine Entsprechung mit auf- geben, wird diese in die runde Klammer aufgenommen; in eckigen Klammern stehen die Konstituenten, wenn sich die Derivate in den Basen unterscheiden. Im Ungarischen wird das Verb in der 3. P. Sg. Präsens Indikativ der subjektiven Konjugation angegeben. Metaphorischer Gebrauch wird durch Kapitälchen gekennzeichnet. Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 171 2012-12-03 14:48:38 172 Petra Szatmári aus der Tiefe an die Oberfläche gelangen: felbukkan – auftauchen, felszánt – aufpflügen, felbolygat – aufwühlen / aufstören, felkavar – aufrühren, aufquirlen / (aufregen)10 Körperteile / Gegenstände wechseln Positionen (was unten war, gelangt nach oben bzw. was oben war, nach unten; etw. gelangt auf den Boden): fellök (umstoßen), felborul (umstürzen), feldönt (umwerfen) 3 Verlust des körperlichen Gleichgewichts, der seelischen Ausgeglichenheit, Bewegung in Richtung Auflösen, Zerstören: feldönt (umrennen), felforgat – aufwühlen auf den Beginn ausgerichtet: felcsendül – aufklingen, felzeng (erklingen) Bewegen in Richtung Wachsein / Bewusstheit: felébred – aufwachen, feleszmél (sich besinnen) ‚Oberflächenkontakt‘: unterschiedlich ausgeprägter Kontakt entsteht an der Oberseite bzw. Oberfläche eines Objekts: auf die Oberfläche gelangen: felszegez – aufnageln etw. von einem Körper / einer Oberfläche entfernen: felhorzsol – [aufreiben] aufritzen / aufscheuern, felsikál – aufscheuern, felmar – aufätzen Auswirkung auf eine Oberfläche in Form der durch das Verb ausgedrückten Handlung: felszór – aufstreuen, feléget – aufbrennen, felsorol – (der Reihe nach hersagen) / aufzählen, felvásárol – aufkaufen 4 Festhalten von Schriftlichem, Aufwärtsgerichtetheit: feljegyez – aufzeichnen, felír – aufschreiben, felvesz – aufnehmen Eingehen zukünftiger Verpflichtungen, Aufwärtsgerichtetheit: felvállal (übernehmen; auf sich nehmen), felfogad – aufnehmen / (anheuern) Besitz, Einverständnis, Macht, Kontrolle, Aufwärtsgerichtetheit: feljogosít (berechtigen), felfog – aufnehmen / auffassen, felhatalmaz (ermächtigen, bevollmächtigen), felügyel (beaufsichtigen) Freiheit, Ungebundenheit, Aufwärtsgerichtetheit: fellazít – auflockern, felszabadít (befreien), felment (befreien, entheben) Objekte bzw. deren obere Schichten betreffende Geschehnisse: Anheben der Oberfläche des Objekts, Volumenvergrößerung: felpuffad – [aufanschwellen] aufschwellen, aufdunsen,11 aufblähen, feldagad – aufnehmen, aufblähen 5 Entstehungen von Öffnungen, Rissen, Verletzungen: feltár – aufsperren, felnyit – (öffnen) / aufmachen, felreped – aufspringen, aufplatzen Zerstückelung, Auflösung: felaprít (zerkleinern), felolvaszt – auflösen, felvág – aufschneiden, felszaggat – aufreißen Zerstückelung, Auflösung, Aufwärtsgerichtetheit: felbomlik – sich auflösen / aufgehen, felmorzsol – aufreiben, felemészt – aufzehren 10 Es gibt hier also auch im übertragenden Gebrauch entsprechende Formen. Laut Etymologischem Wörterbuch des Deutschen (82005: 74) ist das Verb schwach für das 15.–18. Jahrhundert belegt und wird heute in Form des Partizips II verwendet. Die Internetrecherche ergab jedoch Treffer und belegt somit auch noch das Vorkommen im Gegenwartsdeutsch, u.a.: Jetzt habe ich aber gehört das [sic!] das Wasser sich im Körper einlagert und den Körper aufdunsen lässt, 11 Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 172 2012-12-03 14:48:38 Partikelverben im Kontrast: auf- und fel- Verben 173 3.2.3. Vergleich der semantischen Leistungen Die semantischen Leistungen der deutschen Partikel auf- hat in allen wesentlichen Facetten eine Entsprechung in ungarischen fel-Verben: Sowohl die deutschen aufwie auch die ungarischen fel-Verben bringen zum Ausdruck (i) eine allgemeine Aufwärtsbewegung (aufschauen – felnéz, aufwachsen – felnő), gleich ob es sich dabei um das Bewegen des Subjekts (aufspringen – felugrik) oder des Objekts (aufbauen – felépít) handelt oder keine konkrete Richtungsangabe (Erweiterung des Volumens: aufpumpen – felpumpál) gegeben wird, es kann dabei auch zu einer gegensätzlichen Bedeutung des Basisverbs kommen (auftauchen – felmerül); (ii) einen Oberflächenkontakt, der vielfältiger Art sein kann: a) jmd. / etw. kann aus der Tiefe an die Oberfläche gelangen (auftauchen – felbukkan, aufpflügen – felszánt), b) eine Auswirkung auf eine Oberfläche in Form der durch das Verb ausgedrückten Handlung: aufstreuen – felszór, aufbrennen – feléget), c) etw. gelangt in bestimmter Weise auf die Oberfläche (aufnageln – felszegez), d) etw. von einem Körper / einer Oberfläche entfernen: aufritzen – felhorzsol[auf-reiben], aufätzen – felmar); (iii) ein Festhalten von Schriftlichem, wobei sich in diesem metaphorischen Gebrauch (i) und (ii) ausmachen lassen, vgl. aufzeichnen – feljegyez, aufschreiben – felír); (iv) ein ‚Öffnen, Auseinandergehen‘ unter Erreichung eines neuen Zustands, wobei die Semantik des Basisverbs über Art und Weise dieses Öffnens entscheidet: (aufsperren – feltár, aufspringen, aufplatzen – felreped), auch die gelegentliche, mit einer (einmaligen) Wiederholung verbundene ‚Zustandsverbesserung‘ können ungarische fel-Verben ausdrücken (aufwärmen (Suppe) – felmelegít, aufpolieren (Möbel) – felpolíroz, felfényez, aufpolstern – felpolcol, felpárnáz); (v) eine augenblickliche Handlung (Momentanität) (aufstöhnen – feljajdul), mit der die Konnotation einer Verbesserung, d.h. ein Bewegen in eine positive Richtung (aufatmen – fellélegzik, auffrischen – felfrissül, aufheitern – felvidít) oder Iteration (aufreihen – felsorol) verbunden sein kann; (vi) Perfektivität, d.h. die Wiedergabe des vollständigen Abschlusses einer Handlung bzw. die restlose Verarbeitung oder Beseitigung eines Objekts (auffressen – felfal, auflösen – felold / felbont, aufsaugen – felszív). (vii) Einzig die Bedeutung der pejorativ empfundenen Kontaktaufnahme mit Personen bei Vollzug einer gegen den Willen der Person gerichteten Handlung wurde nur vereinzelt durch abgeleitete fel-Verben ins Ungarische übernommen, vgl. jmdm etw. aufschwindeln / aufschwatzen (rásóz[auf-salzen] vkire im speziellen im Gesicht (URL: http://de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20070403022721 AAW h8Fj [Zugriff am 04.01.2012]). Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 173 2012-12-03 14:48:39 174 Petra Szatmári [-auf(Postposition): Sublativ] vmitAkkusativ), aufnötigen – ráerőszakol[auf-nötigen], aber: aufdrängen – erőszakosan[gewaltsam] feltaszít[auf-stoßen], aufzwingen – felerőltet. Dieses Bedeutungsfeld scheint die Domäne anderer ungarischer Partikeln zu sein, z.B. die der Partikel rá-, die den Oberflächenkontakt noch intensiver zu realisieren vermag. Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass es vergleichbare auf- bzw. fel-Verbbildungen gibt, wenn die konkreten Bedeutungen der Erstkonstituenten mit in das Derivat eingehen. Keine Übereinstimmungen zwischen auf- und fel-Verben gibt es dort, wo der adverbiale Charakter der Partikel fel- („aufwärts / hinauf / empor“) zum Tragen kommt. Das hängt damit zusammen, dass sich das Wortbildungsmittel fel- „direkt“ aus einem Adverb herausgebildet hat. Im Gegensatz dazu ist das Wortbildungsmittel auf- aus der gleichlautenden primären Präposition entstanden, die bereits abstraktere Merkmale angenommen hatte, weil sie bereits einen Grammatikalisierungsprozess, und zwar die Entwicklung vom Adverb zur Präposition, durchlaufen hat. Diese abstraktere Bedeutung der Aufwärtsgerichtetheit bringt die Partikel meist in die abgeleiteten Verben mit ein.12 Somit weichen fel- bzw. auf-Verben deutlich voneinander ab, wo die Richtungsorientierung des Adverbs fel mit in die neue Verbbedeutung einfließt, denn in diesen Derivaten spielen neben der Aufwärtsgerichtetheit auch die Konkretisierung / Andeutung des Zielpunktes eine Rolle, was nicht zur Domäne der deutsche Partikel auf- gehört, sondern z.B. durch hinauf-, herauf- realisiert wird. Die Aufwärtsgerichtetheit führt auch zu metaphorischen Bedeutungen im Sinne von a) Gelangen an einen zentraleren / gesellschaftlich besser angeseheneren Ort, Bewegung in Richtung Norden (fellátogat (hinauf-besuchen, ‚jmd. fährt nach Budapest, um jmdn. zu besuchen‘; ‚jmd. bewegt sich nach oben/in ein oberes Stockwerk, um jmdn. zu besuchen‘), b) Positionswechsel (feldönt (umwerfen)), c) Verlust des körperlichen Gleichgewichts, der seelischen Ausgeglichenheit, d) Eingehen zukünftiger Verpflichtungen, e) Besitz, Einverständnis, Macht, Kontrolle, f) Freiheit, Ungebundenheit. Mit den Partikeln fel- und auf- lassen sich vielfältige Verbgruppen kombinieren (z.B. Bewegungsverben, Positionsverben, Geräuschverben), die erst über weitere empirische Untersuchung in vollem Umfang erfasst werden können. Bei einigen Verbgruppen dient die Derivation der Perfektivierung. Perfektive Verben implizieren einen Nachzustand, imperfektive Verben nicht. Welke (2005, zit. n. Winkler 2007: 262) vertritt die Auffassung, dass Aspektualität in der Grundvalenz und somit im Lexikoneintrag eines jeden Verbs verankert ist, diesen Tatbestand bezeichnet er als inhärente Aspektualität. Nach Welke kann im Deutschen diese inhärente Aspektualität in die entgegengesetzte inhärente Aspektuali12 Kolehmeinan (1997, zit. n. Savolainen 2008: 17) zufolge sind 91% der auf-Verben transparent und die restlichen 9% idiomatisiert, d.h. ihre Bedeutung ergibt sich nicht aus den einzelnen Bestandteilen. Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 174 2012-12-03 14:48:39 Partikelverben im Kontrast: auf- und fel- Verben 175 tät umgewandelt werden. Die Valenzalternativen können durch syntaktische Mittel (wie Weglassen des Objekts, Verwendung des indefiniten Plurals, an-Präpositionalphrasen, iterative, habituelle oder dispositionale Adverbien) erreicht werden, Welke spricht dann von der sog. sekundären inhärenten Aspektualität. Valenzalternationen können auch durch morphologische Mittel (z.B. Päfixe) erzeugt werden, dafür führte Welke den Begriff abgeleitete Aspektualität ein. Über die abgeleitete Aspektualität wird der „implizierte Nachzustand denotiert, es handelt sich also um eine Ergänzung der inhärenten Aspektualität“ (Winkler 2007: 263). Das prototypische deutsche Handlungsverb ist inhärent perfektiv. Winkler, der diese Konzept Welkes auf das Ungarische bezogen einer Prüfung unterzieht, macht auf ein wichtiges Moment aufmerksam, dem bisher im DaF-Unterricht in Ungarn kaum Beachtung geschenkt wurde: Das prototypische ungarische einfache, nicht präfigierte Handlungsverb ist imperfektiv, das präfigierte Verb perfektiv (vgl. Winkler 2007: 263). Demzufolge drücken die ungarischen Basisverben wie eszik[essen], szant[pflügen] immer nur eine in Vollzug befindliche Handlung aus und werden erst durch die Partikel (z.B. fel-) perfektiv.13 Diesem Umstand kann der bloße Lexemvergleich nicht gerecht werden, denn damit sind auch syntaktische Konsequenzen verbunden (vgl. Winkler 2007: 264f.), auf die in diesem Rahmen nicht eingegangen werden kann. Im Folgenden sei auf verschiedene morphologische und syntaktische Aspekte hingewiesen. 3.3. Ausgewählte morphologische und syntaktische Phänomene der auf- bzw. fel-Derivate 3.3.1. Morphologisches Die suffixale Verbbildung ist im Ungarischen weitaus vielfältiger und produktiver als im Deutschen. So können z.B. aus Adjektiven abgeleitete Verben Verbpaare bilden, bei denen das eine Verb eine Handlung und das andere einen Vorgang bezeichnet. Dabei dient u.a. das Suffix -ít zur Bildung von Handlungsverben und das Suffix ul-/ül- zur Bildung von Vorgangsverben, vgl. felfriss[frisch]ít – auffrischen, felfrissül – sich auffrischen; felgyors[schnell]ít (beschleunigen), felgyorsul (sich beschleunigen, aufholen); feljav[besser]ít – aufbessern, feljavul (sich verbessern). Mit oben Gesagtem zur inhärenten Aspektualität der Handlungsverben scheint der Unterschied erklärbar zu sein, dass diesem ungarischen Verbpaar, bei dem bei beiden Formen die Partikel fel- aufscheinen kann, im Deutschen in erster Linie 13 Perfektionierung bringen auch verschiedene andere Partikeln zum Ausdruck (z.B. auch ki[aus], le[abwärts, nach unten], am meisten hat sich aber meg- auf diese Funktion spezialisiert, denn diese Partikel hat im Gegensatz zu den synonymischen perfektivierenden Partikeln ihre ursprüngliche, eine Richtung bezeichnende Bedeutung völlig verloren, vgl. Szili 2009: 177). Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 175 2012-12-03 14:48:39 176 Petra Szatmári das inhärent perfektive Handlungsverb mit auf- als Entsprechung gegenübersteht, während das äquivalente Vorgangsverb ein anderes lexematisches Äquivalent hat oder eine morphosyntaktische Veränderung (anderes Präfix, sich-Verb) erfahren hat. Auch hier bringen weitere empirische Untersuchungen mehr Klarheit. Allerdings könnten dabei auch diachrone Untersuchungen von Nutzen sein, denn welche Verbvariante zuerst gebildet wurde, ist von Verbpaar zu Verbpaar verschieden (vgl. Szatmári 2007). Wie wichtig diachrone Untersuchungen sind, sei an dem Verb aufpflügen veranschaulicht. Dieses Verb hat seine Entsprechung im ungarischen Verb felszánt. Szili (2009: 179) macht, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, auf folgenden Wörterbucheintrag aufmerksam: fel[auf]szánt[pflügen]ott[Vokalharmonisierung Vergangenheitsflexiv subjektive Konjugation] egy[ein] római[römisch] érmét[Münze-Akkusativflexiv] [deutsch etwa: ‚er hat eine römische Münze aus der Erde herausgepflügt‘ = ‚Er hat beim Pflügen eine römische Münze gefunden.‘]. Dass die Bedeutung der ungarischen Verbbildung auf den Sprachkontakt mit dem Deutschen zurückzuführen ist, lässt sich nur durch diachrone Untersuchungen nachweisen, weil diese Verbbedeutung im Gegenwartsdeutsch nicht mehr gebräuchlich ist.14 Im Grammatisch-kritischen Wörterbuch findet sich zu aufpflügen folgender Eintrag: „Aufpflügen, verb. reg. act. 1) Durch Pflügen herauf bringen. Einen Stein, einen Schatz aufpflügen. 2) Durch Pflügen öffnen. Die Erde aufpflügen. So auch die Aufpflügung.“ Gerade diese Bedeutung wird durch das ungarische Verb realisiert. 3.3.2. Syntaktisches Hinsichtlich ihrer syntaktischen Merkmale weisen auf- und fel-Verben deutliche Unterschiede auf. Besonders große Abweichungen zeigen sich im Hinblick auf die Trennbarkeit. Im Deutschen wird eine morphologische Trennbarkeit (bei dem Partizipialaffix ge-: Karin ist aufgestanden., bzw. bei der Infinitivpartikel zu: Karin hat aufzustehen.) von einer syntaktischen Trennbarkeit (bei Zweitstellung des finiten Verbs, wenn dies im Präsens bzw. Präteritum gebraucht wird: Sie steht / stand jeden Tag um 5 Uhr auf.) unterschieden. Interessant ist ferner, dass in bestimmten Fällen – wahrscheinlich mit dem adverbialen Ursprung zusammenhängend – die Partikel allein im Vorfeld stehen kann; für die Topikalisierung können folgende Beispiele von Heine / Jacobs / Külpmann (2010: 41) angeführt werden: Auf fällt, daß im Schreiben der Stadtverwaltung von gestern ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, daß … Richtig auf regt mich im Moment, wie der arme Gomez von den Medien fertig gemacht wird …, aber auch: Auftritt im blauen Anzug der König. Anders ist es im Ungarischen, wo unter bestimmten syntaktisch-topologischen Bedingungen ein diskontinuierliches Auftreten nicht selten ist: Wenn keine Fokussierung eines anderen Satzglieds vorliegt, steht die Partikel vor dem 14 Es ist auch nicht mehr im Wahrig (1991) bzw. in Der neuen deutschen Rechtschreibung (1996) belegt. Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 176 2012-12-03 14:48:39 Partikelverben im Kontrast: auf- und fel- Verben 177 Verb, vgl. Kati fel-ment. [‚Kati ging hinauf.‘]. Wird aber ein anderes Satzglied fokussiert, rückt die Partikel in die Position nach dem Verb (die Position vor dem Verb ist die Fokusposition), vgl. fokussierenden Charakter haben: die Nominalphrase (Kati megy fel. [‚Kati geht hinauf.‘]), die Negationspartikel nem[nicht] (Kati nem megy fel. [‚Kati geht nicht hinauf.‘]), das Interrogativpronomen (Ki megy fel? [‚Wer geht hinauf.‘]) oder Hilfsverben (Kati fel fog menni. [‚Kati wird hinaufgehen.‘]) (vgl. Schlotthauer / Zifonun 2008: 283f.).15 Neben diesen sich aus der Sprachtypologie ergebenden Divergenzen, seien zum Schluss mit der Valenz der Verben verknüpfte Modifikationen angesprochenen. Wie oben bereits festgestellt, sind bei verschiedenen lokalen Derivaten syntaktische Modifizierungen beobachtbar, wobei es sich überwiegend um Valenzreduzierung (teilweise mit Objektverschiebung) handelt: etw. auf den Stoff drucken – etw. aufdrucken, jmdn zu etw. zwingen – jmdm etw. aufzwingen. Es können sich allerdings auch syntaktische Divergenzen zeigen, die sich aus den Unterschieden hinsichtlich der Leerstellenbesetzungen im Deutschen bzw. im Ungarischen ergeben, vgl. die bereits oben erwähnten Beispiele (1) aufwiegen – felér vmivel[Instrumental-Comitativ]: (a) eine gute Frau wird durch keinen Schatz aufgewogen – a[die] jó[gut] asszonnyal[Frau-Comitativ] semmi sem[doppelte Verneinung] ér[wert sein/taugen/gelten] fel[auf] ’kein Schatz kann eine Frau aufwiegen’; (b) nicht mit Gold aufzuwiegen sein – arannyal[Gold-Instrumental] sem[nicht] lehet[können] felmérni[auf-wiegen/messen] (2) auftauchen – felmerül, felbukkan: es tauchte ein Gedanke in ihm auf – felmerült[auf-tauchen-Vergangenheitsflexiv] agyában[Gehirn-sein-Inessiv] egy[ein] gondolat[Gedanke-Akkusativflexiv]. Die Sätze in (1) zeigen neben Abweichungen in der grammatischen Struktur auch deutliche Unterschiede hinsichtlich der Aktantenrealisierung (etwa. / jmd wiegt etw. / jmdn auf vs. etw. / jmd mit etw. aufwiegen); bei (2) zeigt sich, dass in ihm im Ungarischen konkreter deutlich gemacht werden muss. Um hier zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen, gilt es, alle auf- bzw. fel-Verben hinsichtlich ihrer Valenzpotenz und Valenzrealisierung zu untersuchen und mit der ihrer Basen zu konfrontieren: eine mühevolle, aber lohnende Arbeit für die Zwecke des Fremdsprachenunterrichts. 4. Fazit Im Wortschatz der ungarischen Gegenwartssprache sind auch heute noch zahlreiche Entlehnungen aus dem Deutschen zu finden. Da diese Lexeme in der ungarischen 15 Eine detaillierte Darstellung der topologischen Variationsvielfalt des ungarischen Verbalkomplexes bietet Bassola (2008, besonders die Seiten 176–180). Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 177 2012-12-03 14:48:39 178 Petra Szatmári Sprache ebenfalls eine Entwicklung durchgemacht haben, kann ihre 1:1-Übertragung in der deutsch-ungarischen / ungarisch-deutschen Kommunikation durch heutige Sprachteilhaber durchaus zu Missverständnissen führen. Eine Auseinandersetzung mit diesen Erscheinungen sollte deshalb unbedingt bewusster erfolgen. Literatur Quellenverzeichnis Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe letzter Hand Leipzig 1793– 1801. URL: http://de.academic.ru/contents.nsf/grammatisch/ [zit. als Grammatisch-kritisches Wörterbuch]. Benkő, Loránd (Hrsg.): Etymologisches Wörterbuch des Ungarischen, Lieferung 1–6. Budapest 1993 [zit. als EWUng]. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer. München 82005. 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Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 178 2012-12-03 14:48:39 Partikelverben im Kontrast: auf- und fel- Verben 179 Kiefer, Ferenc / Siptár, Péter: A magyar nyelv kézikönyve. [Handbuch der ungarischen Sprache] Budapest 2003. Kolehmainen, Leena: Präfix- und Partikelverben im deutsch-finnischen Kontrast. Im: „Finnische Beiträge zur Germanistik” 16, 2006, elektronische Version (2005). Zugriff über: URL: http:// ethesis.helsinki.fi. Kolehmainen, Leena / Savolainen, Tiina: Deverbale Verbbildung im Deutschen und im Finnischen: ein Überblick. In: „FinDe. Arbeiten mit dem finnisch-deutschen Kontrastkorpus“ 1, 2007, S. 1–27. URL: http://www.spr.germanistik.uni-wuerzburg.de/finde-korpus [Zugriff am 09.10.2011]. Kreinin, Lea: Magyar igekötős igék és észt megfelelőik. Magyar-észt igekötős igék szótára. 2004. 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Neben der Komposition ist als zweite äußerst produktive Wortbildungsart des Deutschen die sog. explizite Derivation (Ableitung) anzusehen. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf Wortbildungsphänomene im verbalen Bereich. Deutsche auf-Verben sollen im Rahmen der kontrastiven Linguistik einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Hintergrund ist die Tatsache, dass aufgrund der Lehnkontakte mit dem Deutschen die ungarische Partikel fel- mit Semen der deutschen Partikel auf- ausgestattet wurde, was mit zahlreichen Lehnübersetzungen einherging. Ausgehend von den deutschen auf-Verben soll ein Vergleich vor allem semantischer Merkmale Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit den ungarischen fel-Verben verdeutlichen. An ausgewählten Verbgruppen werden im gegebenen Rahmen verschiedene syntaktische Erscheinungen beleuchtet. Schlüsselwörter: Kontrastive Linguistik, Derivation, Partikelverben, semantische Merkmale Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 179 2012-12-03 14:48:39 180 Petra Szatmári Preverb-verb combinations in contrast: auf and fel ‘up’ preverbs Building vocabulary through word formation typically involves the main word types. The second most often used type of word formation processes in German, besides compounding, is the so-called explicit derivation. In her present article the author concentrates on verb-based word formation phenomena. The paper intends to offer a closer look at German verbs combined with the preverb auf within the framework of contrastive linguistics, based on the fact that due to language contact the Hungarian preverb fel was combined with semes of the German preverb auf, resulting in numerous loan translations. Setting out, first of all, from their semantic characteristics, the German auf-verbs are compared with the Hungarian fel-verbs, in order to pinpoint the similarities and differences between them. Through chosen verb groups different syntactic phenomena are demonstrated within the given scope. Keywords: contrastive linguistics, derivation, preverb-verb combinations, semantic characteristics Dr. habil. Petra Szatmári Károli Gáspár Universität der Reformierten Kirche Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur H-1088 Budapest Reviczky u. 4. Ungarn E-Mail: [email protected] Germanica Wratislaviensia 136, 2012 © for this edition by CNS Germanica-136 06.11.2012.indb 180 2012-12-03 14:48:39