Fremdenfeindlichkeit präventiv entgegenwirken

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Fremdenfeindlichkeit präventiv entgegenwirkenRechtsextremismus verhindern
(no entry-Programme statt exit!)
Rechtsextremismus gedeiht auch heute noch in einem gesellschaftlichen Klima, in dem
Politik und öffentliche Meinung nicht entschieden gegen Ausländerfeindlichkeit,
Antisemitismus und Diskriminierung von Minderheiten eintreten. Dabei sind die
Warnsignale alarmierend: die zunehmende Anzahl von Gewalttaten aber auch das
immer selbstbewusstere Auftreten der rechten Parteien aufgrund der jüngsten
Wahlerfolge. Es ist zu kurz gegriffen, die Ursachen von Fremdenfeindlichkeit und
Gewalt allein auf aktuelle gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen
zurückzuführen. Niedriges Bildungsniveau und Arbeitslosigkeit reichen als
Erklärungsmuster oft nicht aus, Täter und Sympathisanten finden sich auch in bisher
von den Rechten nicht „erschlossenen“, breiteren Gesellschaftsschichten. Die Wurzeln
der Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus sind also weit verzweigt und
bringen im schlimmsten Fall rechtsextreme Gewalttäter hervor, deren Denken und
Handeln durch die Gesellschaft entschieden widersprochen werden muss.
Nicht jeder Fremdenfeindliche gilt als Rechtsextremer, aber fast alle Rechtsextremen
sind fremdenfeindlich. Fremdenfeindlichkeit effektiv entgegenzuwirken ist deshalb
unabdingbare Voraussetzung für die Bekämpfung von Rechtsextremismus. Dieser
steht im Kontrast zu den Grundwerten einer offenen und demokratischen Gesellschaft
in der Vielfalt als positives Element wahrgenommen wird. Das Verständnis für andere
Kulturen ist in einer global ausgerichteten Welt aber ein wesentlicher Bestandteil zur
Wahrung des inneren und äußeren Friedens, die Bereitschaft zur Integration der
Schlüssel zu einer offenen, humanen und demokratischen Gesellschaft.
Deshalb wollen wir die Menschen noch stärker als bisher dazu befähigen, einerseits mit
Unbekannten umzugehen und andererseits fremdenfeindlichen Denk- und
Verhaltensweisen entschieden entgegenzutreten. Mitgliedern der rechtsextremen
Szene muss aber auch die notwendige Hilfe angeboten werden, um einen - ernst
gemeinten - Ausstieg zu ermöglichen.
Unser Blick richtet sich aber auch auf gefährdete Kinder und Jugendliche, die frühzeitig
Aufmerksamkeit und Hilfe benötigen, um nicht in rechtsextreme Kreise zu geraten. Wir
sehen uns und diesen Ansatz durch die Untersuchungsergebnisse von Dr. Klaus Wahl
vom Deutschen Jugendinstitut bestätigt, der in seiner Studie „Fremdenfeindlichkeit:
auf den Spuren externer Emotionen“ die Biographien rechtsextremer
GewalttäterInnen untersucht hat. Er ist dabei zu Ergebnissen gekommen, aus denen
sich die folgenden Forderungen ableiten lassen:
Die Entwicklung hin zur Fremdenfeindlichkeit kann in frühester Kindheit beginnen und
ist mit dem Erreichen der Volljährigkeit meist „vollzogen“. Auf diese Entwicklungszeit
muss sich deshalb die präventive Bearbeitung fremdenfeindlicher Merkmale
konzentrieren.
Weitere wichtige Ergebnisse der Studie sind:
•
Fremdenfeindlichkeit ist in den seltensten Fällen das Ergebnis eines spezifischen
Ereignisses oder einer Konstellation, sondern ein „Prozess mit zahlreichen
Faktoren [...] und komplexen Verknüpfungen.“ Dies reicht von dem persönlichen
und emotionalen Grundgerüst über die Sozialisation hin zu aktuellen
politischen Konstellationen.
•
Ausländerfeindliche Jugendliche zeigten in den durchgeführten Tests nicht nur
eine sog. Xenophobie (Fremdenangst), sondern hatten insgesamt auch eher
Angst vor unbekannten und nicht vertrauten Menschen. Die Ambivalenz bei
Kindern gegenüber Unbekanntem kann dann zu emotionaler Abneigung
gegenüber Fremden führen.
•
Bei der Sozialisation der Jugendlichen fällt auf, dass die elterlichen Einflüsse oft
nur bedingt bzw. indirekt wirken: zwar können Eltern evtl. steuern, in welchen
Gruppen sich die Kinder aufhalten; auch teilen die Jugendlichen bei positiven
Beziehungen zu den Eltern häufiger deren politische Ansichten. Entscheidender
für die politische Orientierung sind jedoch die peer groups; diese haben gerade
für die fremdenfeindlichen Jugendlichen einen übergeordneten Wert als
„soziale Heimat für ihr Ego“.
•
Eine moralisch argumentierende Pädagogik ist zwar gut gemeint, erreicht aber
die Emotionalität der Jugendlichen nicht, gerade wenn dieses bereits eine
Affinität zu Fremdenfeindlichkeit entwickelt haben.
Neben den bereits im Jahr 2000 gestellten Forderungen, (siehe I.) im Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 27.09.2000, gilt es, anhand der Über21. Januar 2005
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einstimmungen innerhalb der Biographien rechtsextremer Straftäter, folgende Ansatzpunkte zur Bekämpfung und Prävention von Fremdenfeindlichkeit aufzunehmen und
den Bereich „Bildung“ um diese Punkte zu erweitern:
I. Zum Umgang mit Rechtsextremen – repressive Instrumentarien
a. Ächtung von rechtsextremen Handeln und Gedankengut durch
konsequente und stringente Argumentation, aber auch durch polizeiliche
Repression.
b. Aus- und Weiterbildung sowie Sensibilisierung von Polizei und Justiz für
die Wahrnehmung von rechtsextremer Gewalt und Rassismus.
c. Bei der Ermittlung und Verfolgung rechtsextremer Straftaten sollen
Landeskriminalamt und Kriminalpolizei verstärkt Sonderermittlungsgruppen einsetzen.
d. Das Staatsministerium der Justiz wird aufgefordert, für eine
entsprechende Ausstattung bei Staatsanwaltschaften und Gerichten zu
sorgen, um zügige Ermittlungen, Anklageerhebungen und zeitnahe
Verurteilungen von Straftätern zu ermöglichen.
e. Es ist eine Zeugenschutzdienststelle auf Landesebene einzurichten; die
Polizeidienststellen und Gerichten bieten flächendeckend Opferschutz an.
f. Ausgrenzung von Rechtsextremen alleine führt nicht zur Mäßigung und
„Umkehr“ derselben, weshalb das ernst gemeinte Gespräch mit einzelnen
Rechtsextremen gesucht werden muss. Hierbei muss nach Hardlinern und
Mitläufern differenziert werden, da sich die Motivationen – und damit
auch die Gegenstrategien - beider Gruppen stark unterscheiden.
g. Rechtsextremismus wird nicht durch eine Beschneidung der freiheitlichen
Grundrechte wirksam beschränkt, sondern durch die Förderung einer
demokratisch gefestigten und toleranten Gesellschaft.
II. Blick auf den/die Einzelne/n und dessen/deren Unterstützungssysteme
a. Die Förderung der Basiskompetenzen wie die soziale Kompetenz werden
im bayerischen Bildungssystem immer noch vernachlässigt. Eine Reihe von
Eltern ist mit deren Vermittlung überfordert. Hilfsangebote, wie die
sozialpädagogische Familienhilfe, familientherapeutische Angebote oder
aufsuchende Elternarbeit, sind nicht im ausreichenden Maß vorhanden.
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b. Kinder und Jugendliche sind mit ihrem sozialen und kulturellen Umfeld,
wie Elternhaus, Peer Group, Vereinsbindung wahrzunehmen und zu
verstehen.
c. Verzahnung der Zusammenarbeit der mit Kindern Befassten durch Runde
Tische (Eltern, Kindergarten, Schule, Kinder-, Jugend- und Familienhilfe,
Kinderärzte und Kinderpsychiatrie, Polizei und Justiz).
d. Stärkung des Individuums und die positive Wahrnehmung von Vielfalt ist
der Schlüssel zur Integration und verhindert (Selbst-) Ausgrenzung.
e. Jugendliche benötigen eine faire Chance am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Diese Chance erhalten sie u.a. durch einen Ausbildungsplatz. Es sind nicht nur genügend Ausbildungsplätze
bereitzustellen, sondern es ist auch sicher zu stellen, dass die
Berufsausbildung abgeschlossen werden können.
III. Frühe Stärkung – Investition in den Vorschulbereich
a. Soziale und emotionale Stärkung, indem die individuelle Entwicklung eines
jeden Kindes im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit in Kindertagesstätten steht
b. Umgang mit Fremden und Anderssein bereits im Vorschulalter einüben –
die interkulturelle Erziehung in Kindertagesstätten sicher stellen
c. Mehr hoch qualifizierte ErzieherInnen mit fundiertem pädagogischem und
entwicklungspsychologischem Wissen - Hochschulen für ErzieherInnen
öffnen.
d. Zusammenarbeit zwischen Elternhaus, Kindertagesstätten und Schule
sichern, Übergänge aktiv gestalten
IV. Internationale Begegnungen und Erfahrungen fördern
a. Die besonderen kulturellen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen
sind zu fördern, die Lernchancen durch Schüleraustauschprogramme, auch
in den Hauptschulen, gehören intensiviert. Hierbei werden neben den
kognitiven besonders die emotionalen Fähigkeiten angesprochen. Die
konkrete interkulturelle Erfahrung ermöglicht die Wertschätzung und das
Verständnis für die andere wie die eigene Kultur. Dabei gilt es,
bürokratische Hürden (z.B. bei der Anerkennung von Zeugnissen)
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abzubauen und private, schulische oder schulbegleitende Initiativen zu
fördern. Die professionelle Vor- und Nachbereitung derartiger Programme
trägt wesentlich zum Erfolg bei und gilt es zu unterstützen.
b. In der Aus- und Fortbildung von ErzieherInnen und LehrerInnen erhält die
Vermittlung interkultureller Kompetenz einen besonderen Stellenwert.
c. Die Öffnung der Schule und die Zusammenarbeit mit außerschulischen
Projekten wie „A world of difference“ etc. ist ein weiterer wichtiger Baustein beim Ausbau der interkulturellen Schulkompetenzen.
V. Anpassung des Erziehungs- und Bildungsbegriff an neue Erkenntnisse
a. Bestimmung von Blinden Flecken bei der Definition von „Bildung“ und
„Erziehung“, indem der emotionalen Erziehung mehr Aufmerksamkeit
gewidmet wird und der pädagogische Umgang mit „Anderes sein“ bzw.
nicht konformem Verhalten überprüft wird. Auch eine Erweiterung des
Erziehungs- und Bildungsbegriffs um emotionale und soziale Aspekte kann
dazu beitragen. Bislang wurde Bildung vor allem mit kognitiver Wissensvermittlung gleichgesetzt. Bildung ist aber auch „Herzensbildung“. Erste
Ansätze zu einem Umdenken finden sich im Entwurf des bayerischen
Bildungs- und Erziehungsplans für Kinderkrippen und Kindergärten. Seine
Umsetzung muss durch Rahmenbedingungen wie kleinere Gruppen oder
intensive Fort- und Weiterbildung sichergestellt werden. Gleichzeitig kann
er Grundlage für ein Bildungs- und Erziehungskonzept für Schulen und
Horte sein.
b. Analyse der Erziehungsaufträge der Eltern und Institutionen und deren
(Nicht-)Erfüllung. Ausgleich der Defizite und Übernahme von
Verantwortung für die Erziehung
c. Hinweise über emotionale und soziale Vernachlässigung ernst nehmen,
ihnen nachgehen und Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern
unterstützen.
VI. Erziehungsauftrag der Schule fördern
a. Neben kognitiven Kompetenzen, emotionale und soziale Kompetenzen
vermitteln. Empathiefähigkeit, Konfliktfähigkeit, Streitschlichtung usw.
gehören zu den Standards wie Fachwissen und können mit Hilfe von
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evaluierten Trainingsprogrammen implementiert werden. Eine
verstärkte Evaluation solcher Programme ist dazu dringend von Nöten.
b. Durch die Ergänzung der Lehrkräfte in den Schulen durch
PsychologInnen, SozialpädagogInnen, SozialarbeiterInnen oder
medizinisches Personal wird die Arbeit in interdisziplinären Teams
ermöglicht und der Erziehung nicht nur zusätzlicher Raum, sondern auch
Personal gegeben.
c. Demokratische Erziehung braucht demokratische Schulen: Die Mitbestimmungsrechte der SchülerInnen müssen verbessert werden, um frühzeitig demokratisches Handeln einüben zu können. Eine Stärkung der
SchülerInnenvertretung im Rahmen des Schulforums wäre ein erster
Schritt in diese Richtung.
d. In Ganztagsschulen gedeiht demokratische Erziehung und emotionale
Bildung am besten, da sie sich nicht auf die Unterrichtszeit beschränken
muss, sondern ganzheitliches Lernen ermöglicht. Ganztagsschulen
verfügen über ausreichend Zeit, um demokratische Werte nicht frontal
vermitteln zu müssen, sondern um diese in der Gemeinschaft erlebbar zu
machen.
VII. Bildungsauftrag des außerschulischen Bereichs fördern
a. Außerschulische Institutionen wie Vereine und Verbände insbesondere der
Bayerische Jugend Ring (er hat vom Kultusministerium die Federführung
für Projekte gegen Rechtsextremismus erhalten) tragen durch ihre
Bildungsarbeit in hohem Maße zur Vermittlung sozialer Kompetenzen bei
und müssen stärker als bisher mit den Schulen vernetzt werden.
b. Jugendarbeit sollte sich nicht erst auf die 16 oder 17jährigen in Skinheadgruppen und ähnlichen Cliquen stürzen. Das sind emotional geknüpfte
Netze, aus denen kaum jemand herausgeholt werden kann. Um den Szeneeinstieg zu verhindern brauchen wir no-entry-Programme: Angebote für
emotional gefährdete Kinder in Familie, Kindergarten und Schule, aber
auch noch für die Zeit der Pubertät, in der die Weichen für die Zugehörigkeit zu bestimmten Cliquen und Jugendkulturen gestellt werden. Hier hat
es bei den späteren Tätern an attraktiven Alternativen zu den fremdenfeindlichen Gruppierungen gefehlt.
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c. Es sind konzertierte Programme notwendig, mit denen (gefährdete) Kinder
und Jugendliche in Vereine (oder sonstige Gruppen: Kirchen, Pfadfinder
etc.) aufgefangen werden.
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