Leibniz` Identitätsprinzip: Bosonen als Nicht

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Institut für Philosophie
Hauptseminar:
Philosophische Probleme der Quantenmechanik
Wintersemester 2006/2007
PD Dr. Cord Friebe
Thema:
Leibniz’ Identitätsprinzip: Bosonen als Nicht-Individuen?
vorgelegt von:
Marcel Pawlowski
Zum Hahnacker 8
50129 Bergheim
[email protected]
7. Semester Physik (Diplom) mit Nebenfach Philosophie
Matrikelnummer: 1728025
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung und Fragestellung
3
2. Leibniz’ Prinzip und die Situation bei Fermionen
5
3. Situation bei Bosonen
8
3.1 Reine Teilcheninterpretation
8
3.2 Reine Welleninterpretation
17
3.3 Teilchen-Wellen Dualismus
23
4. Fazit
25
Literaturverzeichnis
26
1. Einführung und Fragestellung
Im
Seminar
„Philosophische
Probleme
der
Quantenmechanik“
wurden
Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich bei der Betrachtung von Objekten 1 –
beispielsweise Elektronen – ergeben, welche sich in der Quantenmechanik als
ununterscheidbare Teilchen, besser: ununterscheidbare Objekte, darstellen. Dennoch
erscheint es uns intuitiv einleuchtend, bei einer aus zwei Elektronen bestehenden
Anordnung von dem Vorhandensein zweier individueller Objekte, zweier Individuen
zu sprechen. Gemäß dem Leibnizschen Identitätsprinzip handelt es sich bei zwei
Objekten, die in allen Eigenschaften übereinstimmen, um ein und dasselbe Objekt.
Im Fall der Elektronen könnte das Prinzip folglich verletzt sein.
Wie im Seminar besprochen, kann das Leibnizsche Identitätsprinzip (in einer
schwachen Form) im Fall von Fermionen, wie den Elektronen, darüber aufrecht
erhalten werden, dass die Teilchen einen Abstand voneinander haben müssen
(aufgrund des Pauli-Prinzips). Wie stellt sich die Situation nun aber bei Bosonen dar,
die auch zur gleichen Zeit am selben Ort vorkommen können?
In dieser Arbeit soll also die Frage behandelt werden, ob das Leibniz-Prinzip im
Zusammenhang
mit
Bosonen
anwendbar
ist.
Insbesondere
soll
hierbei
Berücksichtigung finden, dass sich die Objekte in der Quantenmechanik nicht wie
Teilchen im klassischen Sinne verhalten, sondern es eine Reihe von Phänomenen 2
gibt, die einen Teilchen-Wellen Dualismus „aufzwingen“. Dieser Dualismus besteht
zwar auch für Fermionen, bei den Bosonen kommt jedoch noch die
Durchdringbarkeit hinzu. Im Zusammenhang mit dem Identitätsprinzip hat Paul
Teller 3 in Zuge der Diskussion auf die Welleneigenschaften hingewiesen.
Optimal wäre es, wenn Teilchen- und Wellennatur gemeinsam betrachtet werden
könnten. Dieser Dualismus ist aber unglücklicherweise schwer vorstellbar, so dass
ein anderer Weg beschritten werden soll: Der Diskussion in Philosophy of Science
folgend werden Bosonen (hier ausschließlich Photonen) zunächst als Objekte mit
1
Im Folgenden wird als neutraler Ausdruck „Objekt“ verwendet, wenn nicht festgelegt sein soll, ob
von einem Teilchen, einer Welle oder beidem gesprochen wird.
2
Als Beispiele seien Doppelspaltexperimente oder Beugungen an Kristallgittern genannt, die für
Photonen wie auch für Elektronen beobachtet wurden.
3
Vlg. Teller, 1983
3
reinen Teilcheneigenschaften betrachtet. Anschließend folgt eine Untersuchung, die
nur reine Welleneigenschaften berücksichtigt. Schließlich wird versucht, die beiden
Betrachtungsweisen zusammenzuführen und Widersprüche aufzuzeigen.
Dabei will ich mich auf die Betrachtung von nur zwei Objekten beschränken, da in
diesem Fall nur eine räumliche Dimension, beispielsweise durch Betrachtung
relativer Koordinaten in einem Schwerpunktssystem, berücksichtigt werden muss.
Auf die Problematik der Ähnlichkeit dieser Annahme mit Max Blacks 4
Gedankenexperiment kann hier nicht näher eingegangen werden.
Wie auch schon im Seminar werden in Abschnitt 3.1 im Zusammenhang mit der
Behandlung der Objekte als Teilchen, mögliche Erklärungen der Situation im
Hinblick auf die zugrunde liegende Ontologie betrachtet. Dabei beschränke ich mich
auf zwei Typen:
-
eine Substanz-Ontologie, laut der Objekte aus einer „Substanz“, einem „bare
particular“ unabhängig von Eigenschaften aufgebaut sind. Ohne dieses
könnte das Objekt nicht existieren. Die Eigenschaften werden als
Universalien aufgefasst. Dabei wird von universalia in rebus ausgegangen.
-
eine allgemeine Tropenontologie 5 , die Universalien als Eigenschaften umgeht
und dadurch auf eine individualisierende Substanz verzichtet.
4
Black beschrieb ein Universum in dem nur zwei exakt gleiche Kugeln in einem gewissen Abstand
voneinander bestehen. Dieses Universum ließe sich logisch durch eine einzige Kugel beschreiben, mit
einer interne Abstands-Relation. Demnach wäre es schwer, das Leibnizsche Identitätsprinzip in einem
solchen Universum zu untersuchen, da zur Unterscheidung mindestens zwei Objekte benötigt werden.
Vgl. Forrest, 2006
5
Vgl. Simons, 1994
4
2. Leibniz’ Prinzip und die Situation bei Fermionen
Die übliche Methode zu Entscheidung, ob es sich bei zwei Objekten um zwei
Individuen handelt oder um ein und dasselbe, baut auf einem Vergleich der
Eigenschaften der Objekte auf. Stimmen die Eigenschaften allesamt überein, so
herrscht eine Gleichheit der Objekte. Diese insbesondere im Alltag oft angewandte
Methode wurde von Wilhelm Gottfried Leibniz 1686 in seinem Discours de
métaphysique im so genannten „principium identitatis indiscernibilium“, im
folgenden PII genannt, formuliert. Leibniz gab verschiedene Formulierungen dieses
Prinzips, und ebenso wurden nach ihm weitere äquivalente Formulierungen
getroffen. Im Zuge dieser Arbeit wird das Prinzip in der Formulierung betrachtet, die
auch von Alberto Cortes verwendet wurde:
(PII): „No two substances are completely similar or differ solo numero.“
(Cortes, 1976, S.492)
Wie auch Cortes interpretiere ich “Substanz” hier als raum-zeitliches Objekt, nicht
im Sinne der zuvor angesprochenen Substanz-Ontologie. Es soll nun festgelegt
werden, welche Arten von Eigenschaften bei Unterscheidungen für PII zugelassen
werden. Laut Steven French gilt:
“[…] three forms of the Principle can be distinguished according to the
properties involved: the weakest form, PII(1), states that it is not possible for
two individuals to possess all properties and relations in common; the next
strongest, PII(2), excludes spatio-temporal properties from this description;
and the strongest form, PII(3), includes only monadic, non relational
properties.” (French, 2006)
Ich will hier nicht näher auf die von Leibniz entwickelte Theorie der Monaden
eingehen. Vereinfacht gesagt sind monadische Eigenschaften skalar und nur an
einem Ort realisiert, beispielsweise die Ladung eines Elektrons. Im Gegensatz dazu
stehen die relationalen Eigenschaften. Diese lassen sich aufteilen in raum-zeitliche
relationale Eigenschaften, wie die Entfernung zu einem anderen Elektron und
relationale Eigenschaften, wie „besitzt eine größere Masse als“. Dabei soll davon
5
ausgegangen werden, dass relationale Eigenschaften nicht auf monadische
Eigenschaften supervenieren.
Angewandt auf den Fall zweier Elektronen, die in sämtlichen Quantenzahlen
(Ladung, Spin, Impuls, usw.) überein stimmen, folgt aus einer „strengen“
Interpretation von PII 6 , dass die Elektronen identisch und damit ein Objekt sein
müssten, denn sie stimmen in ihren monadischen und nicht-raum-zeitlich
relationalen Eigenschaften überein.
Lässt man für PII aber auch raum-zeitliche relationale Eigenschaften zu, so kann eine
raum-zeitliche
Differenz
ausreichen,
um
die
Elektronen
voneinander
zu
unterscheiden. PII(1) kann somit im Falle von Elektronen im Speziellen und
Fermionen im Allgemeinen dadurch aufrecht erhalten werden, dass diese Objekte,
wenn sie in allen (monadischen) Eigenschaften überein stimmen, einander nicht
durchdringen können, da sie sich aufgrund des Paulischen Ausschließungsprinzips 7
nie zur gleichen Zeit am selben Ort aufhalten können. Eine Unterscheidung über den
Ort ist also immer möglich.
Wie stellt sich die Lage nun aber bei Bosonen dar, wie beispielsweise den Photonen?
Für diese Art von Objekten gilt die Bose-Einstein Statistik. Vereinfacht besagt dies,
dass auch Objekte mit völlig übereinstimmenden Quantenzahlen am selben Ort
vorkommen können. (Die quantenmechanische Wellenfunktion ist symmetrisch
unter Vertauschung von Bosonen, Bosonen können daher gleiche Zustände
besetzen.) Eine Unterscheidung über den Ort ist somit, im allgemeinen, nicht mehr
durchführbar.
Als Beispiel mag hier ein Laser dienen, bei dem unzählige Photonen durch den
Prozess der induzierten Emission entstehen und sich im selben Zustand befinden 8 .
6
Damit ist PII(3) oder PII(2) gemeint.
Die quantenmechanische Wellenfunktion für Fermionen, zu denen auch die Elektronen gehören, ist
stets antisymmetrisch. Elektronen, die sich am gleichen Ort aufhalten, müssen sich daher in
mindestens einer Quantenzahl unterscheiden (zum Beispiel in einem Heliumatom der Spin-Richtung)
8
Man betrachte ein Atom in einem angeregten Zustand. Der Übergang in den Grundzustand erfolgt
durch Aussenden eines Photons. Bei der spontanen Emission wird das Photon zu einem zufälligen
Zeitpunkt in eine beliebige Richtung ausgesandt. Im Gegensatz dazu steht die erstmals von Einstein
(1917) beschriebene induzierte Emission. Dabei löst ein (auf das Atom treffende) Photon den
Übergang aus. Die beiden anschließend vorhandenen Photonen (das ursprüngliche und das erzeugte)
stimmt in diesem Fall in allen ihren Eigenschaften, auch der Richtung, überein
7
6
Weitere Beispiele wären, wie von Cortes vorgeschlagen, zwei gleichartige Photonen
in einer kleinen Box oder auch ein Bose-Einstein-Kondensat.
Welche Konsequenz hat dies für PII? Laut Cortes folgt, dass es sich bei Bosonen um
“non-individuals”, um Nicht-Individuen handelt und dass das Prinzip PII falsch ist,
in dem Sinne, dass „if we think of the principle as false, our total conception of the
world will be simpler and less disjointed“ (Cortes, 1976, S. 491).
Diese Einschätzung konnte angezweifelt werden, so dass im Anschluss an Cortes’
Artikel eine Diskussion in der Zeitschrift Philosophy of Science stattfand. Auf drei
Artikel soll dabei im folgenden näher eingegangen werden:
Alberto Cortes’ „Leibnitz’s principle of the identity of indiscernibles: a false
principle“ stieß die Diskussion an. R. L. Barnette reagierte darauf in „Does quantum
mechanics disprove the principle of the identity of indiscernibles?”, wobei er auf eine
mögliche Individualisierung durch die Vorgeschichte von Objekten verweist.
Schließlich wies Paul Teller in „Quantum mechanics, the identity of indiscernibles,
and some unanswered questions“ insbesondere darauf hin, dass die Frage auch für
eine Wellenauffassung behandelt werden muss.
7
3. Situation bei Bosonen
Untersucht werden sollen zwei mögliche Angriffspunkte bezüglich Cortes’
Argumentation:
-
Es könnten nicht-physikalische Eigenschaften, - hier wird die Vorgeschichte
der Objekte betrachtet - , eine Individuation im metaphysischen Sinn
ermöglichen, auch wenn dies epistemologisch nicht gegeben ist.
-
Nach dem Zusammentreffen der Objekte an einem Ort erfolgt die
Abtrennung in zwei Objekte analytisch; eine tatsächliche numerische
Distinktheit muss nicht gegeben sein. Es könnte sich in diesem Fall um nur
ein Objekt 9 handeln, womit die Problematik der Ununterscheidbarkeit gar
nicht auftritt.
3.1 Reine Teilcheninterpretation
Cortes zeigt, dass das Leibniz-Prinzip auf Individuen beschränkt ist. Dazu analysiert
er einen Beweis der logischen Formulierung von PII und kommt zu dem Schluss,
dass stets stillschweigend angenommen wird, dass PII gilt, also keine NichtIndividuen existieren. Der Grund hierfür ist die Unfähigkeit der Logik, sich auf
Nicht-Individuen zu beziehen 10 .
Ausschlag gebend ist folglich die Antwort auf die Frage, ob es Nicht-Individuen gibt.
Cortes behauptet, dass dies bei Photonen der Fall sei, denn es lässt sich ein Fall
konstruieren, in dem zwei Photonen mit gleichen Eigenschaften sich gleichzeitig am
selben Ort befinden. Sie sind also völlig ununterscheidbar und es gibt keine
Beschreibung, die auf das eine Photon zutrifft, die nicht auch für das andere
zutreffend wäre. Nach Cortes sind die Photonen folglich nicht individuierbar. Er
selbst verweist auf den Einwand, dass nicht-physikalische Eigenschaften die Objekte
9
Zum Beispiel eine Art „Doppel-Photon“, in dem alle Eigenschaften zwei-fach realisiert sind. Nur
durch unser Wissen über die ein-fachen Eigenschaften ist eine Aufteilung möglich.
10
Auf eine ausführlichere Darstellung wurde hier verzichtet, um den Umfang nicht unnötig zu
erhöhen. Ich verweise für eine solche an Cortes’ Originaltext.
8
individuieren könnten. Konkret beschäftigt er sich mit der von Bas van Fraassen 11
vorgeschlagenen Individuierbarkeit durch die Vorgeschichte.
Cortes beschreibt eine Situation, in der zwei gleichartige Objekte (zum Beispiel
Photonen, die sich in allen (physikalischen) Eigenschaften gleichen) mit
unterschiedlichen Vorgeschichten A und B für ein gewisses Zeitintervall P alle
Eigenschaften (physikalische und nicht-physikalische), insbesondere den Ort,
gemeinsam haben. Anschließend trennen sie sich wieder voneinander in
verschiedene zukünftige Geschichten C und D.
Er verwendet zur Veranschaulichung der Situation Abbildung 1.
Abbildung 1.
11
Vgl. van Fraassen, in Cortes, 1976, S. 503
9
Gegen eine Individuierung der Objekte in diesem Fall argumentiert er wie folgt:
„If history truly individuates an object, in particular, at P, then it should be
logically possible to decide whether the object that went to C came from A, or
from B, or partially from both A and B. Yet this is obviously impossible, thus
demonstrating that history cannot always individuate objects.” (Cortes, 1976,
S. 504)
Er schließt also aus dem Unvermögen der Logik, die Objekte zu unterscheiden,
darauf, dass die Objekte selbst nicht individuierbar sind.
Barnette 12 hingegen behauptet, dass es zwar epistemologisch unmöglich ist, zu
sagen, welches Objekt in P welche Vorgeschichte hat, da die Objekte sich nicht
unterscheiden lassen. Dennoch behauptet er, dass jedem Objekt metaphysisch
betrachtet eine andere Beschreibung zukommt. Wir können zwar nicht sagen,
welchem Objekt welche Vorgeschichte zukommt, sie also nicht unterscheiden, aber
wir können wissen, dass jedem Objekt eine andere Vorgeschichte zukommt und sie
somit unterschieden sind.
Hier stellt sich die Frage, ob die Vorgeschichten sich in P überhaupt unterscheiden
lassen. Eine Unterscheidung der Vorgeschichten ist notwendig, um sagen zu können,
dass die Objekte unterschieden sind.
Ferner kann es möglich sein, Objekte mit identischen Vorgeschichten vorliegen zu
haben. Diese Objekte sollten auch für Barnette ununterschieden sein. Eine solche
Konstruktion darf nicht von vorne herein ausgeschlossen werden, denn Cortes’
Forderung war nicht, dass beispielsweise alle Bosonen ununterscheidbar sind.
Schließlich
gibt
es
Photonen
der
verschiedensten
Energien
oder
Polarisationsrichtungen. Entscheidend ist, dass sie identisch sein können,
beziehungsweise dass es Objekte gibt, die Nicht-Individuen sind, auch wenn diese
Klasse möglicherweise recht klein ist.
12
Vgl. Barnette, 1978.
10
In der zuerst von Cortes verwendeten Abbildung fällt auf, dass die räumliche Achse
(„Position X“) gerichtet ist (Pfeil rechts an der Raumachse). Dies mag zunächst
unwichtig erscheinen, impliziert aber bereits folgendes:
Vorausgesetzt, man betrachtet nur das einfachste System, in dem die beiden Objekte
auftreten, also eines, das nichts als diese beiden Objekte enthält, dann können
relative Koordinaten verwendet werden und es liegt nur eine räumliche Dimension
vor.
Zunächst sei angenommen, dass sich die Vorgeschichten der Objekte dadurch
unterscheiden, dass sie aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Dann lässt sich
aus der räumlichen Distanz der Objekte noch keine ausgezeichnete Richtung des
eindimensionalen Raumes bestimmen, nicht einmal, wenn es sich um zwei völlig
verschiedene Objekte handeln würde. Im vorliegenden Fall sind die Objekte sogar
gleichartig und unterscheiden sich ausschließlich in der räumlichen Position (und
eventuell in ihrer Vorgeschichte). Da sich die Objekte hier (vor t1) noch
unterschiedlich benennen lassen, ist es aber möglich, die Raumachsenrichtung
willkürlich zu definieren, indem man beispielsweise sagt: „Das Objekt mit der
Vorgeschichte, von A zu kommen, befindet sich in negativerer Raumrichtung als das
Objekt mit der Vorgeschichte, von B zu kommen“. Cortes nimmt ferner an, „that
they violate Heisenberg’s uncertainty principle and that as all times we can follow
their path.“ (Cortes, 1976, S. 503) Folglich kann diese willkürliche Definition als
festgehalten angesehen werden.
Dann jedoch treffen die Objekte in einem Punkt zusammen und haben für eine
gewisse Zeit sämtliche Eigenschaften gemeinsam. Hier bricht die obige Festlegung
zusammen, die definierte Raumrichtung kann nicht mehr gehalten werden. Damit
kann aber auch die räumliche Vorgeschichte der Objekte nicht mehr ausgedrückt
werden. Eine Unterscheidung der Objekte gemäß: „das Objekt mit der
Vorgeschichte, aus negativer Richtung (A) (bzw. positiver = B) zu kommen“ verliert
hier jeglichen Beschreibungswert. Folglich ist eine Individuation über die räumliche
Vorgeschichte in diesem Fall auszuschließen. Und das nicht nur epistemologisch,
was ja von vorne herein als unmöglich erachtet wird, sondern auch metaphysisch.
Hierzu muss nicht der Absolute Raum, wie von Ernst Mach gefordert, eliminiert
werden. Es genügt völlig, dass „die Orientierung verloren geht“, also die
Raumrichtung nicht mehr festgelegt ist.
11
Nach t2 sind die beiden Objekte wieder getrennt und eine räumliche Richtung lässt
sich wie zuvor beschrieben festlegen. Es ist aber nicht möglich, sicher zu stellen,
dass diese Festlegung der zuvor getroffenen entspricht, da auch sie willkürlich
geschehen muss. Es könnte also genauso der Fall sein, dass die Pfade C und D in der
Abbildung an der Senkrechten gespiegelt vorliegen.
Umgehen lässt sich das geschilderte Problem, indem man weitere Objekte betrachtet,
die sich ungestört neben den beiden ursprünglichen in der Zeit bewegen. Dann
handelt es sich jedoch nicht mehr um den einfachsten Fall.
Vorausgesetzt wurde bis jetzt, dass nur die räumliche Vorgeschichte berücksichtigt
wird. Eine andere Möglichkeit ist es, die zeitliche Vorgeschichte zu betrachten, hier
am Beispiel von Photonen: Trifft ein Photon in einem Laser auf ein angeregtes
Atom, verursacht es die induzierte Emission eines zweiten Photons, welches dem
ersten dann in allen Eigenschaften gleicht. Aber hat dieses zweite Photon nicht eine
kürzere Vorgeschichte? Problematisch ist dies jedoch ebenfalls: Da sich Photonen
mit
Lichtgeschwindigkeit
fortbewegen,
steht
die
Zeit
in
ihrem eigenen
13
Koordinatensystem still . Die beiden Photonen sind also faktisch gleich alt in ihren
jeweiligen Koordinatensystemen und welches Koordinatensystem sollte sonst zur
Beschreibung heran gezogen werden?
Schließlich lässt sich der Fall auch so konstruieren, dass beide Photonen durch den
gleichen Prozess, die induzierte Emission, entstanden sind, und sich ihre
Vorgeschichte auch in dieser Hinsicht nicht unterscheiden lässt. Man müsste hier
schon mit einer Art ‚Vererbung’ der Vorgeschichte argumentieren, wenn man nun
die Unterscheidbarkeit an der Ursache für die Entstehung festmachen wollte,
beispielsweise dadurch, dass das erste Photon durch induzierte Emission, verursacht
durch ein spontan emittiertes Photon, entstanden ist. Damit handelt man sich einen,
wenn auch nicht infiniten, so doch beliebig langen Regress ein, was wenig
überzeugend ist.
An dieser Stelle ist es wichtig festzuhalten, dass der Fall nicht so konstruiert wurde,
dass die Photonen auch von außen betrachtet die selbe Vorgeschichte haben. Nur so
kann es sich um ein Argument gegen die Unterschiedenheit durch die Vorgeschichte
13
Hier muss natürlich darauf hingewiesen werden, dass in diesem Fall weitere Objekte vorhanden
sind, über die räumlichen Koordinaten definiert werden könnten.
12
handeln. Ferner müsste ein Fall gefunden werden, in dem alle drei geschilderten
Unterscheidungen der Vorgeschichte gleichzeitig nicht anwendbar sind. Die
vorangegangene Argumentation konnte eine Individuierung über die Vorgeschichte
daher nicht ausschließen, zeigt aber Probleme in diesem Zusammenhang auf.
Würde es darüber hinaus genügen, dass ein Fall mit identischer Vorgeschichte,
vielleicht zwei gemeinsam entstandene identische Teilchen, vorkommen kann? Ja,
denn die Klasse der Nicht-Individuen muss nicht so umfangreich sein wie alle
Bosonen eines Typs, das wurde auch von Cortes nicht gefordert. Auch Bosonen
können sich in physikalischen Eigenschaften unterscheiden (und für die meisten ist
dies in der Regel der Fall). Es genügt also, dass ein auch in der Vorgeschichte
ununterscheidbarer Fall vorkommen kann, um zu zeigen, dass es Nicht-Individuen
gibt.
Man kann allerdings einwenden, dass eine solche Konstruktion physikalisch
unplausibel, wenn nicht gar unrealisierbar ist, insbesondere da hier Effekte der
Unschärferelation vernachlässigt wurden.
Vorgreifend auf Tellers Beispiel der Wellen auf einem Seil, - ein Fall, in dem die
Objekte nur zu einem einzigen Zeitpunkt am selben Ort sind - , ändern im analogen
Fall die beiden Teilchen ihre Richtung nicht und sind folglich über ihren
Impulsvektor unterscheidbar. Vorausgesetzt, sie wechselwirken nicht miteinander,
das heißt es kann ausgeschlossen werden, dass das von A kommende Photon
anschließend den Pfad C bzw. das von B kommende Pfad D nimmt. Kann dieser Fall
ausgeschlossen werden? Vom empirisch-experimentellen Standpunkt, und damit
epistemologisch können die Fälle nicht unterschieden werden. Gleiches wurde schon
im Seminar für den Fall der Fermionen (Elektronen) festgestellt und macht gerade
die Ununterscheidbarkeit mit aus.
Barnett räumt diese Unsicherheit ein, behauptet aber sogar für den Fall einer in
einem Zeitintervall andauernden Überlagerung:
„[…] we can know, that the description ‘the object identical with the object
having history A’ is satisfied by some (and hence only one) object at P and by
either the object having history C or the object having history D, but not
both.” (Barnette, 1978, S. 469)
13
Er geht also davon aus, dass ein Objekt genau einem Pfad folgt. Welchem ist zwar
nicht überprüfbar, aber er schließt Überlagerungen strickt aus.
Bei der Berechnung solcher Ereignisse, wie beispielsweise Streuungen (mittels
Feynman-Graphen), müssen aber immer viele Prozesse berücksichtigt werden, hier
zumindest die beide Fälle „von A nach C“ und „von A nach D“. Teller weist ferner
darauf hin, dass bei Streuungen auch Prozesse Berücksichtigung finden müssen, in
denen der von Cortes’ beschriebene Ablauf gar nicht vorkommt.
„The theory describes this as a superposition of all the processes, occuring at
all space-time points, which could lead from the input to the output state. So
our needed double excitation state only “occurs” superimposed […]” (Teller,
1983, S. 317)
Salopp
formuliert
heißt
dies,
dass
wenigstens
beide
Fälle
vorkommen,
beziehungsweise zum Ergebnis beitragen, selbst wenn man alle anderen Prozesse
vernachlässigt.
Es stellt sich daher die Frage, ob es zum Zeitpunkt des Zusammentreffens überhaupt
verschiedene Beschreibungen der Geschichten der vorliegenden Objekte gibt.
Barnette geht insbesondere davon aus, dass nur der eine oder andere Fall vorliegt. Es
kann jedoch unter Umständen nicht ausgeschlossen werden, dass tatsächlich ein
ungeteiltes Ganzes, gewissermaßen eine Superposition oder auch eine „Mischung“
der Objekte auftritt
Ob eine solche „Mischung“ der Objekte akzeptabel ist, hängt mit der zugrunde
liegenden Ontologie zusammen. Eine reine Substanz-Ontologe, in der die Objekte
universale Eigenschaften 14 besitzen, benötigt die Substanz, beziehungsweise ein
„bare particular“, um die Objekte zu individuieren. Ein Zusammenbringen solcher
Objekte, und damit ihrer beiden distinkten Substanzen an einem Raum-Zeit-Punkt,
mag in diesem Vorstellungsgebäude bereits schwierig sein. Eine „Mischung“ der
Objekte ist jedoch gänzlich ausgeschlossen dadurch, dass die Eigenschaften
Universalien, und damit in zwei den Eigenschaften nach identischen Objekten
ohnehin schon dieselben sind. Ein „Austausch“ von Eigenschaften kann so gar nicht
vorkommen, da die Eigenschaft schon in beiden Objekten vorhanden ist.
14
Das heißt, die Photonen stimmen in allen Eigenschaften überein oder sogar: Die selben Eigenschaft
befindet sich in allen Elektronen, ein und die selbe Eigenschaft ist also am mehreren Orten realisiert.
14
Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Substanzen beim Zusammentreffen
vergehen und durch zwei neue ersetzt werden. Es ist einleuchtend, dass in diesem
Fall eine Individuation der Objekte durch die Geschichte nicht möglich ist. Dies ist
vergleichbar mit Tellers Erwähnung der Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren,
mehr dazu in Abschnitt 3.2.
Geht man andererseits davon aus, dass die Substanzen erhalten bleiben, erhält man
Barnettes These, wonach nur der eine (Objekt von A nach C und von B nach D) oder
der andere Fall (von A nach D und von B nach C) auftreten können. Hier ist aber
eine Individuation durch die Vorgeschichte der Objekte nicht mehr nötig: Auch
Barnette meint, die Individuation ist nicht epistemologisch, sondern metaphysisch zu
verstehen. Die Annahmen einer erhaltenen, der Individuation dienenden Substanzen
impliziert aber bereits a priori die metaphysische Individuation der Objekte. Die
Vorgeschichten sind folglich überflüssig. Damit wird die Diskussion, ob es NichtIndividuen gibt, von vorne herein auf dogmatische Weise verhindert, was hier nicht
akzeptiert werden kann.
Betrachtet man eine Tropen-Ontologie, so erweißt sich diese als „kompatibler“ im
Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall der Bosonen. Hier werden Objekte als
Bündel so genannter Tropen aufgefasst. Bei Tropen handelt es sich, vereinfacht
gesagt, um nicht-universalen Eigenschaften. Die Objekte bestehen ausschließlich aus
diesen. Die Eleganz der Tropen-Ontologie macht aus, dass keine weitere
Individuation benötigt wird, und auf eine „mythische“ Substanz kann verzichtet
werden.
Treffen nun zwei aus Tropen aufgebaute Bosonen zusammen, so lässt sich die
Situation im Rahmen der Tropenontologie wie folgt beschreiben: Die beiden Bündel,
bestehend aus „Elementartropen“ (welche Spin, Ladung, etc. ausmachen) vereinen
sich zu einem größeren Bündel. Dieses kann, da nun für jede physikalische
Eigenschaft zwei „Elementartropen“ vorhanden sind, analytisch als zwei Objekte
aufgefasst werden. Wenn dieses Bündel sich wieder teilt, um die zwei schließlich
vorhandenen Objekte zu bilden, besteht kein Grund zu der Annahme, dass die neuen
Bündel exakt die selbe Tropen-Zusammensetzung aufweisen wie die ursprünglichen
Bündel. Es könnten Tropen aus dem einen in das andere Bündel gewechselt sein
(wenn man annehmen will, dass die ursprünglichen Bündel auch in der Phase der
15
Vereinigung irgendwie ausgezeichnet sind) oder die neuen Bündel haben sich völlig
zufällig
(aus
je
einer
„Elementartrope“
pro
physikalischer
Eigenschaft)
zusammengesetzt.
Diese Position erlaubt es sehr einfach, eine „Mischung“ der Objekte zu beschreiben.
Damit ist eine Individuation während der Phase der Vereinigung nicht möglich,
entweder, weil keine zwei Objekte mehr bestehen, sondern nur noch eines, oder weil
die Objekte nun andere sind, zusammengesetzt aus den Tropen der Ursprünglichen.
Ein möglicher Ausweg besteht darin zu behaupten, dass den Tropen selbst eine
Vorgeschichte anhaften kann. Damit ließen sich dann die einzelnen Tropen auf dem
Weg verfolgen und darüber Objekte identifizieren.
Die Erschaffungs- und Vernichtungsoperatoren der Quantenfeldtheorie fügen sich an
dieser Stelle gut in die Diskussion ein, vorausgesetzt sie sind realistisch zu
interpretieren. Demnach würden die beiden Teilchen, wenn sie sich treffen,
vernichtet und durch zwei neue Teilchen im selben Zustand ersetzt. Die neuen
Teilchen haben folglich keine getrennte Vorgeschichte und lassen sich somit nicht
darüber individuieren. Tatsächlich haben sie alle Eigenschaften gemeinsam.
Dies unterstützt Cortes’ Argumentation gegen die Anwendbarkeit von PII.
Allerdings muss man dem Erschaffungs- und Vernichtungsoperator physikalische
Realität zusprechen. Dementsprechend weißt auch Teller darauf hin:
„In fact, we could mimic quantum field theory and describe each temporal
state as being “destroyed“ just as the next was being “created“. Conversely,
the destroyed and created objects […] can be grouped together to create
enduring individuals” (Teller, 1983, S. 316)
Die Objekte ließen sich also zu beliebigen Zeitpunkten vernichten und gleich neu
erschaffen. Dabei findet jedoch keine Veränderung der Objekte statt, „so we will
have to string them together into larger individuals if we are to describe a world, in
which anything undergoes change.”( Teller, 1983, S. 316). Folglich könnten auch die
zuvor beschriebenen vernichteten und erschaffenen Objekte zusammengefasst
werden. Über diese Zusammenfassung ließe sich die Vorgeschichte der Objekte
„übertragen“. Auch wenn nicht eindeutig ist, welches Objekt vor der Vernichtung
16
mit welchem erschaffenen Objekt zusammengefasst 15 wird, ergibt sich so die
Möglichkeit einer Individuation.
So wichtig die Operatoren in der Quantenfeldtheorie auch sind, empirisch
überprüfbar ist ein derartiger Ablauf nicht und so bleibt es, wenn auch nicht
zufrieden stellend, eine Frage der Interpretation einer Theorie.
3.2 Reine Welleninterpretation
Die von Cortes betrachteten Photonen können nicht ohne weiteres ausschließlich als
Teilchen angesehen werden, wie bereits im ersten Abschnitt dargelegt wurde. Sie
haben sowohl Teilchen- als auch Wellenaspekte und werden, wie alle Objekte, in der
Quantenmechanik durch Wellenfunktionen beschrieben.
Handelt es sich bei Wellen überhaupt um Individuen? Man muss hier darauf achten,
Individuum nicht unbewusst mit einem (materiellen) Teilchen gleichzusetzen. Was
bewegt sich bei einer Welle eigentlich? Nicht ein Teilchen, sondern nur eine
Wellenform 16 . Die Welle auf einem Seil transportiert nicht das Seil, aber jedes Stück
des Seils kann Träger vieler Wellen sein, sowohl im Laufe der Zeit als auch
zeitgleich, wie im folgenden erläutert werden soll.
Damit die Wellen als Individuen angesehen werden können, müssen sie als solche
konstituiert, also individuiert werden. „Im Zuge des Empirismus werden räumliche
und zeitliche Bestimmung als die Wesentlichen Momente der Individuation
angesehen.“ (Metzler Philosophie Lexikon, 1999, S. 258) Demzufolge kann es sich
bei Wellen um Individuen handeln. Sie sind zeitweise an verschiedenen Orten, haben
darüber hinaus Eigenschaften wie eine Amplitude und eine bestimmte Form.
Tatsächlich können alle physikalischen Teilchen auch als Wellen betrachtet werden,
denn bei entsprechenden Versuchen 17 zeigen sie Welleneigenschaften. Das gilt nicht
nur für Bosonen wie das Photon, sondern auch für Fermionen wie das Elektron.
15
Hierbei ist es nicht relevant, dass die Zusammenfassung willkürlich erfolgen kann, es geht nur
darum, dass eine Zuordnung metaphysisch möglich ist und damit eine Individuation erlaubt.
16
Die korrekten physikalischen Eigenschaften wie einen Energiefluss sollen hier der Einfachheit
halber verschwiegen werden.
17
Die bekanntesten Beispiele sind sicher das Young’sche Doppelspaltexperiment mit Licht
(=Photonen), sowie Jönssons Interferenzen einzelner Elektronen am Doppelspalt.
17
Gehen wir also, wie in Abschnitt 2 erläutert, davon aus, dass es sich bei Elektronen,
zumindest der Annahme nach, um Individuen handelt, so kann die mögliche
Betrachtung eines Objekts auch als Welle nicht ausschlaggebend sein, es als NichtIndividuum anzusehen.
Abbildung 2.
In seinem Artikel verwendet Teller als Einstieg ein sehr anschauliches Beispiel
(siehe Abbildung 2): Zwei Personen halten jeweils das Ende eines Seils und
erzeugen dann gleichzeitig durch Schütteln zwei identische Wellen. Diese laufen auf
die Seilmitte zu, vereinen sich dort kurzzeitig zu einer größeren Welle, und
anschließend laufen wieder zwei Wellen auf die beiden Personen zu. Indem er nun
die beiden Wellen mit ununterscheidbaren Objekten identifiziert, wiederholt er die
vorangegangene Diskussion, ob die Vorgeschichte eines Objekts dieses individuiert
oder nicht. Das Seil-Beispiel hat den Vorteil, dass die in der Mitte auftretende große
18
Welle nicht von vorne herein suggeriert, dass sie aus zwei Teilen oder gar Objekten
besteht.
Wie soll nun eine Vorgeschichte im Fall von Wellen verstanden werden. Die
einfachste Möglichkeit ist auch hier, wie zuvor im Fall der Teilchen-Vorstellung, von
einer unterschiedlichen Ausbreitungsrichtung auszugehen. Die meisten Argumente
aus Abschnitt 3.1 lassen sich in diesem Fall wiederholen, mit der Unterscheidung,
dass hier zunächst von Seilwellen die Rede ist. Diese pflanzen sich nicht mit
Lichtgeschwindigkeit fort, aber ihre Entstehungsursache ist auch hier für beide
Objekte (=Wellen) die selbe.
Da das Seil in der Mitte Träger zweier Wellen 18 ist, zum Zeitpunkt (4) in Abbildung
2 mit einer exakten Überlagerung, ist es zunächst schwer, eine Vorstellung der
Geschichte der Wellen zu entwickeln. Werden die Wellen nur als eine bestimmte
Bewegungsform des Seils oder als eine sich fortpflanzende Energie betrachtet, so
tendiert man zu einer Vorstellung, die schon bei den Erschaffungs- und
Vernichtungsoperatoren angesprochen wurde: Die Welle entsteht immer wieder neu,
eine Fortsetzung der Geschichte ist kaum möglich.
Wäre die große Welle in der Seilmitte zuerst entstanden (zum Beispiel durch einen
Schlag auf das Seil), so würde ein Prozess mit dem Startpunkt 4 in Abbildung 2.
ablaufen. Dieser gleicht dem ursprünglich beschriebenen Ablauf, benötigt aber keine
zwei ursprüngliche Wellen. Insbesondere hätten die beiden auslaufenden Wellen nun
die selbe Vorgeschichte. An den Seilenden werden die Wellen reflektiert und laufen
wieder in der Mitte zusammen, wobei die Situation ab der Reflektion Tellers Beispiel
entspricht. Die Vorgeschichten der beiden Wellen sind nun aber absolut identisch, so
dass sie sich nicht darüber individuieren lassen.
Bei Teller treffen die beiden Objekte nur zu einem einzigen Zeitpunkt (4)
aufeinander. Man mag nun argumentieren, dass die Wellenberge auch bei einer
ausreichend nahen Annäherung (3) nicht mehr voneinander zu trennen sind. Dennoch
lässt sich diese Situation aus der Form der Welle bestimmen: Bei nicht-vollständiger
Überlagerung (2) ist die Welle breiter und niedriger.
18
Hier sei für den Moment die Vorstellung der großen Welle als ein ungeteiltes Ganzes
ausgeschlossen
19
Insofern kann hier nicht von einer Überlagerung für ein gewisses Zeitintervall
gesprochen werden, die Situation scheint also eine andere zu sein als bei Cortes
Teilchen-Fall. Bei Teller „durchdringen“ sich die beiden Objekte (=Wellen).
Nähern sich die Wellen einander, so beginnen sie, sich zu überlagern, es fällt
schwerer, sie als getrennte Wellen zu erkennen. Schließlich ist eine Trennung
empirisch nicht mehr messbar. Aber die Unterscheidung in zwei Wellen ist noch
immer möglich durch Betrachtung der Wellenform, zum Beispiel ist die Breite der
Wellensumme größer als die einer einzelnen Welle. Die exakte Überlagerung der
Wellen findet schließlich nur zu einem einzigen Zeitpunkt statt. Dies unterscheidet
Tellers Beispiel entschieden von Cortes’, bei dem die beiden Teilchen sich für einige
Zeit (t2-t1) im selben Zustand befinden.
Problematisch wird dies insbesondere, wenn man, wie zuvor schon erwähnt,
folgendes behaupten möchte: Zunächst existieren zwei Objekte, diese werden dann
zu einem Einzigen, welches schließlich wieder zu zwei Objekten wird. Hiermit ließe
sich Cortes’ Argumentation aushebeln: Wo nur ein Objekt existiert, sind keine zwei
Nicht-Individuen, PII ist also gültig.
Was ist hier das Problem? Die große Welle entsteht, besteht für einen Zeitpunkt und
vergeht wieder. Zu jeder Zeit zuvor gab es zwei Wellen, zu jeder Zeit danach
ebenfalls. Also muss die große Welle zum gleichen Zeitpunkt entstehen und wieder
vergehen. Da nur ein einziger Zeitpunkt betrachtet wird, kann streng genommen
nicht gesagt werden, die Welle entsteht zuerst, bevor sie wieder vergeht. Entstehen
und Vergehen finden zur selben Zeit statt, es scheint also zumindest schwierig, von
einer Existenz der größeren Welle als eigenständigem Objekt zu sprechen.
Teller verweist auf die in der Physik verwendete Fourieranalyse eines
Wellenprozesses in eine sogenannte Fourierreihe. Hierbei wird ein Signal in seine
Frequenzanteile, bestehend aus Sinusfunktionen, zerlegt. Er wendet diese zunächst
auf sein eingangs verwendetes Seil-Beispiel an, um darzustellen, dass die
Beschreibung der beiden separaten Wellen auf dem Seil nicht eindeutig ist, sondern
ebenfalls durch eine (möglicherweise unendliche) Summe von Sinuswellen
beschrieben werden kann. Nicht nur die große Welle in der Mitte lässt sich so
analytisch in zwei Wellen zerlegen, sondern:
20
“This sum, describing one wave process taking place over time, describes
first our two „separate“ waves, then the bump in the middle, and finally the
two waves which emerge from the middle” (Teller, 1983, S. 312).
Teller schlussfolgert, dass es keinen Grund mehr gibt, die beiden erzeugten Wellen
als separat anzusehen, und die mittlere Welle als aus zwei Teilen bestehend
aufzufassen. Ferner gibt es für jede Situation eine Vielzahl möglicher Zerlegungen.
Diese Argumentation ist im Falle des Seils korrekt, hier gibt es keine
Einschränkungen auf diskrete Niveaus. Dies kann aber nicht direkt auf Quanten als
Wellen übertragen werden.
Nach der Quantenfeldtheorie lässt sich die Welt als Ansammlung von Oszillatoren
beschreiben, laut Teller vorstellbar als kurze Seilstücke zwischen Pflöcken. Im
Grundzustand vibriert das Seil/der Oszillator nicht, es/er kann jedoch angeregt
werden. Dies geschieht jedoch nur in diskreten Schritten, nicht kontinuierlich.
Beschrieben wir die Anregung durch den Erschaffungs- und die Abregung durch den
Vernichtungsoperator. Diese erzeugen und vernichten Quanten (z.B. Photonen), die
Eigenschaften
von
Teilchen,
als
Anregungen
des
Feldes
aber
auch
Welleneigenschaften haben.
Wenn sich zwei Quanten durch zweifache Anwendung des Erschaffungsoperators im
selben Zustand befinden, so heißt dies, dass das Anregungslevel eines Oszillator des
Feldes um zwei Stufen erhöht wurde. Teller behauptet nun: „And for all that has
been argued, we have no reason not to view this exactly as we did the middle bump
in my rope example“ (Teller, 1983, S. 317). Wie oben gesehen, gibt es Grund für
Zweifel an dieser Aussage, da im Seil-Beispiel die große mittlere Welle nur zu einem
einzigen Zeitpunkt auftritt. Entscheidender ist jedoch, wie Teller fortfährt:
“We have one oscillatory state which either should be said to have no parts,
or should be acknowledged to be analyzable, in countless different ways, into
components which do have individuating characteristics…”
(Teller, 1983, S. 317).
Hier denkt Teller an die analytischen Möglichkeit, Schwingungsprozesse wie oben
beschrieben mittels Fourieranalyse in eine Reihe von Sinusschwingungen zu
zerlegen. Er geht jedoch so weit, zu behaupten, dass nun entweder ein ungeteiltes
Ganzes vorliegt oder eine Vielzahl von Beschreibungen, wobei das Ganze
21
ausschließlich
durch
Teile
beschrieben
wird,
die
alle
aufgrund
ihrer
unterschiedlichen Wellenlänge und Frequenz unterscheidbar und damit individuiert
sind. In beiden Fällen ist Cortes’ Argumentation nicht mehr anwendbar, weil
entweder nur ein Objekt vorliegt, oder aber alle vorliegenden Objekte individuiert
und damit keine Nicht-Individuen sind.
Teller behauptet, dass die Tatsache, dass das Anregungsniveau nur in diskreten
Schritten erhöht und gesenkt werden kann, für diese Schlussfolgerung unwichtig ist.
Physikalisch ist dies jedoch relevant, die Theorie hat ja einzig den Zweck, die
Realität zu beschreiben. Die Fourieranalyse ist hier jedoch physikalisch unwichtig.
Es darf folglich gefragt werden, ob die rein mathematische Analysierbarkeit hier den
Vorrang hat. Eine Aufteilung der Schwingung in viele Einzelschwingungen ist
physikalisch unrelevant, um nicht zu sagen: unphysikalisch. Betrachten wir, um ein
anschaulicheres Beispiel zu verwenden, die Kante eines Kristalls, die zum Beispiel
aus 1000 Atomen besteht und 100 Nanometer lang ist. Mathematisch lässt sich diese
Kristallkante in 1001 Teile aufspalten, jeweils mit einer Länge von 0,0999
Nanometern, physikalisch ist dies jedoch unmöglich.
Oder, um bei Tellers eigener Analogie zu bleiben: Er hat ein Konto, auf dass er nur
in ganzen Einheiten von 1000$ einzahlen und von dem er nur ebenso abheben kann.
Montag zahlt er 2000$ ein, Freitag hebt er wieder 2000$ ab 19 . Er berücksichtigt aber
nicht die physikalische Situation vor und nach der Zeit, in dem sich zwei Objekte im
gleichen Zustand befinden. In seiner Analogie müsste er also angeben, dass es in
seiner Welt ausschließlich 1000$-Banknoten gibt. In diesem Fall ist die Aussage,
dass von Montag bis Freitag zwei „1000$“ sich im gleichen Zustand befunden haben,
weniger unplausibel als Teller suggeriert.
Unter Betrachtung der physikalischen Realität führt dies wieder auf die Aussage,
dass entweder nur ein Objekt, ein ungeteiltes Ganzes vorliegt, oder zwei physikalisch
relevante Objekte.
19
Diese Analogie ist jedoch recht schwach: Tellers eigene Folgerung, dass die Welle in viele
individuierte Teile zerlegt werden kann trifft hier nicht zu, jeder Dollar auf dem Konto ist jedem
anderen identisch.
22
3.3 Teilchen-Wellen Dualismus
Die Wellen-Vorstellung stützt vorwiegend die Idee, dass zwei sich überlagernde
Objekte als ein einziges Objekt aufgefasst werden können. Diese Vorstellung lässt
sich zwar ebenfalls in der Teilchen-Betrachtungsweise aufbauen, es müssen jedoch
ontologische Schwierigkeiten überbrückt werden.
Überspitzt gesagt: Eine Teilchen-Auffassung stützt eine auf die Vorgeschichte
bezogene Argumentation eher, als eine Wellen-Auffassung. Umgekehrt ist es bei der
Betrachtung von Wellen sehr viel leichter, diese als ein einziges Objekt aufzufassen.
Es konnte aber dargelegt werden, dass auch bei einer Betrachtung von Teilchen die
Vorstellung des Vorhandenseins nur eines einzigen Objekts möglich ist, wohingegen
die Vorstellung von Vorgeschichten bei Wellenprozessen sich als schwieriger heraus
stellt. Insbesondere lässt sich hier sehr einfach eine Situation konstruieren, in der
zwei Wellen die selbe Vorgeschichte haben.
Die plausiblere Möglichkeit, PII im Fall der Bosonen aufrecht zu erhalten, liegt also
in der Vorstellung, dass zwei sich am selben Ort befindliche Bosonen ein neues,
ungeteiltes Ganzes bilden.
Ein Analogon zu Wellen-spezifischen Fourier-Analyse bei Teilchen lässt sich nicht
finden, da diese explizit das Vorhandensein von Schwingungen fordert. Teller
schließt, dass entweder ein ungeteiltes Ganzes oder eine Vielzahl individuierter
Schwingungen vorliegt. Die zweite Alternative entbehrt aber, so wurde dargelegt,
einer physikalischen Relevanz. Ich schließe daraus, dass die Fourieranalyse zwar bei
der Behandlung seines ersten Beispiels, makroskopischer Seilwellen, Anwendung
finden kann, bei der Betrachtung quantenfeldtheoretischer Oszillatoren aber
physikalische Gegebenheiten missachtet.
Schließlich lässt sich feststellen, dass die Erschaffungs- und Vernichtungsoperatoren
der Quantenfeldtheorie hier eine auffallend verbindende Rolle spielen. Werden sie
realistisch interpretiert, so werden die vor der Überlagerung bestehenden Objekte
zum Zeitpunkt des Zusammentreffens vernichtet und damit ist eine Individuation
über die Vorgeschichte ausgeschlossen. Gleichzeitig entsteht ein Zustand, in dem
zwei identische Quanten (um einen gegenüber Objekten neutraleren Term zu
23
verwenden) sich am selben Ort befinden. Dies wirft die Frage auf, ob die beiden
Quanten als ein einziges Objekt, ein ungeteiltes Ganzes, aufgefasst werden sollen. Es
wird also ein möglicher Angriffspunkt auf Cortes Argumentation entkräftet, der
andere aber interessanterweise gestützt. Die Operatoren verbinden so die zu Anfang
erwähnten möglichen Angriffspunkte. Es dürfte daher aufschlussreich sein, die sich
aus den verschiedenen möglichen Interpretationen der Erschaffungs- und
Vernichtungsoperatoren ergebenen Implikationen, sowie Tellers Einwand, es ließen
sich beliebig viele der Operatoren in der Zeit einfügen, näher zu untersuchen.
24
4. Fazit
Ein abschließendes Urteil darüber, ob das „principium identitatis indiscernibilium“
für Bosonen aufrecht erhalten werden kann, ist nach dieser Ausführung sicher nicht
möglich. Dennoch bestehen offenbar berechtigte Zweifel an der Auffassung, dass es
sich bei Bosonen, insbesondere den Photonen, um Individuen handelt.
Eine Individuierung über die Vorgeschichte der Objekte gestaltet sich schwieriger,
als von Barnette dargelegt. Die Vorgeschichte der Objekte könnte, wie im
behandelten Fall von Photonen, weniger eindeutig sein als zunächst angenommen.
Die Erschaffungs- und Vernichtungsoperatoren eröffnen ferner eine neue
Herangehensweise. Und schließlich sollte es ausreichend sein, einen Fall zu
konstruieren, in dem sich die Objekte aufgrund einer identischen Vorgeschichte nicht
mehr unterscheiden lassen. Dann wären die Objekte nicht mehr individuierbar und
somit Nicht-Individuen 20 .
Vielversprechender erscheint die Möglichkeit, dass es sich während der
Überlagerung nur um ein einzelnes, je nach Ontologie und Argumentation neues
oder zusammengesetztes, Objekt handelt. Dies würde die Existenz von NichtIndividuen verhindern. Die Entscheidung dieser Frage ist schwierig. Der
Überlagerungszustand kann nur analytisch als zwei Objekte aufgefasst werden. Ob es
nun ein oder zwei Objekte sind, eine Entscheidung darf nicht willkürlich fallen. Ein
möglicher Ausweg könnte es sein, beide Auffassungen und ihre Folgen
auszuarbeiten und schließlich, à la Ockhams Rasiermesser, die einfachere
auszuwählen. Selbstverständlich ist auch diese Vorgehensweise für viele nicht
zufrieden stellend, die Frage würde bestehen bleiben. Und mag vielleicht, so könnte
man vermuten, niemals gelöst werden.
20
Dabei wird freilich davon ausgegangen, dass die Vorgeschichte die einzige nicht-physikalische
Eigenschaft ist, die eine Individuation ermöglicht.
25
Literaturverzeichnis
Barnette, R.L. (1978) : “Does Quantum Mechanics Disprove the Principle of the
Identity of Indiscernibles ?”, Philosophy of Science 45, S. 466-477.
Cortes, A. (1976) : “Leibniz’s Principle of the Identity of Indiscernibles: A False
Principle”, Philosophy of Science 43, S. 491-505.
Forrest, Peter, "The Identity of Indiscernibles", The Stanford Encyclopedia of
Philosophy
(Fall
2006
Edition),
Edward
N.
Zalta (ed.),
URL
=
<http://plato.stanford.edu/archives/fall2006/entries/identity-indiscernible/>.
French, S. (2006): “Identity and Individuality in Quantum Theory”, The Stanford
Encyclopedia of Philosophy (Spring 2006 Edition), Edward N. Zalta (ed.),
URL = <http://plato.stanford.edu/archives/spr2006/entries/qt-idind/>.
Prechtl, P. & Burkard, F.-P. (Hgg.) (1999): Metzler Philosophie-Lexikon. Begriffe
und Definitionen. Stuttgart (u.a.): Metzler²
Simons, P. (1994): “Particulars in Particular Clothing: Three Trope Theories of
Substance”, Philosophy and Phenomenological Research 54, S. 553 - 575.
Teller, P (1983) : “Quantum Physics, the Identity of Indiscernibles, and some
Unanswered Questions”, Philosophy of Science 50, S. 309-319.
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