03 Behandlungskonzept Vertebragene Rückenschmerzen Schmerzklinik am Arkauwald Fachklinik für Spezielle Schmerztherapie und psychosomatische Schmerzerkrankungen Vertebragene Rückenschmerzen Chronische Rückenschmerzen spielen in den Statistiken der Kranken- und Rentenversicherungen eine große Rolle, wobei die Rückenschmerzen bei Männern mit 14 % die häufigste Ursache, bei Frauen dagegen mit 11 % die zweithäufigste Ursache für Krankheitsausfälle sind. Etwa 30– 40 % der Patienten klagen über von der Wirbelsäule ausgehende (vertebragene) oder auch dort empfundene Rückenschmerzen. Die Wirbelsäule als statisches Achsenorgan ist in dieser Funktion großen Belastungen ausgesetzt. Entsprechend häufig treten Verschleißerscheinungen auf, die über die normale Abnutzung hinausgehen und deshalb oft Beschwerden verursachen. Es ist jedoch stets zu bedenken, dass höhergradige Verschleißprozesse nicht unbedingt mit Rückenschmerzen einhergehen müssen. Es gibt keine statistische Korrelation zwischen dem Ausmaß der abnutzungsbedingten Änderungen und der geklagten Schmerzintensität. Das Vorhandensein abnutzungsbedingter Veränderungen, die theoretisch die Ursache der Beschwerden sein könnten, darf deshalb nicht dazu verleiten, eine weitergehende Diagnostik zu unterlassen. Die vertebragenen Schmerzen werden aufgeteilt in das Halswirbelsäulen-Syndrom (HWS-Syndrom), das obere HWS-Syndrom (Zervikalsyndrom), das Brustwirbelsäulen-Syndrom (BWS-Syndrom) und das Lendenwirbelsäulen-Syndrom (LWS-Syndrom). Der Schmerzcharakter bei vertebragenen Schmerzen wird von den Patienten meist als dumpf und drückend angegeben. In der Regel ist die Muskulatur neben der Wirbelsäule verhärtet und druckschmerzhaft. Oft besteht eine Druckschmerzhaftigkeit über den Dornfortsätzen der Wirbelkörper. Insbesondere die Halswirbelsäule und die Lendenwirbelsäule sind großen statisch-dynamischen Belastungen ausgesetzt, weshalb hauptsächlich diese Wirbelsäulenabschnitte von Schmerzsyndromen betroffen sind. Als Schmerzursache stehen bei der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule übermäßige degenerative Veränderungen im Vordergrund, wobei meist der Bandscheibe eine Schlüsselrolle zufällt. Die einzelnen Bewegungssegmente (bestehend aus zwei Wirbeln) werden durch die natürlichen Alterungsprozesse bzw. durch traumatische Belastungen oder Verletzungen zunehmend instabil. Dabei wird das Bewegungssegment in den Funktionsbewegungen beeinträchtigt. Die Wirbelkörper können sich dann gegeneinander verschieben, worunter besonders die kleinen Wirbelgelenke leiden und schließlich mit arthrotischen Veränderungen reagieren (Spondylarthrosen). Mit fortschreitender Bandscheibenalterung und degeneration nähern sich die Wirbelkörper einander zunehmend an und reagieren mit Randzackenbildungen (Spondylose) und Sklerosierung (krankhafte Verhärtung) der Deckplatten (Osteochondrose). Allmählich kommt es zu einer Versteifung im Alter, die an sich der Entstehung von Rückenschmerzen entgegenwirkt. Jede Phase dieser fortschreitenden Degeneration kann im Bewegungssegment Rückenschmerzen verursachen, die mit pseudoradikulärer oder gar radikulärer Symptomatik (Krankheitszeichen, die auf eine scheinbare und tatsächlich geschädigte Nervenwurzel zurückzuführen sind) einhergehen können. Verschleißprozesse, die über die normale, dem Alter entsprechende Abnutzung hinausgehen, können zu einer Verengung des Spinalkanals (Rückenmarkkanal) führen (Spinalkanalstenose) und in den betroffenen Segmenten ebenfalls Rückenschmerzen hervorrufen. Bei entsprechendem Ausmaß kommen weitere Beschwerden hinzu (pseudoradikuläre, radikuläre Ausstrahlungen in die Beine, Claudicatio spinalis [Funktionsbeeinträchtigung der Beine aufgrund einer Durchblutungsstörung im Rückenmark]). Die kleinen Wirbelgelenke, die wegen ihrer dachziegelartigen Anordnung auch Facettengelenke genannt werden, können auch isoliert, also unabhängig vom Einfluss der Abnutzungserscheinungen der Bandscheiben, arthrotische Veränderungen erfahren und dann ebenfalls schmerzhafte Blockierungen des Bewegungssegmentes hervorrufen. Im Bereich der Zwischenwirbellöcher können isolierte Störungen auftreten, die die zugehörigen Nervenwurzeln irritieren oder gar schädigen und dadurch zu Rückenschmerzen führen können. Ein Bandscheibenvorfall schließlich erfolgt meist dorsolateral (seitlich und nach hinten) und kann schon bei geringem Ausmaß das Bewegungssegment blockieren. In der dorsolateralen Region kann die Nervenwurzel direkt tangiert bzw. eingeklemmt werden und ausstrahlende Krankheitszeichen bewirken. 90 % aller Bandscheibenvorfälle finden typischerweise in den Höhen L4/5 und L5/S1 (L = lumbal, S = sacral) statt. Diese bevorzugte Lokalisation führt dazu, dass häufig die Diagnose „Lumboischialgie“ gestellt wird, da die oberen Anteile des Plexus ischiadicus (Nervengeflechte, aus denen der Ischiasnerv entsteht) bzw. Plexus sacralis (Nervengeflecht im Bereich des Kreuzbeines) den Nervenwurzeln L4 und L5 entstammen. Patienten mit Rückenschmerzen (vertebragenen Schmerzen) nach Bandscheibenoperationen sind bezüglich einer Schmerzbehandlung äußerst problematisch. Erfahrungsgemäß nimmt die Problematik mit jeder weiteren Operation sogar noch zu. Der oben beschriebene typische Ablauf des Abnutzungsprozesses macht deutlich, dass auch mit einer Operation die eigentliche Schmerzursache nicht behoben werden kann. Im Gegenteil, es besteht sogar die Gefahr, dass der degenerative Prozess noch beschleunigt wird. Mit jeder Operation nimmt die Tendenz zur Instabilität zu, abgesehen von den zusätzlichen iatrogenen (durch die Operation verursachten) Gewebsschädigungen. Nicht selten gibt es Patienten, bei denen nach mehrfachen Bandscheibenoperationen wegen Instabilität eine Spondylodese (operative Wirbelsäulenversteifung) durchgeführt werden muss. Oft werden die Patienten auch hierdurch nicht beschwerdefrei, sodass es sehr zu begrüßen ist, dass Operationen in den letzten Jahren zunehmend seltener durchgeführt werden. Gemeinsam gegen den Schmerz! Insbesondere bei akut aufgetretenen Lähmungserscheinungen oder feinmotorischen Defiziten (Beeinträchtigungen der Muskelfunktion) muss in der Regel jedoch operiert werden, um eine Entlastung bzw. Besserung herbeizuführen. Meist liegen funktionelle Störungen vor, die betroffenen Patienten klagen besonders bei Bewegungen der Wirbelsäule über Schmerzen, bisweilen auch mit unspezifischen Ausstrahlungen, z.B. ins Gesäß und/oder in die Beine. Auch ein sogenanntes Beckenring-Syndrom kann mit Rückenschmerzen einhergehen. Eine Sakralgie hingegen bezeichnet Rükkenschmerzen in der Kreuzbeingegend. Wegweisende Hinweise auf die Art der Schädigung bzw. der Schmerzursache liefert z.B. die Abfrage der Vorgeschichte und das spezielle Beschwerdebild, je nachdem, ob die Beschwerden vermehrt in Ruhe oder bei Belastung auftreten, ob Witterungseinflüsse beteiligt sind oder ob Lähmungen bzw. Einschränkungen der Wirbelsäulenfunktion aufgetreten sind. Behandlung von vertebragenen Schmerzen Grundsätzlich muss versucht werden, durch eine geeignete Diagnostik eine für die geklagten Rückenschmerzen ursächliche und spezifische Erkrankung zu entdecken. Gelingt dies, so wird zunächst diese behandelt. Wenn dennoch Schmerzen verbleiben oder keine eindeutige, spezifisch behandelbare Schmerzursache gefunden wurde, sind schmerztherapeutische Behandlungsmethoden erforderlich. Diese sind bei verschiedenen Grundkrankheiten oft die gleichen, da die Behandlung sich nunmehr nach dem Schmerz und seiner Ausdehnung und nicht mehr vorrangig nach seiner Ursache richtet. Länger bestehende Rückenschmerzen erfordern praktisch immer eine individuelle Kombination verschiedener Therapieverfahren. In unserer Klinik kommen typischerweise folgende Therapieverfahren zur Anwendung: Medikamentöse Behandlung Hier werden überwiegend peripher wirkende Analgetika (Schmerzmittel) eingesetzt, insbesondere nichtsteroidale Antirheumatika, bei stärkeren schmerzhaften Muskelverspannungen auch und/oder Muskelrelaxantien. Manchmal sind aber Rückenschmerzen nur in Kombination mit zentral wirkenden Analgetika beherrschbar. Grundsätzlich sollte bei Rückenschmerzen jedoch eine längerfristige Schmerzmittelverordnung wegen der Gefahr der Gewöhnung oder gar Abhängigkeit vermieden werden. Die Kombination mit schmerzdistanzierenden Antidepressiva (Amitriptylin, Doxepin, Trimipramin, Clomipramin) hilft in vielen Fällen, Schmerzmittel einzusparen. Eine sehr wirksame Alternative ohne jegliches Gewöhnungs- oder Suchtpotenzial ist die therapeutische Lokalanästhesie (Behandlung mit einem lang wirkenden örtlichen Betäubungsmittel). Hierbei kommen in unserer Klinik insbesondere Infiltrationen mit einem örtlichen Betäubungsmittel oder auch zeitlich begrenzte Nervenblockaden ggf. auch in Verbindung mit einer Kathetertherapie besonders im Lendenwirbelsäulenbereich zum Einsatz. Im Halswirbelsäulenbereich können Kathetertechniken, insbesondere im Bereich des Oberarmnervengeflechtes (Plexus brachialis), zum Einsatz kommen. Brustwirbelsäulenschmerzen sprechen ebenfalls sehr gut auf Infiltrationsbehandlungen oder Katheterschmerzblockaden an, sodass wir auch hierbei sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Meist kann durch entsprechende Behandlung der einzelnen schmerzleitenden Nervenfasern oder Nervengeflechte eine rückenmarksnahe Betäubung (Periduralblockade) vermieden werden. Diese weist in der Regel ein deutlich höheres Risikoprofil auf als die sogenannten peripheren Nervenblockaden im Bereich des Oberarmplexus, des Oberschenkelnerven (N. femoralis) oder auch des Ischiasnerven (N. ischiadicus). Eine wesentlich sicherere Methode zur Periduralblockade z.B. im HWS- oder LWS-Bereich stellt die Kaudalanästhesie, auch in Form einer kontinuierlichen Katheterblockade, dar. Die seriellen Schmerzinfiltrationen oder Nervenblockaden, auch in Kathetertechnik, werden so exakt dosiert, dass die Kraft erhalten bleibt und gleichzeitig die Schmerzleitung gehemmt wird. Dadurch bleiben begleitende krankengymnastische (physiotherapeutische) Übungsbehandlungen möglich und der Patient kann wieder kräftigende, mobilisierende und dehnende Übungen durchführen. Dass die schmerzlindernde Wirkung meist über die eigentliche Behandlungszeit hinaus anhält, ist darauf zurückzuführen, dass bei dieser Blockadebehandlung auch die vegetativen Nerven betroffen sind, woraus sich eine sehr deutliche Durchblutungssteigerung sowie eine Muskelentkrampfung ergibt. Deshalb ist diese Behandlungsmethode besonders bei Schmerzen, die durch entzündliche oder durch abnutzungsbedingte (degenerative) Prozesse entstanden sind, hilfreich und kann unserer Erfahrung nach teilweise über mehrere Jahre hinweg wirken, bevor im Rahmen einer Wiederholungs- bzw. Auffrischungsbehandlung eine erneute Schmerzbesserung erzielt werden muss. Physikalische Therapie Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Rotlicht, Thermotherapie auf der Sand-Wärme-Liege, craniale Elektrostimulation (CES), Mikrostromtherapie (Watt-Differential-Therapie), Ozontherapie, Magnetfeldtherapie (pulsatile Felder), lokale Kältetherapie mittels Kaltluftgenerator. Physiotherapie Die Verordnung von Massagen muss bei Rückenschmerzen individuell erfolgen, da eine Schmerzverstärkung hierdurch auf jeden Fall vermieden werden sollte. Optimal wirksam sind Massagen insbesondere dann, wenn sie im Anschluss an eine Schmerzbehandlung erfolgen, was jedoch eine enge Abstimmung zwischen Schmerztherapeut und Massagetherapeut voraussetzt. Diese intensive Abstimmung ist letztendlich nur in einer speziellen Schmerzklinik möglich. Nahezu unverzichtbar ist die heilgymnastische Therapie, da nur diese geeignet ist, einen ärztlichen Behandlungserfolg zu sichern und langfristig zu stabilisieren. Hierbei gilt es, die Muskulatur neben der Wirbelsäule zu trainieren, da auf Dauer nur eine kräftige Muskulatur eine statische und dynamische Schwäche des Achsenorgans ausgleichen kann. Ebenfalls gute Erfahrungen haben wir mit der manuellen Therapie (Chirotherapie) gemacht. Ergotherapie Hier kommen arbeitsplatzrelevante Therapiemaßnahmen sowie unterstützende Techniken zur Bewältigung des Alltagslebens („activities of daily life“) zur Anwendung und werden intensiv eingeübt, wobei unsere Therapeuten immer den Patienten in ganzheitlicher Hinsicht behandeln. Eventuell erforderliche Hilfsmittel wie spezielles Schreibwerkzeug, an die Beschwerden an- gepasstes Besteck zur Nahrungsaufnahme, aber auch z.B. spezielle Computersysteme und sonstige technische Hilfen für den Patienten werden individuell angepasst und in ihrer Benutzung sorgfältig eingeübt. In speziellen Fällen haben wir mit naturheilkundlichen und homöopathischen Verfahren eine zusätzliche Unterstützung in der Schmerzbehandlung erzielen können, ohne dass der Patient eine übermäßige Medikamentenbelastung aushalten musste. Weiterhin wichtig sind die Akupunktur, die Lasertherapie, die funktionelle Ergotherapie und die Rückenschule sowie ggf. auch die Anpassung und Verordnung von Hilfsmitteln, wie z.B. spezielle Korsette oder Bandagen, was ebenfalls in unserer Klinik erfolgen kann. Psychologische Schmerztherapieverfahren wie das Autogene Training, die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson oder das Biofeedback sind eine sinnvolle Ergänzung der Gesamtstrategie, da sie zu einer muskulären Entspannung führen. Psychologische und psychotherapeutische Behandlungen sowie schmerzbewältigungsorientierte Sitzungen im Einzel- sowie Gruppensetting können besonders bei „psychosomatischen Rückenschmerzen“ angezeigt und erfolgreich sein, da verdrängte Konflikte und muskuläre Verspannungen Schmerzen hervorrufen und verstärken können. Abschließend führen wir eine intensive Sozialberatung seitens unseres Sozialtherapeuten bzw. Sozialarbeiters durch, um unseren Patienten Informationen zu speziellen sozialen Hilfen (z.B. Grad der Behinderung (GdB), Unterstützungen, Renten) zu geben und um bei der Beantragung von individuellen Hilfsleistungen, einer stufenweisen Wiedereingliederung oder einer Rente im Rahmen der möglichen Unterstützung behilflich zu sein. Schmerzklinik am Arkauwald Fachklinik für Spezielle Schmerztherapie und psychosomatische Schmerzerkrankungen Bismarckstr. 52 · 97980 Bad Mergentheim Tel.: 07931 545-0 · Fax: 07931 545-131 Kostenlose Beratungs-Hotline: 0800 7777 456 E-Mail: [email protected] www.schmerz.com © Schmerzklinik am Arkauwald · Druck und Vervielfältigung nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Schmerzklinik am Arkauwald · Stand: 04/2013 Gemeinsam gegen den Schmerz!