2500 cm2 Die ausgebreitete Fläche der menschlichen Grosshirnrinde entspricht etwa jener eines Gästehandtuchs. 53 Wissen sonntagszeitung.ch | 7. September 2014 10 Dass wir angeblich nur 10 Prozent unseres Gehirns nutzen, ist ein unausrottbarer Mythos (s. Buchtipp unten links: «Hirnrissig»). 20% unseres gesamten Energie- und Sauerstoffverbrauchs gehen zulasten des Gehirns, obwohl dieses nur 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht. 1 Trillion Man schätzt, dass das Gehirn 1 000 000 000 000 000 000 Rechenschritte pro Sekunde ausüben kann (1 Exaflop). Der schnellste Computer ist immer noch rund 30 mal langsamer. 9,5 Kilo Kilo wiegt das Gehirn eines Pottwals, das grösste Denkorgan im Tierreich. Zum Vergleich: das menschliche Gehirn bringt etwa 1,3 Kilo auf die Waage. 86 Mia Nervenzellen (Neuronen) besitzt das menschliche Gehirn. Und nochmals mindestens so viele Supportzellen (Glia). 23 Watt 780 000 km Mit bis zu dieser Leistung arbeitet das Gehirn. Zum Vergleich: Der Supercomputer Piz Daint hat eine Spitzenleistung von 2 000 000 Watt. beträgt die Gesamtlänge aller Nervenfasern des Menschen. Dies entspricht der Distanz Erde–Mond–Erde. 100 Billionen Synapsen (Verbindungen) gibt es mindestens im menschlichen Gehirn. Genau gezählt hat sie noch niemand. 160 000 Kilometer beträgt die Gesamtlänge aller Blutgefässe im Gehirn. Sie bringen den Sauerstoff punktgenau dorthin, wo er gebraucht wird. Schädlich oder allenfalls nutzlos 10 Tipps für ein gesundes Gehirn Alkoholexzesse oder Zucker muss man meiden. Ob Meditation hilft, ist umstritten Unser Hirn ist wie ein Muskel. Wenn man es nicht benutzt, verkümmern seine Zellen und Verbindungen. Wird es dagegen gefordert, blüht das Denkorgan richtig auf. Nik Walter hat die erfolgversprechendsten Rezepte für einen scharfen Geist und einen fitten Verstand zusammengestellt Neben all den Tätigkeiten, mit denen man seinem Gehirn etwas Gutes tun kann (s. rechts), gibt es auch etliche andere Dinge, die unserem Denkorgan nicht viel nützen oder gar schaden. Zu letzter Kategorie zählen diverse Vertreter aus der Sparte Lebensmittel, etwa Zucker. Wer zu viel Süssigkeiten oder eben Zucker konsumiert, erhöht nicht nur sein Risiko für Herzleiden, Diabetes und Krebs, sondern beeinträchtigt auch das Funktionieren des Gehirns, etwa des Gedächtnisses. Schlecht fürs Hirn sind definitiv auch Alkoholexzesse. Wer sich regelmässig die Birne volllaufen lässt, hat eine verminderte Aufmerksamkeit, ein reduziertes Gedächtnis und trifft schlechtere Entscheidungen. Zudem riskieren Bingetrinker einen beschleunigten geistigen Verfall später im Leben. Ebenfalls auf die Negativliste fürs Gehirn gehören frittierte Speisen, wenn sie übermässig konsumiert werden, und Junkfood ganz allgemein. Aus Tierexperimenten weiss man, dass schon fünf Tage Junkfood zu erheblichen Gedächtnisproblemen führen kann. Ob dies auch beim Menschen der Fall ist, sei dahingestellt, aber man muss sich ja nicht gleich selber zum Versuchskaninchen machen. Gehirnjogging macht nicht intelligenter Nicht schädlich, aber auch nicht in dem Ausmasse nützlich, wie oft und gern propagiert, ist das sogenannte Gehirnjogging. Mittlerweile buhlen unzählige kommerzielle Anbieter mit Slogans wie «Lassen Sie Ihr Gehirn wachsen» (Neuronation) oder «Erhöhen Sie Ihre Gehirnleistung» (Memorado) um die Gunst all jener, die sich von solchen Programmen einen höheren IQ oder ein Supergedächtnis erhoffen. Keine Frage: Wer gängige Gehirnjoggingaufgaben wie Klötzchen sortieren, Gleichungen lösen oder Wörter erkennen löst, der trainiert sein Hirn. Das schadet bestimmt nicht, sondern gehört in die Kategorie «Halten Sie Ihre graue Zellen auf Trab» bei den «10 Tipps für ein gesundes Gehirn». Nur wird man mit solchen Übungen zwar immer besser im Klötzchen sortieren oder Wörter erkennen, aber nicht generell intelligenter (wie es Gehirnjogginganbieter oft suggerieren). Intelligenter würde man, wenn es einen «fernen Transfereffekt» gäbe. Dann könnte man zum Beispiel dank Übungen, welche die Konzentrationsfähigkeit steigern, auch kreativer schreiben. Nur: Bislang konnte noch keine unabhängige wissenschaftliche Studie einen solchen fernen Transfereffekt beobachten, wie der Hirnforscher Henning Beck in seinem neuen Buch «Hirnrissig» schreibt (siehe unten): «Es klappt also nicht, erst Obst und Gemüse am Computer in Kästchen zu sortieren und sich dann im Supermarkt besser zurechtzufinden.» Unklar ist auch, ob man mit Meditation seine Hirnleistungen steigern kann. Die Datenlage spricht eher dagegen. So fand 2007 eine Analyse von über 800 Meditationsstudien keine Hinweise für kognitive Verbesserungen. Möglicherweise verändert Meditation das Gehirn nur kurzfristig. Diese Effekte verschwinden aber wieder, wenn man aufhört zu meditieren. Ähnlich ist es mit der Handschrift. Diverse Studien deuten an, dass Handschrift mehr Gehirnareale beschäftigt als simples Tippen am Computer. Allerdings steht der Beweis für einen nachhaltigen Nutzen der Handschrift fürs Gehirn noch aus. Nik Walter Spielen Sie ein Musikinstrument Es gibt wohl kaum eine Tätigkeit, die das Gehirn dermassen als Ganzes fordert wie das Spielen eines Musikinstruments. Dabei lernt man die Bewegungen der Finger zu kontrollieren und koordinieren, bei Blasinstrumenten auch die Atmung, zudem müssen die Melodien und Rhythmen analysiert und kombiniert werden, damit wir eine musikalische Erfahrung machen können. Für alle diese Prozesse arbeiten unzählige Hirnareale zusammen, und zwar in beiden Hirnhälften. Das zahlt sich aus. Profimusiker haben nicht nur mehr Hirnmasse, sondern auch mehr Verbindungen zwischen den Nervenzellen als Nichtmusiker. Wer zehn Jahre oder länger ein Instrument spielt, schneidet zudem bei Gedächtnistests und beim Benennen von Objekten besser ab als jemand, der weniger lang Musik macht, und viel besser als Nichtmusiker. Vor allem aber scheint Musikunterricht in jungen Jahren noch Jahrzehnte später vor geistigem Verfall zu schützen. Selbst, wer erst als Betagter ein Instrument lernt, tut seinem Gehirn etwas Gutes. Treiben Sie Sport Spielen Sie Action-Videogames Lernen Sie ein Leben lang (Fremdsprachen) Wer sich bewegt, tut Gutes für den Körper – aber auch für den Geist. Mittlerweile belegen zahlreiche Studien, dass regelmässiges körperliches (Ausdauer)-Training letztlich auch ein Hirntraining ist, und zwar unabhängig vom Alter. So regt Sport die Bildung neuer Hirnzellen an, vor allem im Hippocampus, der zentralen Gedächtnis-Schaltstelle; Bewegung vermindert auch chronische Entzündungen und die Insulinresistenz. Das bedeutet: Wer regelmässig Sport treibt, ist geistig fitter, hat ein besseres Gedächtnis und kann den geistigen Abbau im Alter verlangsamen. Dass man Shooter-Games auf der Liste der Dinge findet, mit denen man das Gehirn auf Vordermann bringen kann, überrascht auf den ersten Blick. Doch zumindest teilweise ist das der Fall. Wer regelmässig Action-Videogames wie «Medal of Honor» oder «Call of Duty» spielt, verbessert die Aufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis, ebenso wie das räumliche Vorstellungsvermögen. Dies haben Forscher der Universität Genf in mehreren Experimenten mit unerfahrenen und erfahrenen Computerspielern herausgefunden. ShooterGames sind vermutlich sogar effizienter also so manches kommerzielle Gehirnjogging-Programm (siehe links). «Use it or lose it» – nach diesem Motto funktioniert auch das Gehirn: «Benütze es, oder verliere es.» Ist das Gehirn aktiv, produziert es ständig neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Das hilft dem Denkapparat, Inhalte besser abspeichern und wieder abrufen zu können. Besonders aktiv ist das Hirn, wenn es etwas Neues lernt, etwa ein neues Handwerk, eine Sportart oder vor allem: eine Fremdsprache. Zahlreiche Studien deuten sogar darauf hin, dass das Erlernen einer Fremdsprache das Hirn schützt, indem es etwa den Alterungsprozess verlangsamt. So schneiden Menschen, die zwei Sprachen beherrschen, bei kognitiven Tests besser ab und entwickeln im Schnitt erst vier bis fünf Jahr später Alzheimer als Menschen, die nur ihre Muttersprache beherrschen. Der IQ spielt dabei keine Rolle, auch nicht, in welchem Alter man eine zweite Sprache lernt. Trinken Sie Kaffee Koffein ist das weltweit am häufigsten konsumierte Hirnstimulans. Es blockiert den dämpfenden GehirnBotenstoff Adenosin und fördert so die Ausschüttung von stimulierenden Botenstoffen wie Dopamin. Kurzfristig wirkt Kaffee daher leistungsfördernd, das braune Getränk verbessert die Stimmung, das Gedächtnis und generell die kognitiven Leistungen. Auch langfristig scheint Kaffee positive Effekte aufs Gehirn zu haben. Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen, die regelmässig Kaffee trinken, seltener an Parkinson und Demenzleiden wie Alzheimer erkranken. Eine Studie von Forschern der Harvard University kam zudem zum Schluss, dass Frauen, die regelmässig Kaffee trinken, 20 Prozent seltener an Depressionen erkranken als Kaffee-Abstinente. Aber Achtung: Koffein ist eine psychoaktive Substanz (siehe Hirndoping) und hat als solche auch Nebenwirkungen, zum Beispiel leichte Schlaflosigkeit, erhöhte Herzfrequenz und Kopfschmerzen – vor allem bei Kaffee-Entzug. Pflegen Sie soziale Kontakte Wer häufig andere Menschen trifft und sich mit ihnen austauscht oder wer gerne und viel telefoniert, der hält sein Hirn auf Trab. Soziale Interaktionen sind eine Form von mentalem Training, denn mit Menschen umzugehen, kann recht herausfordernd sein. Ähnlich wie bei anderen geistigen Stimulationen, etwa beim Lesen oder Rommé-Spielen, schützt man sein Hirn beim zwischenmenschlichen Austausch. Wer nur zehn Minuten pro Tag mit einer anderen Person spricht, verbessert laut einer US-Studie die Gedächtnisleistung. Lesen ist mit das beste Hirndoping – wir empfehlen diese drei neuen Bücher rund ums Thema Gehirn 20 Mythen, unterhaltsam zerpflückt «Das Gehirn rechnet wie ein perfekter Computer» oder: «Wir nutzen nur 10 Prozent unseres Gehirns». Das sind nur zwei von vielen Mythen, die sich um unser Gehirn ranken. In dem Buch «Hirnrissig» zerpflückt der Neurobiologe und Science-Slammer Henning Beck äusserst unterhaltsam 20 dieser Mythen. «Schnallt Euch an, ihr Neuromythen, die Hirnfoschung schlägt zurück!» Hanser, 27.90 Fr. Halten Sie Ihre grauen Zellen auf Trab Dopen Sie Ihr Hirn (oder besser wohl doch nicht) So bringt man das Hirn auf Touren Wie konstruiert unser Gehirn unsere Realität? Was passiert im Gehirn, wenn Sie diese Zeilen lesen? Solche Fragen behandelt die Gedächtnisweltmeisterin Christiane Stenger in ihrem Buch «Lassen Sie Ihr Hirn nicht unbeaufsichtigt». Sie gibt Tipps, wie sie den Alltag effizienter gestaltet, konzentrierter arbeitet und dabei erst noch entspannter ist. Campus, 27.90 Fr. Illustration: Thierry Zaugg/Bediff Auf dem Weg zum superklugen Menschen Werden wir durch Neuro-Enhancement klüger, wacher, effizienter? Dieser Frage geht die Wissenschaftsjournalistin Wiebke Rögener in ihrem anregenden Buch «Hyper Hirn» nach. Sie nimmt darin «hirndopende» Medikamente und illegale Drogen unter die Lupe und zeigt den Stand der Forschung zu implantierten Chips und genetisch optimierten, superklugen Menschen auf. Reinhardt, 29.90 Fr. Diverse gängige Medikamente sind «psychoaktiv», sie beeinflussen also direkt den Stoffwechsel im Gehirn. Einige davon sollen helfen die geistige Leistung zu steigern, indem man sich besser konzentrieren oder sich Dinge besser merken kann. Solche Mittel – umgangssprachlich als Gehirndoping oder kognitive Verbesserer bekannt – sind daher, besonders in den USA, vor Prüfungen bei Studierenden beliebt. In diese Kategorie fallen Psychostimulantien wie etwas das ADHS-Medikament Ritalin oder illegale Drogen wie Speed. Sie erhöhen die Menge des Hirnbotenstoffs Dopamin. Vermutlich ähnlich funktioniert der Wachmacher Modafinil, ebenfalls sehr beliebt. Doch auch Antidepressiva, Demenzmedikamente, Betablocker und auch Ginkgo-Extrakte werden gerne als Hirn-Stimulantien eingesetzt. Ärzte raten aber Gesunden von den leistungsfördernden Medikamenten ab. Denn die möglichen Nebenwirkungen überwiegen in der Regel den potenziellen Nutzen. Dazu zählen Schlaflosigkeit, Ängstlichkeit, Kopfschmerzen, Depressionen und sogar Psychosen. Vor allem aber kennt man die Langzeitfolgen der stimulierenden Medikamente auf ein gesundes Gehirn nicht. Schlafen Sie genügend Ausreichend Schlaf ist für das Funktionieren des Gehirns absolut zwingend. Denn im Schlaf ruhen die Hirnzellen nicht etwa, sondern sie sind teilweise sogar höchst aktiv. Vor allem Neuronen im Hippocampus arbeiten auf Hochtouren. Diese seepferdchenförmige Struktur im Schläfenlappen ist dafür zuständig, dass Inhalte aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis verschoben werden. Und das passiert im Schlaf. Vor allem beim Lernen sollte man also auf genügend Schlaf achten. Schon ein kurzer Mittagsschlaf hilft übrigens, dass man sich danach an das vorher Gelernte besser erinnert. Füttern Sie Ihr Gehirn Dies vorneweg: Auch mit der besten Ernährung werden Sie nicht schlauer. Allerdings gibt es schon ein paar Lebensmittel respektive Inhaltsstoffe, die besonders gut geeignet sind, das Gehirn zu «schmieren», und die möglicherweise sogar auch darüber hinaus positive Effekte haben. Dazu zählen Nahrungsmittel, die reich sind an sogenannten Omega-3-Fettsäuren, etwa Lachs oder Sardinen, Nüsse oder Leinsamen. Sie helfen, die Zellmembranen im Gehirn geschmeidig zu halten. Diverse Studien deuten zudem an, dass Omega-3-Fettsäuren auch den geistigen Verfall verlangsamen und möglicherweise auch die Bildung neuer Nervenzellen anregen. Vermutlich ebenfalls wertvoll fürs Gehirn sind sogenannte Polyphenole. Diese Substanzen findet man in Heidelbeeren (auch «brainberries» genannt), Curry (Curcumin), Rotwein (Resveratrol) oder dunkler Schokolade (Flavonoide). Die genaue Wirkungsweise der Polyphenole kennt man nicht, möglicherweise regen sie die Bildung von Wachstumsfaktoren an oder fördern die Durchblutung. Wenn man einen Muskel nicht benützt, verkümmert er ziemlich schnell. Das Gleiche gilt fürs Hirn. Halten Sie also Ihre grauen Zellen auf Trab: Lesen Sie Bücher oder Zeitungen (am besten natürlich die Wissen-Seiten in der SonntagsZeitung), reisen Sie, putzen Sie die Zähne mit ihrer schwachen Hand, besuchen Sie Museen, rechnen Sie im Kopf (anstatt mit dem Smartphone), gehen Sie tanzen, spielen Sie Schach oder lösen Sie Sudokus oder Kreuzworträtsel. Und machen Sie vor allem von all dem etwas, fordern Sie Ihr Hirn auf verschiedene Weise! Intelligenter wird man damit in der Regel zwar nicht, aber wer bis ins Alter geistig aktiv bleibt, kann zum Beispiel das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, deutlich mindern.