TECHNIK 5 * Markus Läubli Heizen und Kühlen ohne Energieverbrauch? 1 ISOLIERGLÄSER MIT PCMLATENTWÄRMESPEICHER 1 Gerade in Zeiten der Energieressourcenverknappung gilt es den Energiehaushalt von Gebäuden zu optimieren. Dabei spielt die Ausbildung der Fassade eine zentrale Rolle. Die rasante Entwicklung der Isolierglasbeschichtungen der letzten 15 Jahre ermöglicht heute den Bau vollverglaster Bürogebäude mit grosser Transparenz, Leichtigkeit und Klarheit wie es von vielen Architekten gewünscht wird. Neueste Erkenntnisse zeigen, dass sich unabhängig vom Energiekonzept der Kühlbedarf bei einer verbesserten Gebäudedämmung erhöht.2 Selbst tiefe g-Werte z.B. bei Sonnenschutzgläsern und Sonnenschutzvorrichtungen erwärmen ein Gebäude im Verlaufe eines Tages in den Monaten März bis Oktober übermässig. * Markus Läubli dipl. Architekt FH Verkaufsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung GLASSX AG CH-8005 Zürich Ziel eines jeden Planers müsste es sein, mit möglichst wenig Energieaufwand die im Winter einfallende Wärme bis tief in die Nacht und die kühle Nachttemperatur im Sommer bis weit in den Tag in den Räumen und Materialien zu behalten. Während im Massivbau die Aussenmauern ein hohes Speichervermögen aufweisen, fehlt dies bei Glas- und Holzbauten mit Leichtbauinnenwänden fast gänzlich. Latentwärmespeicher oder auch Phasenwechselmaterialien PCM (engl. Phase Change Material) genannt bieten gerade für Leichtbaugebäude mit wenig Masse ungeahnte Möglichkeiten. Seit Jahrtausenden wird Eis im Sommer zum Kühlen von Lebensmitteln verwendet. 1948 entstanden erste Versuchsgebäude mit Speicherräumen, die mit Glaubersalz gefüllt wurden.1 Zurzeit erfahren PCM-Latentspeicherprodukte grossen Aufschwung. Die 2004 gegründete Firma GLASSX mit Sitz in Zürich bietet mit dem Produkt GLASSXcrystal erstmals ein Isolierglas mit PCMLatentspeicher an. Dieses passive System soll auf eine einfache Art die Behaglichkeit der Räume für den Aufenthalt von Menschen erhöhen. GLASSX entwickelt und vertreibt neuartige Produkte für den Fassadenbau, die das Energie- und Behaglichkeitsproblem bereits in der Fassade, ohne eine komplizierte und energieintensive Haustechnik, lösen. Die Funktionsweise und erste Anwendungen Überall, wo sich Menschen hinter Gebäudefassaden aufhalten, gilt der Behaglichkeit ein besonderes Augenmerk. Dies betrifft vor allem den winterlichen wie auch den sommerlichen Wärmeschutz. Während im Winter die Oberflächentemperatur an der Fassade (Kaltluftabfall bei grossen Isolierglasflächen) eine entscheidende Rolle spielt, ist es im Sommer die maximal zulässige Raumtemperatur, die es einzuhalten gilt. Isoliergläser mit PCM-Latentspeicher können dabei einen entscheidenden Beitrag leisten. Die Funktionsweise kann wie folgt umschrieben werden: Eine Schicht von Salzkristallen speichert die Wärme der einstrahlenden Sonne und gibt diese phasenverschoben an den Innenraum ab. Ein zusätzlich implementiertes Prismenglas lässt die Sonnenstrahlung nur bei flachem EinstrahlungsFASSADE FAÇADE 4/ 2005 6 TECHNIK winkel passieren (also im Winter) und schützt sonst den Raum vor Überhitzung. Auf diese Weise nutzt und speichert das Isolierglaselement die Kraft der Sonne und schützt zugleich vor ihr. Oder auf den Punkt gebracht: ein Bauelement, das speichert, wärmt und kühlt. Am selben Ort, zur richtigen Zeit. Der vertikale Einsatz in der Fassade (Isolierverglasung) substituiert die komplette Aussenfassade. Verglichen mit im Dach eingebauten Sonnenkollektoren oder einer auf dem Dach aufgeständerten Photovoltaikanlage ist dies ein entscheidender Kostenvorteil. Im Wohnungsbau sind die ersten Referenzobjekte erstellt. Der Prototyp aus dem Jahre 2000, ein eingeschossiges Einfamilienhaus, ist ein preisgekröntes Forschungsprojekt des BFE (Bundesamt für Energie) und steht in Ebnat-Kappel (CH). Die Südseite besteht aus den transluzenten Isoliergläsern mit PCM-Latentwärmespeichern im Wechsel mit herkömmlichen Isoliergläsern. 2004 wurden in Domat/Ems (CH) 20 Alterswohnungen den Benutzern übergeben. Mit 148 m2 GLASSXcrystal ist die Südfassade als gewinnbringende Solarfassade ausgelegt. Zurzeit läuft für die Nullenergie-Wohnüberbauung in Winterthur das Baueingabeverfahren für insgesamt 136 Wohneinheiten. Zur Deckung des Heizenergiebedarfs sind ca. 1350 m2 GLASSXcrystal vorgesehen. GLASSX arbeitet daran, die sehr positiven Erfahrungen im Wohnungsbau auch bei Bürogebäuden mit einem hohen Glasanteil anzuwenden. Für nachhaltig denkende Investoren gilt es speziell bei Bürogebäuden die Gesamtenergiebilanz zu betrachten. Innovative Gebäudekonzepte und konkurrenzfähige Baukosten sind heute keine Gegensätze mehr. Einscheibensicherheitsglas mit Low-E Einscheibensicherheitsglas mit vollflächigem Siebdruck Prismenglas als Überhitzungsschutz PCM-Latentwärmespeicher aus Salzhydrat (fest/flüssig) Hochstehende Sommersonne ≥ 40º Flache Wintersonne ≤ 35º Wärmeabgabe 2 3 FASSADE FAÇADE 4/ 2005 Problematik moderner Gebäude mit einem hohen Isolierglasanteil Moderne Isoliergläser bestechen mit tiefen ugWerten sowie tiefen g-Werten bei relativ hoher Lichttransmission. Trotzdem stellt ein g-Wert von 15% im Sommer bei einem Gesamtenergieeintrag von ca. 1000 W/m2 (aussen auf der Glasoberfläche) eine nicht zu unterschätzende Energiemenge dar. Zusammen mit den internen Lasten entsteht sehr rasch eine hohe Kühllast, die teilweise über dem Energiebedarf der Heizung liegt. Aktuell sind viele Isoliergläser mit veränderbaren g-Werten in den Entwicklungsphasen. Demgegenüber bietet das Isolierglas mit PCMLatentspeicher und dem integrierten Überhitzungsschutz (GLASSXcrystal) als eines der ersten Produkte am Markt einen variablen g-Wert zwischen 15 und 40%. TECHNIK 7 Betrachtet man nochmals die Gesamtenergiebilanz, fällt bei Gebäuden mit einem hohen Glasanteil auch die Beleuchtungsenergie stark ins Gewicht. Zum Schutz der Benutzer muss der entsprechende Sonnenschutz sehr früh bedient werden, was die künstliche Beleuchtung auch bei einem sonnigen Tag erfordert. Gebäudesimulationen zeigen, dass ein Sonnenschutzsystem, das von unten nach oben geführt wird und zudem noch mit Lichtlenkungslamellen ausgestattet wird, sich bezüglich Kühllast und natürlicher Beleuchtung sehr positiv auswirkt. Werden Isoliergläser mit Latentspeicher und integriertem Überhitzungsschutz im Brüstungsbereich eingesetzt, erzielt man einen permanenten Sonnenschutz (g-Wert von 17%), zusammen mit einer höheren Behaglichkeit bei Fensterarbeitsplätzen durch die Strahlungswärme im Winter. Bei Messungen konnte festgestellt werden, dass der PCM-Latentwärmespeicher im Sommer passiv das Kühlen unterstützt. Tagsüber nimmt der Speicher Energie auf, die Salzhydratlösung wird dabei teilweise aufgeschmolzen. In den Abendstunden und in der Nacht kristallisiert der Speicher durch die Nachtauskühlung des Gebäudes und ist frühmorgens wieder bereit für den nächsten Wärmeeintrag tagsüber. Systeme, Produkte und Preise Im Bauwesen werden aktive und passive Systeme eingesetzt. Bei aktiven Systemen wird die Geschwindigkeit des Entladens durch gezielte Zufuhr von Kühlenergie gesteuert. Die Erstarrung des PCM erfolgt durch eingelegte Wasserrohre oder durch kühle Luft, die mit Kleinstventilatoren bei geringem Stromverbrauch über die Elemente geführt wird.1 Bei passiven Systemen erfolgt die Abgabe der Kristallisationswärme als Strahlungswärme und an die das Bauteil umströmende Raumluft. Im Winter kann die Abwärme über die kontrollierte Lüftung mit dem Wärmetauscher zusätzlich für das Aufwärmen der Frischluft genutzt werden. Zurzeit bietet GLASSX drei verschiedene Produkte an: – GLASSXcrystal mit integriertem Speicher und Überhitzungsschutz – GLASSXcomfort mit integriertem Speicher (für Gebäude mit durchgehendem aussenliegendem Sonnenschutz) – GLASSXreflect mit integriertem selektiven Überhitzungsschutz (für Gebäude mit ausreichend massivem Speicher, z.B. bei Gebäudesanierungen und zur Lichtlenkung). Diese drei Produkte sind analog handelsüblicher Isoliergläser einbaubar bei einer Lieferfrist von Einscheibensicherheitsglas mit Low-E Einscheibensicherheitsglas mit vollflächigem Siebdruck Prismenglas als Überhitzungsschutz PCM-Latentwärmespeicher aus Salzhydrat (fest/flüssig) Hochstehende Sommersonne ≥ 40º Flache Wintersonne ≤ 35º Wärmeabgabe 4 sechs bis acht Wochen. Die Preise entsprechen den auf dem Markt erhältlichen Isoliergläsern mit zusätzlich integrierten Funktionen oder einem Brüstungselement aus Glas mit zusätzlicher Isolation und Dampfsperre. men mit hohem Komfort aufwarten und auf allen Ebenen lange Freude bereiten. Fazit Im Baukasten der Architekten und Fassadenplaner sind Isoliergläser mit PCM-Latentspeicher verfügbar, mit denen die Behaglichkeit und die Energieeffizienz auch bei Gebäuden mit hohem Glasanteil erhöht werden kann. Die Nutzung der erneuerbaren, solaren Energie wird bei zunehmender Energieverknappung immer wichtiger und interessanter. Künftig können so z.B. Bürogebäude für die Benutzer und unsere Nachkom- Anmerkungen [1] Kaltenbach, F. Artikel PCM-Latentwärmespeicher, Zeitschrift DETAIL 2005/6 Solares Bauen [2] Gasser, B. und Kegel, B. Artikel Gebäudetechnik: Faktor 10, Zeitschrift Bau & Architektur Nr. 4. September 2005 FASSADE FAÇADE 4/ 2005 8 TECHNIK 1 Isolierglasfassade mit PCM-Latentwärmespeicherelementen beim Objekt Alterswohnungen in Domat/Ems (CH). 2 Hoch stehende Sommersonne > 40° Totalreflexion der Strahlung g-Wert 17% (GLASSXcrystal) 3 Salzkristalle speichern die solaren Gewinne. 4 Flache Wintersonne < 35° Verlustfreier Durchgang der Strahlung g-Wert 40% (GLASSXcrystal) 5 Aussenansicht von zwei Elementen mit integriertem Prismenglas als Überhitzungsschutz. 6 Innenansicht der Isolierglasfassade mit PCM-Latenwärmespeicherelementen. Lichttransmission im Winter bei flüssigem Aggregatzustand und vollflächig weissem Siebdruck. 5 6 7 Detailansicht des Prismenglases als Überhitzungsschutz. Bildnachweis: Bilder 1, 5, 6, 7 Gaston Wicky, Zürich Bilder 2, 4 GLASSX AG, Zürich Bild 3 Günter Laznia FASSADE FAÇADE 7 4/ 2005