Text - Schauspiel Stuttgart

Werbung
11.
11. • Wir sind viele und reiten ohne Pferd
Gegen die eigene
Gemütlichkeit vorgehen
Die Dramaturgin Beate Seidel im Gespräch
mit Martin Heckmanns, dessen neuester Theatertext
»Wir sind viele und reiten ohne Pferd«
als Auftragsarbeit für das Schauspiel Stuttgart entstanden ist
und am 20. Mai im NORD zur Uraufführung kommt.
Beate Seidel: Dein Stück beschäftigt sich mit einer der
Widerstandsbewegungen des letzten Jahres, genauer der
»Occupy«-Bewegung. Was interessiert dich daran?
Martin Heckmanns: Allein das Wort Bewegung hat
schon einen Sog, dass ich gerne dabei wär. Und im Anschluss sofort die Frage, wie eine Bewegung organisiert
sein müsste, dass man sich ihr anschließt oder besser noch
unterwirft, damit man weg kommt von seinen Privatproblemen und sich bewegen lässt von Fragen, die nicht immer
nur das eigene Wohlbefinden betreffen.
Ich finde auch die Selbstermächtigung der Sprecher bei
Protest-Zusammenkünften interessant, für andere sprechen zu wollen, ohne den offiziellen Jargon zu beherrschen
und die Suche nach alternativen Ausdrucksformen. Da ist
das Stück auch ganz schlicht eine Solidaritätsadresse. Denn
darum geht es ja bei »Occupy« erst einmal, eine wachsende
Öffentlichkeit herzustellen, die sich traut, neu und unfertig
über diese großen Fragen nach Gleichheit und Gerechtigkeit nachzudenken. Ich fände es falsch, wenn sich das Theater als Versammlungsort nicht auch davon bewegen ließe.
Beate Seidel: Worin liegt für dich in Betrachtung des
stattfindenden Diskurses das dramatische, das bühnentaugliche Potential?
Martin Heckmanns: Sitzen und miteinander reden sind
ja erst einmal keine herausragend dramatischen Vorgänge.
Das kann man gut sehen angesichts der Zeltlager in Frankfurt zum Beispiel. Aber demokratische Willensbildung ist
wahrscheinlich immer weniger dramatisch als Königskämpfe. Das heißt ja nicht, dass man nur noch Familiendramen schreiben sollte oder Märchen vom bösen König und
vom armen Tropf.
Es geht bei »Occupy« um die Besetzung öffentlicher Räume, und im Stück wird der öffentliche Raum Theater besetzt.
Und es kommt die Frage auf, was das Theater leisten kann
in diesen Debatten oder ob Kunst vielleicht eher stört in diesem Zusammenhang. Und dass auch noch der Widerstand
gegen die Kunst in diesem Raum immer Kunst bleibt. Das ist
ja ein alter Horror, dass Kunst so gerne Leben wäre oder Politik und doch immer Kunst bleibt. Oder die Wechselwirkungen zumindest unscharf bleiben. Und dann wird natürlich
jeder, der in der Öffentlichkeit das Wort ergreift, zum Darsteller. Und wie sich ein Miteinander entwickelt aus diesen
Einzeldarstellungen und wie dieses Miteinander aussehen
könnte und wann sich Zuschauer eingeladen fühlen, das finde ich dann wiederum doch bühnenrelevante Fragen.
Die Poesie als eine
offene Form der
gemeinsamen Suche nach
einer lebendigen Sprache
Was leider fehlt für den dramatischen Konflikt, ist der
eindeutig identifizierbare Gegenspieler der Bewegung. Das
führt im Stück zu den Selbstzerstörungsprozessen, die ja
auch recht häufig sind in Protestbewegungen und Künstlergruppen, wenn der Feind sich nicht wehrt oder sich nicht
einmal angesprochen fühlt.
Beate Seidel: Es gibt verschiedene Positionen in deinem
Stück, ganz vereinfacht gesagt stößt zum Chefideologen,
der Widerstandsromantikerin und dem Sophistiker der »kritische Intellektuelle«, der die »Widerstandszelle« einer Prüfung in eigener Sache unterzieht. Gibt es eine Position, der
du dich am Nächsten fühlst?
dran werkeln kann. Insofern bin ich der Dramaturgie hier in
Stuttgart dankbar, auf das Thema gebracht worden zu sein,
weil es das Schreiben zwingt, sich zu öffnen und sich auch
wieder der Frage zu stellen, welche Hoffnungen denn überhaupt mit dem Theater oder der Literatur verbunden sind,
die über Unterhaltung hinausgehen.
Martin Heckmanns: Mich interessiert eigentlich am
meisten das Wir in dem Stück. Und auch die Protagonisten
wehren sich ja immer wieder gegen ihre Typisierung und
ihren Selbstoptimierungszwang. Das scheint mir für gegenwärtige Bewegungen auch eine zentrale Schwierigkeit, wie
bei fortschreitender Individualisierung noch ein kraftvolles
Miteinander entstehen kann, das Piraten-Partei-Problem.
Im Stück gibt es deshalb diese Suche nach Slogans und Ritualen und nach Formen, in denen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entsteht: singen, gemeinsam schweigen
oder streiken. Spielen als täte man nichts. Oder die Poesie
als eine offene Form der gemeinsamen Suche nach einer
lebendigen Sprache. Auch wenn damit vielleicht kein Staat
zu machen ist.
Beate Seidel: Welche Wünsche hat ein Autor an die Uraufführung seines Stücks?
Beate Seidel: Gibt es deiner Ansicht nach gemeinsame
Potentiale in den verschiedenen Bewegungen, die in den
letzten Jahren an den Fugen der bestehenden Weltordnung
gerüttelt, sie manchmal sogar verändert haben? Und worin
liegen für dich die Unterschiede?
Martin Heckmanns: Ich habe vor ziemlich genau zehn
Jahren ein Stück über »Attac« geschrieben und beim Wiederlesen war ich erstaunt, wie viele der damaligen Positionen sich heute bei »Occupy« wiederfinden lassen bis hin zu
konkreten Forderungen wie der Transaktionssteuer. Auch
diese Auseinandersetzungen und Abstufungen der Radikalität innerhalb der Bewegungen zwischen Reformern bis Anarchisten kehren in Variationen immer wieder, habe ich den
Eindruck. Und dabei auch die Frage, wie stark man selbst
involviert ist in das, was man gerade zu bekämpfen glaubt.
Die Unterschiede in den Bewegungen liegen sicher in der
persönlichen Betroffenheit. Globalisierung oder Finanzkrise betreffen den Bundesbürger anders als einen autoritären
Herrscher der arabische Frühling. Das macht die Widersprüche hier abstrakter und die Bewegungen heterogener
und auch kraftloser wahrscheinlich.
Beate Seidel: Welche Rolle spielen solch prononciert
politische Themen für dich beim Schreiben?
Martin Heckmanns: Es kostet mich erst einmal Überwindung, Worte wie Transaktionssteuer oder Leerverkauf
zu verwenden. Da geht es mir wie den Protagonisten im
Stück oder denen der Bewegung, die ja auch zum größeren
Teil eine geisteswissenschaftliche Herkunft haben. Aber ich
finde es hier wie dort richtig, gegen die eigene Gemütlichkeit vorzugehen. So wie ich es richtig finde, dass das Schreiben sich schmutzig macht und zu seiner Unzulänglichkeit
und Unfertigkeit steht in der Auseinandersetzung mit ökonomischen Prozessen, die ja selbst den Handelnden in diesen Prozessen ständig über den Kopf wachsen. Wenn es um
Aufbruch gehen soll, muss auch der Text aufbrechen und
da kann ein Theaterstück nur Fragment werden, aber das
Fragment ist ja immer auch Aufforderung, dass jeder weiter
Martin Heckmanns: Ich wollte immer schon mal diese
berühmte Regieanweisung von Elfriede Jelinek benutzen
können: »Macht was ihr wollt«. Damit durch diese Freiheit
die Wahrscheinlichkeit größer wird, dass eine Aufführung
zu einer lebendigen Veranstaltung wird, wenn der Text von
den Beteiligten nicht als eine fremde Vorschrift empfunden
wird, die man zu erfüllen hat. Und das wäre mein Wunsch,
dass sich Spieler und Zuschauer eingeladen fühlen. Konkret
würde ich mich freuen bei Wir sind viele und reiten ohne
Pferd, wenn die wesentlichen Aspekte des Titels in der Inszenierung eine spürbare Kraft entwickeln: Vielgestaltigkeit, Miteinander, Bewegung, Haltlosigkeit. Wir sind Tote
auf Urlaub, heißt es im Stück, und der Gedanke macht mir
immer gute Laune, weil man auf Urlaub andere Freiheiten
hat und plötzlich vieles leichter wird.
Die Faust im Logo als
Aufforderung, dass das
Theater ein Ort des
Aufbegehrens bleibt
Beate Seidel: Unser Theater ist zum zweiten Mal der
Uraufführungsort eines deiner Stücke. Du hattest 2008 hier
Premiere mit Wörter und Körper. Gibt es etwas, was dich
mit diesem Haus verbindet?
Martin Heckmanns: Meine wichtigste Verbindung zum
Haus war Eva Heldrich, auch weil sie mich am Anfang des
Schreibens fürs Theater sehr gefördert und unterstützt hat,
unter anderem auch bei dem »Attac«-Stück. Eva hatte ein
außergewöhnliches Gespür sowohl für lyrische als auch für
kämpferische Aspekte in Texten. Seit ihrem Tod scheint mir
der kämpferische Aspekt am Haus stärker prononciert. Ich
schätze die Ernsthaftigkeit des Theaters hier, die Loyalität
und das Vertrauen in der Zusammenarbeit, und auch wenn
ich die Faust im Logo am Anfang eher befremdlich fand,
finde ich sie inzwischen als Aufforderung und Erinnerung
genau richtig, dass das Theater ein Ort des Aufbegehrens
bleibt. Und wenn auch nur im Spiel.
Wir sind viele und reiten ohne Pferd
von Martin Heckmanns
Regie: Marc Lunghuß, Bühne: Martin Dolnik,
Kostüme: Jennifer Thiel, Dramaturgie: Beate Seidel
Mit: Jonas Fürstenau, Marlène Meyer-Dunker, Lukas
Rüppel, Bijan Zamani
Uraufführung am 20. Mai 2012 // 20:00 Uhr // NORD
Martin Heckmanns
Foto: Andrej Glusgold, www.glusgold.com
24
Das Journal Mai/Juni/Juli 2012
25
Herunterladen