VL08.informierte Zustimmung

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Medizin & Ethik: Informierte Zustimmung,
Gendiagnostik und Organspende
LV Moralpsychologie
WS 2016/17
Peter Wiedemann
Übersicht
• Informierte Zustimmung (informed consent)
• Brustkrebs Screening
• Organspende
Informierte Zustimmung
Ärztliche Behandlung - Ethische Grundsätze
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Autonomie, Würde
Wohlergehen & Fürsorge
Nicht-Schaden
Gerechtigkeit
Ehrlichkeit und Transparenz - >
★Informierte Zustimmung
Aufklärung und Einwilligung bei ärztlichen Eingriffen
Dtsch Arztebl 2007; 104(9): A-576 / B-507 / C-488
Wiedemann
Autonomie
• Selbstbestimmung - Verbot des
Paternalismus
• Patienten sollten selbst entscheiden
• Einschränkung: Dürfen sich nicht
selbst schaden
Aber:
Zuweilen wollen das die
Patienten nicht.
Zuweilen können die Patienten
das nicht.
Informierte Zustimmung
Verständnis der Information
• Welches Problem liegt vor?
• Welche Handlungsoptionen gibt es?
• Was sind die Konsequenzen?
• Was sind die Risiken? Welcher Nutzen?
It is generally accepted that complete informed consent includes
a discussion of the following elements:
* the nature of the decision/procedure
* reasonable alternatives to the proposed intervention
* the relevant risks, benefits, and uncertainties related to each
alternative
* assessment of patient understanding
* the acceptance of the intervention by the patient
http://depts.washington.edu/bioethx/topics/consent.html#ques2
Informierte Zustimmung
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Erläuterung der relevanten Information
Empfehlung einer Vorgehensweise
Verständnis der Informationen
Einwilligung bei freier Entscheidung
Entscheidung für eine Vorgehensweise
Erteilung des Behandlungsauftrags
Wiedemann
Wiedemann
§ 630e
Aufklärungspflichten
(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die
Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären, insbesondere über Art, Umfang,
Durchführung, zu erwartende Folgen und spezifische Risiken des Eingriffs sowie
über die Notwendigkeit, Dringlichkeit und Eignung des Eingriffs zur Diagnose oder
zur Therapiemund über die Erfolgsaussichten des Eingriffs im Hinblick auf die
Diagnose oder Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Behandlungsalternativen
hinzuweisen, wenn mehrere Behandlungsmethoden zu wesentlich unterschiedlichen
Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
(2) Die Aufklärung muss 1. durch einen an der Durchführung des Eingriffs
Beteiligten, der über die zur sachgemäßen Aufklärung notwendigen Fachkenntnisse
und Erfahrungen verfügt, mündlich erfolgen, wobei ergänzend auch auf Unterlagen
Bezug genommen werden kann, die der Patient in Textform erhalten hat; wird der
Eingriff durch einen Arzt vorgenommen, hat die Aufklärung durch einen Arzt zu
erfolgen; 2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die
Einwilligung wohlüberlegt treffen kann; 3. für den Patienten verständlich sein.
Wiedemann
Informierte Zustimmung
• Wie viel Information ist Information genug?
– Standard des vernünftigen Arztes
– Standard des vernünftigen Patienten
– Subjektiver Standard
• Wann ist informierte Zustimmung erforderlich?
• Wann ist damit zu rechnen, dass der Patient keine
informierte Zustimmung geben kann?
– Demenz, Depression, u.a.
Ethische Probleme
• Vorgehen bei eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit
(Demenz, Wachkoma)
• Gewichtung bei Prinzipien-Konflikten (Wohl vs. Wille)
• Einwilligung des Patienten entbindet nicht von
Fürsorgeverpflichtung (Wohl des Patienten &
Nichtschaden)!
Wiedemann
Ausnahmen von der Aufklärungspflicht:
• Notfall
• fehlende Einwilligungsfähigkeit
• Verzicht durch Patienten
Wiedemann
Konsens?
Wiedemann
Wiedemann
Informierte Einwilligung zur Psychotherapie
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-Ziel und Zweck der Psychotherapie
-die zur Anwendung gelangende psychotherapeutische Methode
-Erfolgswahrscheinlichkeit
-Frequenz und Dauer der Sitzungen
-ungefähre Dauer der Behandlung
-mögliche Settings
-Honorar
Modus bei Ausfall einer Stunde
Urlaubsregelung
-Schweigepflicht und ihre Grenzen
Risiken, Nebenwirkungen, emotionale und physische Belastungen
durch die Psychotherapie
• Alternativen zur Psychotherapie
• Möglichkeiten zur Unterbrechung oder Beendigung der
Psychotherapie
Wiedemann
Informierte Zustimmung bei
psychologischen Experimenten?
• Gelegentlich ist es für das Gelingen einer Untersuchung
erforderlich, dass die Untersuchungsteilnehmer den
eigentlichen Sinn der Untersuchung nicht erfahren
dürfen […]. Sind Täuschungen unvermeidlich, und
verspricht die Untersuchung wichtige neue Erkenntnisse,
so besteht die Pflicht, die Teilnehmer nach Abschluss
der Untersuchung über die wahren Zusammenhänge
aufzuklären(Debriefing). Danach sollte auf die
Möglichkeit aufmerksam gemacht werden, die weitere
Auswertung ihrer Daten nicht zu gestatten.
J. Bortz, N. Döring: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Springer, Heidelberg 2006, S. 44
Wiedemann
Brustkrebs-Screening für
Frauen
Fragen
• Ist es ethisch vertretbar, Frauen zu verpflichten, an
einem Screening Programm teilzunehmen?
• Ist es ethisch die bessere Alternative, auf Aufklärung zu
setzen als auf die Teilnahme an einem Screening
Programm?
Fragen
– Was leistet solche Screenings?
– Wie groß ist der Nutzen?
– Wie groß ist der Schaden?
Jährlich gibt es 4.600 Brustkrebs-Neuerkrankungen in
Österreich. Es ist damit das häufigste Karzinom bei Frauen. Mit
dem von Bundesminister Stöger in Auftrag gegebenen
nationalen Programm zur Früherkennung von Brustkrebs soll
Brustkrebs früher entdeckt und somit die Sterblichkeit deutlich
gesenkt werden. Je früher Brustkrebs entdeckt wird, desto
größer sind die Heilungschancen. Durch richtige und rasche
Diagnose wird aber auch die Lebensqualität von Erkrankten
massiv verbessert, da schneller mit der passenden Therapie
begonnen werden kann. http://www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Krankheiten/
Nichtuebertragbare_Krankheiten/Krebs/
Brustkrebsfrueherkennung_Mammographie_Screening_Austria_
Wiedemann
Das geplante Brustkrebsfrüherkennungs-Programm sieht
vor, dass alle Frauen in der Hochrisiko-Altersgruppe
zwischen 45 und 69 (in dieser Altersklasse gehen zu
wenige Frauen zur Brutkrebsvorsorgeuntersuchung) einen
Einladungs-Brief erhalten. Dieser Brief gilt gleich als
Überweisung und ermöglicht eine wohnortnahe
Untersuchung in dafür qualifizierten Röntgen-Ordinationen
oder Instituten.
http://www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Krankheiten/
Nichtuebertragbare_Krankheiten/Krebs/
Brustkrebsfrueherkennung_Mammographie_Screening_Austria_
Wiedemann
Brustkrebs in Deutschland
In Deutschland erkranken derzeit jährlich über
57.000 Frauen an Brustkrebs. Brustkrebs ist die
häufigste Krebsneuerkrankung bei Frauen. Diese
Erkrankung ist für 27,8 % aller Krebserkrankungsfälle bei Frauen und damit für deutlich mehr als ein
Viertel aller Krebserkrankungen bei Frauen verantwortlich.
Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 63 Jahren
und damit sechs Jahre unter dem mittleren
Erkrankungsalter aller Krebserkrankungen.
RKI (2008)
Wiedemann
Auch in Deutschland wird nach Beschluss
des Bundestags seit 2005 ein nationales
Mammografie-Screeningprogramm
aufgebaut.
Wiedemann
Stimmen
Ich habe große Angst vor Brustkrebs. Deshalb
gehe ich seit Jahren regelmäßig zur
Mammografie. Das rät mir auch immer mein
Gynäkologe, und es beruhigt mich einfach.“
Isa, 51 Jahre
„Ich will, dass der Brustkrebs so früh wie möglich
entdeckt wird, damit man ihn noch heilen kann.“
Kersten, 53 Jahre
„Ich will gut für mich sorgen, deshalb gehe ich
auf jeden Fall regelmäßig zur Mammografie.
Auch aus Verantwortung gegenüber meiner
Familie.“
Elisabeth, 58 Jahre
Wiedemann
http://www.gesundheit-nds.de/downloads/
mammografie112007.pdf
http://www.mammo-programm.de/screening-programm/
film.php
http://www.mammo-programm.de
Lesart
Jede zehnte Frau in Deutschland ist im Laufe ihres
Lebens von Brustkrebs betroffen. (Deutsche Krebshilfe)
Wiedemann
Lesart
Jede zehnte Frau in Deutschland ist im Laufe ihres
Lebens von Brustkrebs betroffen. (Deutsche Krebshilfe)
Das heißt in Klartext:
Ein weibliches Neugeborenes hat ein Risiko von etwa
10% Prozent bis zum 80. Lebensjahr irgendwann an
Brustkrebs zu erkranken, unter der Bedingung, nicht
vorher gestorben zu sein.
Wiedemann
So eher irreführend
Wiedemann
Besser
„Ohne Mammographiescreening sterben in einem Zeitraum
von zehn Jahren vier von 1 000 Frauen an Brustkrebs. Mit
Mammographiescreening sterben in einem Zeitraum von
zehn Jahren drei von 1 000 Frauen an Brustkrebs.“
• „Ohne Mammographiescreening sterben in einem Zeitraum
von zehn Jahren 996 von 1 000 Frauen nicht an Brustkrebs.
Mit Mammographiescreening sterben in einem Zeitraum von
zehn Jahren 997 von 1000 Frauen nicht an Brustkrebs.“
• Allerdings kann es für eine Frau auch keinerlei Unterschiede
geben!!!
nach I. Mühlhauser, 2000
Wiedemann
Noch besser
Bezogen auf 1000
50-60 jährige Frauen
Zeitraum 10 Jahre
Mammographie alle 2 Jahre
Wiedemann
For breast self-examination, most
studies did not show a reduction in
breast cancer mortality.
Breast screening extends lives.
“The panel estimates that an
invitation to breast screening
delivers about a 20% reduction in
breast cancer mortality. For the UK
screening programmes, this
currently corresponds to about 1300
deaths from breast cancer being
prevented each year,….”
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3693450/pdf/bjc2013177a.pdf
Of particular concern in breast screening is that
many of the trials were undertaken a long time
ago, that the techniques of mammography have
changed considerably.
By diagnosing more cancers at an earlier
stage, contemporary drug treatments have a
better chance of eradicating microscopic
disease, and thus the gains in survival would
not have been as great if breast screening did
not exist.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3693450/pdf/bjc2013177a.pdf
• http://www.youtube.com/watch?
v=8m67dqVwm_A
Fragen
• Macht das Screening Sinn?
• Ist es ethisch vertretbar, Frauen zu verpflichten, an
einem Screening Programm teilzunehmen?
• Ist es ethisch die bessere Alternative, auf Aufklärung zu
setzen als auf die Teilnahme an einem Screening
Programm?
Organspende-Einwilligung
Wiedemann
Warteliste für Nieren, Spende-Aufkommen
Wiedemann
Organspende
25.05.2012 · Der Bundestag hat eine umfassende Reform
der Organspende in Deutschland beschlossen. Künftig
werden alle Krankenversicherten ab 16 Jahren schriftlich
aufgefordert, eine Erklärung zur Organspende abzugeben.
Eine Pflicht zur Entscheidung gibt es aber nicht.
Wiedemann
Organspende
Optionen
• Spender müssen einwilligen (opting in)
• Nicht-Spender müssen anzeigen, dass sie nicht wollen
(opting out)
Wiedemann
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/medizinaerzte-wollen-organspenderecht-aendern-16391.html
Wiedemann
Deceased donors per million of population
Wiedemann
Living donors per million of population
Wiedemann
Zustimmung (not opting out) ist kein valider Indikator für
die tatsächliche Spende:
- Angehörige können verweigern
Wiedemann
http://www.dangoldstein.com/papers/DefaultsScience.pdf
Effective consent rate
= the number of people who had opted in (in explicit-consent countries) or
the number who had not opted out (in presumed-consent countries).
Reflects the willingness of donating organs
Wiedemann
http://arno.unimaas.nl/show.cgi?fid=23576
Wiedemann
BMJ 2009;338:a3162
doi:10.1136/bmj.a3162
Objectives: To examine the impact of a system of
presumed consent for organ donation on donation rates
and to review data on attitudes towards presumed
Wiedemann
consent.
Wiedemann
• Estimates of the size of the effect varied: two studies
reported a 20-30% increase in organ donation,
• one reported 2.7 more donors per million population, and
one reported 6.1 more donors per million population.
Aber :
• Problematik der Prozentangabe
• 30% mehr?
Wiedemann
Moralisch richtig?
• Entscheidungsfreiheit oder Zwang?
• Opting in vs. Opting out
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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