Artikel jetzt lesen - Oliver Geisselhart

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LEBEN & STIL
FRE I TAG
1 6 . O KTO B E R 2 0 1 5
SÄCHSISCHE ZEITUNG
27
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Bin ich etwa schon dement?
Der Selbsttest
Mit dem Alter nimmt auch
die Vergesslichkeit zu. Doch
was ist noch normal – und
was krankhaft? Ich wollte es
genau wissen und habe den
Demenztest am Dresdner
Uniklinikum gemacht.
Von Steffen Klameth
D
as geht ja gut los. Welchen Wochentag haben wir heute? „MiMi-Dienstag“, stottere ich. Und in
welcher Etage befinden wir uns?
„Vierter Stock“, antworte ich wie aus der
Pistole geschossen. Im nächsten Moment
fällt mir ein, dass ich mich zwar zunächst
im 4. Stock angemeldet hatte, anschließend aber wieder ein paar Treppen nach
unten gestiegen bin. „Zweiter Stock“, korrigiere ich mich, aber der fragende Ton in
meiner Stimme verrät meine Unsicherheit.
Ob es stimmt, erfahre ich in diesem Moment nicht. Gisa Meißner, die mir die
scheinbar harmlosen Fragen stellt, lässt
sich nichts anmerken. Dafür notiert sie
sich alle meine Antworten auf einem Zettel. Der kleine Test ist der Auftakt zu einer
Prüfung, an deren Ende eine der
schlimmstmöglichen Botschaften stehen
könnte: Sie haben Demenz. Damit wäre ich
bei weitem nicht allein. Rund 1,5 Millionen
Deutsche leben mit der Krankheit. Experten haben ausgerechnet, dass bis zum Jahr
2050 jeden Tag mehr als 100 Neuerkrankungen dazukommen. Keine schönen Aussichten.
Angehörige von Demenzkranken berichten, dass es immer ganz langsam anfängt. Man sucht nach Dingen, findet nicht
das richtige Wort. Kenne ich. Wie hieß
noch mal der Schauspieler, der auch in
dem anderen Film, äh, wie hieß doch
gleich der Film, der in, äh, wo eigentlich gespielt hat? Wie oft renne ich in den Keller
und überlege: Was wollte ich eigentlich holen? Nicht zu reden von den vielen Wegen,
die ich zweimal laufe, weil ich beim ersten
Mal etwas vergessen hatte. Ja, bin ich etwa
schon dement?
Gisa Meißner hilft mir, es herauszufinden. Sie ist Diplom-Psychologin am
Dresdner Uniklinikum. Auf dem Tisch liegt
eine Mappe, darin jede Menge Folien, darauf immer ein Wort. Ich soll es lesen und
mir merken. Dann blättert die Testerin um.
Ein neues Wort und so weiter und so fort.
Nach zehn Wörtern klappt sie die Mappe
zu und fordert mich auf, die Wörter zu wiederholen, Reihenfolge egal. Acht schaffe
ich, bei der Wiederholung sogar neun. Was
ich Frau Meißner in diesem Moment nicht
verrate: Ich habe etwas getrickst. Mithilfe
der Routenmethode kann man sich Begriffe viel besser einprägen. Man legt sie gedanklich an bestimmten Orten eines Raumes ab; später schreitet man, wieder in Gedanken, denselben Weg ab und findet die
gesuchten Dinge. Meistens.
Dann hilft mir auch das Memorieren
nicht mehr weiter. Ich soll innerhalb von
60 Sekunden so viele Tiere wie möglich
nennen; schon nach der Hälfte der Zeit gerate ich ins Stottern. Auch beim sogenannten Trail-Making-Test – das Verbinden von
durcheinandergeratenen Zahlen in logischer Reihenfolge – verheddere ich mich.
Mein Trost: Frau Meißner sieht bei anderen
Patienten oft deutlich gravierendere Fehler, wie sie mir zuvor verraten hatte.
Mit 55 Jahren bin ich nämlich eher die
Ausnahme. Die Mehrheit ist zwischen 60
Ein Wort fehlt mir
noch. Ich komm’
gleich drauf ...
Redakteur Steffen
Klameth fühlte sich
beim Demenztest
mit Psychologin
Gisa Meißner ein
bisschen in seine
Schulzeit zurückversetzt.
Foto: Ronald Bonß
und 75. Manche kommen von selbst, andere werden vom Hausarzt geschickt. Sehr
häufig sind Partner und Kinder der treibende Keil. Ihnen fallen Veränderungen auf,
die die Betroffenen gar nicht bemerken –
oder nicht wahrhaben wollen: stockender
Redefluss, Vergesslichkeit, Probleme mit
Zahlen.
Auch ich muss jetzt rechnen. Plus, Minus. Na bitte, geht doch. Nun zeigt mir Frau
Meißner Bilder mit geometrischen Figuren. Ich darf sie mir eine Weile anschauen,
dann soll ich sie aus dem Gedächtnis nachzeichnen. Einzeln funktioniert das ganz
gut. Aber als ich etwas später noch mal alle
vier zu Papier bringen soll, ist eine Figur
wie wegradiert aus meinem Gedächtnis.
Ich komme mir vor wie ein Schüler, der seine Hausaufgaben gemacht hat und im entscheidenden Moment doch versagt.
D
Eine
hundertprozentige
Diagnose kann erst
der Pathologe
stellen.
Professor Markus Donix (38),
Leiter der Gedächtnisambulanz
am Universitätsklinikum Dresden
ie Übungsfolge nennt sich Neuropsychologische Testbatterie. Wissenschaftler haben sich die Aufgaben ausgedacht, um bestimmte Kompetenzen bewerten und vergleichen
zu können. Die Schwierigkeit ist dem Alter
angepasst. Es geht um das visuelle und das
verbale Gedächtnis, um die Wortfindung
und die Konzentration. Und es geht dabei
auch ganz schön tückisch zu. Lesen Sie mal
das Wort GRÜN, wenn es blau geschrieben
ist! Oder lassen Sie sich sechs Ziffern nennen, und sagen Sie sie anschließend rückwärts auf. Viele Leute können sich nicht
mal fünf Ziffern merken.
Nach einer reichlichen Stunde habe ich
den Test überstanden. Auch Gisa Meißner
scheint erleichtert. Sie freue sich, wenn
nach dem Test die Anspannung von den
Leuten abfalle, gesteht sie. Meist erlebe sie
die Patienten sehr freundlich und moti-
viert. „Etwas Anspannung ist aber auch
normal und immer dabei.“ Nur in ganz seltenen Fällen werde auch mal jemand laut
oder pfeffere den Stift in die Ecke.
Dergleichen hat sie von mir natürlich
nicht zu befürchten. Aber wie steht es nun
um mein Gedächtnis? Die Psychologin vertröstet mich. Den Befund werde sie nun erstellen, das Auswertungsgespräch erfolge
dann ein paar Tage später. Vier Mediziner
und mehrere Psychologen sind in der Gedächtnisambulanz des Uniklinikums tätig.
Gemeinsam mit einigen Sozialarbeitern
betreuen sie jedes Jahr rund 1 000 Patienten, etwa die Hälfte davon sind neue Fälle.
Es könnten noch viel mehr sein, aber „das
würde unsere Möglichkeiten übersteigen“,
sagt der Leiter der Gedächtnisambulanz,
Professor Markus Donix.
Bevor Patienten für den Test ausgewählt werden, prüfen die Spezialisten erst
einmal das individuelle Risiko. Haben die
Betroffenen selbst bestimmte Veränderungen an sich bemerkt? Ist der Alltag beeinträchtigt? Gibt es Nebenerkrankungen?
Wie lange geht das schon so? Professor Donix schätzt es, wenn Angehörige bei dem
Gespräch dabei sind: „Sie schildern die Situation meist sehr plastisch.“ Oft sind dann
schon ein bis vier Jahre seit den ersten Anzeichen vergangen. Für eine Diagnostik
sollten mindestens sechs Monate dazwischen liegen.
Bestätigt der Gedächtnistest den Verdacht einer Demenz, folgen weitere Untersuchungen. Mit einem Bluttest können Mediziner zum Beispiel andere Erkrankungen
ausschließen – etwa einen Salz- oder Vitaminmangel bzw. eine Schilddrüsenunterfunktion. Eine Kernspinaufnahme zeigt
Durchblutungsstörungen im Gehirn. Das
MRT mache aber immer nur im Zusam-
menhang mit anderen Untersuchungen
Sinn, betont der Oberarzt. Entdecken die
Experten bestimmte Muster des Verlustes
an Hirnmasse, kann das auf die AlzheimerKrankheit hindeuten. „Bei diesen Patienten
lagern sich krankhafte Eiweiße, die zum
Absterben der Hirnzellen führen, zuerst in
einem seitlichen Hirnbereich, dem Schläfenlappen, ab.“ Meist erfolge dann noch eine Untersuchung des Nervenwassers, um
nach für Alzheimer typischen Biomarkern
zu fahnden. Doch selbst das könne, aber
müsse kein Beweis sein. Markus Donix: „Eine hundertprozentige Diagnose kann erst
der Pathologe stellen.“
N
un, dann ist es mir eigentlich
auch egal. Kommen wir also auf
den Punkt: Bin ich schon ein bisschen dement? Der Psychiater
holt einen Zettel hervor. „Ich kann Ihnen
Entwarnung geben, die Ergebnisse sind
völlig normal, teilweise sogar sehr gut.“ Ich
bin überrascht – so glatt sei der Test nun
wirklich nicht abgelaufen, gebe ich zu bedenken. Doch, doch, entgegnet Professor
Donix: „Ab 40 arbeitet unser Gehirn langsamer, das Multitasking funktioniert nicht
mehr wie früher.“ Und die Vergesslichkeit?
„Die ist erst dann ein Alarmzeichen, wenn
sie den Alltag beeinträchtigt.“ Außerdem
würden Gedächtnisaussetzer oft mit Konzentrationsproblemen verwechselt.
Trotzdem gibt er mir beim Abschied
den Rat, ich solle im nächsten halben Jahr
genauer auf Veränderungen achten. Andere Patienten ohne Demenz-Diagnose bestellt er nach einem Jahr zu einem erneuten Test. Es ist die Minderheit. Bei 80 Prozent beginnt danach eine Therapie. Mit der
Hoffnung auf einen verzögerten Verlauf.
Aber ohne Heilungschance.
Benutzen Sie Ihr Gehirn!
Auch im Alter ist unser Kopf zu
erstaunlichen Leistungen fähig.
Gedächtnistrainer Oliver
Geisselhart verrät einige Tricks.
Z
ehn Namen in fünf Minuten merken,
hundert Vokabeln in einer Stunde lernen: Was ziemlich anstrengend klingt,
schafft jeder mühelos – das jedenfalls verspricht Oliver Geisselhart. Wir sprachen
mit dem zweifachen „Gedächtnistrainer
des Jahres“.
Herr Geisselhart, wann haben Sie das
letzte Mal etwas vergessen?
Noch nie – zumindest wenn ich es mir bewusst merken wollte. Wenn meine Freundin meint: „Das habe ich dir doch vorgestern gesagt“, dann habe ich einfach nur mit
einem Ohr zugehört.
Wie sind Sie zum Gedächtnistraining
gekommen?
Mein Onkel hat schon in den 1960er-Jahren
Gedächtnistraining betrieben und mir einiges beigebracht. Als Jugendlicher habe ich
ihm bei Seminaren assistiert, mit 16 bin
ich das erste Mal für ihn eingesprungen.
Und heute leben Sie davon?
Ja. Ich werde von Firmen für Mitarbeiterund Kundenveranstaltungen gebucht und
habe einige Bestseller verfasst.
Sie arbeiten nach der eigenen „Geisselhart-Technik des Gedächtnis- und Mentaltrainings“. Was ist daran das Besondere?
Die Technik hat zu 80 Prozent mein Onkel
entwickelt. Er hat die Memotechnik der alten Griechen, die Routenmethode, verfeinert, indem er sie mit Zahlen kombinierte,
die man sich mithilfe von Bildern einprägt.
Heute arbeitet jeder Gedächtniskünstler
damit, aber mein Onkel war der Pionier.
Sie behaupten, jeder kann mit dieser
Technik spielerisch seine Gedächtnisleistung steigern.
Die Technik erlernen ist das eine, sie zu be-
nutzen das andere. Wer sie anwendet,
merkt sich sofort mehr – egal ob Vokabeln,
Namen oder Gesichter.
Es heißt: Je verrückter das Bild im Kopf,
desto besser merkt man es sich.
Das hat mit den Emotionen zu tun, die die
verrückten Bilder hervorrufen. Die Gefühle
sind der Klebstoff für die Informationen in
unserem Gehirn. Deshalb ist die Kreativität
ein wichtiger Faktor. Viele Menschen
bremsen sich selbst aus, indem sie abwegige Gedanken nicht zulassen. Tun sie das,
dann funktioniert es auch.
Mal ganz praktisch: Wie würden Sie
sich meinen Namen merken?
(Überlegt.) Ich würde Sie mir als jemanden
vorstellen, der immer klamm ist und sich
deshalb immer nur Mett leisten kann.
Klingt abstrus, aber das ist gut so.
Und das wüssten Sie in einem Jahr immer noch?
Wahrscheinlich nicht, weil es mir im Moment nicht wichtig erscheint. Anders wäre
de, wäre das Lernen viel einfacher – und
würde auch mehr Spaß machen.
Er lehrt, wie man sein Gedächtnis trainiert: Oliver Geisselhart. Foto: Teamgeisselhart
es, wenn wir immer mal wieder Kontakt
hätten. Dann würde ich mir Ihren Namen
langfristig einprägen.
Warum lernen Schüler nicht mit Memotechniken?
Weil es ihnen keiner beibringt. Wenn jeder
Lehrer die Technik draufhätte und den
Schulstoff auf diese Weise vermitteln wür-
Schützt Gedächtnistraining vor Alzheimer?
Es schützt nicht, aber es verzögert den gefühlten Eintritt. Wissenschaftler haben bei
Untersuchungen von Gehirnen festgestellt,
dass diese bereits zu 70 Prozent mit dem
krankhaften Eiweiß befallen waren – aber
bei den Patienten hatte man bis zu ihrem
Tod keine Alzheimer-Merkmale bemerkt.
Unser Hirn ist ständig im Umbau; Zellen
sterben ab, neue kommen hinzu. 95 Prozent aller Demenzkranken sind 65 Jahre
oder älter. Das ist nicht zufällig das Alter, in
dem die meisten in Rente gehen und weniger gefordert werden. Deshalb ist es so
wichtig, sein Gehirn ständig zu trainieren.
Das Gespräch führte Steffen Klameth.
Wir verlosen fünf Bücher bzw. CDs von Oliver Geisselhart. Wenn Sie gewinnen möchten, rufen Sie bis Montag,
24 Uhr, folgende Nummer an und nennen Sie das Kennwort Geisselhart: G 01378664422 (50 Ct. pro Anruf aus
dem dt. Festnetz, Mobilfunktarife abweichend).
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