Bovine Virusdiarrhö: Grundlagenforschung führt zur Ausrottung einer Tierseuche Prof. Ernst Peterhans, Institut für Veterinär-Virologie, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern Die bovine Virusdiarrhö (BVD) ist eine weltweit verbreitete Viruskrankheit, welche vielfältige Formen annehmen kann. Neben leichtgradigem Durchfall kann es auch zu Lungenentzündung kommen. Bekannt ist zudem die «Mucosal Disease», bei welcher die Tiere an blutigen Geschwüren am Flotzmaul (Nasenbereich) und im Magen-Darmtrakt leiden. Diese Ausprägung der Krankheit verläuft stets tödlich, und eine Therapie existiert nicht. Die bovine Virusdiarrhö verursacht in der Schweizer Landwirtschaft jährlich Verluste von rund 9 Millionen CHF. Wenn man die indirekten Schäden dazuzählt, kommt man leicht auf das Doppelte. Verursacht werden diese vielfältigen Krankheiten durch das BVD-Virus, welches verwandt ist mit dem Schweinepestvirus sowie mit dem Hepatitis C Virus der Menschen. Wichtig ist dabei, dass das BVD-Virus nicht auf Menschen, und das Hepatitis C Virus nicht auf Haustiere übertragen werden kann. Das BVD-Virus kann seine Wirte entweder vorübergehend, oder aber lebenslang (persistent) infizieren. In der Schweiz werden im Laufe ihres Lebens etwa 60% aller Rinder einmal vorübergehend mit BVD-Virus infiziert, und etwa 12'000 Tiere sind persistent infiziert. Die persistente Infektion unterscheidet sich in ihrer Art grundsätzlich von allen anderen persistenten Virusinfektionen, so auch von derjenigen von Menschen mit HIV. Während bei der Letzteren und allen anderen persistenten Infektionen das Immunsystem versucht, das Virus aus dem Körper zu eliminieren, stellt man bei persistent infizierten Rindern keinerlei Immunantwort gegen das BVDVirus fest. Vielmehr wird dieses vom Immunsystem der persistent infizierten Rinder als körpereigen interpretiert; es wird immunologisch toleriert. Verantwortlich für die Immuntoleranz ist die Ansteckung des Foetus zu einem frühen Zeitpunkt der Entwicklung, in welcher sein Immunsystem noch unreif und nicht in der Lage ist, das Virus als etwas Fremdes zu erkennen. Derart infizierte Foeten können sich normal entwickeln, sie scheiden das Virus aber während ihres ganzen späteren Lebens in grossen Mengen aus und gefährden dadurch ihre Stallgenossen. Für das Virus stellen die persistent infizierten Tiere eine Art „Lebensversicherung“ dar – ausserhalb des Körpers verliert das Virus nach kurzer Zeit seine Infektionsfähigkeit, und ohne ständigen Nachschub an empfänglichen Wirten kann es sich in der Rinderpopulation nicht halten. Genau dies bietet den Ansatzpunkt für die Ausrottung der BVD-Viren: wenn man alle persistent infizierten Tiere erkennt und entfernt, verschwindet auch das Virus. (Weiterführende Informationen zu BVD finden Sie in unserer Website: www.bvd-info.ch) Ursprünglich gingen wir in mehreren vom Nationalfonds finanzierten Forschungsprojekten der Frage nach, wie die Immuntoleranz zustande kommt, und welche Folgen diese für die Entwicklung des Virus in persistent infizierten Tieren hat. Unsere Hypothese, dass sich das Virus - ganz im Gegensatz zu HIV im Menschen - wegen der Immuntoleranz nicht ändern sollte, erwies sich als richtig. Diese Beobachtung ermöglichte es, durch die Genomanalyse von BVD-Viren aus persistent infizierten Tieren die Wege der Infektion in der Wirtspopulation zu untersuchen. Da wir aber feststellten, dass in unserer Rinderpopulation eine grosse Vielfalt von genetisch unterschiedlichen BVD-Viren vorhanden ist, entwickelten wir einen Test, der laufend an das genetische Spektrum der in der Schweiz neu gefundenen BVD-Viren angepasst wurde. In Zusammenarbeit mit einer Biotechnologie-Firma wird das Verfahren zu einem kommerziellen Kit weiterentwickelt. Da mittels dieses Tests gleichzeitig die Blut- oder Milchproben mehrerer Tiere gemeinsam, als Pool, und weitgehend automatisiert, untersucht werden können, steht für die voraussichtlich im Herbst 2007 beginnende landesweite Bekämpfung der BVD ein effizientes und kostengünstiges DiagnoseVerfahren zur Verfügung. 2 Am Anfang der Entwicklung stand die reine Neugier an einer von aussen betrachtet vielleicht abstrakten Fragestellung. Dass sich aus dieser Grundlagenforschung schliesslich ein neues Verfahren zur Erkennung und Bekämpfung einer Tierseuche ergeben hat, ist für alle Mitglieder der Arbeitsgruppe eine grosse Genugtuung. Eine sehr wichtige Voraussetzung für diese Entwicklung war die langjährige Koordination unserer Arbeitsschwerpunkte mit unseren Fachkollegen und Kolleginnen in Zürich, weil wir auf diese Weise mehr Freiräume für die Grundlagenforschung erhielten. Die Zusammenarbeit unserer Forschungsgruppe mit der Rinderklinik und der Tierpathologie am Vetsuisse-Standort Zürich eröffnet uns eine weitere Möglichkeit. Von unseren Zürcher Kollegen stammen ebenfalls wichtige Beiträge zur Kenntnis der BVD in der Schweiz. Durch die Kombination von Fachwissen in Virologie, Klinik und Pathologie wird es möglich, der komplexen Frage nachzugehen, ob genetisch unterschiedliche BVD-Viren für die eingangs erwähnte Vielfalt von Krankheitsbildern verantwortlich sein könnten. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Entwicklung des Tests nur möglich war, weil die Grundlagenforschung vom Nationalfonds, und die angewandte und klinisch orientierte Forschung vom Bundesamt für Veterinärwesen und von der Vetsuisse-Fakultät finanziell unterstützt wurden.