Tiere als Mitgeschöpfe

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Tiere als Mitgeschöpfe
Kirchliche Verlautbarungen zum Verhältnis von Mensch und Tier
Von: Hans-Eberhard Dietrich, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 8 / 2013
Tiere gelten in christlicher Tradition als "Mitgeschöpfe". Doch welchen ethischen Stellenwert hat diese Aussage? Zu einer
kritischen Auseinandersetzung mit kirchlichen Verlaut­barungen zum Verhältnis von Mensch und Tier aus den Jahren
1980 bis 2003 lädt Hans-Eberhard Dietrich ein.
1. Das Thema ist im Kontext kirchlicher Tradition bemerkenswert
Die Formulierung "Tiere als Mitgeschöpfe" stammt aus dem Tierschutzgesetz von 1986: §1 lautet: "Zweck dieses
Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu
schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen."(1) Das Gesetz
nimmt die Tiere als Rechtssubjekte und als Mitgeschöpfe wahr und weist auf die Verantwortung des Menschen ihnen
gegenüber hin, ja spricht sogar von Pflichten des Menschen gegenüber den Geschöpfen. Mit der Wortwahl knüpft es an die
christliche Tradition an, die hinter der Natur den sieht, der alles geschaffen hat: Gott als den Schöpfer. Es stellt sich die
Frage: Wenn der religiös neutrale Staat eine solche Wortwahl trifft, welchen Wert und welche Würde haben die Tiere in
offiziellen Äußerungen der Kirche heute?
Traditionell geht es in der Kirche um den Menschen, um sein Verhältnis zu Gott und wie er zu seinem Heil gelangt. Auf dem
Weg dorthin geht es dann auch darum, wie er sich zum Mitmenschen und zur Gesellschaft verhalten soll. Die Tiere kamen
und kommen in dieser Ethik nicht vor, geschweige denn der Gedanke, dass der Mensch Tieren gegenüber Pflichten hat.
Albert Schweitzer charakterisierte es sehr treffend: "Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die
Tür zu ist, damit ja nicht der Hund hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen
die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen."(2)
Am Ende des 20. Jh. setzte sich allmählich die Einsicht durch, dass christliche Ethik sich nicht allein auf
zwischenmenschliches Verhalten beschränken darf. Diesem Wandel im Denken konnte sich auch die Kirche nicht länger
verschließen. Sie reagierte mit Denkschriften, einer nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten Form der Öffentlichkeitsarbeit.
Diese kleine Studie stellt die wichtigsten Gesichtspunkte der Äußerungen zwischen 1980 und 2003 dar und fragt
abschließend, ob und wieweit die Kirche auf Grund der aus der biblischen Tradition gewonnenen Einsichten konkretes
Handeln aufzeigt und gegenüber ihren Gläubigen und der Öffentlichkeit einfordert.
Neben den eigentlichen Denkschriften der EKD werden mit ausgewertet gemeinsame Texte der beiden großen Kirchen,
Hirtenschreiben der katholischen Kirche, Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der EKD, des wissenschaftlichen Beirat der EKD,
die Stuttgarter Erklärung als (Zwischen-)Ergebnis des konziliaren Prozesses und zwei Verlautbarungen der Nordelbischen
Kirche. In allen diesen Stellungnahmen ist das Verhältnis Mensch-Tier im Kontext weiterer Themen behandelt worden, z.B.
Landwirtschaft, Schutz des Lebens, Gentechnik, Verantwortung für die Schöpfung, Fortpflanzungsmedizin. Der inhaltlichen
Darstellung nach thematischen Schwerpunkten soll ein chronologischer Überblick vorangestellt werden.
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2. Ein chronologischer Überblick über Denkschriften und sonstige Verlautbarungen von 1980 bis 2003(3)
1. 1980 Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe [Abk.: Hirtenschreiben 1980]
Zukunft der Schöpfung - Zukunft der Menschheit. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen der Umwelt und
der Energieversorgung, Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe 28, Bonn 1980.
2. 1984 Denkschrift der Kammer der EKD [Abk.: EKD-Denkschrift 1984]
Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Wachsen und Weichen, Ökologie und Ökonomie, Hunger und Überfluß. Eine
Denkschrift der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für soziale Ordnung, Gütersloh 1984.
3. 1985 EKD und Bischofskonferenz. [Abk.: EKD und Bischofskonferenz 1985]
Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärungen von Rat der EKD und Deutschen
Bischofskonferenz, 1985.
4. 1988 Forum der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (veröffentlicht 1989) [Abk.: Erklärung von Stuttgart 1988]
Forum "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der
Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) e.V. Stuttgart, 20.-22.Oktober 1988. Gottes Gaben - Unsere Aufgabe. Die
Erklärung von Stuttgart. EKD-Texte 27, Hannover 1989.
5. 1989 Wort der deutschen Bischöfe. [Abk.: Deutsche Bischofskonferenz 1989]
Zur Lage der Landwirtschaft. Kommission für gesellschaftliche und sozial-caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz
Landwirtschaft in schwerer Zeit - Orientierungen. Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn.
6. 1989 Gemeinsame Erklärung Rat der EKD und Deutsche Bischofskonferenz [Abk.: EKD und Bischofskonferenz 1989]
Gott ist ein Freund des Lebens. Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens. Gemeinsame Erklärung des
Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Gütersloh 1989.
7. 1990 Stellungnahme der EKD zu Ergebnissen von Seoul [Abk.: Stellungnahme der EKD 1990]
Die Kirche im konziliaren Prozeß gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
Rückblick und Ausblick. Eine Stellungnahme des Rates der EKD. Anhang: Ergebnistexte der Weltversammlung für
Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, Seoul 1990 (EKD-Texte Nr. 33).
8. 1991 Arbeitsgruppe EKD [Abk.: Arbeitsgruppe der EKD 1991]
Einverständnis mit der Schöpfung. Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im Blick auf die Gentechnik und ihre Anwendung
bei Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren. Vorgelegt von einer Arbeitsgruppe der Evangelischen Kirche in Deutschland,
Gütersloh 1991.
9. 1991 Wissenschaftlicher Beirat EKD [Abk.: Wissenschaftlicher Beirat der EKD 1991]
Zur Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf. Ein Diskussionsbeitrag des Wissenschaftlichen Beirats des
Beauftragten für Umweltfragen des Rates der EKD, 1991 (EKD-Texte Nr. 41).
10. 1998 Nordelbische Kirche [Abk.: Nord­elbische Kirche 1998]
Für ein Ethos der Mitgeschöpflichkeit. Wort der Kirchenleitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche zum
Welttierschutztag 1998.
11. 2003 EKD und Bischofskonferenz [Abk.: EKD und Bischofskonferenz 2003]
Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft. Ein Diskussionsbeitrag zur Lage der Landwirtschaft mit einem Wort des
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Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Erklärungen, Beschlüsse und Arbeitsergebnisse von Kirchenleitungen, Synoden und Evang. Akademien zum Thema
Verhältnis Mensch-Tier:
12. Wort zum Tierschutztag 1980. Beschluss der Nordelbischen Kirchenleitung.
13. 1991 Evangelische Akademie Baden
Das Tier als Mitgeschöpf. Leerformel oder Leitgedanke im Tierschutzrecht? (Herrenalber Protokolle Band Nr. 88)
14. 1995 Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Mensch und Tier in Gottes Schöpfung. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau. Amtsblatt Nr. 9, Darmstadt, 30.
September 1995.
15. 1996 Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern
Erklärung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern auf der 2. ordentlichen Tagung (97) in Freising
vom 24. bis 29. November 1996. Erklärung zum Tierschutz.
16. 2005 Nordelbische Kirche [Abk.: Nord­elbische Kirche 2005]
Zum verantwortlichen Umgang mit Tieren. Auf dem Weg zu einem Ethos der Mitgeschöpflichkeit. Stellungnahme der
Kirchenleitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, 2005.
17. 2011 Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover
Landwirtschaftliche Nutztierhaltung. Informationen. Positionen. Darin: Aktenstück Nr. 86 der Landessynode.
Auf die Tagungen der Evang. Akademien soll hier ergänzend hingewiesen werden. Bad Boll z.B. veranstaltet jedes Jahr eine
Tagung zum Thema Tierschutz.
3. Thematische Schwerpunkte der Verlautbarungen
Schaut man sich die Denkschriften und sonstigen Verlautbarungen in der Zeit zwischen 1980 und 2003 an, so schälen sich
sieben Themen heraus: Da sind die "klassischen" theologischen Themen wie die Herrschaft des Menschen über die Tiere,
die Forderung nach Barmherzigkeit gegen die Tiere, der Tierfriede im Reich Gottes und das Thema "Tiere gehören zum
Gottesbund wie die Menschen". Darüber hinaus stehen dann eher "moderne" Fragestellungen wie der Eigenwert der Tiere
unabhängig vom Nutzen für den Menschen, Gerechtigkeit gegen Tiere und der Artenschutz. Diese Themen sind in den
einzelnen Schriften verschieden gewichtet. Die Darstellung wird sich jeweils auf ein paar Aussagen der Schriften
beschränken, um Wiederholungen zu vermeiden.
Die sieben wichtigsten Themen lauten demnach:
• Herrschaftsauftrag an den Menschen
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• Eigenwert der Tiere
• Barmherzigkeit gegen die Tiere
• Artenschutz
• Die Tiere gehören mit in den Gottesbund
• Gerechtigkeit gegen die Tiere
• Vorwegnahme des Tierfriedens im Sinne von Jes. 11.
3.1 Der Herrschaftsauftrag an die Menschen ist begrenzt durch Verantwortung und Fürsorge für die Tiere
Fragt man nach dem Verhältnis von Mensch und Tier bzw. Natur, so ist der Herrschaftsauftrag an den Menschen in Gen.
1,26-28 die bekannteste Bibelstelle.
Das Hirtenschreiben von 1980 erwähnt den Herrschaftsauftrag an den Menschen, betont aber, dass es keine grenzenlose
Herrschaft ist, sondern eine, die durch die Verantwortung begrenzt wird: Der Mensch ist Ebenbild Gottes. Das ist der Maßstab
seines Handelns. "Dann aber heißt Beherrschen liebende Sorge, hegendes Wahren. Im biblischen Verständnis schließt das
Beherrschen die Verantwortung für die Beherrschten mit ein. Dies gilt auch und grade für das Verhältnis des Menschen zu
seinen Mitgeschöpfen (vgl. Psalm 8)."(4)
Dieser Gesichtspunkt wird weiter entfaltet: Verantwortung und Fürsorge bedeuten Selbstbeschränkung, ja "Ehrfurcht vor dem
Leben". Dazu äußern sich 1985 die EKD zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz. "Nicht allein menschliches,
sondern auch tierisches und pflanzliches Leben sowie die unbelebte Natur verdienen Wertschätzung, Achtung und Schutz.
Die Ehrfurcht vor dem Leben setzt voraus, daß Leben ein Wert ist und daß es darum eine sittliche Aufgabe ist, diesen Wert
zu erhalten. Das Leben ist dem Menschen vorgegeben; es ist seine Aufgabe, dieses Leben zu achten und zu bewahren. Es
obliegt seiner Verantwortung, Sorge für seine Umwelt zu tragen. Dies erfordert Rücksicht, Selbstbegrenzung und
Selbstkontrolle."(5)
Und weiter: Verantwortung für die Tiere übernehmen heißt: Der Mensch muss sich als Hirte verstehen: "Ehrfurcht vor dem
Leben bezieht sich nicht nur auf menschliches, tierisches und pflanzliches Leben, sondern im weiteren Sinn auf die
"unbelebte" Natur mit ihren Lebenselementen (Wasser, Boden, Luft) und ihren funktionalen Kreisläufen als Lebensraum. Sie
sind nicht als tote Gebrauchsgegenstände zu verstehen, sondern als Teil der Lebensbedingungen des Menschen und seiner
Mitkreatur. Wir Menschen müssen uns, um mit Sokrates zu sprechen, auf die Kunst des Hirten verstehen, dem am Wohl der
Schafe gelegen ist, dürfen sie also nicht bloß unter dem Blickwinkel des Metzgers betrachten."(6)
3.2 Der Eigenwert der Tiere - sie sind nicht um der Nützlichkeit des Menschen willen da
Ehrfurcht vor dem Leben, vor allem Leben, wie Albert Schweitzer nicht müde wurde zu betonen, bedeutet weiterhin, dass
Tiere, ja die ganze unbelebte Schöpfung, nicht unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für den Menschen betrachtet werden
darf.
Das Hirtenschreiben von 1980 sieht diesen Eigenwert in der Fülle und Schönheit der Schöpfung: "Wir sind verpflichtet, den
Grundbestand der Schöpfung in seinem ganzen Reichtum zu wahren ... Das Lebendige soll leben können, nicht nur um der
Nützlichkeit für den Menschen willen, sondern um der Fülle, um der Schönheit der Schöpfung willen, einfach um zu leben und
dazusein. Natur ist von Natur aus immer verschwenderisch."(7)
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Gemeinsam formulieren die beiden großen Kirchen 1989: "Vor allem aber haben die Mitgeschöpfe des Menschen
unabhängig von ihrem Nutzwert einen Eigenwert, nämlich darin, daß sie auf Gott als den Schöpfer bezogen sind, an seinem
Leben Anteil haben und zu seinem Lob bestimmt sind ... Wo der Gedanke des Eigenwerts Anerkennung findet, kann er als
Begrenzung und Korrektur dienen gegenüber einer Haltung, der das außermenschliche Leben nichts als Material und
Verfügungsmasse in der Hand des Menschen darstellt."(8)
Ausführlich befasst sich 1991 eine Arbeitsgruppe der EKD mit dem Thema: "Schon das Prinzip der Gerechtigkeit ... erfordert
es, daß die Menschen Lebensrecht und Lebensmöglichkeiten ihrer Mitgeschöpfe berücksichtigen. Sie können nicht ihre
Interessen ohne weiteres auf Kosten ihrer Mitgeschöpfe realisieren. Das Handeln der Menschen muß sich vielmehr mit dem
Leben der Mitgeschöpfe vertragen, muß damit zusammenstimmen ... Als Mitgeschöpfe dürfen andere Lebewesen nicht nur
und nicht zuerst unter dem Gesichtspunkt des für Menschen gegebenen Nutzwerts betrachtet werden. Dies würde im
übrigen auch ein universelles Wissen über den Sinn und Wert von Leben voraussetzen. Darum kann auch nicht verlangt
werden, den Eigenwert eines Lebewesens allererst nachzuweisen oder zu begründen ... [Die Menschen] können nicht allein
sich selbst eine Daseinsberechtigung zuschreiben und die Daseinsberechtigung aller anderen Lebewesen davon ableiten
wollen."(7)
3.3 Forderung nach Barmherzigkeit
Der Wissenschaftliche Beirat der EKD formuliert 1991 im Zusammenhang mit der Forderung der Verminderung von Gewalt
gegen Tiere: "Wenn die Menschen ihre Herrschaft über die Tiere in liebender Sorge und hegendem Bewahren ausüben,
ergeben sich konkrete Veränderungen und Verwandlungen in dem zwischen ihnen bestehenden Verhältnis der Gewalt: Sie
laufen auf eine Verminderung der Gewalt hinaus ... Darauf zielt auch die Mahnung des Alten Testaments, barmherzig mit den
Tieren umzugehen: Sprüche 12,10; vgl. 2. Mose 20,10."(10)
3.4 Artenschutz, Artenvielfalt, artgerechte Tierhaltung
Erstmals wird diese Forderung im Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe von 1980 erhoben(11). Neun Jahre später, 1989,
wenden sich die Bischöfe noch einmal an die Landwirte und weisen auf die Artenvielfalt als eine Überlebensnotwendigkeit
hin: "Die Vielfalt der Schöpfung zu erhalten ist notwendig, damit wir überleben können. Diese Überzeugung verknüpft den
Respekt vor der Schöpfung mit dem Auftrag, die Erde bewohnbar und fruchtbar zu halten und sie vor Raubbau zu
bewahren."(12)
Auf evangelischer Seite macht die EKD-Denkschrift von 1984 die durch die Landwirtschaft bedrohte Artenvielfalt und die
Massentierhaltung zum Thema. Im Hinblick auf die Artenvielfalt macht sie konkrete Vorschläge, wie Landwirte mit wenig
Aufwand viel zur Erhaltung der Arten beitragen können.(13)
Als Stellungnahme zum Ergebnis des konziliaren Prozesses fordert die EKD 1990: "Wir bekräftigen, daß die Welt als Gottes
Werk eine eigene Ganzheit besitzt und daß Wasser, Luft, Wälder, Berge und alle Geschöpfe, einschließlich der Menschen, in
Gottes Augen "gut" sind. Die Bewahrung der Ganzheit der Schöpfung hat einen sozialen Aspekt, nämlich Frieden auf der
Grundlage von Gerechtigkeit, und einen ökologischen Aspekt, nämlich die Regenerierbarkeit und Überlebensfähigkeit
natürlicher Ökosysteme."(14)
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Zum Artenschutz könnte man auch zählen die Forderung nach artgerechter Haltung der Nutztiere. Die Stuttgarter Erklärung
von 1988 fordert: "Tierquälerei, aus welchen Motiven auch immer, muß stärker als bisher geächtet werden. Artgerechte
Tierhaltung ist zu fördern. Nicht artgerechte Massentierhaltung soll schrittweise verboten werden, weil sie nicht nur
erhebliche Leiden für die Tiere mit sich bringt, sondern auch die Umwelt beeinträchtigt."(15)
Die Arbeitsgruppe der EKD fordert 1991: "Es geht auch hier um Gerechtigkeit im Sinne der Verträglichkeit: Artgerechte
Lebensverhältnisse und artgerechter Umgang sind daran zu messen, ob sie mit den Erfordernissen des Lebensraumes und
der Lebensweise des betreffenden Lebewesens vereinbar sind."(16)
Nicht vergessen sollte in diesem Zusammenhang eine besondere Art der Tierversuche. Sie wird ebenfalls von der
Arbeitsgruppe der EKD 1991 angesprochen: "Ein weiteres Feld gentechnisch betriebener Tierzucht ist die Herstellung
bestimmter Labortiere ... Die bewußte Herstellung genetisch defekter Tiere [z.B. Tumormaus, Aidsmaus - Anm. des Autors]
hat ihre eigene ethische Problematik: Es stellt sich die Frage, ob der Tatbestand der Tierquälerei vorliegt. Ein auch nur als
wahrscheinlich anzunehmendes Schmerzempfinden von höheren Tieren ist dafür ein wichtiges Kriterium."(17)
3.5 Tiere gehören wie die Menschen in den Gottesbund(18)
Tiere gehören zum Gottesbund wie die Menschen. Der biblische Bezug steht in Gen. 9,8-11. Die beiden großen Kirchen
sehen das in einer gemeinsamen Stellungnahme von 1989 auch so: "Tiere sind nach christlichem Schöpfungsverständnis
Mitgeschöpfe des Menschen ... Nach biblischem Zeugnis sind auch die Tiere in den Bund mit Gott (Gen 9) und in die
Erwartung einer endzeitlichen Vollendung der Schöpfung (Röm 8) eingeschlossen. Gott erlöst die Schöpfung, nicht nur den
Menschen. Es geht dabei auch um ein "versöhntes Miteinander" von Mensch und Tier(19) ... "Wir müssen wieder lernen,
allem Lebendigen mit der jedem Lebewesen gebührenden Ehrfurcht zu begegnen. Es ist an der Zeit, Tiere als "Geschöpfe"
anstatt nur als "lebendige Ware" zu behandeln."(20)
3.6 Gerechtigkeit gegen die Tiere
In den kirchlichen Verlautbarungen wird dieser Gesichtspunkt erstmals 1991 vom Wissenschaftlichen Beirat der EKD erhoben:
"Im Verhältnis zu den Tieren geht es jedoch nicht allein um Barmherzigkeit und Humanität, sondern auch um Gerechtigkeit.
Viele sehen in dieser Forderung eine unzulässige Gleichstellung von Mensch und Tier. Dabei wird verkannt, dass
Gerechtigkeit nicht nur eine Pflicht unter Gleichgestellten ist; sie ist vielmehr gerade auch gegenüber Hilflosen, Unterdrückten
und Unmündigen, somit auch gegenüber Tieren zu erfüllen. Die Forderung nach Gerechtigkeit zielt dabei keineswegs darauf,
Tiere wie Menschen zu behandeln ... Den Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, bedeutet, ihnen ein Leben in
Menschlichkeit zu sichern; entsprechend verlangt Gerechtigkeit im Blick auf die Tiere, sie tiergerecht, insbesondere
artgerecht zu behandeln."(21)
In einem gemeinsamen Wort von EKD und Bischofskonferenz wird 2003 in gleicher Weise von Tiergerechtigkeit gesprochen:
"Mit dem Kriterium der Tiergerechtigkeit wird beschrieben, in welchem Maß bestimmte Haltungsbedingungen dem Tier die
Voraussetzungen zur Vermeidung von Schmerzen, Leiden oder Schäden sowie zur Sicherung von Wohlbefinden bieten.
Anhaltspunkte hierzu könnten sein: Ruhe-, Ausscheidungs-, Ernährungs-, Fortpflanzungs-, Fortbewegungs-, Sozial-,
Erkundungs- und Spielverhalten."(22)
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3.7 Vorwegnahme des Tierfriedens, Frieden mit der ganzen Schöpfung
Die dafür klassische Bibelstelle steht in Jes. 11,6-8: Im Friedensreich des Messias sind Mensch und Tier und Tier und Tier
versöhnt. Der Wissenschaftliche Beirat der EKD formuliert 1991 so: "Das Mensch-Tier-Verhältnis ist aus
biblisch-theologischer Sicht nicht vollständig beschrieben, wenn sich der Blick allein auf die Welt, wie sie ist, richtet. Diese
Perspektive verhilft zu der nötigen Nüchternheit. Aber der nüchterne Realismus verkommt zu einem Sich-Abfinden mit den
gegebenen schlechten Verhältnissen, wenn er nicht umgriffen wird von der Vision einer anderen, neuen Welt. Für die
biblischen Texte ist es kennzeichnend, dass alle Aussagen über Menschen und Tiere im Licht der Erwartung einer anderen,
neuen Welt und des Friedens in und mit der Schöpfung stehen ... Dieser Schöpfungsfriede ist dann Gegenstand
alttestamentlicher Verheißungen der kommenden neuen Welt. "Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die
Panther bei den Böcken lagern ..." (Jes 11,6-8; vgl. 65,17ff). Paulus bezieht "die Herrlichkeit, die an uns offenbart werden
soll", ausdrücklich "auf die ganze Schöpfung" ... (Röm 8,18-25) ... Menschen können die Verhältnisse des Reiches Gottes
nicht heraufführen. Aber wie es im Blick auf die Verhältnisse unter Menschen Anfänge und den Vorschein der kommenden
Erlösung gibt (vgl. 2. Kor 5,17ff; Gal 5,16ff; Eph 4,17), so kann die neue Schöpfung auch im Verhältnis zu den Tieren durch
ein entsprechendes Handeln der Menschen zeichenhaft sichtbar werden."(22)
4. Wertung und Kritik
4.1 Die Korrekturen
Das Verhältnis Mensch-Tier ist biblisch sachgemäß erfasst, wenn die Tiere als Mitgeschöpfe gesehen werden. Das ergibt
sich schon aus der Beobachtung: Menschen und Landtiere werden am gleichen 6. Schöpfungstag erschaffen, Tiere und
Menschen sind eine lebendige Seele (Gen. 1,20), beide stehen unter Gottes Segen und gehören zum gleichen Gottesbund,
Gottes Reich am Ende der Zeiten ist nicht ohne Tiere denkbar. Die hier herausgearbeiteten sieben Themen kann man sehen
als eine Entfaltung dieser Bestimmung: Das staatliche Tierschutzgesetz mit seiner Bestimmung "das Tier als Mitgeschöpf"
entspricht genau diesem biblischen Befund. Mit den sieben Themenbereichen und seinen daraus gewonnenen biblischen
Einsichten werden zugleich eine ganze Reihe bisheriger kirchlicher und theologischer Standpunkte, Urteile und Vorurteile
korrigiert:
Der Herrschaftsauftrag über die Tiere
Hier wird Schluss gemacht mit einer Haltung der Ausbeutung und der Verantwortungslosigkeit. Jetzt wird der Mensch den
Tieren gegenüber gesehen als Hirte.
Eigenwert der Tiere
Aus diesem Denken ergibt sich eine zweite Kurskorrektur: Die Tiere haben einen Eigenwert unabhängig vom Nutzen für die
Menschen. Sie müssen ihre Daseinsberechtigung nicht nachweisen. Sie sollen leben dürfen, weil sie Gott geschaffen hat
und weil Gott ein Freund des Lebens ist.
Artenschutz
Weil Gott ein Freund des Lebens ist, ist es ganz selbstverständlich, dass alle Arten des Lebens gleiches Recht auf Leben
haben und das Recht, ihrer Art gemäß zu leben, was vor allem für die Nutztiere gilt. Der Mensch muss alles tun, um die
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Artenvielfalt zu erhalten.
Unabhängig davon ist die Einsicht, dass die biologische Vielfalt von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen die Grundlage
allen Lebens ist, auch des menschlichen Lebens. Die Artenvielfalt zu erhalten ist im Eigeninteresse des Überlebens des
Menschen begründet. Man kann es sich durch einen Vergleich verdeutlichen: Ein Flugzeug wird durch viele Nieten
zusammengehalten. Wenn nun eine Niete nach der anderen ausfällt, ist irgendwann der kritische Punkt erreicht, dass es
auseinanderfällt und abstürzt.
Tiere gehören zum Gottesbund
Am Ende der Sintflut wird allen Kreaturen deutlich gemacht: Gottes Fürsorge und Erbarmen gilt allem Leben. Es ist die
Zusage von Treue, Heil und Segen, eine Selbstverpflichtung Gottes, die über die Bedeutung eines Vertrages zwischen
Gleichberechtigten hinausgeht.
Gerechtigkeit gegen Tiere
Die Forderung der Gerechtigkeit gegen Tiere geht über Humanität und Barmherzigkeit hinaus. Sie zielt z.B. bei der
Nutztierhaltung darauf ab, sie artgerecht zu halten, nicht nur Schmerzen und Leiden zu vermeiden, sondern darüber hinaus
für ihr Wohlbefinden zu sorgen. Die Forderung der Gerechtigkeit gegen Tiere wurde erstmals 1787 von dem Mainzer
Philosophen Wilhelm Dietler erhoben.(23) Dietler sieht die Pflichten gegen die Tiere als einen wichtigen Teil der praktischen
Philosophie an. "Dass der Mensch gegen die Tiere Pflichten hat, kann niemand bezweifeln, wer die Gottheit als Urheber und
Regierer des Ganzen erkennt .... Wenn Gott vollkommen ist, dann will er auch das Glück aller Geschöpfe ... Als Geschöpfe
des nehmlichen, liebevollen Schöpfers sind wir alle gleich, mit gleichen Rechten und gleichen Zwecken bestimmt ... Denn zu
glauben, dass des gütigen Allvaters Liebe sich blos auf den Mensch einschränken, wäre Gotteslästerung"(24).
Barmherzigkeit
Über die in den Denkschriften erwähnte Bibelstelle hinaus soll hier noch auf weitere Bibelstellen aus dem AT hingewiesen
werden:
"Wenn du den Esel deines Widersachers unter seiner Last liegen siehst, so lass ihn nicht im Stich, sondern hilf mit ihm
zusammen dem Tier auf." (Ex. 23,5)
"Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind." (Spr. 31,8)
"Denn du liebst alles, was ist und verabscheust nichts von dem, was du geschaffen; denn hättest du etwas gehasst, dann
hättest du es nicht erschaffen." (Weish. 11,24)
Frieden mit den Tieren
Von dieser Vision geht ein starker Handlungsimpuls aus. Wir Christen sind aufgefordert, in der Vorwegnahme dieses
Tierfriedens das uns heute Mögliche in die Tat umzusetzen. Wir Menschen können das Reich Gottes nicht heraufführen. Wir
können aber im Verhalten zu den Tieren Zeichen setzen, ein Stück weit einen solchen Frieden verwirklichen.
4.2 Zur Frage der Umsetzung der gewonnenen biblischen Erkenntnisse
Damit kommen wir zu der Frage der Konkretionen der kirchlichen Verlautbarungen und Denkschriften. Unübersehbar ist die
Diskrepanz zwischen den gewonnenen biblischen Einsichten und den konkreten Forderungen an die Öffentlichkeit, genauer
gesagt an die Menschen, die es angeht: Die Verbraucher, die Entscheidungsträger in den Parlamenten, die Verantwortlichen
in Industrie und Landwirtschaft, die Ärzte, die mit Tierversuchen experimentieren und viele andere mehr.
Sehr kritisch setzt sich der wissenschaftliche Beirat 1991 mit der Frage der Umsetzung konkreter Ziele des Tierschutzes
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auseinander, wenn er sagt: "Von Anfang an ist bei der konkreten Umsetzung der Grundsätze und Ziele darauf zu achten,
daß die Forderung nach Barmherzigkeit, Humanität und Gerechtigkeit gegenüber den Tieren nicht genau in dem Augenblick
aufgegeben wird, wo sie Veränderungen im vorfindlichen Mensch-Tier-Verhältnis nach sich zieht ... Halbheiten, mit denen
man bequem leben kann [dürfen nicht] schon als Lösungen ausgegeben werden."(25)
Es sollen hier nur zwei Beobachtungen wieder gegeben werden. Zum einen äußern sich die Denkschriften sehr radikal und
konkret. Die Stuttgarter Erklärung von 1988 fordert: "In der Alkohol-, Tabak- und Kosmetikproduktion müssen Tierversuche
unterbleiben. In der medizinischen Forschung müssen Tierversuche eingeschränkt werden. Tierquälerei, aus welchen
Motiven auch immer, muss stärker als bisher geächtet werden."26 In der Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats von
1991 wird abgelehnt: Jagd als Freizeit- und Gesellschaftsvergnügen; vertretbar ist sie nur zum Schutz des Waldes und des
biologischen Gleichgewichts. Es wird ferner abgelehnt die Pelztiergewinnung. Sie ist in unserer Zeit nicht mehr notwendig.
Die Nutzung der Felle und Häute von geschlachteten Tieren ist unbedenklich. Keine Rechtfertigung gibt es für Delikatessen,
Schmuck und Modeartikel und die Tötung von Tieren als Freizeitbeschäftigung, z.B. Stierkampf, auch wenn er
kulturgeschichtlich bedingt ist.27 In gleicher Weise äußert sich auch die Nordelbische Kirche 1998: Der Missbrauch von
Tieren für Luxus und Vergnügen wird scharf kritisiert und abgelehnt, weil er eine Missachtung der Mitgeschöpflichkeit
darstellt.28
In vielen anderen Bereichen weicht die Kirche vor allzu konkreten Forderungen zurück. Die Kirche tut sich schwer, allzu
konkret zu werden. Man hat den Eindruck, je näher es an die wirtschaftlichen Interessen von Berufsgruppen mit Tierhaltung
und Tierversuchen geht, desto "zahmer" werden die Forderungen und man begnügt sich mit Floskeln wie "nach Möglichkeit",
"schonender Umgang", "Übernahme liebender Verantwortung", "ohne ernsthafte Gründe" (bei Tierversuchen usw.) oder man
hofft auf europaweite Regelungen. Es wird viel Verständnis für die sog. ökonomischen Zwänge aufgebracht, schließlich hofft
man auf die Vergebung Gottes und beklagt eben die menschliche Unzulänglichkeit.29
5. Was ist zu tun? Ein Ausblick
5.1 Wir Christen sind gefordert, unsere Einstellung zu ändern
Es beginnt damit, dass wir akzeptieren müssen, Geschöpfe unter anderen Geschöpfen zu sein. Wir müssen ein Denken
aufgeben, in dem sich alles um uns Menschen dreht, uns von einer Ethik verabschieden, die nur den Menschen im Blick hat.
Dieses Umdenken wird in der Stuttgarter Erklärung von 1989 treffend formuliert: "Wenn wir als Christen, und sei es auch nur
bruchstück- und zeichenhaft, den verheißenen Frieden Gottes in dieser Schöpfung aufzeigen wollen, müssen wir umdenken
... Wir müssen ablassen von Machtphantasien über die Schöpfung und demütig die Grenzen unseres Handlungsspielraums
und unsere eigene Begrenzung anerkennen. Wir müssen Abschied nehmen von dem Glauben an ein unbegrenztes
Wachstum und an Fortschritt ohne Ende und uns am Maßstab des Lebens und dessen, was dem Leben dient,
orientieren."30
5.2 Wir müssen Tieren ihre Würde zurückgeben
Wir müssen wieder lernen, Tiere in unserem Denken zuzulassen, ihnen ihren Wert und ihre Würde zurückzugeben, die
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zugleich der Würde des Menschen als Ebenbild Gottes entspricht.
5.3 Neben Einzelchristen ist auch die offizielle Kirche gefragt
Und dann gilt es, die aus der Bibel gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen, d.h. konkret anzuwenden, z.B. ein verändertes
Konsumverhalten, kein Fleisch aus Massentierhaltung, ständiger Protest gegen Tierversuche sowohl in der Medizin als auch
in der Industrie. So wie jeder einzelne gefragt ist, so ist auch die offizielle Kirche aufgefordert, etwas zu tun. Sie hat es 20
Jahre lang getan. Leider ist sie seit 2003 zu diesen Fragen verstummt. Die Kirchen haben die richtigen Fragen gestellt und
die Probleme sachgerecht angesprochen. Was fehlt, ist die notwendige Nachhaltigkeit der Mahnungen in der Öffentlichkeit
und ihre konkrete Umsetzung.
Die Erkenntnis der Nordelbischen Kirche von 1980 gilt auch heute noch: "Immer mehr Menschen sind davon (von dem
millionenfachen Leid, das unseren Mitgeschöpfen durch Menschen zugefügt wird - Anm. des Autors) in ihrem Gewissen
belastet. Sie warten seit langem auf ein Wort der Kirche, weil im christlich verstandenen Schöpfungsglauben die Kraft liegt,
die einen Gesinnungswandel in der modernen Industriegesellschaft bewirken könnte."31
Angesichts des Fortbestehens des Leidens unendlich vieler Tiere zeigt die "Leisetreterei" der Kirche, dass mit so viel
"Ausgewogenheit" kein Fortschritt erzielt werden kann. Wieweit die Kirche allerdings mit einer deutlicheren Sprache Erfolg
hätte, steht nicht in ihrer Macht. Alle, die mit der öffentlichen Verkündigung in der Kirche betraut sind, müssen sagen, was
vom Evangelium her zu sagen ist. Mehr müssen sie, mehr können sie nicht tun. Weniger aber dürfen sie auch nicht tun.
Anmerkungen:
1 Das Stichwort "Mitgeschöpflichkeit" geht auf den Schweizer Kirchenhistoriker Fritz Blanke (1900-1967) zurück. Er hat
persönliche Frömmigkeit, theologische Reflektion und gesellschaftliches Engagement vorbildhaft als Einheit vertreten (vgl.
Wikipedia).
2 Zitat nach: Rainer Hagencord: Diesseits von Eden, Verlag Friedrich Pustet 2005, 25f. Trotz allem dürfen wir nicht
vergessen, dass es immer Denker, Theologen und Philosophen gab, die gegen den breiten Strom schwammen und die Tiere
als Mitgeschöpfe anerkannten, Barmherzigkeit lehrten und selber übten, z.B. Isaak von Ninive (640-700), Franz von Assisi
(1187-1226), Martin Luther (1483-1546), Arthur Schopenhauer (1788-1860), Albert Schweitzer (1875-1965) und fast alle
Vertreter des Pietismus; s. dazu: H.-E. Dietrich: "Pflichtgemäßiges Betragen gegen Tiere", in: Biberacher Heimatblätter 2013,
1.
3 Die Schrift der Nordelbischen Kirche von 2005 und die Materialien zum Aktenstück der Synode der Landeskirche Hannover
von 2011 bringen keine neuen Gesichtspunkte und sind nur jeweils auf die Landeskirche beschränkt.
4 Hirtenschreiben 1980, (II 3). Fast identisch formuliert die EKD-Denkschrift 1984, fügt aber das Verbot der Ausbeutung
hinzu (Ziff. 73).
5 EKD und Bischofskonferenz 1985, Ziff. 34.
6 A.a.O., Ziff. 35.
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7 Hirtenschreiben 1980, (III 2). Ähnlich äußern sich die beiden Kirchen: EKD und Bischofskonferenz 1985, Ziff. 56.
8 EKD und Bischofskonferenz 1989, 37f.
9 Arbeitsgruppe der EKD 1991, 75, 76,77.
10 Wissenschaftlicher Beirat der EKD 1991, Ziff. 12.
11 S.o. Anm. 7.
12 Deutsche Bischofskonferenz 1989, 56.
13 Vgl. EKD-Denkschrift 1984, Ziff. 87.
14 Stellungnahme der EKD 1990, 23.
15 Erklärung von Stuttgart 1988, 110.
16 Arbeitsgruppe der EKD 1991, 79.
17 A.a.O., 26f.
18 In der atl. Wissenschaft ist dies schon lange eine Selbstverständlichkeit, z.B. Bernd Janowski: "Auch die Tiere gehören
zum Gottesbund". In: Gefährten und Feinde des Menschen (Hrsg: Janowski, Neumann-Gosolke, Gleßner), 1993, 1.
19 EKD und Bischofskonferenz 2003, Ziff. 51.
20 A.a.O., Ziff. 53.
21 Wissenschaftlicher Beirat der EKD 1991, Ziff. 14.
22 EKD und Bischofskonferenz 2003, Ziff. 55.
23 Wissenschaftlicher Beirat der EKD 1991, Ziff. 16.
24 Wilhelm Dietler: Gerechtigkeit gegen Tiere. Appell 1787. Neudruck 1997 Asku Presse. Dietler war Professor der
Philosophie in Mainz. Kritiker, die sich gegen Grausamkeit gegenüber Tieren wandten, waren damals eine Ausnahme.
25 A.a.O., 28f.
26 Wissenschaftlicher Beirat der EKD1991, Ziff. 21.
27 Erklärung von Stuttgart 1988, 110.
28 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat der EKD 1991, Ziff. 38f, 40, 42, 43.
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29 Vgl. Nordelbische Kirche 1998, Kap. VI und VII.
30 S. hierzu: Zum verantwortlichen Umgang mit Tieren. Auf dem Weg zu einem Ethos der Mitgeschöpflichkeit.
Stellungnahme der Kirchenleitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, 2005, Vorwort.
31 Erklärung von Stuttgart 1988, 105.
32 Wort zum Tierschutztag 1980. Beschluss der Nordelbischen Kirchenleitung. Ausschuss für Umweltfragen.
Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771
Herausgeber:
Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V
Langgasse 54
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