Freiwilliges soziales Engagement in der Wohnungslosenhilfe Die Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau (DWHN) mit seinen Diensten und Mitgliedseinrichtungen bietet Hilfen für von Wohnungslosigkeit bedrohten und bereits wohnungslos gewordenen Menschen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, an. Das DWHN unterstützt Menschen bei der individuellen Lebensgestaltung und der eigenverantwortlichen Bewältigung der gesellschaftlichen Anforderungen. Die Wohnungslosenhilfe leistet damit einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation der Hilfesuchenden und hat darüber hinaus einen präventiven Charakter. Handlungsleitende Prinzipien sind die Akzeptanz der individuellen Lebensgestaltung, Freiwilligkeit des Kontaktes, durchgängige Ausgestaltung der Hilfen, ganzheitliche Wahrnehmung der Person und der Situation, Nachhaltigkeit einer auf Selbsthilfe orientierten Unterstützung und Vertraulichkeit. Die Wohnungslosenhilfe achtet die Würde des Menschen. Die Arbeit ist bestimmt durch Professionalität. Sie ist geprägt von christlicher Grundhaltung und wird anwaltschaftlich ausgeübt. Veränderungen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen werden erkannt, aktuelle sozialpolitische Entwicklungen werden wahrgenommen und Meinungsbildungsprozesse eingeleitet. Die Wohnungslosenhilfe ist sozialpolitisch engagiert und beteiligt sich damit an der Verbesserung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Sie verfügt über ein breites Netzwerk sozialer Dienste und Einrichtungen um passgenaue Hilfen zu ermöglichen. Grundsätze Die Arbeit der Wohnungslosenhilfe wird in vielen Bereichen durch freiwillig engagierte Menschen unterstützt. Durch das freiwillige Engagement wird die Handlungsmöglichkeit des Hilfesuchenden erweitert. Menschen werden unterstützt, ihren jeweils passenden Weg zu finden. Die Lebenssituation einer zunehmenden Anzahl von Menschen ist gekennzeichnet durch eine dramatische Verschärfung von materieller Armut, Wohnungs-, Arbeits- und Perspektivlosigkeit. 1 Bei vielen Menschen wächst das Bewusstsein, dass die Verantwortung für die Schwachen mehr braucht als die alleinige Verantwortung von Staat und organisierter Hilfe. Freiwillig Engagierte wollen helfen und tun dies in den meisten Fällen vorbildhaft: unmittelbar und unbürokratisch. Wer sich für Mitmenschen engagiert verdient Anerkennung. Freiwillig Engagierte reagieren auf Sozialabbau, übernehmen gesellschaftliche Verantwortung und setzen sich für mehr Solidarität ein. Freiwilliges soziales Engagement kann eine Brücke in den Alltag sein und richtet sich gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung. Adressaten der Hilfe Die Wohnungslosenhilfe der Diakonie versteht sich als ein Angebot für Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder bereits wohnungslos sind und bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind. Rechtsgrundlagen der Hilfen befinden sich in den §§67 ff, SGB XII. Die Kontinuität in der fachlichen Begleitung und der Aufbau einer persönlichen Beziehung ermöglichen eine eigenverantwortliche Lebensführung. Insbesondere nach längerer Wohnungslosigkeit wächst die Furcht vor dem Neubeginn, z.B. in einer eigenen Wohnung. Hier braucht es mutmachende Unterstützung. Lebenslagen Die Zahl Wohnungsloser in prekären Lebenslagen nimmt kontinuierlich zu und ist seit 2008 um 10% auf ca. 250.000 Personen angestiegen (Stand 2012). Menschen, die wohnungslos sind oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, erleben gesellschaftliche Ausgrenzung. Schließlich haben sie ihr Unglück – vordergründig betrachtet – oft selbst verschuldet. Aufgrund ihrer Vorgeschichte finden sie schwerer eine Wohnung oder Arbeit. Ihre Lebenslage ist darüber hinaus durch benachteiligende Merkmale geprägt. Wohnungslose Menschen sind weitgehend ausgeschlossen von gesellschaftlicher Teilhabe, von wirtschaftlichen, politischen, kulturellen, familiären und sozialen gesellschaftlichen Strukturen. Einmal aus der Wohnungsversorgung ausgeschlossen ist es umso schwieriger in die „Normalität“ zurückzukehren, je länger der Wohnungsverlust anhält. Der Alltag ist gekennzeichnet von der täglichen Sorge um das Überleben in Verbindung mit der subjektiven Wahrnehmung, dass es kaum Chancen gibt die Situation zu verbessern. 2 Soziale Beziehungen verarmen und sind in der Regel beschränkt auf Kontakte zu Leidgenossen und professionellen Helfern. Suchtproblematiken (oft als Verarbeitungs- oder Bewältigungsstrategie der Lebenssituation) entstehen, potenzieren, oder verfestigen sich. Arbeitslosigkeit Psychische Auffälligkeiten, Sinn- und Motivationsverlust, Resignation, Lethargie, oder individueller Protest Körperliche Belastungen (Kälte, Witterung, ungenügende Ernährung) führen auf Dauer zu massiven, häufig chronischen und z.T. bleibenden gesundheitlichen Schäden. Freiwilliges soziales Engagement Im Vordergrund des freiwilligen sozialen Engagements stehen das Interesse, Menschen zu treffen, wichtige Lebenserfahrungen zu machen, Lebenserfahrung einzubringen, etwas für andere zu tun und die Gesellschaft mitzugestalten, soziale Anerkennung zu erhalten, gebraucht zu werden sowie die Freude an der Aufgabe. Das freiwillige soziale Engagement in der Wohnungslosenhilfe zeichnet sich aus durch direkten Kontakt zu Menschen in Wohnungslosigkeit, persönliches Engagement, ohne durch verwandtschaftliche Beziehungen oder durch ein Amt dazu verpflichtet zu sein, außerberuflichen Einsatz, der von der Erwerbsarbeit abgegrenzt ist, eine Orientierung am Nutzen Dritter und nicht nur an der Verfolgung eigener Interessen. Unterscheiden lassen sich drei Gruppen von freiwillig Engagierten: Menschen, die Fachkompetenz aus ihrem beruflichen Umfeld mitbringen Menschen ohne spezifische professionelle Kompetenz Menschen, die ehemals wohnungslos waren und dadurch eine ergänzende Perspektive einbringen können Einsatzfelder des freiwilligen sozialen Engagements Die Wohnungslosenhilfe zeichnet sich aus durch ein differenziertes und vernetztes Angebot an sozialen Diensten, Einrichtungen und Hilfen (Fachberatungsstellen, Betreutes Wohnen, Wohnund Übernachtungsheime, Tages- und Begegnungsstätten etc.). In Ergänzung zu professioneller Hilfe bieten sich als praktische Unterstützung viele Möglichkeiten an, die vom direkten persönlichen Kontakt bis zu indirekter Hilfe reichen. 3 Einsatzfelder im direkten persönlichen Kontakt von Menschen in Wohnungslosigkeit und ihrem sozialem Netz sind z.B. Unterstützung und Hilfestellung im Vorfeld und während der Wohnungslosigkeit im administrativen Bereich (Hilfe beim Ausfüllen von Formularen, Hilfe beim Briefe schreiben, nach dem Verlust des Wohnraums Begleitung zu Behörden und Einrichtungen) bei der Alltagsbewältigung bei der Überwindung von Sprachbarrieren bei der Alphabetisierung bei der Wohnungssuche bei der Lehrstellen- und Arbeitssuche, ggf. beim Ausbildungsabschluss bei der Freizeitgestaltung medizinische/pflegerische Hilfen Indirekte Hilfen, welche einen persönlichen Kontakt nicht zwingend erfordern, sind z.B. Lagermöglichkeit für Hausrat und persönliche Gegenstände zur Verfügung zu stellen Transport von Einrichtungsgegenständen Förderverein gründen bzw. mitarbeiten, um die Arbeit der Wohnungslosenhilfe zu fördern. Die konkrete Ausgestaltung der Hilfe wird im Kontakt mit dem wohnungslos gewordenen Menschen bzw. den Angehörigen und dem Hauptamtlichen erarbeitet. Dies hängt nicht zuletzt von den persönlichen Interessen, Kenntnissen und Fähigkeiten ab. Die Ergebnisse werden – für alle nachvollziehbar – schriftlich vereinbart. Zusammenarbeit von freiwilligem sozialem Engagement und hauptamtlicher Hilfe Freiwillig Engagierte bringen eigene zusätzliche Fähigkeiten und Qualifikationen (z.B. Zeit, Ideen, Lebenserfahrung, Hobbies, Spezialwissen) in die Hilfen ein. Notwendigerweise durch Hauptamtliche spezialisiert, qualifiziert und kontinuierlich zu erbringende Hilfen können durch freiwilliges soziales Engagement nicht ersetzt werden. Das hauptamtliche Engagement ist – im Gegensatz zum freiwilligen sozialen Engagement – vertrags- und auftragsgebunden. Die Gesamtverantwortung verbleibt bei den hauptamtlich Mitarbeitenden. Eine auf begrenzte Aufgabenbereiche bezogene , zeitlich festgelegte Einbindung freiwillig Engagierter in ein Hilfe- oder Betreuungsangebot kann nur unter Berücksichtigung des Aspekts der Freiwilligkeit erfolgen. Der Einsatz muss deshalb jederzeit kurzfristig flexibel geändert werden können oder verzichtbar sein und ein gesichertes Hilfeangebot nicht grundlegend beeinträchtigen. Freiwilliges soziales Engagement ist keine eigenständige Säule im Hilfesystem, 4 sondern ergänzt und erweitert hauptamtliche Hilfe. Die Entlastung Hauptamtlicher einerseits bringt andererseits auch „Mehrbelastung“ durch die Begleitung freiwillig Engagierter mit sich. Um die Lebensqualität sozial Benachteiligter zu verbessern und ihre Lebenslage zu normalisieren, ist die Kooperation des freiwilligen sozialen Engagements und der hauptamtlichen Hilfe unverzichtbar geworden. Eine erfolgreiche Kooperation aller Beteiligten im Interesse von Menschen in Wohnungslosigkeit ist nur möglich, wenn man sich über Legitimation, Motive und Ziele des eigenen Handelns verständigt sowie die gegenwärtige Situation analysiert. Allen Beteiligten bietet die Zusammenarbeit eine Erweiterung der eigenen Sichtweise und Berufskompetenz. Im Gespräch mit freiwillig Engagierten, mit Selbsthilfeinitiativen und Sponsoren liegen auch für die hauptamtliche Hilfe Chancen zu neuen Bündnissen. Kriterien des freiwilligen sozialen Engagements Volljährige, welche die entsprechende Haltung (Akzeptanz, Offenheit etc.) gegenüber den Adressaten mitbringen und im Kontakt mit Hauptamtlichen und der Gruppe der freiwillig Engagierten reflexionsfähig und -willig sind, sind für das freiwillige soziale Engagement geeignet. Verschwiegenheit wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Ob die Person ihrer Aufgabe gewachsen ist, zeigt sich in der Probephase. Die Wohnungslosenhilfe sieht sich in der besonderen Pflicht, diesen Dienst im Interesse der Hilfebedürftigen nur in qualifizierter Weise zuzulassen sowie im notwendigen Umfang zu organisieren, zu steuern und fachlich zu begleiten. Dafür werden Einsatzmöglichkeiten für freiwillig Engagierte zur Verfügung gestellt und für die erforderlichen Rahmenbedingungen gesorgt. Konzeptionelle Grundlage Die verschiedenen Angebote, Dienste und Einrichtungen haben üblicherweise ein ihrer Aufgabenstellung entsprechendes, jeweils fachliches Anforderungsprofil. Grundlage dafür ist in der Regel eine Konzeption, aus welcher der Auftrag, die Aufgabenstellung, die Adressaten, die Ziele sowie die organisatorischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hervorgehen. Darin sind auch Art, Umfang und Organisation des Einsatzes von freiwillig Engagierten beschrieben. Eine enge Begleitung des freiwilligen Engagements ist gewährleistet. Ebenso muss der Arbeitsauftrag geklärt sein. Der Beginn und ggf. das Ende des freiwilligen Engagements ist zu definieren. Eine Einarbeitungszeit und eine Probezeit für alle Beteiligten ist zu vereinbaren. Der Ansprechpartner ist klar benannt. 5 Rahmenbedingungen Freiwilliges soziales Engagement gibt es nicht „kostenlos“. Essentiell ist professionelle Begleitung und Unterstützung. Die Begleitung der freiwillig Engagierten ist durch hauptamtliche Ansprechpartner gewährleistet. Die hierfür notwendigen zeitlichen Ressourcen werden zur Verfügung gestellt. Die nach Bedarf und Einsatzfeld erforderlichen Rahmenbedingungen sind abgestimmt und stehen zur Verfügung. Mögliche Beispiele sind Büro- und Kopierernutzung, eigenes Ablagefach, Nutzungsmöglichkeit des Dienstfahrzeugs, Auslagenerstattung, Schlüssel etc. Die Dienste und Einrichtungen bieten regelmäßig Schulungen für freiwillig Engagierte an bzw. ermöglichen deren Nutzung. Zum Konzept gehört ebenso ein regelmäßiger Austausch der freiwillig Engagierten. Die versicherungsrechtlichen und datenschutzrelevanten Fragen sind geregelt. Bei Bedarf ist ein schneller Kontakt der freiwillig Engagierten zum Ansprechpartner bzw. zur Dienststelle sichergestellt. Schluss Zum Einsatz des freiwilligen sozialen Engagements gibt es gute Beispiele und Erfahrungen in Einrichtungen und Diensten des DWHN. Er ist verbunden mit einem hohen Grad an Verantwortung. Das freiwillige Engagement ist nicht zum „Null-Tarif“ zu haben. Unter Qualitätsaspekten sind die genannten Anforderungen und Voraussetzungen unverzichtbar. Das Handbuch „Freiwilliges Engagement im Diakonischen Werk in Hessen und Nassau“ (2008/2010) kann für einzelne Aspekte (wie Anerkennung, Ausstieg etc.) weitere Hilfestellungen bieten. Dieses Arbeitspapier wurde erstellt von Frank Hillerich, Susanne Kolb, Dagmar Siebert Beschlossen beim Arbeitskreis der Wohnungslosenhilfe am 13. Juni 2012 6