Kapitel 0 Einführung Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 1 / 15 Ziele der Vorlesung In der Vorlesung wird eine Einführung in die mathematische Logik gegeben. Dabei ist die mathematische Logik “mathematisch” in zweierlei Sinn: I Zum einen: Die Mathematische Logik ist eine Mathematisierung der (formalen) Logik, also eine Mathematische Theorie, die die Logik zum Gegenstand hat. Dies erlaubt die Beschreibung und Untersuchung der Logik mit mathematischen Methoden. I Zum anderen: Die Mathematische Logik umfasst die Teile der Logik, die der Mathematiker bei seiner Arbeit verwendet. Die Mathematische Logik ist also auch die Logik, die der Mathematik als Wissenschaft zugrundeliegt. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 2 / 15 Prädikatenlogik: mathematische Strukturen Im Zentrum der Vorlesung wird die Prädikatenlogik (der 1. Stufe = PL1) stehen, die die logische Analyse von Aussagen über Mathematische Strukturen erlaubt. Eine mathematische Struktur ist dabei z.B. die Struktur N = (N, +N , ·N , 0N , 1N ) der natürlichen Zahlen mit den arithmetischen Operationen (Arithmetik), ein beliebiger Körper K = (K , +K , ·K , 0K , 1K ), oder die Ordnung der rationalen Zahlen Q = (Q, ≤Q ). In jedem Fall besteht eine Struktur aus einem Grundbereich (= Universum, dessen Elemente wir als Individuen bezeichnen) und ausgezeichneten Relationen bzw. Funktionen bzw. Elementen (= Konstanten). Stimmen diese ausgezeichneten Objekte bezüglich Anzahl, Art und Stelligkeit überein, so sagt man, dass die zugehörigen Strukturen denselben Typ haben. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 3 / 15 Prädikatenlogik: Sprache und Sätze In der Prädikatenlogik werden dann Aussagen über mathematische Strukturen eines gegebenen Typs mit Hilfe von Sätzen dargestellt, die rein syntaktisch als Zeichenreihen einer (vom Typ abhängenden) formalen Sprachen definiert sind. Diese Sprache verfügt neben (Individuen-)Variablen und logischen Zeichen - die es erlauben Aussagen zu verknüpfen (Junktoren) und über Individuen zu quantifizieren (Quantoren) - für jede der ausgezeichneten Relationen, Funktionen und Konstanten über ein entsprechendes Symbol. So macht z.B. der Satz ∀x∃y (x = y + 1) die (falsche) Aussage “Jede natürliche Zahl ist der Nachfolger einer natürlichen Zahl” über die Struktur N der natürlichen Zahlen (und die (wahre) Aussage “Jede ganze Zahl ist der Nachfolger einer ganzen Zahl” über die (entsprechend definierte) Struktur Z der ganzen Zahlen). Ist ein Satz σ in einer Struktur A wahr, so nennen wir A ein Modell von σ. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 4 / 15 Prädikatenlogik: Logische Wahrheit Ein Satz ist dann logisch wahr (allgemeingültig), wenn er in allen Strukturen (des passenden Typs) gilt, also bei jeder möglichen Interpretation oder anschaulich - “in jeder möglichen Welt” wahr ist. BEISPIEL: Der Satz ∀x(x = x) ist allgemeingültig, wogegen der auf der letzten Folie angegebene Satz nicht allgemeingültig ist. Weiter sagen wir, dass ein Satz σ erfüllbar ist, wenn er in zumindest einer Struktur gilt, also zumindest ein Modell besitzt, und wir nennen σ widersprüchlich, wenn σ kein Modell besitzt. BEISPIELE: I I I Jeder allgemeingültige Satz ist erfüllbar. Der Satz ∃x∃y (x 6= y ) ist erfüllbar (aber nicht allgemeingültig). Der Satz ∃x(x 6= x) ist widersprüchlich. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 5 / 15 Prädikatenlogik: Logischer Folgerungsbegriff Den Begriff der logischen Folgerung präzisiert man wie folgt: Ein Satz σ folgt (logisch, d.h. zwingend) aus einer Menge T von Sätzen, wenn in jeder Struktur, in der alle Sätze aus T gelten, auch der Satz σ gilt (also jedes Modell von T auch Modell von σ ist). Man nennt hier oft T eine Theorie und die Sätze in T die (mathematischen) Axiome von T . BEISPIEL: Eine Gruppe G = (G , ◦G , eG ) ist eine Struktur, in der die 3 Gruppenaxiome σ1 σ2 σ3 ≡ ∀x∀y ∀z((x ◦ y ) ◦ z = x ◦ (y ◦ z)) ≡ ∀x(x ◦ e = x) ≡ ∀x∃y (x ◦ y = e) gelten. Ein Satz σ folgt also genau dann aus der “Gruppentheorie” T = {σ1 , σ2 , σ3 }, wenn er in allen Gruppen wahr ist. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 6 / 15 Prädikatenlogik: Wahrheit vs. Beweisbarkeit (1) Der (semantische, d.h. sich auf Strukturen beziehende) logische Wahrheitsund Folgerungsbegriff ist in hohem Maße nichtkonstruktiv. Um zu überprüfen, ob ein Satz σ allgemeingültig ist, müsste man nach Definition für alle möglichen Strukturen A des passenden Typs - von denen es unendlich viele gibt und die selbst wiederum unendlich groß und beliebig komplex sein mögen - überprüfen, ob σ in A gilt. Da dies i.a. unmöglich ist, versucht man Wahrheits- und Folgerungsbegriff durch einen konstruktiven, rein syntaktisch (d.h. ohne Bezug auf Strukturen) definierten Beweis(barkeits)begriff zu erfassen. Hierzu definiert man sogenannte Kalküle K. Solch ein Kalkül verfügt über eine Menge von ausgezeichneten Sätzen, den (logischen) Axiomen, sowie einer Menge ausgezeichneter endlicher Folgen von Sätzen ϕ1 , . . . , ϕn , ϕ, den Regeln, wobei die Sätze ϕ1 , . . . , ϕn als die Prämissen und der Satz ϕ als die Konklusion der Regel bezeichnet werden. Entscheidend ist hierbei, dass sich die Frage, ob ein Satz ein Axiom oder eine Folge von Sätzen eine Regel ist, effektiv durch Prüfung der vorliegenden Gestalten (also rein syntaktisch) beantworten lässt. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 7 / 15 Prädikatenlogik: Wahrheit vs. Beweisbarkeit (2) Ein Beweis eines Satzes σ besteht dann aus einer endlichen Folge von Sätzen ψ1 , . . . , ψm , wobei der letzte Satz ψm der zu beweisende Satz σ ist und jeder Satz ψi ein Axiom oder die Konklusion einer Regel ist, deren Prämissen weiter vorne im Beweis vorkommen. Ein Satz σ ist dann beweisbar, wenn es einen Beweis von σ gibt, und entsprechend ist ein Satz σ aus einer Theorie T beweisbar, wenn es einen Beweis von σ aus T gibt, wobei in solch einem Beweis an Stelle von (logischen) Axiomen und Regelkonklusionen auch die Axiome aus T vorkommen dürfen. Sind die Axiome des Kalküls K allgemeingültig und folgt die Konklusion jeder Regel (semantisch) aus deren Prämissen, so kann man leicht zeigen, dass jeder beweisbare Satz allgemeingültig ist und jeder aus einer Theorie beweisbarer Satz aus dieser Theorie folgt. Solch einen Kalkül nennt man korrekt. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 8 / 15 Prädikatenlogik: Wahrheit vs. Beweisbarkeit (3) Unser Hauptergebnis wird sein, dass es korrekte Kalküle K gibt, die auch vollständig sind, d.h. in denen jeder allgemeingültige Satz auch beweisbar ist und entsprechend jeder aus einer Theorie T folgender Satz aus T beweisbar ist (Vollständigkeitssatz von Gödel). Der in hohem Grade nichtkonstruktive (semantische) logische Wahrheitsund Folgerungsbegriff lässt sich also rein syntaktisch und konstruktiv durch den Beweisbarkeitsbegriff (in einem geeigneten Kalkül) beschreiben! Dieses Ergebnis hat eine Reihe gravierender Folgerungen: So werden wir z.B. zeigen, dass sich der Endlichkeitsbegriff oder die Struktur der natürlichen Zahlen (bis auf Isomorphie) nicht in der Prädikatenlogik erster Stufe beschreiben lassen. Für solche Beschreibungen muss man die Prädikatenlogik zur Prädikatenlogik 2. Stufe (PL2) erweitern, in der man auch über Mengen von Individuen quantifizieren kann. Wie wir ebenfalls zeigen werden, lässt sich in dieser Logik der Wahrheitsbegriff jedoch nicht durch einen geeigneten Beweisbarkeitsbegriff erfassen. Die Wahrheit einer Aussage lässt sich dort daher i.a. nicht konstruktiv nachweisen. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 9 / 15 Prädikatenlogik: Vorgehensweise In der Vorlesung werden wir, bevor wir die Prädikatenlogik behandeln, zunächst in Kapitel 1 die Aussagenlogik (AL) vorstellen, in der die Logik der Verknüpfung von Aussagen (aber noch nicht die Quantifizierung) behandelt wird. Am Beispiel dieser recht einfachen Logik werden wir schon eine Reihe der grundlegenden logischen Konzepte vorstellen, lernen, Semantik und Syntax auseinanderzuhalten, und - als Vorbereitung auf den Vollständigkeitssatz von Gödel - einen korrekten und vollständigen Kalkül der Aussagenlogik angeben. In Kapitel 2 führen wir dann die (Syntax und Semantik der) Prädikatenlogik erster Stufe 1 (PL1) ein und stellen die grundlegenden Fakten hierüber zusammen. In Kapitel 3 diskutieren wir die Ausdrucksstärke von PL1, d.h. gehen der Frage nach, welche Strukturen und Strukturklassen sich als die Modellklassen von Theorien in PL1 darstellen lassen. In Kapitel 4 wird dann schließlich der Vollständigkeitssatz von Gödel bewiesen. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 10 / 15 Weitere Themen der Vorlesung (1) Die Unvollständigkeitssätze von Gödel Während es nach dem Gödelschen Vollständigkeitssatz einen Kalkül gibt, in dem sich gerade die allgemeingültigen Sätze beweisen lassen, hat Gödel auch gezeigt, dass es keinen Kalkül gibt, in dem sich die wahren Sätze der Arithmetik beweisen lassen, d.h. in dem gerade die in der Struktur N = (N, +, ·, 0, 1) geltenden Sätze beweisbar sind. Während sich also die logische Wahrheit durch einen geeigneten Beweisbarkeitsbegriff erfassen lässt, ist dies für die mathematische Wahrheit (d.h. die Wahrheit in einzelnen Strukturen) i.a. nicht der Fall. Um dies zu zeigen, werden wir kurz die Grundlagen der Berechenbarkeitstheorie (Rekursionstheorie) vorstellen und dann zeigen: Während für jeden Kalkül die Menge der beweisbaren Sätze rekursiv aufzählbar ist, gilt dies nicht für die Menge der in N geltenden Sätze. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 11 / 15 Weitere Themen der Vorlesung (2) Eine kurze Einführung in die axiomatische Mengenlehre Hierbei werden wir vor allem auf die Rolle des Auswahlaxioms und der Kontinuumshypothese eingehen und diskutieren wie sich die natürlichen Zahlen (zur Erfassung endlicher Mengen) zu unendlichen Ordinal- und Kardinalzahlen fortsetzen lassen. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 12 / 15 Literatur Die Vorlesung orientiert sich in weiten Teilen an dem Skript Klaus Gloede: Skriptum zur Vorlesung Mathematische Logik; Mathematisches Institut der Universität Heidelberg, Wintersemester 2006/07 http://www.math.uni-heidelberg.de/logic/md/lehre/mathlogik.pdf Dort finden sich im Literaturverzeichnis (S. 238) auch Verweise auf empfohlene Lehrbücher (z.B. Ebbinghaus-Flum-Thomas, Prestel, Rautenberg, Shoenfield, Tuschik-Wolter; siehe Stichwort “Mathematische Logik”) sowie weitere Literatur zur Geschichte der (Mathematischen) Logik sowie zu anderen Bereichen der Mathematischen Logik im weiten Sinne (wie Mengenlehre etc.) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 13 / 15 Meilensteine in der Geschichte der Mathematischen Logik Aristoteles (-384 - -322): Organon Formale Theorie des korrekten Schließens (Syllogistik) George Boole (1847): (Kalkül der) Aussagenlogik Gottlob Frege (1879): Prädikatenlogik (“Begriffsschrift”) (unabhängig auch entwickelt von Charles Sanders Peirce) David Hilbert (1862-1943): Hilbertsches Programm (um 1900) Bertrand Russell und Alfred North Whitehead: Principia Mathematica (1910-13) Versuch einer axiomatischen Entwicklung der gesamten Mathematik (im Rahmen der Prädikatenlogik) Kurt Gödel (1906-1978): Gödelscher Vollständigkeitssatz (1928) Axiomatisierbarkeit der Prädikatenlogik Kurt Gödel: Gödelsche Unvollständigkeitssätze (1931) Nichtaxiomatisierbarkeit der Arithmetik (→ Scheitern des Hilbertschen Programms) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 14 / 15 Mehr zur Geschichte der Mathematischen Logik Heinrich Scholz: Abriß der Geschichte der Logik. Verlag Karl Alber, Freiburg-München. Dritte Auflage, 1967. Apostolos Doxiadis und Christos Papadimitriou: Logicomix - Eine epische Suche nach Wahrheit. Atrium Verlag, Zürich. Zweite Auflage, 2010. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 0: Einführung 15 / 15