Islam in Deutschland

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Islam in Deutschland
Annäherung an ein Problem
Die Wahrnehmung des Islam in Deutschland wird einerseits durch eine
Jahrzehnte währende Indifferenz der deutschen Öffentlichkeit und Politik erschwert,
andererseits durch die Undurchsichtigkeit muslimischer Gruppen, Organisationen und
religiöser Zusammenhänge. Die üblichen westlichen Ansätze, ein Phänomen zu
untersuchen, sozialwissenschaftliche Forschung, statistische Befragung etc. werden
hier stark behindert, sei es durch eine religiös motivierte Abgrenzungs-Mentalität, sei
es durch Nicht-Bereitschaft, Einblick in Interna islamischer Körperschaften zu
gewähren. Kritische Selbstreflexion hat in der islamischen Kultur ohnehin kaum
Tradition, die „Glaubensgemeinschaft“ (umma) – so unpräzise der Begriff angesichts
der zahllosen inneren Spaltungen des Islam sein mag –, gilt im überlieferten
Selbstverständnis als unfehlbar. Der Mangel an Offenheit und Transparenz von Seiten
islamischer Organisationen hat fraglos zum steigenden Misstrauen gegenüber den
muslimischen Einwanderern in Deutschland beigetragen.
In Deutschland leben heute rund vier Millionen Muslime (1). Die Zahl ist eine
Schätzung, einmal, weil es eine offizielle Registrierung – vergleichbar der Eintragung
in Kirchenregister – im Islam nicht gibt (2), zum anderen, weil sich die verschiedenen
islamischen Richtungen und Ethnien oft kontrovers zueinander verhalten, bis zur
gegenseitigen Nicht-Anerkennung als Muslime (3). Behördlicherseits beginnt das
Problem mit der Frage, wer eigentlich als Muslim zu betrachten sei: die Zuordnung
erfolgt sowohl nach der Herkunft als auch nach der Mitgliedschaft in islamischen
Vereinen und Organisationen. Das heisst, der Begriff Muslim wird gemeinhin sowohl
nach dem Glaubensbekenntnis, also konfessionell, als auch ethnisch-genetisch, nach
der Geburt, definiert.
Diese grundsätzliche Unklarheit wird dadurch vertieft, dass nach verbreitetem
Verständnis der islamischen Theologie jeder Mensch auf der Welt von Geburt Muslim
ist, folglich die „Ungläubigen“ erst durch Erziehung oder gesellschaftliche
Einwirkung in diesen – nach den elementaren Aussagen des Koran verächtlichen –
Status versetzt wurden und daher Ziel von Bemühungen der islamischen
„Glaubensgemeinschaft“ sind, sie für ihren eigentlichen, bei Geburt von Allah
verliehenen, dann auf irgendeine Weise eingebüßten Status als „Gläubige“ zurück zu
gewinnen. In diesem Sinne wird ein Übertritt in den Islam extrem leicht gemacht: es
genügt das Aufsagen des Glaubensbekenntnisses (shahada) im Beisein zweier
Zeugen. Dabei handelt es sich um zwei kurze Formeln aus dem Koran, auf Arabisch
nachzusprechen, zunächst La ilaha il ’lahu, Es gibt keinen Gott außer Allah (4),
sodann (verbunden durch die Konjunktion wa, und) die zweite Aussage Muhamadun
rasulu ’lahi, Mohamed ist der Gesandte Allahs (5). Shiitische Muslime fügen oft
hinzu: Ali ist der Freund Gottes. Um die Figur Ali, Schwiegersohn des Propheten,
entstand bereits im 7. Jahrhundert das theologisch unversöhnliche Schisma zwischen
Shiiten und Sunniten, das den Islam bis heute in einander feindliche, nicht selten
Krieg führende Parteien spaltet. Mit dieser kurzen Deklamation ist der Eintritt in den
Islam vollzogen. Zum Vergleich sei an die gründlichen Vorbereitungen bei einem
Übertritt zur katholischen Kirche oder den oft Jahre dauernden Prozess einer
Konversion ins religiöse Judentum erinnert. Dort werden von Proselyten
theologische, historische und rituelle Kenntnisse erwartet, auf die der Islam bei seinen
Anhängern verzichtet.
Den hohen Zahlen für Konvertiten zum Islam, die muslimische Organisationen
angeben, sollte man misstrauen, weil sie erstens nicht nachprüfbar sind, zweitens in
vielen Fällen Menschen – oft in einer gewissen Naivität – das islamische
Glaubensbekenntnis sprechen, ohne Kenntnisse über den Islam erlangt zu haben oder
überhaupt zu wissen, was es im religiösen Sinne bedeutet, Muslim zu sein (6). Die
Unkenntnis vieler (auch in den Islam hineingeborener) Muslime über ihre eigene
Religion wird bestärkt durch massive Verbote der herkömmlichen islamischen
Theologie, über Glaubensfragen zu reflektieren. Von orthodoxen Muslimen wird eine
text-analytische Beschäftigung mit dem Schrifttum des Islam grundsätzlich
abgelehnt, es sei denn, sie beschränke sich allein auf die vom Propheten selbst oder
seinen Genossen überlieferten Belehrungen. Der Koran sei nicht dazu da, „um an den
göttlichen Text spekulative Tüfteleien anzuknüpfen (…) Da gelte vielmehr das
Koran-Wort: Und wenn du solche siehst, die über unsere Zeichen grübeln, so wende
dich von ihnen ab.“ (7) Schon Mohameds Freund und Nachfolger (im Amt des ersten
Khalifen) Abu Bekr wird der Spruch zugeschrieben: „Wie könnte mich die Erde
tragen oder der Himmel beschatten, wenn ich über den Koran nach meiner
subjektiven Meinung spräche, als über etwas, wovon ich nichts verstehe.“ (8) Noch
strikter lehnt der maßgebliche Theosoph at-Tirmidi jede nicht durch muslimische
Autoritäten gebilligte Beschäftigung mit den „heiligen Texten“ ab: „Wer den Koran
nach Gutdünken erklärt, ist dadurch ein Ungläubiger.“ (9) Das Wort „Ungläubiger“
bedeutet dem orthodoxen Muslim eine Chiffre für Feinde des Islam, gegen die alle
möglichen Maßnahmen geboten sind, bis hin zu ihrer Tötung (10).
Exegese, tiefere Interpretation, kritische Text-Analyse, vergleichbar etwa dem
rabbinischen Schrifttum oder der modernen Bibel-Kritik, hält traditionelle islamische
Theologie bis heute weitgehend für unerlaubt, zumindest für Laien, erst recht für
Nicht-Muslime. Zugleich ist dem, der einmal konvertiert oder in den Islam
hineingeboren wurde, ein Austritt nach den islamischen Religionsgesetzen nicht mehr
möglich. Der Koran verheisst: „Wer Allah verleugnet, nachdem er gläubig war (…)
über die kommt ein Zorn von Gott und bestimmt ist für sie gewaltige Pein.“ (11)
Wenn damit noch Strafen im Jenseits gemeint sind, fügt ein anderer Koranvers zum
„Zorn von Gott“ den „Fluch der Menschen“ hinzu (12). In Sure 4,89 wird dann
ausdrücklich die Abstrafung (Tötung) der „Abtrünnigen“ bereits im Diesseits und
durch die „Gläubigen“ gefordert: „Wenn sie sich abkehren, dann greift sie und tötet
sie, wo immer ihr sie findet“ (13). Auf diesen Koran-Stellen basieren die weiteren
Regulierungen (u.a. der Sharia), wie mit Abtrünnigen zu verfahren sei.
Angesichts der inner-islamischen Rechtslage ist es begreiflich, wenn ehemalige
Muslime ihre Abwendung vom Islam oder ihren Übertritt in andere Religionen in den
meisten Fällen geheim halten. Nicht selten müssen Konvertiten zum christlichen
Glauben im heutigen Europa unter Polizeischutz leben. Von islamischen
Rechtsgelehrten wird besonders der öffentlich gemachte Aus- oder Übertritt verübelt
und für strafwürdig erklärt, wie etwa im Fall des in Italien lebenden gebürtigen
Ägypters Magdi Allam (14). Mut zeigen auch die in Deutschland im Zentralrat der
Ex-Muslime organisierten Frauen und Männer, wenn sie sich öffentlich vom Islam
abwenden und in diesem Sinne publizistisch tätig werden. Man kann davon ausgehen,
dass die Zahl der geheimen Aus- und Übertritte weitaus größer ist, ganz sicher
innerhalb islamischer Länder, aber auch in europäischen Staaten, einschließlich
Deutschlands.
Die schismatische Zerrissenheit des Islam in der Welt widerspiegelt sich auch in
der deutschen Bevölkerungsgruppe, die unter dem Begriff Muslime zusammengefasst
wird. Nach offiziellen Angaben sind etwa 74% von ihnen Sunni, 13% Aleviten, 7%
Shiiten und 6% „Sonstige“, darunter Ahmadi, Ibadit u.a. Auch hier gibt es
Schwierigkeiten der Festlegung: so betrachten sich nicht alle der (in der Türkei
diskriminierten) Aleviten als Muslime. Die Ahmadi werden von etlichen islamischen
Richtungen nicht als Muslime anerkannt. Unter den als Shiiten Aufgeführten sind
zahlreiche Exil-Iraner, die dem Islam gänzlich abgeschworen haben und aus diesem
Grund emigrieren mussten. Da ein dem Kirchenaustritt vergleichbares Annulieren der
islamischen Religionszugehörigkeit nicht möglich ist, bleibt auch unklar, wieviele
Muslime religiös praktizieren, also im eigentlichen Sinn des Wortes die Bezeichnung
Muslim verdienen (15). Alle vorgenannten Ungewissheiten erschweren eine
Festlegung oder auch nur präzisere Schätzung der Zahl der in Deutschland lebenden
Muslime.
Wie hoch auch immer die genaue Zahl der Muslime in Deutschland sein mag,
eines steht fest: ihre Zahl ist steigend. Die deprimierende Demographie der Deutschen
ist nicht erst seit Thilo Sarrazins umstrittenem Buch bekannt. Eines ihrer Symptome
ist die weitaus höhere Geburtenrate der muslimischen Migranten gegenüber der
ansässigen deutschen Bevölkerung, entsprechend das stetige Zunehmen der
islamischen Minderheit in den heute schon überalterten, von Geburtenschwund
gezeichneten europäischen Nationen. Die berühmte, auch von Sarrazin in seinem
Buch zitierte Äusserung des türkischen Europa-Abgeordneten Vural Öger (eines
Mitglieds der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands) belegt jedenfalls, dass man
auf muslimischer Seite den Trend erkannt hat: „Im Jahr 2100 wird es in Deutschland
35 Millionen Türken geben. Die Einwohnerzahl der Deutschen wird dann bei
ungefähr 20 Millionen liegen. Das, was Sultan Suleyman 1529 mit der Belagerung
Wiens begonnen hat, werden wir über die Einwohner, mit unseren kräftigen Männern
und gesunden Frauen verwirklichen.“ (16)
Die hohe Geburtenrate muslimischer Familien in Deutschland wird zweifellos
durch die deutsche Sozialgesetzgebung begünstigt, die auch nicht arbeitenden Eltern
durch Wohlfahrtszahlungen und staatliches Kindergeld eine erträgliche Existenz
bietet, jedenfalls im Vergleich zu den Lebensmöglichkeiten in ihren
Herkunftsländern. Dort ist die Geburtenrate – ganz anders als in Europa – oft
rückläufig, etwa im Iran, einigen nordafrikanisch-muslimischen Ländern oder der
Türkei (17). Als Gründe werden Armut, soziale Perspektivlosigkeit und Repression
angenommen (Iran), aber auch westliche Einflüsse und steigender Wohlstand
(Türkei). In der für Europa als bedrohlich empfundenen demographischen
Entwicklung liegt ein weiterer Grund für das wachsende Misstrauen gegenüber der
muslimischen Minorität.
Deutschland war auf die Problematik einer muslimischen Masseneinwanderung
nicht vorbereitet, weder der Staat, noch der einzelne Bürger. Die religiösen
Besonderheiten des Islam waren im allgemeinen Bewusstsein nicht mehr präsent,
nicht einmal im Bewusstsein derer, die sich von Berufs wegen damit beschäftigten.
Jahrzehnte lang standen die Orient-Wissenschaften unter dem Verdikt eines
Relativismus, der in der berühmten „Ringparabel“ seinen metaphorischen Ausdruck
gefunden hatte. Die schon vordem in der europäischen Literatur bekannte Legende
erlangte in Lessings philosophischer Interpretation eine folgenschwere Bedeutung:
die falsche These von einer tiefgehenden Ähnlichkeit, sogar Gleichheit der „drei
abrahamitischen Religionen“ überblendete ihre fundamentalen Unvereinbarkeiten.
Bei genauerem Hinsehen erweist sich die Metapher von den „drei gleichen Ringen“
als verfehlt. Die ideengeschichtliche Reihenfolge der drei monotheistischen
Religionen wird in dieser belletristischen Erzählung ebenso vernachlässigt wie die
elementaren Unterschiede im Gottes- und Menschenbild, in der textlichen
Konsistenz, im Verhältnis zu Krieg und Frieden oder in der gesellschaftlichen Vision
der drei in Frage stehenden Religionen (18).
Eine Romantisierung der morgenländischen Sphäre hatte – nach langer
Zwangspause in der Wahrnehmung – bereits im späten 18.Jahrhundert in Europa
eingesetzt, spätestens mit Goethe, Hauff und Heine war sie auch in der deutschen
Literatur – und darauf folgend in den Fachwissenschaften – etabliert (19). Diese
Tendenz beeinflusst bis heute das europäische Bild vom Islam, unerachtet aller
historischen und gegenwärtigen politischen Erfahrungen. Die zwei früheren Versuche
des Islam, Europa zu erobern, zunächst durch arabische Invasionsheere vom
siebenten Jahrhundert bis ins Mittelalter, dann nochmals, einige Jahrhunderte später,
durch die Militärmaschinerie des osmanisch-türkischen Reiches, dringen erst jetzt
wieder allmählich ins europäische Bewusstsein. Es blieb einem Papst vorbehalten, an
die grausame Eroberung Konstantinopels und die islamische Unterjochung des
Balkan, Griechenlands und vieler anderer europäischer Gebiete bis ins neunzehnte
Jahrhundert zu erinnern. Dantes oder Voltaires Warnungen vor dem expansiven,
inhumanen Charakter der Botschaft Mohameds waren lange Zeit aus der Erinnerung
ausgeblendet (Voltaires Stück Le Fanatisme ou Mahomet le prophète wird bis heute
in Europa aus Angst vor islamischen Protesten nicht gespielt). Auch moderne IslamKritik, etwa die fundierten wissenschaftlichen Analysen von Henri Pirenne, Abraham
Geiger, Ignaz Goldziher oder Franz Rosenzweigs Darstellung des Islam als
Gegenkonzept zum biblischen Humanismus in seinem sonst ausführlich rezipierten
Hauptwerk Der Stern der Erlösung, wurden kaum beachtet. Ein nebulöses,
verharmlosendes Bild des Islam hat sich tief ins europäische Denken gesenkt. Es ist
längst Bestandteil der Schulbildung und (von Ausnahmen abgesehen) der verbreiteten
akademischen Lehrmeinung geworden, mit weitreichenden Folgen für die politische
Realität des heutigen Europa.
Im Sinne einer ideologisch bedingten Vernachlässigung des Religiösen wurde
die Einwanderung von Muslimen zunächst als solche gar nicht wahrgenommen: man
sprach von „türkischen Gastarbeitern“ oder „Flüchtlingen aus Krisenregionen“, ohne
sich über die kulturell-weltanschaulichen Hintergründe dieser Einwanderer Gedanken
zu machen. Da der sukzessiven Masseneinwanderung von Türken nach Deutschland
(seit dem Anwerbe-Abkommen von 1961) beiderseits wirtschaftliche Motive zu
Grunde lagen, zudem aus einer Neigung westlicher Staaten, den ökonomischen
Gesichtspunkt zu verabsolutieren, wurde man kaum gewahr, dass dieser Vorgang mit
dem Import unbekannter Lebenshaltungen verbunden war, geprägt von einer – in
ihren herkömmlichen, verbreiteten Auslegungen – expansiven Weltanschauung, deren
bemühte Verharmlosung die Wahrnehmung des Problems bis heute erschwert.
Islamische Aggression gegen Europa ist weitgehend aus dem Geschichtsunterricht
ausgeklammert, historische oder gegenwärtige Konflikte mit Muslimen werden nach
verbreitetem Denkmuster auf westliche Schuld zurückgeführt (Kolonialsmus,
Kreuzzüge), nicht auf die religiös gebotene Expansivität des traditionellen Islam. Die
Debatte um die muslimischen Einwanderer blieb lange Zeit ein Detail innerdeutscher
Auseinandersetzungen zwischen Linken und Konservativen um konturlose Begriffe
wie „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Multikulturalität“. Diese Befangenheit war vor
allem dort vorherrschend, wo Einwanderung keine ökonomischen Gründe hatte,
sondern (wie bei politischen Flüchtlingen aus arabischen Staaten) humanitäre. Die
radikale Islamisierung ihrer Herkunftsländer seit Ende der Siebziger Jahre wurde erst
spät als Problem erkannt, etwa der Wandel des „NATO-Partners“ Türkei von einem –
zuminderst in der Aussenpolitik – pro-westlich orientierten zu einem mehr und mehr
von religiösen Fundamentalisten beherrschten Staat.
Der Islam unterscheidet sich elementar von den anderen monotheistischen
Religionen, Judentum und Christentum. Zunächst in seiner Genese, die ab ovo von
Abgrenzung und Segregation bestimmt war. Segregation war das Muster der muruwa,
des existentiellen Kodex der Beduinenstämme, an die sich Mohamed wandte und
denen er die damit eigentlich inkompatible Ethik der biblischen Gesetzesreligion
auferlegen wollte. Im Koran werden zwei Lebenshaltungen verquickt, die
miteinander unvereinbar sind: die tribalistische Ausschliessung des „Anderen“ und
das biblische Konzept der Gemeinsamkeit und Toleranz. Diese Ambivalenz ist der
unlösbare innere Konflikt des Islam bis in unsere Zeit, auf ihm beruht ein Großteil
seines Aggressionspotentials (20). Obwohl Franz Rosenzweig den Koran,
ideengeschichtlich gesehen, ein „Plagiat“ nennt, da sich der Prediger der Suren fast
ausschliesslich biblischen Materials bedient, vollzieht die grundlegende religiöse
Schrift der Muslime auf radikale, polemische Weise eine Verwerfung derer, die zuvor
im Besitz dieses Wissens waren: Juden und Christen. Von daher ist der Koran über
weite Strecken antijüdische und antichristliche Polemik. Die zunächst noch als „Leute
des Buches“ bezeichneten Juden und Christen werden im weiteren Textverlauf den
„Ungläubigen“ gleichgestellt. Insbesondere Judenhass ist ein Leitmotiv des Koran
(21).
Der Islam unterscheidet sich auch in seinem Menschenbild elementar vom
biblischen Konzept. Anders als Juden- und Christentum kennt der Islam keine
Gleichwertigkeit aller Menschen vor dem Schöpfer, wie sie der biblische Text (etwa
Psalm 145,9) postuliert. Folglich ist auch das biblische Konzept vom
„Andersdenkenden“ unbekannt, die Achtung vor dem „Anderen“ und „Fremden“ oder
der elementare Respekt vor den Frauen (22). Der Koran klassifiziert die Menschheit
im Sinne einer klaren, angeblich gottgewollten Hierarchie in „Gläubige“ und
„Ungläubige“. Ähnlich disqualifizierend, für Euopäer kaum nachvollziehbar ist die
Behandlung der Frauen in diesem religiösen Grundlagentext, etwa die dort
ausgesprochene Legitimation der Vergewaltigung in der Ehe (Sure 2,223) oder der
körperlichen Züchtigung „ungehorsamer“ Frauen (Sure 4,34). Die generelle
Unterteilung der Menschheit in zwei Klassen, die der Koran vornimmt, bedeutet die
Zurücknahme des biblischen Konzepts von der Gleichwertigkeit aller Menschen,
legitimiert Sklaverei und andere Formen „gottgewollter“ Unterwerfung von
„Ungläubigen“ und macht den Islam zur einzigen der weltweiten Religionen, die
offen Apartheid predigt.
Nach verbreiteter Lesrart der islamischen Quellen (Koran, Hadith etc.) obliegt
der „Gemeinschaft der Gläubigen“ (umma) die Expansion ihres Herrschaftsbereichs,
des dar al-islam, bis die Welt von „Ungläubigen“ frei ist (und von diesen keine
„Verführung“ mehr ausgehen kann, Sure 2,191), folglich die territoriale Eroberung
der Welt. Politisch gesehen, ist der Islam eine globale Erlösungslehre, ähnlich dem
Marxismus (23). Islamische Organisationen in Europa sollten daher genau beobachtet
werden, ob sie tatsächlich nur Netzwerke des Gemeindelebens und der Ausübung
religiöser Alltagspraxis sind oder sich als Kräfte im weltweiten jihad verstehen. Die
von der Türkei ausgehende, internationale Vereinigung Milli Görüs zeigt, wie schwer
die Grenze zwischen Religionsfreiheit und bedrohlichen Aktivitäten zu ziehen ist
(24). Auch die palästinensische Hamas, in ihrer undurchsichtigen Verquickung aus
sozialem Netzwerk und Terrorgruppe, erschwerte den deutschen Behörden über
längere Zeit eine konstruktive Haltung (25).
Das Eindringen des Islam nach Europa reflektiert eine Schwäche der westlichen
Staaten, ihre reduzierte Fähigkeit, die eigenen Werte zu verteidigen, sowohl ideell als
administrativ. Auch aus diesem Grund wurden die Gefahren muslimischer
Masseneinwanderung lange verdrängt. In seinem berühmten Buch Les Barbares
analysierte der französische Historiker Louis Halphen das siegreiche Vordringen der
Glaubenskrieger Mohameds in das Europa des frühen Mittelalters, doch er sah den
Grund dafür weniger in der Stärke des Islam, als in der damaligen Demoralisation
Europas: „Die Siege der Araber sind darauf zurückzuführen, dass die Welt, die sie
angriffen, reif war für ihren Untergang.“ (26)
Die Situation heute unterscheidet sich von der damaligen vor allem darin, dass
der Westen seinerseits immensen Einfluss auf den Islam ausübt: über seine
Kulturausstrahlung auf die Bevölkerungen muslimischer Länder, durch seine in
vielem verlockende Gegenwart auf die Einwanderer in der eigenen Sphäre. Für die
seit Jahrhunderten unterdrückten Völker der islamischen Welt, besonders für die
Frauen und andere verachtete Gruppen, besitzen die westlichen Freiheiten eine
ungeheure Faszination. Die wachsende Zahl abtrünniger Muslime legt nahe, zwischen
Muslimen und dem Islam grundsätzlich zu unterscheiden: nicht selten empfindet in
diesem religiösen System der oder die Einzelne starke Bedrückung und Frustration
(27). Eine von den Zwängen des Islam freie Umgebung – etwa in einem westlichen
Land – kann der Schlüssel zu ihrer individuellen Befreiung sein. Wie sich schon heute
zeigt, finden sich unter ihnen Frauen und Männer, die entschiedener für die Werte der
westlichen Welt eintreten als mancher dort Geborene.
Anmerkungen, Quellen:
(1)
Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) „etwa 3,8
bis 4,3 Millionen“ (4,6 – 5,2 % der Gesamtbevölkerung). Herkunft: ca. 2,5 Millionen
Türkei, 600 000 Südosteuropa, 400 000 Naher Osten, 260 000 Afrika, 70 000 Iran, 20
000 zentralasiatische GUS-Staaten. Quelle: Internet. http://www.integration-indeutschland.de/nn_282926/SubSites/Integration/DE/01__Ueberblick
(2)
Der Islam ist nicht in öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften organisiert und
kennt keinen der Kirchen- oder jüdischen Gemeindemitgliedschaft vergleichbaren
Status.
(3)
So wird beispielsweise die im Überblick des BAMF mit „Sufi Mystiker“ angegebene
Gruppe von anderen islamischen Richtungen nicht anerkannt. Vermutlich handelt es
sich zu einem erheblichen Teil um deutsche Konvertiten. BAMF, a.a.O.
(4)
Der Koran. Übersetzung von Adel Theodor Khoury unter Mitwirkung von Muhamad
Salim Abdullah, Gütersloh, 2.Auflage 1992, S. 340, Sure 37 Vers 35 und S.390, Sure
47,19
(5)
Koran, a.a.O., S.395, Sure 48, 29 u.a.
(6)
Angaben des BAMF über deutsche Konvertiten sind auffallend ungenau (“zwischen
13 000 und 100 000“), da ein Eintritt in den Islam meist „nicht dokumentiert“ wird.
BAMF, a.a.O.
(7)
Ignaz Goldziher, Die Richtungen der Islamischen Koranauslegung, Leiden, 1952,
S.61. Die zitierte Koran-Stelle ist Sure 6, Vers 67
(8)
Überlieferer al-Tabari (838-923) betont „die ausschliessliche Berechtigung des auf
die Prophetengefährten und Nachfolger gegründeten ilm, der durch ununterbrochene
Vererbung und Verbreitung beglaubigten Überlieferung als alleinigen Kriteriums der
exegetischen Richtigkeit.“ Goldziher, a.a.O., S.88
(9)
Tirmidi, Sahih II 157, deutsche Wiedergabe bei Goldziher, a.a.O., S.62. Bis heute
vorherrschende Ansicht prominenter islamischer Theologen.
(10)
Neben zahlreichen in den Suren aufgeführten grausamen Strafen, die Allah im
Jenseits gegen „Ungläubige“ verhängt, auch direkte Aufforderungen an die
„Gläubigen“, ihrerseits „Ungläubige“ zu töten, etwa Sure 8,12, sie zu „jagen“ bzw.
„aufzuspüren“, Sure 4,104 u.a.
(11)
Koran, a.a.O., S.209, Sure 16, Vers 106
(12)
Koran, a.a.O., S.46, Sure 3, Vers 86 ff.
(13)
Koran, a.a.O., S.69
(14)
So hat der in Qatar lehrende bekannte sunnitische Rechtsgelehrte al-Qaradawi den
Ostern 2008 im Petersdom erfolgten Übertritt des gebürtigen Ägypters und heutigen
italienischen Journalisten Magdi Allam als „feindlichen Akt gegenüber den
Muslimen“ bezeichnet (“provocative and hostile act against Muslims”) und Allam
selbst als „Agenten Israels“, woraus sich entsprechende Strafen herleiten. Vgl. Gulf
Times, Qatar, 12.4.2008
(15)
Nach Angaben des BAMF bezeichnen sich ca. ein Drittel (36%) aller deutschen
Muslime als „stark gläubig“ und 50% als „eher gläubig“. Letztere betrachten ihren
Glauben also als im Bedarfsfall zu praktizierende oder – auch zu politischen
Zwecken – einzusetzende Variable.
(16)
Vgl. Karen Krüger, Er ist nur eine Stimme unter vielen, Frankfurter Allgmeine
Zeitung, 30.8.2010. Öger hat die Äusserung später als „Scherz“ deklariert.
(17)
Internationale Statistiken belegen starken Geburtenrückgang im Iran (von 6,5
Kindern pro Frau auf 1,7) und anderen muslimischen Ländern (Algerien 1,79, Türkei
1,72), United Press Agency spricht vom „most dramatic demographic shift in human
history“, UPI Washington, 19.11.2007. Internet:
http://www.upi.com/Top_News/Special/2007/11/19/Walkers-World-Irans-baby-bust
(18)
Chaim Noll, Bibel und Koran. Nähe und Unvereinbarkeit zweier Konzepte. Mut,
Asendorf, 6/2007 (42. Jahrgang), S.38 ff.
(19)
Ders., Jüdische Sichtweisen auf den Koran, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft,
Berlin, Heft 12/2007, S.1020 ff.
(20)
Ignaz Goldziher, Die Richtungen der islamischen Koran-Auslegung, Leiden, 1952,
S.13
(21)
Abraham Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? Leipzig,
1902, S.195 ff. („Bestreitung des Judenthumes im Koran“)
(22)
In der Bibel, bereits in den mosaischen Büchern wird nicht nur der „Fremde“
besonderer Achtung empfohlen, sonder auch der Andersgläubige (vgl. Micha 4,5),
ein Terminus, den der Islam nicht kennt. vgl. Ch. Noll, Bibel und Koran, ibid., S.50f.
(23)
Diese These vertrat Bertrand Russell in seinem 1920 erschienenen Buch The Theory
and Praxis of Bolshevism. Vgl. Chaim Noll, Aura der Angst. Kommunismus, Islam
und ihre Wirkungen auf Europa. Mut, Asendorf, 12/2007 (Nr.484), S.59ff.
(24)
Vgl. Hartes Vorgehen gegen Milli Görüs zeigt Wirkung. Die Welt, Berlin, 8.2.2010
(25)
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte am 3.12.2004 eine Entscheidung des
damaligen Bundesinnenministers Schily, die Hamas als „terroristische Vereinigung“
zu verbieten.
(26)
Louis Halphen, Les Barbares. Des grandes invasions aux conquetes turques du XI
siecle, Paris 1926, p.132
(27)
Durch die innere Ambivalenz der muslimischen Weltbildes, fand der Anthropologe
Claude Lévi-Strauss (1955 in Tristes Tropiques, dt. Traurige Tropen, Leipzig 1988,
S.461f.), werde der Gläubige „in den Zustand einer ständigen Krise versetzt (...) Der
gesamte Islam scheint in der Tat eine Methode zu sein, im Kopf der Gläubigen
unüberwindliche Konflikte zu schaffen.“
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