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SPACE THINKS? Soziologische Raumkonzepte.
Sergej Stoetzer
Vortrag Berlin 18.April 2008
Space Thinks – mit diesem Titel wird einerseits auf die Möglichkeiten hingewiesen, Raum als
mehr zu begreifen als ein Hintergrundbild, vor dem gesellschaftliche Entwicklungen
stattfinden und diesem Begriff eine eigene Dynamik zuzugestehen, andererseits auf die
phonetische Ähnlichkeit mit einem zentralen Konzept der relationalen Raumtheorie, dem
spacing. Indem Raum durch die Menschen in ihrem täglichen Handeln immer wieder neu
konstituiert wird, bleibt er nicht länger Hintergrund sondern wird integraler Bestandteil der
gesellschaftlichen Prozesse. In diesem Text geht es um eine knappe Darstellung des Wegs zu
einer soziologischen Auseinandersetzung mit Raum, um dann ausführlicher auf die Konzepte
von Pierre Bourdieu und Martina Löw einzugehen und deren praktische Anwendung zu
diskutieren. Hier schließt sich die Frage der „Planbarkeit“ an, also die Frage, wie sich Räume
entwerfen lassen und inwiefern Umdefinitionen und Neuausrichtungen im (durchgeplanten)
öffentlichen städtischen Raum und privatem Wohnbereich konzeptionell mit gedacht werden
können. In Anwendungsbeispielen werden Methoden zur Analyse raumbezogenen Handelns
kurz vorgestellt, die aus verschiedenen Disziplinen (Kunst, Psychologie, Informatik,
Soziologie) einen je eigenen Blick auf die raumkonstituierenden Phänomene ermöglichen.
Pluralistischen Konzepten von Räumen gingen normative Vorstellungen von Raum als Einheit
voraus, die ihren Ursprung in der Antike, z.B. in der aristotelischen Vorstellung eines
endlichen, durch Fixsterne begrenzen Raumes hatten - von Albert Einstein mit der Kurzformel
„Container“, Behälterraum, bezeichnet.
Isaac Newton erweiterte (im 17. Jh.) diese Vorstellung: Raum wird als eine von der
Körperwelt selbständige Realität konzipiert, die unendlich in ihrer Ausdehnung ist, innerhalb
dieses absoluten Raumes jedoch relative Verortungen zulässt.
Charakteristisch für die absolutistische Raumvorstellung ist demnach die Annahme einer
Dualität von Materie und dreidimensionalem (unendlichem) Raum, für den die euklidische
Geometrie gilt.
Als gesellschaftliche Transformation einer ursprünglich physikalisch-philosophischen
Vorstellung findet sich eine verkürzte Variante (endlicher Raum) in alltäglichen
Vorstellungen als Behälterraum, in dem sich soziale Prozesse ereignen, wieder (Löw 2001, S.
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27). Entwürfe in der Stadtplanung und Architektur, die an den künftigen „Nutzen“ der
gebauten Umwelt und gestalteten Räume vorbeigehen, sind u.a. auf diese Tradition
zurückzuführen.
Immer noch ist der absolutistische Raumbegriff in Alltagserfahrungen, aber auch in vielen wissenschaftlichen Diskursen vorherrschend, denn er hat eine lange Tradition in der westlich
geprägten Philosophie und damit auch in den sich in der Neuzeit etablierenden
Naturwissenschaften. Auch heute wird dieses Raumverständnis noch durch schulische Lernund Bildungsprozesse weiter tradiert, obwohl vermehrt Irritationen auftauchen:
Gesellschaftliche Transformationen aufgrund moderner Informations- und- KommunikationsTechnologien und schnellere Transportmöglichkeiten werden mit Hilfe dieser normativeinheitlichen Vorstellung von Raum als Dematerialisierungs- und
Fragmentierungserscheinungen von Raum beschrieben: Der vermeintlich einheitliche Raum
zerfällt, und diese Auflösungserscheinung wird problematisiert.
(Stadt)Soziologische Arbeiten waren von diesem Raumverständnis lange Zeit geprägt und
haben „Raum“ in dieser Tradition entweder ortsbezogen (meist Raum = Ort) oder territorial
(Raum als Territorium verdinglicht) konzipiert und Raum als soziologischen Gegenstand
entsprechend abgelehnt.
Relativistischer Raumbegriff
Mit der Entdeckung der widerspruchsfreien, nicht-euklidischen Geometrie 1830 und ihrer
Vereinheitlichung durch den Mathematiker Bernhard Riemann werden nach fast
2000jähriger Dominanz des euklidischen Paradigmas verschiedene Strukturen von Raum
zunächst in der mathematischen Theorie möglich.
Die wenig später formulierten Relativitätstheorien von Albert Einstein sind in diesem
Kontext sicher hinreichend oft beschrieben worden - für die sozial-wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit Raumphänomenen ist an diesem physikalischen Modell die
Abhängigkeit beobachtbarer Ereignisse in Bezug auf die relative Position eines
Beobachters wesentlich: Raum und Zeit können nicht mehr absolut definiert werden,
sondern sind abhängig vom Beobachter. Da der Dualismus von Raum und Materie bzw.
Körperwelt aufgehoben wurde, ergibt sich Raum somit aus den Lageverhältnissen der
Körper relativ zum Bezugssystem des Beobachters. Da diese (Lageverhältnisse) in steter
Bewegung sind, kann auch Raum nicht länger statisch gedacht werden.
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Dieser physikalisch-naturwissenschaftliche Raumbegriff hat die Konzeption von Raum in
den Sozialwissenschaften maßgeblich beeinflusst, denn viele soziale Prozesse lassen sich
mit einem theoretischen System, das „Bewegung“ (also Dynamik, Prozesse, Veränderungen)
als Normalfall integriert, leichter erklären.
Kennzeichnend für relativistische Raumkonzepte ist demnach die Konstitution von Raum aus
den Lagebeziehungen der Elemente untereinander - die Eigenschaften der angeordneten
Elemente aber, ihre Materialität, tritt in den Hintergrund.
Damit ist zunächst einmal die Absolutheit einer räumlichen Praxis aufgehoben – Räume
erscheinen in relativistischer Perspektive je nach „Standort“ des Beobachters sich anders zu
konstituieren. Der Fortschritt in der Loslösung eines normativen, universellen Standpunktes
wird jedoch durch die problematische Annahne wieder relativiert, Raum ergebe sich alleinig
aus den Lagebeziehungen der Elemente zu- und untereinander: Hier stellt sich die
(erkenntnistheoretische) Frage, ob Räume als materielle Figurationen auch jenseits der
Beobachtung existieren können. Für die Frage nach dem Zusammenhang von materiellen
Gegebenheiten, die sich je nach Ort unterscheiden und den durch Relationen gebildeten
Räumen hilft diese Konzeption nicht weiter, da sie weiterhin auf der Dualität von Raum und
Materie aufsitzt.
Radikal gegen ein starres Raumkonzept argumentiert auch der französische Soziologe Pierre
Bourdieu für eine soziologische Theorie des sozialen Raumes: Sie müsse mit mehreren
„etablierten“ Vorannahmen brechen: mit der Privilegierung der Substanzen (Gruppen)
zugunsten der Relationen; mit der Verkürzung sozialer Sachverhalte auf ökonomische
Produktionsverhältnisse und auch mit dem Objektivismus, der die symbolischen
Auseinandersetzungen um Rangfolge und (Selbst)Repräsentation nicht berücksichtigt.
Bourdieu erweitert die relativistische Perspektive der Raumkonstitution, indem er die
Beziehungen zwischen Objekten und die Objekte selbst (also die materielle Erscheinung) als
gleichwertig ansieht.
Hierin besteht ein großer theoretischer Forschritt in der Konzeption von Raum, aber auch im
Hinblick auf eine Forschungslogik an sich: Bourdieu führt beide Perspektiven, die Analyse
der Beziehungsgefüge und die Bestimmung der Objekte, als gleichberechtigt und notwendig
in die soziologische Forschung ein – über den Begriff des „Feldes“:
„Ich muß mich vergewissern, ob nicht das Objekt, das ich mir vorgenommen habe, in ein
Netz aus Relationen eingebunden ist und ob es seine Eigenschaften nicht zu wesentlichen
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Teilen diesem Relationennetz verdankt. Der Feldbegriff erinnert und an die erste Regel der
Methode, dass nämlich jene erste Neigung, die soziale Welt realistisch zu denken oder
substantialistisch (…) mit allen Mitteln zu bekämpfen ist: Man muss relational denken“ (zit.
n. Löw 2001, S 157).
Sozialen Raum beschreibt er mehrdimensional als eine Abstraktion, die nur über ihre
Wirkungen auf und Lokalisierungseffekte von Akteuren im (angeeigneten) physischen Raum
erschließbar ist. Die einzelnen Dimensionen bezeichnet er auch als Felder, in denen je
spezifische Machtverhältnisse wirksam sind: Soziologie arbeitet in diesem Sinne
sozialtopologisch, sie analysiert die relative Lage der Akteure in diesen „Feldern“, um aus
diesen Lageverhältnissen eine Position im sozialen Raum für die jeweiligen Akteure angeben
zu können.
Die einzelnen Felder unterscheiden sich aufgrund der in ihnen wirksamen Machtmittel: Auf
der ökonomischen Dimension ist dies Kapital in objektivierter Form (materielles Eigentum),
inkorporiertes oder kulturelles Kapital (Wissen, Bildungszertifikate; Bücher, Gemälde, Kunstu. Kulturgegenstände) wird zur Distinktion im kulturellen Feld eingesetzt, beispielsweise, um
die eigene Position als Kunstkenner und -kritiker gegenüber anderen zu behaupten. Soziale
Beziehungen spielen im dritten Feld dagegen eine Rolle, wenn über soziale Netzwerke
Informationen bezogen werden können, Aktivitäten initiiert oder auch bereits die
Zugehörigkeit zu einem elitären Zirkel gewinnbringend (im Hinblick auf die eigene Position
in diesem Feld) ist - im Volksmund auch als Vitamin „B“ bekannt.
Zwischen diesen Feldern gibt es vielfältige Wechselwirkungen, ähnlich verschiedener
„Wechselkurse“: Mit dem Einsatz von ökonomischem Kapital kann die eigene Position (im
Bezug zu anderen Platzierungen) im kulturellen Feld erhöht werden (Erwerb von Wissen), das
wiederum ermöglicht vielleicht den Zugang zu bisher verschlossenen „Kreisen“, in denen ein
Mindestbesitz an kulturellem Kapital (z.B. best. Bildungszertifikate) Zugangsvoraussetzung
ist. Rückwirkungen auf das ökonomische Kapital und damit die eigene Position in diesem
Feld sind auch denkbar. Allerdings können diese Vermittlungen auch scheitern: Entwertung
von Bildungszertifikaten und damit ein „Kursverfall“ dieses spezifischen kulturellen Wissens,
„Fehlinvestitionen“ im sozialen Feld etc.
Die soziale Stellung eines Akteurs lässt sich im mehrdimensionalen sozialen Raum demnach
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unter Anwendung eines „mehrdimensionalen Systems von Koordinaten“ (Bourdieu 1991, S.
11) bestimmen, deren Werte der Position innerhalb der einzelnen Felder entsprechen. Mit
dieser Stellung im sozialen Raum gehen entsprechend der relativen Lage in den einzelnen
Feldern Verfügungen über die verschiedenen Kapitalvolumina einher, die die individuellen
Handlungsspielräume vorstrukturieren und limitieren. Damit liefert Bourdieu eine
Möglichkeit, die Verortungen einzelner Akteure im (sozialen) Raum konkret empirisch zu
bestimmen und über Ähnlichkeiten in diesen Platzierungen auch Klassifikationen
vorzunehmen.
Die Verortung im sozialen Raum arbeitet somit auch mit Distanzen zwischen diesen
theoretisch konstruierten Gruppen („wahrscheinliche[n] Klassen[n]“, Bourdieu 1991, S. 12),
die für den Fall eines sozialen Aufstiegs verringert werden müssen: Als Verdeutlichung bietet
Bourdieu die Analogie mit dem geographischen Raum an: Auch hier muss zur
Distanzüberwindung, d.h. zur Ortsveränderung, Arbeit, Mühe und Zeit investiert werden über den Körper. Mit dem Konzept des „Habitus“ verbindet Bourdieu den sozialen Raum, in
dem ein Akteur einen bestimmten Platz einnimmt (je nach Kapitalausstattung) mit dem
Erzeugungsprinzip dieser Praxis der Unterscheidung (vgl. zum Habituskonzept Krais/Gebauer
2002). Habitus ist somit einerseits klassenspezifisch determiniert, d.h. die soziale Herkunft
und Biographie sind für den Habitus wesentlich, in ihm „gerinnt“ Lebensgeschichte zu einem
verinnerlichten Klassifikationssystem zur sozialen Unterscheidung. Hier spielen auch
frühkindliche Erfahrungen eine Rolle, Sprache und Norm- und Wertevermittlung, aber auch
Architektur selbst prägt den Habitus über die Beschaffenheit der „Räume“/Zimmer oder den
Stil der Inneneinrichtung. Neben diesem Aspekt (Habitus als Werk, als opus operandum) hat
der Habitus noch eine weitere Dimension: als generatives Erzeugungsprinzip von
Praxisformen (Habitus als modus operandi, als Handlungsweise). Gemeint ist, dass
Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkschemata vorstrukturiert sind (durch die
Verinnerlichung der Klassifikationssysteme) und diese Struktur im Handeln (weitgehend)
reproduziert. Der Akteur greift in seinen Bewertungen und Handlungen somit auf
klassenspezifische Schemata zurück, geht jedoch in der jeweiligen Praxis auch über sie
hinaus. Der Habitus strukturiert somit Situationen vor und reproduziert gleichzeitig die
zugrunde liegende Struktur, ist jedoch nicht deterministisch. Das Konzept des Habitus erklärt
für Bourdieu die weitgehende Stabilität und Trägheit sozialer Kategorisierungen und einer
damit einhergehenden sozialen Ordnung.
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So versucht Bourdieu auch, die Stabilität und Trägheit des sozialen Raumes zu erklären: Die
eigene Position anhand der aktuellen Disposition über die verschiedenen Kapitalsorten in
Relation zu anderen ist auch ein Produkt vergangener symbolischer Auseinandersetzungen also prozesshaft und auch intergenerativ konzeptualisiert. Damit werden die objektiven
Kräfteverhältnisse (Kapitalverteilung in den Feldern und daraus resultierende Struktur des
Sozialraums) reproduziert - mit ihnen auch soziale Ungleichheit aufgrund unterschiedlicher
Verteilung der Kapitalarten in den einzelnen Feldern.
Die Möglichkeit der Überlagerung dieser Felder im sozialen Raum und die Rückwirkungen
auf den beobachtbaren physischen Raum erklärt die Konzentration von seltenen Gütern und
ihren Besitzern an prädestinierten Orten - sowie das Gegenteil dieser Elitären Orte, die
Ghettobildung.
Die Ähnlichkeit und Nähe im sozialen Raum geht also mit ähnlichen Vorstellungen,
kulturellem Hintergrund und Verhaltensweisen einher - kurz mit einem ähnlichen Habitus.
Diese relative - wenn man so will, „regionale“ - Homogenität im sozialen Raum bedeutet
nicht die prinzipielle Unvereinbarkeit sozial entfernter Positionierungen: Neben den
Clusterbildungen, die von der Struktur des von Kapitalverteilungen konstruierten Sozialraums
ausgehen, gibt es Gruppenbildungen aufgrund anders organisierter Teilungsprinzipien Bourdieu nennt ethnische und nationale, denen er aber nicht die gleiche Stabilität zuerkennt.
Bourdieu bietet über den sozialen Raum einen Zugang zu sozialer Wirklichkeit, der relativ
leicht für empirische Fragen und praktische Umsetzungen nutzbar ist: Ausgehend von
verschiedenen Feldern, in denen die jeweiligen Kapitalsorten wirksam sind, entsteht der
mehrdimensionale soziale Raum - die Lageverhältnisse und damit die Machtverhältnisse der
Akteure zueinander werden dabei über habituelle Dispositionen prozesshaft und auch
intergenerativ reproduziert. Kulturelles Kapital beispielsweise erhebt Bourdieu über
Geschmackspräferenzen, den Besitz an Kulturgütern und Bildungszertifikaten.
Sozialer Raum als abstrakte Vorstellung einer mehrdimensionalen Beziehungsstruktur arbeitet
dabei ähnlich der Konzeption geographischer Räume mit der Relation Nähe-Ferne.
Sie lässt sich auch im physischen Raum finden, den Bourdieu dem sozialen gegenüberstellt
und als angeeigneten physischen Raum präzisiert (erkenntnistheoretische Differenzierung).
Beide Räume fallen nicht zusammen - hierauf hat auch schon der in die USA emigrierte
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russische Soziologe Pitirim Alexandrowitsch Sorokin 1927 hingewiesen: Aus physischer
Nähe allein lassen sich keine Rückschlüsse auf soziale Nähe ziehen, was er am Beispiel des
Königs und seines Dieners exemplifiziert (vgl. Funken/Löw 2003, S. 84f.). Wichtig in dieser
Hinsicht ist der Hinweis Bourdieus, dass ein entsprechendes Kapital (Gesamtumfang &
Struktur) vorhanden sein muss, damit der Ort, an dem der Akteur sich platziert, auch
entsprechend den geltenden sozialen Normen angeeignet werden kann.
So besitzen Wohngebiete eine Durchschnittswahrscheinlichkeit der Aneigbarkeit der
verfügbaren (materiellen und kulturellen) Güter und Dienstleistungen - ihre faktische Nutzung
aber hängt von den jeweils zur Verfügung stehenden Machtmitteln (dem Potential in den
einzelnen Feldern) ab, so dass man „durchaus ein Wohngebietphysisch belegen [kann], ohne
wirklich und im strengen Sinne darin zu wohnen; wenn man nämlich nicht über die
stillschweigend geforderten Mittel dazu verfügt, angefangen mit einem bestimmten Habitus.“
(Bourdieu 1991, S. 31).
So könnten Familien auf die Idee kommen, das verfügbare Geld in ein idyllisches Reihenhaus
zu investieren, um den Kindern ein vermeintlich intaktes soziales Umfeld im Grünen zu
ermöglichen. Reichen die finanziellen Mittel dann aber nicht, um bspw. an kulturellen
Ereignissen (Konzertbesuche der jugendlichen Kinder) teilzunehmen oder einen bestimmten
Kleidungsstil zu pflegen, ist trotz großer Nähe im „physischen“ Raum die soziale Position
eine völlig andere.
Sozialer Raum in dieser Konzeption bleibt aber ein Abstraktum, wenn er mit dem
beobachtbaren, angeeigneten physischen Raum nicht in Bezug gebracht werden kann. Diesen
Bezug charakterisiert Bourdieu als einseitigen Prozess der Einschreibung:
„Der soziale Raum weist die Tendenz auf, sich mehr oder weniger strikt im physischen Raum
in Form einer bestimmten distributionellen Anordnung von Akteuren und Eigenschaften
niederzuschlagen.“ (Bourdieu 1991, S. 26)
Damit lassen sich über die Betrachtung der relationalen Verteilung von Menschen und der
Analyse ihrer physischen Umwelt sowie den Ort ihrer Platzierung, wichtige Rückschlüsse auf
die jeweilige Stellung im sozialen Raum ableiten. Insofern bietet Bourdieu eine über
zahlreiche Studien zu Habitus uns Lebensstil abgesicherte Operationalisierung an, Räume
soziologisch zu beschreiben und für einen empirischen Zugang nutzbar zu machen.
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Inwiefern die Konstitution von Räumen habituellen Präferenzen, also Lebensstil- und
Geschmacksfragen im Zusammenhang mit sozialem Status und Klassenzugehörigkeit folt,
kann man gut an einer Untersuchung zu privaten Räumen erkennen – sie haben gegenüber
öffentlichen Räumen für den einzelnen Akteur eher Modifikationspotentiale.
Anwendung: Analyse privater Raumkonstitutionen mit dem Bourdieuschem
Lebensstilkonzept
Ulf Wuggenig (1994) untersuchte mit Hilfe von Photos der eigenen Wohnung, die die
Befragten selbst erstellten (4 Photos vom Wohnzimmer mit jeweils pos./neg. Besetzung des
Abzubildenden, dann weitere Räume), den Zusammenhang von Lebensstil, Habitus und der
(Aus)Wahl der Objekte, da insbesondere das häusliche Interieur als Distinktionsmerkmal
eingesetzt wird - über die Analyse der Gestaltung des privaten Raums werden somit
Rückschlüsse auf die Position im sozialen Raum getroffen. Wuggenig belässt es bei seiner
Analyse mit der Rekonstruktion der Bedeutungszuschreibungen zu materiellen Dingen
(semantische Distanzen) in Anhängigkeit vom gesellschaftlichen Status des Befragten, ohne
die Relationen der Objekte im Sinne von räumlichen Distanzen zueinander zu
berücksichtigen. Über diesen Zugang lassen sich unterschiedliche Relevanzen der Objekte
für die Konstitution des privaten Raumes erkennen:
Mit Hilfe einer Korrespondenzanalyse, in die die auf den Photos identifizierten Objekte (37
Objektkategorien, diese wiederum zugeordnet zu Kategorien Mobiliar, (objektiviertes)
Kulturelles Kapital, Räume/Raumteile und Andere Objekte) und Klassenfraktion (über Beruf
operationalisiert) sowie Bildungszertifikate eingingen, konnte Wuggenig zeigen, dass für die
akademisch-intellektuelle Elite Bücher, Schreibtische und Skulpturen wichtiger Bestandteil
des häuslichen Raums sind, während Repräsentanten des „neuen Kleinbürgertums“ sowie
Menschen mit mittlerer Bildung Poster, Photos, Musikinstrumente oder akustische Medien
abbildeten. In den unteren Berufsklassen und bei niedrigem Bildungsniveau sind fast keine
kulturellen Objekte mehr relevant, sondern profane Gegenstände funktionalen Charakters,
die die Konstitution von privaten Räumen bestimmen.
Betrachtet man den gleichen Sachverhalt unter der Frage sozialer Mobilität (Bildungskapital
des Vaters als Bezugspunkt) und positiv bewerteten abgebildeten Objekten ergibt sich ein
interessanter kurvilinearer Zusammenhang: Lediglich Bildungsaufsteiger (mobile) schreiben
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kulturellen Objekten verstärkt positive Bedeutungen zu - sie dienen der Selbstrepräsentation
im Rahmen der Konstitution privater Räume. Repräsentanten des oberen Endes der
Bildungshierarchie verfügen zwar ebenfalls über entsprechende Kulturgüter, schreiben
diesen aber selten explizit positive Eigenschaften zu - zu selbstverständlich ist in dem
Bewusstsein die Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum, als dass kulturelle und ästhetische
Zeichen hierfür noch in Anspruch genommen werden müssten. Am unteren Ende der
Bildungshierarchie werden ebenfalls kaum mit kulturellem Kapital assoziierte Objekte
abgebildet, sie haben ebenfalls kaum eine Bedeutung für die subjektive Raumproduktion allerdings auch, weil sie faktisch fehlen.
An der Studie von Wuggenig lässt sich zeigen, dass Objekte der häuslichen Welt, also des
privaten Raumes, sehr unterschiedlich in die Raumvorstellungen (Selbstrepräsentation)
eingehen - je nach Mobilität und sozialem Status. Die von ihm vorgelegte Untersuchung
orientiert sich eher an den Bourdieuschen Vorstellungen von Raum (ohne auf diese explizit
Bezug zu nehmen). Durch die engen Vorgaben an die Befragten und die standardisierte
Analyse werden aber wichtige subjektive Relevanzsetzungen der beteiligten Akteure nicht
erfasst. Auch wird nicht systematisch berücksichtigt, aus welchem Ensemble von Gütern die
Ausschnitte von den Befragten gewählt wurden - was ausgeschlossen wurde, entzieht sich
der Analyse.
Auch theorieimmanente Gründe verstellen eine wesentliche Komponente der Konstitution von
Räumen: Da Bourdieu zwischen einem abstrakten sozialen Raum und dem physischen Raum
trennt, in den Einschreibungen erfolgen, verwendet er zwei konzeptionell verschiedene
Raumlogiken: Der relationale Sozialraum wird dem territorial gedachten physischen Raum,
der als Container konzipiert wird, entgegengesetzt, Veränderungen des ersten wirken sich aus
als Umverteilung einer relationalen Ordnung im Container physischer Raum oder als
Modifikation der Objekte - von dort aus müssen Rückschlüsse auf eben diese ursächlichen
Veränderungen (die zugrunde liegenden soziologischen Prozesse) gezogen werden.
Die Einschreibung in materielle Strukturen wird zur Erklärung der Trägheit der Platzierungen
genutzt - ohne die Möglichkeit, Wechselwirkungen zu analysieren: In Bourdieus Modell
gehen alle Veränderungen von der Modifikation des sozialen Raumes aus.
Rahmenbedingungen der Einschreibung, wie die vorgefundene Ordnung der Dinge und ihre
Eigenschaften, die ja ihrerseits Produkte vergangener Einschreibungsprozesse sind, werden
als nicht relevant für die aktuellen Platzierungen aus der Analyse ausgeschlossen. Materie hat
somit keinen Einfluss auf soziale Prozesse.
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Relationaler Raumbegriff
Martina Löw schlägt einen Raumbegriff vor, der empirisch schwerer umsetzbar ist, dafür aber
weder eine räumliche Trennung von sozialem, physikalischem oder geographischem Raum
vornimmt, noch die „Außenwirkung“ der materiellen Umwelt als Sedimente vergangener
Handlungen passiv werden lässt.
Sie bezeichnet ihren Raumbegriff als relational und unterscheidet zwei raumkonstituierende
Prozesse: Einerseits „das Plazieren von sozialen Gütern und Menschen bzw. Positionieren
primär symbolischer Markierungen, um Ensembles von Gütern und Menschen als solche
kenntlich zu machen“ (Löw2001, S. 158). Diesen Prozess bezeichnet sie als Spacing.
Andererseits bedarf es bei der Konstitution von Raum einer Syntheseleistung: Menschen und
Güter werden zu Räumen über Prozesse der Wahrnehmung, Vorstellung und Erinnerung
zusammengefasst. Beides erfolgt jedoch keineswegs beliebig, sondern unter vorstrukturierten
Bedingungen.
Weitere Aspekte dieses Raumbegriffs sind:
-
Konstitution von Raum in der Wechselwirkung von Struktur(en) und Handlung
-
Reproduktion gesellschaftlicher und räumlicher Strukturen im repetitiven Alltag
-
Regelmäßigkeit und Abweichung
-
Außenwirkung der sozialen Güter und Menschen: Atmosphären
-
praktisches Bewusstsein - reflexive Kontexte
-
Abhängigkeiten der raumkonstituierenden Prozesse
-
Ort und Raumkonstitution
-
(erkenntnistheoretische bzw. methodologische Konsequenzen)
Räume entstehen durch die (An)Ordnung von Körpern - Lebewesen und sozialen Gütern -,
die Produkte gegenwärtigen und vergangenen (symbolischen und materiellen) Handelns sind.
„Raum ist eine relationale (An)Ordnung sozialer Güter und Menschen (Lebewesen) an
Orten“ (Löw 2001, S. 224)
Der Begriff der (An)Ordnung verweist dabei auf den Prozess des Platzierens, also die
Handlungsdimension sowie auf eine strukturelle Dimension - die in einem wechselseitigen
Bezug zueinander stehen (Rückwirkung von Materie auf Handlungen, die Bourdieu
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vernachlässigte) und als Dualität von Struktur und Handeln eben jene räumlichen Strukturen
reproduziert:
Spacing und Syntheseleistung erfolgen unter vorstrukturierten Bedingungen in einem
Abhängigkeitsverhältnis mit den Bedingungen der Handlungssituation: Gesellschaftliche
Raumvorstellungen, klassen-, geschlechts- und kulturspezifischer Habitus beeinflussen diese
Prozesse, die überdies vom Ort der Syntheseleistung und der Außenwirkung der
vorgefundenen sozialen Güter und Menschen abhängen. Darüber hinaus kann nur das platziert
werden, was in einer Handlungssituation zur Verfügung steht - d.h. Spacingprozesse sind
Aushandlungsprozesse abhängig von Verfügungsmöglichkeiten über symbolische und
materielle Güter (und Lebewesen) vor Ort - sie finden keineswegs in einem Machtvakuum
statt (vgl. Löw 2001, S. 228).
Abb. 1: Modell Raumsoziologie © Sergej Stoetzer
Räumliche (An)Ordnungen strukturieren somit Handlungen und werden gleichzeitig durch sie
(re)produziert. Dies geschieht im Rückgriff auf Routinen im repetitiven Alltag. Martina Löw
greift zur Beschreibung der Raumkonstitution auf die von Anthony Giddens getroffene
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Unterscheidung von praktischem und diskursivem Bewusstsein zurück: Letzteres ermöglicht
die Verbalisierung der eigenen Handlungspraxis in der reflektierten Auseinandersetzung, z.B.
in Interviews, in denen Bewohner über ihr Kiez sprechen, über ihre Wahrnehmung der
eigenen Stadt oder die Einrichtung ihrer Wohnung. Je nach Habitus sind diese reflexiven
Auseinandersetzungen mit der eigenen räumlichen Praxis mehr oder weniger ausgeprägt. Um
eine solche Situation „herzustellen“, ist Zeit und Vertrautheit/Vertrauensvorschuss wesentlich,
visuelles Material kann hier hilfreich eingesetzt werden: Bewohner beschreiben ihr Viertel
z.B. anhand von Photos, die sie selbst erstellt haben oder kommentieren eine Auswahl an
Bildern/Zeitungsausschnitten etc.
Das praktische Bewusstsein umfasst das Wissen, das in alltäglichem Handeln zwar
aktualisiert wird, jedoch nicht direkt zugänglich ist.
Im repetitiven Alltag werden Räume in der Regel aus dem praktischen Bewusstsein heraus
konstituiert - Menschen unterhalten sich selten darüber, wie sie Räume schaffen. Auf
Nachfrage aber, d.h. in reflexiven Kontexten kann ein Teil des Wissens aus dem praktischen
Bewusstsein in das diskrusive überführt und so kommuniziert werden: Die Konstitution von
Raum wird dann in Worten fassbar.
Über regelmäßige alltägliche, nicht bewusst reflektierte Handlungen werden demnach Räume
konstituiert - d.h. bestimmte Platzierungen (Handlungen) und Syntheseleistungen werden
wiederholt - gesellschaftliche Strukturen werden über gewohnheitsmäßige Handlungen
reproduziert. Die entstehenden Räume strukturieren Handlungen wiederum vor
(Wahrnehmung einer verallgemeinerten AnOrdnung bspw.: genormte Syntheseleistung)
Diese Dualität von Raum wird als räumliche Struktur bezeichnet, wenn die Konstitution von
Raum unabhängig von Zeitpunkt und Ort über Regeln und Ressourcen erzeugt wird und in
Institutionen eingelagert ist. Strukturen sind somit in Institutionen verankert, also „auf Dauer
gestellte Regelmäßigkeiten sozialen Handelns.“ (soziale Gebilde organisatorische Form:
Behörden etc.; aber auch gesellschaftlich vorarrangierte Muster des Handelns; Löw 2001, S.
169).
Dabei bilden räumliche Strukturen zusammen mit juristischen, ökonomischen Strukturen und
den sie durchziehenden Strukturprinzipien Klasse und Geschlecht die Gesamtstruktur einer
Gesellschaft - das Räumliche wird also nicht vom Gesellschaftlichen abgegrenzt, sondern als
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ein Teil dessen begriffen.
Institutionalisierte Räume entstehen, wenn Spacing und Syntheseleistung über individuelles
Handeln hinweg bestehen bleiben und genormte Syntheseleistungen und Spacings nach sich
ziehen. So lassen sich z.B. schichtspezifische (An)Ordnungen von Möbeln in Wohnungen
finden - die Fächergruppe Designwissenschaft hat darauf hingewiesen, dass sich die
Arrangements der Wohnzimmer den Möbelkatalogen ähneln (vgl. Löw 2001, S. 169)- oder
auch die (An)Ordnung in einer Bibliothek stark standardisiert ist und bereits mit einem
rudimentären Wissen über die Platzierung der Gegenstände (Teileinblick in den
Versuchsraum) weitgehend fehlerfrei reproduziert werden kann, so das Ergebnis der
Untersuchung von Günther Kebeck und Mark May über die Stabilität von räumlichen
Vorstellungen ()
Abb. 2: Szene aus dem Film „Fightclub“ (1999; Copyright Foxmovies)
Die institutionalisierte (An)Ordnung, die im praktischen Bewusstsein als etwas
Selbstverständliches wahrgenommen wird, führt dazu, dass Raum gegenständlich (und meist
dreidimensional) wahrgenommen wird. Die Alltagsvorstellung von Raum als Container wird
so in ein relationales Raummodell integrierbar.
Änderungen von institutionalisierten Raumkonstitutionen sind aufgrund von
Fremdheitserfahrungen (Verfremdungseffekte!), Einsicht in die Notwendigkeit, körperlichem
Begehren oder Handlungsweisen anderer auf zwei Ebenen möglich: Sie können zu
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Abweichungen führen, die, wenn sie intentional gegen institutionalisierte (An)Ordnungen
gerichtet sind, auch als gegenkulturell bezeichnet werden und einmalige oder dauerhafte
gegenkulturelle Räume entstehen lassen. Sie können auch zu Veränderungen führen, wenn die
Abweichungen dauerhaft und nicht nur individuell erfolgen - Veränderungen
institutionalisierter Räume bis hin zu Strukturveränderungen werden somit möglich.
Orte sind Ziel der Platzierungsprozesse, die immer in Relation zu anderen Platzierungen
erfolgen - Menschen gehen in zweifacher Hinsicht in diese Raumkonstitution ein: Zum einen
können sie mit anderen Lebewesen oder sozialen Gütern zu Räumen zusammengefasst
werden, zum anderen sind sie selbst aktiv an Platzierungsprozessen beteiligt. Die
Anwesenheit eines (wissenschaftlichen) Beobachters verzerrt daher die am Ort erfolgenden
Raumkonstitutionen systematisch.
Neben dem Normalfall der aufeinander bezogenen Prozesse Spacing und Syntheseleistung
sind auch Syntheseleistungen ohne Spacings möglich, z.B. in wissenschaftlichen Arbeiten,
als Abstraktionsleistung - oder wenn kein realer Ort für Platzierungen zur Verfügung steht:
Im Entwurf von Häusern oder Wohnungen am Reißbrett oder virtuell mit Hilfe von CADSoftware werden Vorstellungen von der Anordnung der raumbildenden Elemente visualisiert
- jedoch ohne einen konkreten Ort:
Die Platzierungen von Wänden, Fenstern, Einrichtungsgegenständen, der Einbezug der
Umgebung (als digitales Abbild) und intendierten Nutzern (über Templates von Menschen)
erfolgt virtuell.
Das Spacing wird später „nachgeholt“, wenn z.B. die auf dem Reißbrett oder im Computer
entworfenen Räume tatsächlich entstehen.
In diesem Sonderfall der Konstitution von Raum, bei dem die Platzierungen im Realraum
zunächst (noch) nicht erfolgen, entstehen zwei Räume gleichzeitig an einem Ort: Ein Raum
wird „virtuell“ entworfen (und kann über Syntheseleistungen als solcher wahrgenommen
werden) während man sich real in einem anderen Raum befindet und sich durch diese
Platzierung ebenfalls im doppeltem Sinne raumkonstituierend verhält.
Die Möglichkeit, überlagernde, plurale Räume auf theoretischer Ebene zu ermöglichen, ist ein
wesentlicher Aspekt dieses erweiterten Raumbegriffs: So lassen sich auch
Raumnutzungskonflikte, die unterschiedlichen Raumkonstitutionen zugrunde liegen, leicht
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erklären - oder die Kontroverse zwischen dem Bestreben, das Internet weiter zu verregeln und
dem Dagegenhalten von Netzaktivisten als Konflikt verschiedenen Raumlogiken - juristische
rechtliche Strukturen, meinst nationalstaatlich-territorial organisiert, und der relationalen Logik
des Mediums, entlarven.
Folgende erkenntnistheoretische und methodologische Konsequenzen ergeben sich aus der
Verwendung des relationalen Raumbegriffs:
„Da die meisten sozialen Güter und alle Menschen gleichzeitig Elemente sind, aus denen
ein Raum gebildet wird, und (aus einer anderen Perspektive) selbst Raum sein können, ist
der Blickwinkel des Synthetisierenden jeder Raumkonstitution immanent. Die Synthese
von sozialen Gütern und Menschen zu Räumen sowie die damit einhergehende
Perspektive des oder der Handelnden kann in der wissenschaftlichen Analyse bzw. durch
die Reflexivität jedes Einzelnen problematisiert werden. In dieser reflexiven Analyse wird
jedoch der Konstitutionsprozess selbst aus einer bestimmten Perspektive analysiert, so das
in der Reflexion selbst neue Räume entstehen. [...] Wissenschaft bildet demzufolge nicht
die Wirklichkeit des Raumes ab, sondern konstituiert Raum erneut, wobei dieser
Konstitutionsprozess selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht werden kann.“ (Löw
2001, S. 229f.)
RaumDesign - Gebäude als technische Artefakte
Komplexer wird die Analyse von Räumen, wenn man berücksichtigt, dass einige Güter, die
angeordnet sind, nicht nur selbst einem Modifikationsprozess unterliegen, sondern ganz
konkret für bestimmte räumliche Praktiken hergestellt wurden. Diesen technischen Artefakten
liegt ein Designprozess zugrunde, der selbst ein Aushandlungsprozess zwischen
konkurrierenden Ideen, technischen Notwendigkeiten oder Vorschriften und ästhetischen
Ansprüchen ist, der Auswirkungen auf spätere Nutzungsmöglichkeiten hat.
Mit dem Status quo ist die Auseinandersetzung jedoch keinesfalls abgeschlossen. Die
tatsächliche Nutzung kann von der intendierten abweichen, die Aneignung des Artefakts ist
an bestimmte Formen der Kapitalakkumulation gebunden – der Beliebigkeit der Veränderung
sind dabei wiederum Grenzen gesetzt (materiell-technische, rechtliche etc.).
Tom Gieryn (2002) schlägt vor, die in der Techniksoziologie entwickelten
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Analysevorstellungen für technische Artefakte auf Gebäude zu übertragen:
Gebäuden liegt ein Entstehungsprozess zugrunde, d.h. Entscheidungen über das
Arrangement/Design, die in einem sehr komplexen Prozess von Spacing und Syntheseleistung
(teilweise gesteigert in der Verschränkung von virtuell und real im Entwurfsprozess), von
Inklusion und Exklusion von Funktionen, von Gestaltungs- und Nutzungsmöglichkeiten
getroffen werden.
Gieryn geht davon aus, dass Gebäude soziales Leben stabilisieren, indem sie eine Struktur für
soziale Institutionen bereitstellen – sie können jedoch nicht perfekt stabilisieren, da Zerfall,
Zerstörung oder Modifikationen (z.B. der gesellschaftlichen Nutzung oder der Substanz
selbst) diese stabilisierende Kraft verringern können. Akteure können ebenfalls Gebäude
modifizieren, es entstehen Raumnutzungen, die vorher nicht geplant waren. Eine interessante
Auseinandersetzung über eine solche Modifikation eines sakralen Baus finden sich für die
Kirche St. Afra in Meißen - augrund sehr geringer Nutzung der Kirche durch
Gemeindemitglieder wird über einen Ideenwettbewerb über alternative Nutzungskonzepte
nachgedankt. Sie reichen von Konservierung des Status quo über Kunstinstallationen (4
Elemente) bis hin zu einem Wellness-Tempel.
Gieryn beschreibt auch sehr ausführlich, wie die soziale Struktur eines Gebäudes durch
Entscheidungen während des Entstehungsprozesses mitbestimmt wird. Wohnung als
technisches Artefakt strukturiert also Handlungen und Handlungsmöglichkeiten: In
Grundrisszeichnungen wird häufig eine solche intendierte funktionale Zuordnung einzelner
Zimmer angegeben, z.B. für eine 3-Zimmer-Wohung: Kind, Wohnen, Schlafen – bestimmte
Wohnungen sind nicht geeignet für WGs, wegen Durchgangszimmern.
Das technische Artefakt „Gebäude“ besitzt durch die Materialität (Mauern) eine Trägheit, zu
deren Überwindung eine bestimmte Kapitalakkumulation nötig ist – sicherlich ökonomisches,
und hoffentlich auch soziales und kulturelles Kapital...
Der rechtliche Status, ob man z.B. Untermieter, Mieter oder Eigentümer ist, spielt eine
entscheidende Rolle für die Nutzungs- und Modifikationsmöglichkeiten (Ein Untermieter
wird wohl kaum eine Wand einreißen oder ein neues Bad einbauen). Die materielle Trägheit
des Artefakts ist auch rechtlich abgesichert. Hier ergibt sich wieder ein direkter Bezug zu den
rechtlichen räumlichen Strukturen (öffentlich vs. privat).
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Durch die Konzeption von Wohnungen als technische Artefakte wird eine Analyse von
Raumkonstitutionsphänomenen im Hinblick auf ansonsten vernachlässigte
„Rahmenbedingungen“, die Resultat vergangener Aushandlungsprozesse, strukturierende
Vorgaben und Ziel künftiger Strukturierung seitens menschlicher Akteure selbst sind,
bereichert. Spannend zu untersuchen ist, wie die Vermittlungsprozesse zwischen intendierter
und nichtintendierter oder subversiven Nutzung des technischen Artefakts verlaufen und
welche Rückschlüsse zu den im Entwurfsprozess erfolgten strukturellen Ein- und
Ausschlüssen festzustellen sind.
(Forschungs-)Praxis: Analyse raumbezogenen Handelns
Welche Möglichkeiten bietet ein erweiterter soziologischer Raumbegriff wie der des
relationalen Raumes in der Praxis? Zunächst einmal öffnet er durch eine theoretische
Sensibilisierung das Spektrum der Möglichkeiten, raumbezogenes Handeln zu beobachten
und aus den räumlichen Praxen, den Aushandlungsprozessen um die Besetzung und
Deutungshoheit räumlicher Arrangements, Erkenntnisse methodisch kontrolliert abzuleiten:
Wie werden Räume wahrgenommen, wie das eigene Verhalten in Bezug zu anderen
definiert?
Time-Space-Diagramme
Der Geograph Törsten Hägerstrand hat einen sehr praxisorientierten Weg vorgeschlagen,
Handlungen in Bezug auf ihre räumliche und zeitliche Einordnung zu erheben und zu
visualisieren. In einem dreidimensionalen Koordinatensystem wird in der Ebene eine
räumliche Abstraktion, also eine Karte oder ein Luftbild, dargestellt und auf der z-Achse die
Zeitdimension. Somit lassen sich Orts- und Wegnutzungen standardisiert erheben und in
kartographische Darstellungen visualisieren – z.B. Alltagswege in der Stadt nach Geschlecht
differenziert. Mit dieser Erhebungs- und Darstellungsmöglichkeit können die dynamischen
Bezugssysteme Raum und Zeit miteinander verbunden dargestellt werden (vgl. auch Löw
2001, 38ff).
Eyetracker: Blickrichtung messen
Die Analyse von Blickrichtungen reicht schon einige Jahrzehnte zurück, ist aber erst mit
moderner Computertechnologie effektiv einsetzbar geworden. Hier werden i.d.R. durch
Kameras die Augenbewegungen aufgezeichnet, während eine weitere Kamera die
Gesamtszene festhält. Anhand der Lage der Pupillen kann errechnet werden, auf welche
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Punkte der Gesamtszene der Blick fixiert ist. Aus der Wahrnehmungspsychologie ist
bekannt, dass das bewusst wahrgenommene Gesichtsfeld in Wirklichkeit aus einer Vielzahl
kurzzeitig fixierter Details konstruiert wird. Mit Hilfe der Blickverfolgung kann eine visuelle
Aufmerksamkeitsverteilung erhoben werden, die „vor“ der bewussten Interpretation
stattfindet. Anwendungsgebiete sind z.B. Evaluation von Webseiten, die Platzierung von
Warenangeboten oder auch wahrnehmungspsychologische Grundlagenforschung.
Intelligente“ Videoüberwachung
Ebenfalls an visuellen Daten orientiert sich die Auswertung von Kamerabildern, z.B.
Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen. Computersoftware ist heutzutage in der
Lage, auf den Videobildern Personen oder auch Gesichter anhand charakteristischer Formen
zu erkennen und visuell im Videobild zu markieren.
Beispiele:
1) http://www.comp.leeds.ac.uk/vision/proj/amb/research/track3.mpg
2) http://www.comp.leeds.ac.uk/vision/proj/amb/research/track2.mpg
Die Bewegungen von Personen über einen öffentlichen Platz können so auch über mehrere
Kameras hinweg verfolgt werden. Anwendungsgebiete sind neben Sicherheitstechnik
Kunstinstallationen, die Bewegungspfade im öffentlichen Raum anhand dieser Technik
nachzeichnen und verfremden (z.B. Memory of Space: ttp://www.ursuladamm.de/inoutsite/).
Analyse räumlicher Anordnungen: Panoramaphotographie
Komplexe räumliche (An)Ordnungen für eine Analyse zu nutzen, die in einem
handlungsentlasteten Umfeld erfolgt, ist ein Aspekt eines Forschungsansatzes, der 360°
Panoramaphotos von privaten Räumen verwendet, die mit einer einzigen Aufnahme erstellt
werden. Im Hinblick auf die Analyse der verbildlichen Raumkonstitution wird unter
Einbezug der Biographie der Frage nachgegangen, wie Prozesse der Raumkonstitution
verlaufen. Eingesetzt werden Photos, die die Befragten selbst erstellen und die anschließend
als Stimulus für ein narratives Interview verwendet werden - sowie zur Abbildung der
einzelnen Zimmer der Wohnung 360°-Panoramaaufnahmen mit einer Spezialoptik. Die
Gesamtheit der Perspektiven wird so über eine Rekonstruktion am Computer möglich
(ausführlich: Stoetzer, K. 2004 und www.raumbiographie.de)
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Abb3. Photo eines Interviewpartners (Serie von 7 Bildern) / Abb4. 360° Panoramaphoto
© K. Stoetzer (2004, S.364)
Vor allem über die Auswertung der Interviews wird die biographische Komponente der
Raumkonstitution erschlossen (Hintergründe: Geschichte der Wohnung/WG; Erfahrungen
mit räumlich bedingten Aushandlungsprozessen oder räumlichen Rekonfigurationen etc.).
Photocollagen als virtuelle Raumkonstitution
Eine weitere Möglichkeit stellen virtuelle Spacings in Photocollagen dar. Sie stellen Bezüge
zwischen visuellen Abbildungen der eigenen Stadt her und vernetzen sie auf diese Weise.
Ähnlich einem Hyperlink kann so entlang der aktiv hergestellten Verbindungen durch eine
visuelle Abstraktion des urbanen Raumes navigiert werden. Entwickelt wurde dieser Zugang,
um Vorstellungen der Einwohner von Ihrer Stadt abbildbar zu machen, ihr "Image". Photos,
von den Befragten selbst erstellt, wurden mit einer Software verlinkt - über Bildbereiche mit
gemeinsam abgebildeten Personen oder Objekten (serielle Photografie), aber auch durch rein
inhatliche Bezüge:
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Die Verbindungen lassen sich von ihrer Struktur her interaktiv nachvollziehen oder im
Überblick darstellen (ausführlich: www.urban-iamges.net).
Fazit
Die hier vorgestellten soziologischen Theorien zu Raum sind nur eine Auswahl – andere
Modelle haben andere Foki, z.B. die Einbettung in gesellschaftliche Produktionsverhältnisse:
Henry Lefébvre, vgl. dazu Löw/Steets/Stoetzer 2007)
Ein erweiterter soziologischer Raumbegriff kann keine deterministischen Erklärungsmodelle
offerieren, die eine Evaluation und Optimierung bisheriger Planungs- und Entwurfspraxis auf
eine teleologische Zielbestimmung hin ermöglichen. Er kann aber die Komplexität von
Raumkonstitutionen angefangen vom Entwurf (virtuelle Spacings, Raumüberlagerung) über
die realweltliche Umsetzung (Aushandlungsprozesse, Nutzungskonflikte,
Raumlogikkonflikte) bis hin zur Aneignung dieser gebauten Umwelt in der wechselseitigen
Dynamik von stabilisierender Struktur und strukturierendem Handeln in Wahrnehmung und
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die Produktion von Räumen begrifflich exakt beschreiben und (nicht nur) einer
sozialwissenschaftlichen Analyse zugänglich machen.
Literatur:
Bourdieu, P. (1991). Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. Stadt-Räume.
Die Zukunft des Städtischen. M. Wentz. Frankfurt am Main: 25-34.
Funken, C. / M. Löw (2003). Ego-Shooters Container. Raumkonstruktionen im elektronischen
Netz. Raum - Zeit - Medialität. Interdisziplinäre Studien zu neuen
Kommunikationstechnologien. C. Funken and M. Löw. Opladen, Leske + Budrich: 6991.
Kebeck, G. and M. May (1991). "Invarianz gegenüber Transformation. Ein Vergleich von
Raumwahrnehmung und Raumvorstellung." Zeitschrift für experimentelle und
angewandte Psychologie 38(2): 226-247.
Krais, B./Gebauer, G (2002): Habitus. Bielefeld.
Löw, M. (2001): Raumsoziologie. Frankfurt/Main.
Löw, M/Steets, S/Stoetzer, S (2007): Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie. Opladen
& Farmington Hills.
Stoetzer, K. (2004): Photointerviews als synchrone Erhebung von Bildmaterial und Text. In:
Zeitschrift für Qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung. 5.Jg., H2, S. 361370.
Wuggenig, U. (1994). Soziale Strukturierungen der häuslichen Objektwelt. Ergebnisse einer
Photobefragung. In: Mörth/Fröhlich: Das symbolische Kapital der Lebensstile. Zur
Kultursoziologie der Moderne nach Pierre Bourdieu. Frankfurt/Main, S. 207-228.
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