Pressebriefing Saeugetiergutachten Brensing WDC

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Kritik am Säugetiergutachten
Pressebriefing zur Delfinhaltung (Großen Tümmler)
© Sophie-Marie Hahner
Dr. Karsten Brensing
WDC, Whale and Dolphin Conservation
Science and Conservation Manager Germany
Implerstraße 55
D-81371 München
M: +49 176 2267 5679
E: [email protected]
www.whales.org
1
Einleitung
Die Überarbeitung des gesamten Säugetiergutachtens erfolgte auf Grund eines
Parlamentsbeschlusses (vgl. BT-Drucksache 16/12868) in dem ausschließlich die Überarbeitung des
Delfinkapitels gefordert wurde. Daher ist es besonderes verwunderlich, dass in der nun vorliegenden,
überarbeiteten Version des Säugetiergutachtens, nur minimale Änderungen zur Version von 1996
gemacht wurden. Demnach bleiben die Haltungsbedingungen der Delfine in den beiden
verbleibenden Delfinarien in Deutschland unverändert und für mögliche Neubauten gibt es keine
Verpflichtung Verbesserungen zu schaffen. Aus diesem Grund bleiben –nach der Überarbeitung des
Säugetiergutachtens – die Probleme in der Delfinhaltung praktisch unverändert bestehen.
Nach dem aktuellen Gutachten dürfen zehn Große Tümmler mit drei Metern Körperlänge und 350kg
Körpergewicht in einem Wasservolumen von 15x15x15m untergebracht werden. Diese Volumen
muss auf ein Mehrbeckensystem mit mindestens drei Becken verteilt werden. Aus der Akteneinsicht
von WDC am Delfinarium in Nürnberg wissen wir, dass unter diesen Bedingungen die Zucht nicht
nachhaltig ist und dass die Tiere nur unter großem medikamentösem Aufwand gehalten werden
können. Darüber hinaus wird das Verhalten der Tiere mittels Hormonen und Psychopharmaka an die
Haltungsbedingungen angepasst. Eine Haltung unter den gegebenen Bedingungen steht somit nicht
im Einklang mit dem TierSchG § 2 (1) und BNatSchG $ 42 Abs. 3 (1).
Aus diesem Grund sprechen sich alle beteiligten Tierschutzverbände gegen eine Verwendung des
Delfinkapitels aus und es wird im Gegensatz zu allen anderen Tierarten auf eine detaillierte
Kommentierung der Empfehlungen verzichtet. Die Probleme sind systemimmanent und lassen sich
nicht durch leichte Anpassungen einfach ändern.
Bereits vor Veröffentlichung des Gutachtens war das Delfinkapitel am 28.4. in Düsseldorf Anlass für
eine Diskussion. Während einer Anhörung des Landtages von NRW sprachen sich verschiedene
Experten wie der Jurist Dr. Christoph Maisack für eine erneute Überarbeitung bzw. für ein
eigenständiges Gutachten in NRW1 aus.
1
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-1625.pdf
2
Erläuterung zur Unvereinbarkeit mit dem TierSchG § 2 (1)
TierSchG § 2 (1) Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,
muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren,
pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
Der folgende Absatz beschäftigt sich mit der verhaltensgerechten Unterbringung2.
Auf Grundlage einer detaillierten Evaluierung der Akten aus dem Nürnberger Zoo, die WDC in einem
mehrjährigen Verfahren errungen hat, können folgende Aussagen getroffen werden:
In den Jahren 2000 – 2011 standen die Delfine im Nürnberger Delfinarium im Durchschnitt 5.5% aller
Tage (ca. drei Wochen) unter dem Einfluss des Psychopharmaka Diazepam. Dieses Medikament
wurde den Akten zufolge in ca. 52% der Fälle zur Kontrolle von aggressivem Verhalten eingesetzt.
Darüber hinaus standen die Tiere im Durchschnitt 19% der Tage (ca. zwei Monate) unter dem Einfluss
von Hormonen wie Megestat. Einem weiblichen Hormon das meist Männchen verabreicht wurde,
um bei ihnen eine psychoaktive Wirkung hervorzurufen und ihr Verhalten beeinflusst (typisch
männliches Verhalten wird unterdrückt). Die Gabe von Diazepam ist nicht auf das Delfinarium in
Nürnberg beschränkt, sondern wurde auch für das Delfinarium in Duisburg dokumentiert3.
Aus der EU-Tiertransportverordnung Nr. 1 /2005 geht hervor (s. Anhang I Kap. I Nr. 6), dass die
Verabreichung von Beruhigungsmitteln an Tiere vom Gesetzgeber nicht als verhaltensgerecht
angesehen wird (sie ist nur vorübergehend erlaubt und nur zu Transportzwecken; auch dann nur,
wenn es unbedingt erforderlich ist, um das Wohlbefinden zu gewährleisten, und selbst dann nur
unter tierärztlicher Kontrolle). Eine Tierhaltung, die wiederholt oder über Zeiträume von längerer
Dauer solche Mittel verabreicht, widerspricht damit einer verhaltensgerechten Unterbringung im
Sinne des Unionsrechts und des deutschen Tierschutzgesetzes, denn sie bedeutet eine Anpassung
des Tieres an seine Haltungsbedingungen anstelle der Anpassung der Haltungsbedingungen an die
Bedürfnisse des Tieres.
Die Diplomarbeit von Marcus Richter befasst sich mit der Gruppenkonstellation der Delfine im
Delfinarium Nürnberg und dokumentiert für den Beobachtungszeitraum 2005 – 2010 zwanzig
unterschiedliche Gruppenkonstellationen die künstlich gebildet wurden.4 14 der 20
2
Präzisierung des Begriffs einer verhaltensgerechten Unterbringung durch das OVG Schleswig (Az.: 4L 152/92)
verwiesen: „Die Anforderungen, [...] müssen sich [...] entsprechend der Zielrichtung des Tierschutzgesetzes
daran orientieren, wie ein Tier sich unter seinen natürlichen Lebensbedingungen verhält, nicht daran, dass das
Tier sich auch anderen Lebensbedingungen – unter Aufgabe vieler der in Freiheit eigenen Gewohnheiten und
Verhaltensmustern – anpassen kann. Verhaltensgerecht ist eine Unterbringung danach auch dann nicht, wenn das
Tier zwar unter den ihm angebotenen Bedingungen überleben kann und auch keine Leiden, Schmerzen oder
Schäden davonträgt, das Tier aber seine angeborenen Verhaltensmuster soweit ändern und an seine
Haltungsbedingungen anpassen muss, dass es praktisch mit seinen wildlebenden Artgenossen nicht mehr viel
gemeinsam hat.“
3
Katja Geschke 2001 „Veterinärmedizinische Aspekte der Zucht des Großen Tümmlers in Menschenhand“. /
Anhörung vor dem Landtag in NRW am 28.4.2014:
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMST16/1596
4
Marcus Richter 2013 Große Tümmler im Tiergarten Nürnberg – Aggression, Reproduktion und Krankheit.
Diplomarbeit am Institut für Ökologie der Friedrich-Schiller-Universität-Jena
3
Gruppenkonstellationen, würde es als stabile Formation über Tage im Freiland nicht geben. In 10 der
20 Gruppen kam es zu Aggressionen. Die Diplomarbeit kommt zu dem Schluss: Vor allem die
juvenilen Tiere, die sich in der Wildbahn hin und wieder oder sehr selten Erwachsenen anschließen,
waren in Nürnberg sehr häufig an Konflikten beteiligt. Der Anteil der juvenilen Männchen an der
Gesamtaggression (70,7 %) war in Nürnberg deutlich höher als in den Vergleichsstudien und der
Anteil von Konflikten zwischen juvenilen und adulten Weibchen war größer als in der Wildbahn.
Erläuterung zur Unvereinbarkeit mit dem BNatSchG $ 42 Abs. 3 (1)
BNatSchG $ 42 Abs. 3 (1) (entspricht der EU-Zoodirektive)
Zoos sind so zu errichten und zu betreiben, dass bei der Haltung der Tiere den biologischen
und den Erhaltungsbedürfnissen der jeweiligen Art Rechnung getragen wird, …
Biologischen Bedürfnissen und der Bedarf an medizinischer Intervention.
Biologische Bedürfnisse inkludieren formal alle Bedürfnisse des Lebens. Demnach sind auch
Erhaltungsbedürfnisse und die verhaltensgerechte Unterbringung biologische Bedürfnisse. Beide
Aspekte werden an anderer Stelle diskutiert, so dass im Folgenden ausschließlich auf gesundheitliche
Aspekte also auf Aspekte der biologischen, physiologischen Funktion eingegangen wird.
In der freien Natur kommen Tiere vollständig ohne eine Einflussnahme auf biologische oder
physiologische Funktion aus. Sollten sie erkranken oder verletzt werden, wird ihre biologische Fitness
reduziert. Wenn die betroffenen Organismen diese Reduktion nicht kompensieren können, ist
langfristig ein frühzeitiger Tod nicht aufzuhalten. Im Gegensatz dazu, ist eine Verletzung unter den
Bedingungen einer durch Menschen kontrollierten Umwelt minimal, wenn den Bedürfnissen der
Tiere Rechnung getragen wird. Ebenso ist das Risiko einer Erkrankung minimal, denn durch
veterinärmedizinische Intervention können die natürlichen Abwehrmechanismen unterstütz werden
und eine Heilung sollte schneller und besser erfolgen als im Freiland. Gleiches gilt für den
unwahrscheinlichen Fall einer Verletzung, bei der im Freiland das hohe Risiko einer Entzündung
besteht, welches in menschlicher Obhut auf ein Minimum reduziert werden kann. Unter diesen
Bedingungen ist auch eine Ausbildung von chronischen Krankheitsbildern fast ausgeschlossen.
Es lässt sich somit Schlussfolgern, dass Tiere, die regelmäßig medikamentös versorgt werden müssen
oder chronisch erkranken, nicht unter Bedingungen leben, die den biologischen Bedürfnissen
Rechnung tragen.
Auf Grundlage einer detaillierten Evaluierung der Akten aus dem Nürnberger Zoo, für den Zeitraum
von 2000 bis 2011, können folgende Aussagen getroffen werden:
Im Durchschnitt wird jedes einzelne Tier im Nürnberger Zoo 45 Tage pro Jahr mit Antibiotika oder
Fungiziden behandelt. Dies entspricht 13,1 Prozent der individuellen Lebenszeit und schwankt
4
zwischen 0,34% und 29,24%. Von den 10 in der Studie evaluierten Tieren zeigten sieben Tiere ein
chronisches Krankheitsbild. Als chronische Krankheiten wurden Krankheiten aufgenommen die über
einen längeren Zeitraum als 42 Tage dokumentiert wurden. Die Durchschnittliche Behandlungsdauer
betrug 106,14 Tage und schwankte zwischen 54 und 210 Tagen. Die meisten von chronischen
Krankheiten betroffenen Tiere hatten erhöhte Leberwerte. Auffällig war auch der unnatürliche
Konsum von Süßwasser (Delfine leben im Meerwasser und haben in ihrer natürlichen Umgebung
keinen Zugang zu Süßwasser) der mit 13,13% für ein Durchschnittstier beziffert werden konnte. Mit
dieser Intervention wird versuch die negative Wirkung von Medikamenten auf Leber und Nieren zu
reduzieren und den Abbau von gesundheitsgefährdenden Stoffwechselprodukten zu erleichtert.
Kritsch muss hinzugefügt werden, dass die Daten in den Nürnberger Akten sehr lückenhaft sind. Die
Interpretation der Daten erfolgte allerdings sehr konservativ und es wurden ausschließlich nur
belegbare Interventionen in die Auswertung aufgenommen. Eine Auswertung der möglichen Lücken
lieferte allerdings Hinweise darauf, dassbei allen Tieren über den Zeitraum der aufgenommenen
Jahre mehr als 50% der Interventionstage nicht berücksichtigt wurden. Dies war meist der Fall, wenn
eine Behandlung über einen langen Zeitraum erfolgte und in den Tagesberichten keine Erwähnung
mehr fand.
Erhaltungsbedürfnissen – ist die in der EU in Gefangenschaft gehaltene Population nachhaltig?
Bedingungen die den Erhaltungsbedürfnissen einer Art entsprechen, sollen sicherstellen, dass die
Zucht, der in Gefangenschaft gehaltenen Tiere nachhaltig erfolgt und langfristig keine Entnahmen aus
der freien Wildbahn erforderlich sind. Darüber hinaus ist die Fortpflanzung ein wichtiger Bestandteil
des Verhaltensspektrums der Tiere und die Zoogemeinschaft spricht sich ausdrücklich dafür aus den
Tieren in menschlicher Obhut die Möglichkeit der Fortpflanzung zu geben. Im Umkehrschluss wird
klar, dass Tiere die nicht nachhaltig gezüchtet werden können, unter Bedingungen leben die nicht
ihren Erhaltungsbedürfnissen Rechnung tragen.
Das derzeit (Januar 2014) aktuellste Jahrbuch der Europäischen Zoogemeinschaft EAZA ist das
Jahrbuch von 2007/08 in ihm heißt es zu den Großen Tümmlern: “A large proportion of the founder
animals are getting old; and several of potential founder animals as well. It is urgent to make the
latter reproduce.“. Als Grund für die Dringlichkeit wird angegeben: „The neonatal mortality remains a
serious problem for the whole European bottle-nosed dolphin (BD) population.“ Der Grund aus dem
die hohe Jungtiersterblichkeit als „“serious problem“ dargestellt wird, ist im Jahrbuch von 2004
deutlich ausgesprochen: “Neonatal mortality is a major problem, rendering the total ex situ
bottlenosed dolphin population so far not being self-sustaining.” Demnach kommt die EAZA zu dem
Schluss, dass die Zucht des Großen Tümmlers nicht nachhaltig ist. Unter diesen Umständen ist eine
Haltung von Delfinen in Deutschland nicht im Einklang mit den gegebenen rechtlichen
Bestimmungen des BNatSchG $ 42 Abs. 3 (1).
Grundsätzlich lässt sich die Frage der Nachhaltigkeit einer Zucht nicht an einzelnen Einrichtungen
festmachen. Es ist daher von großer Wichtigkeit eine Gruppe von kooperierenden Einrichtungen in
ihrer Gesamtheit zu betrachten. Eine solche Gruppe hat sich im Rahmen des EEP für den Großen
5
Tümmler assoziiert. Im Folgenden wird die Entwicklung der Population des Großen Tümmlers in
Europa auf Grundlage der öffentlich zugänglichen Zahlen dargestellt.
Jahr
Bestand
Importe
davon
Wildfänge
Bestandser
weiterung
Zuchterfolg
Zuchterfolg
in %
Importe
in %
1990
2000
2010
2013
119
188
246
232
107
47
38
0
?
44
36
0
119
69
58
-14
12
22
20
-14
10,08
31,88
34,48
/
89,91
68,11
65,51
0
Die Tabelle beschreibt die Entwicklung des Bestands der in Gefangenschaft gehaltenen Population des Großen Tümmlers in
Europa. Die Angaben zum Bestand der Jahre 1990, 2000 und 2010 wurden im Rahmen der Überarbeitung des
Säugetiergutachtens von der Zooseite vorgelegt. Die aktuelle Bestandszahl von 2013 stammt von dem EEP Zuchtbuchführer
Dr. Cornils Erik van Elk (Dolfinarium Harderwijk) die er in einer Bundestagsanhörung am 15.5.213 präsentiert hat und bezog
sich auf Mai 20135: Die Angaben zu den Importen von 1990 stammen ebenfalls von den Zoogemeinschaft. Die Importdaten für
2000 und 2010 stammen aus der der WCMC Datenbank. Nach Angaben von Herrn van Elk wurden seit 2003 keine großen
Tümmler mehr in die EU importiert. Die Bestandserweiterung ergibt sich aus der Differenz der Angaben für die entsprechenden
Jahrzehnte. Als Zuchterfolg wird der Anteil der Bestandserweiterung der durch Zucht zustande gekommen ist betrachtet, er
ergibt sich rechnerisch aus der Subtraktion der Importe von der Bestandserweiterung. Zuchterfolg und Import in Prozent stellt
den relativen Anteil der Quellen der Bestandserweiterung dar.
Die Aussagen die diese Tabelle möglich macht sind folgende:
1. In den Anfangsjahren setzte sich die Population fast ausschließlich aus Wildfängen (90%)
zusammen.
2. Im Folgejahrzehnt (1990 bis 2000) war der Anteil der Wildfänge immer noch mehr als
doppelt so hoch wie die Bestandserweiterung durch Nachzucht.
3. In dem Jahrzehnt vom 2000 bis 2010 zeichnet sich ein vergleichbares Bild, mit einem
geringfügig höheren Zuchterfolg ab.
4. In den Jahren von 2010 bis 2013 zeichnet sich ein Rückgang der Population ab.
Diese auf öffentlich zugänglichen Daten beruhende und leicht nachzuvollziehende Beobachtung steht
im Widerspruch zu Aussagen der Zoogemeinschaft, nach der die Bestandserweiterung ausschließlich
durch Nachzucht zustande gekommen ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass es seit 2003 keine Importe
mehr gegeben hat und dass sich der Bestand nunmehr verringert.
Ein weiterer Punkt der für die Nichteinhaltung der Erhaltungsbedürfnisse spricht, ist die Tatsache,
dass eine frühe postnatale tiermedizinische Versorgung (Postnatales Management) bei Kälbern
routinemäßige erforderlich ist. Dies zeigt, dass die Tiere unterhalb der Erhaltungsbedürfnisse
gehalten werden, anderenfalls wäre diese Intervention nicht erforderlich.
5
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a10/anhoerungen/2013_05_15_Delfinhaltung/Stellungnahme
n/17-10-1312-G.pdf
6
Gemeinsam mit den Aussagen aus dem Zuchtbuch der EAZA kann nur der Schluss gezogen werden,
dass die Zucht des Großen Tümmlers in Europa nach wie vor nicht nachhaltig ist und somit die
Erhaltungsbedürfnisse der Tiere nicht erfüllt werden.
Erläuterung zum biologischen Hintergrund und zur Sozialstruktur
Der folgende Abschnitt gibt gekürzt einige Aspekte aus dem Buch (Persönlichkeitsrechte für Tiere,
Herder 2013) des Autors dieses Briefings wieder. Eine detaillierte Beschreibung des Soziallebens der
Großen Tümmler kann auf den Seiten 63 bis 97 nachgelesen werden und wird auf Anfrage gerne zur
Verfügung gestellt. Im Buch gibt es eine umfangreiche Quellenangabe mit über 300 größtenteils
"peer-reviewed“-Publikationen.
Neben der stark beeinträchtigten Bewegungsfreiheit der Tiere (siehe Abbildung) liegt das
Hauptproblem im komplexen Sozialleben der Tiere. Diesem zugrunde liegt eine kognitive
Entwicklung, die es den Tieren möglich macht, sich selbst bewusst zu sein und eine Vorstellung davon
zu haben, dass es auch andere Individuen mit Bewusstsein gibt. Sie sind zu Mitgefühl fähig, haben
eine Vorstellung von Raum und Zeit und besitzen die Fähigkeit zu strategischem Denken und
planvollem Handeln. Sie leben in ihrer eigenen Kultur, haben ein gutes, vermutlich lebenslanges
Gedächtnis und die Fähigkeit, im Rahmen einer einfachen Grammatik miteinander zu
kommunizieren. Der Große Tümmler ist die bislang einzige Tierart mit individuellen Bezeichnungen
(Namen) und hat somit theoretisch die Möglichkeit, über Dritte zu kommunizieren. Darüber hinaus
ist er die bisher einzige Tierart außer dem Menschen, die dazu fähig ist, Allianzen dritter Ordnung zu
bilden.
Maßstabgetreue Abbildung (1:200) des Lebensraums für 10 Große Tümmler mit drei Metern Körperlänge und 350kg
Körpergewicht.
7
Delfine leben in „Fission-fusion societies“, das heißt sie fusionieren und brechen auseinander. Die
menschliche Analogie wäre vielleicht eine Dorfgemeinschaft, die sich zur Arbeit auf dem Feld und
zum Erntedankfest trifft oder Angestellte einer Firma, die sich täglich bei der Arbeit treffen, die
Nächte aber bei ihren Familien in ihren Häusern verbringen. Delfine in Gefangenschaft leben nicht in
einer Fission-fusion society, sondern nur in einer Fusion society, und sind somit eines komplexen
Teils ihres Soziallebens beraubt. Die Abbildung auf der folgenden Seite verdeutlicht die Unterschiede
zwischen dem Sozialleben in Freiheit und in Gefangenschaft.
In der Gruppenkonstellationen G1 gibt es auf den ersten Blick keine Unterschiede zwischen der
Situation im Freiland und in Gefangenschaft. Das *X in Bezug auf das Leben im Freiland soll
andeuten, dass es viele dieser Gruppen gibt. Genau das führt aber zur Bildung von Allianzen dritter
Ordnung und darf als das bisher komplexeste soziale Agieren im Tierreich gelten. Für Delfine in
Gefangenschaft existiert dieser beeindruckende Lebensaspekt nicht.
In der Gruppenkonstellation G2 wird ein eklatantes Missmanagement deutlich. Im Freiland wird eine
vergleichbare Kleingruppe immer von dem dominanten, meist größten Weibchen angeführt. In
dieser Konstellation kommt es praktisch gar nicht oder nur ausgesprochen selten zu aggressivem
Verhalten. In Delfinarien dagegen dominiert immer das einzelne Männchen die gesamte Gruppe.
Einerseits bedeutet diese Situation für das sonst dominante Weibchen ein grundsätzlich verändertes
Lebenskonzept, andererseits ist es schwer zu ermessen, welchen Einfluss die völlig unnatürliche,
permanente Anwesenheit eines erwachsenen Männchens auf die gesamte Gruppe hat. Das
Männchen wiederum lebt in einem sozialen Umfeld, das es so in der Natur nicht gibt und das das
Männchen niemals selbständig wählen würde. Leider läuft das Leben in dieser künstlich geschaffenen
Gruppenkonstellation nicht so friedlich ab wie in Freiheit und macht veterinärmedizinische
Interventionen erforderlich (siehe oben).
Die Gruppenkonstellation G3 beschreibt eine intermediäre Lebensphase, in der sich die Jungtiere von
ihrer Mutter lösen und ihren Platz im sozialen Netzwerk finden. Diese Lebensphase, die im Prinzip
schon wenige Wochen bis Monate nach der Geburt beginnt, ist geprägt von intensiven
Lernprozessen. Diese Erfahrungen werden nicht im kleinen Kreis der engsten Verwandten, sondern in
einem großen Netzwerk gesammelt, und die Jungtiere suchen sich dazu selbständig die geeignetsten
Interaktionspartner. Zu den erlernten Fähigkeiten gehören Jagdstrategien, Spiele, Kämpfe sowie
Erfahrungen bei der Aufzucht von Jungtieren. In der Zooliteratur wird grundsätzlich empfohlen,
solche Gruppen aufzubauen. Leider ist dies nur theoretisch möglich, denn die große Zahl der zum
Aufbau eines Ego-Netzwerkes erforderlichen Tiere ist in Delfinarien überhaupt nicht vorhanden.
Die Sozialverhalten der Gruppenkonstellation G4 kommt in Delfinarien überhaupt nicht vor, und so
werden sowohl weibliche als auch männliche Tiere eines ihrer wichtigsten Lebensabschnitte beraubt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Tiere in Delfinarien nur einen Bruchteil ihres natürlichen
Soziallebens leben können.
8
9
Kritik am Prozess der Überarbeitung
Wissenschaftliche Arbeitsweise
Der Prozess der Überarbeitung kann nicht als wissenschaftlich bezeichnet werden. Einerseits wurde
die für die Überarbeitung wichtigste Datengrundlage das Zuchtbuch des Großen Tümmlers nicht
zugänglich gemacht. Andererseits wurden Behauptungen nicht belegt und beispielsweise mit
folgenden Begründungen gerechtfertigt: Das sind keine Behauptungen, sondern empirisch
gewonnene Schlussfolgerungen. Es gibt leider nicht zu jeder unserer empirischen Erkenntnisse
gleichzeitig auch systematische wissenschaftliche Untersuchungen und Publikationen.
Ein Blick in jedes beliebige Statistikbuch oder auch nur in den entsprechenden Eintrag in Wikipedia
belehrt darüber, dass empirische Erkenntnisse auf der Grundlage von systematisch erhobenen Daten
gewonnen werden. Eine empirische Erkenntnis ohne systematisch wissenschaftliche Untersuchungen
und Erhebung der entsprechenden Daten gibt es nicht. Die beteiligten Vertreter der wissenschaftlich
geführten Zoos sollten das wissen.
Gefälligkeitsleistungen des Ministeriums gegenüber dem Duisburger Delfinarium
Das Säugetiergutachte fordert grundsätzlich ein Außengehege für Tier die unter den deutschen
klimatischen Verhältnissen ein Außengehege nutzen können. Dies gilt grundsätzlich auch für Delfine,
aber nicht für die Delfine in Duisburg, denn dort reicht es, wenn man das Schiebedach aufmachen
kann.
Irreführung und Falschaussagen
Irreführungen und Falschaussagen sind im Hinblick auf das oben zitierte Argument der “empirischen
Erfahrung“ der Tierhalter besonders kritisch zu betrachten, da sie ein Vertrauensverhältnis nachhaltig
schädigen können.
Der folgende Aspekt ist so skandalös, dass sich der Autor dieses Briefings als Sachverständigen der
Tierschutzseite aus der Überarbeitung zurückgezogen hat. Die Vertreter der deutschen Zoos stellten,
im Rahmen der Überarbeitung des Säugetiergutachtens, die kontinuierliche Erweiterung des
Delfinbestands als Erfolg ihres Zuchtprogrammes dar. Die Zooseite gibt ergänzend an: „In Europa
begannen derartige Zuchterfolge in den 1990er Jahren mit der Etablierung des Europäischen
Erhaltungszuchtprogrammes (EEP) und dem einhergehenden koordinierten Management der
Delfingruppen.“ Auf Nachfrage wird ergänzt: „Dieser Populationsanstieg ist auf erfolgreiche
Aufzuchten zurück zu führen und nicht auf Importe.“
In Wirklichkeit waren zwei Drittel der Bestandserweiterung auf Delfin-Importe zurück zu führen (wie
oben erläutert).
10
Es handelt sich um einen offenkundigen Täuschungsversuch, der nur durch eine detaillierte
Recherche aufgedeckt werden konnte. Hinzu kommt, dass der Täuschungsversuch nur möglich war
weil die entsprechende Datengrundlage das Zuchtbuch nicht zur Verfügung gestellt wurde.
Wie oben bereits gezeigt, ist diese Aussage falsch, denn nur ein Drittel der Bestandserweiterung ist
auf erfolgreiche Aufzucht zurück zu führen, die verbleibenden zwei Drittel gehen auf Importe zurück,
die zu über 90% aus Wildfängen bestanden.
Abschließend sei festgehalten, dass das Ministerium mehrfach auf die beschriebenen Sachverhalte
aufmerksam gemacht wurde.
Deutschland im internationalen Vergleich
Während in Schwellenländern eine Zunahme von Delfinarien als Tourismusattraktion zu verzeichnen
ist, wird in der westlichen Welt die Delfinhaltung vermehrt kritisch gesehen. So wird derzeit über
eine Gesetzesvorlage in Kalifornien diskutiert, nach der die Orca-Haltung verboten werden soll6. In
Italien wurde 2013 das Delfinarium in Rimini geschlossen, die Tiere wurden konfisziert und die
Betreiber zu einer Geldstrafe verurteilt7. Unter anderem wurde ihnen Medikamentenmissbrauch
vorgeworfen, weil sie die Tiere mit Psychopharmaka behandelt hatten. Ebenfalls wurde das letzte
Delfinarium in der Schweiz 2013 geschlossen8. Der verantwortliche Tierarzt wurde wegen
Tierquälerei und Antibiotikamissbrauch zu einer Geldstrafe verurteilt9. Vor wenigen Tagen wurde ein
weiterer Fall von Medikamentenmissbrauch im Rahmen einer Gerichtsverhandlung gegen SeaWorld
öffentlich: Aus den beschlagnahmten Akten ging hervor, dass die Tiere ähnlich wie in Italien unter
Psychopharmaka gehalten werden10.
Das neue deutsche Säugetiergutachten fundamentiert eine veraltete Tierhaltung und ermöglicht
neue Anlagen mit extrem geringen Auflagen. Die bestehenden Haltungsbedingungen für Delfine
sind verantwortlich für die nicht erfolgreiche Nachzucht, den extrem hohen Bedarf an
veterinärmedizinischen Interventionen, dem schlechten Gesundheitszustand sowie der erhörten
Aggression und dem damit verbundenen Bedarf der Gabe von psychisch wirksamen Substanzen
wie Psychopharmaka oder Hormonen.
6
http://www.wdcs-de.org/news.php?select=1729
http://www.lagazzettadelmezzogiorno.it/english/re-examination-court-upholds-seizure-of-rimini-dolphinsno657344/
8
http://www.tagesanzeiger.ch/dossiers/panorama/dossier2.html?dossier_id=1130
9
http://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/4000-Franken-Busse-fuer-ConnylandTierarzt/story/19691397
10
http://www.buzzfeed.com/justincarissimo/seaworld-puts-its-whales-on-valium-like-drug-documents-show
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