Salzburger Nachrichten: Erhält jeder Patient die beste Medizin?

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20 W ISSEN / G ESUNDHEIT
SAM ST AG, 7 . JÄNNER 20 17
Erhält jeder Patient die beste Medizin?
Die Medizin steht im Spannungsfeld von Innovation, Ökonomie und Politik. Der Primararzt ist im Krankenhaus der,
der für die Patienten eintreten muss. Aber wie stark sind die Klinikvorstände gegenüber wirtschaftlichen Zwängen?
Durchbruch kommen. Da spielt der
Primararzt eine wesentliche Rolle.
JOSEF BRUCKMOSER
Richard Greil, Vorstand der Universitätsklinik für Medizin III in Salzburg und international renommierte Krebsforscher, setzt sich kritisch
mit der Hierarchie in Krankenhäusern und den Qualitätsstandards in
der Medizin auseinander.
SN: Es ist demnach in Österreich
nicht gewährleistet, dass der
Patient überall die bestmögliche
Versorgung bekommt?
Ich würde das so ausdrücken, dass
es Hinweise darauf gibt, dass auch
wegen des zunehmenden ökonomisches Drucks ein unterschiedlicher
Zugang zu medizinischer Innovation vorhanden ist. Ich kann
für Salzburg sagen, dass auf
Ebene der verantwortlichen
Politik und allen Ebenen der
SALK eine hohe Wertschätzung und Unterstützung
für innovative und patientenorientierte Krebsmedizin
bestehen. Dafür stehen wir.
SN: Herr Professor Greil, bekommt jeder Patient in Österreich
die gleich gute Versorgung?
Greil: Bei einer Podiumsdiskussion,
an der ich beim Europäischen
Health Forum Gastein teilgenommen habe, meinte eine Vertreterin
des Europäischen Parlaments, die
EU müsse Minimalstandards der
onkologischen Versorgung in Europa schaffen. Dies ist gut gemeint,
würde aber zur Nivellierung nach
unten führen. Wenn ich für den Patienten eintrete, muss das Optimum
an medizinischem Ergebnis der
Standard sein, nicht ein Minimum.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Gesundheit als
das völlige körperliche, seelische,
geistige, soziale und sexuelle Wohlbefinden. Das ist ein starker politischer Imperativ. Solche Soll-Vorstellungen sind absolut nötig.
SN: Es heißt, Österreich
habe eines der besten
Gesundheitssysteme
weltweit.
Durch Studiendaten, klinische Erfahrung und Diskussion von Chancen und Risiken in der Situation des
Patienten. Zu guter Letzt also auf
Basis ärztlicher Verantwortung. Dafür haftet der Arzt auch vor dem
Richter. Das ist in meinen Augen ein
vernünftiger Ausgleich. Je weniger
Evidenz für ein Medikament oder
ein Verfahren besteht, desto mehr
muss ich die Anwendung begründen, den Patienten aufklären und
sein Einverständnis haben.
SN: Haben Sie die Ressourcen,
um ein solches Medikament
einzusetzen?
Es darf keine Rationierung im Zugang zur optimalen Medizin geben.
Daher ist maximale Effizienz im
Umgang mit Ressourcen eine ethische Verpflichtung. Für eine Rationierungsdebatte gibt es keine Legitimation, für Effizienzsteigerung
aber gibt es Potenzial. Der Begriff
der Kostenexplosion im Gesundheitssystem ist polemisch und ungerechtfertigt. Er ist geeignet, die
Patientenwürde zu schädigen, und
muss ethischer und nüchterner Betrachtungsweise weichen.
SN: Wer entscheidet über
den Einsatz von Ressourcen?
Es gibt ein ausgewogenes System
von „checks and balances“. In einem Krankenhaus sieht der Patient
den verantwortlichen
Arzt und geht davon
aus, dass er mit diesem einen Vertrag zur optimalen Behandlung hat.
Dies ist aber gleichsam ein ethischer Vertrag. Rechtlich hat der Patient einen Vertrag mit der Krankenanstalt und der Arzt ist deren
Erfüllungsgehilfe. Im Falle eines Interessenkonflikts sollte die primäre
Loyalität des Arztes der ethischen
und persönlichen Bindung an das
Patienteninteresse gelten, gefolgt
von der Verantwortung gegenüber
Gesellschaft und Krankenanstalt.
Dies erfordert eine hohe Standfestigkeit der führenden Ärzteschaft.
Übergeordnet gibt es ein Spannungsfeld zwischen dem ärztlichen
Direktor – synonym für alle Primarärzte – und dem Geschäftsführer.
BILD: SN/SALK/WILDBILD
SN: Wie erklären Sie dem Patienten, dass ein Medikament
ihm hilft, wenn es für die Diagnose nicht zugelassen ist?
BILD: SN/APA PICTUREDESK
SN: Wo liegt Österreich?
Rechtlich sind wir sehr patientenfreundlich. Laut Krankenanstaltengesetz hat der Patient das
Recht auf Betreuung nach dem
Stand der Wissenschaften. Daher ist sogar der „off-label use“
eines Medikaments – also die Verwendung außerhalb des zugelassenen Indikationsspektrums – in Österreich gesetzlich dann geboten,
wenn es für den Patienten von Vorteil ist. In manchen Ländern kann
der Arzt ein solches Medikament
nicht verschreiben.
„Das Geld von
Privatpatienten
nützt allen.“
Richard Greil,
Vorstand der Medizin III
Der ärztliche Direktor haftet primär
für die optimale Medizin. Der Geschäftsführer haftet für die Gesamtziele inklusive der wirtschaftlichen
Ziele; er hat die Endverantwortung
gegenüber Aufsichtsrat und Eigentümer bzw. öffentlicher Hand.
In diesem Gleichgewicht von Verantwortungen ist – wegen des wirtschaftlichen Drucks und hierarchischer Verhältnisse – die Aufrechterhaltung einer humanistischen Haltung und eines qualifizierten Dialogs eine große Herausforderung.
Sie kann und muss aber gelingen.
Das letzte Korrektiv für diese
Konflikte zwischen Ökonomie und
Medizin sind Öffentlichkeit, Medien und die politische Verantwortung vor dem Wähler. In diesem
Kontext muss sich medizinische
Verantwortung
nachvollziehbar,
sichtbar und transparent machen.
SN: Aber wir haben doch ein
sehr starkes Primarärztesystem.
Nicht automatisch.
SN: In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Primararzt
der, der auf den Patienten
schauen muss und der genau
dafür auch viel Macht hat.
Im System der „checks and balances“ beruht der Einfluss von Primarärzten auf Wissen, Haltung,
Führungskompetenz, Glaubwürdigkeit und Mut in der Wahrnehmung des Patienteninteresses, wofür der Primararzt die Instanz sein
sollte. Dafür gibt es Respekt jenseits
formaler Hierarchien. Jede Abwertung der Primarärzte schwächt
letztlich die Patienteninteressen.
Ihre Macht aus der reinen Position
heraus wird generell überschätzt.
Wichtig ist die Patientenvertretung. Sie sollte sich verstärkt der
konstruktiven Systemkritik widmen, also systematische Benachteiligungen von Patienten und Qualitätsdefizite der Versorgung auf
politischer Ebene – den eigentlich
Mächtigen gegenüber – aufzeigen
und Verbesserungen einmahnen.
Die Versorgungsqualität
ist unterschiedlich. Wahr
ist, dass wir in einzelnen
Bereichen international exzellente Medizin haben, wie
in der Onkologie und in der
Schlaganfallversorgung, die typischerweise in zentralisierten
Krankenhäusern stattfinden. Die
Treffsicherheit der Patientenströme zur optimalen Versorgung
in komplexer Medizin in Zentren
ist gut, aber weiter verbesserungsnötig. Der Zugang zum
Krankenhaussystem muss in diesen Bereichen niederschwellig,
direkt und ohne Umwege bleiben.
Wo es dagegen eine Versorgung in der Fläche
braucht, etwa bei Diabetes
oder
Herzinsuffizienz,
schneiden wir deutlich
schlechter ab. Hier besteht Verbesserungsbedarf.
Während im Bereich der Krankenanstalten das Prinzip der Behandlung nach dem Stand der Wissenschaft gilt, fordert das Sozialversicherungsgesetz im niedergelassenen Bereich, dass das Ausmaß des
Zweckmäßigen und Notwendigen
nicht überschritten werden darf.
Derzeit resultiert aus diesen
theoretischen Unterschieden in der
Versorgungsqualität in meinen Augen aus zwei Gründen kein Problem. Zum einen, weil sich die Salzburger Sozialversicherungen sehr
zugunsten der Patienteninteressen
positioniert haben. Zum anderen
aufgrund der Leistungsverteilung
zwischen Krankenanstalten und
niedergelassenem Bereich. Aber bei
einer stärkeren Verschiebung in
den niedergelassenen Bereich wird
dieser Aspekt zu beachten sein. Die
Ergebnisqualität wird vergleichbar
dokumentiert und überprüft werden müssen. Die Versorgungsqualität darf nicht schlechter werden.
SN: Ist de facto in Österreich
die optimale Versorgung noch
gewährleistet? Wovon hängt
es ab, ob jede und jeder die
beste Medizin bekommt?
Davon, wie im Verhältnis zwischen
endverantwortlichen Ärzten, wirtschaftlich Verantwortlichen und
Politik die rechtlichen Bestimmungen, gesellschaftliche Werte und
das medizinische Optimum zum
SN: Ein Vorwurf lautet, wenn
ich Privatpatient bin, ist die
Versorgung besser.
Ich schließe eine unterschiedliche
Versorgungsqualität aus. Dies ist eine ethische Verpflichtung. Zudem
wird es Privatpatienten nur dort geben, wo die Versorgung aller Patienten erstklassig ist.
SN: Zumindest heißt es, dass
Privatpatienten früher einen
Operationstermin bekämen.
Das würde ich für Tumoroperationen niemals akzeptieren. Der Zeitpunkt der Operation hat Einfluss
auf das Überleben der Patienten.
Krebsmedizin ist Akutmedizin ohne Toleranz für Verzögerungen.
Zusatzversicherte Patienten haben aber ein Recht auf bessere „Hotelqualität“, freie Arztwahl bzw. Behandlung durch den Klinikvorstand. Aus den Privathonoraren
kommt an öffentlichen Krankenanstalten ein wesentlicher Teil der
Verbesserung der Gesamtversorgung aller Patienten im Sinne einer
Solidarabgabe zugute.
SN: Welchen Einfluss nimmt
die internationale politische
Entwicklung auf die Medizin?
Die USA und die EU werden jährlich
zusätzliche Milliarden in die Forschung investieren. Auch die
österreichische Regierung will die
Forschungsförderung aufstocken.
Es gilt daher die Standortkompetenz in der Forschung zu steigern,
um an derartigen Programmen erfolgreich teilzunehmen.
Drei Faktoren spielen dabei eine
besondere Rolle: Talent, Technologie und Toleranz. Nationale Verengung und Abnahme der Toleranz
führen rasch zur Abschreckung von
Talent. Großbritannien hatte bis
zur Brexit-Abstimmung den höchsten akademischen „brain gain“ und
die höchste Forschungsförderung
aus EU-Töpfen – und ist spürbar bedroht, dies zu verlieren. Die US-Forschungsstätten verlieren offensichtlich nach der jüngsten Wahl Interesse seitens höchstbegabter asiatischer Studenten.
Österreich muss also Internationalität und Offenheit ausbauen und
die Vertreibung junger begabter
Ärzte und Wissenschafter durch
ungerechtfertigtes Schlechtreden
des Standorts Österreich beenden.
Wir müssen für die weltweite Intelligenz attraktive Angebote entwickeln und in Technologie und in
medizinischen Fortschritt investieren. Dies sichert Gesundheit, Wirtschaftsstandort und Wohlstand.
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