Skript 1

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Theoretische Physik 4 „Statistische Mechanik und Thermodynamik“ WS2011/12
Prof. Martin Zacharias
Di, 18.10.2011: Motivation
Ziele der statistischen Mechanik und Thermodynamik
Ziel der statistischen Mechanik ist es ausgehend von mikroskopischen Wechselwirkungen und
Zuständen, Aussagen zu makroskopischen Eigenschaften von Vielteilchensystemen zu machen.
Die Thermodynamik entstand vor der statistischen Mechanik und beschreibt Systeme durch
phänomenologische Regeln, die auf experimentellen Beobachtungen beruhen (Hauptsätze der
Thermodynamik: Interpretation empirischer Gesetzmäßigkeiten). Die statistische Mechanik geht
von der mathematischen Wahrscheinlichkeitstheorie und physikalischen Gesetzen zur
Beschreibung der Wechselwirkung von Teilchen aus und erlaubt die Herleitung von
thermodynamischen Gesetzen/Regeln.
In den Vorlesungen zur Mechanik, Elektrodynamik und Quantenmechanik wurden physikalische
Gesetze für die Wechselwirkung und Bewegung von Teilchen und Körpern behandelt. In der Stat.
Mechanik werden keine neuen Kräfte oder Gesetze zur mikroskopischen Wechselwirkung
behandelt. Die Gesetze zur mikroskopischen Wechselwirkung werden als bekannt angenommen
und vorgegeben. Es interessiert, wie sich ein System für den Fall sehr großer Teilchenzahlen
makroskopisch verhält.
Im Prinzip kann man versuchen, für ein System aus sehr vielen Teilchen die klassischen
Bewegungsgleichungen oder quantenmechanische Zustände (Wellenfunktionen) auszurechnen.
Das ist z.B. durch numerische Verfahren und für eine begrenzte Teilchenzahl auch näherungsweise
möglich. Wird in der modernen statistischen Physik auch vielfach in Form von Simulationen
durchgeführt. Auch das kann genutzt werden, makroskopisch messbare Größen zu erhalten, führt
aber nicht unbedingt zu generellen Erkenntnissen über den Zusammenhang zwischen
mikroskopischen Zuständen und makroskopisch messbaren Größen. Wir werden sehen, dass in der
Thermodynamik Triebkräfte für Prozesse eine entscheidende Rolle spielen, die auch auftreten,
wenn Teilchen außer Impulsaustausch nicht miteinander wechselwirken.
Beispiele makroskopischer Größen, mit denen wir viel zu tun haben werden, sind die
Gesamtenergie, die Temperatur, das Volumen, Druck, Wärmeaufnahme aber auch Eigenschaften
wie Gesamtmagnetisierung von Systemen.
Um die Prinzipien der statistischen Mechanik und Thermodynamik genau herauszuarbeiten, geht
man von sogenannten idealisierten Systemen aus:
a. abgeschlossene, isolierte Systeme: weder Teilchen- noch Energieaustausch
b. geschlossene Systeme: Energieaustausch aber kein Teilchenaustausch mit Umgebung
c. offene Systeme: sowohl Teilchen- als auch Energieaustausch
Nichtgleichgewichtszustände sind solche für die sich makroskopisch messbare Eigenschaften
zeitlich verändern. Wir werden uns hauptsächlich mit Systemen im Gleichgewicht beschäftigen, d.
h. die makroskopisch messbaren Eigenschaften sind zeitlich konstant.
Die statistische Thermodynamik spielt eine große Rolle in vielen Gebieten der Physik: z.B.
Festkörperphysik, Kern- Atom- und Molekülphysik, Biophysik etc.
Historische Daten:
Mayer (1842); Joule (1849): Äquivalenz von Wärme und Energie
Clausius; Kelvin und Gibbs (1850-1880): Ausarbeitung der Thermodynamik
Boltzmann; Gibbs (1860-1900): Ausarbeitung der statistischen Thermodynamik
Beispiel: Boyle-Mariottesches Gesetz
Ein Gas besteht aus vielen Teilchen (Atomen oder Molekülen), die idealerweise kaum
wechselwirken, außer wenn sie zusammenstoßen oder gegen eine Begrenzung (Wand) stoßen,
dann kann es zu Impulsübertragung (elastischen Stößen) kommen. Wir werden uns zur Motivation
einfach zunächst Gedanken zu einem solchen Gas machen, um ein Gefühl zu entwickeln, worum
es in der statistischen Thermodynamik geht. Um das Verhalten eines solchen Gases theoretisch zu
untersuchen, könnte man die Newton’schen Gleichungen dazu numerisch in Zeitschritten lösen.
Dazu würde man eine bestimmte Anfangskonfiguration der Gasatome und Anfangsgeschwindigkeiten wählen. Alles Weitere ergibt sich aus der Lösung der Bewegungsgleichungen. Es zeigt sich,
dass nach kurzer Zeit die Teilchen durch Stöße in den jeweiligen x- y- z- Richtungen
gleichverteilte Geschwindigkeiten haben. Das betrachtete System besteht aus N nichtwechselwirkenden Teilchen in einem Volumen V. Auf einen Stempel (Masse: M, vM:
Geschwindigkeit des Stempels) wirkt die Kraft F, die den Teilchendruck P=F/A kompensiert. Bei
jedem Teilchenstoß gegen den Stempel gilt Impuls und Energieerhaltung.
mvz  mv' z  MvM
1 2 1
1
mvz  mv'2z  MvM
2
2
2
2mvz
 MvM 
1 m M
Für M >> m gilt M*vM=2*m*vz. Die Strecke in z-Richtung, die ein Teilchen in dt zurücklegt ist
dz=dt*vz. 50% der Teilchen mit |vz| im Volumen A*|vz|*dt treffen auf den Deckel und übertragen
Impuls. Für die Gesamttreffer im Zeitintervall dt gilt: 0.5*N*A*vz* dt. Für die mittlere Kraft gilt
F=Gesamttreffer*Impulsübertragung pro Treffer/Zeitintervall
F  2mvz
P
N
N
Av z  Amv z2
2V
V
F N
 mvz2
A V
Im Gas sind die Geschwindigkeiten der Teilchen kontinuierlich verteilt und der Druck hängt vom
mittleren Geschwindigkeitsquadrat ab. Aus Symmetriegründen sind die Mittelwerte in x,y,zRichtung gleich.
v z2  v x2  v y2

v 2  v x2  v y2  v z2

1N
m v2
3V
2N
const.
P
Ekin 
3V
V
P
Boyle  Marriote' sches Gesetz
Experimentell findet man, dass bei konstanter Temperatur P=const./V nahezu unabhängig von der
Art des Gases (verdünntes Gas) gilt. Man kann an dieser Stelle die Temperatur des Gases als eine
der kinetischen Energie proportionale Größe einführen.
3
3 PV
k BT 
2
2 N
PV  Nk BT
Ekin 
Dabei ist kb eine Proportionalitätskonstante (Boltzmannkonstante: 1,381 10-23 J/K), so dass gilt
T=213,15 K (Gefrierpunkt von Wasser) und T=313,15K (Siedepunkt von Wasser). Letzte
Gleichung heißt auch die ideale Zustandsgleichung. Die ideale Zustandsgleichung stellt für viele
Gase bis zu Drücken von 10 bar eine gute Näherung dar. Die mittlere Geschwindigkeit von
Gasatomen liegt bei Zimmertemperatur für O2 bei ~450 m/s.
Beispiel: Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen in einem Gas
Wie sieht eigentlich die Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen in einem Gas aus? Diese Frage
hat sich schon Maxwell (1859) gestellt und auch beantwortet. Es ging davon aus, dass jede der
Geschwindigkeitskomponenten (bzw. das Quadrat) der Gasatome die gleiche Verteilung f(vx),
f(vy), f(vz) aufweisen sollte und jede Komponente unabhängig aus den Verteilungen angenommen
werden könnte. Dann gilt für die Fraktion an Teilchen im Geschwindigkeitsbereich vx,vx+dvx,
vy,vy+dvy, vz,vz+dvz:
Fdv x dv y dvz  f (vx )dvx f (v y )dv y f (vz )dvz
Gleichzeitig muss nach Maxwell’s Überlegung auch gelten, dass die Verteilung nur von der
Gesamtgeschwindigkeit (bzw. Quadrat) der Teilchen abhängen kann (da es keine ausgezeichnete
Richtung gibt). D.h. für die Verteilung sollte gelten:
f(vx2)*f(vy2)*f(vz2)=F(vtot2)=F(vx2+vy2+vz2)
So eine Beziehung wir durch die Funktion:
F(vtot2)=A3e -B(vx2+vy2+vz2) erfüllt.
Für Verteilung des Betrags der Geschwindigkeit gilt dann:
F (v)dv  4v 2 A3e  Bv dv
2


 F (v)dv  1;
x e
0
2  Bx 2

0
 4A3
1 
4B B
1 
1
4B B
Es muss auch gelten:

2
1
1
m  v  2   mv 2 F (v)dv  4v 2 A3e  Bv dv
2
2
0

mit :
x e
0
4  Bx 2

3 
8B 3 B
1
3m
m  v 2 
2
4B
1
3
mit : m  v  2  k BT
2
2

 m 
m

B
; 4A3  4 
2 k BT
2

k
T
B


3
3
2
 mv 2
 m  2 2 2 kBT
 v e
F (v)  4 
 2k BT 
Letzte Gleichung ist die Maxwell-Boltzmann-Geschwindigkeitsverteilung. Diese Gleichung wurde
später auch durch L. Boltzmann auf andere Weise hergeleitet.
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