Energie aus der Tiefe

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Schon die Römer nutzten die Erdwärme, auch Geothermie
genannt, für ihre Thermalbäder. Heute heizt heisser
Dampf aus der Erdkruste Häuser und erzeugt Strom.
In Basel soll nun das weltweit erste Geothermie-Kraftwerk
nach dem Deep-Heat-Mining-Verfahren entstehen.
Die Energie dazu kommt aus 5000 Meter Tiefe.
Text: Christoph Schwyzer
Foto: Zent-Frenger AG, Baar
Energie aus der Tiefe
Energie NATUR
Energie für 100 000 Jahre
Das geothermische Potenzial der Erde ist
beträchtlich. Die «World Energy Conference» hat – nach heutigem Stand der
Technik – allein das Potenzial zur Stromproduktion auf eine Grösse von 1012 Megawattstunden (MWh) geschätzt. Das ent-
Foto: Markus O. Häring
R
egnet es, fliesst kein Strom aus der
Fotovoltaik-Anlage. Bläst kein
Wind, stehen die riesigen Rotoren
der Windfarmen still. Sind einmal
die leicht zugänglichen Erdölvorkommen
verbraucht, wird die Gewinnung des Erdöls umständlicher und somit teurer.
Gleichzeitig mit der unvermeidlichen Ölverknappung steigt der Energiebedarf der
Weltbevölkerung stetig an. Langfristig
könnte die geothermische Energie, die als
Wärme in der Erdkruste gespeichert ist,
eine bedeutende Rolle spielen. Sie ist praktisch unerschöpflich, sie liefert Bandenergie und kann, nach dem heutigen Stand der
Forschung, ohne verheerende Folgen für
Mensch und Umwelt gewonnen werden.
«Ich habe schon viele Löcher gebohrt.
Bei manchen kam kein Öl raus, aber bei
allen wurde die Bohrspülung heiss.» So
lautet die Erkenntnis von Markus O.
Häring, Leiter des Projekts Deep Heat
Mining Basel, zu Deutsch Wärmebergbau.
Elf Jahre lang arbeitete er als Explorationsgeologe für Shell und suchte in Peru, Australien, den Niederlanden und in Nigeria
nach Öl. Heute interessiert ihn nicht mehr
das Schwarze Gold, sondern die Temperatur des kristallinen Gesteins in grosser
Tiefe – allerdings nicht primär aus umweltschützerischen Gründen. «Es geht
nicht darum, Kämpfe gegen die Atomoder die Erdölindustrie zu führen. Ziel
ist es, den uns bevorstehenden Energiemangel, der in jedem Fall auf uns zukommen wird, zu vermeiden.» Da es unwahrscheinlich ist, dass die breite Masse freiwillig auf Energie verzichtet und Abstriche
beim Lebensstandard in Kauf nimmt, werden früher oder später gravierende Energieengpässe entstehen. Spätestens bis im
Jahr 2100 werden, gemäss amerikanischen
Studien, Öl und Gas praktisch keine Bedeutung mehr haben. Kohle, Kernenergie,
Wasserstoff und erneuerbare Energien
werden dann die auftretenden Löcher
stopfen müssen. Die Frage ist nur, zu
welchen Anteilen.
Die Sondierbohrung
ist abgeschlossen:
2004 beginnt die
eigentliche Tiefenbohrung in
Kleinhüningen BS.
spricht dem 10fachen des jährlichen Weltenergieverbrauchs. Auf der Homepage des
Umweltministeriums von Bayern ist nachzulesen: Die geothermische Energie, die
sich in den oberen drei Kilometern der Erdkruste befindet, würde rein rechnerisch reichen, um den Energiebedarf der Weltbevölkerung für die nächsten 100 000 Jahre
abzudecken.
Häring und sein Team wollen in eine
Tiefe von 5000 Meter vordringen, denn
dort beträgt die Temperatur des kristallinen Gesteins rund 200 Grad. Diese
Wärme entsteht hauptsächlich während
des natürlichen radioaktiven Zerfalls des
Gesteins und ist in fast unerschöpflicher
Menge vorhanden. Die Masse geschmolzenen Gesteins im Erdinnern ist rund 5000
Grad heiss und 99 Prozent des Erdkörpers
haben eine Temperatur von über 1000
Grad. Bis zur Erdoberfläche nimmt die
Temperatur kontinuierlich etwa 3 Grad
pro 100 Meter ab.
Geothermie wird dort, wo sie als warme
Quelle oder als Dampf an die Oberfläche
tritt, schon seit dem Altertum genutzt. Die
Energiegewinnung aus dem Boden zur
Stromproduktion jedoch beschränkte sich
bisher auf vulkanische Gebiete mit dünner
Erdkruste (Tiefenbohrungen bis ungefähr
2000 Meter) und Wasservorkommen in
den Gesteinsformationen. Länder, die bereits mit konventionellen GeothermieKraftwerken wirtschaftlich Strom erzeugen, sind beispielsweise die USA, Italien,
Island und die Philippinen. Das DeepHeat-Mining-Verfahren soll auch in Gebieten, wo die heissen Gesteinsschichten
nicht so einfach zugänglich sind und kein
Wasser auf natürliche Weise im Gestein
zirkuliert, eine wirtschaftliche Nutzung
der Erdwärme ermöglichen. Erst wenn
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NATUR Energie
ökologische Projekte auch wirtschaftlich
interessant werden, haben sie die Chance,
über den Experimentierstatus hinauszukommen und gebührend unterstützt zu
werden. Denn auch noch heute ist es
so, dass die Bundesgelder für die Atomforschung reichlich (50 Millionen Franken
jährlich), für Geothermie jedoch nur spärlich fliessen (0,5 Millionen Franken jährlich, Tendenz abnehmend). Lieber füttert
man ein altes, fettes Walross, das jederzeit
einen Herzinfarkt erleiden könnte, anstatt
ein junges, heissblütiges Pferd.
Strom für 5000 Haushalte
Das Bundesamt für Energie (BFE) war es,
das 1986 den Impuls zu einer Machbarkeitsstudie gab. Seither hat das BFE 3,3
Millionen Franken in das Deep-HeatMining-Projekt investiert. Die Industriellen Werke Basel (IWB), Hauptinvestor des
Projekts, wollen voraussichtlich in fünf bis
sechs Jahren von ihrem Werkhofgelände in
Kleinhüningen aus rund 5000 Haushalte
mit 20 Megawatt Fernwärme und 3 Megawatt Strom versorgen. In Basel würde somit
das erste gezielt für kommerzielle Zwecke
konzipierte Deep-Heat-Mining-Kraftwerk
weltweit stehen. Neben dem Bundesamt
für Energie und den IWB beteiligen sich
der Kanton Basel-Stadt, die Elektra Baselland und voraussichtlich der Kanton Baselland am Projekt. Sechs Millionen Franken
wurden bereits ausgegeben für das Vorprojekt und die Sondierbohrung. Weitere
80 Millionen, vorausgesetzt es verläuft
alles nach Plan, kosten die Tiefenbohrungen und der Bau des Kraftwerks.
Die Sondierbohrung für das Projekt in
Basel wurde 2001 beim Grenzübergang
Otterbach durchgeführt. Heute ist der von
Laubbäumen umgebene, asphaltierte Platz
leer. Kein Bohrturm, keine Maschinen sind
mehr da. Bloss ein leer geräumter Bürocontainer steht neben der Einfahrt; einige
Meter davon entfernt sind eine betonierte
Plattform und ein quadratisches, auf Holzlatten aufgeschraubtes Stück Wellblech zu
sehen. Darunter befindet sich das Bohrloch. Als der 34 Meter hohe Bohrturm noch
stand, ratterte und vibrierte es auf dem
Platz. Das Bohrgestänge drehte sich zweimal pro Sekunde und trieb den Bohrkopf
bis auf 2755 Meter Tiefe in die Erdkruste
hinein – in einen Bereich, wo die Temperatur bereits 124 Grad beträgt. «Unsere Erwartungen wurden hinsichtlich der Temperatur sogar übertroffen. Und auch die Granitkerne, die wir gezogen haben, weisen
günstige Klüftungen auf», sagt Häring.
Mit Wasser Granit aufbrechen
Die eigentliche Tiefenbohrung, mit der
spätestens im Jahr 2004 gestartet wird, erfolgt an einem neuen Standort. Auf dem
Areal der IWB in Kleinhüningen sollen
sich die Bohrköpfe bis 5000 Meter in die
Tiefe fressen. Und in Kleinhüningen ist
auch der eigentliche Bau des Kraftwerks
geplant. In die wortwörtlich heisse Phase
geht das Projekt, wenn erstmals Wasser
mit einer Injektionspumpe unter hohem
Druck in die Tiefe gepresst wird. Ziel ist es,
den Granit in 5000 Meter Tiefe mit dem
Druck des Wassers aufzubrechen und haarfeine, Millimeter bis maximal Zentimeter
grosse Risse und Spalten zu erzeugen, in
denen später das Wasser zirkulieren und
dem Gestein Wärme entziehen kann. Für
Deep Heat Mining (Wärmebergbau)
Um Wärme in grossen Tiefen der Erdkruste nutzbar zu machen, kopieren die Ingenieure das Prinzip des Durchlauferhitzers: Eine Injektionspumpe (2) presst durch eine Tiefenbohrung Wasser in ein künstlich erweitertes Kluftsystem (3).
Das Wasser erhitzt sich dort – je nach Tiefe – bis auf 200 Grad
Celsius. Über eine Produktionsbohrung (4) wird es wieder an
die Oberfläche gepumpt.
Beobachtungsbohrungen (1) registrieren laufend die Aktivitäten des durchströmten Kluftsystems und geben ein Bild
des erschlossenen Wärmereservoirs. Weitere Injektions- und
Grafik: Markus O. Häring
Förderstränge können dann gezielt vorangetrieben werden.
Der Wärmeentzug erfolgt beim DHM-Verfahren über einen
geschlossenen Wasserkreislauf. Nur wenig Wasser muss aus
einem Reservoir (5) nachgespeist werden.
Ein Wärmetauscher (6) entzieht dem heissen Wasser die
Energie zur Stromproduktion in einem Turbinenhaus (7).
Die Restwärme kann über ein Fernwärmenetz zusätzlich
genutzt werden. Eine Kühlung (8) ist dem Generatorenkreislauf nachgeschaltet.
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Energie NATUR
Foto: Andreas Christen
Keine toxischen Mineralien
Gute Voraussetzungen für Geothermie: Basels Lage am Rheingraben.
Häring gibt es insbesondere zwei unliebsame Vorstellungen: Bei der ersten würde
eine bereits bestehende, einige Zentimeter
breite Kluft alles Wasser kanalisieren und
einen hydraulischen Kurzschluss erzeugen. Die Folge: Das Wasser rast durch das
Gestein und kühlt dieses, ohne selber viel
Wärme aufzunehmen, in kürzester Zeit
ab. Im zweiten Fall braucht es übermässig
viel Druck, um das Wasser durch Tausende von kleinen Klüften zu pressen. Der
Energieaufwand wäre zu gross und eine
lohnende Produktion nicht möglich.
Um die Vorgänge während der Injektion des Wassers genau beobachten und
beurteilen zu können, werden in zwei bereits bestehende Bohrungen Sonden eingeführt. Diese so genannten MonitoringStationen registrieren auch das leiseste
Knacken im Gestein und liefern präzise
Bilder über den Zustand des Gesteins in
5000 Meter Tiefe. Sind die Anzahl und
die Oberfläche der Klüftungen genügend
gross, kann nun kaltes Wasser ins geschlossene System eingeschleust werden
(siehe Grafik auf Seite 26). Das Wasser
entzieht dem zerklüfteten Gestein Wärme
und erhitzt sich bis auf 200 Grad. Über ein
zweites Bohrloch wird das Wasser zurückgeleitet. Der Dampf treibt Turbinen an, die
über Generatoren Strom erzeugen. Die
Restwärme wird in ein Fernwärmenetz
eingespeist.
Das Pionierland USA
Das Deep-Heat-Mining-Verfahren (auch
«Hot Dry Rock» genannt) kommt aus den
USA, aus dem Land, das mit Abstand den
grössten Teil der globalen Energie-Ressourcen verschwendet und seit Jahren
unangefochten die weltweite Rangliste
des Benzinverbrauchs pro Kopf anführt.
Jährlich blasen US-Autos und -Ölheizungen rund 300 Millionen Tonnen CO2 in
die Atmosphäre. Aber die USA waren auch
einmal führend in der Geothermie. Erstmals wurde das Deep-Heat-Mining-Verfahren in den Siebzigerjahren am Los
Alamos National Laboratory in New
Mexico getestet. Eine führende Rolle bei
der Weiterentwicklung dieser geothermischen Technologie spielt zurzeit das europäische Team (Frankreich, Deutschland,
Grossbritannien, Italien, die Schweiz), das
an einem EU-Forschungs- und -Entwicklungsprojekt in Soultz-sous-Forêts im
Elsass arbeitet. Die erfolgreichen Tests
dieser Experimentieranlage sind für die
Pilotanlage in Basel wegweisend.
Es ist kein Zufall, dass das einzigartige
und wegweisende Projekt gerade in Basel
entsteht. Bereits jetzt unterhält die Stadt
das schweizweit grösste Fernwärmenetz.
So wird beispielsweise beim Werkhof in
Riehen ein Geothermie-Wärmeverbund
betrieben, dank welchem jährlich rund
1750 Tonnen Heizöl eingespart werden.
Aus 1500 Meter Tiefe wird beim Bachletten 64-grädiges Tiefenwasser hinaufgepumpt und nach dem Wärmeentzug
wieder in die Gesteinsschicht zurückgepresst. Der wichtigste Grund allerdings,
warum gerade am Rheinknie gebohrt
wird, ist Basels Lage am Rheingraben, wo
geothermische Anomalien vorkommen.
Das heisst: Die Temperaturzunahme ist
grösser als die üblichen drei Grad pro
100 Meter und die Erdkruste ist dünner.
Beim Basler Rheingraben ist sie etwa 25,
im schweizerischen Mittelland hingegen
rund 30 Kilometer dick.
Läuft alles nach Plan, kann das Geothermie-Kraftwerk in Basel 2008 in Betrieb genommen werden. Häring rechnet
damit, dass die erste Bohrung rund 30
Jahre lang heisses Wasser zur Stromproduktion liefert. Während dieser Zeit
kühlt sich der Gesteinskörper im Erdinnern von 200 auf ungefähr 170 Grad
ab. Reicht die Energie nicht mehr aus,
können von der gleichen Stelle aus weitere, abgelenkte Bohrungen vorgenommen werden. Das im geschlossenen System zirkulierende Wasser enthält keine
toxischen Mineralien. Ungeklärt ist allerdings, ob die künstlich ausgelösten Erschütterungen in 5000 Meter Tiefe die
Erdbebenaktivität beeinflussen. Projektleiter Markus O. Häring ist zuversichtlich: «Ich behaupte nicht, dass wir mit
dem Deep Heat Mining das Ei des Kolumbus gefunden haben. Und wir kennen
noch nicht alle Auswirkungen auf die
Umwelt, doch im Moment ist es die nachhaltigste und sicherste Technologie, um
auftretende Energielöcher zu stopfen.» ■
Christoph Schwyzer
1974 in Luzern geboren; Ausbildung
zum Primarlehrer am Lehrerseminar
St. Michael in Zug; dreijährige Unterrichtstätigkeit; Diplomausbildung
«Journalismus» am Medienausbildungszentrum (MAZ) in Luzern; Journalist
beim «Willisauer Boten» und bei anderen
Printmedien. 2001: Gewinn des BZ-Preises
für Lokaljournalismus; Studium «Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus»
in Hildesheim (D); freier Mitarbeiter und
Texter für Kulturorganisationen, Werbeund Unternehmensberatungsfirmen.
Seit Juni 2003 Redaktor der Zeitschrift
«Natürlich».
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