Der historische Buddha

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Der historische Buddha
Dieser Beitrag, wie auch Karma, Wiedergeburt & Nirwana im (Früh)Buddhismus und Unveränderliches Ich = bloße Illusion?, basiert auf
meiner Buchveröffentlichung „Rolle und Bedeutung des ‚Nicht-Selbst‘ im
frühen Buddhismus“ (ISBN: 978-3-8366-9079-9). In der Publikation ging
ich auch kurz auf die historische Person ein, die vermeintlich hinter dem
Buddha steht. Gibt es diese überhaupt? Und wenn ja: Entspricht das, was
von dieser überliefert worden ist, überhaupt den Tatsachen? Auf welche
Quellen stützt sich unser Wissen über Buddha und seine Lehre
überhaupt?
(Buddha Statue in Phuket | Foto by Charlie Rutz | Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0)
Die Problematik der Überlieferung der buddhistischen Lehre
Da Buddha selbst nichts Schriftliches hinterlassen hat und das, was er lehrte, zu
seinen Lebzeiten von niemandem niedergeschrieben wurde, ergibt sich eine
gewisse Problematik im Hinblick auf die Überlieferung. Erst nach seinem Tode
nahmen sich mehrere buddhistische Konzile der Aufgabe an, von dem, was über
die Lehren Buddhas durch Auswendiglernen, Wiederholen und Aufsagen von
Generation zu Generation weitergegeben wurde, einen buddhistischen Kanon zu
erstellen. Denn zu damaligen Zeiten war es in Indien nicht üblich, religiöse Texte
schriftlich festzuhalten. Vielmehr gab man diese in der eben beschriebenen
mündlichen Form weiter. Gerade für Historiker stellt diese Tatsache ein echtes
Problem dar.
So kam der bedeutende Buddhologe Edward Conze (1904–1979), der den Versuch
unternahm, den Buddhismus in mehrere historische Perioden zu unterteilen (1.
Periode = 500 – 0 v. Chr.; 2. Periode = 0 – 500 n. Chr.; 3. Periode = 500 – 1000 n.
Chr.; 4. Periode = 1000 n. Chr. – heute), zu dem Schluss, dass das „Fehlen
eindeutiger Fakten […] für die erste Periode besonders bezeichnend [ist]. Ein
Datum – und nur eines – steht wirklich fest, und das ist die Regierungszeit von
Kaiser Asoka (274–236 v. Chr.), dessen Protektion den Buddhismus von einer
kleinen Asketensekte in eine gesamtindische Religion umformte.“[1] Unser
heutiges Wissen über den frühen Buddhismus fußt vor allem auf dem Kanon an
Texten, der von den ersten drei buddhistischen Konzilen in Pali verfasst wurde.
Das erste Konzil trat laut der Forschung „kurz nach dem Tode des Buddha […] in
Rajagaha zusammen, das zweite angeblich hundert, vermutlich aber wenige Jahre
später in Vesali, das dritte im Jahre 252 v. Chr. in Pataliputta (Patna).“[2]
Das während der Regentschaft und auf Veranlassung von Kaiser Ashoka
stattgefundene dritte buddhistische Konzil überprüfte „in neunmonatiger Arbeit
[…] die Theravada-Texte aufs neue und ergänzte die beiden alten Sammlungen
Vinaya- und Suttapitaka durch ein scholastisches Werk (das Kathavatthu), in dem
218 irrige Ansichten (darunter nur drei philosophische) widerlegt werden. Im
Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte wuchs die Zahl der scholastischen Bücher
weiter an, bis schließlich das Abhidhammapitaka entstanden war.“[3] Diese drei
buddhistischen Kompendien[4] (Vinayapitaka, Suttapitaka, Abhidhammapitaka),
die jeweils als „Korb“[5] (= pitaka) bezeichnet werden, bilden den Pali-Kanon.
Durch das Entsenden von buddhistischen Missionaren in andere Länder, wie z. B.
Ägypten und Syrien, wollte Kaiser Ashoka Buddhas Lehre auch über Indiens
Grenzen hinaus verbreiten, was vorläufig jedoch nur in Ceylon (heute: Sri Lanka)
von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein sollte. Laut der buddhistischen Forschung
wurde in „den Klöstern der Insel […] der vom Dritten Konzil endredigierte
theravadische Kanon mündlich bewahrt, bis er (laut Dv 20, 20 f.) im 1.
Jahrhundert v. Chr. auf Geheiß des Königs Vattagamani Abhaya in Pali-Sprache
niedergeschrieben wurde.
Dieser Kanon ist der einzige, der vollständig erhalten ist, von anderen Kanons
besitzen wir, wenn überhaupt etwas, nur Bruchstücke. Der Vergleich von PaliTexten mit solchen Fragmenten hat erwiesen, daß die sachlichen Abweichungen
keine zentralen Lehren betreffen und daß Pali-Vinaya- und Suttapitaka echte
Aussprüche des Buddha enthalten.“[6] Nicht unbedeutende
Meinungsverschiedenheiten bei der Auslegung der Lehre Buddhas führten bereits
zu Zeiten der Abhaltung des zweiten Konzils zur ersten Spaltung innerhalb der
buddhistischen Mönchsgemeinschaft (Sanskrit: Samgha; Pali: Sangha). Es kam zu
einer Trennung der Mahasanghika-Schule, auf die historisch der spätere
Mahayana-Buddhismus zurückgeht, von den Traditionalisten (Theravada = Lehre
der Ältesten).
Die Differenzen fanden ihren vorläufigen Höhepunkt darin, dass die auf dem
dritten Konzil eingeführten philosophischen Systematisierungen in Form des
Abhidhammapitaka, also des 3. Korbes, in der Folgezeit von einigen der frühen
Schulen und später dem Mahayana (= „Großes Fahrzeug“) nicht übernommen
sowie durch eigene in Sanskrit verfasste Werke bzw. Abhandlungen ersetzt
wurden, die sich nicht unerheblich von der Pali-Fassung unterscheiden. All dies
legte bereits den Grundstein für die zwei großen Hauptrichtungen[7] des
Buddhismus: Theravada (= Pali-Kanon) und Mahayana (= Sanskrit-Kanon).[8]
Einen Abschluss sollte die Redaktion des Pali-Kanons schließlich etwa um das 4.
bis 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung finden, „zu einer Zeit also, in der die
Trennung und Ausdifferenzierung der einzelnen Schulen bereits weit
fortgeschritten ist.“[9] Das bedeutet aber auch, dass die Sammlung der
Lehrreden Buddhas im Pali-Kanon „im Lehrzusammenhang der TheravadaTradition überliefert worden sind“[10], weshalb „entsprechende Zusätze und
Veränderungen durch jene Schule angenommen werden“[11] müssen.
Problem bei Interpretation und Wiedergabe buddhistischer Texte
Ein Problem bei der Erschließung der Person und Lehre Buddhas ist auch die
korrekte Interpretation und Wiedergabe buddhistischer Texte in europäischen
Sprachen: Denn transportiert „schon der Stil Wertungen und Urteile, die fern
vom Ausgangsmaterial sein können, bestehen darüber hinaus grundlegende
Differenzen zwischen den Sprachen der Quellen und der westlichen
Übersetzungen.“[12] Damit verbunden besteht die Gefahr, dass die
philosophische Auseinandersetzung mit einer außereuropäischen bzw. aus einem
anderen Kulturkreis stammenden Thematik durch eine allzu dominante
eurozentrische bzw. westliche Sicht- und Denkweise geprägt ist, was zu falschen
Schlüssen bzw. einseitigen Konklusionen zu führen vermag. Dazu merkte der
Philosoph Franz Wimmer an, dass in „professionell-philosophischer Diskussion
meist stillschweigend geleugnet wird“, ob „die Geschichte außereuropäischer
Philosophie überhaupt als etwas Wissenswürdiges oder Bedenkenswertes
anzusehen ist […], und mit dieser Leugnung verbindet sich nicht nur, sondern
dadurch rechtfertigt sich auch Ignoranz.“[13]
Obwohl der im antiken Griechenland gereifte Begriff der Philosophie in der
abendländischen Tradition verwurzelt und von dieser geprägt worden ist sowie
von einigen Vertretern westlicher Philosophie (z. B. aus ideologischen Gründen)
als von anderen Kulturräumen abgegrenzt, diesen überlegen oder diesen
gegenüber zumindest als etwas Besonderes angesehen werden sein mag,
bedeutet dies nicht, dass es in anderen Kulturräumen nicht ebenso Methoden der
Erkenntnisgewinnung gibt, die jedoch auf andere Art und Weise erfolgen können.
Andererseits muss die abendländische Herkunft des Philosophiebegriffes nicht
per se ein Hindernis dafür sein, außereuropäische Phänomene angemessen zu
erfassen und zu verstehen, zumindest wenn der Anspruch verfolgt wird, dass
„Qualität und Tauglichkeit eines Beitrags [entscheiden], nicht jedoch die Herkunft
dessen, der ein Argument vorbringt. Schließt man chinesische, indische oder
afrikanische Antworten auf die Frage nach dem Menschen, nach der Erkenntnis
oder nach dem Sinn der Existenz deshalb vom Erwägen aus, weil ihre Urheber
nicht in der Sukzession abendländischen Denkens stehen und andere Medien und
Methoden der Vermittlung verwenden, ist ein Philosophieren nicht
problemorientiert. Es geht ihm nicht wirklich um das Bedenken und Klären von
Fragen, wenn dem Bewahren des vertrauten Hintergrunds Priorität vor dem
Hören anderer Lösungen zukommt.“[14] Dazu gehört zugleich die Einsicht, sich
keine Illusion darüber zu machen, die in einem anderen Kulturkreis und einer
anderen Sprache gewonnenen Erkenntnisse stets richtig zu interpretieren.
Die historische Person des Buddha
Als relativ unumstritten gilt in der Buddhismus-Forschung das Lebensalter, das
der historische Buddha[15] erreichte: Er soll 80 Jahre alt geworden sein. Dagegen
herrscht große Uneinigkeit über die historische Einordnung seiner Lebenszeit.
Die traditionelle Datierung, die auf zwei Chronologien der alten Schriften basiert,
setzt sein Geburtsdatum bei 623 v. Chr. oder 566 v. Chr. an, während die
klassische Datierung seitens der (westlichen) Forschung bei 563 oder 560 Chr.
liegt. Jedoch sind all diese Berechnungen durch die vorliegenden Quellen nicht
hinreichend gesichert. Und auch die heutige Forschung vermag keine endgültige
Aussage über Geburts- und Todesdatum des historischen Buddha zu treffen.[16]
Grundsätzliche Einigkeit besteht nur in der Annahme, dass die Lebenszeit des
Buddha bisher zu früh angesetzt worden ist und er erst um das 5. Jahrhundert v.
Chr. herum das Licht der Welt erblickte. Ein derzeit dominierender
Datierungsvorschlag der neueren (westlichen) Forschung für den Lebenszeitraum
Buddhas ist 450 v. Chr. bis 370 v. Chr. Über seine Kindheit und Jugend ist wenig
bekannt, umso mehr jedoch über seine späteren Lebensjahre – doch auch hier ist
Vorsicht geboten.
Schließlich wird Buddha bereits in den frühen Schriften zum Übermenschen
hochstilisiert und eine Legende um seine Person herum gesponnen: „Den
geschichtlichen Kern solcher Erzählungen vom Legendengeranke freizuschälen
ist nicht schwer, doch ist Behutsamkeit geboten. Manche Legenden sind
Bildhaftmachungen innerer Erlebnisse und illustrieren Gotamas geistigen
Entwicklungsgang. Sie sind subjektiv wahr, aber nicht historisch.“[17] Und
überhaupt ist für Buddhisten – egal welcher Richtung oder Schule sie auch
angehören mögen – die Frage nach dem historischen Buddha zumeist weniger
wichtig. Von zentraler Bedeutung ist stets das, was Buddha vermeintlich lehrte.
Dennoch spielt der Lebensweg des historischen Buddha, der Siddhartha Gautama
(= Sanskrit-Sprache) bzw. Siddhattha Gotama (= Pali-Sprache) geheißen haben
soll, was übersetzt so viel bedeutet wie „der sein Ziel erreicht hat“, gerade im
Hinblick auf die exemplarische Veranschaulichung des praktischen Weges zur
Erlangung des „Erwachens“, der „Erlösung“ bzw. der „Erleuchtung“ eine nicht
unerhebliche Rolle. Siddhartha wurde als Sohn von Shuddhodana, des Königs von
Kapilavastu (= Sanskrit; Pali: Kapilavatthu / im heutigen Terai in Nepal gelegen),
der wohl der Kshatriya-Kaste angehörte, in Lumbini geboren.
Aufgewachsen mit den einem Prinzen der damaligen Zeit zukommenden
Privilegien und in der fürstlichen Atmosphäre des Kriegeradels, wurde er wohl
schon früh in soldatischen Fertigkeiten wie dem Bogenschießen, Ringen, Reiten
und im Umgang mit Elefanten ausgebildet. Schließlich gehörte es zu den
wichtigsten Aufgaben des Kriegeradels, wenn nötig, zu den Waffen zu greifen. Im
Alter von 16 Jahren soll er seine Cousine Yasodhara geheiratet haben, die ihnen
den gemeinsamen Sohn Rahula gebar. Nachdem er bereits viele Jahre am
königlichen Hofe verbracht hatte, erkannte er eines Tages die Sinnlosigkeit
seines bisherigen Daseins. Laut der Legende soll er bei „vier Ausfahrten einen
Alten, einen Kranken, einen Toten und einen Mönch erblickt und dadurch erkannt
[haben], daß man nur als anhangloser Asket die Erlösung verwirklichen könne.
Tatsache ist jedenfalls, daß er als Neunundzwanzigjähriger Familie und Freunde,
Haus und Heimatstadt verließ, um sich religiöser Suche zu widmen.“[18]
Siddhartha führte fortan das Leben eines Bettel- bzw. Wanderasketen. Er
wanderte „barfuß nach Südosten, um sich der religiösen Freiheitsbewegung
anzuschließen, die einige Jahrzehnte zuvor eingesetzt hatte und mächtig
angeschwollen war. Denn lange genug war das Gangesland in geistigen Dingen
von den Brahmanen bevorzugt worden.“[19]
Nachdem sich Siddhartha der sogenannten Samana-Bewegung[20] angeschlossen
hatte, wurde er laut Überlieferung zunächst Schüler des Lehrers Alara Kalama.
Zwar gelang es ihm alsbald, sich mit dessen Lehren gut vertraut zu machen. Doch
da ihm diese nicht die erhoffte Erleuchtung brachten, wandte er sich enttäuscht
von Alara ab und dem Upanishaden-Lehrer Uddaka Ramaputta zu, der „das
damals noch junge Wissen von der unzerstörbaren, vom Karman an die
Wiedergeburt gebundenen Seele (atman) darlegte.“[21] Doch auch dessen Lehre
vermochte den nach Erleuchtung suchenden Siddhartha nicht zu erfüllen, so dass
er schließlich beschloss, seinen eigenen Weg zu gehen, um die Erleuchtung zu
finden. Dabei soll er über mehrere Jahre hinweg alle erdenklichen Methoden der
Askese praktiziert haben, um sein Ziel zu erreichen: Von Atemübungen bis hin
zum extremen Fasten, das ihn fast verhungern ließ, probierte er vieles aus. In
dieser Zeit schlossen sich ihm einige Gleichgesinnte an, die sein hingebungsvolles
und ausdauerndes asketisches Handeln bewunderten. Aber auch diese
Selbstkasteiung befriedigte ihn nicht und er entlarvte sie als einen Fanatismus,
der ihn kein Stück näher an die gewünschte Erleuchtung heranführte. Erst die
folgende Jugenderinnerung brachte ihn auf den rechten Pfad:
„Ich entsinne mich, wie ich bei den Feldarbeiten meines Vaters, des Sakya, im
kühlen Schatten eines Rosenapfelbaumes gesessen habe, und wie ich da, von
Lüsten mich abscheidend, von allen unreinen Wesenheiten mich abscheidend, in
die mit Überlegung und Erwägung verbundene, aus Abgeschiedenheit geborene,
von Befriedigung und Freude erfüllte erste Versenkung eingetreten bin und darin
verharrt habe.“ [22]
Dieses Ereignis markiert den Beginn seiner intensiven Meditationspraxis, die es
ihm ermöglichte, seinen Geist von Begierden und Gefühlsregungen zu befreien
sowie so sehr zu beruhigen, dass er sich auf das Wesentliche konzentrieren
konnte. Und so „erinnerte sich [Siddhartha] seiner vergangenen Existenzformen,
durchschaute das Gesetz der Wiedergeburt als Folge der Taten (kamma) und
erkannte: Dies sind die Einflüsse (asava, die Wiedergeburt und Leiden
verursachen), dies ihr Ursprung, dies ihre Aufhebung, dies der Weg zu ihrer
Aufhebung. Beim heutigen Bodh Gaya unter einem [Bodhi-]Baum sitzend, kam
ihm die Einsicht:“[23]
„Der ich selbst, ihr Mönche, der Geburt unterworfen war, erkannte ich das Elend,
das dem Gesetz der Geburt innewohnt, und nach dem von Geburt freien höchsten
Gewinn und Wohlsein, dem Nirvana suchend, erreichte ich den von Geburt freien
höchsten Gewinn und Wohlsein, das Nirvana. Der ich selbst dem Altern
unterworfen war … Der ich selbst der Krankheit unterworfen war … Der ich
selbst dem Tode unterworfen war … Der ich selbst dem Schmerz unterworfen war
… Der ich selbst der Verderbtheit unterworfen war, erkannte ich das Elend, das
dem Gesetz der Verderbtheit innewohnt […] Und Erkenntnis ging mir auf und
Schauen ging mir auf: unverlierbare Erlösung des Geistes ist mein; dies ist die
letzte Geburt; nicht gibt es hinfort Wiedergeburt.“[24]
Das zentrale Element und Mittel, das Siddhartha zur Erleuchtung und damit auch
zu seiner zukünftigen Bezeichnung „Buddha“ führte, war demnach die
Durchführung einer speziellen Form der Meditation, die er aus der Praxis des
Yoga entwickelte. Sie bildete die Voraussetzung dafür, dass er eine tiefe Einsicht
in die Natur des Daseins erlangte. Denn erst die Meditation verschaffte ihm eine
weitestgehende Ausschaltung von äußeren und inneren Einflüssen, die den Geist
abzulenken und zu beunruhigen vermögen, und damit die Versenkung in einen
besonderen Bewusstseinszustand. Mit der nun gewonnenen Klarheit im Denken
vermochte er es, vermutlich im Alter von 35 Jahren, die Erleuchtung zu finden.
Dieses sein Leben maßgeblich prägende Ereignis war sowohl aus intellektueller
als auch psychologischer Sicht bedeutend: „Intellektuell war sie ein direktes
Erschauen des Kreislaufs von Werden und Vergehen, […] ein Aha!-Erlebnis, in
dem übernommene Denkelemente und eigene Überzeugungen zu einem
harmonischen System zusammenschossen. Psychologisch war sie eine glückhafte
Befreiungserfahrung. Die Gewißheit, die Leidensursache erkannt und damit
vernichtet zu haben, machte aus dem Sucher einen Wegweiser, […] eine reife, in
sich selbst ruhende Persönlichkeit.“[25] Ausgestattet mit diesem Rüstzeug
begegnete Buddha von nun an seinen Mitmenschen und hinterließ dabei einen
nachhaltigen Eindruck auf viele von ihnen. Dabei war es ihm egal, welcher
gesellschaftlichen Schicht diese angehörten. Ob Könige oder Bettler – der
„Erleuchtete“ pflegte einen unvoreingenommenen Umgang mit jedem
Interessierten.
Er sprach und lehrte die nächsten 45 Jahre also vor einem höchst
unterschiedlichen Publikum. Um ihn herum entstand eine immer größer
werdende buddhistische Gemeinde, die sich aus allen Volksschichten
zusammensetzte. Die hinduistische Kastenordnung, an deren Spitze die
Brahmanen (= Mitglieder der Priesterkaste, die als höchste Kaste im System des
Hinduismus gilt) standen, kritisierte er vor allem dahingehend, dass die Kaste,
der ein Mensch aufgrund seines sozialen Standes zugeordnet wurde, nichts über
seinen Wert aussagen könne. Ein gewichtiger Grund für die aufkommende
Popularität der Erlösungslehre (Sanskrit: Dharma; Pali: Dhamma) des Buddha in
breiten Teilen der Bevölkerung war – neben seiner charismatischen
Persönlichkeit sowie seinem freundlichen und respektvollen Umgang den
Mitmenschen gegenüber – sicherlich die Tatsache, dass das Erlösungsziel nicht
einem erlesenen Kreis von Personen bzw. Mönchen vorbehalten war, sondern
auch dem Laien offenstand und „daß der Meister seinen Mönchen erlaubte, die
Lehre in der lokalen Umgangssprache darzulegen.“[26] Als Eckpfeiler bzw. Kern
dieser Lehre Buddhas, der praktisch von allen Schulen akzeptiert wird, gelten die
„Vier edlen Wahrheiten“ (Sanskrit: catvari aryasatyani; Pali: cattari ariyasaccan),
die er unmittelbar nach seiner Erleuchtung im Gazellenhain Ishipathana in
Sarnath bei Benares verkündet haben soll und mit denen er das Rad der Lehre in
Gang setzte. Die „Vier edlen Wahrheiten“ geben Antwort auf folgende
grundsätzliche Fragen:
1.
2.
3.
4.
Was ist Leiden?
Was ist die Entstehung des Leidens?
Was ist die Aufhebung des Leidens?
Welches ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg?
Der Eingang ins Nirwana (Sanskrit: nirvaṇa) bzw. Nibbana (Pali: nibbana), also
der Austritt aus dem Samsara, dem Kreislauf des Leidens bzw. der
Wiedergeburten, ist als Hauptziel der Lehre Buddhas anzusehen. Die Ursachen
des Leidens lagen für ihn vor allem in der falschen Vorstellung des Menschen von
einem unveränderlichen Selbst bzw. Ich sowie eines Anhaftens an dieses und
einer damit verbundenen Gier und Unwissenheit (= Nichtkenntnis der Vier edlen
Wahrheiten) begründet, wovon man sich befreien müsse, wenn man dem
Kreislauf von Tod und Geburt, also der Wiedergeburt, entrinnen und so die
Erlösung erlangen wolle. Im Rahmen der Vier edlen Wahrheiten sind auch die
Grundlagen der buddhistischen Ethik anzutreffen. Dort nimmt insbesondere der
heilige achtteilige Pfad (rechtes Glauben, rechtes Entschließen, rechtes Wort,
rechte Tat, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes
Sichversenken), der Teil der vierten edlen Wahrheit ist, eine zentrale Rolle ein. Zu
den wesentlichen sittlichen Regeln zählen die „Fünf Silas“, die zur bewussten
Enthaltung von falschem Verhalten auffordern.
Diese lauten sinngemäß wie folgt:
1.
2.
3.
4.
Keine Lebewesen aus Absicht töten oder verletzen.
Kein Diebstahl.
Keine sexuellen Ausschweifungen.
Keine Lüge, Verleumdung, barsche oder unnütze Rede.
5. Keine Trübung des Bewusstseins durch berauschende Mittel.
Buddhas gesamte Lehre ist durchzogen vom Streben nach dem mittleren Weg.
Damit ist gemeint, dass er extremen Anschauungen und Praktiken eine klare
Absage erteilte: Er sah sowohl weltliche Ausschweifungen als auch strenge
Askese als unnütz und unwürdig an. Auch dem Selbstdenken, das auf konkretes
menschliches Handeln ausgerichtet ist, kam dabei eine bedeutende Rolle zu.
Denn im Sinne der frühbuddhistischen Lehre wird der Mensch dazu angehalten,
sich selbst und die Welt um ihn herum durch eigenes Selbstdenken zu erkennen
und aus den gewonnenen Einsichten heraus zu handeln, anstatt kritiklos und
unhinterfragt bestimmten Wertvorstellungen, Handlungsnormen oder Autoritäten
zu folgen.
Buddha brachte dies in einer Rede an das Volk der Kalamer gut zum Ausdruck:
„Geht, Kalamer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach
Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen
Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und
bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht
nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kalamer, selber erkennt: ›Diese
Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und,
wenn ausgeführt / 165 / und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden‹,
dann o Kalamer, möget ihr sie aufgeben.“[27]
Die zuvor genannten und stark umrissenen wesentlichen Einsichten soll Buddha
während seiner 45jährigen Lehrtätigkeit seinen Zuhörern vermittelt haben, bevor
er im Alter von 80 Jahren verstarb. Eine letzte Gewissheit, ob die von mir
zusammengetragenen Erkenntnisse rund um den historischen Buddha den
Tatsachen entsprechen, gibt es selbstverständlich nicht. Man beachte in diesem
Zusammenhang das obige und letzte Zitat der Rede Buddhas ans Volk der
Kalamer!
Hier die komplette Liste der Quellen und Literatur für diesen Beitrag.
[1] Conze, Edward: Eine kurze Geschichte des Buddhismus, übers., hrsg. und mit
einem Nachw. vers. von Friedrich Wilhelm, Frankfurt a. M. 2005, S. 18.
[2] Schumann, Buddhismus – Stifter, Schulen und Systeme, S. 55.
[3] Ebd. S. 57-58.
[4] Anm.: 1. Vinayapitaka = Ordensregeln; 2. Suttapitaka = Sammlung von
Lehrreden Buddhas;
3. Abhidhammapitaka = eine (wissenschaftliche) Systematisierung der Lehren
Buddhas, die sich nicht, wie bei den anderen beiden Kompendien, einer
konventionellen, sondern überwiegend einer philosophischen bzw.
psychologischen Sprache bedient.
[5] Anm.: Der Ausdruck „Korb“ wird gebraucht, da „die auf getrocknete
Palmblätter geritzten oder geschriebenen Texte in Körben aufbewahrt wurden,
welche die zusammengehörigen Bücher in sich vereinigten.“ (Schumann,
Buddhismus – Stifter, Schulen und Systeme, S. 59.)
[6] Schumann, Buddhismus – Stifter, Schulen und Systeme, S. 58.
[7] Anm.: Als eine weitere bedeutende Hauptrichtung des Buddhismus gilt das
Vajrayana (= Diamantfahrzeug), in dem sich Lehren des Mahayana mit dem
hinduistischen Tantra verbinden.
[8] Anm.: Nicht unterschlagen werden darf hier der Begriff des Hinayana
(„Kleines Fahrzeug“), der ältere Buddhismus, aus dessen Tradition auch der
Theravada-Buddhismus entspringt. Der Begriff entstand im Mahayana und
bezeichnet eher abwertend alle vor-mahayanischen Schulen, weshalb er von
diesen auch abgelehnt wird. Im Mahayana-Buddhismus wird die Haltung
vertreten, dass das Hinayana nur einen Bruchteil der Lehre und Verkündigung
Buddhas enthalte.
[9] Schlieter, Jens: Buddhismus zur Einführung, 2. Aufl., Hamburg 2001, S. 26.
[10] Ebd. S. 26.
[11] Ebd. S. 26.
[12] Zotz, Volker: Geschichte der buddhistischen Philosophie, Reinbek bei
Hamburg 1996, S. 21.
[13] Wimmer, Franz: Interkulturelle Philosophie. Geschichte und Theorie, Bd. 1,
Wien 1990, S. 19.
[14] Zotz, S. 13.
[15] Anm.: Aus dem Sanskrit übersetzt bedeutet dies „der Erwachte“ oder auch
„der Erleuchtete“.
[16] Anm.: Eine gute Übersicht zur Forschungsdiskussion bezüglich der
Datierung lässt sich in der Veröffentlichung von „Bechert, Heinz.: The dating of
the historical Buddha / Die Datierung des historischen Buddha, Parts 1-3,
Göttingen 1991-1997“ finden, die im Zusammenhang mit vier internationalen
Symposien zur Buddhismusforschung entstand, die zwischen 1976 – 1988 von der
Akademie der Wissenschaften veranstaltet wurden.
[17] Schumann, Buddhismus – Stifter, Schulen und Systeme, S. 14.
[18] Ebd. S. 17.
[19] Ebd. S. 17.
[20] Anm.: Als Samanas werden Bettelmönche bzw. Asketen in Indien bezeichnet,
die besitzlos sind und von Almosen leben. Sie widmen sich primär der Askese und
Meditation.
[21] Schumann, Buddhismus – Stifter, Schulen und Systeme, S. 19.
[22] Oldenberg, Hermann: Reden des Buddha – Lehre, Verse, Erzählungen, mit
einer Einf. hrsg. von Heinz Bechert, Freiburg im Breisgau 2000, S. 73.
[23] Schumann, Buddhismus – Stifter, Schulen und Systeme, S. 20.
[24] Oldenberg, S. 81.
[25] Schumann, Buddhismus – Stifter, Schulen und Systeme, S. 21.
[26] Ebd. S. 28.
[27] Nyanatiloka (Hrsg.): Anguttara-Nikaya III, 66, Bd. 1, Freiburg im Breisgau
1984, S. 170.
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