Feature_Interview Zesses Seglias_korr

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„Was es heißt, heute ein griechischer Komponist zu sein“
Der griechische Komponist Zesses Seglias, Gewinner des
Kompositionswettbewerbs „Ernst“, verbrachte drei Wochen in Krems,
um hier – in Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk Ernst
Kreneks – am Institut Inspiration für sein neues Werk zu finden. Die
Komposition für Kammerensemble, beauftragt vom Ernst Krenek Institut
in Kooperation mit impuls – 8th International Ensemble and Composers
Academy for Contemporary, wird 2014 durch das Klangforum Wien
uraufgeführt.
Im Interview mit Marie-Therese Rudolph erzählt Zesses Seglias über
sein Leben als Komponist in Thessaloniki, die griechische Musikszene
und seine zukünftigen Pläne.
MTHR: Griechische Komponisten sind in der europäischen Musikszene
relativ wenige bekannt, sieht man einmal ab von Georges Aperghis
(*1945), der seit 1963 in Paris lebt, oder dem verstorbenen Iannis
Xenakis (1922–2001), der seinen Lebensmittelpunkt auch in Frankreich
hatte. Und dann wäre auch noch Ianni Christou zu erwähnen, der 1970
im Alter von vierzig Jahren bei einem Autounfall gestorben ist. Aber
Komponisten der jüngeren Generation sind nicht sonderlich präsent.
Zesses Seglias: Es ist schon eigenartig als Komponist in Griechenland
zu leben. So weit vom Zentrum der Musik weg, das derzeit in
Deutschland, Österreich oder Frankreich liegt. Italien war es früher
einmal. Das ist auch der Grund, warum die italienische Musik immer
noch eine größere Rolle spielt.
Ich habe kürzlich viel darüber nachgedacht, was es heißt, heute ein
Komponist zu sein. In unserer globalisierten Welt spielt es wenig Rolle,
woher du kommst. Die wichtigen Dinge werden an wenigen Orten
entschieden. Zwar fühlen wir uns alle einer Identität zugehörig: als
griechischer, türkischer oder serbischer Komponist, aber wir bewegen
uns alle im Feld der zeitgenössischen Musik und studieren alle bei
denselben LehrerInnen an denselben Universitäten. Das heißt aber
1 nicht, dass nicht jeder seine spezifischen Besonderheiten, Individualität
und Persönlichkeit hat, da wir ja alle mit unterschiedlichen Traditionen
aufgewachsen sind. Und auch der soziale Hintergrund prägt.
MTHR: Wie sieht die Situation in Griechenland konkret aus?
Zesses Seglias: Es gibt viele griechische KomponistInnen, sowohl in
Griechenland als auch im Ausland lebende. Zeitgenössische Musik war
aber auch nie Tradition der griechischen Kultur. Eigentlich genieße ich
das. Mein Studium in Österreich hat mir geholfen, einen Überblick zu
bekommen, was sich in der Musik derzeit tut, was die Trends sind.
Zurück in Griechenland konnte ich dann mit einem gewissen Abstand
meine Rückschlüsse daraus ziehen. Wenn man ständig zu vielen
Eindrücken ausgeliefert ist, besteht die Gefahr, seine eigene,
charakteristische Stimme zu verlieren. Für mich ist es sehr wichtig, die
Balance zwischen Teilnahme an dem aktiven Musikleben und
Zurückgezogenheit zu halten. Das ist ein Drahtseilakt. Ich sehe Vorteile
darin, außerhalb des Zentrums zu sein – hier bin ich freier.
MTHR: Auch die weltweite Verfügbarkeit von jeder Art von Musik trägt
dazu bei, dass es immer weniger wichtig wird, wo man lebt.
Zesses Seglias: Ja, da hat sich sehr viel verändert. Früher musste man,
wenn man etwa Strawinsky hören wollte, eine Platte von ihm kaufen.
Daher blieb viel Musik für die breite Masse unbekannt. Das Schwierige
heute ist, innerhalb der ständig verfügbaren Fülle zu differenzieren. Es
ist wie mit den Digitalkameras: Damit macht man tausende Fotos und
entscheidet dann im Nachhinein, welche die besten sind. Früher, in der
analogen Fotografie, musste man sich explizit – bereits beim
Fotografieren selbst – für ein Motiv entscheiden. Denn schließlich waren
das Entwickeln und der Film teuer.
Der globale „Marktplatz“ Internet hat auch Vorteile: Ich bin schon oft von
Veranstaltern kontaktiert worden, die meine Musik online gehört hatten
und erst so auf mich aufmerksam geworden waren. Auch
Kompositionsaufträge habe ich auf diese Weise schon erhalten – das ist
wirklich gut!
2 MTHR: Gibt es in Griechenland Neue-Musik-Ensembles und spezielle
Festivals?
Zesses Seglias: Grundsätzlich haben wir in Griechenland nicht so viele
Konzertveranstalter. In Athen existiert das Onassis Kulturzentrum, dort
spielte zum Beispiel vor zwei Jahren das Klangforum Wien. Das ist ein
guter Ort, nicht nur für zeitgenössische Musik, sondern auch für
zeitgenössische Kunst (inkl. Pop Art) überhaupt. Eigentlich ist keines der
griechischen Festivals auf zeitgenössische Musik fokussiert. Es gibt nur
wenige Ensembles, in Thessaloniki und Athen. Die geben
zusammengezählt etwa zehn bis zwanzig Konzerte im Jahr. Daher
kommt man als Komponist auch nur alle paar Jahre dran, dass man
gespielt wird. Das ist leider nicht genug. Es gab Konzerte mit meiner
Musik in Griechenland, aber eigentlich viel mehr im Ausland.
Ich bin jetzt 30 Jahre alt, da kann man gerade noch an internationalen
Meisterkursen teilnehmen. Das ist ein guter Weg, um zu Aufführungen
zu kommen.
MTHR: Wie finanzieren Sie sich Ihr Leben?
Zesses Seglias: Im Moment schreibe ich an meiner Dissertation an der
Musikabteilung der Aristoteles-Universität in Thessaloniki. Sie ist noch
nicht weit fortgeschritten, da ich erst vergangenes Jahr begonnen habe.
Das Thema sind Gesten als musikalischer und als physikalischer
Ausdruck in ihren unterschiedlichen Bedeutungen. Ich verwende
Kameras und setze mittels Live-Electronics die Bewegungen in Klänge
um. Der Performer reagiert dann darauf. Es gibt bereits viele
Programme in diesem Bereich. Mein Schwerpunkt liegt jedoch auf der
Musik und da muss erst etwas entwickelt werden, so wie ich mir das
vorstelle. Dafür erhalte ich ein Stipendium. Und ich unterrichte zweimal
in der Woche an einer privaten Musikschule für Kinder Theorie,
Harmonielehre und Stimmbildung. Auch über Aufträge und
Auslandsaufenthalte verdiene ich etwas.
MTHR: Teil des Kompositionsauftrags „Ernst“ war ein dreiwöchiger
Aufenthalt in Krems am Ernst Krenek Institut. Wie haben Sie diese Zeit
erlebt?
Zesses Seglias: Ich hatte – vor meiner Bewerbung für den Preis – noch
nicht viel über bzw. von Ernst Krenek gehört gehabt. Für mich war es
3 wirklich interessant, auch etwas schwierig, zwischen meiner Musik und
seiner eine Verbindung zu finden. Der Preis ist ja darauf angelegt, dass
ich ein neues Stück komponieren soll, das von Krenek inspiriert ist.
Wenn ich ehrlich bin, gibt es keine direkte Verbindung. Nachdem ich in
Krems Zugang zu vielen seiner Werke hatte, suchte ich weiter. Von ihm
als Persönlichkeit habe ich einen starken Eindruck. Und er war ein sehr
produktiver Komponist. Er lebte völlig in der Welt der Künste, musste
keinen Berufen nachgehen, die nicht mit Musik oder Literatur zu tun
hatten. Für mich war es sehr interessant, Texte von ihm zu lesen. Ich
ließ mir am Institut Texte geben, in denen er über den Aspekt der Zeit
schreibt, in Bezug auf seine Musik und die anderer. Kreneks Buch über
Ockeghem hat mich völlig begeistert! Die Renaissance-Zeit interessiert
mich sehr! Und hier fand ich auch einen Punkt, an dem ich mit meinem
neuen Werk anknüpfen möchte: Ich sah mir an, mit welchen Augen er –
fünfzig Jahre bevor ich mich mit seiner Musik beschäftige – sich mit der
Musik Ockeghems auseinandersetzte. Es ist spannend, wie er sich der
Renaissance-Musik näherte, und welche Art von Musik er zu dieser Zeit
selbst schrieb – also wie sich seine Auseinandersetzung auf seine
eigenen Kompositionen auswirkte. Und dasselbe mache ich jetzt mit
ihm! Krenek komponierte unter Ockeghems „Einfluss“ das Chorstück
Lamentatio Jeremiaeh Prophetae, mein absolutes Lieblingsstück von
Krenek! Die Frage ist, wie man so abstrakte, ja beinahe philosophische
Gedanken in eine Komposition übersetzt bzw. hineinbringt. Meine
ästhetische Position ist schließlich eine völlig andere als die Kreneks.
Die drei Wochen in Krems waren sehr inspirierend, auch wenn Krenek
selbst ja nie etwas mit Krems zu tun hatte. Am Institut Zeit zu
verbringen, seine originale Bibliothek zu sehen, seine Noten usw. hat
mich ihm um ein großes Stück näher gebracht und mir persönlich neue
Zugänge eröffnet.
MTHR: Gibt es schon konkrete Pläne für den Kompositionsauftrag?
Zesses Seglias: 2014 wird mein neues Stück vom Klangforum Wien zur
Uraufführung gebracht. Ich soll es Ende Jänner abgeben. Soweit ich
weiß, wurde das letzte Auftragswerk dann beim musikprotokoll in Graz
präsentiert. Vielleicht auch meines, wenn das Festival dann noch
existiert …
4 Die Instrumente stehen bereits fest: Flöte, Saxophon, Posaune,
Perkussion, Violoncello, Viola, Kontrabass . Es ist großartig, dass das
Klangforum mein Stück zur Uraufführung bringen wird. Diese
MusikerInnen sind so erfahren, sie sind die ExpertInnen. Das größte
Problem für junge KomponistInnen ist ja, dass ihre Stücke meistens nur
einmal gespielt werden. Bei der Uraufführung werden die Noten oft nur
buchstabiert, das Ergebnis ist weit davon entfernt, Musik zu sein. Aber
beim Klangforum ist das anders, bei diesem Ensemble entsteht sofort
Musik, es kann direkt „hinter“ die Noten blicken! Ich freue mich schon
sehr.
MTHR: Sie haben Musiktheater bei Beat Furrer an der Kunstuniversität
Graz studiert und dort auch ein Fach dazu bei Georg Friedrich Haas
belegt. Haben Sie vor, eine Oper zu schreiben?
Zesses Seglias: Mein Studium bei Beat Furrer half mir sehr, meinen
eigenen Zugang zum Musiktheater zu finden. Auch die Erfahrungen, die
ich bei Haas gemacht habe, sind sehr wichtig für mich, wenn sie auch
zeitlich sehr begrenzt waren.
Es gab 2009 in Graz ein Projekt namens „Opern der Zukunft“, bei dem
ich ein Konzept einreichte. Jeder Studierende konnte sich da bewerben.
Die einzelnen Bewerbungsschritte waren ein riesiger Aufwand.
Schließlich wurden vier KomponistInnen eingeladen (Yukiko Watanabe,
Lorenzo Romano, Wen-Cheh Lee und ich) ihre Werke fertigzustellen.
Sie werden im Mai 2014 an der Grazer Oper uraufgeführt.
Für das Libretto arbeitete ich mit Sophie Reyer zusammen. Sie ist eine
sehr gute Komponistin und dazu noch eine wunderbare Autorin. Wir
redeten darüber, welches Thema ich in meiner Oper behandeln wollte,
das sich um die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Sohn dreht.
Es geht um einen inneren Konflikt in einer Person: zwischen der Mutter
und der Frau. Sophie machte daraus ein sehr raffiniertes und poetische
Libretto.
Ich näherte mich an, indem ich die Rolle auf eine Schauspielerin und
eine Sängerin aufteilte. Deren Partien vermischen sich aber, insofern ist
nicht immer klar, wer jetzt welche Seite derselben Person darstellt.
Die zweite Hauptrolle ist die Musik. Ich werde zur Endprobenphase des
knapp 20-minütgen Stücks nach Graz kommen. Es freut mich sehr, dass
Beat Furrer dirigieren und Ernst Binder inszenieren wird. Es spielen
5 Studierende des Klangforum Wien – das Ensemble hat ja eine Professur
an der Grazer Uni.
Diese Produktion ist wirklich eine „Oper der Zukunft“ geworden, der
Prozess hat sich – bis zur Aufführung – über fünf Jahre hingezogen!
Opern der Zukunft
6., 7., 9., 10. Mai 2014
Opernhaus Graz / Studiobühne
Zesses Seglias (*1984) studierte Komposition und Musiktheater an der Aristoteles
Universität in Thessaloniki (2002–2008) und absolvierte von 2009 bis 2011 ein
Masterstudium bei Beat Furrer an der Musikuniversität in Graz. Er nahm an
Meisterkursen u.a. bei Georges Aperghis, Pierluigi Billone, Klaus Lang, Mark Andre,
Georg Friedrich Haas, Peter Ablinger und Chaya Czernowin teil. Im Juli 2012 gewann er
mit seinem Werk [α-] für Kammerchor den 1. Preis des Internationalen Einojuhani
Rautavaara Kammerchor Kompositionswettbewerbs. 2013 gewann er den
Kompositionswettbewerb „Ernst“, vergeben vom Ernst Krenek Institut in Kooperation mit
th
impuls – 8 International Ensemble and Composers Academy for Contemporary.
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