Placebo : Zuversichts-Induktion

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Perspektive: Placebo – Nocebo – Zuversicht
Placebo : Zuversichts-Induktion
Prof. Dr. Sigrid Elsenbruch, Placeboforscherin, Universität Duisburg-Essen
„In jeder kommunikativen Beziehung kann der Placebo- oder
Noceboeffekt zum Tragen kommen. Immer sind ja hier Emotionen
im Spiel. Ob sie Zuversicht oder eher Ängste aktivieren, darauf
nehmen der Kommunikationsstil und die Vorerfahrungen entscheidenden Einfluss.“
Prof. Dr. Sigrid Elsenbruch,
Placeboforscherin
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Perspektive: Placebo – Nocebo – Zuversicht
Placebos wirken. Aber von welchen Faktoren hängt es ab, dass positive Erwartungshaltungen zu einer Gesundung von Patienten beitragen können? Christoph Potting hat dazu mit
der Placeboforscherin Sigrid Elsenbruch an der Universität Duisburg-Essen gesprochen.
Wir dokumentieren das Gespräch in einem kompakten und lesbaren Text.
Es sind positive oder negative Erwartungshaltungen, die bei der Wirkung von Placebos und
Nocebos ihre Wirkung entfalten. Wenn die Patientinnen und Patienten Erwartungen beziehungsweise positive Gefühle entwickeln, es könnte besser werden und die Symptome könnten nachlassen, dann kommt eine positive antizipatorische Erwartung zur Geltung. Bei der Befürchtung oder
Überzeugung, dass etwas schlechter wird, kommt die antizipatorische Angst ins Spiel. Ein Beispiel kann dies verdeutlichen: Ein Beipackzettel beschreibt Übelkeit als mögliche Nebenwirkung
eines Medikaments. Allein diese negative Erwartung kann schon das Symptom der Übelkeit auslösen. Das ist besonders dann noch wahrscheinlich, wenn der Betroffene in der Vergangenheit
bereits die Erfahrung gemacht hat, dass das betreffende Medikament Übelkeit verursacht. Für die
Wirkung eines Placebos ist das klassische Experiment mit der Zuckerpille charakteristisch. Der
Patient bekommt hier gar kein aktives Medikament. Der Arzt vermittelt ihm jedoch, dass sich
Verbesserungen einstellen werden. Patienten entwickeln daraufhin die Zuversicht, dass ihnen geholfen wird. Bei wiederholten Behandlungen mit einer Chemotherapie kennen wir jedoch auch
die umgekehrte Wirkung: den Noceboeffekt. Patienten wissen um die unangenehmen Nebenwirkungen der Medikamente. Allein der Geruch oder der Anblick des Hospitals und die Stimmung
im Behandlungsraum können dann diese Nebenwirkungen bereits auslösen. Sie müssen sich der
Behandlung noch gar nicht unterzogen haben. Hier spielen Lernprozesse eine Rolle, die kognitive
Prozesse ganz eng mit Emotionen verknüpfen und die zum Teil unbewusst ablaufen.
Unser Gehirn ist ganz eng mit unserem Körper verbunden. Befürchtungen setzen beispielsweise
die Ausschüttung von Stresshormonen in Gang. Wir wissen aus der Stressforschung, dass alleine
Gedanken Stress auslösen können, der sich im Körper an den Stresshormonen oder Veränderungen im Immunsystem nachweisen lässt. Nehmen Sie Menschen, die Angst vor Spinnen haben. In
kognitiver Hinsicht sind sie sich darüber im Klaren, dass diese Tiere keine wirkliche Gefahr für
sie darstellen. Aber ein Foto einer Spinne kann trotzdem im Gehirn zu einer Furchtreaktion führen. Dieses Signal setzt die evolutionsbiologisch verankerten Kampf- und Fluchtreaktionen in
Gang. Unser Körper wird im Prinzip auf eine Verteidigungssituation vorbereitet. Die Aktivierung
des autonomen Systems und die Erhöhung des Herzschlags sind die Folgen. Die Aktivierung der
Stresshormonachse beginnt, was wir dann zum Beispiel durch Messung des Cortisonspiegels
nachweisen können.
Die Kommunikation entscheidet
Weil die positive Erwartungshaltung des Patienten von so entscheidender Bedeutung ist, spielt im
medizinischen Kontext die Arzt-Patienten-Beziehung und die Kommunikation eine entscheidende
Rolle. Viele von uns kennen Ärzte, die sehr emphatisch sind und Kompetenz ausstrahlen. Sie
kommunizieren so, dass Patienten sich sehr sicher fühlen und so diese positive Erwartungshaltung
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stark ausbilden können. Aber auch die Vorerfahrungen der Patienten kommen ins Spiel. Haben
sie bereits schlechte Erfahrungen gemacht hat, begegnen sie den Ärzten eher mit Misstrauen. Das
kann sich nachteilig auf den Behandlungserfolg auswirken und den Placeboeffekt reduzieren.
Dann tut sich eine Placebointervention schwerer.
Eine angemessene Kommunikation in einer stimmigen Arzt-Patienten-Beziehung ist für die Vermittlung der Zuversicht sehr bedeutsam. Weil diese Zuversicht die Erfolgswahrscheinlichkeit jeder Therapie erhöhen kann, sollten Ärzte neben jeder pharmakologischen Intervention auch immer die Selbstheilungskräfte der Patienten im Blick haben. Hier lassen sich Synergieeffekte erzielen. Die Zuversicht in Bezug auf das eigene Wohlbefinden und die Verbesserung körperlicher
Funktionen kann Berge versetzen. Wir wissen beispielsweise aus der Akupunkturforschung, dass
die Placebokomponente eine wichtige Rolle spielt. So belegen belastbare Studien, dass sich Rückenschmerzen durch die Wirkung einer Scheinakupunktur vermindern lassen. Bei dieser Behandlung durchdringt die Nadel nicht wirklich die Haut, sondern ritzt sie nur kurz an. Ohne physiologische Effekte auszulösen, sehen wir ganz gute Therapieerfolge.
Welche Rolle spielt das Geschlecht?
Bei dieser Induktion von Zuversicht als positive Erwartungshaltung werden unterschiedliche Aspekte wirksam. Der Beziehung und der Kommunikation des Arztes mit seinen Patienten kommt
eine Schlüsselrolle zu. Die aktuelle Forschung ist außerdem stark damit beschäftigt, welche Bedeutung die Vorerfahrungen des Patienten und Persönlichkeitsfaktoren haben. Ist es beispielsweise so, dass Zuversichtsinduktion besser bei Optimisten als bei Pessimisten gelingt? Welche Rolle
spielt das Geschlecht? Funktioniert die Placebokomponente vielleicht bei Frauen besser als bei
Männern? Wir haben erste, wenig überraschende Hinweise darauf, dass Ärztinnen die Kommunikation mit ihren Patienten möglicherweise im Durchschnitt besser glückt.
Ob ein Arzt-Patienten-Gespräch gelingt, ist sehr stark davon abhängig, ob der behandelnde Arzt
die Sicht des Patienten auf seine Symptome und seine Erkrankung in seiner fachlichen Perspektive mit in den Blick nimmt. Die Berücksichtigung der subjektiven Krankheitstheorie, wie wir das
im Fachjargon nennen, ist für Placeboeffekte sehr wichtig. Welche Ziele verfolgt der Patient?
Welche Emotionen sind mit bestimmten Symptomen verbunden?
Ein eher patriarchalischer und dominanter Arzt ist kaum in der Lage, die Patientenperspektive
wahrzunehmen. Eine asymmetrische Beziehung zwischen Arzt und Patienten wird die Zuversichtspotenziale nicht aktivieren. Wir sprechen daher auch von der partizipativen Entscheidungsfindung, die positive Erwartungshaltungen freisetzen kann. Erleben Patienten ihre Ärztinnen und
Ärzte als kompetente Gesprächspartner, dann können sie leichter zuversichtlich sein. Eine formelle Autoritätsrolle ist dafür von untergeordneter Bedeutung. Aus einer Unzufriedenheit mit ihrer
Behandlung wenden sich beispielsweise viele Patienten Heilpraktikern zu, obwohl diese ja keine
fundierte medizinische Ausbildung haben. Viele Heilpraktiker legen jedoch sehr großen Wert auf
die Kommunikation mit ihren Patienten. Sie nehmen sich in der Regel mehr Zeit für die Behandwww.wir-sind-zuversichtlich.de
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lung oder vermeiden möglichst ein angstauslösendes Setting. Dieser Umgang kann sehr viel Zuversicht induzieren.
Wenn Sie jedoch als Arzt oder behandelnde Person nur wenig Augenkontakt mit Ihren Patienten
suchen, gar eine abweisende oder distanzierte Körperhaltung zeigen, dann kann sich hier kein
zuversichtlich stimmender Placeboeffekt entfalten. Wir allen kennen Ärzte, die sich hinter einem
riesigen Schreibtisch verschanzen. Sie stellen Fragen an den Patienten und tippen gleichzeitig am
Computer. Sie schauen ihre Patienten nicht an, halten nicht inne für Zwischenfragen. Ob der Patient etwas wirklich verstanden hat, spielt für sie vielleicht eine untergeordnete Rolle oder sie bemerken das nicht. In der Hektik des Praxis- und Klinikbetriebs sind solche Umgangsformen an
der Tagesordnung. Studien belegen, dass im Hausarztbereich in Deutschland die Dauer des
durchschnittlichen Arzt-Patienten-Gesprächs 7,6 Minuten beträgt. In anderen Ländern wie zum
Beispiel in der Schweiz sind es 15 Minuten. Hier hat der gleiche Arzt doppelt so viel Zeit, um mit
seinen Patienten zu sprechen.
Neuronale Signale der Zuversicht
In jeder kommunikativen Beziehung kann der Placebo- oder Noceboeffekt zum Tragen kommen.
Immer sind ja in der Kommunikation Emotionen im Spiel. Ob sie hier die Zuversicht oder eher
Ängste aktivieren, darauf kann der Kommunikationsstil entscheidenden Einfluss nehmen. Kommunikations- und Politikberater können sich daher etwas von der Placeboforschung abgucken.
Vielleicht auch umgekehrt.
Noch vor zehn Jahren haben wir über die Bedeutung der Zuversicht oder Angst, der Chancen oder Risiken noch ganz anders gedacht. In der Medizin waren damals Ergebnisse der Stressforschung und die Psyche noch weitgehend ohne Interesse. Fachärzte waren eher an der Funktion
bestimmter Organe interessiert. Dass chronische Stressbelastungen, also psychologische Prozesse,
Heilungschancen oder Erkrankungsrisiken verändern, dieses Wissen ist noch relativ jung. Die
Verbindung zwischen unserem Gehirn und unserem Körper ist eben nicht trivial. Es geht hier
nicht nur um Befindlichkeiten, sondern um wirklich messbare körperliche Vorgänge.
Bei der Zuversicht oder positiven und negativen Erwartungshaltungen sind diese Körperfunktionen auch aktiv. Bei Placeboeffekten sind vom Gehirn gesteuerte Immunprozesse ebenso bedeutsam wie das Hormon- und das autonome Nervensystem, das diese körperlichen Vorgänge reguliert. Wir kennen die Mechanismen im Gehirn, die Schmerzen dämpfen können. Wir wissen um
die neuronalen Signale der Zuversicht, die das Rückenmark weiterleitet und in einem Placeboexperiment von Bedeutung sind.
In unserer Forschung können wir nachweisen, dass solche Prozesse vom Körper gelernt werden.
In der Transplantationsmedizin geben wir beispielsweise Patienten immunsuppressive Medikamente, damit der Körper das neue Organ nicht abstößt. In einer Art Zuversichtsexperiment verkoppeln wir nun das Medikament mit einem neuen Reiz. Wir vermischen es zum Beispiel in einem Getränk mit einem besonders markanten Geschmack. In dieser klassischen Konditionierung
lernt unser Gehirn, dass auch allein dieses Getränk eine immunsuppressive Wirkung auslösen
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kann. Wenn wir nämlich nach einem bestimmten Behandlungszeitraum das Getränk ohne das
Medikament verabreichen, dann können wir im Körper diese immunsuppressiven Reaktionen
tatsächlich nachweisen. Solche Lernparadigmen wollen wir uns zukünftig stärker zunutze machen, um beispielsweise für Patienten die Zahl der notwendigen Medikamente etwas zu reduzieren. Wenn wir jedes dritte, vierte oder fünfte Medikament mit einer Zuckerpille oder einem anderen Placebo ersetzen könnten, weil diese Lernprozesse letztlich die gleichen Mechanismen im
Körper aktivieren, dann können wir natürlich den Bedarf an Medikamenten tatsächlich reduzieren.
Besondere Mischung aus positiven Emotionen, aber auch Gedanken
Vor diesem Hintergrund ist es schon verblüffend, dass die Zuversicht in der Wissenschaft bisher
eine untergeordnete Rolle spielt. Der Optimismus ist ein sehr gut erforschtes und definiertes Konstrukt. Ein Fragebogen für die Ermittlung der Zuversicht steht uns bisher jedoch nicht zur Verfügung. Dieser Umstand mag auch mit der objektiven Schwierigkeit zusammenhängen, die Zuversicht begrifflich zu fassen.
Die Zuversicht ist ja eine sehr besondere Mischung aus positiven Emotionen, aber auch Gedanken. Gefühle, eine Geisteshaltung und Gedanken spielen bei der Zuversicht zusammen. Wenn wir
zuversichtlich sind, dann haben wir Erwartungen an die Zukunft, die jedoch auch die unmittelbare
Gegenwart tangieren. Wir können nicht im gleichen Moment todunglücklich, pessimistisch und
trotzdem zuversichtlich sein. Daher ist dieses Gefühl immer auch mit einem Gedankenkonstrukt
verbunden. Eine Geisteshaltung in Bezug auf die eigene Person und ihre Entwicklungsmöglichkeiten in der Zukunft sind mit positiven Gefühlen verknüpft. Dieses Amalgam aus Kognition und
Emotion macht die Zuversicht aus. Und dies wissenschaftlich zu operationalisieren, wie es in der
Psychologie mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen gelungen ist, wird sehr schwierig sein.
Sigrid Elsenbruch
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