Die Analyse der Produktionsseite Bei der Produktionsseite steht folgendes Fragestellung im Zentrum des Interesses: Wer hat die Leistung erbracht? Was aber bedeutet überhaupt Leistung einer Volkswirtschaft, und wie kann man sie messen? Diese Frage werden Sie wahrscheinlich als sehr abstrakt erachten. Beginnen wir deshalb mit einer Problemstellung, die Ihnen näher liegt. Wie messen wir die Leistung einer Unternehmung? Das Instrument dafür ist die Erfolgsrechnung, und als Massstab dient – aus betriebswirtschaftlicher Optik – der Gewinn und der Umsatz. Aus volkswirtschaftlicher Optik ist allerdings der Gewinn allein kein guter Massstab. Denn neben dem Gewinn erbringt eine Unternehmung noch andere Leistung, so bezahlt sie z.B. ihren Mitarbeitern Löhne aus, welche für eine Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sind. Wir kommen darauf bei der Verteilungsrechnung zurück. Was halten Sie vom Umsatz als Kriterium für die volkswirtschaftliche Leistung einer Unternehmung? Im Gegensatz zum Gewinn überzeichnet der Umsatz die Leistung. Denn er enthält Werte, die nicht von der betreffenden Unternehmung geschaffen wurden. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Wenn ein Möbelfabrikant Holz von einem Holzhändler kauft, würde der Wert des zugekauften Holzes im Wert der damit produzierten Möbel in die Berechnung eingehen. Das Holz würde dadurch mehrfach gezählt, einmal bei der Berechnung der Leistung des Holzhändlers und ein zweites Mal bei derjenigen des Möbelfabrikanten. Um diese Mehrfachzählungen zu vermeiden, dürfen wir deshalb alle Güter, die von anderen Unternehmungen eingekauft und im Produktionsprozess eingesetzt werden, nicht berücksichtigen, bzw. wir müssen sie vom Umsatz subtrahieren. Weil es sich dabei ja nicht um Leistungen des betreffenden Produzenten handelt, werden sie als Vorleistungen bezeichnet. Vorleistungen sind alle nicht dauerhaften Produktionsmittel, die von anderen Produzenten bezogen werden. Dazu zählen Sachgüter wie Roh- und Hilfsstoffen, Energie, Halbfabrikate und Handelswaren ebenso wie Dienstleistungen z.B. Transportleistungen, Beratungshonorare, Leistungen der Swisscom. Ein Einkauf eines Investitionsgutes z.B. einer Maschine gehört selbstverständlich nicht zu den Vorleistungen, das es sich dabei nicht um eine Aufwand-, sondern um eine Vermögenserhöhung handelt, die nicht in der Erfolgsrechnung, sondern in der Bilanz erfasst wird. Der Volkswirtschafter interessiert sich also primär weder für den Gewinn noch für den Umsatz. Für ihn sind die Leistungen von Interesse, die von den verschiedensten Produzenten neu erbracht werden. Mit anderen Worten geht es ihm um den Wert, welcher den Vorleistungen durch die Produktion und den anschliessenden Absatz hinzugefügt wurde. Deshalb bezeichnen wir diese Grösse mit dem Begriff Wertschöpfung. Wertschöpfung ist die Differenz zwischen dem Wert der gesamten Produktion eines Unternehmens und den von ihm übernommen Leistungen Vorleistungen Im Produktionswert sind nicht nur die Güter enthalten, die der Unternehmer aus der laufenden Produktion verkauft, sondern auch solche, die er für sich selber produziert oder die er ins Lager legt. Der Produktionswert entspricht somit der Summe aller Verkäufe, dem Wert der Bestandesveränderung des Lagers und dem Wert der selbsterstellten Anlagen. Bei der Wertschöpfung, die sich – wie dargestellt – aus der Differenz zwischen Produktionswert und Vorleistungen ergibt, handelt es sich exakt formuliert um die Bruttowertschöpfung, da in ihr auch die Abschreibungen enthalten sind, die dazu dienen, die in der laufenden Produktion abgenützten Investitionsgüter zu ersetzen, die Bruttowertschöpfung abzüglich der Abschreibungen ergibt die Nettowertschöpfung. Wie bewertet man den Produktionswert? Um zur Wertschöpfung zu gelangen, müssen sie zu dem Preis bewertet werden, zu dem sie verkauft werden, Bewertung zum Marktpreisen. In der VGR bewertet man diese erbrachten Leistungen zu Herstellungspreisen. Die Gütersteuern sind darin nicht enthalten, jedoch die empfangenen Subventionen. Um von den Herstellungspreisen zu den Marktpreisen zu gelangen, müssen deshalb die Gütersteuern addiert und die Subventionen subtrahiert werden – wie in der folgenden Übersicht dargestellt Bruttowertschöpfung einer Unternehmung Produktionswert + Gütersteuern -Gütersubventionen -Vorleistungen Wert aller Verkäufe + Wert der Bestandesveränderungen an Fertigprodukten + Wert der selbsterstellten Anlagen, bewertet zu Herstellungspreisen Indirekte Steuern z.B. Mehrwertsteuern, Tabaksteuern, Alkoholsteuer. Produktionsbeiträge des Staates Alle von einer Unternehmung bezogenen und für die Produktion verbrauchten Güter und Dienstleistungen Der erbrachte Mehrwert = Bruttowertschöpfung -Abschreibungen Wertminderung des Anlagevermögens durch Verschleiss und Alterung = Mehrwert, den man maximal verbrauchten könnte, Nettowertschöpfung ohne die Vermögenssubstanz einer Unternehmung zu gefährten Jetzt können wir den Blickwinkel erweitern und uns der eingangs gestellten Frage, nämlich der Leistungsfähigkeit einer gesamten Volkswirtschaft, zuwenden. Wer – ausser der Unternehmung – produziert in einer Volkswirtschaft auch noch etwas, erbringt also eine Wertschöpfung? Die institutionellen Sektoren der VGR Um die Komplexität der gesamten Wirtschaft erfassen zu können, ist man auf Abstraktionen angewiesen. So können nicht alle Personen, die sich wirtschaftlich betätigen, einzeln analysiert werden, sondern man fasst diejenigen in Sektoren zusammen, welche mehrheitlich dieselbe Tätigkeit ausüben. Die VGR unterscheidet folgende Sektoren 1 nicht finanzielle Kapitalgesellschaften: Dieser Sektor umfasst alle Kapitalgesellschaften, deren Haupttätigkeit in der Produktion von Waren oder nichtfinanziellen Dienstleistungen liegt. Er umfasst Branchen wie die Chemie, die Maschinenindustrie oder die Bauwirtschaft. 2 Finanzielle Kapitalgesellschaften: Alle Kapitalgesellschaften, welche eine finanzielle Mittlertätigkeit übernehmen, gehören zu diesem Sektor. Es sind das Banken, die Nationalbank, Versicherungsgesellschaften, die Anlagefonds, die Pensionskassen und die Leasinggesellschaften 3 Staat: Der Sektor umfasst den Bund, die Kantone, die Gemeinden und die Sozialversicherungen. Das gemeinsame Merkmal dieser Einheit ist die Produktion von Waren und Dienstleistungen z.B. Bildung, Sicherheit, Gesundheit, die zum grössten Teil über obligatorische Abgaben der anderen Sektoren finanziert werden, Steuern, Sozialbeiträge etc. 4 Private Haushalte: Alle natürlichen Personen werden diesem Sektor zugeordnet. Dazu gehören auch Einzelunternehmen. 5. Private Organisationen ohne Erwerbszweck POeE: dieser Sektor vereint alle Einheiten mit eigener Rechtspersönlichkeit, die Waren und Dienstleistungen ohne Erwerbszweck produzieren. Dazu gehören die Gewerkschaften, Verbraucherverbände, Parteien, Kirchen, Hilfswerke etc. 6 übrige Welt: die übrige Welt ist streng genommen kein Sektor, sondern fasst die übrigen Ländern zusammen, mit welchen die inländischen Sektoren durch wirtschaftliche Transaktionen verbunden sind. Aus der Schweiz fliessen viele Leistungen ins Ausland bzw. stammen von dort. Wenn wir das oben beschriebene Verfahren anwenden, um die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu erhalten, müssen wir nun die Summe der Wertschöpfung aller Sektoren bilden. Dazu gehört die Wertschöpfung von Architekten, Klobrillenproduzenten, Unterhosenherstellern, Wahrsagern ebenso wie diejenige von Lehrern, VGR- und andern Ökonomen. Wir haben bereits dargelegt, wie man die Wertschöpfung bei Unternehmungen berechnet. Wie misst man die Wertschöpfung im Sektor Private Haushalte? Zweifellos werden in privaten Haushalten eine Menge von Leistungen erbracht: Reinigung, Erziehung, Krankenpflege, Unterhaltung, Bewirtung, Psychotherapie, Gartenarbeit, Renovationen etc. . wie bei den Kapitalgesellschaften werden diese Leistungen unter erheblichem Einsatz von Produktionsfaktoren „Arbeit, Kapital, Know-How und Boden“ erbracht. Weil dabei aber keine Markttransaktionen stattfinden, finden diese Leistungen auch keine Berücksichtigung in der VGR „Hausarbeit zum Nulltarif“. In der VGR werden aber dem Sektor „Private Haushalte“ auch Einzelunternehmer und Selbständige zugerechnet. Ebenfalls der Produktion der privaten Haushalte zugrechnet werden die Produkte der Landwirtschaft, welche die Bauernfamilien selbst verbrauchen und die Eigennutzung von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Wie misst man die Wertschöpfung beim Staat und bei den POoE? Auch wenn Sie von einigen staatlichen Tätigkeiten ohne Bedauern Abschied nehmen würden, müssen Sie doch eingestehen, dass ohne die verschiedenen staatlichen Leistungen das Leben doch unangenehmer wäre „Autobahnen, Ruhe und Ordnung, Rechtssicherheit, öffentliche Schule etc.“ . Allerdings ist es schwierig, diese Leistungen zu bewerten. Denn wie bei den privaten Haushalten haben staatliche Leistungen in den meisten Fällen keinen Marktpreis, ihre Finanzierung findet eben nicht über den Verkauf, sondern über Steuern statt. Bei der Lösung dieses Problems bedient man sich mit einem statistischen Trick. Im Gegensatz zum Sektor private Haushalte kennt man in der öffentlichen Verwaltung nämlich den Aufwand „vor allem die Löhne“, der für die Leistungserstellung erforderlich war. Man nimmt deshalb an, dass die Bruttowertschöpfung der Summe aller Aufwände abzüglich der Vorleistungskäufe entspricht. Auf dieselbe Weise wird auch die Wertschöpfung bei den POeE berechnet. Wie beziehen wir das Ausland in unsere Wertschöpfung mit ein? Bei der Produktionsseite bereitet die Berücksichtigung des Auslandes überhaupt keine Probleme, denn die Exporte sind selbstverständlich im Produktionswert enthalten. Die importierten Vorleistungen werden, wie alle anderen Vorleistungen auch, vom Produktionswert abgezogen, um die Bruttowertschöpfung zu erhalten. Um die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung zu erhalten, addieren wir die Wertschöpfung der Kapitalgesellschaften, des Staates, der POoE sowie die Wertschöpfung der Einzelunternehmen und Selbstständigen aus dem Sektor „Private Haushalte“. Daraus ergibt sich folgende Definition des BIP: Das Bruttoinlandprodukt BIP ist die Gesamtheit aller im Laufe eines Jahres im Inland erbrachten Wertschöpfungen von Unternehmen, Staat und POoE. Übersicht zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung Produktionswert Wert aller Verkäufe und Werte der Bestandesveränderungen an Fertigprodukten und Wert der selbsterstellten Anlagen aller Unternehmungen, der öffentlichen Haushalte, der Sozialversicherungen und der POoE im Inland, bewertet zu Herstellungspreisen. +Gütersteuern Indirekte Steuern, z.B. Mehrwertsteuer, Tabaksteuer, Alkoholsteuer -Gütersubventionen Produktionsbeiträge des Staates -Vorleistungen Alle bezogenen und für die Produktion verbrauchten Güter und Dienstleistungen =Bruttoinlandprodukt BIP Summe aller Bruttowertschöpfungen von Unternehmungen, Staat, POoE im Inland. Inklusive nicht abzugsfähige Mehrwertsteuer und Nettoeinfuhrabgaben -Abschreibungen Wertminderung des Anlagevermögens durch Verschleiss und Alterung =Nettoinlandprodukt NIP Wertschöpfung, die man maximal verbrauchen könnte, ohne die Vermögenssubstanz der Volkswirtschaft zu gefährden. Wir haben oben das theoretische Fundament der Produktionsseite der Wertschöpfung erarbeitet. Nun wollen wir die schweizerische Wirklichkeit betrachten: