Positionspapier zur Fortpflanzung bei Zootieren

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SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS
Fortpflanzung bei
Zootieren
STS-Positionspapier
Zur Fortpflanzung bei Zootieren
Mit der Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses in den letzten zwanzig Jahren hat sich die
Einstellung der Bevölkerung zu Zoos und Zootierhaltung geändert. Nach wie vor sind Zoos und
Tierpärke bei sehr vielen Menschen geschätzte Institutionen, die von Jung und Alt gerne frequentiert werden. Gleichzeitig stellt die tierfreundliche Haltung von Zootieren heute ein wichtiges Anliegen sowohl von Nicht-Zoobesuchern als auch Zoobesuchern dar. Das Gros der Zoobetreiber hat
darauf reagiert, passt die Tiergehege peu à peu unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Erfordernisse an und betreibt Öffentlichkeitsarbeit und Imagewerbung wirkungsvoll.
Die STS-Zooberichte seit 2008 belegen, dass hier Fortschritte gemacht wurden. Entsprechend ist
in den vergangenen Jahren die Grundsatzkritik an der Zootierhaltung stark abgeflaut. Der STS
prangert tierschutzwidrige, veraltete Gehege an und lobt tierfreundliche Beispiele aus. Mit dieser
Strategie konnte er seit den 1990er Jahren erhebliche Verbesserungen zugunsten der Zootiere
erzielen.
Regelmässig sorgen hingegen Verlautbarungen der Medien zu (möglicher) Euthanasie von jungen
Zootieren für Empörung und Besorgnis unter Tierfreunden. Allerdings wird das Töten von Jungtieren in Zoos sehr selektiv wahrgenommen. Man entrüstet sich in der Regel, wenn „edle“ oder „herzige“ Tiere betroffen sind, während das Töten von überzähligen Jungtieren z.B. von Wildschweinen, Vögeln oder wilden Rauhfutterverzehrern kaum mediale Wellen wirft und das Herz trifft.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass in diesem Bereich kaum relevante Forschung bzw.
Forschungsresultate vorliegen, die klare Wertungen zuliessen. Auf die meisten Fragen, z.B.
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Wie bedeutsam ist die Fortpflanzung für das Zootier? Ist sie wichtiger, als dies bei Hund
und Katze der Fall ist, die wir standardmässig kastrieren?
Bedeutung des Verhaltenskreises „Fortpflanzung“ und seiner Einschränkung im Zoo, in
Relation zu anderen Verhaltenskreisen wie Futtersuche, Revierkontrolle. (Gibt es
„wesentliche“ und „unwesentliche“ Verhaltenskreise? Bedeutet „verhindertes Verhalten“
Leiden? Auch in freier Wildbahn?)
Unter welchen Umständen ist Fortpflanzung im Zoo aus Tierschutzsicht vertretbar?
gibt es u.E. keine einfachen, konkreten Antworten. Sämtliche Fragen lassen sich letztendlich nur
subjektiv beantworten. Ein Versuch, dies aus Tierschutzsicht zu tun, wird in diesem Diskussionsbeitrag gemacht.
Kontaktiert wurden u.a. die Vereinigung Schweizer Zoos und Wildparks (WZS), ZooSchweiz, das
Bundesamt für Veterinärwesen (BVET), die Zookritiker Mark Fischbacher (Zoologe) und Carsten
Schöne (D, freischaffender Autor und Präsident IGAR – Interessengemeinschaft artgerechte
Raubtierhaltung). Bisher geantwortet haben – unterschiedlich ausführlich und hilfreich – WZS und
die Herren Fischbacher und Schöne, nicht aber ZooSchweiz oder das BVET.
Zudem stützt sich untenstehende Recherche auf folgende Literatur und Dokumentationen im
Internet:
Sommer, R. (2005): Beitrag der wissenschaftlich geleiteten Schweizer Zoos zur Arterhaltung.
Bundesamt für Veterinärwesen, BVET. Liebefeld, Bern.
Fischbacher, M. (ZooLogic Research & Consulting): Bildung und Erhaltung von erhaltungsfähigen
Zucht- und Schaubeständen von Zootieren – wozu?
Rigi-Symposium 2003: Fortpflanzung und Aufzucht von Zootieren. Tagungsbeiträge u.a. von Dr.
Regula Vogel (Kantonstierärztin ZH), Jörg Luy (Erna-Graff Stiftung für Tierschutz), Prof. Dr. Udo
Ganslosser (Universität Erlangen), Ulrike Fiebrandt (Ethikerin, Berlin) u.a.
Mason, G. (RSPCA): Live hard, die young – how elephants suffer in zoos.
http://www.rspca.org.uk/servlet/Satellite?blobcol=urlblob&blobheader=application%2Fpdf&blobkey
=id&blobtable=RSPCABlob&blobwhere=1024473726597&ssbinary=true
Die Sicht der Zoobetreiber und Zoofachleute
Bis heute ist die vorherrschende Meinung unter Zoofachleuten und -betreibern, dass dem
Fortpflanzungsverhalten ein sehr hoher Stellenwert im Leben von Zootieren zukomme und in
Zeiten, wo natürliche Habitate gefährdet sind, die „Arterhaltung“ eine wichtige Funktion von Zoos
darstelle. Als Konsequenz daraus werden überzählige Jungtiere zumeist nach der Geburt oder
nach der Entwöhnung/Anfang Pubertät, also in Phasen, in denen auch in der Natur sehr viele
Jungtiere sterben, euthanasiert. Dazu ist relativierend zu sagen, dass die Mortalitätsraten von
(Wild-)Tieren in der freien Wildbahn und in menschlicher Obhut sich stark unterscheiden. Die Natur
ist ein harter Lehrmeister!
Zoofachleute und Zoobetreiber argumentieren ökologisch/biologisch, mit dem Vorbild der Natur vor
Augen. Sie treten für ein Recht der Zootiere auf Fortpflanzung und Jungenaufzucht ein und sehen
die Funktion von Zoos nebst anderen wichtigen Aufgaben auch in der Erhaltungszucht. Sie können
für sich in Anspruch nehmen, dass Zootiere meist länger leben als deren wildlebende Verwandtschaft und dass das Euthanasieren weit „humaner“ und schmerzloser für das betroffene Jungtier
ist, als das in der Natur der Fall wäre. Mit diesen zweifellos griffigen Argumenten konnten sie bisher stets eine Grundsatzdebatte abwenden und Kritik nach Euthanasiefällen zum Sturm im
Wasserglas umbiegen.
Bislang wurden bei der Bewertung der Frage der Fortpflanzung und Euthanasie von Zootieren
ethisch-tierindividuelle Überlegungen nicht oder kaum berücksichtigt. Just darauf aber stützt sich –
im Unterschied zu Artenschutzorganisationen – das Fundament der Tierschutzbewegung. Die
wiederkehrende, z.T. auch öffentliche Kritik, wenn Zoos überzählige, „edle“ Jungtiere
euthanasieren, zeigt, dass ein grosser Teil der Bevölkerung nebst der Artenschutzfrage auch
tierschutz-ethische Überlegungen umtreibt.
Notwendige Überlegungen aus Sicht des STS
Weder von Gesetzes wegen (TSchG, TSchV), noch aufgrund der Biologie besteht für indiviuelle
Tiere ein Recht auf Fortpflanzung. Auch in der freien Natur kommen viele Individuen nie zur
Fortpflanzung und können keine Jungen aufziehen. Wenn „artgerecht“ im Zentrum der Überlegung
steht, ist die Tatsache, dass bei sehr vielen Wildtierarten viele Männchen aber auch Weibchen nie
oder nur selten zur Fortpflanzung kommen, von grösster Bedeutung.
Befürworter der Zucht im Zoo argumentieren u.a. damit, dass ein hoher, fruchtbarer Tierbestand
wichtig sei für die Hervorbringung „sozial kompetenter“ Individuen (Behauptung im Wettbewerb),
für die Gesundheit des Bestandes (Möglichkeit zur Partnerwahl durch Weibchen, Immungenetik)
und zur Vorbeugung von Domestikationseffekten (hohe Fortpflanzungsrate, „natürliche“ Auswahl).
Zoos argumentieren beim Thema Fortpflanzung rein ökologisch/biologisch, im Interesse der
Arterhaltung/EEP‘s. Ihr tatsächlicher Beitrag zur Arterhaltung im Rahmen von EEP‘s ist aber sehr
bescheiden (siehe z.B. Sommer, 2005) bzw. bezieht sich auf Tierarten, bei denen eine Auswilderung zurzeit sehr fraglich (z.B. Gorillas, Tiger) oder gar kein Thema ist (z.B. Braunbär). Zudem
werden viel zu viele „häufige“ Tierarten vermehrt, wo kein Bedarf nach EEP besteht (Braunbär,
Wolf, einheimische Wildtiere). Aufgrund dieses geringen Leistungsausweises stellt sich denn auch
die Frage, „wozu züchten?“!
Bei einzelgängerisch lebenden Tieren ist die Separation weiblicher und männlicher Tiere weniger
problematisch als bei sozial lebenden Arten. Das Problem hierbei: Wiederkehrende Brunst ohne
Begattung fördert bei vielen weiblichen Tieren die Entstehung von Tumoren des Fortpflanzungssystems. Eine Kastration der Weibchen kann hier Abhilfe schaffen und ist, ausser einem Hang zur
Fettleibigkeit, mit weniger gesundheitlichen und psychischen Einschränkungen verbunden als die
Kastration der Männchen.
Bei sozial lebenden Arten müsste eher hormonell verhütet werden. Das Problem hierbei: Hormonelle Verhütung oder Kastration verändert u.U. das Sozialverhalten der Tiere. Fehlender Nachwuchs kann Tiergruppen destabilisieren.
Als unproblematischste – und eigenartigerweise wenig diskutierte – Methode der Populationskontrolle erscheint die Vasektomie der männlichen Tiere. Dabei werden die Samenleiter durchtrennt,
die Hoden – und damit der männliche Hormonspiegel inkl. typischen Verhaltens – beibehalten.
In Deutschland erlaubt das Tierschutzgesetz die Tötung von Tieren „nur aus gutem Grund“. Die
Kastration und Separation von Zootieren zwecks Bestandeskontrolle ist erlaubt. „Überzählig sein“
gilt in Deutschland hingegen nicht als „guter Grund“, daher dürfen einmal geborene Jungtiere nicht
getötet werden, nur weil man keinen Platz für sie findet. Was aber auch dazu führt, dass solche
Tiere öfter als in der Schweiz in schlechten Tierhaltungen landen. Das kann und darf aber für uns
keine Lösung sein!
Der „vernünftige Grund“ ist in Deutschland absichtlich nicht klar definiert. Das Gesetz muss daher
widerspiegeln, was die Allgemeinheit denkt. „Überzählig sein“ wird von der Allgemeinheit derzeit
nicht als vernünftiger Grund zur Euthanasie anerkannt. In der Schweiz dürfte der Sachverhalt ähnlich sein: Regelmässig sorgen Verlautbarungen der Zoos/Medien zur möglichen Euthanasie junger
Zootiere für landesweite Empörung und Besorgnis.
Erhaltungszuchtprogramme (EP‘s) sind gemäss WAZA/EAZA auf einen Zeitraum von 100-200
Jahren angelegt. In dieser Zeit gälte es, die bedrohten Tierarten „ex situ“ zu erhalten, bis die
natürlichen Lebensräume und Bedingungen vor Ort eine Wiederansiedlung erlaubten. Ob das
auch nur für einen Bruchteil der rund 150 allein im Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP)
gezüchteten Arten je zutreffen wird, sei dahingestellt. Es ist aber auch zynisch, die heute in Zoos
lebenden Tiere nur als genetisches „Produktionsmaterial“ zu betrachten, das evtl. in 200 Jahren
relevant sein wird, und nicht als Individuen, die hier und heute leben! Zoos betreiben derzeit also
v.a. „genetisches Management“ – das hat mit Tierschutz nichts zu tun! Zumal neueste
Erkenntnisse aus der sog. Epigenetik vermuten lassen, dass genetische Information je nach
Lebensumständen in früher Kindheit aktiviert oder deaktiviert – und dann entsprechend weiter
vererbt – wird. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass selbst sorgfältigst „gezüchtete“ (nach ihrer
genetischen Vielfalt ausgewählte und verpaarte) Tiere im Zoo sich nach einigen Generationen
genetisch deutlich von ihren wildlebenden Verwandten unterscheiden und evtl. in freier Wildbahn
nicht mehr lebensfähig sind! Im Zoo verlieren Wildtiere zudem die über Generationen überlieferten
Verhaltenstraditionen der freien Wildbahn. Ob sie daher je wieder ausgewildert werden können, ist
fraglich.
Tierschutz sollte tierindividuell, ethisch-philosophisch argumentieren und sich nicht die rein
ökologischen/biologischen Argumente der Zoos aufzwingen lassen. Tierschutz ist eine konkrete
Aufgabe im Interesse individueller Tiere. Das Öko-Argument der Zoos bringt nur einen Teil der
Realität zur Sprache. „Würde“ und „Rechte“ der einzelnen Tiere sollten u.E. aber ebenso wichtige
Argumente sein wie „Naturschutz“ und „Biodiversität“!
Wären die Zoos als „Arterhalter“ konsequent und zielorientiert, würden sie nicht Nilpferde,
Braunbären, Gorillas und Tiger züchten, deren Verhalten und Biologie komplex und/oder deren
Wiederansiedlung weiterhin sehr fraglich resp. nicht notwendig ist – sondern Reptilien! Diese
lassen sich sehr viel einfacher auswildern, verfügen nicht über komplexe Sozialverhalten wie
Säugetiere, haben sehr viel geringere Raumansprüche nur schon aufgrund ihres wechselwarmen
Körpers, und sind als „pädagogische Objekte“ für Arten- und Naturschutz attraktiv und geeignet.
Der Zoo zeigt Wildtiere ohne Wildnis, ohne die Kräfte der Natur (z.B. Mangel- und Notsituationen;
vielfältigste Flora und Fauna im Zusammenleben und sich selber regulierend; Frassfeinde). Der
Mensch hat die Verantwortung für diese Wildtiere wie für seine Haustiere übernommen, zwingt sie
in ein in jedwelcher Hinsicht stark reduziertes Gehege, in dem sie bei Ausbleiben menschlicher
Obhut/Pflege innert Kürze verhungern/verdursten oder an Krankheiten sterben würden. Letztendlich stellt auch ein Zoo eine Art Nutztierhaltung dar.
Es gibt denn auch durchaus (Klein-)Zoos und Wildparks, die Gruppen kastrierter Tiere halten und
deren Tiere damit offensichtlich keine Probleme haben, körperlich gesund sind und sich normal
verhalten.
Zoos schränken ohne Hinterfragung die Bewegungsfreiheit ihrer Tiere oft massiv ein. Sie
argumentieren damit, es gäbe keinen angeborenen Bewegungsdrang, und dieser falle fast gänzlich weg, wenn nur für ausreichend Futter und Sexualpartner gesorgt sei (das „Suchverhalten“ entfällt). Dagegen sprechen aber die simplen Beispiele des Hamsters (Selbst bei bester Futterversorgung läuft er doch stundenlang im „Hamsterrad“!) und der gesamten Nutztierethologie. Studien von
Mason & Clubb haben aufgezeigt, dass stereotype Verhaltensstörungen bei jenen RaubkatzenArten am häufigsten auftreten, die in freier Wildbahn die grössten Territorien durchstreifen, und am
seltensten bei Arten mit relativ kleineren Revieren. Dennoch wird das Streifgebiet von Zootieren
massiv eingeschränkt – dies aber von Zoos niemals ähnlich kritisch hinterfragt wie die Einschränkung der Fortpflanzung!
Denn man darf nicht vergessen: Jungtiere sind Besuchermagneten! (Insider-Tipp: Ein gut
vermarktetes Elefantenbaby generiert in einem Jahr einen Mehrwert von rund CHF 100‘000)!
Fazit
Wie bedeutsam ist die Fortpflanzung für das Zootier? Ist sie wichtiger, als dies bei Hund,
Katze und Pferd der Fall ist, die wir standardmässig kastrieren?
Es gibt unter Berücksichtigung aller für und gegen Fortpflanzung bei Zootieren sprechenden Argumente unseres Erachtens keines, das dafür spräche, die Fortpflanzung als Verhaltenskreis über
sämtliche anderen Verhaltenskreise zu stellen. Aus medizinischer Sicht stellen sich bei den
verschiedenen Formen der Verhütung dieselben Probleme, wie bei Haustieren. Die Kastration
verändert das Verhalten, macht dick – kastrierte Zootiere sind nicht mehr „wild“, werden es nie
wieder sein. Doch das trifft auch auf die meisten noch fruchtbaren Zootiere zu! Zudem gibt es die
Möglichkeit, einzelne männliche Tiere zu sterilisieren – ein minimer Eingriff, der weder Verhalten
noch Gesundheit beeinflusst. Eine weitere sinnvolle Massnahme ist die zeitweise hormonelle
Verhütung beim Weibchen – vor allem bei sozial lebenden Arten, wo das Vorhandensein von
Jungtieren in der Gruppe als „sozialer Kitt“ notwendig ist. Indem die Weibchen einer Gruppe im
Turnus(vorübergehend) hormonell empfängnisunfähig gemacht werden, verringert sich die Anzahl
Geburten pro Jahr, das einzelne Tier wird seltener Mutter, und der Einsatz von Hormonen ist
vorübergehend und betrifft das einzelne Tier nicht zeit seines Lebens. Diese Methode wird v.a. bei
Affen erfolgreich eingesetzt (z.B. Zoo Zürich).
Gibt es Arten, bei denen häufiger Geburtenkontrolle betrieben wird? Wenn ja, welche – und
warum?
Dazu konnte uns leider niemand Antwort geben. Bei Haustieren im „Streichelzoo“ (Ponys, Kamele,
Ziegen etc.) wird wahrscheinlich öfter Geburtenkontrolle betrieben, einfach weil man dies auch aus
der Haus- und Nutztierhaltung gewohnt ist. Des Weiteren werden wohl eher (allerdings immer
noch viel zu selten) Arten kastriert, die nicht an einem EEP beteiligt sind, wo nicht jeder
Nachwuchs zählt. Bei Affen wird wahrscheinlich relativ häufiger die Pille eingesetzt, weil man hier
die Auswirkungen und Handhabung vom Menschen her genau kennt.
Bedeutung des Verhaltenskreises „Fortpflanzung“ und seiner Einschränkung im Zoo, in
Relation zu anderen Verhaltenskreisen wie Futtersuche, Revierkontrolle.
Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb Fortpflanzung als Verhalten über andere
Verhaltenskreise gestellt werden soll. Arten haben trotz bester Versorgung mit Futter und
Sexualpartnern ein angeborenes Bewegungs- und Beschäftigungsbedürfnis. Dieses wird durch
enge oder überbevölkerte Gehege eingeschränkt. Auch in freier Wildbahn kommen niemals alle
Individuen zur Fortpflanzung – ein „Recht auf Fortpflanzung“ gibt es in der Natur nicht. Wenn es
genügend Auslauf, Bewegungs-, Beschäftigungs- und Versteckmöglichkeiten hat und zusammen
mit Sozialpartnern lebt, wird u.E. ein Tier kaum unter fehlender Fortpflanzung „leiden“. Ein in
seinem Bewegungs- oder Beschäftigungsbedürfnis stark eingeschränktes Tier hingegen kann z.B.
stereotype Verhaltensstörungen und damit im Sinne der Tierschutzgesetzgebung Leiden entwickeln. Verhaltensstörungen, die direkt auf fehlenden Nachwuchs/Fortpflanzung zurückzuführen
sind, sind uns dagegen nicht bekannt. Eher kommt es aufgrund fehlender Fortpflanzung zu
gesundheitlichen (hormonellen, Gewichts-, krebsartigen) Störungen – zumindest das Krebsrisiko
kann aber durch eine Kastration reduziert, das Gewicht durch angemessene Fütterung und Bewegung kontrolliert werden.
Unter welchen Umständen ist Fortpflanzung im Zoo aus Tierschutzsicht vertretbar?
Folgende Bedingungen sollten erfüllt sein – je mehr, desto besser!
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Es besteht ein Bedarf nach Nachzuchten einer Art; künftige Plätze sind bereits gesichert.
Fortpflanzung wird im Rahmen eines EEP‘s kontrolliert; jeglicher Nachwuchs ist genetisch
wertvoll, soll am Leben erhalten und seriös weiter platziert werden.
Die Art ist nicht nur in ein EEP, sondern in ein konkretes Wiederansiedlungsprojekt integriert.
Die Tiere leben in artgerechten Gehegen, die deutlich über den Mindestvorschriften der
TSchV liegen.
Von der Art gibt es in den europäischen/weltweiten Zoos nicht schon zu viele Tiere
Die Fortpflanzung ist für die Tierart besonders wichtig – z.B. Jungtiere als sozialer Kitt bei
hoch sozialen Arten wie Affen, Löwen.
Auch andere Verhaltenskreise wie Nahrungssuche/-erwerb und Revierkontrolle werden
durch grosszügige Gehege und vielfältiges behavioural enrichment angeregt und gefördert.
Die Wurfgrösse der Weibchen kann ziemlich gut eingeschätzt werden, so dass die Zahl
unerwarteter, überzähliger Jungtiere minim bleibt.
Der Zoo konzentriert sich auf die Haltung weniger, ausgesuchter Tierarten; verzichtet auf
„0815-Arten“ und deren Vermehrung.
Ziel soll immer sein, nicht mehr Jungtiere auf die Welt zu bringen, als später genügend gute Plätze
für diese vorhanden sind.
Nachtrag: Stellungnahme des STS zum „Fall Dählhölzli“ (2014)
Welches ist die Position des STS in Bezug auf die Fortpflanzung (Nachzucht) von
Zootieren?
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Die Nachzucht von insbesonders „problematischen“ Wildtieren wie Bären (weil es von
diesen bereits viel zu viele in menschlicher Obhut gibt und zudem kein Bedarf für
Erhaltungszucht besteht) ist grundsätzlich nur dann ethisch überhaupt rechtzufertigen,
wenn zum Voraus für die Jungtiere ein artgerechtes Leben gewährleistet ist. Ist das nicht
gesichert, handeln die Betreiber von Zoos und Tierparks unethisch und den Tieren
gegenüber, die sie in ihrer Obhut haben, verantwortungslos.
Bei einem tragischen Vorfall im Tierpark Dählhölzli wurde jüngst (Frühjahr 2014) ein junges
Bärchen vom männlichen Bären getötet, weil man die Mutterfamilie nicht vom
Bärenmännchen trennen wollte. Die Verantwortlichen des Tierparks argumentieren, das sei
ein Naturgesetz, d.h. das geschehe in der freien Natur auch.
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In der freien Natur haben solche Vorfälle ihre Gründe. Wenn aber Wildtiere in Gefangenschaft gehalten werden, auch wenn ihre Haltung so artgerecht wie möglich (und aus Sicht
des Tierschutzes akzeptabel) ist, dann spielen die Gesetze der freien Natur nicht mehr. Die
Argumentation der Verantwortlichen ist unhaltbar.
Die Leitung des Tierparks hat beschlossen, den Bärenvater auch nach dem ersten Infantizid
nicht von der Bärin zu trennen, weil es für das aneinander gewohnte Bärenpaar einen zu
grossen Stress bedeuten würde.
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Damit nahmen die Verantwortlichen bewusst in Kauf, dass dem zweiten Bärchen das
gleiche Schicksal droht wie dem bereits getöteten. Aus Sicht des Tierschutzes ist dieser
unbegreifliche Entscheid tierverachtend und durch nichts rechtzufertigen. Jeder normal
empfindender Mensch muss in einer solch schwierigen Situation das Lebensrecht eines
Jungtieres höher gewichten als ein vorübergehender (!) „Stress“ der Elterntiere.
Basel, im April 2014
SW/HUH/STS
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