Die Geburt Jesu (as.s.) ist auch für Muslime ein großes Fest. Dialog Jesus (a.s.) aus der Sicht des Heiligen Qur’an S. A. Hosseini Ghaemmaghami* Für uns Muslime ist es eine besondere Freude, dass in diesem Jahr das Geburtsfest Jesu mit dem großen Fest der Muslime, dem Opferfest, zusammenfällt. Wenngleich in vielen Gesellschaften Muslime und Nichtmuslime schon länger zusammen leben, ist es leider immer noch so, dass sie keine genaue und umfassende Kenntnis voneinander haben. Vor allem die Nichtmuslime haben oftmals wenig Kenntnis von den Muslimen, so dass sie zuweilen auch der Meinung sind, Weihnachten hätte für die Muslime keine Bedeutung, obwohl Jesus (a.s.) für uns Muslime eine besondere und heilige Persönlichkeit ist. Deshalb möchte ich nachfolgend eine kurze und zusammenfassende Darstellung von Jesus (a.s.) aus der Sicht des Heiligen Qur’an geben. Jesus (a.s.) aus der Sicht des Heiligen Qur’an Im Heiligen Qur’an ist von einigen von Gott auserwählten Persönlichkeiten und deren Besonderheiten die Rede. Jesus (a.s.) hat einen solchen hohen Rang, und in mehr als einhundert Qur’anversen und in unzähligen Überlieferungen der islamischen Tradition ist von ihm die Rede. Das Bild, das der Heilige Qur’an von Jesus zeichnet, macht deutlich, dass er in der Geschichte der Menschheit eine besondere Persönlichkeit mit außergewöhnlichen Charaktereigenschaften war. Seine besondere Stellung wurde bereits bei seiner Geburt ersichtlich. Seine Mutter, die heilige Maria (a.s.), die diesen Knaben auf die Welt bringen sollte, hat die traditionellen Strukturen zu ihren Lebzeiten umgeformt. Im Gegensatz zu der falschen Überzeugung der Menschen jener Zeit, wonach Frauen der Dienst in heiligen Stätten nicht erlaubt war, hat sie ihre gesamte Kindheit im Tempel verbracht. Durch ein Wunder Gottes hat sie Jesus (a.s.) auf die Welt gebracht; die Zeit ihrer Schwangerschaft1 und der Geburt Jesu (a.s.) geht einher mit Wundern, wie dem Herabfallen reifer Datteln2, oder dem Fließen eines kleinen Bächleins zu ihren Füßen3, das Sprechen Jesu (a.s.) in der Wiege und das Eintreten für seine Mutter und seine Verteidigung ihrer Reinheit und Heiligkeit gegenüber der Verunglimpfung einiger Frauen4 und denjenigen, die Maria (a.s.) verleumdeten5 - dies alles sind die Besonderheiten, die für keinen anderen von Gott auserwählten Menschen im Heiligen Qur’an genannt werden, sondern der Qur’an nennt diese Besonderheiten einzig im direkten Zusammenhang mit Jesus (a.s.). Aus qur’anischer Sicht ist Gott nicht getrennt vom Menschen und sein Freund, denn das Wesen des Menschen und seine Identität haben eine göttliche Natur6, und es gibt keine Trennung zwischen Gott und Mensch. Vater und Sohn haben normalerweise eine enge und liebevolle Beziehung zueinander, aber letztlich ist der Sohn nicht der Vater und umgekehrt; beide sind zwei voneinander getrennte Wesen. Das göttliche Wesen des Menschen negiert jedoch jegliche Getrenntheit von Gott. Der Mensch kann vielmehr seinen Abstand zu Gott verringern und beseitigen, wenn er sein ihm innewohnendes göttliches Wesen entdeckt und manifestiert. Im Heiligen Qur’an setzt sich Gott an die Stelle des Menschen und schreibt sich sogar die schwächste Eigenschaft des Menschen, nämlich „Bedürftigkeit“ zu, und Er erwähnt, dass die Hilfe für einen bedürftigen Menschen der Hilfe für Gott entspricht.7 Aber diese Einigkeit von Gott und Mensch ist nicht gleichbedeutend mit einer Materialisierung (d. h. Materie werden) Gottes, sondern sie geht zurück auf das wahre Wesen des Menschen, das ein göttliches Wesen ist. Jeder Al-Fadschr Nr. 130 61 Mensch, der diese Wahrheit kennt und diese Wahrheit entdeckt, bekommt die göttlichen Eigenschaften, und je größer seine Kenntnis wird, desto deutlicher manifestieren sich diese göttliche Wahrheit und die göttlichen Eigenschaften im Menschen. Der Mensch, der einen hohen Rang der Vervollkommnung erreicht, kann den Abstand zwischen sich und Gott beseitigen und alle göttlichen Eigen- Leben eingehaucht, so dass sie davon fliegen konnten.13 Außer für Jesus (a.s.) werden im Heiligen Qur’an für keinen anderen von Gott auserwählten Menschen vergleichbare Besonderheiten nachgewiesen. Aus der Sicht des Heiligen Qur’an ist Jesus (a.s.) nicht Gott, sondern der eine und einzige Gott, der alle Menschen erschaffen hat, hat auch Jesus (a.s.) erschaffen. Aber Jesus (a.s.) ist insofern besonders Schwerpunkt Islamische Philosophie und Mystik. 2004 übernahm er als Stellvertreter der großen religiösen Autoritäten die Leitung des Islamischen Zentrums Hamburg, der Islamischen Föderation in Europa sowie den Vorsitz der Europäischen Union der schiitischen Gelehrten. Anmerkungen: 1 Sure Maryam (19), Verse 16-19. Sure Maryam (19), Vers 25. 3 Sure Maryam (19), Vers 24. 4 Sure Maryam (19), Verse 29-30. 5 Gemäß den Evangelien blieb er angesichts dieser Verleumdung still und unternahm nichts zur Verteidigung der Heiligkeit Marias (a.s.). 6 S. Sure al-¼iºr (15), Vers 29. 7 S. Sure al-Baqara (2), Vers 245; Sure al-MÁ’ida (5), Vers 12 und Sure al-¼adÍd (57), Vers 11. 8 Sure Àl-þImrÁn (3), Vers 49. 9 Ebd. 10 Sure al-MÁ’ida (5), Verse 112-114. 11 „Er macht lebendig und lässt sterben…“; Sure YÚnus (10), Vers 56. 12 S. FurÚþ kÁfÍ, Bd. 1, S. 72; Ibn alAÝÍr: Al-KÁmil fÍ-l-tÁrÍ¿, Bd. 1, S. 315. 13 Sure Àl-þImrÁn (3), Vers 49. 14 In einer ausführlichen Überlieferung von ImÁm MÚsÁ al-KÁãim (a.s.), dem achten schiitischen Imam und Nachkommen des geehrten Propheten des Islam (s.a.s.), wurde dies erläutert: „Maryam (a.s.) wurde an einem Freitagmittag schwanger. An diesem Tag kam der vertrauenswürdige Geist (Gabriel) zur Erde, und für die Muslime gibt es kein schöneres Geschenk. Gott, der Erhabene, hat diesen Tag als großartigen Tag gezählt, und auch Muhammad (s.a.s.) hat ihn als großartig gezählt und angeordnet, dass dieser Tag als Festtag gezählt wird, und dieser Tag ist der Freitag. (Al-KulaynÍ: Al-KÁfÍ, Bd. 1, S. 478). 15 Im Heiligen Qur’an spricht Jesus: „Und Friede war über mir an dem Tage, als ich geboren wurde, und (Friede wird über mir sein) an dem Tage, wenn ich sterben werde, und an dem Tage, wenn ich wieder zum Leben erweckt werde.“ 2 „Es kommt ein Mann, dessen Atem wie der des Messias nach jemandem duftet.“ schaften in sich verwirklichen. Der ausgezeichnet, als er die höchste Weg zur Vervollkommnung und zum Ebene der Vollkommenheit, d. h. die Göttlichwerden steht allen Menschen vollkommene Erscheinung Gottes in offen, aber es gab im Laufe der Ge- Form aller göttlichen Eigenschaften schichte nur ganz wenige Ausnah- in sich erreicht hat. men, die diesen höchsten Rang er- Aus all diesem wird deutlich, dass reicht haben, und aus der Sicht des Jesus für uns Muslime als heilig und Heiligen Qur’an ist Jesus (a.s.) die großartig geehrt wird, und so ist es größte dieser Ausnahmen in der Ge- auch nur natürlich, dass sein Geschichte. Die Heilung von Aussätzi- burtstag auch für uns Muslime ein gen8, die Bekanntgabe des Verborge- großes Fest ist. In einer Überliefenen9 oder die Herabsendung von rung vom Propheten des Islam (s.a.s.) Essen10 sind göttliche Eigenschaften, wird als Grund für die besondere die in Jesus manifest wurden, und Würdigung des Freitags als großer von denen der Qur’an spricht. Die und gesegneter Tag im Islam der wichtigste Eigenschaft Gottes ist das Geburtstag Jesu genannt, der auf zum Leben erwecken und Sterben einen Freitag gefallen ist.14 lassen11, und aus den islamischen Friede war über ihm an dem Tag, an Quellen geht klar hervor, dass Jesus dem er geboren wurde, und Friede (a.s.) dies Fähigkeit hatte und die war über ihm an dem Tag, an dem er Toten wieder lebendig machte12. zu Gott zurückkehrte, und Friede Die besondere göttliche Eigenschaft, wird über ihm sein an dem Tag, an an der wir Gott erkennen, ist die dem er wieder auferstehen wird.15 Eigenschaft des Schöpfers und die Und der Friede sei mit euch und die Schöpfung selbst. Im Qur’an wird in Gnade Gottes und Seine Segnungen. einigen Versen darauf hingewiesen, dass Jesus (a.s.) auch diese göttliche * Ayatollah Seyyed Abbas Hosseini Eigenschaft hatte. Er hat aus Lehm Ghaemmaghami ist islamischer Figuren geformt und ihnen dann Rechtsgelehrter und Theologe mit 62 Al-Fadschr Nr. 130