Workshop “Moderne Krankheiten”

Werbung
Workshop
“Moderne Krankheiten”
Prof. Dr. med. Roland von Känel
Praxis für Psychosomatische Medizin Bern
Institut für Verhaltenswissenschaft, ETH Zürich
Rheinfelder Tage
21. November 2003
1
Gliederung des Workshops
•
•
•
•
•
•
Fallbeispiel aus der Praxis
Erstkontakt mit dem „Modernen Patienten“
Mitteilung einer „Modernen Diagnose“
Gretchenfrage: Psychisch od. organisch
od. noch „moderner“?
Umgang mit „Modernen Therapien“
Komorbidität mit einer psychischen
Störung
2
Herausforderung No 1:
Erstkontakt mit dem “Modernen Patienten”
• Sie sind der 37. Doktor, den ich in den
•
•
letzten 2 Jahren sehe!
Sie sind meine letzte Hoffnung!
Die anderen Doktors haben gesagt mir
fehle nichts, es sei nur psychisch!
Was denken Sie?
Wie fühlen Sie sich?
Was tun Sie?
3
Einstellungen und Gefühle bei Ärzten
gegenüber Patienten mit CFS und FM
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Psychologische Ursachen im Vordergrund
Fordernd, kritisch, misstrauisch/skeptisch
Unzufrieden, pessimistisch, problem-fixiert
Erholen sich nicht, wollen nicht kooperieren
Nicht willig, ihre Situation zu akzeptieren
Lassen sich nicht helfen
Dankbar für erhaltene Hilfe
Offen für ein Gespräch
Oft ambivalent: positive Gefühle gemischt mit
Gefühlen von Zweifel und Verwirrtheit
Asbring & Narvanen, Soc Sci Med 2003;57:711
4
Wie typisieren Ärzte Ihre Patienten mit CFS /FM?
• Der Ehrgeizige: stellt an sich hohe Ansprüche im
•
•
•
•
Umgang mit der Krankheit.
Der Aktive: sammelt Informationen und setzt sich mit
der Krankheit auseinander (Optimist).
Der Fixierte: ist von seiner Krankheit übermässig
eingenommen (Pessimist).
Der Anspruchvolle: hartnäckig im Verlangen von
Abklärungen und Therapien (Skeptiker).
Der Medikalisierende: beharrt auf medizinischen
Erklärungen für die Krankheit und lässt Verhaltens- und
Persönlichkeits-Faktoren nicht zu (Abwehr von Schuldgefühlen und der Übernahme von Verantwortung).
Asbring & Narvanen, Soc Sci Med 2003;57:711
5
Welche therapeutischen Strategien wenden Ärzte
im Umgang mit Ihren Patienten mit CFS an?
• Idealvorstellung der Realität anpassen (Herabsetzen der
•
•
•
•
•
Ansprüche, was ein Arzt erreichen sollte).
Etwas Konkretes unternehmen(Untersuchungen, Überweisungen,
Therapien inkl. Medikamente).
Abgrenzung - auf Distanz gehen (Supervision, Praxisorganisation:
wenig Zeit haben!).
Andere Ursachen als medizinische suchen.
Dem Patienten Verantwortung übergeben (Begleiten des
Patienten).
Versuch, den Erkrankten zur Akzeptanz seiner Krankheit zu führen
(Ausschluss bösartiger Krankheiten, Krankheit gehört zum Leben,
Normalisierung des Zustands).
Asbring & Narvanen, Soc Sci Med 2003;57:711
6
8 Tips für den Patienten / die Patientin mit CFS
1. Finde einen guten Doktor
2. Vorsicht vor Wunderheilern oder –heilungen
3. Evaluiere den Erfolg “alternativer” bzw.
4.
5.
6.
7.
8.
komplementärer Therapien nach 6 Wochen
Suche Dir einen Coach
Verbessere Dein soziales Netzwerk
Bewahre eine positive Haltung
Verlerne nicht zu lachen
Prüfe Ansprüche auf finanzielle Unterstützung
Natelson BH. Facing & Fighting Fatigue. A Practical Approach.
New Haven, Yale University Press, 1998
7
Herausforderung No 2:
Mitteilung einer “Modernen Diagnose”
• Bisher hat mir jeder Arzt gesagt, was ich
•
•
nicht habe. Herr Doktor, wie heisst meine
Krankheit?
Ich will jetzt endlich wissen, was ich habe!
Herr Doktor, ich habe gestern auf dem
Internet eine Seite gefunden über das
“sick building syndrom”. Das sind genau
die Symptome, die ich habe. Habe ich
auch ein SBS? Soll/muss ich umziehen?
8
Diskussionspunkte
• Hat der Patient ein Recht auf eine Diagnose?
• Soll die Diagnose überhaupt mitgeteilt
•
•
•
•
werden?
Wenn ja, welche Diagnosen sollen mitgeteilt
werden?
Welche Diagnose für welchen Patienten?
Was kann hinter der Absicht stehen, eine
Diagnose mitzuteilen?
Was sind die Gefahren, wenn eine Diagnose
mitgeteilt wird?
9
Herausforderung No 3:
Gretchenfrage: Psychisch oder organisch
oder noch “moderner”?
• Alle sagen, mir fehle nichts, es sei nur
•
•
•
psychisch/psychosomatisch. Ich “spinne”
doch nicht!
Habe ich nun eine psychische oder eine
körperliche Krankheit?
Bilde ich mir alles nur ein? Ist alles nur im
Kopf?
Die Anderen müssen doch denken, dass
ich simuliere und ein Drückeberger bin.
10
Was tun bei funktionellen Beschwerden, wenn in der Praxis
nur 15 min zur Verfügung stehen…?
• Gefühl vermitteln, verstanden zu sein
• Nicht zu früh “psychologisieren”
• Erweiterung der Agenda des Patienten
- Rückmeldung über bisherige Untersuchungen
- Wirklichkeit der Symptome anerkennen
- Anerkennt Patient psychosoziale Faktoren?
• Herstellung der Verbindung Psyche – Soma
- Suche nach Modulatoren der Symptomatik
- psychophysiologische Erklärung
- kompatibel mit Erklärungsmodell des Patienten
- entspricht Bedürfnissen des Patienten
• Aushandeln der weiteren Behandlung
Morriss & Gask, Psychosomatics 2002;43:394
11
Psychische oder organische Ursache?
– eine obsolete Unterscheidung!
• Neurobiologische Studien
• Studien zu Umwelt-Gen-Interaktion
Die Frage ist höchstens wieviel von welchem?
12
Does Rejection Hurt? An fMRI Study on Social Exclusion
Der Schmerz jemanden zu verlieren, wird durch die gleichen Hirnareale
vermittelt wie körperlicher Schmerz: gemeinsames neurobiologisches Korrelat!.
Eisenberger et al, Science 2003;302:290
13
Influence of Life Stress on Depression:
Moderation by a Polymorphism in the 5-HTT Gene
Caspi et al, Science 2003;301:386
14
Herausforderung No 4:
Umgang mit “Modernen” Therapien
• Herr Doktor, ich habe im Internet gelesen, dass
•
•
eine Patientin in Texas nach Einnahme von
Ampligen nicht mehr müde war?
Herr Doktor, soll ich mein Amalgam rausnehmen
lassen oder mein Amalgam ausleiten?
Dr. X. hat in der Glückspost geschrieben, dass er
mit einer Nervendurchtrennung
Nackenschmerzen bei Schleudertraumapatienten
heilen kann. Können Sie mich an Dr. X.
überweisen? Warum haben Sie mich nicht schon
lange überwiesen?
15
Pragmatisches Vorgehen des Referenten
• Schadet die Therapie nichts, dann nützt sie vielleicht etwas.
• Ist der Patient bereit Energie und Geld zu investieren?
• Kritische Evaluation der Therapie nach 6 Wochen.
Stopp, wenn keine Wirkung bzw. Fortsetzen, wenn‘s etwas bringt.
• Nur eine moderne Therapie auf einmal (Evaluation des
•
•
•
Therapieerfolgs).
Klärung der Erwartungen an die Therapie.
Vorwegnahme von (programmierter) Enttäuschung, ohne den
Mahnfinger zu erheben.
Hinterfragen der Arzt-Patienten-Beziehung beim wiederholten
Wunsch nach „modernen Therapien“ (mangelhaftes Vertrauen?
Aktivismus des Arztes in der Gegenübertragung?).
Natelson BH. Facing & Fighting Fatigue. A Practical Approach.
New Haven, Yale University Press, 1998
16
Herausforderung No 5:
Komorbidität mit einer psychischen Störung
Mayou & Farmer, BMJ 2002;325:265
17
Screening Fragen für psychische Störungen
• Wichtig: Depression, Angst, PTSD
• Traurige, niedergeschlagene Stimmung,
•
•
•
•
•
•
Freudlosigkeit
Gezieltes Abfragen körperlicher/vegetativer
Angstäquivalente „von Kopf bis Fuss“
Unsicherheit über Zukunft
Angstgefühle „wie angeworfen“
Verhalten in Menschenmengen
Vermeidungsverhalten
Schlaf/Träume
18
Herunterladen