FernUniveristät Hagen Prof. Dr. Holger Lengfeld SOZIALE EXKLUSIONSLAGEN UND IHRE INDIVIDUELLE VERARBEITUNG. AM BEISPIEL VON WOHNUNGSFLÜCHTERN IN MÜNCHEN Eingereicht als: Verfasserin: Magisterabschlussarbeit Angela Wernberger im Hauptfach Soziologie Ernsdorferstr. 12a 83209 Prien am Chiemsee Eingereicht am: [email protected] 02.Oktober.2008 Matr.Nr. 5366585 1 2 1 Einleitung .................................................................................................... 5 2 Allgemein-theoretische Konzepte als Rahmen der Untersuchung ............... 8 2.1 2.1.1 Exklusion als neue soziale Frage ........................................................................ 8 2.1.2 Der Exklusionsbegriff in der Armuts- und Ungleichheitsforschung ................. 11 2.1.3 Exklusion als gesellschaftsanalytische Kategorie ............................................. 14 2.1.4 Exklusion als Prozess ........................................................................................ 18 2.1.5 Exklusion als objektive Lebenslage .................................................................. 22 2.1.6 Exklusion als subjektive Erfahrung ................................................................... 25 2.2 3 Soziale Exklusion......................................................................................................... 8 Stadt, Raum und Gesellschaft .................................................................................. 31 Methodische Konzeption und Durchführung der Untersuchung ............... 36 3.1 Methodologische Vorüberlegungen ........................................................................ 36 3.1.1 Erkenntnistheoretische Leitgedanken ............................................................. 36 3.1.2 Hermeneutisches Verstehen und qualitativ-empirische Forschung ................ 39 3.1.3 Theoriegeleitete Sozialforschung ..................................................................... 41 3.1.4 Das problemzentrierte Interview - Darstellung und Begründung der Erhebungsmethode .......................................................................................... 44 3.2 Forschungsleitende Hypothesen und Leitfadenentwicklung ................................... 47 3.3 Stichprobenbildung .................................................................................................. 49 3.4 Durchführung der Untersuchung und Datenerhebung ........................................... 51 3.4.1 Aktenstudium ................................................................................................... 53 3.4.2 Ethnographischer Zugang zum Feld ................................................................. 54 3.4.3 Teilnehmende Beobachtung ............................................................................ 57 3.4.4 Problemzentrierte Interviews mit Wohnungsflüchtern................................... 59 3.4.5 Reflexionen der Untersuchungsdurchführung................................................. 61 3.5 4 (Modifizierte) Auswertung problemzentrierter Interviews ..................................... 65 Ergebnisse der Untersuchung .................................................................... 67 4.1 Die Gruppe im Park .................................................................................................. 67 4.2 Wohnungsflucht als Form sozialen Handelns .......................................................... 70 3 4.3 5 Soziale Exklusion in biographischen Selbstbeschreibungen .................................... 74 4.3.1 Die Bedeutung des Selbstwerterhalts in exkludierten Lagen .......................... 75 4.3.2 Wege in die Exklusion und deren individuelle Begründung ............................ 77 4.3.3 Typische Handlungs- und Deutungsmuster ..................................................... 82 4.3.4 Sozial exkludierte Individuen und Formen gesellschaftlicher Selbstverortung 84 4.4 Exklusion und individuelle Lebensführung............................................................... 88 4.5 Gesellschaftliche Stigmatisierung und deren Verarbeitung .................................... 92 4.6 Pflaster verwundeter Seelen – das Tier an meiner Seite ......................................... 94 Fazit ........................................................................................................... 96 Literaturverzeichnis: ............................................................................................................... 100 Tabellenverzeichnis und Abbildungsverzeichnis .................................................................... 109 Anhang.................................................................................................................................... 110 Erklärung der Verfasserin ....................................................................................................... 111 4 1 Einleitung Soziale Ungleichheit ist wieder zum Thema geworden in den Sozialwissenschaften. Unter dem Begriff ‚Exklusion’ verschiebt sich dabei der ehemals ausschließlich auf Versorgungsdefizite gerichtete Blick auf das umfassendere Phänomen des sozialen Ausschlusses und der sozialen Benachteiligung. Nicht mehr Armut als Versorgungsdefizit und ungenügendem materiellem Lebensstandard, sondern Armut als Integrationsdefizit steht im Mittelpunkt der Betrachtung (Böhnke, 2006, S. 10) und verweist damit auf die fehlenden oder mangelhaften gesellschaftlichen Zugehörigkeitsoptionen immer breiterer Bevölkerungsschichten. Soziale Exklusion wird zur Metapher eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses, in dessen Rahmen die bisherigen Integrationsmodi Erwerbsarbeit, soziale Beziehungen und Wohlfahrtsstaat erheblichen Veränderungen unterworfen sind. Aus diesem Grund spricht Kronauer (2002) dem Konzept der sozialen Exklusion gesellschaftsanalytische Kraft zu. Es stellt zwar keine neue Kategorie der Sozialstrukturanalyse dar (vgl. Vogel 2004), doch erweitert es diese durch die Berücksichtigung individueller Eingebundenheit in soziale Netzwerke so wie individueller Lebensläufe und Erwerbsbiographien. Insgesamt betrachtet soll das Subjekt unter der Prämisse der Exklusion verstärkt in die gesellschaftlichen Analysen miteinbezogen werden. Nach Jahren der überwiegend theoretischen Diskussion wird dies nun auch verstärkt empirisch umgesetzt (vgl. Bude & Lantermann 2006; Damitz & Eierdanz 2008). Die vorwiegend quantitative Ausrichtung dieser Untersuchungen lässt dabei häufig die individuellen Unterschiede in der Verarbeitung sozialer Exklusion und die daraus resultierenden spezifischen Handlungs- und Deutungsmuster unberücksichtigt. Soziale Ausgrenzung manifestiert sich aber ganz wesentlich in den Alltagserfahrungen der Individuen. Ziel der hier dargestellten empirischen Studie ist es, die subjektiven Erfahrungen und Verarbeitungsmodi sozial exkludierter Individuen zu erfassen. Im Rahmen qualitativer Interviews kamen sozial exkludierte bzw. von Exklusion bedrohte Menschen zu Wort, um mit ihrer eigenen Stimme über ihre individuellen Lebensverläufe in die soziale Benachteiligung, ihre Alltagserfahrungen mit dieser und wie sie diese verarbeiten, zu berichten. Die zur Diskussion stehende Forschungsfrage war: Wie verarbeiten Individuen eine objektiv sozial exkludierte Lebenslage? Welche Auswirkung hat die Erfahrung sozialen Ausschlusses auf ihren Selbstwert, ihre Deutungs- und Handlungsmuster und ihre gesellschaftliche Selbstverortung? Wie gestalten sie ihre Lebensführung unter Exklusionsbedingungen und wie gehen sie mit gesellschaftlicher Stigmatisie5 rung um? Und nicht zu letzt, wie erklären sie sich selbst den erfahrenen Prozess ihrer sozialen Exklusion? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden problemzentrierte Interviews mit so genannten Wohnungsflüchtern in München, Stadtteil Giesing, durchgeführt. Als Wohnungsflüchter werden Personen in prekärer finanzieller Lage bezeichnet, die tagsüber öffentliche Plätze aufsuchen, um der Langeweile und Einsamkeit ihres Alltages zu entgehen und ihr Bedürfnis nach Teilhabe am öffentlichen Leben zu befriedigen. Im gesamten Stadtgebiet Münchens treffen sich verschiedenste Gruppen von Wohnungsflüchtern an den unterschiedlichsten Plätzen. Sie weisen eine enge Verbundenheit zum jeweilig besuchten Platz auf, der sich in räumlicher Nähe ihrer Wohnung befindet und den sie regelmäßig mehrmals die Woche bis hin zu täglich, über Jahre hinweg, besuchen. Der Platz wird so zum zentralen Lebensraum der Wohnungsflüchter. An den öffentlichen Plätzen suchen und finden sie, was in ihrer alltäglichen Lebenswelt verloren gegangen scheint: die Möglichkeit zur Kommunikation, zum Austausch und zu sozialen Kontakten. Gleichzeitig machen sie hierdurch ihre exkludierte Soziallage öffentlich und sichtbar. Städtische Öffentlichkeit wird einerseits genutzt zur Bedürfnisbefriedigung, andererseits zur performativen Darstellung der eigenen Defizitsituation. Im sozialen Phänomen der Wohnungsflucht treten sich im öffentlichen Raum der Großstadt die konstituierenden Kategorien derselben gegenüber: Öffentlichkeit und Privatheit. Die private Exklusionssituation wird öffentlich gemacht und die öffentlichen Reaktionen darauf müssen ‚privat’ verarbeitet werden. Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wird der theoretische Rahmen, in den die Untersuchung eingebettet ist, dargestellt. Es gilt die theoretischen Implikationen des Exklusionskonzeptes zu klären und so das Fundament für die nachfolgenden empirischen Interpretationen zu legen. Einen eigenen Punkt stellen die Kategorien Stadt - Raum - Gesellschaft und deren Bezüge zu einander dar. Bei der Studie handelt es sich um eine qualitative empirische Forschungsarbeit. Darunter versteht man eine sinnverstehende, interpretative wissenschaftliche Verfahrensweise der Erhebung und Auswertung sozial relevanter Daten. Qualitative Forschungsmethoden beziehen sich in der Interpretation auf die subjektiven Sichtweisen und die konkreten Erfahrungen der Befragten. Im Ergebnis geht es darum, typische Deutungs- und Handlungsmuster zu 6 beschreiben und daraus Schlussfolgerungen abzuleiten. So können mit Hilfe qualitativer Forschungsmethoden aus relativ geringen Fallzahlen valide Aussagen abgeleitet werden. Die methodologischen Vorüberlegungen der Erhebung, die forschungsleitenden Hypothesen und der sich daraus ableitende Interviewleitfaden, das Sampling so wie die Durchführung der Untersuchung und deren Auswertungsverfahren werden im zweiten Abschnitt dargestellt. Im dritten Teil werden die Ergebnisse der Studie dargestellt und das Fazit aus der Studie wird im abschließenden vierten Teil gezogen.1 1 Die auf der letzten Seite beigelegte CD enthält alle im Anhang aufgeführten Materialien, wie die voll- ständig transkribierten Interviews, den Interviewleitfaden, den verwendeten soziodemographischen Fragebogen und das Postskriptum sowie die angewendeten Transkriptionsregeln. Außerdem die Vorinformationen, welchen den Interviewpartnern bei der Vereinbarung eines Interviews mündlich dargestellt wurden. 7 2 Allgemein-theoretische Konzepte als Rahmen der Untersuchung 2.1 Soziale Exklusion 2.1.1 Exklusion als neue soziale Frage Im Jahre 1989 fasste die Europäische Gemeinschaft den Beschluss, „ihre Aktionen gegen Armut und Arbeitslosigkeit unter das Motto des Kampfs gegen ‚social exclusion’ zu stellen (Callies 2004, S. 17f.). Dieser Terminus wird in Deutschland mit sozialer Ausgrenzung, sozialem Ausschluss und immer häufiger mit sozialer Exklusion übersetzt. Soziale Ausgrenzung ist sowohl ein analytischer als auch ein normativer Begriff und beruht als solcher auf gesellschaftlichen Zuschreibungen. Die Diskussion um soziale Ausschließungsprozesse fand in Deutschland erst verspätet statt. Vorreiter der Diskussion war für den angloamerikanischen Raum die USA mit dem Konzept der „underclass“ und für den europäischen Raum Frankreich. Der angelsächsische Underclass-Begriff bezieht sich auf die systematische Benachteiligung aufgrund von Stigmatisierungen angesichts angeborener oder zugeschriebener Merkmale. Der französische Exklusionsbegriff bezieht sich auf die Vorstellung eingeschränkter gesellschaftlicher Teilhabe auf Grund eines Mangels an Kultur, Bildung und Lebensart (Willisch 2008, S. 64). Sowohl in den oben genannten als auch im Deutschen Diskurs findet die Debatte zunehmender Ausschließungsprozesse innerhalb der jeweiligen Gesellschaft unter einem spezifischen Paradigma statt, welches jeweils einer anderen politischen Philosophie nahe steht und spezifische Vorstellungen dessen repräsentiert, was unter dem jeweiligen nationalen Kontext als gesellschaftliche Integration und soziale Gerechtigkeit zu verstehen ist und wie das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zu definieren ist. Hilary Silver (1995) unterscheidet diesbezüglich das Solidaritäts-Paradigma für die USA, das Spezialisierungs-Paradigma für Frankreich und das Monopol-Paradigma für Deutschland. Letztgenanntes begreift Ausgrenzung als Folge von Gruppenmonopolen. „In Anlehnung an Max Weber weist Silver auf die Ausgrenzungsfunktion von Statusgruppen hin. Gemeinsam geteilte Kultur und Identität innerhalb einer Statusgruppe führe zu sozialer Schließung und definiere somit gleichzeitig ihr normatives Gegenteil in Form von sozialer Ausgrenzung“ (Silver 1995, S. 9, zitiert nach Böhnke 2006, S. 27). Im Mittelpunkt der deutschen Ausgren8 zungsdiskussion stehen verschärfte Schließungsprozesse, die zu veränderten Ungleichheitsstrukturen führen. Soziale Ungleichheit definiert sich als jede Art verschiedener Möglichkeiten der Teilhabe an Gesellschaft (Krause 1994 zit. nach Burzan 2003, S. 3). Damit wird der Ausschließungsdiskurs zum Ungleichheitsdiskurs. Doch was ist das spezifisch Neue an der Diskussion um zunehmende soziale Exklusionsprozesse? Denn Phänomene des sozialen Ausschlusses und der Armut gab es schon immer in der Moderne. Im ersten Vierteljahrhundert der Nachkriegszeit in Deutschland wurde gesellschaftliche Zugehörigkeit und Teilhabe durch ein starkes wirtschaftliches Wachstum, durch ein enormes Beschäftigungswachstum, das beinahe zur Vollbeschäftigung führte und durch einen erheblichen Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen nach dem Prinzip der Statuswahrung gesichert (vgl. Kronauer 2002, Böhnke 2006, u.a.). Die wirkmächtigen gesellschaftlichen Integrationsfaktoren Arbeit und Wohlfahrtsstaat reduzierten die sichtbare Armut der Nachkriegsjahre, sicherten gesellschaftliche Teilhabe und führten zu einer Ausdehnung der sozialen Bürgerrechte in einem bis dato unbekanntem Ausmaß. Wohlfahrtsstaatliches Bewusstsein und erweiterte Ansprüche an den Lebensstandard für alle entwickelten sich. Die damalige >>nivellierte Mittelstandsgesellschaft<< (Schelsky) ist als Kontrastfolie jetziger Exklusionsphänomene anzusehen. Die Besonderheit der heute erlebbaren Ausschlussprozesse setzt ein kulturell geprägtes (Anspruchs-)Bewusstsein von Teilhabe, wie es sich in der Nachkriegszeit bis Anfang der 1970er Jahre entwickeln konnte, voraus. Der Bruch begann in den 1970er Jahren und führte schrittweise zu weit reichenden Veränderungen in den Bereichen Erwerbsarbeit, Arbeitsmarkt, soziale Beziehungen und Wohlfahrtsstaatlichkeit. „Zwei für Deutschland wesentliche Integrationsmechanismen büßen ihre (bis dahin) uneingeschränkte Gültigkeit ein: Erwerbsarbeit und statuserhaltende soziale Sicherung“ (Böhnke 2006, S. 15). Bude und Willisch (2006) identifizieren zwei Ursachen für diese Veränderungen: die Globalisierung und die neue Programmatik des Wohlfahrtsstaats. Die Auswirkungen der Globalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt führten zur Deindustrialisierung, was zur Freisetzung vor allem ungelernter und gering qualifizierter Arbeitskräfte führte, so wie zur Deregulierung normaler Beschäftigungsverhältnisse, was gleichfalls verstärkt die Gruppe der gering qualifizierten Arbeitskräfte betraf. Eine veränderte Wohlfahrtsprogrammatik findet in der „Transformation vom schützenden und sorgenden zum befähigenden und aktivierenden Wohl9 fahrtsstaat“ (Bude & Willisch 2006, S. 11) ihren Niederschlag. Ziel ist es Exklusion zu vermeiden und nicht mehr Status zu erhalten. Damit verändert sich die Programmatik des Wohlfahrtsstaates. Seine bisherige Fähigkeit zur sozialen Integration und gesellschaftlichen Inklusion gerät ins Wanken. Dieser ‚veränderte’ Wohlfahrtsstaat kann seiner eigenen ursprünglichen Aufgabe, nämlich Wachstum zu sichern und parallel dazu soziale Integration bzw. Kohäsion zu gewährleisten, nicht mehr gerecht werden (Dangschat 2008, S. 143). Bürgerschaftliches Anspruchs- und Sicherheitsbewusstsein an wohlfahrtsstaatliche Leistungen und tatsächliche Leistungsfähigkeit des Wohlfahrtsstaates treffen diskrepant aufeinander und fördern prekäre Verunsicherungen. Soziale Exklusion wird zum Schlüsselbegriff um mögliche Folgen des sozialstaatlichen Umbaus, der auch vor der Mitte der Gesellschaft nicht halt macht. Latente Statuspanik und Abstiegsängste breiten sich aus und vermitteln das Gefühl prekären Wohlstands und biographischer Verwundbarkeit (Bude 2004). Aus der Sicht Budes (2004) dient der deutsche Exklusionsbegriff der Beschreibung dieses Phänomens der Verwundbarkeit. Dieses Gefühl verbindet Mitte und Rand der Gesellschaft. Gefühlte Wirklichkeit und faktische Wirklichkeit entsprechen sich jedoch nicht. Petra Böhnke kommt in ihrer Untersuchung zu Risiken sozialer Ausgrenzung (2006) zum erkenntnisreichen Schluss, dass die Wahrnehmung der sozialen Gefahr der Verschlechterung der eigenen Lebenslage stark ausgeprägt ist und bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Die Phänomene sozialer Ausgrenzung selbst treffen jedoch bisher weiterhin hauptsächlich eine klar definierte Risikogruppe treffen: Langzeitarbeitslose und Personen, die sich längerfristig in einer negativen Versorgungslage befinden (Böhnke 2006, S. 217). Aber nicht nur die bisher genannten Integrationsmodi (Arbeits-)Markt und Wohlfahrtsstaat verlieren zunehmend ihre integrative Kraft, auch der dritte Integrationsfaktor, die Reziprozität und Soziabilität primärer sozialer Beziehungen, wird ihrer inkludierenden Funktion in Zeiten zunehmender Individualisierung immer weniger gerecht. Scheidungszahlen steigen und Familienformen pluralisieren sich. Veränderungen in Erwerbsarbeit und wohlfahrtsstaatlicher Sicherung und das damit einhergehende individuelle Belastungserleben können immer weniger durch familiäre oder schichtspezifische Einbindungen abgepuffert werden. „Die Krise der Integrationskapazität dieser drei Instanzen hat … das Ausgrenzungsproblem in seiner gegenwärtigen Form ausgelöst“ (Kronauer 2002, S. 153). Dabei bleibt Ausgrenzung 10 selten auf eine Dimension beschränkt. Meist zieht dies weitere Ausgrenzungen in anderen Dimensionen nach sich. Soziale Teilhabe ist nicht mehr wie bisher über Erwerbsarbeit, Wohlfahrtsstaat und primäre soziale Nahbeziehungen gesichert. Zugehörigkeit wird damit prekär. Der Begriff der sozialen Exklusion beschreibt neue Formen gesellschaftlicher Spaltung und sozialer Ungleichheit. Soziale Ausgrenzung gilt in der aktuellen Diskussion als unbestrittene Tatsache gegenwärtiger Gesellschaftsstrukturen und steht für eine neue Qualität sozialer Benachteiligung. Nicht mehr Benachteiligung auf Grund mangelhafter oder fehlender finanzieller Ressourcen (Armut) steht im Mittelpunkt der Ungleichheitsforschung, sondern der Mangel oder das Fehlen sozialer Teilhabechancen. Damit vollzieht sich ein Perspektivenwechsel in der Armuts- und Ungleichheitsforschung: die vertikale soziale Ungleichheit eines hierarchisch strukturierten Gesellschaftsmodells in „oben“ und „unten“ wird überlagert durch die gesellschaftliche Spaltung entlang der Frage: „drinnen“ oder „draußen“. Der Fokus verschiebt sich von ‚Armut’ als materielle Defizitsituation hin zu ‚Exklusion’ als mangelnde soziale Teilhabe. Grundlegende Transformationen der gesellschaftlichen Verhältnisse stellen den Hintergrund des Auftretens sozialer Exklusionsprozesse dar, und führen zu einem Perspektivenwechsel in der Armuts- und Ungleichheitsforschung. 2.1.2 Der Exklusionsbegriff in der Armuts- und Ungleichheitsforschung Exklusionsphänomene wurden in der jüngsten Vergangenheit unter den verschiedensten theoretischen Perspektiven innerhalb der Sozialwissenschaft thematisiert. „Die Beobachtung einer gänzlich heraus fallenden Gruppe, die nicht länger gebraucht wird, verbindet die Zeitdiagnose Luhmanns mit ähnlich gelagerten Überlegungen Zygmunt Baumans, Ralf Dahrendorfs oder Claus Offes“ (Schroer 2008, S. 182). In der vorliegenden Arbeit soll soziale Exklusion aus einer armuts- und ungleichheitstheoretischen Perspektive behandelt werden. Andere Theorierichtungen müssen in diesem Kontext unberücksichtigt bleiben.2 Beschäftigte sich die 2 Bzgl. der Diskussion von Exklusion in der Systemtheorie sei u. a. verwiesen: auf Luhmann, Niklas (1995) Jen- seits der Barbarei. In: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Band 4. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 138 – 150; Stichweh Rudolf (2005) Inklusion und Exklusion. Studi- 11 klassische Armuts- und Ungleichheitsforschung mit der ungleichen Verteilung materieller Ressourcen, orientiert an minimalen Versorgungsstandards in einer hierarchisch strukturiert gedachten Gesellschaft, verschiebt sich deren Fokus unter dem Exklusionsaspekt nun mehr auf die Wahrnehmung eingeschränkter individueller Teilhabechancen, was eine „neue“ Form sozialer Benachteiligung darstellt. Der Exklusionsbegriff ist umfassender als die herkömmlichen Kategorien der Analyse von Armut und sozialer Ungleichheit, da er die Möglichkeit des multiplen Ausschlusses aus verschiedenen gesellschaftlichen Teilhabe- und Interdependenzbeziehungen thematisiert, statt seinen Fokus ausschließlich auf die Seite materieller Teilhabe an Konsum und Einkommen zu legen. Die Gegenüberstellung von Armuts- und soziale Ausgrenzungskonzept bringt den Unterschied zwischen beiden charakteristisch zum Ausdruck: Armutskonzept (klassisch) Exklusionskonzept Grundlegende Annahme Ressourcenmangel Verminderte oder verwehrte Teilhabechancen (ökonomisch, politisch-institutionell, sozial, kulturell) Bezugsrahmen Gleichheit/ Ungleichheit Zugehörigkeit/ Ausschluss Ressourcenverteilung Partizipation / Interdependenz (distributiv) (relativ) Hierarchisches lungsmodell Indikatoren gesellschaftliches Vertei- Polarisierung in gesellschaftliche Rand- und Kernzonen eindimensional mehrdimensional statisch kumulativ, dynamisch materielle Ressourcen (insb. Einkommenshöhe) Teilhabe am Arbeitsmarkt, Bürgerstatus und sozialen Nahbeziehungen Tabelle 1: Gegenüberstellung von Armuts- und Exklusionskonzept (modifiziert nach Böhnke 2006, S. 20) en zur Gesellschaftstheorie. Bielefeld: Transcript Verlag sowie Nassehi, Armin (2006) Die paradoxe Einheit von Inklusion und Exklusion. Ein systemtheoretischer Blick auf die >>Phänomene<<. In: Bude, Heinz; Willisch, Andreas (Hrsg.) Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige. Hamburger Edition. S. 46 – 70. Einen kritischen Vergleich der Auseinandersetzung um Exklusionsphänomene in Armutsforschung und Systemtheorie stellt Martin Kronauer an (Kronauer, Martin (1998b) „Exklusion“ in der Armutsforschung und der Systemtheorie. Anmerkungen zu einer problematischen Beziehung. In: SOFI-Mitteilugen Nr. 26/1998, S. 117 – 126.). 12 In den letzten Jahren hat sich in Deutschland zwar die Sicht auf Armut und soziale Benachteiligung geändert. Durch die Aspekte Mehrdimensionalität von Armut, Interdependenz und Kumulation von Benachteiligung so wie Relativität von Armut, wird dem erweiterten Verständnis von Armut in der neuen Armutsforschung Rechnung getragen.3 Gleichwohl geht die Ausgrenzungsdebatte über die Grundlagen der neueren Armutsforschung hinaus, in dem sie den Wandel der gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen von einem hierarchischen Aufbau (oben/unten) hin zu Polarisierung entlang neuer Spaltungslinien (drinnen/draußen) zur Diskussion stellt und mit dem Konzept der „Überflüssigen“ verstärkt die Perspektive der Marginalisierten aufnimmt (Böhnke 2006, S. 61). Das Exklusionskonzept ist mehrdimensional angelegt, da es auf die relative Position einzelner Gruppen innerhalb der Gesellschaft insgesamt abzielt (Engels 2006, S. 110). Theoretisch steht der Exklusionsbegriff einem Ungleichheitskonzept nahe, das mit Begriffen von „Zentrum“ und „Peripherie“ operiert (Kronauer 1997, S. 31). In Exklusionslagen kumulieren soziale Benachteiligungen. Dies führt zum einen zum Verlust von Teilhabechancen für das Individuum, zum anderen stellt dies eine Gefahr für die soziale Ordnung und gesellschaftliche Stabilität dar. Die These der Kumulation von Exklusionseffekten weist auf die Gefahr der sozialen Vererbbarkeit und räumlichen Konzentration kumulierter Benachteiligung hin. Hills, Le Grand und Piachaud (2002) definieren soziale Exklusion als Ausschluss von wesentlichen gesellschaftlichen Aktivitäten und identifizieren als relevante Bereiche Teilhabe an Konsum, Produktion bzw. Teilhabe an ökonomischen oder anderen sozial wertgeschätzten gesellschaftlichen Tätigkeiten, politische Teilhabe und soziale Interaktion (vgl. Mohr 2007, S. 28). Kronauer definiert Exklusion als Ausschluss aus gesellschaftlichen Interdependenzbeziehungen, die über Arbeit und soziale Netze vermittelt werden, sowie Ausschluss von materieller, politisch-institutioneller und kultureller Teilhabe (Kronauer 2002, S. 151 – 156). Die 3 Bereits Georg Simmel hat darauf hingewiesen, dass „jedes allgemeine Milieu und jede besondere soziale Schicht (…) typische Bedürfnisse besitzt, denen nicht genügen zu können Armut bedeutet. Daher die für alle entwickeltere Kultur banale Tatsache, dass Personen, die innerhalb ihrer Klasse arm sind, es innerhalb einer tieferen keineswegs wären, weil zu den für die letztere typischen Zwecke ihre Mittel zulangen würden“ (Simmel 1989, S. 548) und begründet damit den Ansatz der Relativität von Armut. 13 Mehrzahl der Forscher stimmt darin überein, dass sich Exklusion als eine soziale Lage darstellt, die durch multiple Ausgrenzungen und Benachteiligungen gekennzeichnet ist (Mohr 2007, S. 28). Dabei beschreibt Exklusion sowohl einen Zustand als auch einen Prozesse, der sowohl eine Form mehrdimensionaler, relativer Deprivation4 als auch einen dynamischen Marginalisierungsprozesses darstellt, an dessen Ende ein Zustand der Ausgegrenztheit steht. Paugam bezeichnet diesen Prozess als „soziale Disqualifizierung“. Er umfasst unterschiedliche Phasen, die sich progressiv aneinander reihen und zu extremer Deprivation führen können (Paugam 1991 zit. nach Paugam 2004, S. 74). Der Begriff der sozialen Exklusion beschreibt folglich zwei Phänomene: zum einen die soziale Lage multipler Deprivation zum anderen den Prozesse, der in diese soziale Lage führt. Dieser Prozess betrachtet zum einen den biographischen Werdegang eines Individuums (Karriere) als auch die gesellschaftliche Bedingungen und Ursachen dieses Ausgrenzungsprozesses. Auf alle drei Aspekte sozialer Exklusion: Exklusion verursachende aktuelle gesellschaftliche Kräfteverhältnisse (2.1.3), Exklusion als Prozess (2.1.4) und als soziale Lage (2.1.5) wird im Nachfolgenden explizit einzugehen sein, da sie die Kontextbedingungen der subjektiven Wahrnehmung und Erfahrung sozialer Exklusion (2.1.6) darstellen. 2.1.3 Exklusion als gesellschaftsanalytische Kategorie Wie bereits weiter oben angeführt, besitzt der Exklusionsbegriff sowohl eine normative als auch eine analytische Qualität. Er ist normativ, da er auf historischen gesellschaftlichen Erfahrungen gründet. Und er ist analytisch, denn „er vermittelt Erkenntnisse über aktuelle Gefährdungen des Sozialen (und) zwingt dazu, den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen nachzuspüren, die zu dieser Gefährdung beitragen“ (Kronauer 2006b, S.1). Der Exklusionsbegriff begrenzt seine analytische Betrachtungsweise nicht auf Randgruppenphänomene und sollte keinesfalls als ein weiterer Beitrag zur Randgruppentheorie missverstanden werden, denn er 4 Unter relativer Deprivation ist die Benachteiligung einer Person gegenüber einer anderen Person, bzw. im Hinblick auf ihre Bezugsgruppe zu verstehen. „Dabei kommt es auf den subjektiv empfundenen Grad der Deprivation an, der nicht allein durch die objektive Situation determiniert ist, sondern der aus der (negativen) Abweichung von den sozialen Erwartungen der betreffenden Person resultiert“ (Reinhold 2000, S. 110). Im Konzept relativer Deprivation findet der Gedanke Simmels seine Fortsetzung. 14 bezieht in seine Analysen das gesamtgesellschaftliche Spektrum mit ein. Martin Kronauer versteht dem zu Folge Exklusion als Kategorie einer kritischen Gesellschaftsanalyse (Kronauer 2006a, S. 29). Der Fokus der Exklusion richtet sich auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse und deren zum Teil ausgrenzenden Wirkungen. Hierbei werden die Quellen gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Teilhabe, Bürgerstatus, Arbeit und soziale Nahbeziehungen (vgl. Kronauer 2002; 2006a; 2006b), in den Blick genommen. Diese Integrationsmodi verändern sich unter den Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels. Die Kategorie Exklusion reflektiert die gegenwärtigen grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen in den westlichen Industrieländern. Die Analyse dabei geschieht entlang der Achsen: Arbeit und Arbeitsmarkt, Einbettung in soziale Netze sowie persönliche, politische und soziale Rechte. Dabei finden zwei unterschiedliche theoretische Aspekte der Zugehörigkeits- und Teilhabesicherung Berücksichtigung: ‚Interdependenz’ und ‚Partizipation’. Der aus der französischen Diskussion entliehene Aspekt der Interdependenz bezieht sich auf die wechselseitige Eingebundenheit durch Arbeitsteilung und informelle soziale Nahbeziehungen. Grundlegend ist ein Verständnis sozialer Kohäsion, das der Vorstellung einer „organischen Solidarität“ folgt, wie sie durch Durkheim vertreten wurde. Der Aspekt der Partizipation hingegen wird der angelsächsischen Diskussion entliehen. Hier war es vor allem Thomas Marshall, der ein besonderes Verständnis von citizenship geprägt und auf die Durchsetzung sozialer Rechte als Aufgabe des Wohlfahrtsstaates verwiesen hat. Seinem Verständnis nach sollten soziale Rechte für den Bürger zweierlei leisten: freien (nicht-diskriminierten) Zugang zu allen zentralen gesellschaftlichen Institutionen und Sicherung eines Minimums an gemeinsamen Lebenschancen und eines dem Wohlstandsniveaus angemessenen Lebensstandards (Marshall 1992). Gesellschaftliche Zugehörigkeit wird folglich vermittelt durch formalisierte, wechselseitige Abhängigkeits- und Anerkennungsverhältnisse der Erwerbsarbeit, informelle Reziprozität familiärer und sozialer Nahbeziehungen sowie den Bürgerstatus und seine wohlfahrtsstaatlichen Implikationen (Kronauer 2006a, S. 36). Diese Integrationsmechanismen büßen auf Grund des gesellschaftlichen Wandels seit den 1970er Jahren zunehmend ihre Gültigkeit ein.5 Brüche und Verwerfungen werden sichtbar und führen zur Verunsicherung weiter Teile der Bevölkerung. So hat eine von der FriedrichEbert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie des Instituts TNS Infratest Sozialforschung hin5 Die genauere Darstellung des gesellschaftlichen Wandels und seiner Gründe ist Punkt 2.1.1 zu ent- nehmen. 15 sichtlich der Frage, nach der Aufteilung der potentiellen Wählerschaft in Deutschland in verschiedene Milieus, ergeben, dass 63% der Bevölkerung die gesellschaftlichen Veränderungen Angst machen (zit. n. Kronauer 2006b). Gleichwohl sind nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich stark von Prozessen des gesellschaftlichen Ausschlusses tatsächlich betroffen. Exklusionsrisiken sind sozialstrukturell ungleich verteilt. Am stärksten sind diejenigen durch sie gefährdet, die den Umbrüchen am Arbeitsmarkt und der „Neujustierung“ des Wohlfahrtsstaates am meisten ausgesetzt sind: die an- und ungelernten Arbeiter6 und Langzeitarbeitslosen. Auch dieses Phänomen findet seine Widerspiegelung in den empirischen Daten der oben genannten Studie: etwa 8% der Bevölkerung werden der Kategorie „abgehängtes Prekariat“ zugeordnet (ebenda). Das Exklusionskonzept richtet seinen Blick vom Rand ins Zentrum der Gesellschaft. Dorthin, wo die Ursachen zunehmender Exklusionsprozesse zu verorten sind. Gleichzeitig verweist es auf die Gleichzeitigkeit des „Drinnen“ und „Draußen“ in der Gesellschaft. Sozialer Ausschluss im Verständnis moderner Exklusionsphänomene darf nicht als tatsächlicher Ausschluss aus der Gesellschaft verstanden werden. Dieser ist wohlweißlich faktisch nicht möglich. Sondern muss als Ausgrenzung in der Gesellschaft verstanden werden. „Die Ausgegrenzten sind Teil der Gesellschaft, auch wenn sie nicht an ihr teilhaben“ (Kronauer 2006a, S. 29). Ausgrenzungserfahrungen erwachsen aus dem Gefühl der Diskrepanz, was gesellschaftlichen allen Bürgern möglich sein soll und was auch von diesen normativ erwartet wird und dem was der Einzelne faktisch leisten kann bzw. was ihm tatsächlich möglich ist. „Nicht aus der Gesellschaft fallen die Exkludierten heraus, wohl aber aus dem Geflecht der Wechselseitigkeiten, die Anerkennungsverhältnisse begründen. An die Stelle der Einbindung in die wechselseitigen Beziehungen der gesellschaftlich anerkannten Arbeitsteilung tritt die einseitige Abhängigkeit des Fürsorgeempfängers“ (Kronauer 2006a, S. 13). Das Kernproblem, auf das das Exklusionskonzept hinzuweisen sucht ist, dass in den Nachkriegsjahren in Deutschland das Fundament eines normativen Anspruches auf Zugehörigkeit, vermittelt durch Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat, etabliert wurde, welcher zunehmend nicht mehr mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erfüllt werden kann. Der Exklusionsbegriff verweist auf die Gefährdung des Sozialen. Nicht Wiedereingliederung ist das Ziel des Kampfes gegen Exklusion, sondern die Beseitigung ausgrenzender sozialer Bedingungen. Im Phänomen der Exklusion werden die demokratischen Verhältnisse eines Landes in den Blick genommen. Dabei sind nicht nur die Exkludierten, ihre Erfahrungen mit 6 Der besseren Lesbarkeit willen wird durch gängig die männliche Geschlechtsform verwendet. 16 und Reaktionen auf sozialen Ausschluss von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung so wie die, diese ausschließenden sozialen und ökonomischen, Verhältnisse sondern, nicht zu letzt, die Reaktion der „verängstigten“ gesellschaftlichen Mitte beim Gewahrwerden einer zunehmend größer werdenden Gruppe an „Überflüssigen“ (Bude; Willisch 2006). Die Beobachtung, dass Phasen der Arbeitslosigkeit und Armut sich zunehmend verdichten und zu Karrieren der Überflüssigkeit kumulieren können, rührt am Selbstverständnis der tragenden Gruppe der gesellschaftlichen Mitte. Das Aufkommen von Verwundbarkeiten stellt eine Verbindung zwischen Mitte und Rand der Gesellschaft her. „Eine gesellschaftspolitisch entscheidende Frage wird sein, ob denjenigen, die gegenwärtig von den Schockwellen der Veränderung erfasste werden, bei aller Unterschiedlichkeit der Erfahrungen die Gemeinsamkeiten der Ursachen bewusst werden; ob somit solidarisches Handeln möglich bleibt oder das Heil in der Rettung durch Ab- und Ausgrenzung gesucht wird“ (Kronauer 2006b, S. 38). Derzeit sind verschiedene Formen gesellschaftlicher Reaktionen auf Exklusion vorstellbar (vgl. Bude 2004). Eine relativ unproblematische Reaktion wäre dabei die Bereitschaft der Ambivalenz von Chance und Risiko, die von dynamischen Arbeitsmärkten und enttraditionalisierten Lebenswelten ausgeht, normativen Raum zu geben und so Armuts- und Arbeitslosigkeitspassagen, Beschäftigungs- und Beziehungswechsel zum „normalen Exklusionspotenzial variabler Inklusionsverläufe“ (Bude 2004, S. 258) zu machen. Auch Formen der Kompensation von Exklusion durch sekundär vermittelte Inklusion, wie dies zum Beispiel bei Behinderten der Fall ist, sind vorstellbar und gesamtgesellschaftlich als unproblematisch zu bewerten. Als problematisch sind hingegen zunehmende Polarisierungsprozesse anzusehen, wie diese bereits in größeren Städten beobachtbar sind. In den öffentlichen Räumen der Städte treffen die Globalisierungsgewinner auf eine zunehmende Gruppe von Überflüssigen. In den global cities ist für Exkludierte kein Platz. Aus Gründen der zunehmenden Konkurrenz zwischen den Städten, um frei florierendes, globalisiertes Kapital, müssen die Innenräume der Großstädte vom irritierenden Bild der Exkludierten freigehalten werden. „Öffentliche Räume werden (…) zu Räumen für die zweifelsfrei Inkludierten gemacht, in denen die von Exklusion Bedrohten keine Aufenthaltsberechtigung mehr haben“ (Bude 2004, S. 259). Privatisierung des öffentlichen Raumes, Sicherung durch private Schutzdienste, Verordnungen zur Regelung des Verhaltens auf öffentlichen Plätze sind probate Mittel hierbei. „Polarisierung ist ein Prozeß der stillen Reinigung des öffentlichen Raums, der eine Zonierung der Lebenswelt mit sich bringt: in Deutschland ist es nicht das öffentliche Ghetto, sondern es sind die privaten vier Wände, 17 wohin sich die Exkludierten zurückziehen“ (Bude 2004, S. 259). Exklusion kann damit auch als Raumordnungskategorie verstanden werden. Und wie reagieren die Überflüssigen auf exkludierende Sozialverhältnisse? Bude und Willisch (2006) stellen diesbezüglich drei typische Konstellationen fest: 1. Die Inanspruchnahme institutioneller Versorgungsparadoxien, also der Versuch sekundärer Integration über den zweiten Arbeitsmarkt. Dies führt jedoch zu Beschäftigungsverhältnissen, denen es zu sehr an sozialer Relevanz und/ oder finanzieller Bestätigung mangelt, als dass sie das Gefühl gesellschaftlicher Teilhabe zu vermitteln könnten. 2. Die kollektive Verwilderung durch Abspaltung von der Mehrheitsgesellschaft mit Hilfe populistischer Volksbewegungen. Und 3. Formationen gesellschaftlicher Entkopplung und neuer Kohäsion. Hier bildet sich eine neue Zugehörigkeit auf der Basis gemeinschaftlich geteilter Erfahrung des Abgetrenntseins. Es entsteht eine Kultur der Selbstähnlichkeit, die sich aus dem trotzigen Bestehen auf die eigene Abgehängtheit und Andersartigkeit speist. „Der Bindemechanismus dieser Konstellation besteht darin, dass die Überflüssigen über eine kohärente Interpretation ihres Makels verfügen und sich dadurch von allen andern im Gefühl ihrer Gemeinsamkeit entkoppeln“ (Bude; Willisch 2006, S. 17). 2.1.4 Exklusion als Prozess Exklusion ist ein Prozess. Menschen werden nicht von heute auf morgen zu Exkludierten und Überflüssigen. Exklusion darf nicht als dichotomes Gegenüber von Inklusion missverstanden werden, als ein Entweder - Oder. Der Exklusionsbegriff verweist nicht nur auf einen Zustand, sondern zugleich auf ein prozesshaftes Geschehen, in dem sich Phasen zunehmender sozialer Disqualifizierung aneinander reihen und in Situationen extremer Deprivation münden können (Paugam 2004). Diese Prozesse finden ihren biographischen Niederschlag in den Lebensgeschichten der Individuen. Subjektiv erlebbar als ein schrittweise Herausfallen aus den wechselseitigen Anerkennungsverhältnissen der Arbeitswelt und den damit einhergehenden materiellen Reduzierungen. Phasen kurzzeitiger Arbeitslosigkeit und Armut dehnen sich aus, werden länger, bis hin zur andauernden Lebenssituation. Typisch ist dieser Verlauf vor allem für ältere Arbeitnehmer, die den neuen Anforderungen eines veränderten (Arbeits-)Marktes 18 nicht mehr entsprechen können. Ab einer gewissen Zeitdauer erscheint ein Wiedereinstieg zunehmend unwahrscheinlicher, trotz aller wohlfahrtsstaatlichen Bemühungen der Nachqualifizierung der Generation 50+. Besonders die Phase zwischen 40 und 55 stellt sich „als Zone extremer biographischer Verwundbarkeit dar, wo Erfahrungen der Degradierung durch Praktiken der (wohlfahrtsstaatlichen) Aktivierung einen Prozess fortschreitenden Erleidens und nachlassenden Handelns in Gang setzen können“ (Bude 2004, S. 256f.). Anders stellt sich die Situation für die jüngere Generation dar. Wird der Einstieg ins Berufsleben verfehlt, reduzieren sich nicht nur finanzielle sondern auch Anerkennungsmöglichkeiten. Der verfehlte Einstieg wird zum Ausstieg aus dem gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang. Insgesamt lassen sich zwei Logiken des sozialen Ausschlusses unterscheiden: Entweder man kommt aufgrund bestimmter Ausschlusskriterien, „die mit dem Legalitätsstatus, dem Sozialstatus, dem Bildungsabschluss oder der Kulturaffinität zusammenhängen, gar nicht erst ins Spiel“ (Bude 2004, S. 255) rein oder man fällt aus „bestimmten Umständen der Stigmatisierung, Degradierung und Ignorierung“ (ebenda) aus dem Spiel raus. Die Erfahrungen des Kontingentwerdens müssen biographisch verarbeitet werden. Die Phasen der Exklusion lassen sich aus der Akteursperspektive als fortschreitende Prozesse beginnend mit Destabilisierung und Verunsicherung, hin zur Rebellion gegen das eigene Schicksal und den „ungerechten“ Sozialstaat oder der angepassten Bemühung um sekundäre Integration über zweite Arbeitsmärkte, Fördermaßnahmen, und der gleichen sowie letzten Endes der akzeptierenden Defiziteinarbeitung in den eigenen Lebensentwurf und das Selbstbild der Menschen (Bude; Willisch 2008, S. 20f.) beschreiben. Zukunft wird aufgegeben. Exklusionserfahrung wird zur permanenten Erfahrung des Scheiterns. Phänomene sozialer Exklusion finden nicht außerhalb unserer Gesellschaft statt, sondern sind als ein Kontinuum unterscheidbarer sozialer Positionen im gesellschaftlichen Gesamtgefüge zu verstehen. Der französische Sozialhistoriker Robert Castel unterscheidet drei Zonen in die sich die Gesellschaft zunehmend aufspaltet „Man kann (…), zumindest metaphorisch, verschiedene >>Zonen<< des sozialen Lebens unterscheiden, je nachdem, wie gesichert das Verhältnis zur Arbeit oder wie fest die Einbindung in Netze der Soziabilität ist“ (Castel 2000, S. 13): die Zone der Inklusion, die der Gefährdung oder Verwundbarkeit und die Zone der 19 Ausschließung oder Exklusion.7 Die Einteilung des Gesellschaftsfeldes in Zonen ist als heuristisches Modell zu verstehen, welches auch der Konturierung neuer deutscher Ungleichheitsverhältnisse dient. „Als wesentlicher Punkt muss jedoch festgehalten werden, dass es heute unmöglich ist, zwischen diesen >>Zonen<< feste Grenzen zu ziehen. Vor allem aufgrund der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse sind integrierte Menschen verwundbar geworden und gleiten alle Tage ab in das, was man >>Exklusion<< nennt“ (Castel 2000, S. 14). Die Zonen „unterscheiden sich durch Abstufungen in den realisierten und realisierbaren Möglichkeiten der gesellschaftlichen Zugehörigkeit und Teilhabe und lassen sich entlang der im Exklusionsbegriff fokussierten drei Analyseebenen“ (Kronauer 2006b, S. 8) Bürgerstatus, Arbeit und soziale Nahbeziehungen charakterisieren. Abbildung 1: Heuristik von Inklusion – Exklusion nach Robert Castel (Institut für Praxisforschung und Projektberatung IPP 2008) In diesem Modell fällt das dichotome Verständnis des entweder „Drinnen-“ oder „Draußen“ sein weg. Nur ein Kontinuum von Positionen innerhalb der Gesellschaft ist vorhanden. Die Zone der Inklusion oder auch Integration zeichnet sich aus durch ein hohes Maß an Beschäftigungssicherheit und soziale Eingebundenheit in stabile soziale Nahbeziehungen, über die sich im Bedarfsfall Unterstützungsressourcen aktivieren lassen. Über den Arbeitsplatz vermittelte soziale Rechte bieten Sicherheit im Fall von Krankheit und Alter. Die Teilhabe an 7 Kronauer (2006b) nennt noch eine vierte Zone, die am oberen Ende des Kontinuums nicht nur ge- schützt von gesellschaftlichen Transformationen ist, sondern geradezu von diesen profitiert. Er beizeichnet diese als Zone der Exklusivität. 20 Lebenschancen und Lebensstandard entspricht den gesellschaftlichen Verhältnissen. Zukunft ist handhabbar. Prekärer gestaltet sich die Situation in der Zone der Gefährdung oder Verwundbarkeit. Hier ist die Beschäftigungssicherheit bereits nicht mehr gegeben. Zeitarbeitsverträge und Unterbrechungen des kontinuierlichen Erwerbsverlaufs machen die Lebenssituation insgesamt prekär. Die Sicherheiten, die soziale Rechte am Arbeitsplatz und vermittelt über den Arbeitsplatz in die Zukunft hinein gewähren, sind eingeschränkt, ebenso die Möglichkeiten zu einer Lebensführung, die den vorherrschenden Ambitionen entspricht“ (Kronaue 2006b, S. 9). Zukunft ist unsicher und nicht planbar. Die Zone der Exklusion ist gekennzeichnet durch den Verlust jeglicher Arbeitsverhältnisse. Die Menschen sind dauerhaft von Erwerbsarbeit ausgeschlossen oder haben höchstens noch sporadischen, evtl. sozialstaatlich gestützten Zugang zu ihr. Alternative Positionen, aus denen Anerkennung bezogen werden könnten, wie die Rolle der Hausfrau, des Studenten oder Rentners, stehen ihnen nicht zur Verfügung. Die Gefahr sozialer Isolation ist hoch. Soziale Kontakte reduzieren sich und verengen sich auf Beziehungen zu Menschen in ähnlich benachteiligter sozialer Lage, mit wenig Unterstützungspotential. Individualisierung nimmt hier die Form der „negativen Individualität“ (Castel 2000, S. 29) an, einer Individualität aus Mangel an gesellschaftlicher Einbindung. An die Stelle der aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der wechselseitigen Sozialbezüge, tritt immer mehr die einseitige Abhängigkeit von institutioneller Hilfe, die mit diversen Formen sozialer Kontrolle und Sanktionen, verbunden ist. Weder Erwerbseinkommen noch staatliche Transfereinkommen erlauben es, dem allgemeinen Lebensstandard entsprechend zu leben. Leben wird nicht mehr gestaltund Zukunft nicht mehr vorstellbar. Die erfahrene Machtlosigkeit der Lebensführung bereiten Politikverdrossenheit und resigniertem Rückzug den Boden. Das Gefühl nicht mehr mithalten zu können ist allgegenwärtig. Meist jedoch existieren Mischformen sozialer Teilhabe und sozialen Ausschlusses. Was dies für die Individuen jeweils bedeutet ist unterschiedlich und muss aus einer subjektorientierten Sichtweise heraus beantwortet werden. Diese Thematik soll theoretisch unter 1.6 näher beleuchtet werden. Als Grundlage dieser Diskussion sollen vorab objektive Dimensionen sozialer Ausgrenzung betrachtet werden, um so die Kontextbedingungen subjektiver Erfahrung von Exklusion zu erfassen. 21 2.1.5 Exklusion als objektive Lebenslage Der Begriff sozialer Exklusion beschreibt nicht nur den Prozess, der aus der gesellschaftlichen Mitte in Zonen der Verwundbarkeit und des sozialen Ausschlusses führt, sondern auch die soziale Lage multipler, relativer Deprivation. Exklusion wird als soziale Lage multipler Ausgrenzungen aufgefasst in der es zu einer Verdichtung (Kumulation) von Exklusionseffekten kommen kann. Im Begriff Exklusion finden sowohl objektive Dimensionen sozialer Ausgrenzung als auch subjektives Erleben von Exklusion Berücksichtigung. Zum Zwecke der besseren analytischen Darstellung wird im Folgenden zwischen objektiven Exklusionslagen und subjektiver Exklusionserfahrungen unterschieden und diese getrennt von einander dargestellt. Wohl wissend, dass diese analytische Trennung real nicht existent ist, sondern eine intensive Wechselbeziehung zwischen beiden Faktoren besteht. Die objektiven Dimensionen sozialer Exklusion werden im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit als soziale „Exklusionslagen’ bezeichnet. Die in dieser Wortschöpfung implizierte Anlehnung ans Konzept der Lebenslagen ist gewollt. Denn „als >>Lebenslage<< wird die Gesamtheit der äußeren Bedingungen bezeichnet, durch die das Leben von Personen oder Gruppen beeinflusst wird. Die Lebenslage bildet einerseits den Rahmen von Möglichkeiten, innerhalb dessen eine Person sich entwickeln kann, sie markiert deren Handlungsspielraum. Andererseits können Personen in gewissem Maße auch auf ihre Lebenslagen einwirken und diese gestalten“ (Engels 2008, S. 643). Der Lebenslagenbegriff bezeichnet die objektiven Handlungsbedingungen, nicht die individuelle Performance der Handlungen selbst. Seit den 1980er/ 1990er Jahren kommt das Lebenslagenkonzept in der Sozialberichterstattung zur Armutsforschung zunehmend zum Einsatz, da es nicht nur eine Dimension von Lebensqualität bzw. prekärer Lebensweise isoliert betrachtet, sondern auf die Analyse der Mehrdimensionalität unterschiedlicher Lebensbereiche und deren Wechselwirkungen zielt. Benachteiligung und Einschränkungen der Lebensqualität werden dabei nicht monokausal hinsichtlich der finanziellen Ressourcenausstattung betrachtet, sondern in die Analyse werden weitere Dimensionen, wie soziale Netzwerke und immaterielle Ressourcen wie Bildung und Gesundheit einbezogen. Der Lebenslagenansatz nimmt die sozialen Voraussetzungen des individuellen Handelns in den Blick (vgl. Engels 2008). „Der Begriff der >>Lebenslage<< 22 richtet sich (damit) auf die unmittelbar erfahrbaren Lebensbedingungen eines Menschen (Hradil 2001, S. 374)8. Unter dem Terminus ‚Exklusion als objektive Lebenslage’ kurz ‚Exklusionslage’ sollen folglich die objektiven Handlungsbedingungen in einer exkludierten Lebenssituation verstanden werden. Als Dimensionen sozialen Ausschlusses lassen sich sechs Bereiche nennen: gesellschaftliche Arbeitsteilung/ Arbeitsmarkt, soziale Netzwerke, materielle Teilhabe, politisch-institutionelle Teilhabe und kulturelle Teilhabe. Exklusion kann dabei in einem oder mehreren Bereichen stattfinden, bzw. die Exklusion in einem Bereich kann Exklusionen in anderen Bereichen nach sich ziehen. Als Gesamtheit äußerer Lebensbedingungen stehen sie dem realitätsverarbeitenden Subjekt9 gegenüber und wirken auf diese ein. Im Konkreten kann sich sozialer Ausschluss in den verschiedenen Dimensionen wie folgt ausgestalten: 8 Auf eine ausführliche Darstellung des ‚Konzepts der sozialen Lage’ muss an dieser Stelle verzichtet werden. Diesbezüglich sei insbesondere auf Hradil (1983, 1987) verwiesen. 9 Der Begriff ‚realitätsverarbeitendes Subjekt’ wird unter Punkt 3.1.1 näher erläutert. 23 Ausgrenzung am Arbeitsmarkt Die Rückkehr oder der Eintritt in reguläre Erwerbsarbeit ist dauerhaft versperrt; prekäre Anbindung an das Beschäftigungssystem; Statusverlust. Ökonomische Ausgrenzung Der Lebensunterhalt lässt sich innerhalb des regulären Erwerbssystems nicht mehr bestreiten; finanzielle Abhängigkeit von Transferleistungen des Wohlfahrtsstaates oder anderen gesellschaftlich minder bewerteten Einkommensformen; Armut als Leben unter starken Einschränkungen; ‚Working poor’. Kulturelle Ausgrenzung Fehlende Möglichkeit den gesellschaftlich anerkannten Verhaltensmustern, Lebenszielen und Werten zu entsprechen; gesellschaftlichen Sanktionen ausgesetzt sein aufgrund fehlender Erfüllung gesellschaftlicher Anforderungen; Stigmatisierung. Ausgrenzung durch gesellschaftliche Reichweite und Qualität der Sozialkontakte verändern sich; Isolation Reduzierung der Sozialkontakte (Vereinzelung); Konzentration der Sozialkontakte auf Personen ähnlicher sozialer Lage (subkulturelle Identifikation bzw. Milieubildung); Kontaktverlust zu den im Erwerbssystem verankerten sozialen Klassen. Räumliche Ausgrenzung Räumliche Konzentration und Isolation Benachteiligter in ähnlicher sozialer Lage; Polarisierung des öffentlichen Raums durch Vertreibung von von Exklusion bedrohten Personen. 24 Politisch-institutionelle Ausgrenzung Vor allem in drei Institutionen: Schule und Ausbildungseinrichtungen als gesellschaftliche Weichensteller; 10 Arbeits- und Sozialämter als exkludierende Inkludierer ; Rückzug öffentlicher und privater Dienstleistungen aus der Versorgung der Ausgeschlossenen. Tabelle 2: Dimensionen sozialer Ausgrenzung nach Kronauer (Kronauer 1997, S. 38ff.) Bude und Willisch (2006) erweitern Kronauers Ausgrenzungsdimensionen um die Kategorie des Körpers bzw. der Gesundheit. „Eine typische Exklusionskarriere kombiniert die Elemente von Arbeit, Familie beziehungsweise sozialen Netzwerken, Institutionen und Körper“ (S. 15). Exklusion stellt sich für ihn explizit auch als körperliche Betroffenheit dar. Die Lebenslagen von Menschen und damit auch deren Exklusionslagen „stehen in mehr oder minder engem Zusammenhang mit ihren Lebensweisen, das heißt mit typischen Mustern ihres Denkens und Verhaltens“ (Hradil 2001, S.405). Aussagen von Exkludierten oder von Exklusion bedrohten Personen geben darüber Auskunft wie sich deren grundlegende Orientierungen, Interessen, Mentalitäten und Lebensperspektiven vor diesem Hintergrund abzeichnen. Die individuelle Verarbeitung sozialer Exklusionslagen wird im empirischen Teil dieser Arbeit vorgestellt. Zuvor, quasi als Grundlage der Auswertung, soll die Theoriediskussion bzw. bestehende empirische Erkenntnisse zum interessierenden Themengebiet darstellt werden. 2.1.6 Exklusion als subjektive Erfahrung In der Exklusionsdebatte wird besonderes Augenmerk auf die subjektive Seite, auf die individuelle Erfahrung von sozialer Ausgrenzung gelegt. Vor allem unter der Kategorie der „Über- 10 Abhängigkeit von sozialstaatlichen Leistungen bedeutet zwar einerseits institutionelle ‚Einschlie- ßung’, jedoch in einer gesellschaftlich negativ definierten Position (vgl. Simmel 1983, S. 372f.). 25 flüssigen“ (Bude/ Willisch 2006; Bude/ Willisch 2008; u. a.) wird der Akteursperspektive besondere Bedeutung beigemessen. Vogel (2004) verweist in seinen Ausführungen insbesondere auf die Bedeutung des Begriffs ‚Vulnerabilität’ in der Exklusionsdiskussion, welcher ursprünglich von Robert Castel (2000) in diese eingeführt worden war. ‚Vulnerabilität’ benennt die gefühlte soziale Ungleichheit und Unsicherheit als die emotionale Seite sozialer Exklusion. Als Prozess- und Wahrscheinlichkeitsbegriff kommen hier zusätzlich zu statistischen Lageverteilungen biographische Selbstbeschreibungen mit ins Spiel. Damit geraten die Akteure selbst in den Blick wissenschaftlicher Analysen (Vogel 2004, S. 45). Kronauer (2007) weist in einem Vortrag auf dem Fachtag der Gemeindepsychologen in München insbesondere auf das individuelle Leiden an Exklusion hin, wenn er ausführt, dass Ausgeschlossene sowohl an den inneren und äußeren Vorwürfen leiden, „dass ihnen etwas abgeht, was andere selbstverständlich haben und auch sie haben müssten“. Exklusion wird fokussiert als Ausgrenzungserfahrung, als Scheiternserfahrung, als Leidenserfahrung. Und wenn Kronauer weiter darstellt, dass Resignation und sozialer Rückzug nicht „Ausdruck der Befreiung von den herrschenden gesellschaftlichen Normen (sind)“, sondern das Gegenteil zu trifft: „weil sie diese tief verinnerlichten Normen weder loswerden noch ihnen entsprechen können, werden sie von ihnen geradezu erdrückt. Darauf versucht die Flucht in die soziale Isolierung eine Antwort zu geben“ (ebenda), zeigt er, inwieweit subjektive Verhaltensweisen als Antworten auf objektive Exklusionslagen zu verstehen sind. Objektive Exklusionslagen finden ihren Niederschlag in individuellen Denk- und Handlungsmustern der Exkludierten. Es macht die Besonderheit des Exklusionskonzepts aus, dass die unterschiedlichen Selbstund Gesellschaftsbilder der Subjekte, die von außen betrachtet, in der gleichen sozialen, sprich exkludierten, Lage leben, in deren Analysen berücksichtigt werden (Callies 2004, S. 22). Die gleiche soziale Lage kann von verschiedenen Individuen durchaus unterschiedlich erlebt und beurteilt werden. In diesem Punkt geht das Exklusionskonzept über das Lebenslagenkonzept, welches von der gleichen sozialen Lage auf typische Muster des Denken und Handelns schließt, hinaus. Exklusionslagen unterscheiden sich erhebliche in ihrem Zustandekommen: „Ausgrenzung kann die Form des sozialen Abstieges annehmen (Langzeitarbeitslose am Ende einer langen Berufsbiographie), des von vornherein versperrten Zugangs (etwa bei arbeitslosen Jugendlichen) oder der weiteren Zuspitzung eines bereits prekären Lebens am Rande der Erwerbsarbeit“ (Kronauer 1997, S. 35). Das Rausfallen aus der Gesellschaft kann selbst- oder fremd 26 verschuldet sein. Die Gruppe der Exkludierten oder von Exklusion bedrohten Menschen unterscheidet sich hinsichtlich der Form der Ausgrenzung11, den Folgen der Ausgrenzung, ihrer Wahrnehmung der Ausgrenzung und ihren individuellen Verarbeitungsmodi12. Vor allem dem Aspekt der Wahrnehmung sozialer Exklusion, durch objektiv Exkludierte oder sich in prekären finanziellen Lagen befindenden Personen, wurde in der jüngeren Vergangenheit in empirischen Forschungen mittels des Konstrukts ‚Exklusionsempfinden’ (vgl. Bude/ Lantermann 2006; Damnitz/ Eierdanz 2008) nachgegangen. Ob sich ein Individuum selbst als exkludiert empfindet, also das Gefühl hat aus der Gesellschaft ausgeschlossen oder ausgegrenzt zu sein, hängt danach nicht nur von seiner sozialen Exklusionslage (prekären Lebenslage) ab, sondern auch, wie es die aktuelle Situation selbst bewertet und wie es die zukünftige Entwicklung seiner Lage antizipiert. Die Bewertung der aktuellen Lebenslage, wie auch der zukünftigen, hängt davon ab, welche internen und externen Ressourcen der Person zur aktuellen Situationsbewältigung zur Verfügung stehen (vgl. Bude; Lantermann 2006). Dabei kommt vor allem der Zukunftsperspektive eine zentrale Rolle zu. Es ist entscheidend für die Beurteilung einer aktuell belastenden Situation, ob ich diese als dauerhaft oder als veränderbar ansehe. Exklusion bedeutet immer auch einen Mangel an Zukunftsperspektiven (Callies 2004, S. 32). Entscheiden für die subjektive Situationsbewertung ist, in wie weit eine Möglichkeit besteht, bzw. diese als solche wahrgenommen wird, dass sich an der aktuellen exkludierten sozialen Lage etwas verändern wird. Die aktuelle Einschätzung der sozialen Lage, wie auch die Antizipation zukünftiger Lagen, wird geprägt von den der Person zur Verfügung stehenden internen und externen Ressourcen. Diese müssen nicht nur vorhanden, sondern als solche auch vom jeweiligen Individuum wahrgenommen werden. Im Prekaritäten-Ressourcen-Modell (PRE-Modell), welches von Bude und Lantermann (2006) im Rahmen einer bundesweiten Telefonbefragung zum Exklusionsempfinden entwickelt wurde, geben diese als externe Ressourcen die Indikatoren: Einkommen, Bildung, partnerschaftliche Bindung, beruflicher Status, Geschlecht und Alter an. Interne Ressourcen des Individuums entdecken sie im Kohärenzsinn (n. Antonovsky) und in der Unbestimmtheitsorientierung. Nach Angaben der Autoren stellt das PRE-Modell eine soziologische Erweiterung des psychologischen Stressbewältigungsmodells nach Lazarus und Folkman (1984) dar. Dieses geht da- 11 Siehe Punkt 2.1.5. 12 Hierauf bezieht sich der empirische Teil dieser Studie. 27 von aus, dass es entscheidend ist für die Bewältigung einer belastenden Situation, welche Ressourcen ein Handelnder als ihm zur Bewältigung der Situation zur Verfügung stehend erlebt. Erst, wenn er zu der Überzeugung gelangt, dass die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht hinreichen für eine konstruktive Situationsbewältigung, erfährt er diese als Zustand der Belastung. „Als wenig hilfreich empfundene Ressourcen machen den Handelnden anfällig für defensive Antworten auf äußere Anforderungen, für Rückzug, Umdeutung, Resignation; das Wissen oder die Überzeugung um die Verfügung starker Ressourcen dagegen lässt den Handelnden offensiv in die Auseinandersetzung mit einer belastenden Lage hineingehen, indem er oder sie auf Änderung, aktive Eingriffe und vermehrte Anstrengung setzt“ (Bude; Lantermann 2006, S. 236). Aus dieser Perspektive wird verständlich, warum sich objektiv Privilegierte durchaus exkludiert fühlen können, wo hingegen sich gleichzeitig Individuen in prekären Lebenslagen sehr wohl als zum gesellschaftlichen Ganzen zugehörig empfinden können. Nicht jeder „Minderprivilegierte“ muss exkludiert sein und sich so fühlen (Bude; Lantermann 2006, S. 244). Es hängt von subjektiven Faktoren ab, ob sich ein Mensch exkludiert, und damit aus dem gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang ausgeschlossen, fühlt oder nicht. Mit der subjektiven Komponente des Exklusionsempfindens wird auf die Selbstverortung des (vergesellschafteten) Individuums verwiesen. Exklusionsempfinden kann unter verschiedenen Aspekten in Erscheinung treten: „als Gefühl, an den Rand gedrängt, isoliert und abgehängt zu sein; als Empfindung, gesellschaftlich nicht anerkannt zu werden; als Angst, mit anderen nicht mithalten zu können und den kulturellen Anforderungen nicht gewachsen zu sein; als Eindruck, von anderen mit Herablassung betrachtet und behandelt zu werden; oder als Einstellung, aus eigenen Stücken auf Distanz zu gesellschaftlichen Werten und Normen zu gehen“ (Damitz; Eierdanz 2008, S. 24). 28 Abschließend soll eine weitere quantitative Untersuchung genannt werden, die sich ebenfalls mit der Frage beschäftigte, welche subjektiven Faktoren darüber entscheiden, ob sich ein Mensch als exkludiert empfindet oder nicht: Das Forschungsprojekt „Soziale Exklusion und Vertrauen“, das in Zusammenarbeit des Instituts für Psychologie der Universität Kassel und des Hamburger Instituts für Sozialforschung stattfand. Die Wissenschaftler stellten fest, dass wie zu erwarten war, ein hoher Zusammenhang zwischen finanzieller Prekarität und Exklusionsempfinden besteht. Eine geringe finanzielle Ausstattung erhöht die Neigung, sich gesellschaftlich an den Rand gedrängt zu fühlen. Darüber hinaus erkannte man aber, dass nicht alle Personen auf finanzielle Prekarität mit gleichen Exkusionsempfindungen und Verhaltensweisen reagieren. In Abhängigkeit der finanziellen Ausstattung und des gezeigten gesellschaftlichen Exklusionsempfindens unterschieden sie folgende vier Gruppen: Finanzielle Situation Exklusionsempfinden gesichert niedrig ungesichert Integrierte (41 %) Kämpfer (22 %) hoher Anteil Voll- und hoher Anteil Voll- und Teilzeiter- Teilzeiterwerbstätiger werbstätiger bei geringem Ver- gut gebildet dienst (working poor) als gut bewerteter Gesundheitszustand relativ niedrig gebildet Gesundheitszustand wird als gut vergleichsweise hoher Anteil von Familien bewertet Vergleichsweise hoher Anteil von Familien hoch Distanzierte (12 %) Abgehängte (25 %) hoher Anteil Voll- und hoher Anteil Arbeitsloser Teilzeiterwerbstätiger niedrig gebildet gut gebildet hoher Anteil Alleinerziehender distanzieren sich von ge- Gesundheitszustand sellschaftlicher Normalität Gesundheitszustand wird wird als schlecht bewertet als gut bewertet erhöhte Vereinsamungs- und Isolationstendenz Tendenz zur mangelnden Selbstpflege erhöhter Fernseh- und Computerkonsum zur Ablenkung (und Ausgestaltung der zur Verfügung ste- 29 henden freien Zeit) Tabelle 3: Vier Gruppenkorrelation aus Prekarität und gesellschaftlichem Exklusionsempfinden n. Damnitz; Eierdanz (2008) Eine wichtige Frage innerhalb des Forschungsprojektes war es, ob Vertrauen eine entscheidende innere Ressource bei der Bewältigung prekärer Lebenslagen darstellt. Als verschiedene Formen von Vertrauen wurden Selbstvertrauen, soziales Vertrauen, Institutionenvertrauen, transpersonales Vertrauen und Vertrauen in die Zukunft unterschieden. Es stellt sich heraus, dass vor allem das Zukunftsvertrauen der Menschen ein sehr aussagekräftiger Gradmesser ihrer sozialen Lage ist. „Bei hoher Prekarität und fehlender Einbindung sinkt das Vertrauen in die Zukunft weit ab. Selbst- und soziales Vertrauen gehen mit der empfundenen gesellschaftlichen Verankerung parallel, während das Systemvertrauen hier keinen eindeutigen Zusammenhang zeigt“ (Damnitz; Eierdanz 2008). Die Gruppe der ‚Abgehängten’ weist sich insbesondere durch ein geringes Vertrauen in die Zukunft aus, was die Wahrscheinlichkeit fataler Entwicklungen wie Resignation, Rückzug und Verwahrlosung ansteigen lässt. Hingegen scheint die Gruppe der ‚Kämpfer’, die sich in ähnlich prekärer finanzieller Lage befanden, aus ihrem Vertrauen in die Zukunft konstruktiven Nutzen zu ziehen für den Umgang mit der prekären Situation. Die vorgestellten Formen des Vertrauens gelten den Wissenschaftlern als Indikatoren für die Möglichkeit zu gesellschaftlicher Teilhabe und sozialer Anerkennung zu gelangen. Das Interesse der vorliegenden Forschungsarbeit richtet sich auf den Aspekt der subjektiven Erfahrung von sozialer Exklusion und deren individuellen Verarbeitung. 30 2.2 Stadt, Raum und Gesellschaft Soziale Sachverhalte bedürfen der Sichtbarkeit, um als solche wahrgenommen und als soziale Probleme definiert zu werden. Bezüglich der referierten Exklusionsthematik stellt sich die Frage, wo kann Exklusion gesellschaftlich sichtbar, erfahrbar und als Ausgrenzungsphänomen wahrgenommen werden? Wo werden fehlende Teilhabemöglichkeiten gesellschaftlich beobachtbar? Gesellschaft muss in der Moderne als urbane Gesellschaft verstanden werden (vgl. Löw et. al 2007), denn „eine urbane Lebensweise im Sinne einer tendenziell anonymen, rationalisierten und normierten, aber auch demokratisierten und am technologischen Fortschritt wie an individueller Freiheit orientierten Lebensweise (ist) zum allgemeinen Prinzip der Lebensgestaltung geworden.“ (Löw et. al 2007; 10). Allerdings gilt die Stadt seit jeher als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Veränderungen. In ihr lassen sich aktuelle Entwicklungen und die Folgen sozialen Wandels am schnellsten und prägnantesten beobachten. Der Blick auf die Stadt bietet damit folglich am frühesten und intensivsten Eindrücke zunehmender gesellschaftlicher Ausgrenzungsprozesse. Stadtentwicklung und die ansteigende Tendenz zur Verdrängung so genannter „Überflüssiger“ (Bude & Willisch 2008) aus den deutschen Innenstädten gehen Hand in Hand. Der nachstehende stadt- und raumsoziologische Aufriss soll in einzelne Aspekte gesellschaftlicher Bedeutung von Stadt und Raum einführen. Hierdurch wird der Boden bereitet für die kritische Reflexion der mit aktueller Stadtentwicklung einhergehenden normativen gesellschaftlichen Strukturierung des öffentlichen Raums und der gesellschaftlichen Reaktionen auf nonkonformes Handeln in diesem. Frühere Erklärungsmuster haben die Stadt als eigenständige Ursache gesellschaftlicher Veränderung beschrieben. Max Weber sah in der europäischen Stadt des Mittelalters die ausschließliche Ursache gesellschaftlichen Wandels (vgl. Häußermann; Siebel 2004, S. 92). Im Zuge der Ausweitung urbaner Lebensweisen auf die Gesamtgesellschaft verlor die Stadt diese Funktion mehr und mehr. Die konservative Stadtkritik in Nachfolge Webers, welche „städtische Phänomene aus ihren gesamtgesellschaftlichen Bezügen (…) isolieren und die physisch räumliche Umwelt Stadt zur allein maßgeblichen Determinante sozialen Verhaltens (…) erklären“ (Häußermann, Siebel 2004, S. 92) will, greift deshalb für die in den Städten sichtbar 31 werdenden gesellschaftlichen Entwicklungen, zu kurz. Städte sind das Abbild gesellschaftlicher Entwicklungen, nicht deren Ursache. (Groß)städte werden in der stadtsoziologischen Diskussion überwiegend als die „Materialisierung gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse, d. h. als Räume, in denen sich alle soziologischen Gegenstandsbereiche in ihren jeweils entwickeltsten Formen untersuchen lassen“ (Breckner 1998, S. 286) verstanden. Aufgrund ihrer Dichte, Größe und Heterogenität kondensiert sich in der Stadt die Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens. Louis Wirth, ein Vertreter der Chicagoer Schule, definierte 1938 das soziale Gebilde Stadt „als eine relativ große, dicht besiedelte und dauerhafte Niederlassung gesellschaftlich heterogener Individuen (Wirth 1974, S. 48). Die Dichte und Mannigfachheit des städtischen Lebens findet, nach den stadtsoziologischen Analysen Simmels (1903), ihren Niederschlag in einer urbanen Lebensweisen der Großstadtbewohner, welche er von der ländlichen, dörflich strukturierten Lebensweise unterscheidet. Das Verhalten der Stadtbewohner beschreibt er als unpersönlich und deren Kommunikation als zweckrational. Gleichwohl verteufelt Simmel die Großstädte nicht per se, sondern sieht in ihnen die einzige Möglichkeit zur zivilisatorischen Weiterentwicklung (ebenda). Nach den Vorstellungen Hans-Paul Bahrdt’s, einem der ersten deutschen Stadtsoziologen, entfaltet sich das bürgerliche Leben in der Stadt entlang der beiden zentralen Kategorien Öffentlichkeit und Privatheit. Diese beiden Kategorien stellen, seiner Ansicht nach, sowohl die soziale als auch räumliche Sphäre des Stadtlebens dar und stehen miteinander in Wechsel- und Austauschbeziehung. „Eine Stadt ist eine Ansiedlung, in der das gesamte, also auch das alltägliche Leben die Tendenz zeigt, sich zu polarisieren, das heißt entweder im sozialen Aggregatzustand der Öffentlichkeit oder in dem der Privatheit stattzufinden. Es bilden sich eine öffentliche und eine private Sphäre, die in engem Wechselverhältnis stehen, ohne dass die Polarität verloren geht. (…) Je stärker Polarität und Wechselbeziehung zwischen öffentlicher und privater Sphäre sich ausprägen, desto >städtischer< ist, soziologisch gesehen, das Leben einer Ansiedlung“ (Bahrdt 2006, S. 83f.). In beiden Bereichen kommen je spezifische Verhaltensweisen zum Ausdruck. Für das Verhalten in der Öffentlichkeit diente ihm als Metapher der Markt. Auf diesem treten die Individuen zwar miteinander in Kontakt, doch bleiben ihre Beziehungen zu einander hoch funktional, auf den Austausch von Waren ausgerichtet und distanziert. Für die Überbrückung dieser Distanz gelten, nach Bahrdt, bestimmte Regeln, die zum einen der Stilisierung des Verhaltens sowie der Repräsentation durch Kleidung und Gesten, eine hohe Bedeutung bei messen. Das Verhalten in der Öffentlichkeit ist 32 grundsätzlich marktförmig ausgerichtet. Der private Bereich hingegen gilt als Schonraum. Die bürgerliche Privatsphäre entsteht als Gegenüber zur Öffentlichkeit. Geschützt vor dem Blick der Fremden können hier Intimität, Emotionalität und individuelle Eigenarten gelebt werden. Was passiert aber, wenn Individuen mit ihrem Verhalten diese Polarität aufheben, sie überschreiten und in ihrer Bedeutsamkeit durchkreuzen? Wenn sie dem unter Globalisierungsdruck gesteigerten Konsumzwang unserer heutigen Innenstädte nicht durch entsprechende Steigerung ihres marktförmigen Verhaltens nachkommen? Stattdessen die Öffentlichkeit der Plätze und Straßen in den Städten zur sozialen Kontaktaufnahme und –pflege in Form von privatisierten öffentlichen Verhaltensweisen als eine Art ‚Zweitwohnzimmer’ (be)nutzen? Und so ihr fehlendes Vermögen zur Steigerung ihrer Marktförmigkeit öffentlich sichtbar und für alle erfahrbar machen? Soziales Handeln von Individuen im öffentlichen Raum ist auf andere bezogen und mit einem subjektiven Sinn verbunden (Weber 1922). Verhaltensweisen, die öffentlich eigentlich Privates zeigen, stellen damit Modi individueller Sinnproduktion dar und sind als Reaktionen auf gesellschaftliche Entwicklungen zu deuten. Blicken wir auf die Stadt, um Gesellschaft zu sehen, so ist das nächst kleinere Raster, der Raum, in dem gesellschaftliche Verhältnisse wahrgenommen, und durch dessen Strukturen gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen werden. Räumliche Strukturen verwirklichen sich im Handeln der Individuen, so wie sie ihrerseits das soziale Handeln strukturieren. „(Social) space is a (social) product“, schreibt Lefèbvre als einer der ersten Vertreter der modernen Raumsoziologie (1974, S. 30). „Die moderne, urbanisierte Gesellschaft basiert wesentlich auf der Herrschaft über Raum. Die Strukturen der Gesellschaft manifestieren sich in räumlichen Anordnungen“ (Löw et al. 2007, S. 9). Er wirkt gesellschaftsstrukturierend und wird gleichzeitig von Gesellschaft strukturiert (Löw et al. 2007). Handlungstheoretisch bietet der Raum die Möglichkeit zum Handeln und determiniert durch seine Strukturiertheit die Handlungsmöglichkeiten. Parallel dazu wird Raum auch über seine Gleichzeitigkeit definiert. Ein konkreter Ort kann von verschiedenen Personen gleichzeitig unterschiedlich wahrgenommen und genutzt werden. Der gleiche Ort ist damit nicht für jede Personengruppe das Selbe. Im europäischen Stadtmodell fungiert der öffentliche Raum als Sozial- und Begegnungsraum. In dieser 33 Funktion wirkt der öffentliche Raum als eine integrierende Kraft des städtischen Lebens. Öffentliche Plätze werden damit zum Schauplatz der Vergesellschaftung. An ihnen lassen sich auch die normativen Implikationen räumlicher Sozialbeziehungen thematisieren (vgl. Young 2000) Im Vordergrund der marxistische Raumtheorie steht der Staat, der seine „Machtposition über den Zugriff auf den Raum sichert, indem Raum eingeteilt und verplant wird“ (Löw et al. 2007, S. 52). Städtebau und Stadtentwicklung werden damit zu Machtmechanismen. Die Internationalisierung der Märkte und die steigende Konkurrenz unter den Städten um das beste Standortimage führen zur grundlegenden Änderung der städtischen Kommunalpolitik. „Als Bestandteil dieser Konkurrenzstrategie betreibt das städtische Management die bauliche Aufwertung bestimmter Stadtviertel, fördert die Expansion von Büroflächen und organisiert Großprojekte wie Messen oder Weltausstellungen“ (Ronneberger 1998, S. 16). Konsum, Freizeit und Unterhaltung entwickeln sich zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der Städte. Das nach Bahrdt erwartete marktförmige Verhalten in der Öffentlichkeit wird normative Aufforderung zur Hybridkonsumtion an die Adresse der Individuen. „Malls und Themenparks stellen den vorläufigen Schlusspunkt einer Entwicklung dar, die sich bereits im 19. Jahrhundert abzeichnete: die Transformation des Kaufverhaltens in einen >>Erlebnisvorgang<< und die Funktionalisierung der Raumgestaltung als Bestandteil einer kommerziellen Marktstrategie“ (Durth 1988, zit. n. Ronneberger 1998). Innerstädtischer Raum muss Aufforderung, Möglichkeit und Sicherheit zum unbeschwerten Konsum bieten. Nutzungs- und Aneignungsweisen des öffentlichen Raumes transformieren sich. „Die sichtbare Anwesenheit von marginalen Gruppen auf Plätzen und Straßen wird von der Mehrheit der städtischen Gesellschaft zunehmend als Bedrohung der >>inneren Sicherheit<< wahrgenommen“ (Ronneberger 1998, S. 16) worauf durch entsprechende Maßnahmen der rekommunalisierten Ordnungspolitik reagiert wird. Hierbei sind zwei Vorgehensweisen zu beobachten: Zum einen definieren immer mehr städtische Behörden in Form von Sondernutzungsverordnungen Betteln, Alkoholtrinken oder Lagern im öffentlichen Raum zur Ordnungswidrigkeit wogegen bei Verstoß mit Platzverweisen und Bußgeldern vorgegangen werden kann. Zum anderen findet eine zunehmende Umwidmung von öffentlich zugänglichen Orten wie Bahnhöfen, Flughäfen, Plätzen des öffentlichen Nahverkehrs zu Privatbereichen statt, in denen, anhand entsprechender Hausordnungen seitens privater Sicherheitsdienste, verstärkt gegen unwillkommene Verhaltensweisen, sprich nicht dem Konsum gewidmetem Verhaltensweisen, vorgegangen werden kann. Hier wird „die sich verstärkende Tendenz zur 34 Ausgrenzung von unliebsamen Personen aus dem öffentlichen Raum“ (Positionspapier: KAGS und KAGW 2003, S. 23) sichtbar. Dieser erhöhte Vertreibungsdruck fußt ursächlich im dargestellten Funktionswandel des öffentlichen Raums und präventiven Sicherheitsstrategien als politische Reaktion auf diffuse Unsicherheitsgefühle der gesellschaftlichen Mehrheit. Die Sichtbarkeit des möglichen sozialen Absturzes in Mitten der Konsumwelt der Innenstädte lässt die Angst und das Unbehagen bis in die Mitte der Gesellschaft hineinkriechen. Reaktive Abwehr- und Ausgrenzungstendenzen sind die Folge. In ihnen drückt sich das Selbstverständnis einer Gesellschaft aus (Kronauer 1998a). Dem Primat der Gleichzeitigkeit des Raumes ist es jedoch geschuldet, dass sich der gleiche öffentlich Raum für marginalisierte Gruppen ideal zur Inszenierung und Skandalisierung des eigenen Schicksals eignet. „Denn der städtische Raum ist von jeher Bühne des Sehens und Gesehenwerdens. Hier ist jeder Anwesende, ob er will oder nicht, Schauspieler und Teil eines Schauspiels“ (Breyvogel 1998). Ein innerstädtischer Machtkampf um die Frage: „Wem gehört die Stadt?“ (Titus 2001) zwischen Gewinnern und Verlierern aktueller Globalisierungs- und Modernisierungsprozesse scheint zu entstehen. Nach Bourdieu (1991) manifestieren sich in der Auseinandersetzung über Orte und Plätze gegenwärtige Machtverhältnisse, denn die Herrschaft über den Raum ist eine der privilegiertesten Formen der Machtausübung. „Die soziale Realität in den deutschen Metropolen hat sich seit den 80er Jahren grundlegend verändert“ (Ronneberger 1998, S. 16). Bei den weiter unten folgenden empirischen Betrachtungen wird der Fokus darauf gelegt werden wie Gesellschaft darauf reagiert, wenn Individuen die Trennung von privat und öffentlich aufheben und vormals private Verhaltensweisen öffentlich praktizieren, vielleicht so gar bis zu einem gewissen Grad auch ‚inszenieren’13. Denn städtische Räume bieten Möglichkeiten der Wahrnehmung von Inklusion und Exklusion im Lichte der demokratischen Verhältnisse einer Gesellschaft. 13 Siehe Punkt 4.5.. 35 3 Methodische Konzeption und Durchführung der Untersuchung Im Folgenden werde ich die methodische Konzeption und Durchführung meiner Studie darstellen. Im Rahmen der methodologischen Vorüberlegungen werde ich ausführen, auf welchen methodologischen Grundannahmen meine Arbeit basiert und warum ich mich, daraus ableitend, für ein bestimmtes methodisches Vorgehen entschieden habe. Die Wahl meiner Erhebungs- und Auswertungsmethoden leitet sich aus den methodologischen Grundfesten meiner Arbeit ab. 3.1 Methodologische Vorüberlegungen 3.1.1 Erkenntnistheoretische Leitgedanken Grundlage der Erforschung individueller Verarbeitungsmodi sozialer Exklusion ist ein Subjektverständnis, dass dieses als aktiv realitätsverarbeitend versteht. Das von Klaus Hurrelmann (1983; 2002) konzipierte Modell stellt ein Subjekt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungsweise, welches sich sein Leben lang mit den inneren und äußeren Anforderungen der Lebensrealität auseinander setzen muss und dabei flexibel und produktiv seine eigene Persönlichkeit formt. Sein Modell geht von einer dialektischen Beziehung zwischen Subjekt und gesellschaftlich vermittelter Realität aus. Jeder Mensch steht lebenslang vor der Aufgabe sowohl die innere als auch die äußere Realität aufzunehmen, sich diese anzueignen und zu verarbeiten. Globale gesellschaftliche Prozesse des sozialen Wandels, die ihren Niederschlag in Veränderungen der Lebenswelt finden, stellen das Individuum auf der Mikroebene seiner Lebensführung vor die Anforderung der aktiv produktiven Verarbeitung. Arbeitslosigkeit, finanzielle Armut, fehlende gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten und Wegfallen oder Einschränkung sozialer Nahbeziehungen stehen dem Subjekt als äußere Realitäten gegenüber, mit denen es umgehen und die es verarbeiten muss. Wie Individuen auf die Bedingungen der äußeren Realität reagieren, mit diesen umgehen, hängt nicht zu letzt von ihrer eigenen inneren Grundstruktur und der ihnen zur Verfügung stehenden Stressbewältigungs- und Copingfähigkeiten ab. Der Mensch wird einerseits von seiner Umwelt beeinflusst, gleichzeitig 36 wirkt aber er auch selbst gestaltend auf diese ein. Im Prozess der Verarbeitung konkreter Umweltanforderungen werden spezifische Orientierungs- und Verhaltensregulationssysteme aufgebaut. Mittels dieser ihm zur Verfügung stehenden Regulationssysteme reagiert der Mensch auf die jeweiligen situativ vermittelten Erscheinungsformen der Realität, wirkt auf diese ein und verändert sie dadurch. „Das Subjekt verhält sich gegenüber der Realität teils aktiv gestaltend, teils ausweichend bzw. selektiv suchend, teils auch nur passiv hinnehmend. Als Folge dieser Tätigkeit verändert sich zunächst die reale Situation des Subjektes (…). Als Folge der Tätigkeit verändert sich außerdem das Subjekt selber (…). Von besonderer Bedeutung dabei ist seine Interpretation der Realität und seines Verhältnisses zu ihr, weil davon abhängt, in welchen Modi das Subjekt der Realität gegenübertritt“ (Geulen 1981, S. 553). Die vorliegende Forschungsarbeit beschäftigt sich genau mit diesem Punkt. Subjektive Verarbeitungsmodi äußerer Realität, wie gesellschaftliche Strukturen, hängen ab von subjektiven Wahrnehmungs- und Interpretationsschemata. Sie schlagen sich in den individuellen Deutungs- und Handlungsmustern nieder, anhand derer die Individuen auf äußere Bedingungen ihrer Lebenswelt reagieren und sich zu ihr in Beziehung setzen. Mit dem Arbeitskonzept der ‚Biographie’ geht Fischer-Rosenthal (‚Biographische Strukturierung’ 2000a, 2000b) über das Modell von Hurrelmann hinaus. Grundlage seines Konzeptes stellt gleichfalls die Annahme einer wechselseitigen Bedingtheit und Zirkularität von Individuum und Gesellschaft dar. Das Subjekt verändert sich demzufolge entlang der veränderten Sozialstrukturen der modernen Gesellschaft. Der Subjekt-Begriff stellt für ihn die Grundfigur gesellschaftlicher Selbstbeschreibung dar. In den biographischen Selbstbeschreibungen der Individuen finden die derzeitigen lebenslangen Orientierungsprozesse von Individuen in modernen funktional differenzierten Gesellschaften ihren Ausdruck und ihre Verarbeitung. Im Konzept der Biographie sieht Fischer-Rosenthal (2000a) die Klammer zwischen Subjekt und Gesellschaft, ja sogar die Auflösung der Dichotomie von Individuum und Gesellschaft. In den biographischen Selbstbeschreibungen der Individuen finden gesellschaftliche Veränderungen, die auf die Bedingungen der Lebenswelt Einfluss nehmen, sowie die Modi der subjektiven Verarbeitung dieser, ihren Ausdruck. In ihnen wird Zeit verarbeitet und gesellschaftliche Prozesse dargestellt, indem Temporalstrukturen produziert und kommuniziert werden. Die Bedeutung biographischer Geschichten für die Individuen, lässt sich mit Rosenthal (1993) folgend zusammenfassen: „Die biographische Selbstpräsentation mit den Erzählungen bio37 graphischer Erlebnisse sowie theoretischer Kommentaren über den eigenen Lebensweg dient (…) zur Herstellung von Konsistenz oder Kontinuität. BiographInnen erzählen über ihr Leben, weil sie sich über ihre zum Teil brüchige Vergangenheit, Gegenwart und antizipierte Zukunft vergewissern möchten. Mit der Erzählung versuchen sie, entweder ihr Leben in einen konsistenten Zusammenhang zu bringen und sich die Geschichte ihrer Veränderungen zu erklären“. Die Befragten beschreiben also nicht nur den erlebten Prozess, sondern geben auch direkte oder indirekte theoretische Erklärungen dieses Prozesses ab. Erzählte Lebensgeschichten spielen eine zunehmend bedeutendere Rolle in der aktuellen empirischen Sozialforschung. Sprachliche Aktivitäten der Narration sind in der Lage vergangenes Erlebtes in einer aktuellen Situation rekonstruierend darzustellen. Dabei berücksichtigt das Subjekt die gesellschaftsspezifischen Erzähl- und Deutungsmuster und unterlegt den Narrationen des Vergangenen seine gegenwärtigen Sinnkonstruktionen. In der Narration vergewissert sich das Subjekt seiner selbst. Narrative Darstellungen des Gewordenseins unterliegen der situativen Bewertung des Erzählenden im Hier und Jetzt und den aus dem Kontext der aktuellen sozialen Situation gegebenen Sinnerfordernissen. Sie verbinden Erzählungen vergangener Ereignisse mit der Gegenwart und begründen die Erwartungen zukünftiger Ereignisse (Keupp et al. 1999, S. 101f.). Narrationen unterliegen Formgesetzen und sind sozial eingebunden. Die dem Subjekt zur Verfügung stehenden Formen seiner Narrationen sind gesellschaftlich bedingt und begrenzt. Sie müssen den gesellschaftlich akzeptierten Regeln für narrative Konstruktionen entsprechen, um verstanden und akzeptiert zu werden. (Kraus 2000, S. 176). Objektive soziale Exklusionslagen werden in dem vorliegenden Forschungszusammenhang als äußere Realität und gesellschaftliche Lebensbedingung von Subjekten aufgefasst, die individuell verarbeitet werden müssen. Die verschiedenen Verarbeitungsmodi und Formen ihrer Legitimation finden ihren Ausdruck in je spezifischen biographischen Selbstbeschreibungen der Subjekte, die narrativ, mittels gesellschaftlich determinierten „Ready-MadeVerständlichkeiten (Kraus 2000, S. 169) dargestellt werden. Das biographische So-GewordenSein wird entlang der temporalen Struktur einer Geschichte aufgefächert und bedarf bezüglich seiner empirischen Erfassung eines entsprechenden methodischen Vorgehens. Das problemzentrierte Interview nach Witzel (1982; 1985) stellt meines Erachtens ein solchermaßen geeignetes Erhebungsinstrument dar, da es mittels einer narrativen Einstiegsfrage die biographische Selbstbeschreibung des Subjektes hinsichtlich des empirisch interessierenden Aspektes anregt. 38 Eine ausführlichere Darstellung des problemzentrierten Interviews als Erhebungsmethode meiner Wahl erfolgt unter Punkt 3.1.4.. 3.1.2 Hermeneutisches Verstehen und qualitativ-empirische Forschung Grundannahme meiner Forschungsarbeit ist, dass sich objektive soziale Exklusionslagen in den individuellen Deutungs- und Handlungsmustern sozial exkludierter Individuen niederschlagen und diese als biographische Selbstbeschreibungen mitteilbar sind. Ziel der vorliegenden Studie ist es deshalb, die subjektiven Deutungs- und Handlungsmuster von Wohnungsflüchtern, anhand derer sie auf das Erleben ihrer objektiven Exkludiertheit reagieren, mit ihr umgehen und diese verarbeiten, ihrem Sinn entsprechend zu verstehen. Denn: Soziales Handeln von Individuen geschieht nie ohne einen implizierten Sinnzusammenhang und individuelle Handlungs- und Deutungsmuster sind immer mit subjektiven Bedeutungen, mit Sinn verbunden. Diesen subjektiv gemeinten Sinn gilt es in meiner Arbeit deutend zu verstehen. (Weber 1922). „Das Verstehen und Deuten ist die Methode, welche die Geisteswissenschaften erfüllt“ (Dilthey 1957, S. 205). Die metaphysische Methode des Verstehens menschlichen Daseins wird als Hermeneutik bezeichnet (Duden 1990, S. 306). Die Hermeneutik widmet sich der Rekonstruktion des Sinns der sozialen Welt. Dabei muss sich das Verstehen am subjektiv gemeinten Sinn des Handelnden selber orientieren. In der vorliegenden, hermeneutischen Forschungsarbeit führt dies zum Beispiel zu der Frage, welchen subjektiven Sinn Individuen in sozialen Exklusionslagen mit Wohnungsflucht verbinden. Das Verstehen eines Gegenübers ist dabei immer Fremdverstehen, das der Interpretation bedarf. Interpretationen erfolgen auf der Grundlage von Texten. Daseinsäußerungen müssen hierfür in Schriftform vorliegen. Für die vorliegende Studie bedeutete dies, die narrative Darstellung subjektiver Handlungs- und Deutungsmuster von Wohnungsflüchtern in München anhand problemzentrierter Interviews14 zu erheben, aufzuzeichnen und diese Tondokumente entlang klarer Transkriptionsregeln (Anhang) zu verschriftlichen und sie dadurch dem verstehenden und deutenden Nachvollzug des subjektiv gemeinten Sinns zugänglich zu machen. Verstehen in diesem Zusammenhang soll „methodisch kontrolliertes Fremdverstehen“ sein 14 Siehe unter Punkt 3.4.4.. 39 (vgl. Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1976). Dabei muss sich der wissenschaftliche Interpret seines eigenen Vorverständnisses bewusst sein und, um dem Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit zu genügen, dieses Vorverständnis bzw. Vorwissen in der Darstellung seines Untersuchungsdesigns explizit machen15 (vgl. Mayring 2002, S.111). In der vorliegenden Arbeit soll die Sichtweise von exkludierten Menschen zu Wort kommen, die subjektiven und sozialen Konstruktionen ihrer Welt. Damit steht das Subjekt und seine Sichtweise der sozialen Wirklichkeit im Vordergrund der Untersuchung, was diese in die Theorietradition des symbolischen Interaktionismus und der Phänomenologie, die den „subjektiven Bedeutungen und individuellen Sinnzuschreibungen nachgehen“ (Flick; Kardorff; Steinke 2005, S. 18) stellt. Die „objektiven“ Lebensbedingungen werden für Individuen erst durch die Zuschreibung subjektiver Bedeutungen relevant. Objektive Lebensbedingungen kommen durch Individuen zur Sprache, werden erst durch diese zum Leben erweckt. Ansatzpunkt der Forschungsarbeit ist die Rekonstruktion der subjektiven Konstruktionen sozialer Wirklichkeit von Wohnungsflüchtern. Dieser Anspruch soll durch möglichst dichte Beschreibung (Geertz 1983) der jeweiligen subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen (Alltagstheorien, Biographien, etc.) und deren Verankerung in kulturellen Selbstverständlichkeiten sowie Praktiken im lokalen (Sub-)Milieu eingelöst werden (Flick; Kardorff; Steinke 2005, S. 21). Die dargestellten Grundannahmen der Studie machen ein qualitatives Forschungsvorgehen notwendig, dessen Besonderheit in ihrer starken Subjektorientierung, ihrer Betonung der Deskription und Interpretation, ihrer Forderung Subjekte in ihrer natürlichen, alltäglichen Umgebung zu untersuchen und der Generalisierung der Ergebnisse als Verallgemeinerungsprozess liegen (Mayring 2002, S. 19). Als entscheidendes Prinzip qualitativer Forschung gilt das ‚Prinzip der Offenheit’. Nur mit einem Höchstmaß an Offenheit ist es möglich Subjekte in ihrer jeweiligen Lebenswelt aufzusuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und eine temporär begrenzte aber tragfähige Vertrauensebene zu schaffen, auf deren Basis überhaupt erst gehaltvolle narrative Selbstbeschreibungen möglich sind, welche als Datengrundlage wissenschaftlicher Re-Konstruktionen sozialer Wirklichkeit dienen können. Offenheit in diesem Sinne meint jedoch nicht die fehlgeleitete Annahme den Forscher als eine Art tabula rasa ins Feld zu schicken. Sondern „>>Theoretische Vorstrukturierungen, auch Hypothesen, 15 Siehe die Punkte 3.1.3 und 3.2.. 40 bleiben nach wie vor wichtiges Erkenntnismittel<<16, wobei zu jedem Zeitpunkt der Untersuchung >>Neufassungen, Ergänzungen und Revisionen sowohl der theoretischen Strukturierungen und Hypothesen als auch der Methoden möglich sind, wenn der Gegenstand dies erfordert<<“ (Mayring 1993, S. 16 zit. n. Mey 1999, S. 127). Da qualitative Forschung stark gegenstands-, situations- und milieuabhängig ist, lässt sie sich nur sehr eingeschränkt standardisieren (Steinke 2005, 322). Nichtsdestotrotz sind auch für diese Art der Forschung qualitative Standards zur wissenschaftlichen Absicherung notwendig. Nach Mayring (2002, S. 144ff.) sind folgende allgemein gültigen Gütekriterien qualitativer Sozialforschung zu nennen: Studien sollten eine Verfahrensdokumentation beinhalten, um den Forschungsprozess für andere nachvollziehbar zu machen. Interpretationen sind argumentativ und in sich schlüssig zu begründen (Argumentative Interpretationsabsicherung). Die einzelnen Arbeitsschritte des Forschungsvorhabens sollen systematisch aufeinander bezogen und regelgeleitet sein. Dies gilt sowohl für die Durchführung als auch für die Auswertung der Studie (Regelgeleitetheit). Außerdem sollte qualitativ-interpretative Sozialforschung „möglichst nahe an der Alltagswelt der beforschten Subjekte anknüpfen“ (Mayring 2002, S. 146). Dafür war es notwendig, dass sich die Forscherin in die natürliche Lebenswelt der Beforschten begab und ein offenes und gleichberechtigtes Verhältnis zwischen sich und Beforschten herstellte (Nähe zum Gegenstand). Wichtig ist auch die mehrperspektivische Erschließung des Phänomenbereichs, was durch unterschiedliche Erhebungsmethoden und Datenquellen erreicht werden kann (Triangulation). Der Vollständigkeit willen soll abschließend die kommunikative Validierung aufgeführt werden, die in der vorliegenden Studie jedoch aufgrund des begrenzten Zeitrahmens keine Berücksichtigung fand. Ansonsten richtete sich die vorliegende qualitativ-empirisch Studie nach den oben dargestellten „Standards“ qualitativer Sozialforschung aus. 3.1.3 Theoriegeleitete Sozialforschung Offenheit als oberstes Prinzip qualitativer Sozialforschung darf nicht unberücksichtigt lassen, dass der Forscher als Erhebungs-, Verstehens- und Erkenntnis“instrument“ gleichfalls immer 16 Siehe dazu Punkt 3.1.3 und 3.2.. 41 schon ein sozialisatorisch „vorbelastetes“ Subjekt im Feld eigener Forschungsarbeiten ist. Eine spezifische Neugierde, oder anders gesagt: ein spezifisches Erkenntnisinteresse, hat ihn ja gerade zu in dieses spezielle Feld getrieben. Jedwede Konstitution einer Erhebung baut auf dem Forschungsinteresse und dem, wie auch immer gearteten, Vorwissen des Forschers auf. „Die in der qualitativen Methodologie gelegentlich zu findende Idealisierung der >>Unvoreingenommenheit<< des Forschers und der Vorstellung einer >>direkten<< Erfassung der sozialen Realität sind (…) erkenntnistheoretisch nicht zu halten“ (Meinefeld 2005, S. 269). Denn jede Wahrnehmung in einem sozialen, evtl. der forschenden Person fremden, Feld geschieht immer im Rückbezug auf eigene Deutungsschemata und kann nur dadurch Bedeutung für den Forscher erlangen. Sein Vorwissen strukturiert alle seine Wahrnehmungen und bildet so die Grundlage seines Forschens. Der Anspruch qualitativer Sozialforschung nach größtmöglicher Offenheit kann folglich nicht in die Forderung münden, der Forscher habe sein Vorwissen auszuschalten, um sich vollkommen unvoreingenommen auf seine Forschungsobjekte einzulassen. Viel mehr sollte es ihm daran gelegen sein, dieses Vorwissen zu explizieren und damit einer kritischen Reflektion zugänglich zu machen. Nach Meinefeld (2005) ist zwischen alltagsweltlichem Vorwissen, allgemein-theoretischen Konzepten, „die zur grundlegenden Konstitution des Gegenstandes durch den Forscher beitragen“17 (ebenda, S. 273) und gegenstandsbezogenen Konzepten, „die die Fokussierung auf bestimmte inhaltliche Aspekte des zu untersuchenden Forschungsthemas erlauben“ (ebenda, S. 273) zu unterscheiden. Letztere ermöglichen die Formulierung von ex-ante-Hypothesen18. Im Vorwissen des Forschers wurzeln dessen Kategorien des Verstehens, auf deren Basis Fremdverstehen überhaupt erst möglich ist. Vor Beginn einer Forschungsarbeit muss der theoretische Wissensstand der Wissenschaftscommunity zur Kenntnis genommen werden, um so überhaupt erst Neues von bereits Bekanntem unterscheiden zu können. Durch diese theoretische Vorarbeit und darauf fußender Hypothesenbildung gelingt es die Gefahr extensiver Exploration aller Aspekte eines Forschungsgegenstands und der damit rasch einhergehenden Überforderung der zeitlichen und personellen Ressourcen einer Forschungsarbeit, mittels konkreter Selektionskriterien zu begrenzen (vgl. Hopf 1983). Eine solchermaßen theoriegeleitete Sozialforschung sieht in der stärkeren „TheorieOrientierung im Prozeß qualitativer Forschung eine wichtige Voraussetzung für eine zielge- 17 Siehe Punkt 2.. 18 Siehe Punkt 3.2.. 42 richtete und ergiebigere Gestaltung der Erhebung und auch der Auswertung qualitativer Daten“ (Hopf 1996, S. 9). Reflektieren des bereits bestehenden Vorwissens, Kenntnisnahme des vorhandenen theoretischen Wissenstandes zum interessierenden Phänomenbereich, Bildung von ex-ante-Hypothesen mittels derer die Interviewplanung, die Auswahl des Forschungssettings, die Auswahl der in die Untersuchung einzubeziehende Gruppe, wie auch die Durchführung und Auswertung der Erhebung erfolgt, stellt eine sinnvolle Strukturierung qualitativ-theoriegeleiteter Sozialforschung dar. Dem Anspruch nach Offenheit qualitativer Forschung wird dabei Rechnung getragen durch die Wahl einer, zwar den Forschungsgegenstand strukturierenden, aber offenen Interviewmethode, die der freien Entfaltung narrativer Darstellung subjektiver Sichtweisen, Deutungsmustern, Erklärungsansätzen und Strukturierungsprozessen hinsichtlich des interessierenden Phänomenbereichs seitens der Befragten Raum lässt19. Darüber hinaus findet auch im Auswertungsprozess das Offenheitsprinzip Berücksichtigung. Im Rahmen der Auswertung werden die vorab entwickelten Hypothesen entweder bestätigt, widerlegt oder die vorgefundenen Tatbestände machen eine Veränderung oder Erweiterung der bestehenden Hypothesen notwendig. Gleichzeitig besteht in diesem Prozess immer aber auch die Möglichkeit vollkommen neuer Ideen, die mit dem, was vorab formuliert wurde, gar nichts zu tun haben müssen. Die Weiterentwicklung, Präzisierung und Revision von ex-ante-Hypothesen „kann eher zu neuen theoretischen Einsichten führen als die konzeptions- und theorielose Auseinandersetzung mit Texten“ (Hopf 1996, S. 18) wie sie häufig im Zuge des „soziologischen Naturalismus“ (vgl. Hoffmann-Riem 1980) propagiert wird. Um Missverständnissen vorzubeugen und notwendige Abgrenzungen vorzunehmen, um nicht einer quantitativen Hypothesenprüfung das Wort zu reden, ist darauf hinzuweisen, dass „auf der Grundlage von Einzelfallanalysen keine generellen Zusammenhangshypothesen überprüft werden und ebenfalls nicht solche Hypothesen, die sich in historisch spezifizierender Weise auf Verteilungen und Zusammenhänge auf nationaler Ebene beziehen. Was geleistet werden kann, ist die auf Einzelfälle bezogene Hypothesenprüfung – sei sie auf einzelne Individuen, einzelne soziale Interaktionen – Gespräche, Rituale o. a. -“ bezogen (Hopf 1996, S.18). 19 Dem trägt die Erhebungsmethode des problemzentrierten Interviews Rechnung. 43 In der hier darzustellenden Forschungsarbeit wurden, rekrutierend auf den aktuellen Forschungsstand und die aktuelle Theoriediskussion zur Exklusionsthematik20 sowie einiger erkenntnistheoretischer Leitgedanken21, Hypothesen über den interessierenden Phänomenbereich gebildet. Diese Hypothesen22 stellten die Grundlage für Entwicklung des eingesetzten Interviewleitfadens dar23. 3.1.4 Das problemzentrierte Interview - Darstellung und Begründung der Erhebungsmethode Methodologische Vorüberlegungen im Rahmen qualitativer Sozialforschung dienen theoretisch-methodischen Reflexionen des Forschungsvorhabens und geben Orientierung in der Methodenwahl. Die Stringenz wahrend bedeutet dies, die weiter oben diskutierten Aspekte Offenheit, Theoriegeleitetheit, rekonstruierendes Sinnverstehen, Erfassen der subjektiven Sichtweise und Realitätsverarbeitendes-Subjekt-Verständnis, sind in der Durchführung der hier diskutierten qualitativ-empirischen Studie berücksichtigt worden und der Methodenwahl zu Grunde gelegt. Das Verfahren des ‚problemzentrierten Interviews’ (Witzel 1982; 1985) wird, meiner Meinung nach, diesem Anspruch gerecht. Andreas Witzel ist es gelungen ein Interviewverfahren zu entwickeln, das der notwendigen Vermittlung zwischen bestehendem, theoriegeleitetem, Vorwissen und empirisch zu erwerbendem Wissen im Erhebungs-, wie auch im Auswertungsprozess nachkommt. „Das problemzentrierte Interview (PZI) ist ein theoriegenerierendes Verfahren, das den vermeintlichen Gegensatz zwischen Theoriegeleitetheit und Offenheit dadurch aufzuheben versucht, dass der Anwender seinen Erkenntnisgewinn als induktiv-deduktives Wechselspiel organisiert“ (Witzel 2000). Die Methode zielt darauf ab, individuelle Handlungen sowie subjektive Wahrnehmungen und Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität möglichst unvoreingenommen zu erfassen (Witzel 2000). In den subjektiven Interviewäußerungen der Befragten kommen auch gesellschaftlich vermittelte Relevanzstrukturen zum Vorschein. Das Verfahren verfolgt damit einen dop- 20 Siehe Punkt 2.. 21 Siehe Punkt 3.1.1.. 22 Siehe Punkt 3.2.. 23 Siehe Anhang. 44 pelten Bezug: auf Subjekt und Gesellschaft (Schmidt-Grunert 1999, S. 41). Im Erhebungsprozess wird es dem Befragten durch die Anregung narrativer Erzählungen ermöglicht seine subjektive Sichtweise und spezifischen Relevanzsetzungen hinsichtlich der untersuchten Tatbestände darzustellen (induktive Vorgehensweise). Der Interviewende seinerseits kann auf Grund seines Vorwissens (im Sinne von sensiblisierenden Konzepten Blumer 1954), so wie auf Grund der dargestellten Erzählungen ad-hoc-Fragen formulieren und ins Gespräch einfügen (deduktive Vorgehensweise). Dadurch entsteht ein dialogisch-diskursiver Gesprächsverlauf zwischen den Beteiligten, in dessen Verlauf die Orientierungen und Handlungen des Befragten rekonstruiert und seine Deutungen ersichtlich werden. Die Verschränkung von bestehendem und zu ermittelndem Wissen geht über die Erhebungsphase hinaus und betrifft den gesamten Forschungsprozess bis hin zur Auswertungsphase24. Im Verfahren des Problemzentrierten Interviews werden drei Grundpositionen vertreten. Der Aspekt der Problemzentrierung verweist einerseits auf die Orientierung des Verfahrens an gesellschaftlich relevanten Problemstellungen und andererseits auf das Beibehalten des Problemfokus während des gesamten Interviewverlaufs. „Der Interviewer nutzt die vorgängige Kenntnisnahme von objektiven Rahmenbedingungen der untersuchten Orientierungen und Handlungen, um die Explikationen der Interviewten verstehend nachzuvollziehen und am Problem orientierte Fragen bzw. Nachfragen zu stellen“ (Witzel 2000). Solchermaßen ermöglicht es das problemzentrierte Interview dem Befragten sich mit bestimmten Fragestellungen hinsichtlich seines Lebens in systematisch, strukturierter Weise auseinander zu setzen. Und ermöglicht so subjektive Prozesse der Selbstverständigung und Verhältnisreflexion. Die Gegenstandsorientierung hebt die Bedeutung der subjektiven Wirklichkeitssicht der Befragten im Rahmen dieses Verfahrens hervor. Es geht um die Erfassung subjektiver Deutungsmuster „im Rahmen der individuellen Auseinandersetzung mit sozialer Realität“ (Witzel 2000). Dies erfordert in der Interviewsituation die unterschiedliche Eloquenz der Befragten zu berücksichtigen und damit adäquat umzugehen. Zum Beispiel kann der Dialog durch vermehrte Narrationsanregungen oder stützendes Nachfragen gefördert werden. Gegenstandsorientierung bedeutet darüber hinaus aber auch den Einsatz unterschiedlicher Methoden (Triangulation), um den interessierenden Forschungsgegenstand ganzheitlich erfassen zu können. Innerhalb dieser Methodenkombination bildet das Interview jedoch das wichtigste Forschungsinstrument. Prozessorientierung, als Letzte der Grundpositionen, verweist als 24 Zur Auswertung problemzentrierter Interviews siehe Punkt 3.5.. 45 erstes auf die schrittweise Gewinnung und Prüfung von Daten im Forschungsprozess, als zweites auf den Prozess der dialogischen Gestaltung der Interviewsituation und abschließend auf den Aspekt des historischen „Gewordenseins“ des befragten Individuums. Witzel versteht das problemzentrierte Interview als ein Verfahren, das die subjektive Sichtweise der Untersuchten erfasst und dabei die biografischen Begründungszusammenhänge der Individuen berücksichtigt (vgl. Witzel 1985). Im Mittelpunkt der Erhebung stehen qualitative Interviews, ergänzt durch die Instrumente: Kurzfragebogen, Interviewleitfaden, Tonbandaufzeichnung und Postskriptum25. Der Kurzfragebogen erhebt die Sozialdaten der Befragten. Der Leitfaden dient in der Feldvorbereitung, der Strukturierung des interessierenden Gegenstandsbereichs basierend auf dem bestehenden Vorwissen und während des Gesprächsverlaufs, als eine Art Hintergrundmatrix zur Gedächtnisstütze des Forschers. „In ihm ist der gesamte Problembereich in Form von einzelnen thematischen Feldern formuliert, unter die die in Stichpunkten oder in Frageform gefassten Inhalte des jeweiligen Feldes subsumiert sind“ (Witzel 1985, S. 236). Die Umsetzung der Leitfadenstruktur in konkrete Fragen während des Interviewverlaufs wird jedoch dem Interviewer offen gelassen, damit auf die Relevanzsetzungen des Interviewpartners eingegangen werden kann. Durch das interessierte Nachfolgen der Sinnexplikationen der Befragten fühlen sich diese als Experten ihrer Lebenssituation ernst genommen und die möglichst eindeutige Rekonstruktion ihrer Handlungen und Deutungen wird zunehmend zu ihrem eigenen Anliegen. D. h. das „Prinzip der Theoriegeleitetheit (Leitfaden) wird durch eine offene Vorgehensweise ergänzt, die den Erkenntniszuwachs der Interviewer durch die Relevanzsetzungen seitens der Interviewpartner ermöglicht“ (Witzel 1996, S. 57). Das gesamte Interview wird auf einem Tonband aufgenommen und nach der Erhebung vollständig transkribiert. Diese Daten stellen die Grundlage für die Auswertung dar. Nach jedem Gespräch wird ein Postskriptum erstellt. In diesem hält der Forscher Anmerkungen zum Ablauf des Interviews, besondere Vorkommnisse, inhaltliche Kernaussagen aber auch Brüche in der Darstellung fest. „Außerdem werden spontane thematische Auffälligkeiten und Interpretationsideen notiert, die Anregungen für die Auswertung geben können“ (Witzel 2000). Während des Interviewverlaufs wird eine erzählungsgenerierende Kommunikationsstrategie verfolgt, die neben einer narrativen Einstiegsfrage, welche sich auf das interessierende Themengebiet bezieht, allgemeine Sondierungs- 25 Alle genannten Forschungsinstrumentarien sind im Anhang (CD) enthalten. 46 fragen, ad-hoc-Fragen und die Möglichkeit zu spezifischen Sondierungen durch Widerspiegelungen, Verständnisfragen und Konfrontationen enthält26. Das problemzentrierte Interview ist das Erhebungsverfahren meiner Wahl, weil es zum einen den Anforderungen qualitativer Sozialforschung gerecht wird. Zum anderen, weil durch seine Ausrichtung, auf die Erfassung individueller Handlungsstrukturen und Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Realität, der Forschungsfrage nach individuellen Verarbeitungsmustern objektiver Exklusionslagen adäquat nachgegangen werden kann. Und darüber hinaus, das Verfahren, meiner Meinung nach, besonders geeignet ist, um mit Wohnungsflüchtern in ein biografisch ausgerichtetes aber themen- bzw. problemzentriertes Gespräch zu kommen, ohne der Gefahr zu unterliegen, im Meer der mitgeteilten Lebensgeschichten orientierungslos zu ertrinken. „Diese Art des >>Geschichtenerzählens<< auf eingegrenzte Lebenspassagen fängt biographisches Bewusstsein in der Sichtweise des betroffenen Erzählenden ein, das typische Verlaufsmuster der Alltagsbewältigung enthält und sozioökonomische Lebenszusammenhänge in möglichen Schnittstellen zu biographisch psychosozial entwickelten Verarbeitungsformen durch die Betroffenen selbst aufdecken lässt“ (Schmidt-Grunert 1999, S. 41). 3.2 Forschungsleitende Hypothesen und Leitfadenentwicklung Grundannahme der vorliegenden Forschungsarbeit: Die Personengruppe der Wohnungsflüchter ist sozial exkludiert bzw. von sozialer Exklusion gefährdet. Sie erfahren objektive Benachteiligungen in einem oder mehreren der Bereiche – Arbeitsmarkt, Ökonomie, Kultur, soziale Nahbeziehungen, Raum und Institutionen. Als realitätsverarbeitende Subjekte müssen sich Wohnungsflüchter mit den inneren und äußeren Anforderungen, die sich aus einer objektiven sozialen Exklusionslage ergeben, auseinander setzen und diese, die eigenen Persönlichkeit formend, verarbeiten. 26 Bezüglich einer ausführlicheren Darstellung des methodischen Vorgehens sei auf die grundlegende Literatur von Andreas Witzel zum problemzentrierten Interview (vgl. 1982, 1985, 2000; vgl. auch Mey 1999, S. 143ff.) verwiesen. 47 Die interessierende Forschungsfrage lautet, wie Individuen objektive soziale Exklusionslagen individuell verarbeiten. In diesem Zusammenhang stellen sich viele weitere Fragen: Welche Auswirkungen hat die soziale Exklusion auf ihr Selbstbild, ihre Alltagsgestaltung und Handlungsspielräume? Welche Deutungsmuster der eigenen sozialen Lage entwickeln sie? Wie sichern sie unter diesen Bedingungen Zugehörigkeit? Wie gestalten sie ihre Selbstperformance und wo verorten sie sich selbst gesamtgesellschaftlich und wo von hängt das ab? Empfinden sie sich als sozial exkludiert? Welche Reaktionen ihrer Umwelt auf ihre soziale Exklusionslage nehmen sie wahr, und wie gehen sie damit um? Anhand der Personengruppe der Wohnungsflüchter sollen diese Fragestellungen untersucht werden. Wohnungsflüchter können als sozial exkludierte Individuen angesehen werden, deren Exklusion im öffentlichen Raum sichtbar und damit gesellschaftlich erfahrbar wird. Sie befinden sich überwiegend in einer mindestens prekären finanziellen Lage und halten sich tagsüber auf öffentlichen Plätzen in München auf. Als forschungsleitende Hypothesen sind zu nennen: Wohnungsflucht ist mit subjektivem Sinn verknüpftes soziales Handeln von Individuen, als eine Form der Verarbeitung ihrer sozialen Exklusionslage. Soziale Exklusionsprozesse finden ihren Niederschlag in den biographischen Selbstbeschreibungen der Individuen und können performativ dargestellt werden. Identität wird narrativ entlang der Temporalstruktur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konstruiert. Darin werden typische Handlungs- und Deutungsmuster der Individuen sichtbar. Fehlende gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten (Erwerbsarbeit/ ökonomisch/ sozial/ kulturell) reduzieren die Handlungsspielräume von Exkludierten und schlagen sich in deren individuellen Lebensgestaltung(-smöglichkeiten) nieder. Objektiv Exkludierte haben unterschiedliche Selbst- und Gesellschaftsbilder und können die gleiche soziale Lage unterschiedlich erleben und beurteilen. 48 Auf individuell sichtbar werdende Exklusionsphänomene wird gesellschaftlich reagiert. Exkludierte müssen mit der Erfahrung gesellschaftlicher Reaktionen auf ihre objektive Exklusionslage in einer je spezifischen Art und Weise umgehen. Auf Grundlage der forschungsleitenden Hypothesen erfolgte die Entwicklung des Leitfadens.27 3.3 Stichprobenbildung Eine empirische Studie zielt entweder auf die Inspektion oder die Exploration eines spezifischen sozialen Handlungsfeldes. Ziel der vorliegenden Studie war eine Inspektion. Vorkenntnisse bzgl. des Handlungsfeldes lagen auf Grund vorausgehendem Studiums der Akten und Presseberichte vor, wodurch zu Beginn der Untersuchung bereits eine vorläufige Konstruktion des Forschungsfeldes möglich war (vgl. Merkens 2005, S. 295). Bei der Stichprobenbildung dieser Erhebung wurde von folgenden theoretischen Vorüberlegungen ausgegangen: Als Merkmale sozialer Exklusion werden wirtschaftliche Armut, geringe oder fehlende soziale Nahbeziehungen und fehlende bzw. eingeschränkte Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe verbunden mit einer geringen bis fehlenden institutionellen Anbindung ans institutionelle Hilfesystem beschrieben. Diese Merkmale dienten als Auswahlkriterien für die Untersuchungsgruppe. Als Wohnungsflüchter gelten Personen, die sich trotz eigener Wohnung tagsüber auf öffentlichen Plätzen aufhalten und dort in der Regel Alkohol konsumieren. In der Mehrzahl sind sie durch soziale und wirtschaftliche Einschränkungen an der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt. Dazu gehören insbesondere Vereinsamung aufgrund fehlender Kontakte im sozialen Umfeld und eine prekäre finanzielle Lage. (siehe auch Merkens 2005, S. 287). 27 Siehe Anhang auf beiliegender CD. 49 Der Zugang zur Personengruppen der Wohnungsflüchter wurde auf direktem, persönlichem Wege gesucht. Ein Einstieg ins Untersuchungsfeld mittels Schlüsselpersonen, wie etwa Streetworker der Obdachlosenhilfe der Inneren Mission (Projekt ‚Streetwork im Gemeinwesen’), wurde ausgeschlossen, da eine sozialpädagogische Präjudizierung der anschließenden Kommunikation mit Wohnungsflüchtern vermieden werden sollte. In jedem sozialpädagogischen Setting schwingt immer der gesellschaftliche Auftrag und damit die Intention zur normkonformen Verhaltensänderung mit. Ich wollte, dass mein Zugang zum Forschungsfeld frei war von jedweden möglichen Vorbeurteilungen meiner Person und meines Handelns im Feld. Die Intention des Verstehens war der Grund meiner Annäherung, und nichts anderes. Mit dem Bewusstsein nicht als Richter, sondern als Zeuge (Girtler 2004) zu kommen, näherte ich mich dem Forschungsfeld. Bei der räumlichen Auswahl meines Forschungsfeldes achtete ich darauf, dass der ausgewählte Wohnungsflüchtertreffpunkt weder der Stadtverwaltung verwaltungsrechtlich, noch der Polizei ordnungsrechtlich bekannt war. Ich wollte vermeiden, dass das Bild, welches die Wohnungsflüchter von ihrer eigenen Wahrnehmung durch die gesellschaftliche Umwelt hatten, bereits als öffentliches soziales Problem vordefiniert war. Aus diesem Grunde entschied ich mich meine Erhebung im Freizeitpark an der Weißenseestrasse im München, Stadtteil Giesing, zu machen. Im Vorfeld meiner Studie hatte ich dort zufällig immer wieder Leute beobachtet, die sich an diesem Platz allem Anschein nach regelmäßig trafen und öffentlich Bier tranken. Nach Aktenstand war diese Gruppe bis dato noch nicht verwaltungs- oder ordnungsrechtlich öffentlich in Erscheinung getreten. Durch die Art des Zugangs zur Untersuchungsgruppe und der zeitlichen Limitierung meiner Arbeit wurde die Auswahl der Interviewpartner u. a. auch über das Kriterium der Zugänglichkeit (und freiwilligen Interviewbereitschaft) konstituiert (vgl. Merkens 2005, S. 288), was zu einer Erhebungsgröße von sechs Interviews führte. Da ein bestimmter Handlungsbereich durch relativ wenige strukturelle Muster (s.o.) beschreibbar ist (Fuchs-Heinritz 2005, S. 241), wurde bei der Auswahl der Fälle eine maximale Variation des anvisierten Phänomenbereichs angestrebt. 50 3.4 Durchführung der Untersuchung und Datenerhebung In meiner Forschungsarbeit konzentrierte ich mich auf die Frage, wie Menschen soziale Exklusionslagen verarbeiten (Forschungsfrage). Dafür wurden, als Kernpunkt der Untersuchung, sechs problemzentrierte Interviews (n. Witzel) mit Wohnungsflüchtern in München (Forschungsgegenstand) geführt. Wenn man „das Handeln von Menschen, ihre Alltagspraxis und Lebenswelt empirisch untersuchen will, hat (man) im Prinzip zwei Möglichkeiten: Man kann mit den Beteiligten Gespräche über ihr Handeln führen und entsprechende Dokumente sammeln in der Hoffnung, auf diese Weise gehaltvolle Informationen über die interessierende Praxis zu erhalten. Oder man sucht nach Wegen und Strategien, an dieser Alltagspraxis möglichst längerfristig teilzunehmen und mit ihr vertraut zu werden, um sie in ihren alltäglichen Vollzügen beobachten zu können.“ (Lüders 2005, S. 384). Um ein möglichst umfassendes Bild und tieferes Verständnis von der Lebenssituation von Wohnungsflüchtern und der darin stattfindenden Verarbeitungsmodi zu erhalten, habe ich beide methodischen Herangehensweisen an das zu untersuchende soziale Phänomen genutzt, wobei, der Schwerpunkt meiner Datenerhebung auf problemzentrierten Interviews lag. Auf Grund der notwendigen Begrenzung der Zeit und des Umfangs der Arbeit können das erhobene Bild und das hieraus entwickelte Verständnis nicht abschließend sein. Viel mehr gestatten sie erste Einblicke in die zur Diskussion stehende Thematik. Einen ersten Eindruck von der Lebenssituation von Wohnungsflüchtern verschaffte ich mir durch die Sichtung verschiedener Unterlagen zur aktuellen Situation von Wohnungsflüchtern in München und der gesellschaftlichen sowie verwaltungs- und ordnungsrechtlichen Reaktion auf diese Personengruppe. Hierzu wurde die lokale Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung von August 2008 bis Juli 2009 verfolgt und eine Internetrecherche zur Thematik durchgeführt. Diese Unterlagen vermittelten einen ersten Eindruck von der gesellschaftlichen, kommunalpolitischen und verwaltungsrechtlichen Außenwahrnehmung und Reaktion auf das Phänomen der Wohnungsflucht in München. 51 Um die Lebenssituation von Wohnungsflüchtern quasi von innen her kennen- und verstehen zu lernen begab ich mich anschließend ins ‚Feld’. Dazu suchte ich als erstes zwei Treffpunkte von Wohnungsflüchtern in München, Stadtteil Giesing, auf, um mir ein Bild von der Geographie der Plätze „auf und in denen sich das Leben abspielt“, zu machen28 (vgl. Girtler 2004). Im Rahmen dieser ethnographischen Annäherung ans Feld konnten an einem der Plätze bereits erste Kontakte zu Wohnungsflüchtern geknüpft und erste Bereitschaftsbekundungen zu Interviews eingeholt werden. Als ethnographisch bezeichne ich diesen Zugang zum Feld deshalb, weil es sich bei der sozialen Gruppe der Wohnungsflüchter um eine mir fremde (Sub-)Kultur handelt, der ich als Fremde in der eigenen Kultur und Gesellschaft gegenüber stehe. Dieses Fremdheitspostulat wird nicht nur in der Kulturanthropologie und klassischen Ethnologie sondern auch in der soziologischen Ethnologie eingesetzt, als Grundlage für Milieuerschließungen innerhalb der eigenen Kultur (Lamnek 2005, S. 549). „Im Zentrum der ethnographischen Neugierde steht (…) die Frage, wie die jeweiligen Wirklichkeiten praktisch >erzeugt< werden; es geht (…) um die situativ eingesetzten Mittel zur Konstitution sozialer Phänomene aus der teilnehmenden Perspektive“ (Lüders 2005, S. 390). „Die (teilnehmende) Beobachtung soll es ermöglichen, wissenschaftlich abgesichert fremde (Sub)Kulturen zu verstehen. Das Fremdverstehen ist Voraussetzung und Methode der Beobachtung“ (Lamnek 2005, S. 552). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben, nach ersten Zugängen ins Feld, längerfristige teilnehmende Beobachtungen des sozialen Geschehens an einem Treffpunkt von Wohnungsflüchtern in München stattgefunden (siehe Punkt 3.3). Den Schwerpunkt der Datenerhebung und –auswertung bilden in der vorliegenden Arbeit jedoch problemzentrierte Interviews, deren Ziel es ist Verarbeitungsformen gesellschaftlicher Realität verstehend nachzuvollziehen (Witzel 1985). Die Ergebnisse der Dokumentensichtung und teilnehmenden Beobachtungen hingegen steuern wichtiges Kontextwissen, vor allem auf gesellschaftlicher Ebene bei, und dienen der Ergänzung und Vervollständigung der Interviewaussagen. Im Rahmen der Datenerhebung findet damit eine Kombination verschiedener qualitativer Erhebungsverfahren statt. 28 Ethnographischer Zugang zum Feld siehe unter Punkt 3. 4.2.. 52 3.4.1 Aktenstudium „Der Forscher sollte sich durch entsprechende Vorarbeit bspw. Literaturstudium, Dokumentenanalyse und Ähnliches, ein gewisses Vorwissen über den zu untersuchenden Objektbereich schaffen“ (Lamnek 2005, S. 579). Um einen ersten Eindruck gesellschaftlicher Reaktionen auf das soziale Phänomen der Wohnungsflucht zu erhalten, beschäftigte ich mich im Vorfeld meiner Untersuchung mit Berichten von Streetworkern (Projekt ‚Streetwork im Gemeinwesen’ und ‚Teestube Komm’), Zeitungsberichten, Aktenvermerken der Stadtverwaltung, Bezirksausschussanträgen, Anträgen von Stadtratsfraktionen, Stellungnahme der Sozialverwaltung, Beschlüsse des Gesundheits- und Krankenhausausschusses, und dergleichen mehr. Diese Informationen entnahm ich einer lokal begrenzten Internetrecherche zur interessierenden Thematik in München. In der Vergangenheit war es in München immer wieder zu Beschwerden seitens der Anwohner verschiedener öffentlicher Plätze gekommen, die sich von den sich dort aufhaltenden Personen belästig fühlten. Bei den Personen handelte es sich zum Einen um so genannte Wohnungsflüchter und zum Anderen um Obdachlose und des Weiteren um Drogen konsumierende Personen. Die verschiedenen Personengruppen vermischten sich meist nicht. Vor allem zur Gruppen der Drogenkonsumierenden hielten beide anderen Gruppierungen Distanz. Diese hielt sich überwiegend an großen Plätzen auf, die an Verkehrsknotenpunkten lagen, während die Gruppe der Wohnungsflüchter sich vorrangig an Plätzen aufhielt, die in der Nähe ihres Wohnumfeldes lagen. Anstoß der Verärgerung war der umfangreiche Alkoholkonsum der Wohnungsflüchter und das daraufhin erfolgende zum Teil distanzlose Verhalten gegenüber Passanten (Pöbeln) bzw. zum Teil aggressive und lärmende Verhalten der Gruppenmitglieder untereinander. Zum Zeitpunkt meiner Erhebung waren im Bereich Verwaltungs- und Ordnungsbehörden bisher insgesamt 19 unterschiedliche Verwaltungs-, sozialpädagogische, ordnungsrechtliche und politische Einheiten mit der als öffentliche Problematik definierten Situation der zunehmenden Wohnungsflucht eine bestimmten Bevölkerungsgruppe in München beschäftigt gewesen. Vor sieben Jahren war das Projekt „Streetwork im Gemeinwesen“ in Trägerschaft des Evangelischen Hilfswerkes gGmbH mit dem Ziel gegründet worden, Menschen, sie sich trotz vorhandener Wohnung auf der Straße treffen und dort in Gruppen Alkohol konsumieren, ein Kontakt- und Beratungsangebot zu machen bzw. sie an geeignete Hilfeangebote zu 53 vermitteln. Im Sommer 2007 wurde das Süddeutsche Institut für empirische Sozialforschung vom Sozialreferat der Landeshauptstadt München beauftragt, die Effektivität dieses Projektes zu evaluieren und eine Kosten-Wirkungs-Abschätzung vorzunehmen. Die Ergebnisse dieser Evaluationsstudie lagen bei Beendigung meiner Erhebungen noch nicht vor. 3.4.2 Ethnographischer Zugang zum Feld Forschungsfelder sind „natürliche soziale Handlungsfelder“, wie z. B. öffentliche Orte, Gruppen, soziale Milieus oder Szenen (Wolff 2005, S. 335). Bei jedem Zugang zu einem Feld muss der Forscher sich überlegen, wie „er sich selbst im Verhältnis zum Feld so positionieren kann, dass die sachlichen, zeitlichen und sozialen Rahmenbedingungen für eine sachgerechte Durchführung der geplanten Forschungsarbeit gewährleistet oder zumindest seine entsprechenden Handlungsmöglichkeiten nicht entscheidend eingeschränkt sind“ (Wolff 2005, S. 336). Im Rahmen meiner Forschungsplanung hatte ich mich dazu entschieden, einen direkten Zugang zum Feld zu suchen. Meine erste Kontaktaufnahme zum Forschungsfeld war für den 6. August. 07 vorgesehen. Mein Ziel für diesen Tag war es, Kontakt zu der Gruppe im Freizeitpark an der Weißenseestrasse herzustellen, sie zu Interviews mit mir in der Woche vom 20.8 – 24.8.2007 zu motivieren und bereits Interviewtermine zu vereinbaren. Der Zeitrahmen für die Datenerhebung meiner Magisterarbeit war, aus organisatorischen Gründen, auf eine Woche begrenzt. Für den Zugang zum Feld und die Kontaktaufnahme zu den Wohnungsflüchtern stand mir nur dieser eine Tag zur Verfügung. Ich fuhr um 14.00 Uhr mit einem alten Fahrrad zum Treffpunkt im Park an der Weißenseestraße, konnte dort aber leider niemanden antreffen. Stattdessen bot sich mir die Gelegenheit den Platz in Ruhe zu inspizieren: Der Treffpunkt umfasste drei massive Holztische, mit dazu gehörenden Sitzbänken und lag am Rande eines großen Parks, der durch Büsche und Bäume parzelliert war. Der Treff selbst wirkte sehr aufgeräumt. In den angrenzenden Büschen befanden sich ein alter Grill, ein zerrissener Ball, leere Wasserflaschen aus Plastik und 54 eine Gartenhacke, wie man sie zum Unkraut jäten verwendet. Weder Zigarettenkippen, noch Kronekorken oder Flaschen verunzierten den Platz. Nach dem mein erster Anlauf, Kontakt zu Wohnungsflüchtern aufzubauen vorerst gescheitert schien, entschloss ich mich, stattdessen zum nahe gelegenen Giesinger Bahnhofsplatz zu fahren, einem Platz, der öffentlich als Wohnungsflüchtertreffpunkt bekannt war. Hier bot sich mir die Gelegenheit, mich mittels verdeckter, unstrukturierter Beobachtung (Lamnek 2005) langsam dem Milieu der Wohnungsflüchter anzunähern und erste unstrukturierte Beobachtungen im Feld vorzunehmen. Bei der verdeckten, oder auch „nicht-teilnehmenden Beobachtung wird das Feld quasi von außen durch den Forscher (…) beobachtet“ (Lamnek 2005, S. 565). Eine Interaktion mit dem Feld findet dabei nicht statt (ebenda, S. 562). Erste Schritte also in Richtung Verstehen des sozialen Phänomens Wohnungsflucht. Um 18.00 Uhr fuhr ich abermals mit meinem Fahrrad zum Treffpunkt im Park an der Weißenseestrasse. Am Platz hielten sich zu diesem Zeitpunkt etwa 8 Personen mit 3-4 Hunden auf. Auf den Tischen standen mehrere Bierflaschen. Ich ging langsam auf die Gruppe zu und fragte beim vorsichtigen Näherkommen, ob ich sie kurz etwas fragen könnte. „Kommen sie nur näher, kommen sie nur rin, junge Frau – wo geht’s hier denn wohl nach Panko“ meinte ein junger Mann aus der Gruppe, und winkte mich heran. Ich legte dem Mann, der sich später als ‚Jürgen’ herausstellte, mein Anliegen dar29. Er hörte mir aufmerksam zu und auch die um ihn sitzenden Männer und Frauen zeigten Interesse. Es entspann sich ein Gespräch, in dessen Verlauf ich mein Interesse für ihren Treffpunkt und das damit verbundene Anliegen ausführlicher darlegen konnte und die anwesenden Personen mir ihrerseits erste Auskünfte über ihren Treffpunkt und die Entwicklung des Parks im Allgemeinen mitteilten. Gleich zu Beginn wurde von allen Beteiligten auf die Besonderheit ihrer Gruppe hier hingewiesen30. Im Laufe meiner Anwesenheit füllte sich der Platz zunehmend. Zur Hochzeit hielten sich ca. 15 Personen und viele Hunde dort auf. Mein Anliegen wurde von einem zum anderen weiter getragen, so dass alle in kürzester Zeit von mir und meinem Interesse hier wussten. Maßgeblichen Einfluss darauf nahm wiederum ‚Jürgen’, der mich auch anfangs angesprochen hatte. 29 Der genaue Inhalt dieser Vorinformation kann gleichnamiger Datei der beiliegenden CD unter An- hang entnommen werden. 30 Siehe: Die Gruppe im Park 4.1.. 55 Er verteilte die Information. Zwei Personen erklärten sich dann auch zu einem Interview bereit. Eine von ihnen war ‚Jürgen’. Handynummern wurden ausgetauscht und vereinbart, dass ich mich am Wochenende vor der Interviewwoche bei ihnen melde, um Termine für die Interviews zu vereinbaren. Bereits bei diesem ersten Treffen am Platz wurde von allen Gesprächspartnern ‚Hubert’ als wichtigster Mann am Platz benannt, den ich auf jeden Fall auch einmal interviewen sollte. Hubert zeigte sich der Interviewsituation gegenüber skeptisch, war jedoch von Anfang an im lockeren Gespräch sehr offen und mitteilsam. Seine Einwilligung zu einem Interview wollte er aber noch nicht geben, sondern sich die Sache erst einmal in Ruhe anschauen. Vorher sollte ich meinen Einstand in der Gruppe zahlen und beim nächsten Mal einen Kasten Bier mitbringen. Dann würden wir weitersehen. Beim Übergang in das Forschungsfeld erfolgen vielfältige Weichenstellungen hinsichtlich der eigenen Positionierung im Feld. „Wie man sich selbst einführt und vorstellt, wie man von Schlüsselpersonen den Teilnehmern im Feld vorgestellt wird, wie man dann später selbst >mitspielt<, sind Stationen und Prozesse, an denen die Position des Ethnographen im Feld der vorhandenen Beziehungen ausgehandelt und definiert wird“ und „die Art und Weise wie man Zugänge gewinnt, (spiegelt) meistens schon zentrale Charakteristika des Feldes (wider)“. Diesen Aussagen Lüders (2005, S. 392) kann ich auf Grund meiner eigenen Erfahrungen nur zu stimmen: Jürgen und Hubert blieben, in unterschiedlicher Weise, während der gesamten Erhebungsphase wichtige Kontaktpersonen für mich in der Gruppe. Sie stellten Beziehungen her und motivierten andere sich interviewen zu lassen. Über sie liefen viele Gesprächseinstiege zu mir noch fremden Personen am Platz. Gleiches galt für meine Rolle als forschend, interessierte, Anteil nehmende Studentin. Auch der Aspekt des Besonderen im Bezug auf ihre Gruppe an diesem Platz wurde während der gesamten Erhebungsphase aus den unterschiedlichen Blickwinkeln immer wieder thematisiert. Am Ende des 6. August. 2007 war der erste Einstieg ins Feld geschafft. Der Gruppe im Park an der Untersbergstrasse war ich als Studentin bekannt, die mit einigen von ihnen Interviews führen wollte, damit sie ihre Abschlussarbeit schreiben und damit endlich ihr Studium beenden könnte. Ich hatte ganz bewusst meinen Status als Studierende hervorgehoben, als eine noch nicht alles Wissende, sondern noch neugierig Fragende, die auf die Unterstützung sei56 tens der Wohnungsflüchter angewiesen ist (= meine Rolle im Feld). Mein Anliegen trug ich in Form einer Bitte an die Wohnungsflüchter heran, als Zeichen meines Respekts und meiner Achtung vor den jeweiligen Personen. Befehle, Aufforderungen und dergleichen machen eine Hierarchie auf und verlaufen von oben nach unten. Eine Bitte erfolgt auf gleicher Ebene. 3.4.3 Teilnehmende Beobachtung Die teilnehmende Beobachtung ist eine flexible, methodenplurale und kontextbezogene Erhebungsstrategie (Lüders 2005, S. 389), deren Wurzeln in der Ethnographie liegen. Ihr maßgebliches Kennzeichen ist ihr „Einsatz in der natürlichen Lebenswelt der Untersuchungspersonen“ (Lamnek 2005, S. 547). Ziel ist es ein Verständnis für das soziale Handeln in einer dem Forscher fremden (Sub-)Kultur zu entwickeln. Gegenstand der Beobachtung ist folglich das soziale Handeln von Individuen in ihrer jeweiligen natürlichen Lebenswelt. „Individuelles wie kollektives soziales Handeln und Verhalten tritt immer im Kontext gesellschaftlich definierter Situationen auf. (…) Deshalb gehört zum Beobachten notwendigerweise das Verständnis oder die zutreffende Interpretation des subjektiven Sinns und der sozialen Bedeutung einer bestimmten Handlung oder Verhaltenssequenz“ (Mayntz et al., 1974, S. 87). Die Durchführung einer teilnehmender Beobachtung im Feld ist insbesondere mit drei Schwierigkeiten verbunden: 1. die Zugangsproblematik am Anfang, also die Frage wie bekomme ich Zugang zum jeweilig interessierenden Beobachtungsfeld. 2. Der prekäre Mitgliedschaftsstatus des teilnehmenden Beobachters während der Erhebung. Der Forscher steht während der gesamten Erhebungsphase vor der Aufgabe, eine Balance zwischen Engagement und Solidarität für das Beobachtungsfeld einerseits und einer kritischen, am wissenschaftlichen Standard orientierten, reflektierten Vorgehensweise im Feld andererseits aufrecht zu erhalten. Und als 3. Schwierigkeit gilt es nach Abschluss der Erhebungsphase wieder einen guten Ausstieg aus dem Untersuchungsfeld zu finden (Lamnek 2005, S. 600). In der Untersuchungswoche, vom 20.08 – 24.08.2008, hielt ich mich jeden Abend ab ca. 17.00 Uhr am Treffpunkt im Freizeitpark an der Weißenseestrasse in München, Stadtteil Giesing auf. Am ersten Abend wurde ich bereits aus der Ferne von Hubert mit „Ah, da kommt ja wieder unsere Frau Professor“ begrüßt. Und als nächstes „Hast Du Deinen Einstand (= Bier) 57 dabei?“. Diesen brachte ich tags darauf mit, denn „du sollst einigermaßen nach jenen Sitten und Regeln leben, die für die Menschen, bei denen du forschst, wichtig sind. Dies bedeutet (auch) die Achtung ihrer Regeln“ (Girtler 2004). Da es sich beim Weg ins Feld um eine nie abgeschlossene Arbeitsaufgabe handelt, die immer nur kooperativ mit den vermeintlichen >>Objekten<< der Forschung vollzogen werden kann (Wolff 2005, S. 336), war ich an diesem ersten Abend sehr erleichtert festzustellen, dass ich auf die Beziehungs- und Vertrauensaufbauarbeit meines Feldzugangstags vor zwei Wochen zurückgreifen konnte und die Basis für meine Erhebung Bestand hatte. Denn der Erfolg oder Misserfolg einer Studie hängt maßgeblich davon ab, inwieweit es dem Forscher gelingt, ein gutes Entree zum Feld, d. h. zu der ihn interessierenden Personengruppe zu bekommen (Lamnek 2005, S. 601). Entscheidend dafür ist der Aufbau von Vertrauen. Während der Erhebungsphase führte ich mit den verschiedensten Personen am Platz Gespräche und beobachtete das Treiben und Handeln vor Ort. Nach Abschluss eines jeden Erhebungstages protokollierte ich meine Beobachtungen und Interaktionen in ein Forschungstagebuch. Der inhaltliche Fokus lag dabei auf den Fragen: „Wie kam die jeweilige Person in die Gruppe der Wohnungsflüchter“? „Wie kam es zu diesem speziellen Treffpunkt?“ „Gibt es eine spezifische Entwicklung und/oder Geschichte des Parks?“. „Was macht dieses ‚Besondere’ der Gruppe aus, welches von den Mitgliedern immer wieder hervorgehoben wird?“ „Welche Gründe für die regelmäßige Anwesenheit gibt es?“ „Welche Aussagen trifft die Person über sich selbst“? Also die performative Seite der Frage „Wer bin ich?“ „Was macht die Person, wenn sie sich nicht am Platz aufhält?“ Und des Weiteren: „Wie reagieren die Passanten, wenn sie hier vorbeikommen?“ und „Wie gehen sie selbst damit um?“. Die gedankliche Vorstrukturierung meines Erkenntnisinteresses durch die forschungsleitenden Hypothesen, diente mir zur Reflexion meines Erkenntnisinteresses sowie meines Vorwissens und damit der Objektivierung meiner Beobachtungen. Grundsätzlich stand ich dem Gespräch jedoch offen gegenüber und überlies die Interaktion dem spontan entstehenden Gesprächsverlauf. Im Rahmen eines qualitativen Forschungsansatzes erfolgt die teilnehmende Beobachtung in der Regel unstrukturiert (Lamnek 2005, S. 566), wobei auf Vorab-Annahmen und Hypothesen nicht völlig verzichtet werden muss, da qualitatives Forschen keineswegs unsystematisch und konzeptlos sein muss, um variabel, flexibel und offen zu arbeiten (ebenda, S. 571). Bei den Gesprächen am Platz zeigte sich eine gewisse Ausgewogenheit des Gebens und Nehmens an Informationen von Bedeutung. Um diese Ausgewogenheit herzustellen, präsentier58 te ich mich nicht nur als die Fragende, sondern auch als die von sich Erzählende. Girtler schreibt dazu in seinen 10 Geboten der Feldforschung, man soll „die Muße zum >>eroepischen (freien) Gespräch<< aufbringen. Das heißt, die Menschen dürfen nicht als bloße Datenlieferanten gesehen werden. Mit ihnen ist so zu sprechen, dass sie sich geachtet fühlen. Man muß sich selbst als Mensch einbringen und darf sich nicht aufzwingen“ (Girtler 2004). Eine weitere Aufgabe, die sich dem beobachtenden Forscher im Feld stellt, ist die der methodisch kontrollierten Rollenübernahme. Meine Rolle am Platz war die der jungen Forscherin, die offen beobachtend am sozialen Geschehen am Platz teilnahm. Meine Position als neue, zeitlich begrenzte Gruppenteilnehmerin (Teilnahme nicht Mitgliedschaft) war akzeptiert. Bei einsetzender Dunkelheit (ca. 21.00 Uhr), oder wenn Hubert im zunehmend betrunkenen Zustand anfing mich als ‚sein Schätzelchen’ zu betitulieren, verlies ich den Platz. Am Ende der Woche inszenierte ich bewusst meinen Ausstieg, bzw. Abschied von der Gruppe. War der Einstieg ins Milieu mit der Währung der Wohnungsflüchter, einem Kasten Bier, bezahlt worden, zahlte ich den Ausstieg mit meiner Münze: selbstgebackenem Käsekuchen mit Kirschen. Anfangs zwar belächelt, dann aber gerne genommen. 3.4.4 Problemzentrierte Interviews mit Wohnungsflüchtern Im Zeitraum vom 20.08.2007 bis 24.08.2007 wurden 6 Interviews mit Wohnungsflüchtern in München, Stadtteil Giesing, durchgeführt. Die Datenerhebung musste, aus organisatorischen Gründen, auf einen Zeitraum von einer Woche begrenzt werden, da ich neben meinem Studium voll berufstätig bin und für die Interviewphase Urlaub nehmen musste. Alle Interviews fanden im Park an der Weißenseestrasse statt. Bei dem ersten Interview der Erhebung konnte auf den Kontakt aus den Vorgesprächen am 06. August. 07 zurückgegriffen werden. Alle weiteren Interviewpartner konnten im Laufe der Woche aus der Gruppe im Freizeitpark an der Weißenseestrasse rekrutiert werden. Zum Interview selbst setzte ich mich mit meinem jeweiligen Gesprächspartner außer Hörund z. T. Sichtweite der restlichen Gruppenmitglieder auf eine Bank im Park, um für die folgende Interviewsituation ein gewisses Maß an Ungestörtheit und Anonymität auch gerade 59 gegenüber den anderen Personen am Platz zu ermöglichen. Gleichzeitig sollte jedoch der räumliche Bezug zum Platz im Park, und damit zur Lebenssituation im Park, möglichst direkt erhalten bleiben. Außerdem erhöhte allem Anschein nach die räumliche Nähe zu den anderen und dem Platz im Park, die Bereitschaft sich auf die Interviewsituation einzulassen. Die Interviews dauerten etwa 1-2 Stunden und wurden problemzentriert anhand des von mir entwickelten Leitfadens durchgeführt. Die gesamten Interviews wurden mit einem Aufnahmegeräte aufgezeichnet. Vor den Interviews informierte ich meine Gesprächspartner noch mal über den Zweck des Interviews (Forschungsarbeit als Grundlage für meine Magisterarbeit), über die anonyme Verwendung ihrer Aussagen und um welches Thema es bei unserem Gespräch konkret gehen soll. Jedes Interview wurde mit der narrativen Einstiegsfrage: „Beginnen wir doch damit, dass Sie mir erzählen, wie es in Ihrem Leben dazu gekommen ist, dass Sie sich regelmäßig auf dem Platz hier aufhalten? Erzählen Sie einfach mal wie es dazu kam,“ begonnen. Im Interviewverlauf diente mir der Leitfaden als Orientierungsrahmen bzw. Gedächtnisstütze. Im Mittelpunkt des Interviews stand der vom Interviewpartner entwickelte Gesprächsfaden (vgl. Witzel 1985). Diese storyline wurde durch die narrative Einstiegsfrage angeregt und gleichzeitig durch diese auf die interessierende Thematik ausgerichtet. Diese Thematik stellte den Rahmen des Interviews dar, in welchem die Person ihre Erzählung frei entfalten konnte. Die weiteren Ausführungen zu den einzelnen Problemfeldern wurden gleichfalls mit einer narrativen Einstiegsfrage angeregt. Erschien mir ein Sachverhalt von besonderem Interesse für die Detaillierung der angesprochenen Problemfelder, so ging ich darauf ein und versuchte durch Anregung von Erfahrungsbeispielen oder durch gezieltes Nachfragen (z. B. „Was passierte da im Einzelnen?“ „Woher wissen Sie das?“ „Was sagten die anderen dazu?“) den Interviewten zu einer ausführlicheren Darstellung anzuregen (= allgemeine Sondierung). Spezifische Sondierungsfragen dienten im Interviewverlauf der Verständnissicherung des Erzählten. Mittels ad-hoc-Fragen wurde in geeigneten Phasen des Interviews auf Themengebiete eingegangen, die Rahmen der Narration des Interviewten noch nicht angesprochen wurden, jedoch für die Untersuchung von Bedeutung waren. Nach Abschluss des Interviews wurde jeder Gesprächspartner gebeten einen soziodemografischen Kurzfragebogen auszufüllen31. Anders als von Witzel (1985) vorgeschlagen, dieser empfahl das Ausfüllen des Kurzfragebogens als eine Art Hinführung auf die Thematik, hatte ich mich entschlossen, den Kurzfragebogen erst im Anschluss an das Interview ausfüllen zu 31 Siehe Anhang. 60 lassen. Grund dafür war, dass bereits in den Vorgesprächen, spätestens jedoch durch die teilnehmende Beobachtung am Platz eine gute und vertrauensvolle Gesprächsbasis zu den Interviewpersonen aufgebaut werden konnte. Bei einigen hatte ich Mühe noch rechtzeitig vor Beginn ihrer Ausführungen das Aufnahmegerät einzuschalten. Insgesamt zeigten sich alle sehr gesprächsbereit, so dass sie durch die Frage-Antwort-Situation, welche durch den Kurzfragebogen hervorgerufen worden wäre, eher in ihrer Narrationsbereitschaft gebremst worden wären. Eine zusätzliche Hinführung auf die Interviewsituation war nicht notwendig, bzw. wäre in diesem besonderen Fall eher hinderlich gewesen. Abschließend bat ich jeden Interviewpartner, sich selbst einen Codenamen zu geben. Nach Abschluss der täglichen Erhebungseinheit (teilnehmende Beobachtung – Interview – teilnehmende Beobachtung) wurden mittels Postskriptum die spontanen Eindrücke der Interviewperson und wichtigsten Kernaussagen erinnernd festgehalten. 3.4.5 Reflexionen der Untersuchungsdurchführung Die Idee zum einem Forschungsprojekt entsteht häufig fernab des zu erforschenden Objektes. Hier steht der denkende Forscher, als Subjekt mit einer tollen Idee und Forschungsenthusiasmus, und irgendwo dort draußen, versteckt und eingesponnen in die individuelle Lebenswelt - handelnd, lebend und unbeleckt des Bewusstseins jedweder Forscherbegehrlichkeiten - befindet sich das Objekt der Forscherintention. Von entscheidender Bedeutung ist nun, wie das Subjekt des Forschers Zugang, Einlass in die Lebenswelt, in die Handlungs- und Sinnbedeutungszusammenhänge, des Forschungsobjektes erhält. Meinen eigenen Zugang zum Lebensfeld der Wohnungsflüchter reflektierend, scheint mir eine unablässige Bedingung des Gelingens dieses Ansinnens in zwei Punkten zu liegen: Zum Einen muss der Forschungsgegenstand zum Subjekt werden dürfen, und damit zum Experten seiner individuellen Lebenswelt und –situation. Dies entspricht dem methodologischen Paradigma qualitativer Forschung. Zum anderen aber muss es dem Forscher gelingen, sich ein Stück weit selbst zum Objekt seiner eigenen Forschungsmethode zu machen. Der Forscher selbst wird so zu sagen zum Erhebungsinstrument seiner eigenen Untersuchung. Sein Verhalten und Handeln im 61 Forschungsfeld bestimmt maßgeblich über das Gelingen oder Scheitern des Zugangs sowie des gesamten Forschungsvorhabens. Gleichzeitig darf der Forscher dabei nicht künstlich instrumentalisiert wirken, sondern muss von den Subjekten seiner Forschungsabsicht als authentische Person wahrgenommen werden können. „Die Technik besteht meines Erachtens darin, Daten zu erheben, indem man sich selbst, seinen eigenen Körper, seine eigene Persönlichkeit und seine eigene soziale Situation den unvorhersehbaren Einflüssen aussetzt, die sich ergeben, wenn man sich unter eine Reihe von Leuten begibt, ihre Kreise betritt, in denen sie auf ihre soziale Lage, ihre Arbeitssituation, ihre ethnische Stellung oder was auch immer reagieren“ (Goffman 1996, S. 263). Damit sich die Menschen im Forschungsfeld als Subjekte wahrgenommen und anerkannt fühlen ist es grundlegend ihnen mit Toleranz, Respekt und einem Mindestmaß an Höflichkeit zu begegnen. Es bietet sich an, bei der Anbahnung des Kontaktes, ein respektvolles zurückhaltendes Verhalten zu zeigen, so wie es sich eben für den ersten Besuch eines Gastes im Haus eines Fremden geziemt. Bei der Kontaktaufnahme zu den Wohnungsflüchtern war in meiner speziellen Situation darüber hinaus auch eine gute Portion Humor von entscheidender Bedeutung. So manche Brücke schlug sicher auch mein bayrischer Dialekt, wirkte er doch als Symbol der gleichen regionalen Herkunft und kulturellen Verwurzelung. Vermutlich wirkte auch meine Rolle als forschende Studierende Angst und Abwehr reduzierend und ebnete den Weg vor allem zu den ersten Interviews. Der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer Vertrauensbasis haben der beständigen Pflege und Achtsamkeit bedurft und stellten sich als nie abgeschlossener Prozess dar. Grundlegend dafür war meine tägliche Anwesenheit am Platz im Sinne teilnehmender Beobachtung. Daraus resultierte auch die Bereitschaft zu nachfolgenden Interviews. Als besondere Herausforderung im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung stellt sich das methodologische Problem der Identifikation mit und Distanz zum Forschungsfeld dar. Denn für die Teilnahme an der Lebenswelt von Wohnungsflüchtern und für das Verstehen der ursächlichen individuellen Gründe und gesellschaftlichen Bedingungen von Wohnungsflucht ist ein hohes Maß an Identifikation mit dieser grundlegend. „Der Forscher muss sich von seiner Alltagswirklichkeit lösen und sich in die des Gegenstandes hineinversetzen, sich mit ihr identifizieren“ (Lamnek 2005, S. 633). Der Froscher muss hierfür einen gewissen Abstand zur eigenen Person, zu seinem eigenen ‚Gewordenseins’, entwickeln und eine Identifikation mit dem Forschungsfeld aufbauen, um so Fremdverstehen überhaupt erst möglich zu 62 machen. Gleichzeitig sieht sich der Forscher aber der Anforderung gegenübergestellt, eine gewisse Distanz zum Forschungsfeld zu wahren, um dieses möglichst objektiv beobachten und über seine Beobachtungen berichten zu können. Hierfür muss er jedoch den Standards und Normen der Scientific Community entsprechen. Eine standardisierte, theoriegeleitete Auflösung dieses Dilemmas gibt es nicht (vgl. Lamnek 2005; Lüders 2005). In meiner Untersuchung versuchte ich mit diesem Dilemma durch eine offene Rollenzuschreibung, als am Gruppengeschehen teilnehmende Forscherin, umzugehen, die als Mensch am Leben von anderen Menschen interessiert ist. Der Status der Gruppenteilnahme statt der Gruppenmitgliedschaft ermöglichte es mir, als ein Individuum unter mehreren am sozialen Geschehen in der Gruppe teilzunehmen, dieses zu beobachten und bot mir gleichzeitig aber auch die Legitimation forschender Fragstellungen. Humor, Offenheit und Anteil nehmendes Interesse waren hierbei ausbalancierende Faktoren der Gradwanderung zwischen Identifikation und Distanz. Die von Beginn an bekannte zeitliche Begrenzung meiner Anwesenheit am Platz, wirkte sich sicherlich zusätzlich fördernd auf die Akzeptanz meiner Rolle in der Gruppe aus. Für einen gewissen Zeitraum kann es als eine vergnügliche Unterbrechung im Alltag empfunden werden, zum Forschungsgegenstand einer Soziologiestudentin zu werden, die man gleichzeitig selbst auf Herz und Nieren testen kann, und die sich dieses mit Humor und Schlagfertigkeit gefallen lässt. Eine entscheidende Aufgabe in der Durchführung der Erhebung bestand darin, Wohnungsflüchter zum Interview zu motivieren. Die zu Beginn erlebbare abwartende Haltung schien der Angst vor Peinlichkeit, ob man auf die Fragen auch das Richtige sagen würde, die Angst des Nichtbestehen Könnens gegenüber irgendeinem undefinierten Anspruch und dem zeitlichen Aufwand geschuldet gewesen zu sein. Hierbei spielte der Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen zu den einzelnen Wohnungsflüchtern als Grundlage der zunehmenden Interviewbereitschaft eine entscheidende Rolle. Nur bei Hubert blieb die abwartende bis hin zur abwehrenden Haltung den ganzen Zeitraum über bestehen. Sagte er mir an einem Abend ein Interview für den nächsten Tag zu, kam er entweder zu spät zum vereinbarten Termin und ich führte bereits mit jemand anderen ein Interview, oder er war bei meiner Ankunft am Platz bereits derart betrunken, dass ein Interview nicht möglich, bzw. nicht zweckdienlich war. Im Kontext der Gruppe jedoch war er sehr mitteilsam und auskunftswillig. Hier erzählte er viel von seiner Person, seinen Erfahrungen, Einsichten und Be63 urteilungen. Die formelle Situation des Interviews umging er jedoch standhaft. Aus diesem Grunde entschloss ich mich, Hubert im Rahmen der Gruppe zu interviewen und, mit seiner Einwilligung, das Aufnahmegerät bei unseren Gesprächen mitlaufen zu lassen. Die Haltung Hubert’s machte eine Umstellung meiner geplanten methodischen Verfahrensprinzipien notwendig, doch ein allzu starres Festhalten am methodischen Vorgehen hätte in diesem Fall den Zugang zu wichtigen Informationen verschlossen. Außerdem fand sich auf diesem Wege die Möglichkeit zu einem sechsten, etwas kürzerem, Interview. Im Feld erwies sich ein flexibler Umgang mit geplanten Forschungsstrategien als notwendig, was der erfahrene qualitative Sozialforscher Christian Lüders mit dem Satz „… es (geht) nicht (..) um die (richtige oder falsche) Anwendung einer Methode, sondern um die situations- und fallangemessenen Realisierung einer allgemeinen methodologischen Pragmatik“ (Lüders 2005, S. 393) beschreibt. Insgesamt entwickelte sich in der Gruppe im Verlauf der Erhebung eine zunehmende Interviewbereitschaft. Einige schienen die Möglichkeit zu nutzen, um endlich einmal sagen zu können, was für einer man eigentlich ist. Die Möglichkeit der Performance der eigenen Person abgehoben von der häufig erlebten klischeehaften Reduzierung der eigenen Persönlichkeit auf durch Äußerlichkeiten begründete Annahmen. Die eigene Geschichte des so Gewordenseins konnte endlich, wie es schien, erzählt und gehört werden. Zum Ende des Erhebungszeitraums wollten sich fast alle Personen am Platz interviewen lassen. Was so mühsam und zäh, und mich manchmal an den Rand der Verzweiflung ob der zeitlichen Begrenzung bringend, begonnen hatte, formierte sich zunehmend als besondere Auszeichnung der Bedeutsamkeit am Platz als „ich bin einer, der auch etwas zu sagen hat“. Abschließend lässt sich mit Lüders resümieren: die Forschungspraxis erweist sich „als im hohen Maß milieu- und situationsabhängig, geprägt durch die beteiligten Subjekte, ihre Lebensformen und -bedingungen und die Unwägbarkeiten des Alltags“ (2005, S. 393). 64 3.5 (Modifizierte) Auswertung problemzentrierter Interviews Der Schwerpunkt der Datenauswertung lag auf den vollständig transkribierten Interviews32. Außerdem gingen in die Auswertung die Ergebnisse der Postskripte, der soziografischen Kurzfragebögen, der teilnehmenden Beobachtung und des Aktenstudiums mit ein. „Grundlage aller Auswertungsarbeit ist die Fallanalyse“ (Witzel 2000) jeden Einzelinterviews. Als erster Schritt der Fallanalyse erfolgte die Auswertung entlang der Themenfelderstruktur des Leitfadens (theoriegeleitet). Die Orientierung am theoriegeleiteten Leitfaden ermöglichte, im späteren Verlauf der Auswertung, die Vergleichbarkeit der einzelnen Interviews, da er die wesentlichen vorab formulierten Kategorien enthielt, die zum theoretischen Kodieren der Textstellen genutzt wurden. Darüber hinaus wurden bei diesem ersten Auswertungsschritt auch so genannte „In-vivo-codes, also alltagssprachliche Begrifflichkeiten der Befragten, die neue Aspekte der untersuchten Fragestellung aufzeigten (induktiv), erhoben. Anhand der verschiedenen Kodierungen wurde ein Kodierraster erstellt, welches am empirischen Material der anderen Interviews im Rahmen kontrastierender Fallvergleiche wieder eingesetzt und gegebenenfalls verändert wurde. Um einen Gesamtüberblick über den Einzelfall zu erhalten wurde im Anschluss an den ersten Schritt für jedes Interview eine Falldarstellung erstellt, in welcher die Einzelaussagen in den Gesamtzusammenhang des biographischen Verlaufs gestellt wurden. Dadurch wurde der Handlungsablauf wie auch seine zeitliche Dimensionierung deutlich und die individuellen Situationsdeutungen sowie Verhaltens- und Entscheidungsbegründungen in unterschiedlichen Handlungskontexten wurden ersichtlich. „Der Blickwinkel einer empirischen Analyse (liegt) zum einen auf den Subjekten, d. h. auf den Interessen, Orientierungen und Handlungsstrategien von Akteuren, die ihren Lebenslauf gestalten und durch biographische Reflexion individuelle Kohärenz und personelle Kontinuität herstellen; zum anderen auf den objektiven Chancenstrukturen, die in die Biographiegestaltung als Rahmenbedingungen eingehen“ (Witzel 1996, S. 61). Letzter Punkt der Fallanalyse bestand in der Herausarbeitung fallspezifischer zentraler Themen. Hierbei wurden die im Interview häufig auftauchenden Themen und Begründungsmuster, sprich die „für den Einzelfall typischen Handlungs- und Deutungsmuster“ (Witzel 1996, S. 65) zu zentralen Themen des Falles zusammengefasst und die subjektiven Relevanzsetzungen auf Zu- 32 Diese sind in vollständig der beiliegenden CD zu entnehmen. 65 sammenhänge mit der objektiven Exklusionslage hin überprüft. Validiert wurden die Ergebnisse der Fallanalyse am Interviewtext. An ihm wurden aufgestellte Deutungshypothesen überprüft, erhärtet, modifiziert oder verworfen. Insgesamt erfolgte der Auswertungsprozess vereinfacht ausgedrückt in zwei, mit einander verschränkten Auswertungsteilen: der Analyse der Einzelinterviews (Fallanalysen) und dem systematisch kontrastierenden Fallvergleich, im Zuge dessen die fallübergreifenden zentralen Themen der interessierenden Forschungsfrage herausgearbeitet wurden. Im Rahmen des kontrastierenden Fallvergleichs wurden die einzelnen Interviews anhand ihrer inhaltlichen Ausprägungen „nach dem Prinzip „maximaler und minimaler Kontrastierung“ (Gerhardt 1986, S. 69) verglichen. Soziografische Merkmale wurden in diesen Fallvergleich nicht mit einbezogen. Ergebnis der Auswertung war die Entwicklung von Kernkategorien (Strauss; Corbin 1990, S. 94ff.) individueller Verarbeitungsmodi sozialer Exklusionslagen. Die von Witzel (1996) vorgeschlagenen weiteren Auswertungsschritte zur Entwicklung von Typologien und Theorien wurden auf Grund der begrenzten zeitlichen und personellen Ressourcen im Rahmen einer Magisterarbeit und der begrenzten Fallzahl nicht durchgeführt. Nachfolgend sollen nun die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt werden: 66 4 Ergebnisse der Untersuchung 4.1 Die Gruppe im Park Die dargestellte Untersuchung bezieht sich auf eine Gruppe von Wohnungsflüchtern, die sich im Freizeitpark an der Weißenseestrasse im Münchner Stadtteil Obergiesing trifft. Der Treffpunkt liegt in der Nähe der sich im Park befindenden Hundespielwiese. In Obergiesing leben 47.007 Menschen. Abgesehen von den beiden Friedhöfen und dem genannten Freizeitpark verfügt Obergiesing über keine nennenswerten Grünflächen. „Wie in anderen typischen Arbeiter und Handwerkervierteln hat sich auch in Obergiesing die Sozialstruktur mittlerweile nivelliert, doch sorgt ein vergleichsweise günstiges Mietniveau dafür, dass der Wohnraum in Obergiesing auch für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen noch erschwinglich bleibt. Der Ausländeranteil im Stadtbezirk liegt deutlich über dem gesamtstädtischen Durchschnittswert“ (Statistisches Amt der Landeshauptstadt München. www.stadt-muenchen.net/stadtteile/stadtbezirk_17.php. Stand: 31.12.2006). Der Park entstand auf der Fläche einer ehemaligen Kiesgrube. In der Nachkriegszeit hatten die dort stationierten US-Amerikaner nicht mehr benötigtes Mobiliar, technisches Gerät und Lebensmittel hineingeworfen. Die arme, anwohnende Bevölkerung hat sich daraus geholt, was sie für den täglichen Bedarf benötigte und wurde dafür als „Kiesgrubengrattler“ deformiert. Später wurde die Kiesgrube zugeschüttet, es entstanden Schrebergärten und Schwarzbauten. 1980 wurde daraus der Freizeitpark an der Weißenseestrasse. Die Entwicklung zum Treffpunkt von Wohnungsflüchtern begann damit, dass Hubert33 und einigen anderen ehemaligen Obdachlosen Wohnungen in Obergiesing zum Bezug zugewiesen wurden. Gleichwohl trafen sie sich weiterhin täglich in der Öffentlichkeit. Treffpunkt war eine Bank am Eingang des Freizeitparks angrenzend an die Wohnbesiedelung. Die Anwohner konnten das Treffen, die Kommunikation und Kontaktpflege sowie den Alkoholkonsum als gesellschaftlich definierte private Verhaltensweisen im öffentlichen Raum nicht akzeptieren. Außerdem wurde das häufige Hundegebell als störend empfunden. Es kam zu Beschwerden 33 Alle Namen der genannten Personen sind geändert. 67 über die Gruppe. Die Stadtverwaltung lies daraufhin die entsprechende Bank abmontieren, um die Gruppe zu vertreiben. Durch die Strukturierung des Raumes und der Vordefinition dessen, was in diesem Raum als sozial akzeptierte Verhaltensweise zu gelten hat, wurden Machtverhältnisse geschaffen und durch den räumlichen Ausschluss der Gruppe durchgesetzt. Die Gruppe siedelte daraufhin um, an den heutigen Platz in der Nähe der Hundespielwiese. „Seit zwei, drei, fünf Jahren oder was. Da haben sie uns die Bank da vorne weggenommen. Und jetzt sind wir da.“ (Hubert, Position 56, 52) Mittlerweilen sind die Wohnungsflüchter abermals in Gefahr von ihrem Treffpunkt vertrieben zu werden. „Bis 2014 will eine Unternehmensgruppe zusammen mit einem New Yorker Investor“ auf dem nahe gelegenen Gelände der ehemaligen Firma ‚Agfa’ „1100 Wohnungen für rund 2500 Menschen errichten“ (BR-online: Stadtviertel-Porträt Obergiesing. Stand: 27.05.08). Hinzu kommen Ansiedelungen von Gewerbe, Dienstleistungsbetrieben und einem Hotel. Die dafür notwendigen Verkehrs- und Parkflächen machen Eingriffe in den Park nötig. Die Hundespielwiese, und damit der aktuelle Treffpunkt der Wohnungsflüchter, wird bald der Modernisierung weichen müssen (ebenda). Ihre Einwände im Bezirksausschuss, ihre Unterschriftensammlung aller Hundspielwiesenbenützer, all das fand politisch kein Gehör. Abermals wird es zum räumlichen Ausschluss der Gruppe kommen. Diesmal auf Grund ökonomisierter städtebaulicher Entscheidungen. Die Frage ‚wem gehört der öffentliche Raum’ scheint damit beantwortet. Die heutige Gruppe hat sich in ihrer sozialen Struktur im Vergleich zu ihren Anfängen vor etwa 13 Jahren, die ausnahmslos aus ehemaligen Obdachlosen bestand, verändert. Als besonderes Kennzeichen der Gruppe wird von allen Mitgliedern ihre sozial heterogene Zusammensetzung hervorgehoben und mit gewissem Stolz dargestellt. „Bei uns treffen sich Leute aus allen sozialen Schichten“ (Scarlett, im Rahmen teilnehmender Beobachtung). Unter anderem das gemeinsame Bier verbindet Hartz-IV-Empfänger, Rentner und Berufstätige. Häufiges, aber nicht ausschließliches, Zugangskriterium zur Gruppe ist die Hundehaltung. Doch versteckt unter der Oberfläche des gemeinsamen Alkoholkonsums und der Hunde wird eine weitere Überstimmung erkennbar. Alle Anwesenden verbinden direkte oder indirekte gesellschaftliche Ausschlusserfahrungen und das quer zur sozialen Schichtzugehörigkeit: Hartz-IV-Empfänger, ExJunkies, ExObdachlose stellen sich als vom Arbeitsmarkt weitgehend entkoppelt dar und auch die finanzielle Situation von 1-€-Jobbern kann maximal als prekär 68 bezeichnet werden. Dieser Teil der Gruppe ist entsprechend der Typisierung von Damnitz und Eierdanz (2008) dem Typ der „Abgehängten“ zu zurechnen. Etwas anders differenziert sich der Teil der Berufstätigen in der Gruppe. Hier stehen Niedrigverdiener und in prekärer Auftragslage gefangene Freiberufler als working poor des „Kämpfer“-Typs (Damnitz; Eierdanz 2008) neben „Co-Exkludierten“, deren berufliche Situation weitgehend gesichert, die jedoch über andere Faktoren sozial exkludiert oder von sozialer Exklusion bedroht sind. Ein leibliches behindertes Kind, psychische Erkrankungen oder eine Beziehung zu einem seit langer Zeit arbeitslosen Alkoholiker ziehen gleichfalls soziale Ausschlusserfahrungen nach sich. Waren die früheren Gruppenmitglieder klar in der Zone der Exklusion zu verorten, hat sich die jetzige Gruppenzusammensetzung in die Zone der Gefährdung ausgeweitet. Die Vermischung der sozialen Schichten in der Gruppe, die nach Außen hin gerne als utopischer Gegenentwurf einer besseren Gesellschaft dargestellt wird, stößt im realen Gruppenalltag jedoch an Grenzen. Die Demarkationslinie verläuft entlang der Kriterien Konfliktverhalten unter erheblichem Alkoholeinfluss, gemeinsame Spielaktivitäten (Federball, Kartenspiele, etc.) am Platz und Bedürftigen, die gar nichts haben und denen, die doch immer mal wieder was geben können. Der ‚harte’ Kern der heutigen Gruppe umfasst ca. 20 Personen, die sich regelmäßig (häufig täglich) am Platz aufhalten und sich auch als Gruppe definieren. Die Gruppe verfügt über klare Grenzen und Wir-Identität. Gleichzeitig ist sie für „passende“ Neuzugänge offen. Die Aussage Huberts: „Gscheidmacher oder so, die vertreiben wir dann schon wieder“ verweist auf eine starke Wir-Identität und übereinstimmende Gruppenwerte und –normen, anhand derer sozialer Ausschluss und Akzeptanz definiert werden. Rassismus, Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit werden übereinstimmend abgelehnt. Die Wohnungsflüchter wohnen alle in räumlicher Nähe des Parks im Stadtteil Giesing. Sie kommen fast jeden Tag zum Platz, halten sich dann manchmal nur kurz, in der Regel jedoch länger dort auf. 69 4.2 Wohnungsflucht als Form sozialen Handelns Eine der entscheidenden Fragen der Untersuchung war, warum Menschen sich öffentlich, auf diversen Plätzen in München treffen, und dort, entgegen den allgemeinen Gewohnheiten, und außerhalb der dafür vorgesehenen sozial akzeptierten Bereiche wie Gaststätten, Kneipen und Biergärten, ihr Bier trinken. Was veranlasst sie diese Plätze aufzusuchen? Und was finden sie dort für sich, was es ihnen Wert erscheint lässt, sanktionales Verhalten auf ihre, nicht der Norm widersprechende, Verhaltensweisen in Kauf zu nehmen? Ausgehend von der Hypothese, dass Wohnungsflucht für Individuen mit subjektivem Sinn verknüpftes Handeln darstellt und eine Form der Verarbeitung ihrer sozialen Exklusionslage darstellt wurden die Ergebnisse der Daten aus der Erhebung bei der Wohnungsflüchtergruppe im Freizeitpark an der Weißenseestrasse ausgewertet. Grundsätzlich zeigte sich, dass Häufigkeit und Dauer der Anwesenheit am Platz stark von der jeweiligen aktuellen Lebenssituation, insbesondere von Eingebundenheit in Erwerbsarbeit und soziale Nahbeziehungen, abhängig ist. Wohnungsflucht fungiert als eine Art Lückenfüller beschäftigungs-, inhaltsfreier Zeit. Wenn man gerade nichts anderes vorhat, geht man zum Platz. Folglich halten sich Erwerbslose und allein Lebende bedeutend häufiger und länger am Platz auf, als Berufstätige und sozial stärker Eingebundene. Witterung und Jahreszeit nehmen gleichfalls Einfluss auf die Verweildauer. Der Einstieg in die Wohnungsflucht erfolgt langsam, eher schleichend und ist nicht ausschließlich an eine bereits bestehende Exklusionslage extremster Form geknüpft. Das Nebeneinander von „Drinnen“ und „Draußen“ tritt hier in besonderer Weise zu Tage und macht eine dichotome Vorstellung von Exklusion obsolet. Wohnungsflucht ist häufig geknüpft an den eigenen gesellschaftlichen Abstieg durch beginnende oder vorhandene Phasen der Arbeitslosigkeit „ja, gut. Die erste Zeit wo ich noch in der Arbeit war (,war ich) nicht unbedingt täglich da. Ja, gut, am Abend einmal schnell eine Halbe Bier, nach Feierabend“ (Richard, Position 648), oder der Erfahrung sich reduzierenden sozialen Nahbeziehungen verbunden mit zunehmenden psychischen Beeinträchtigungen „ich hab ein paar Probleme gehabt. Des war .. nix mit der Frau. Die hat mich viel Geld gekostet und .. ja .. und jetzt .. ich will nicht zu Hause bleiben und Fernsehschauen. Drum geh ich halt hier her. Und trink ein Bier und dann geh ich wieder heim“ (Jorsch, Position 64). 70 Als weiteres Einstiegskriterium wurde immer auch die räumliche Nähe zum Wohnort genannt. Individuelle Routinen führen am Platz vorbei. Man wohnt in der Nähe, hat Zeit und irgendetwas spricht einen an dieser Gruppe an. „Ja. Und ich bin da einfach, äh, entlang gegangen mit meinem Hund und komm dann so automatisch auf den Weg, weil es Richtung Ausgang geht, an den Leuten vorbei und .. naja, hab halt einfach mal so ‚Servus“ gesagt. Und/oder die anderen haben angefangen mit ‚Servus’ zum Sagen. Ja. Und dann, nach und nach hieß es dann halt einmal, ja: ‚magst ein Bier?’ Mhm: ‚Ja, klar. Warum nicht’ So. Na, dann bin ich hin und…“ (Jürgen, Position 9). Die Einladung zum gemeinsamen Bier stand auch bei Scarlett am Beginn ihrer Anwesenheit am Platz: „Mei, und dem Hubert seine Art, .. ja ‚magst ein Bier? Komm trink eine mit’. (lacht) .. Na haben wir halt/ dann hat sich das halt so ergeben“ (Scarlett, Position 65). Anknüpfungspunkte für die Aufnahme in die spezifische Gruppe im Freizeitpark an der Weißenseestrasse sind zum einen die Gemeinsamkeit der Hundehaltung (in diesem Punkt unterscheidet sich diese Gruppe von anderen Wohnungsflüchtergruppen) und zum anderen die Einladung auf ein gemeinsames Bier. Unklar bleibt dabei jedoch, warum manche der Passanten der Einladung nachkommen, und andere nicht. Zur Beantwortung dieser Frage sind die tiefer liegenden Gründe und Problematiken der Wohnungsflucht zu betrachten. Hierfür ist zwischen Push- und Pullfaktoren zu unterscheiden. Pushfaktoren, sind Bedingungen in der bestehenden Lebenssituation des Individuums, die dieses zum Aufenthalt am Platz hindrängen. Pullfaktoren hingegen sind Anziehungskräfte, die vom Platz selbst ausgehen und das Individuum zum Platz hin ziehen. Exkludierte oder von Exklusion bedrohte Personen verfügen über reduzierte soziale Nahbeziehungen bei fortbestehendem genuin humanem Bedürfnis nach denselben. Die Vermeidung von sozialer Isolation und Einsamkeit wird als entscheidender Grund für den Aufenthalt am Platz angegeben. „Weil einen ganzen Tag alleine in der Wohnung hocken kann ich nicht, da fällt mir die Decke auf den Kopf“ (Richard, Position 267). Fünf der sechs interviewten Personen leben alleine im eigenen Haushalt. Einsamkeit und das Fehlen anderweitiger sozialer Reziprozität wird als psychisch belastend empfunden. „Was die Leute da herzieht? – das ist, .. ich bin der Meinung, das sind viele Leute, die was .. ein bisschen .. psychisch sind. Die sonst niemand so haben, mit dem wo sie reden können“ (Jorsch, Position 18). Es ist der Wunsch nach sozialem Kontakt, nach Kommunikation und Austausch, nach mitteilen und gehört 71 werden, der die Menschen aus ihren Wohnungen auf den Platz treibt. Aber auch die Vermeidung von Langeweile, zum einen auf Grund fehlender sozialer Kontakt, zum anderen aber auch auf Grund fehlender ökonomischer Mittel zur Finanzierung anderweitiger Freizeitaktivitäten im kulturellen, sozialen oder sportiven Bereich, ist als Pushfaktor zu nennen. Fernsehen wäre die einzige Alternative. Doch, als Medium der Massen, kann auch dieses das Bedürfnis nach sozialer Nähe und emotionaler Anteilnahme nicht stillen. Das Fernsehen ermöglicht zwar die Anteilnahme am Geschehen in der Welt, doch die Anteilnahme am eigenen Schicksal bleibt einem verwehrt. „Wenn ich einfach keinen Bock hab allein zu Hause zu sein, oder keinen Bock auf’s Fernsehschauen .. dann weiß ich, ich kann in den Park gehen. Da treff ich irgendjemanden und dann kann ich ein bisschen labern“ (= reden) (Jürgen, Position 86). „Das tut einem auch gut! Gerade, wenn man immer alleine daheim hockt, mal wieder ein bisschen ratschen, mit anderen Leuten .. (schnieft). Wenn man was liest einmal seine Meinung sagen, dann von einem anderen die Meinung hören. Als Information eben. Als .. (Pause) .. Das tut schon ab und zu gut“ (Richard, Position 520). Die Möglichkeit raus zu gehen, der Einsamkeit der eigenen Wohnung zu entfliehen wirkt für viele stabilisierend und kann als Problemlösungsstrategie sozial Exkludierter verstanden werden. Wohnungsflucht ist die aktive Suche nach Inklusion unter Exklusionsbedingungen und ist als Zeichen innerer Ressourcen zu verstehen. Eine entscheidende Anziehungskraft des Platzes geht von der permanenten faktischen Anwesenheit anderer aus (Pullfaktor). Es müssen keine Verabredungen, keine Pläne geschmiedet und keine zeitlichen Festlegungen getroffen werden, um die Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialen Kontakten sicher zu stellen. Es bedarf keiner langer Wege, es gibt keinerlei Zugangsbeschränkungen oder Aufnahmevoraussetzungen, die sich in ökonomischen, kulturellen oder sozialen Kapitalien (Kapitalienbegriff siehe Bourdieu 1982) niederschlagen müssten, um in den sozialen Kreis (Simmel) der Wohnungsflüchter einzutreten. „Ich bin da nicht ausgequetscht worden oder sonst was. Sondern, das ist .. mh .. alles ganz, .. ganz easy gewesen“ (Jürgen, Position 9). Dies kommt zum einen der geringen Kapitalausstattung Exkludierter entgegen und entspricht zum anderen dem typischen Handlungsmuster ihres Lebens im ‚Hier-und-Jetzt’34 (vgl. Punkt 3.). „…und sie genießen den Tag! Genau! Sie genießen den Tag. (lacht) Und das, das .. ja, das mach ich auch“ (Hibbie-Mama, Position 58). 34 Vgl. Punkt 4.3.3.. 72 Gleichwohl ist der Aufenthalt am konkreten Platz nicht dem Zufall alleine geschuldet. Die Aussage Scarletts „dann hat sich das halt so ergeben“ verweist zwar auf eine fehlende bewusste Intentionalität der Handlung Wohnungsflucht. Was aber mit Nichten bedeutet, dass diesem Handeln keine Entscheidungskriterien zu Grunde liegen müssen. Es ist davon auszugehen, dass vor allem das unreflektierte Gefühl sozialer Nähe und der gleichen sozialen Adresse rasch zur Entwicklung des Gefühls der Zugehörigkeit führen und damit zur Wiederholung des Wohnungsfluchtverhaltens beitragen. Denn den Wohnungsflüchtern im Freizeitpark an der Weißenseestrasse sind auch andere Treffpunkte von Wohnungsflüchten in München bekannt. Trotzdem bleiben sie ihrem Platz treu. Als Gründe dafür fanden sich in den Interviews die positive, offene und herzliche Atmosphäre am Platz und die Anwesenheit beider Geschlechter sowie die Heterogenität der Gruppe. Diese ermöglicht eine große Spannbreite der sozialen Anschlussfähigkeit und öffnet die Gruppe auch für Individuen in prekären sozialen Lagen. „Und, .. ja eben der Hubert (Exobdachloser und seither Hartz-IV-Empfänger), dann Reiner ist ja auch im Berufsleben Feinmechaniker .. seine Frau ist Zahnarzthelferin, die haben ein behindertes Kind. .. Dann, .. ja gut, ich mein .. der andere Reiner war halt ab und zu mal arbeitslos und Malergeschäfte, sind dann halt auch nicht / mal zugemacht, dann war er halt auch mal wieder arbeitslos, dann war er den ganzen Tag hier. Jetzt kommt er halt nach der Arbeit her“ (Scarlett, Position 71). Das Erleben sozialen Ausschlusses in unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und das Gefühl mit den Anforderungen nicht mehr mithalten zu können verwundet die Ich-Identität und führt häufig zu negativen Selbstdefinitionen. Dieses angekratzte Selbstbild findet Entlastung im ‚Wir’ der Gruppe und erhält im Tausch die soziale Identität der Gruppe, als die ‚anderen’, als die ‚Nicht-Spießer’ gegenüber den ‚Spießern’, die eigentlich auch gerne ab und zu zuviel trinken, sich dies jedoch nur hinter den verschlossenen Türen des eigenen Heims trauen. Die Heterogenität der Gruppe erleichtert die Identifikation mit dieser, da ja auch ganz ‚Normale’ dazugehören, und sichert so den Selbstwerterhalt. ‚Normal’ wird am Platz mit Berufstätigkeit gleichgesetzt, was auf Fortbestehen der Orientierung an gesellschaftlichen Werten hinweist. Der hohe Alkoholkonsum am Platz hingegen ist sowohl verbindendes wie auch problematisches Faktum. „Also man kann sagen, von den Leuten, die dorten sind, sind 90% Alkoholiker. .. Gut, die, die arbeiten dann nicht so, aber .. Es sind also/ die meisten / also leider sehr viele. 73 Und dadurch ist das auch das, wo auch immer die Streitereien dann entstehen“ (Scarlett, Position 437). Vor allem für Individuen, die in ihrer gesellschaftliche Position der Zone der Exklusion (Castel 2000) zuzurechnen sind, stellt die Gruppe ein soziales Unterstützungsnetzwerk in emotionaler, sozialer und auch z. T. materieller Hinsicht dar. Defizite aufgrund der sozialen Situation finden hier teilweise ihren Ausgleich. Gleichwohl bleiben die Beziehungen insgesamt betrachtet eher oberflächlich und unverbindlich. Intensivere Freundschaften entstehen auch hier auf der Grundlage sozialer Nähe, gleicher sozialer Adresse und ähnlicher, geteilter Lebenserfahrungen. An diesem Punkt schlägt Heterogenität in Homogenität um, entlang der objektiven Spaltungskriterien: Berufstätigkeit, Obdachlosigkeit und Drogenkarriere. Aber auch entlang des subjektiven Kriteriums: Verhalten am Platz insbesondere unter erhöhtem Alkoholkonsum und bei Streitigkeiten. Diese Kriterien liegen quer zu den objektiven und beziehen sich mehr auf innere Einstellungen und Handlungsmuster. Wie z. B. bei Jürgen, einem Exjunkie und Langzeitarbeitslosen: „Sagen wir halt einmal so .. wenn man .. früh am Tag kommt, so Mittag oder Nachmittag, dann passt es ..! Aber dann, je später der Abend, um so mehr wird dann auch manchmal gesoffen und dann .. / was weiß ich / irgendeiner fängt irgendwie an, oder des und des passt nicht .. dass dann schon ein manchmal ein bisschen .. ah, ah Scheiß Ton .. herrscht. Sag ich jetzt einmal. Und auch, .. was weiß ich, .. auch dass es schon mal kleine Schlägereien gegeben hat. Aber nichts bewegendes jetzt aber .. Ich geh zum Beispiel gar nicht mehr gern her am Abend“ (Position 44). Wohnungsflucht ist Flucht vor dem Alleinsein und Zuflucht zu sozial Anderen. Als Bewältigungsstrategie bleibt sie dabei immer prekär. 4.3 Soziale Exklusion in biographischen Selbstbeschreibungen Objektive Exklusionslagen führen zu spezifischen Verhaltensweisen der subjektiven Lebensgestaltung und schlagen sich nieder in den individuellen Denk- und Handlungsmuster Ausgeschlossener oder von Ausschluss bedrohter Menschen. Sozialer Ausschluss und Ausschlusserfahrungen führen ins soziale Abseits und aus den regulativen Bezügen gesellschaftlich ge74 teilter Normalbiographien. Dadurch müssen Exkludierte in besonders hohem Maße zu Konstrukteuren und aktiven Gestaltern ihrer eigenen Biographie werden (Hurrelmann 1983). Eine ähnliche objektiv exkludierte soziale Lage lässt dabei Spielraum für individuell unterschiedliche Verarbeitungsmodi und Identitätskonstruktionen, da jedes Individuum die formal gleiche Situation unterschiedlich erlebt und beurteilt. Empirisch lassen sich verschiedene Formen der individuellen Verarbeitung finden. Diese sind vielfältig, in ihrer konkreten Ausgestaltung jedoch endlich. Im Folgenden sollen einige der verschiedenen Möglichkeiten von Verarbeitungsmodi, deren Niederschlag in den narrativen Selbstbeschreibungen der interviewten Personen zu finden waren, dargestellt werden. In den biographischen Selbstbeschreibungen, der von mir interviewten Personen, kamen die individuellen Erklärungsmuster des So-Geworden-Seins, die darin enthaltenen Vorstellungen der individuellen ‚agency’ (Bamberg 1999 zit. n. Lucius-Hoene & Deppermann 2004), die Formen des sozialen Abstiegs und deren Ursachenzuschreibungen und die daraus resultierenden spezifischen Deutungsund Handlungsmuster so wie die verschiedenen Formen gesellschaftlicher Verortung und Zugehörigkeitskonstruktion, zum Ausdruck. 4.3.1 Die Bedeutung des Selbstwerterhalts in exkludierten Lagen Die soziale Situation des Interviews muss als gemeinsame Herstellungsarbeit (Mey 1999, S. 233) verstanden werden, denn „die Identitätskonstruktion wird im Erzählen sozial verortet und verhandelt, zielt auf soziale Akzeptanz und Selbstbehauptung und verortet das Individuum in den normativen und moralischen Strukturen seines gesellschaftlichen Umfelds“ (Lucius-Hoene & Deppermann 2004, S. 61) und sozialen Gegenübers. Die narrative Darstellung dessen ‚was für einer man ist’ stand im Vordergrund aller Erzählungen. Als solches wurde die Interviewsituation zum Versuch gelingender Selbstdarstellung, zum Bemühen, als Mensch hinter, bzw. vor, seiner sozial exkludierten Lebenslage gesehen, bzw. gehört, zu werden. Alle Interviewpartner waren sehr um positive Selbstperformance bemüht, was sich in einer Vielzahl von diesbezüglichen direkten und indirekten Aussagen niederschlug. Diese Selbstdarstellungen lassen sich letztlich in der Aussage: „Ich bin schon okay – auch wenn es von außen vielleicht nicht so aussieht“ zusammenfassen. In der erlebten Interviewsituation dient das gezeigte ‚impression management’ (Gouldner 1970) der Sicherung von Identität trotz ge75 fährdeter sozialer Lage und, nach Goffmanscher Manier (1969), der kalkulierten Performance, als einer, den die Leute auf Grund äußerer Faktoren schnell fehl beurteilen, dessen positiver Wesenskern jedoch unbeachtet bleibt. In der individuellen Selbstperformance wurde hierzu, versteckt oder offen, insbesondere auf die individuellen inneren Werte und sozialen Qualitäten hingewiesen, obgleich die Reduzierung des sozialen Netzes auf zentrale Einzelpersonen die Möglichkeit gelebter Sozialität faktisch stark einschränkte. Insbesondere die Bereitschaft andere zu unterstützen, ihnen zu helfen und für sie da zu sein, stand im Vordergrund individueller Selbstdarstellungen und wurde in die Wagschale geworfen gegen anderweitige durchaus eingeräumte soziale Ausschlusskriterien, insbesondere fehlender ökonomischer Ressourcen. „Kennen tun sie mich nicht. Auf keinen Fall! Die wissen nicht, was so .. los ist. Oder los war, in meinem Leben. Gar nichts, .. wissen die. Auf jeden Fall wissen sie, oder finden es toll, dass ich mich halt da so .. so gut um meine Mutter kümmere. (räuspert sich) Wo das eben war da mit dem fünf Kilo Tumor. ..Mei wie lang (**) drei Monat war die weg! Und .. ich hab da auch dann alles erledigen müssen. .. mit Wäsche, .. waschen, mit dem Hund, also alles, was da so zusammengekommen ist, hab ich dann auch irgendwie auf die Reihe kriegen müssen. Und dann bin ich halt immer gefragt worden, ‚Ja, wo ist denn ihre Mama? Wo ist denn ihre Mama?’ Und dann hab ich es eben erzählt, was los ist .. ‚Oh, um Gottes Willen!’ Und so. Und da haben sie vielleicht auch gemerkt gehabt, dass ich gar kein so unrechter Mensch bin. Dass ich halt doch irgendwie .. äh, äh, was weiß ich. Nach außen denken sie vielleicht ganz etwas anderes. Aber wenn sie dann mit mir geredet gehabt haben, dann merken sie, dass ich gar nicht so .. / wie ich es eben gesagt hab / gar nicht so verkehrt bin “ (Jürgen, Position 361). Die erfahrene Stigmatisierung und Ausgrenzung wird durch Unkenntnis erklärt und damit leichter akzeptierbar. Das Motto: ‚ich bin schon okay, die kennen mich bloß nicht wirklich’ ermöglicht die Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes in Ausgrenzungs- und Abwertungssituationen. Auch die dargestellte individuelle Orientierung an gesellschaftlich geteilten Werten und Normen dient diesem Zweck und trägt zur Stabilisierung des positiven Selbstbildes bei. Der Selbstwert wird gewahrt in dem aufgezeigt wird, dass das individuelle Verhalten den normativen Anforderungen entsprechen kann. Man ist einer, der weiß, was sich gehört IP: „Und, .. Entschuldigung! (Pubst laut“). A: “Was muss, das muss … Wir sind im Freien, da ist es egal“. IP: „Gehört aber irgendwie dazu, dass man sich entschuldigt, wenn es rauskommt.“ (Richard, Position 58). und hebt sich so von jenen ab, die das nicht wissen, oder diesem Wissen nicht mehr zu folgen in der Lage sind. „Und eben auch so schockierende Szenen, .. wie .. ja letztes Jahr glaube ich war das .. 76 da war eine/war eine Frau da, da ist der Mann abgehauen .. (…) und dann kam sie da her und die hat so brutal gesoffen, und äh, und dann irgendwann hat sie ihre Schuhe verloren und dann einfach dieses Bild .. die ist dorten gehockt mit keinen Schuhen an .. hat sich angebieselt gehabt und .. und bäh, und der Speichel läuft auf der Seite raus. Bäh! So was .. langweilt mich dann wieder! Das ist einfach zu brutal. Also das, mag ich überhaupt nicht! ..“ (Jürgen, Position 50). Distinktionsbemühungen innerhalb der heterogenen sozialen Gruppe der Exkludierten sind als Strategien der Identitätssicherung zu verstehen und zielen auf die soziale Differenzierung und Abgrenzung nach unten. Entlang der Differenzierungskriterien Akzeptanz und Praxis gesellschaftlicher Werte und Normen erfolgt eine Unterschichtung der Gruppe der Exkludierten an deren Ende als einziger Beweis der eigenen gesellschaftlichen Existenz das faktische Überleben steht: „Ich bin nicht kaputt, sonst würde ich nicht mehr leben. .. Ich kann betteln“ (Hubert, Position 50). Und auch Jürgen definiert sich nach einer langen Drogenkarriere als Glückspilz, „weil ich lebe noch“ (Jürgen, Position 495) „Also, ich hab mit ach und krach/ ich hab drei Überdosen-Überdosis mal gehabt. Dreimal ist mir das passiert. Und bin halt jedes Mal aufgewacht! Und irgendwann einmal hätte es auch sein können, dass ich nicht aufwache“ (Jürgen, Position 497) Wirklich nichts mehr Wert, also kaputt ist man erst, wenn man nicht mehr lebt. Überleben allein wird zur Definition eines ‚erfolgreichen’ Lebens unter Exklusionsbedingungen. 4.3.2 Wege in die Exklusion und deren individuelle Begründung In den erhobenen Daten ließen sich drei Wege in soziale Exklusionslagen empirisch wieder finden: 1. der Weg als Prozess des inter- und/oder intragenerationellen sozialen Abstiegs. Aus einer gut-bürgerlichen Familie stammend und in der Mitte der Gesellschaft verortet verläuft Richards Leben irgendwann immer mehr in Richtung sozialen Aus. „Habe gutes Geld verdient. Wir haben uns / wie gesagt, da war ich noch verheiratet / dann haben wir uns eine Eigentumswohnung gekauft, weil die größer war als das Dachgeschoß. (Pause) Ja, .. hab’s halt sauber gezahlt durch meine Montage, weil ich dementsprechend auch gut verdient hab“ 77 (Richard, Position 125). Feste Arbeit, Familie, Freunde und Eigentum. Alles scheint zum damaligen Zeitpunkt stabil. Doch dann kommt alles anders als erwartet. Die Ehe zerbricht. Das Eigentum geht bei der Scheidung verloren und den Anforderungen der Montagearbeit kann nicht mehr entsprochen werden. Von da an geht es schrittweise ins Aus. Der notwendige Stellenwechsel führt zu keiner Verbesserung der Arbeitssituation. Der Einzug ins ehemalige Haus der Eltern nach vollzogener Scheidung stellt sich als falsch heraus. „Ja, gut. Und dann wurde es mir mit der Montage auch zu viel. Und .. bin wieder in meine Wohnung gezogen – Also ins Haus von meiner Mutter. Und da fing das ganze Dilemma an./ (lacht verlegen) (Pause) (Richard, Position 133). Nach Konflikten mit der Mutter bricht er alle Verbindungen vor Ort ab und geht kurz entschlossen ohne Arbeit und Wohnung nach München. Er findet eine Anstellung bei einer Zeitarbeitsfirma, bei der er auch wohnen kann. Nach Konkurs und Auflösung der Firma rutscht er vollends ab. Er wird obdachlos und lebt fünfeinviertel Jahre auf der Straße. Herzinfarkte, orthopädische Folgeschäden aus früheren sportlichen Aktivitäten belasten seine Gesundheit und stellen sich neben übermäßigen Alkholkonsum, der im Lebensverlauf zum ausgeprägten Alkoholismus wird. „Ja, gut. Und momentan ist halt die Sache so gut, ich bin in meiner Wohnung. Lebe von Hartz IV. (Pause) Und .. komm damit über die Runden. Ist zwar ne Einschränkung, aber – man gewöhnt sich ja an alles. Und besser als auf der Straße (Pause) .. ist es auch. Die Wohnung wird gezahlt“ (Richard, Position 154). Rückblickend bewertet er sein Leben als eines mit Höhen und Tiefen, wobei die Herstellung einer kohärenten Lebenserzählung gelingt. „Ich hab beides mitgemacht! Ich hab eben gut verdient, und das war dann oben. Dann eben da auf der Straße, war dann unten. Und jetzt .. sag ich mal die Dauer jetzt mit HartzIV ist auch unten. Denk ich mal so, obwohl es mir nicht schlecht geht, ich komm mit dem Geld aus, hab meine Wohnung. .. Und .. das einzige was halt unten ist, ich möchte halt (*) auf Grund meiner Gesundheit endlich meine Rente haben, meine Frührente“ (Richard, Position 339). Die Erzählung seines Lebens konstruiert er dabei als ein Aushalten von Widerfahrnissen, als ständiges Wiederaufrappeln nach Schicksalsschlägen, deren Ursachen außerhalb seiner Person und Einflussnahme lagen. Seine Handlungsmöglichkeiten zeichnet er reaktiv. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Richard an einem Punkt angekommen, wo er selbst keinen Einfluss mehr auf die Veränderung seiner Lebenssituation nehmen kann. Eigentlich ist für ihn Endstation, wären da nicht die Früchte seiner langjährigen Berufstätigkeit, die er nun ernten möchte und ihm einen Entwurf seines Lebens in die Zukunft ermöglichen. An diesem Punkt 78 setzt die Vorstellung der Teilhabe durch Partizipation im Wohlfahrtsstaat an. Die Durchsetzung sozialer Rechte als Aufgabe des Wohlfahrtsstaates sichert gesellschaftliche Zugehörigkeit, wo sie subjektiv nicht mehr herstellbar ist. Richards Ausgrenzungserfahrung lässt sich zusammenfassen als der stete Versuch alles richtig zu machen und trotzdem zu scheitern und seine Ursachenerklärung als Scheitern an den äußeren Umständen und Ereignissen formulieren. Auf der Bilanz seines Lebens steht ein Leben mit Höhen und Tiefen, der eine konstruktive Zukunftsperspektive inhärent ist. Die dahinter stehende implizit Selbstdefinition ist: ich habe dazu gehört und werde wieder dazugehören (Rente). Anders stellt sich Jürgens Situation dar, dessen Lebensweg exemplarisch angeführt werden kann als ein Beispiel des von vorneherein gescheiterten Versuches des Einstiegs in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. 2. der Weg des von Anbeginn an verwehrten Zugangs zu gesellschaftlicher Teilhabe. Jürgen stammt aus einer einfachen Arbeiter- und Angestelltenfamilie in Giesing, und gibt an bereits als Kind kein ‚Braver’ gewesen zu sein. Er beendet seine Hauptschule und beginnt eine Lehre als Elektriker, die er, trotz Lehrzeitverlängerung und anderweitiger Unterstützungsmaßnahmen, nach viereinhalb Jahren Lehrzeit nicht beendet. Er scheitert. Einige Versuche der Integration in die Arbeitswelt folgen und werden durch das zunehmende Abrutschen in eine Drogenkarriere vereitelt. Jürgen begann als 16-Jähriger zu Kiffen. „Das Drogenproblem ging los schon .. wie soll ich sagen .. ich kann es Dir ja ruhig erzählen .. das hört sich wahrscheinlich eh alles gleich an. Ich hab ganz normal angefangen zum Kiffen .. 85’“ … „Die typische Einsteigerdroge. Ja, und immer neugierig gewesen auf Drogen .. sowieso .. und also echt alles ausprobiert, also wirklich, so das komplette Programm“ (Jürgen, Position 168, 170). Mit dem Tod des Vaters rutscht er in die harte Drogenszene ab. Er verliert seinen Job und ist seither arbeitslos. „Das ging so los, ja ..95’? 95’ ist ja mein Vater gestorben .. und ich hab ein Drogenproblem gehabt. (…) (Jürgen, Position 144). Es gibt kein Halten mehr, der einzige der dazu vielleicht im Stande gewesen wäre, ist tot. „Komischerweise, mein Vater hat es schon ein bisschen gecheckt gehabt irgendwie, aber .. äh .. naja dann (lacht kurz auf) .. ist er gestorben (traurig) (Jürgen, Position 148). Er schnupft erst Heroin, dann spritz er’s. Jahre im Drogenmilieu folgen. Er erkrankt an Hepatitis C, deren Ausheilung mittels Interferontherapie gelingt. „Ja, mei. Ich hab .. zu erst nicht gespritzt gehabt (räuspert sich), das Heroin kann man auch schnupfen, (..) Und dann, irgendwann einmal 79 .. hab ich es mal ausprobiert (Pause). Ja. .. und es ist halt dann / (klopft sich auf die Schenkel) kommt halt dann (räuspert sich), etwas besser .. rüber. Zum Zeitpunkt des Interviews krieg Jürgen die Ersatzdroge ‚Polamedon’ auf Rezept. „Also ich nimm meine Ersatzdroge bis an mein Lebensende. Ich hab knapp zehn Krankenhaus Entgiftungen hinter mir .. und .. immer wieder .. wieder angefangen. Keine Ahnung, wie viele ich daheim probiert habe oder bei, bei meiner Mutter. / Und .. alles so schwierig. So ein Heroinentzug, der ist, .. sagen wir mal, das Gröbste ist vorbei nach einer Woche .. (…) Und dann hab ich einmal eine Entgiftung geschafft. War ich dann ein halbes Jahr lang clean! .. Ja, und dann .. Ja, da hab ich dann angefangen mit – mehr zum Saufen .. und, äh .. Tabletten. (Pause). (…) Ja und dann .. halt wieder / gings dann wieder los. (Pause). Das ist (bitter), so, sag eben, so-so ein Entzug, also der Kodeinentzug damals .. der hat fast drei Monate gedauert! .. Und Polamedon Entzug, dauert halt sechs Monate. Also, .. das ist schon ziemlich heavy. .. schon ziemlich krass. Also, .. so, so gut ist es jetzt auch wieder nicht mit der Ersatzdroge. (…) Weil wenn man da einmal angefangen hat ist’s so, so schwierig weg zu kommen. (…) Weil man sich da allerweil umeinander quält und quält und quält .. und dann .. ahh! Ich hab keinen Bock mehr! Drauf geschissen! Und so ist es eben bei mir“ (Jürgen, Positionen 178-188). Jürgens Leben ist bestimmt von fehlgeschlagenen Versuchen in den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang einzutreten. Der fehlgeschlagene Lehrabschluss verhindert die Integration in den Arbeitsmarkt einer Leistungsgesellschaft, deren Werte und Normen er uneingeschränkt akzeptiert und als Wunschziel seines Lebens auch intendiert. „So, so einfach so ein spießbürgerliches Leben manchmal. Möchte ich manchmal sogar führen. So, .. mit Frau und Kind, verheiratet sein, ein Haus haben. .. Auto .. Führerschein ..! Führerschein hab ich gehabt (lacht), .. aber auch verloren, mei. Scheiße. Aber einfach so .. ja, .. wie man halt so sagt, ein spießbürgerliche Leben eigentlich führen“ (Jürgen, Position 238). Und von den Drogen, auch von den Ersatzdrogen, kommt er trotz intensiver und langjähriger Bemühungen nicht mehr los. Die dadurch hervorgerufenen körperlichen und psychischen bleibenden Schädigungen verhindern auch zukünftig eine Integration in den Arbeitsmarkt So fällt auch die Bilanz seines bisherigen Lebens düster aus: „Mei, wie gesagt: 37 und im Grunde genommen habe ich noch nichts gescheites auf die Füße gestellt. So,.. ich kann nicht irgendwie was daher bringen, wo ich sag : ‚Oh, stell Dir vor, des und des hab ich schon gemacht!’ Oder des und des hab ich erreicht. Null! Also ich hab nix gescheites erreicht. Gar nichts!..“ (Jürgen, Position 236). Sein Leben ist und bleibt im gesellschaftlichen Aus. Die Matrix seines Scheiterns ist die Normalbiographie des Gutbürgerlichen. 80 Jürgen fällt es im Interview sehr schwer die (richtigen) Worte zu finden, um sein Leben, sein Erleben zu beschreiben, seine eigene (Lebens-)Erzählung zu formulieren. Seine Geschichte scheint nicht erzählbar, eine Zukunft, worauf hin er sich entwerfen könnte fehlt („ich nimm meine Ersatzdroge bis an mein Lebensende“). Das Erzählen des eigenen Lebens als Erfolgsgeschichte scheitert, die Worte fehlen zur Beschreibung der eigenen Existenz. „Also ich kann mich selbst gar nicht richtig beschreiben“ (Position 232) „Mir fehlen die Worte, glaubst Du’s?“ (Position 259). Gleichwohl begreift sich Jürgen als Handelnder, der sich durch den Konsum von Drogen sein Leben zerstört hat. Die Dynamik der Drogensucht hat seine agency überrollt. Was ihm bleibt ist die lakonische Hinnahme des Unausweichlichen. Jürgens Ausgrenzungserfahrung gründet zum einen im nicht gelingenden gesellschaftlichen Einstieg (Lehre; Beruf), gepuffert durch einen selbst gewählten gesellschaftlichen Ausstieg (Drogen), dessen Dynamik ihn selbst überrollt und ihn in einer exkludierten Position sein Leben lang festhalten wird. Zukunftsoptionen fehlen. Auf Seiten seiner Lebensbilanz stehen Leerzeichen – ich hab nix und ich bin nix. Die Grundform des vertanen Lebens. Als dritter Weg in die Exklusion ist der Weg als Prozess prekärer Zuspitzung eines bereits gefährdeten Lebens am Rande der Erwerbsgesellschaft (3.) zu nennen. Beispielhaft dafür ist Jorschs Lebensweg. Geboren in einer einfachen Waldbauernfamilie mit dreizehn Geschwistern in Österreich kommt er, ohne Ausbildung, auf der Suche nach Arbeit Ende der 1960er Jahren nach Deutschland. Er kann hier zwar Fuß fassen, doch seine berufliche Eingebundenheit bleibt stets prekär. Durch Probleme im sozial-emotionalen Bereich (Frau) wird er aus der Bahn geworfen. Seine eigene psychische Labilität bringt ihn an die Ränder des gesellschaftlichen Ausschlusses. „Ich bin verheiratet und hab eine andere kennen gelernt. (…) Ja, ja. Da hab ich dann da Probleme bekommen. (zeigt vernarbte Unterarme) (…) ich war auch eine Zeit in Haar draußen (Bezirkskrankenhaus/ Psychiatrie) Aber wie gesagt, bisschen Probleme gehabt. Das Ganze (zeigt auf seine vernarbten Unterarme) hab ich dreimal probiert. (…) Ja, .. es ist mir halt nicht gelungen. (Pause). Ich weiß, ich bin ein bisschen ein labiler Mensch (Jorsch, Positionen 26 -70). Die drei dargestellten empirischen Beschreibungen von (Lebens-)Wegen in soziale Exklusion stimmen mit den Ausführungen Heinz Budes (2004) überein und bestätigen diese. 81 4.3.3 Typische Handlungs- und Deutungsmuster Durch alle biographischen Selbstbeschreibungen der Interviewpersonen ziehen sich Erfahrungen des Scheiterns, des nicht Genügens, der vertanen Chancen und nie wiederkehrenden Optionen sowie des Verlustes durch Tod oder Scheidung. Außerdem wiesen alle physischpsychische Beeinträchtigungen auf, gepaart mit Formen des Drogen- und Alkoholmissbrauchs. Exklusion, so die empirische Feststellung, macht sich körperlich/psychisch bemerkbar, bzw. diese führen leichter in Exklusionslagen. Psychische Labilität und Überforderung durch die täglichen gesellschaftlichen Anforderungen bei gleichzeitiger geringer innerer Ressourcenausstattung führen zu Vermeidungs- und Ausweichverhalten sowie dysfunktionalen Bewältigungsstrategien. Jorsch bringt dies im Interview mit dem einfachen wie lapidaren Satz auf den Punkt: „Wir haben es alle nicht leicht“ (Position 189). Die Erfahrung der gesellschaftlich erwarteten Norm nicht entsprochen zu haben prägt ihr Selbstverständnis und führt zu unterschiedlichen Handlungsmustern: dem lebenslangen Kampf bis hin zum ‚Nichts-geht-mehr’; des anfänglichen Bemühens um gesellschaftlichen Einstieg und des akzeptierenden Rückzugs mit stigmatisierender Selbstexklusion; sowie vermeiden des Kampfes und fügen ins Unveränderbare von Anbeginn. Bei allen Interviewten war eine starke innere Orientierung an gesellschaftlichen Werten beobachtbar, die beim Scheitern Reaktionen des Vermeidens, des Rückzugs, der Resignation bis hin zum anspruchlosen Akzeptierens, unvermeidbar gemacht haben. Man lässt die Dinge auf sich zu kommen, da sie als unbeeinflussbar erlebt werden. Diese passiv anmutende Strategie des distanzlosen Hinnehmens stellt, bei genauerem Hinsehen, die einzig adäquate Bewältigungsform dar. Wenn Futuring nur noch leer läuft, da reale Chancen nicht gegeben sind, oder nur noch unter Triebverzicht herstellbar, gewinnen andere Strategien an Bedeutung. Ein gegenwartzentriertes ‚Carpe diem’ ohne perspektivischen Resonanzboden erscheint dann als die vernünftigste Maxime. In der Aussage: „Ich kann meinen Tag bestimmen so wie ich will“ (Hibbie-Mama, Position 330), wird diese Haltung zur positiven Maxime innerer Freiheit umgedeutet. Nach dem Motto: ich kann entweder die Umstände verändern, oder mein Denken über diese Umstände. Esoterisch angemutet besteht darin die wahre in82 nere Freiheit. „Ich bin auch so ein Mensch. .. Ich, äh, lebe in dem Jetzt(!), sag ich jetzt einmal. (…) Also ich lass jeden Tag auf mich zukommen. So wie es halt ist, na so ist’s halt, gell..“ (Jürgen, Position 387, 389). In dem Versuch das eigene Denken auf Akzeptanz und Hinnahme zu programmieren wird man einer defensiven Antwort auf äußere Anforderungen gewahr, welche jedoch im Fehlen innerer oder äußerer Bewältigungsressourcen zur Situationsveränderung begründet ist35. Die Bedingungen der äußeren Lebenssituation werden von den Interviewpartnern als unumstößliches Faktum gesetzt. Durch das Denken im Hier und Jetzt, ohne frustrierende Vergangenheitsreflexion und besorgniserregende Zukunftsvorstellung, vermeiden sie eine kritische Bestandsaufnahme ihrer eigenen Ressourcenausstattung und versuchen so ihren Selbstwert zu wahren. So mag es nicht verwundern, dass Jürgen nach einem für ihn sehr aufwühlenden Interview, in dem ihm häufig die Worte zur Beschreibung seiner Person und Situation gefehlt haben und der Schwerpunkt des Gespräches um den gesellschaftlichen Selbstausschluss durch Drogenmissbrauch kreiste (wie auch sein reales Leben), sich selbst als Glückspilz bezeichnet, denn .. er (im Vergleich zu vielen seiner Szenenbekannten) lebe ja noch. Und auch Richard verfolgt die Strategie des ‚Trotzdem’ wenn er erzählt, er schlage jeden Tag die Augen auf und freu sich, dass er noch lebe. Denn das ‚wirkliche’ Scheitern im Lebens liegt im Tod. Finanzielle Defizite (und auch andere Defizite) erden umgedeutet zur inneren Stärke, als Gegenpart zur materiell- und leistungsfixierten Mehrheitsgesellschaft „also das Materielle ist – war für mich auch nie so .. nee, das ist mir nicht wichtig. Hmh. Mein okay, das gerade, was ich zum Überleben, und aber so ich .. möchte gar nicht irgendwie mehr haben“ (HibbieMama, Position 342). Diese Umdeutung bricht genau an dem Punkt wo die Wünsche der Wohnungsflüchter nach Auto, Motorrad, nach Haus und Fernreisen offenbar werden. Nicht der unendliche Luxus des Jetsets wird angestrebt, der kann mit genügsamer Geste standhaft von sich gewiesen werden, sondern die gewünschte Vorstellung der materiellen Ausstattung orientiert sich am Lebensstil der Mittelschicht. An dem, was sich ‚eigentlich’ jeder leisten kann, bzw. können sollte, an den wohlfahrtsstaatlich geprägten Lebensstilvorstellungen. An dem, was damit als das ‚Normale’ gilt. Die Vergleichsmatrix Exkludierter ist die >>nivillierte Mittelstandsgesellschaft (Schelsky) der 1950/ 1960er Jahre in Deutschland. In dieser Kon35 Vgl. Stressbewältigungsmodell n. Lazarus & Folkman (1984) und die Ausführungen dazu unter Punkt 2.1.6.. 83 trastfolie wird ihr eigenes Scheitern konkret. Damnitz und Eierdanz (2008) schreiben nicht zu unrecht, dass auch in der Einstellung, „aus eigenen Stücken auf Distanz zu gesellschaftlichen Werten und Normen zu gehen“ das Gefühl des sozialen Ausschlusses virulent ist (S. 24). Und das Erzählen der Geschichte ihres Scheiterns fällt schwer. Das Erinnern der „alten Geschichten“ wird im alltäglichen Handeln vermieden „und .. ich habe dieses alles im Endeffekt vergessen. Kommt zwar zwischendrin, wenn ich was erzähle..“ (Richard, Position 129), verdrängt, in die Schublade gesperrt. Der Schmerz soll nicht mehr fühlbar gemacht werden. „… was ich halt so äh, äh dir eben so erzähle .., das geht natürlich schon irgendwo da rein, gell. Und da/ deswegen ist so ein Revue passieren lassen, .. des ist immer wieder, unangenehm, sag ich einmal. Ich möchte das gar nicht richtig wahrhaben, eben mit, dass irgendwann meine Mutter stirbt. Oder, dass ich einfach ein ah, ah Ex-Junkie bin. Und, und .. zehn Jahre nicht gearbeitet habe und so, und so fort. Irgendwie, das wird einem erst so richtig bewusst, wenn man davon erzählt“ (Jürgen, Position 269) Das was passiert ist, ist passiert. Kann nicht mehr geändert werden. Muss einfach akzeptiert werden. „Ich hab keinen Bock mehr! Drauf geschissen! Und so ist es eben bei mir“ (Jürgen, Position 188) Und ein Entwurf in die Zukunft fehlt. „Ich weiß auch nicht, mein Leben, ich müsste da mal irgendwie ein bisschen/ das ist das eben auch, dass ich das alles so schleifen lasse. (…) Nicht so weit voraus denke. Aber das muss ich dann echt einmal machen, wenn du sagst, ja was .. wie stellst du dir das vor und was möchtest du machen? Das hab ich jetzt so richtig gemerkt gehabt, dass ich da keine .. Antworten drauf geben kann, weil ich mir da wirklich noch keine Gedanken .. drum gemacht habe“ (Jürgen, Position 419) 4.3.4 Sozial exkludierte Individuen und Formen gesellschaftlicher Selbstverortung Die individuelle gesellschaftliche Verortung der Exkludierten, bzw. von Exklusion bedrohten Wohnungsflüchter erfolgte weniger über ihre aktuelle finanzielle Situation und ihre Eingebundenheit am Arbeitsmarkt, als viel mehr über subjektive Verortungen im sozialen Nahbereich und Zugehörigkeitskonstruktionen. Beide Faktoren bestimmten maßgeblich die Bandbreite des Inklusions- oder Exklusionsempfindens der jeweiligen Person. Als weiterer entscheidender Faktor stellt sich, in Übereinstimmung mit den unter Punkt 2.1.6 dargestell84 ten Ergebnissen, die antizipierte soziale Lage36 und mithin die künftige Entwicklung des individuellen Lebenslaufes, dar. Wie Jürgen, so hatte auch ‚Hibbie-Mama’ eine Drogenkarriere hinter sich. Beide verorteten sich sozial am Rande der Gesellschaft. Sie sahen sich zwar weiterhin zur Gesellschaft in irgendeiner Weise zu gehörig, doch definierten sie sich klar in der Kategorie der Randgruppe. „Mei, ich gehöre schon eher zu den Randgruppen“ (Jürgen, Position 257). „… schon am Rand. Würde einfach ‚Händchen halten’ und ja .. und den Rand .. bilden (lacht) (Hibbie-Mama, Position 300). Entscheidend war dabei die soziale Bezugsgruppe auf die hin sie sich selbst entwarfen. Beide gaben an, schon immer zur Gruppe derer, die am Rande stehen, gehört zu haben „ Also ich hab mich schon immer / irgendwie war ich mit Leuten unterwegs, .. / fast immer alle älter. Und ich fand das dann immer so ganz cool, wie die so drauf sind. Und ich war immer eigentlich einer von denen, der was so, weiß auch nicht, .. äh .. vor dem uns Eltern gewarnt haben“ (Jürgen, Position 289), und über keine anderen sozialen Bezugspunkte zu verfügen „und, weil ich eben auch nur solche Leute kenne“ (Jürgen, Position 287). Der Mangel an inkludierten sozialen Bezugspunkten verfestigt die Identifikation mit sozialen Randgruppen und verstärkt das eigene Exklusionsempfinden gegenüber der Mehrheitsgesellschaft auf Grund verinnerlichter Vorstellungen vom richtigen, also normkonformen, Leben. „Ich denk einfach, dass das so / dass das eben so wird, .. in dem Umfeld, wo ich mich auf-ährumtreibe, sag ich jetzt einmal so. Abgesehen von dem Park, ich fahr manchmal gern runter an den ‚Flaucher’ (Badeplatz an der Isar). Da kenn ich auch ein paar Leute. Die sind gut drauf und und .. äh wird auch Bier gesoffen. Und da naja. Wird auch ab und zu was geraucht .. und .. – aber mehrer nicht, um Gottes Willen! Also, halt so ganz normal. – Ich kenn nur solchene Menschen!“ (Jürgen, Positon 257). Randständigkeit und sozial abweichendes Verhalten wird zur identitätsstiftenden Normalität. Und gleichzeitig zur belastenden und verinnerlichten Stigmatisierung, wenn es an anderer Stelle heißt „ Ich bin ja da schon so ein .. Langzeitarbeitsloser (Position 140). (…) Oder dass ich jetzt vielleicht, - vielleicht bloß! Hartz-IVEmpfänger bin und einen 1€-Job mach (Position 200). (…) Ich möchte das gar nicht richtig wahrhaben, dass ich einfach ein ah, ah Ex-Junkie bin. Und, und .. zehn Jahre nicht gearbeitet habe und so“ (Position 269). Gesellschaftlich anerkannten Werten kann er nicht entsprechen und auch seine sozialen Bezugspunkte, wie der Fußballverein 1860 München, dessen Fan er ist, werden in München gerne als ‚Grattler’ deformiert. Seine sozialen Nahbeziehungen sind 36 (Bude; Lantermann 2006 und Damnitz; Eierdanz 2008) 85 eingeschränkt und ermöglichen es Jürgen nicht, sich konstruktiv in die Zukunft zu entwerfen. Seine Mutter ist schon sehr alt, gesundheitlich massiv angeschlagen und stirbt vielleicht bald und seine Freundin, da steht jetzt schon für ihn fest, dass sie nicht die Frau-fürs-Leben fest. Die Zukunft fehlt, um das emotionale Dilemma des aktuellen Exklusionsempfindens zu verarbeiten. Wie ausschlaggebend soziale Zugehörigkeitskonstruktionen für die eigene gesellschaftliche Verortung und Gefühle der Exklusion sind, zeigt das Beispiel von Richard noch einmal ganz deutlich. Auch er ist gesundheitlich massiv angeschlagen, auch er ist arbeitslos, auch er ist nicht mehr in den Arbeitsmarkt integrierbar, und damit ist auch seine finanzielle Situation mehr als prekär. Gleichwohl definiert er sich gesellschaftlich zum jetzigen Zeitpunkt als „dreiviertel oben!“ (Richard, Position 500). „Ja, weil ich nämlich Leute habe, aber nicht hier in Giesing. Sondern .., das sind ja Leute auch viel mit Musik – klassischer Musik und so. Also .. / bin jetzt auch des Öfteren wieder, kann man sagen so zwei, drei mal im Monat im Gasteig .. zu Konzerten. Kenne auch viele von den Philharmonikern, dann kriege ich von denen mal wieder Karten“ (Richard, Position 495). „Und das sind dann/ also die Kreise .. sind dann die wo man dann auch einmal wenn’s einem wirklich ist, wo man Unterstützung kriegt“ (ebenda, Position 545). Die eindeutige Zugehörigkeitskonstruktion zur Mittelschicht ermöglicht ihm eine positive gesellschaftliche Selbstverortung. Als identitätsstiftende Grundlage seines Selbstentwurfes dient ihm seine lange berufliche Eingebundenheit. Diese ermöglicht ihm auch einen konstruktiven Zukunftsentwurf als „verdienter“ Frührentner. Hier vereinen sich Vergangenheit und Zukunft zu einem kohärenten Muster und die dazwischen liegenden Tiefen können als wichtige Erfahrungswerte umgedeutet werden. „Mit Höhen und Tiefen (Pause). Andererseits sag ich mal so .. wie es im Volksmund oft heißt: da muss man durch. Man muss beides mitgemacht haben! Sonst kann man auch nicht irgendwie mitreden. Wenn jemand nur immer ganz oben war .. schon gleich zwei Mal nicht und wenn jemand nur ganz unten war .. dann ist es ein bisschen eingeschränkt. Aber wenn man beides mitgemacht hat, dann .. kann man ein bisschen drüber reden“ (Richard, Position 337). Die gesellschaftliche Selbstverortung Richards, seine Zugehörigkeitskonstruktion, bleibt jedoch fragil, denn es fehlt ihr die notwendige Reziprozität der Sozialbeziehungen. Die Unterstützung, durch z. B. Konzertkarten und dergleichen, verläuft nur in eine Richtung. Die Wechselseitigkeit fehlt, wie auch die gleiche Ausgangsposition hinsichtlich des gemeinsam praktizierten Lebensstils. 86 Was seinen ‚Freunden’ eine Selbstverständlichkeit ist, wird für Richard nur qua Freikarten und Einladungen möglich. Für die er sich außerdem nie revanchieren kann. Auf ihn passt das Bild des ‚Proletaroiden’ (Theodor Geiger), des aus der Mittelschicht abgestiegenen Individuums, das sich fälschlicherweise als noch immer der Mittelschicht zugehörig rechnet. Zusammenfassend wurden vier verschiedene Formen gesellschaftlicher Selbstpositionierung vorgefunden: Fühlt sich qua menschlicher Existenz der Gesellschaft zugehörig Verortung am Rande der Gesellschaft qua Selbstdefinition der Randgruppenzugehörigkeit. Verortung in der (oberen) Mitte der Gesellschaft. Objektive Lagekriterien entsprechen zwar dem abgehängten Prekariat, fühlt sich aber auf Grund seiner Mentalität (resultierend aus sozialer Herkunft, Sozialisation und Lebensweg) als Mitglieder des (Bildungs-)Bürgertums. Genau umgekehrt stellt sich der Fall in der vierten Form gesellschaftlicher Selbstpositionierung dar: Objektive Lagekriterien entsprechen zwar tendenziell der Mittelschicht, ordnet sich aber qua Mentalität mehr dem Arbeiter- und Unterschichtsmilieu zu. Entsprechend ihrer gesellschaftlichen Selbstverortung lassen sich vier der Interviewpartner folgendermaßen einordnen: 87 Hubert Hibbie-Mama Scarlett Jürgen Jorsch Richard Abbildung 2: Heuristik von Inklusion – Exklusion nach Robert Castel: gesellschaftliche Selbstverortung der Interviewpartner. (Institut für Praxisforschung und Projektberatung, IPP, 2008) 4.4 Exklusion und individuelle Lebensführung Sozialer Ausschluss nimmt Einfluss auf die individuelle Lebensgestaltung der Exkludierten. Er kann in den Dimensionen Ausgrenzung am Arbeitsmarkt, ökonomische und kulturelle Ausgrenzung, Ausgrenzung durch gesellschaftliche Isolation, räumliche Ausgrenzung und politisch-institutionelle Ausgrenzung stattfinden37. Häufig hat soziale Ausgrenzung in einem der Bereiche auch Ausschlusserfahrungen in den anderen Dimensionen zur Folge. Es ist deshalb auch von kumulativer Ausgrenzung zu sprechen. Eine finanziell prekäre soziale Lage, bedingt durch Ausschluss vom Arbeitsmarkt 38 bzw. Anstellung im Niedriglohnsektor39, lag bei fünf der interviewten Personen vor. Die eingeschränkte finanzielle Situation wirkte sich im erheblichen Maße reduzierend auf den Lebensstandard aus und stellte im Vergleich zur übrigen Bevölkerung eine starke Benachteiligung dar. Einzelne Güter wie Reisen, Auto, Eigenheim wie auch Konzert oder Theaterbesuche und Einladungen bzw. Restaurantbesuche waren auf Grund der fehlenden finanziellen Mittel, unerreichbar. „Das ist es .. was mir fehlt. Ich hab noch zu wenig gesehen von der Welt. Ich würde so gern verreisen, so richtig, wie soll ich sagen .. äh, äh, kein Heimweh, sondern ein .. Fernweh“ (Jürgen, Position 242). Durch die Leistungen des ALGII wurden zwar die Grundbedürfnisse der Interviewpartner abgedeckt, führten aber insgesamt zu einer eingeschränkten 37 Vgl. Punkt 2.1.5. Dimensionen sozialer Ausgrenzung n. Kronauer (1997, S. 38ff.) 38 N = 4 Personen 39 N = 1 Person 88 Lebensqualität.40 „In München verhungert niemand. Das Geld fehlt für Alkohol und Tabak“ (Hubert, bei einem Gespräch am Platz). Zur Finanzierung seiner Süchte geht Hubert deshalb betteln. Ökonomische Exklusion bedingt individuell veränderte Strategien der Lebensführung. „Es geht schon, wenn man sich dementsprechend einstellt. Geht es schon .. und .. / das kann jetzt ruhig auf’s Band kommen / ich leiste mir selber z.B. kein ‚Augustiner’ (zeigt die Bierflasche in seiner Stofftasche). Ist mir zu teuer. (…) Weil.. ich kaufe mir halt ein Bier (**) für 29 Cent die Flasche. So kann man sich nämlich ganz einteilen, wenn / genauso wenn ich mir Semmeln kaufe zum Essen. Dann geh ich zum ‚Penny Markt’, nicht zum ‚Tengelmann’ (…) So kann man sich das alles ein bisschen .. – man muss halt schauen“ (Richard, Position 156 – 162). Kommt es in den Bereichen der elementaren Versorgung zu Einschränkungen, welche durch verändertes Konsumverhalten auszugleichen versucht wird, so kommt es im Bereich der sozialen und kulturellen Teilhabe zu faktischen Ausschlüssen. Ein Beispiel hierfür ist der für den Münchener Lebensstil typische Biergartenbesuch. In der Bayerischen Biergartenverordnung (1999) steht hierzu unter Punkt 2.1 zur Regelung des § 1Anwendungsbereich der Verordnung zu lesen: „Der typische bayerische Biergarten ist eine Gaststätte bzw. der im Freien gelegene Teil einer solchen, deren Betrieb im wesentlichen auf Schönwetterperioden während der warmen Jahreszeit beschränkt ist. Das Erfordernis des Gartencharakters verlangt eine Situierung des Betriebs im Grünen …“ Und weiter unten wird auf die besondere soziale und kulturelle Funktion des Biergartens verwiesen, wenn es da heißt: „Biergärten erfüllen wichtige soziale und kommunikative Funktionen, weil sie seit jeher beliebter Treffpunkt breiter Schichten der Bevölkerung sind und ein ungezwungenes, soziale Unterschiede überwindendes Miteinander ermöglichen. Die Geselligkeit und das Zusammensein im Freien wirken Vereinsamungserscheinungen im Alltag entgegen. Sie sind vor allem für die Verdichtungsräume ein ideales und unersetzliches Nahziel zur Freizeitgestaltung im Grünen. Sie sind regelmäßig gut zu erreichen und bieten gerade Besuchern mit niedrigem Einkommen und Familien, insbesondere durch die Möglichkeit zum Verzehr mitgebrachter Speisen, eine er- 40 Damit stimmen die Ergebnisse der vorliegenden qualitativen Studie mit den quantitativen Befra- gungsergebnissen des ‚Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung’ (PASS) überein, die im Auftrag des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erhoben wurde. (Christoph, Bernhard 2008) 89 schwingliche Gelegenheit zum Einkehren“ (Bayerische Biergartenverordnung 1999). Was aber in dieser Verordnung nicht berücksichtigt wird, ist, dass die Getränke vor Ort im jeweiligen kommerziellen Ausschank zu kaufen sind. Und die entsprechenden Preise weit über dem Ladenverkaufspreis liegen. Ein Besuch des Biergartens in München ist für die Wohnungsflüchter im Freizeitpark an der Weißenseestrasse unerschwinglich. Die eigentlich intendierte Inklusionsfunktion der Biergartenkultur verliert ihre Leistungsfähigkeit und wird zur Erfahrung von sozialem, kulturellen und räumlichen Ausschluss. Es ist deshalbnicht verwunderlich, dass die Wohnungsflüchter ihren Platz, an dem sie sich im Grünen zum geselligen Beisammensein und zum Zwecke der Kommunikation treffen und an dem sich „breite Schichten der Bevölkerung mischen, als „Biergarten für Arme“ bezeichneten. „Wir sind halt anders als die Spießer. Die gehen zum Trinken in den Biergarten und saufen da ihr Bier. Das ist auch nichts anderes. Wir können uns den Biergarten halt nicht leisten“ (Hubert, bei einem Gespräch am Platz). So wird der Platz zur integrativen Inklusionsfigur, als Sicherung von sozialer Zugehörigkeit und Anerkennung sozial exkludierter Individuen. Das Verhalten der Wohnungsflüchter bleibt nicht ohne gesellschaftliche Konsequenzen. Es ruft Stigmatisierungs- und Abwehrreaktionen seitens der Passanten im Park hervor41. Die Erfahrung des sozialen Ausschlusses wiederholt sich. Einen weiteren Punkt im Bereich der individuellen Lebensführung nimmt für gewöhnlich der der Freizeitgestaltung und Freizeitbeschäftigung ein. Dieser Bereich blieb in den Interviews trotz Nachfrage sehr unterrepräsentiert. Keiner der interviewten Personen gab eine Vereinsmitgliedschaft oder eine anderweitige Freizeitbeschäftigung im sozialen Kontext (und damit Optionen der Zugehörigkeitsdefinition) an. Einzig lieb gewonnene Tätigkeiten wie Stricken oder Sticken wurden erwähnt, die von Natur aus auf den häuslichen Bereich begrenzt bleiben. Als einzige Freizeitbeschäftigung kam die Sprache immer wieder auf das Fernsehen (und im vereinzelten Fall auf den Computer). Medienkonsum als ausschließliche Freizeitgestaltung, vor dessen Überflutung und Ermüdung sich die Befragten nur zu oft in die interaktive Situation am Platz flüchten. Vertrauensvolle, intensive Nahbeziehungen waren bei den interviewten Personen sehr eingeschränkt vorhanden. Wenn, dann bezogen sie sich auf den engsten Familienkreis. Einzig 41 Siehe unter Punkt 4.5.. 90 eine der berufstätigen Interviewpersonen gab an, über einen ihr nahe stehenden und intensiven Freundeskreis außerhalb des Treffpunktes im Park zu verfügen. Diese Person war auch die einzige, die nicht alleine in einem Haushalt lebte. Und sie war auch die einzige, deren emotionale Unterstützungsressource nicht auf die sozialen Kontakte am Platz begrenzt blieb. Anders stellte sich dies bei den anderen Interviewpartnern dar: A: „Wenn Du jetzt Ärger hast, oder Schwierigkeiten, oder irgend so was und Du müsstest es mal raus lassen und erzählen?“ IP: „Ja, dann .. Dann kann ich schon hier her kommen.“ A: „Die hören zu?“ IP: „Ja, klar, klar. Logisch.“ A: „Gibt es spezielle Themen, wo Du sagst, die sind am besten hier aufgehoben?“ IP: (schnauft tief ein). A: „Oder Themen, wo Du sagst, mit denen rede ich da auf keinen Fall drüber?“ IP: (schnauft tief aus) „Naja, Nein eigentlich nicht. Also, .. egal welches Thema. .. Also, da hört schon immer-immer irgendjemand zu! Oder gibt seinen Kommentar dazu.“ IP: „Ja. Oder manchmal sagen die auch das, ohne dass ich es wahrhaben möchte. So wie es ist. Manchmal.“ (Jürgen, Position 103 – 114) Auf die Frage, ob es über die Kontakte am Platz noch weitere gefühlsmäßig wichtige Personen für ihn gebe, antwortete Jürgen: „Mei, bloß meine Freundin. Das war’s . .. Ja, und meine Mutter“ (Jürgen, Position 90). Die sozialen Netzwerke der exkludierten Interviewpersonen waren stark auf einen sehr homogenen Kreis, zu meist die nächsten Familienangehörigen, beschränkt. Das Unterstützungspotential vor allem heterogener Netzwerke fehlte. Auf die weiter oben angeführte Aussage Jürgens, dass er einfach nur solche Leute kenne, sei an dieser Stelle nochmals hingewiesen. Kronauer hat 1997 explizit darauf aufmerksam gemacht, dass auch durch gesellschaftliche Isolation eine Form kultureller Ausgrenzung gegeben ist. Die Reduzierung der Sozialkontakte führt zur Gruppen- oder Milieubildung, was Dissoziation und Identifikationsblockierung fördert. Die Konzentration auf ein homogenes Milieu fördert des weiteren Assoziation und subkulturelle Identifikation (vgl. Kronauer 1997, S. 41). „Ich sage eben jetzt äh Leute, die was eben auch mal drauf waren (= Drogenabhängigkeit) und ich erzähl von irgendeiner Sache, und und so wie ich eben rede, dann wissen die genau was Sache ist“ (Jürgen, 91 Position 287). Geteilte Lebenserfahrungen schaffen Zugehörigkeit qua Ähnlichkeit und fördern soziale Identifikation unter gleicher Adresse. Auffallend war der stark körperlich und psychisch beeinträchtigte Gesundheitszustand aller Interviewten. Allen gemeinsam war eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Abhängigkeitsproblematik. Diese reichte von gelegentlichem „Quartals-Saufen“ bis hin zur Politoxikomanie und fand ihren Niederschlag in bleibenden körperlichen Schädigungen und Erkrankungen wie z. B. Hepatitis C und HIV positiv Infektionen. Darüber hinaus bestand bei zwei der sechs interviewten Personen eine manifestierte Depression, in einem Fall verbunden mit Panikattacken und Angststörungen. Alle Interviewten standen diesbezüglich aktuell oder in näherer Vergangenheit in Kontakt zum institutionellen medizinischen Hilfesystem. 4.5 Gesellschaftliche Stigmatisierung und deren Verarbeitung Der Treffpunkt der Wohnungsflüchter liegt am Ausgang des Freizeitparks an der Weißenseestrasse im Münchner Stadtteil Giesing. Da dies der einzige Park in der näheren Umgebung ist, wird er von Anwohnern, Eltern mit ihren Kindern, Erholungssuchenden aus Nah und Fern, Joggern und Hundebesitzern, also von den verschiedensten Personengruppen, intensiv genutzt. Die Frage, ob denn die Passanten in irgendeiner Weise auf ihre Anwesenheit hier am Platz reagieren würden, wurde von allen Befragten bejaht. „Die Leute schauen da schon irgendwie“ (Hibbie-Mama, Position 308). Die Wohnungsflüchter nehmen die Reaktionen der Passanten auf ihre Anwesenheit am Platz wahr, und auf der Basis ihrer eigenen, verinnerlichten gesellschaftlichen Werte sehen sie sich mit den Augen der anderen, sprich der Passanten. „Ich denke, dass die wahrscheinlich denken, das sind alles Säufer“ (Hibbie-Mama, Position 308). Die hier stattfindende Perspektivenübernahme basiert auf einer Vorstellung Georg Herbert Meads (1934), die zum einen davon ausgeht, dass menschliche Kommunikation qua signifikanter Symbole stattfindet und diese sowohl vom Sender als auch vom Empfänger mit gleicher Bedeutung versehen und damit verstanden werden, und zum anderen, dass das Individuum im Laufe seiner Sozialisation die gesellschaftlichen Werte und Normen in der Figur des ‚generalisierten Anderen’ hin sich hinein nimmt. „Der generalisierte Andere ist der Repräsentant der Gesellschaft im Individuum“ (Strauss 1969, S. 30) und ist sowohl mit Selbst- als auch mit sozialer Kontrolle eng verbunden. Er legt die Grundlage für Fremdver92 stehen im Individuum. Die „Fähigkeit, sich auf die Perspektive eines generalisierten Anderen einzustellen, ist die Voraussetzung für die Entwicklung von Identität“ (Abels 2001, S. 202). Der kritische, negative, häufig stigmatisierende Blick der Passanten trifft in der Person des Exkludierten auf seine eigenen gesellschaftlich vermittelten Wertvorstellungen und sieht in der Abwertung der anderen sein eigenes Scheitern. „Ja, dass sie uns einfach äh, äh .. abstempeln. Als vielleicht Alkoholiker .. und irgendwelche verkrachten Existenzen, die was nicht arbeiten. .. Sozialschmarotzer sind .. so was in der Art .. denk ich mir mal“ (Jürgen, Position 333). Das grundlegende Bedürfnis nach Selbstwerterhalt macht Strategien konstruktiver Verarbeitung von Stigmatisierungserfahrungen notwendig. Es kommt zu Relativierungen im Sinne von „ich ignoriere so etwas eigentlich. Weil ich mir sage, also .. das .. / sie weiß ja nichts von uns“ (Scarlett, Position 401), zu Degradierungen in die vermeintliche Unbedeutsamkeit im Sinne von „mir ist das wurscht. Das juckt mich nicht, das ist mir gleich, da hab ich kein Problem“ (Jorsch, Position 226), zur Darstellung moralischer Überlegenheit wie: „Ich schalte ab! Ich schalte total ab. Da .. ich kriege es zwar mit, aber ich schalte ab. .. Ich sage da nichts drauf. .. Derjenige kriegt auch nie eine Antwort von mir. Weil, .. ich mir dann immer so sage: ‚der ist irgendwie unter meinem Niveau’. Und irgendwie ist das Niveau .. muss man sich schon ein bisschen beibehalten“ (Richard, Position 545) und zu Umdeutungen. Dieser Form der Reaktion kommt eine besondere Bedeutung zu, „…, ich meine, ich akzeptiere jeden wie er lebt, ob spießig, offen oder, oder nicht spießig, aber wahrscheinlich von diese .. von diese Leben .. was wahrscheinlich .. äh wie sie leben. In der Früh aufstehen um sieben, um halb acht in die Arbeit sein oder acht und bis dann und dann. Und nach der Arbeit wird Kaffee getrunken, nach dem Kaffee wird .. was weiß ich, so .. und des hmh, nee. Also so, denke ich das da manche vielleicht .. schon ausbrechen .. würden gerne, aber sie trauen sich nicht. Doch! Viele trauen sich nicht“ (Hibbie-Mama, Position 318), denn in ihr kommen Tendenzen subkultureller Entwicklungen42 zu einer sozialen Identität des ‚Wir-sind-wir’ basie- 42 Als subkulturelle Entwicklung verstehe ich hier das Phänomen, dass die am Platz vertretenen Werte und Normen durchaus mehr oder weniger mit den Normen des übergeordneten Ganzen übereinstimmen, sich aber in diversen Punkten des Lebensstils davon abheben. Lamnek schreibt dazu: „Es gibt (…) immer auch einige Basiswerte und –normen, die von der dominanten und übergeordneten Kultur übernommen werden, was die Zugehörigkeit zum Gesamtsystem ausmacht. Subkulturen übernehmen also einige Normen der dominanten Kultur, unterscheiden sich jedoch in anderen Werten und Normen von dieser. Aus dieser Wert- und Normdifferenzierung lassen sich Erklärungen für abweichendes Verhaltensweisen ableiten“ (1993, S. 143). 93 rend auf der Vorstellung moralischer Überlegenheit zum Vorschein, welche vorschnell auf die Existenz einer eigenständigen ‚Kultur der Armut’ (vgl. Lewis 1966) schließen lassen könnten. Eine solche ist jedoch nicht, und wenn, nur in ihren Ansätzen, gegeben. Die ausgeschlossenen Wohnungsflüchter orientieren sich, unabhängig eigener Lebenserfahrungen, weiter an den bestehenden gesellschaftlichen Werten und müssen alltäglich mit der Diskrepanz zwischen diesen Werten und den eigenen Möglichkeiten ihrer Umsetzung zurechtkommen. Dies führt aber nicht zur Entwicklung eines eigenständigen, parallelen’ Wertesystems, welches für die Akteure Erleichterung und Entlastung bereitstellen könnte, sondern erfordert von den Wohnungsflüchtern spezifische Strategien der Zugehörigkeits- und Selbstwertkonstruktion, in welchen sich die Ambivalenz von Nähe und Abstand zum gesellschaftlichen Wertehorizont widerspiegeln und „in denen die Betroffenen Anziehung und Ausschluss von herrschenden Kulturmustern erleben und handelnd verarbeiten“ (Kronauer 1997, S. 41). 4.6 Pflaster verwundeter Seelen – das Tier an meiner Seite „Nein, aber … weißt Du, was noch interessant ist? Dass .. / es haben ja eigentlich nicht so viele Leute einen Hund. Aber gerade die Leute, was .. wenig Geld haben, oder was so sozial ziemlich unten sind – haben verdammt viel Leute einen Hund“ (Jorsch, Position 151). Übereinstimmend gaben die befragten Personen an, dass der Hund, oder ein anderes Haustier insbesondere Katzen, eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielen. Der oft unstrukturierte Alltag der Wohnungsflüchter erfährt auf Grund der tierischen Bedürfnisse nach Auslauf, Fressen und Erziehung Sinn, Verantwortung und Struktur. „Ohne Hund, da würde ich mir vielleicht ... eine Flasche Korn reinziehen .. und dann nur im Bett liegen und schlafen und schlafen (lacht).“ (Hubert, Position 44). Der Hund macht es notwendig, aufzustehen, Essen zu besorgen und mit ihm raus zu gehen. Täglich wiederkehrende Notwendigkeiten müssen verantwortungsvoll erledigt werden. Ein durch fehlende Erwerbstätigkeit sinn- und strukturentleerter Alltag gewinnt dadurch Struktur, Sinn und Verantwortung zurück. Der Hund muss raus, egal was ist. „Man muss“. (Hubert, Position 46). Mit der Übernahme eines Hundes kehrt die Verantwortung in das Leben exkludierter Personen zurück. Sozial ausgegrenzte Personen verfügen über wenige oder keine Bereiche in ihrem Leben, in dem sie Verantwortung für oder auch Führung über andere übernehmen können. Der Hund dankt es ihnen mit bedin94 gungsloser Solidarität und Treue. Die oft verloren gegangene Reziprozität in den sozialen Beziehungen der Wohnungsflüchter funktioniert an dieser Stelle noch, in der Übernahme der Verantwortung für das Tier erfahren Exkludierte Bedeutung. Das Haustier fungiert in der Beziehung zum Wohnungsflüchter als soziales Gegenüber, in dessen Bewertung andere Kriterien zum Tragen kommen als in der Humangesellschaft. Im Blick des Hundes wird man nicht damit konfrontiert, was man in seinem Leben erreicht, was man aus seinem Leben gemacht hat. Nicht Beruf, Geld und soziales Prestige bestimmen die Beziehung, sondern einzig Fürsorge und liebevoller Umgang zählen. Und auch der Verlust und die Reduzierung sozialer Beziehungen wird durch die Anwesenheit eines Haustiers leichter ertragbar. So gibt Jorsch auf die Frage, warum wohl so viele der Wohnungsflüchter einen Hund haben an: „Mh ja, weil’s möglicherweise auch Gesellschaft brauchen. Weil sie sonst vielleicht zu wenig haben. Oder, oder einen Freund brauchen. Nehm ich , dass das mit dem etwas zu tun hat.“ (Jorsch, Position 153). Der Hund wird zum Freund und füllt damit eine Lücke im Feld sozialer Beziehungen. Und auch die Funktion der emotionalen Unterstützung und psychischen Stabilisierung wird dem Haustier zugeschrieben. Für Hubert ist sein Hund mehr als ein Freund, er ist ihm sogar Therapeut. Und das Wegfallen des geliebten Haustieres kann zu emotionaler Verunsicherung und psychischer Instabilität führen. „Ich, ich hab eine Katze gehabt. 15 – 16 Jahre lang. .. Und dann ist .. – ja gestorben ist sie. Und des / und seit dem .. hab ich .. das Problem gekriegt (Depression) – also .. da ist das mit der Frau noch gar nicht gewesen. Da hab ich/ ich hab der Katz monatelang nachgetrauert. Das war .. / wie viele Leute / ahm eine Mutter oder ein Vater seinem Kind nachtrauert. Echt.“ (Jorsch, Position 153, 155) Der Tod des Haustiers wiegt bei aller emotionaler Verbundenheit in Situationen sozialer Isolierung und Vereinzelung schwerer als in Situationen intensiver sozialer Eingebundenheit. Ein Hund reduziert das Gefühl von Einsamkeit und Isolation. „Ich bin jeden Tag mit ihm unterwegs“… „und der legt sich zu mir ins Bett rein“ (Hubert, Position 42), doch gänzlich aufheben kann er das Gefühl sozialer Isolierung nicht, denn „ein Hund ist halt ein Hund“ (Hubert, Position 48) und eben doch kein Mensch. 95 5 Fazit Biographische Verläufe werden brüchig, und soziale wie ökonomische Eingebundenheit prekär. Einstige klassische Normalbiographien, bestehend aus dem Fundament Erwerbsarbeit und Ehe zur Schaffung von Besitz und finanzieller Unabhängigkeit, brechen im Laufe ihres Gelebtwerdens weg, bekommen einen Knacks und mit ihnen, die hinter diesen Mustern stehenden Individuen43. Oder aber der Einstieg in diese Erwerbsbiographie und damit in den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang gelingt erst gar nicht44. Diese Thesen der sozialwissenschaftlichen Exklusionsdiskussion in Deutschland haben sich in den empirischen Daten der dargestellten Untersuchung bestätigt gefunden. Als Wege in die Exklusion lassen sich in den empirischen Daten drei Varianten unterscheiden: 1. der Weg als Prozess des inter- und/oder intragenerationellen sozialen Abstiegs. 2. der Weg des von Anbeginn verwehrten Zugangs zu gesellschaftlicher Teilhabe und 3. der Weg als Prozess prekärer Zuspitzung eines bereits gefährdeten Lebens am Rande der Erwerbsgesellschaft45 und bestätigen damit die Aussagen, Heinz Budes (2004), einen der führenden Vertreter der deutschen Exklusionsdiskussion. Die Zone der Prekarität weitet sich aus! Auch diese Aussage der Exklusionsdiskussion bestätigt sich in den von mir erhobenen Daten. Dies zeigt nicht zu letzt die Veränderung der Gruppenzusammensetzung der untersuchten Wohnungsflüchtergruppe im Freizeitpark an der Weißenseestrasse. Bestand die Gruppe in ihren Ursprüngen ausschließlich aus Obdachlosen, einer klassischen Randgruppe, weitete sich deren Kreis in den letzten 5-6 Jahren kontinuierlich in Richtung gesellschaftlicher Mitte aus46. Zunehmend mehr Personen fühlen sich von der Gruppe im Park angezogen und finden dort das, was in ihrer herkömmlichen Lebenswelt zunehmend verloren gegangen ist. Die Ursachen des gesellschaftlichen Ausschlusses sind dabei nicht ausschließlich materiell oder auf Grund fehlender Erwerbstätigkeit, sondern können in einer Vielzahl von Gründen 43 Richard 44 Jürgen 45 Vgl. Punkt 4.3.2.. 46 Vgl. Punkt 4.1.. 96 liegen, die die Personen direkt, zum Beispiel über psychische Belastungsreaktionen47 oder indirekt, zum Beispiel über Co-Exklusion48, betreffen und zunehmend an den Rand der Gesellschaft bringen. Wohnungsflucht stellt unter diesen Bedingungen, die durchaus verschiedenartig strukturiert sein können, einen konstruktiven Verarbeitungsmodi gesellschaftlicher Realität sozialer Exklusion dar. Wohnungsflucht kann als Inklusionsversuch unter Exklusionsbedingungen bewertet werden, als ein aktiver Versuch der Zugehörigkeitssicherung in einer sozialen Isolationssituation. So schreibt ein Sozialreferent aus einem Sozialbürgerhaus, in dessen Einzugsgebiet ein Treff von Wohnungsflüchtern lag, an die Stelle der Sozialplanung der Stadtverwaltung München: „Nach unserer Einschätzung besteht dieser Personenkreis noch aus verhältnismäßig ‚gesunden’ Personen, die die Wohnung verlassen. Die problematischern Fälle leben völlig isoliert und zurückgezogen“. Auch Bude verweist darauf, dass es die privaten vier Wände sind, in die sich die Exkludierten zurückziehen (Bude 2004, S. 259). Phänomene sozialer Ausgrenzung sind nicht mehr sichtbar, bzw. werden nicht mehr sichtbar gemacht durch Prozesse der stillen Reinigung des öffentlichen Raumes49. Öffentliche Plätze sind Schauplätze von Vergesellschaftung. Die öffentliche Präsenz der Wohnungsflüchter konfrontiert die Gesellschaft mit ihrem eigenen demokratischen Selbstverständnis. Denn der öffentliche Raum fungiert als Arena der Wahrnehmung von Inklusion und Exklusion, des Gegensatzes von Erfolg und Benachteiligung und schafft so Rechfertigungs- und Legitimationszwänge in einer verfassungsrechtlich geschützten gerechten Gesellschaft. Die Auflehnung mancher Wohnungsflüchter gegen stigmatisierende Verhaltensweisen und Reaktionen von Passanten und Anwohnern können letztlich als Anspruch auf gelebte demokratische Verhältnisse gewertet werden. Doch ein Aufbegehren gegen gesellschaftliche Abwertung findet sich nur bei den ‚Kämpfern’. Diese haben noch die Kraft sich zu wehren. Die ‚Abgehängten’ haben ihre ‚Defizite’ akzeptiert. Eine Einarbeitung ins Selbstbild hat stattgefunden, deren Verarbeitung innere Strategien aktiviert, aber keine Auflehnung mehr nach Außen anstößt. 47 Jorsch 48 Scarlett 49 Siehe auch 2.2.. 97 Die zu Beginn der Untersuchung aufgestellte Hypothese, dass Wohnungsflucht ein mit subjektivem Sinn verknüpftes soziales Handeln und eine Form der Verarbeitung einer sozialen Exklusionslage darstellt, kann als bestätigt angesehen werden50. Die Studie hat des Weiteren bestätigt, dass Prozesse sozialer Exklusion ihren Niederschlag in den biographischen Selbstbeschreibungen51 der Individuen finden und diese, von diesen, (überwiegend) narrativ darstellbar sind. In den betreffenden Narrationen scheinen die subjektiven Deutungs- und Handlungsmuster52 auf und geben individuelle Hinweise auf Identitätskonstruktionen, Formen gesellschaftlicher Selbstverortung von Exkludierten oder von Exklusion bedrohten Personen. Die Erfahrung sozialer Exklusion beeinflusst Individuen in vielfältiger Weise und wirkt sich begrenzend, zum Teil auch ausschließend, auf deren individuelle Lebensführung aus53. Resümierend kann festgehalten werden, dass sich die theoriegeleiteten Hypothesen durch die empirische Erhebung bestätigen ließen. Die in ihnen gefasste theoretische Blickrichtung, auf das zu untersuchende soziale Phänomen, war richtungweisend für die Erhebung eines darüber hinausgehenden differenzierteren Bildes von der Lebenssituation Exkludierter, hier dargestellt am Beispiel der sozialen Gruppe der Wohnungsflüchter. Spezifische Verarbeitungsmodi der objektiven Exklusionslage wurden sichtbar. Darüber hinaus konnten die empirischen Daten Einblicke in die besondere Situation von Wohnungsflüchtern gewähren und hoben die besonders bedeutsame Rolle des Hundes (stellvertretend für andere Haustiere) als Freund und treuen Begleiters, insbesondere für sozial ausgegrenzte Personen mit geringer sozialer Eingebundenheit, hervor. Die Untersuchung der Lebenswelt exkludierter oder von Exklusion bedrohter Menschen ist mit dieser Studie sicherlich nicht abschlossen. Es muss Aufgabe weiterer sozialwissenschaftlicher Aktivitäten sein, diese weiter kennen und verstehen zu lernen, um dem demokratischen Anspruch unserer Gesellschaft, auch unter veränderten Bedingungen, weiterhin gerecht werden zu können. 50 Vgl. Punkt 3.2. und 4.2.. 51 Vgl. Punkt 4.3.. 52 Vgl. Punkt 4:3.3.. 53 Vgl. Punkt 4.4.. 98 Zum Abschluss meiner Arbeit bedanke ich mich bei der gesamten Gruppe im Freizeitpark an der Weißenseestrasse für ihre herzliche und offene Aufnahme in ihren Kreis, für viele gute und, für mich, sehr interessante Gespräche und die große Freude, die mir damit meine Abschlussarbeit gemacht hat. Ganz besonders bedanke ich mich bei Jürgen, ‚meinem’ Gatekeeper und freundlichen Unterstützer in dieser Zeit und bei Hubert, der guten Seele am Platz. 99 6 Literaturverzeichnis: o Abels, Heinz (2001) Einführung in die Soziologie. Band 2. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. o Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) (1976) Kommunikative Sozialforschung. München: Fink. o Bahrdt, Hans-Paul (2006) Die moderne Großstadt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 2. Auflage. o Bayrische Biergartenverordnung (1999) o Blumer, H. (1954) What Is Wrong with Social Theory. In: American Sociological Review, 14. Jhg., S. 3 – 10. o Böhnke, Petra (2006) Am Rande der Gesellschaft. 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Damnitz; Eierdanz (2008) Abbildung 1: Heuristik von Inklusion – Exklusion nach Robert Castel Abbildung 2: Heuristik von Inklusion – Exklusion nach Robert Castel: gesellschaftliche Selbstverortung der Interviewpartner. 109 8 Anhang Die auf der letzten Seite beiliegende CD enthält den gesamten Anhang: Vorinformation zu den Interviews Interviewleitfaden Soziodemographischer Fragebogen Postskriptum Transkriptionsregeln Alle vollständig transkribierten Interviews 110 9 Erklärung der Verfasserin: Ich versichere, dass ich die Arbeit in allen Teilen selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel verfasst habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Prien am Chiemsee, 01.10.2008 Angela Wernberger 111