ISLAM – SCHLAGLICHTER ZU EINER WELTRELIGION Landshut, 05.03.2016 Landshut, 05.03.2016 Der Islam ist eine monotheistische Religion, die im frühen siebten Jahrhundert in Arabien durch den Propheten Mohammed gestiftet wurde. Der arabische Begriff Islām (islām / ) إسالمleitet sich als Verbalsubstantiv von dem arabischen Verb aslama („übergeben, sich ergeben, sich hingeben“) ab und bedeutet mithin „Unterwerfung (unter Gott)“, „völlige Hingabe (an Gott)“. Die wichtigste textliche Grundlage des Islams ist der Koran, der als das dem Propheten Mohammed offenbarte Wort Gottes gilt. Die zweite Grundlage bilden die Berichte (Hadithe) über die Verhaltensweise (Sunna) Mohammeds, der als der „Gesandte Gottes“ Vorbildcharakter für alle Muslime hat. Die sich aus diesen Texten ergebenden Normen werden in ihrer Gesamtheit als Scharia bezeichnet. Mit 1,6 Milliarden Anhängern ist sie nach dem Christentum (ca. 2,2 Milliarden Anhänger) heute die zweitgrößte Weltreligion. Die zehn Länder mit dem größten Anteil an der muslimischen Weltbevölkerung sind Indonesien (12,9 %), Pakistan (11,1 %), Indien (10,3 %), Bangladesch (9,3 %), Ägypten und Nigeria (jeweils 5 %), Iran und Türkei (jeweils 4,7 %) sowie Algerien (2,2 %) und Marokko (ca. 2 %). In ihnen zusammengenommen leben mehr als zwei Drittel aller Muslime. Muslimisch geprägte Länder in Europa sind Albanien, Bosnien und Herzegowina, der Kosovo, Mazedonien, und die Türkei. Landshut, 05.03.2016 Wo leben die meisten Moslems? Landshut, 05.03.2016 Staaten mit einem islamischen Bevölkerungsanteil von mehr als 5 % Grün: Sunniten, Rot: Schiiten, Blau: Ibaditen (Oman) Landshut, 05.03.2016 MOHAMMED – GRÜNDER UND PROPHET Landshut, 05.03.2016 ARABIEN ZUR ZEIT DER ENTSTEHUNG DES ISLAM (6./7.Jahrhundert nach Christus) - Politische Situation: konkurrierende Großmächte Röm.- Byzantinisches Reich im Westen und Persien (Sassaniden) im Osten - auf arabischer Halbinsel: patriarchalische Stammesgesellschaft, Handel (Weihrauchstraße), Mekka als wichtiges Handelszentrum, Ausbildung der arabischen Schrift - religiöse Situation in Arabien: mehrheitlich Stammesreligionen mit Mekka als Wallfahrtsstätte; im Süden und Norden der Halbinsel christliche Gemeinden, im Norden auch jüdische Stämme (v.a. in Medina) Landshut, 05.03.2016 BIOGRAPHIE MUHAMMADS nur islamische Quellen über Muhammad vorhanden 570: 610: 622: 630: 632: Geburt in Mekka, ab dem sechsten Lebensjahr Vollwaise als junger Mann als Kaufmann tätig, heiratet mit 25 eine reiche Kaufmannswitwe (Khadischa); nach ihrem Tod heiratet Muhammad mehrere Frauen Berufungserlebnis Muhammad erhält vom Erzengel Gabriel göttliche Botschaften (Koran), die erste muslimische Gemeinde entsteht zunächst große Widerstände gegen die Botschaft Muhammads in Mekka Auswanderung (Hidschra) der Muslime in die Stadt Medina (Beginn der islamischen Zeitrechnung) immer mehr Stämme in Medina schließen sich Muhammad und seiner Religion an; das erste islamische Gemeinwesen (Staat) entsteht, Muhammad wird zum politischen Führer; es kommt zu Kriegen mit den Nichtmuslimen in Mekka; Eroberung von Mekka die Kaaba in Mekka wird zum islamischen Heiligtum Tod von Muhammad, er wird in Medina begraben Landshut, 05.03.2016 Mohammeds "Berufung" (609/610 n.Chr.) Um 609/610 war Mohammed ca. 40 Jahre alt. Er zog sich häufig ins Gebirge zurück und fastete. Es ging öfter in eine Höhle am Berg Hira in der Nähe Mekkas. Hier begegnete ihm schließlich der "Engel Gabriel" in einem Traumgesicht. Mohammed wurde von dem Engel sehr bedrängt und "gezwungen" etwas zu lesen, obwohl er angab, nicht lesen zu können. Auf irgendeine Weise konnte er dann schließlich "lesen"; d.h. er wiederholte die Worte, die der Engel ihm vorsprach. Dieses Erlebnis bestürzte ihn sehr. Er glaubte zunächst, er sei besessen. Es überfiel ihn große Verzweiflung und Mohammed unternahm in der folgenden Zeit mehrere Selbstmordversuche, von denen ihn der "Engel Gabriel" abhalten konnte. Nach seiner zweiten Offenbarung begann Mohammed zu predigen. Seine Botschaft enthielt folgende Hauptaussagen: Allah ist der allein wahre Gott. Allah wird einen Tag des Gerichtes halten. Landshut, 05.03.2016 NACH MUHAMMADS TOD - Streit um Muhammads Nachfolge entzweit die Muslime in Sunniten und Schiiten: Schiiten anerkennen nur Ali (Schwiegersohn Muhammads) als Nachfolger (Kalif) an - Ali wird 661 ermordet, die Macht geht auf die Umayyaden in Damaskus über (erste islamische Dynastie) - nach Muhammads Tod schnelle Ausbreitung des Islam. Herrschaftsgebietes über die arabische Halbinsel hinaus im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika, 711 Ankunft in Spanien - Juden und Christen in den eroberten Gebieten dürfen ihre Religion behalten, werden rechtlich aber nicht gleichgestellt (Kopfsteuer, Verbot der Mission etc.) - 750 geht die islamische Macht auf die Abbasiden in Bagdad über: kulturelle Blüte durch Rezeption und Weiterentwicklung der antiken Wissenschaften und Philosophie (Übersetzerschulen) -> Kulturtransfer über Spanien nach Europa - Entwicklung der islamischen Rechtsschulen Landshut, 05.03.2016 SUNNITEN UND SCHIITEN • • • • • • • • • • • • • • • • • • • Von „Sunna“ = Tradition, Brauch ca. 85-90% aller Muslime weltweit, in Dtl. ca. 74% der Muslime Anerkennung der vier „rechtgeleiteten Kalifen“ als Nachfolger Muhammads: Abu Bakr, Umar, Uthman, Ali; Positive Sicht der Prophetengenossen sechs kanonische Hadithsammlungen (Überlieferungen von und über Muhammad) Vier sunnitische Rechtsschulen, die sich wechselseitig anerkennen, aber unterschiedliche Methoden der Rechtsauslegung: Hanafiten (z.B. Türkei), Malikiten (Nordafrika), Schafiiten (Indonesien, Ostafrika) und Hanbaliten (Saudi-Arabien) Keine hierarchische Geistlichkeit, nur Gelehrte (ulama) -> v.a. al-Azhar (Kairo) Erwartung des „Mahdi“ am Jüngsten Tag (Identität nicht näher bestimmt) • • • • • • • • • • Von „Schia“ = Partei/Anhänger (Alis) Ca. 10-15% (ca. 150 Mio) v.a. Iran, Irak (60%), in Dtl. ca. 7% der Muslime, plus ca. 15% Aleviten anerkennen nur Ali und seine Nachkommen als rechtmäßige Nachfolger („Imame“) Muhammads; die Imame gelten als unfehlbare und sündenlose Mittler zwischen Gott und Menschen, verbindliche Ausleger des Korans sowie als Märtyrer -> kultische Verehrung und Passionsrituale (Ashura) Drei Hauptrichtungen je nach Anerkennung der Anzahl von Imamen mit je eigenen Rechtsschulen 1) Imamiten oder Zwölferschiiten (Iran, Irak …) 2) Ismailiten oder Siebenerschiiten (Indien, Pakistan) 3) Zaiditen oder Fünferschiiten (Jemen) Sondergruppen: Ibaditen (Oman), Alawiten(Syrien), Aleviten (Türkei) Ab 16. Jh. hierarchische Geistlichkeit/ Klerus (Ayatollahs, Groß-Ayatollahs etc.) als sog. „Quellen der Nachahmung“; z.T. Nachkommen Muhammads (Seyyed -> schwarzer Turban); Zentren: Qom (Iran) und Najaf (Irak); enges LehrerSchüler-Verhältnis Erwartung der Wiederkehr des in der Verborgenheit lebenden 12. (Imamiten) bzw. 7. (Ismailiten -> Bohras) Imams als messianischer Heilsbringer Landshut, 05.03.2016 RELIGIÖSE GRUNDLAGEN DES ISLAM Landshut, 05.03.2016 Der Koran als Offenbarungsschrift enthält die Offenbarungen, die Muhammad von 610-632 von Gott erhalten hat in arabischer Sprache um 650 Endredaktion eingeteilt in 114 Kapitel (Suren), die der Länge nach geordnet sind keine inhaltliche oder chronologische Ordnung dient als Rezitationstext im Ritualgebet Koran als unmittelbares und endgültiges Wort Gottes („Verbalinspiration“) wiederholt die Offenbarung Gottes zu Beginn der Menschheit, durch Propheten (Abraham, Mose, Jesus etc.) und in der Schöpfung „Dogma“ der Unnachahmlichkeit und Präexistenz des Korans Zentrale Inhalte: Einzigkeit Gottes, Warnung vor dem endzeitlichen Gericht, Prophetenerzählungen (Bibel), ethische und rechtliche Anweisungen Übersetzung und Auslegung des Korans möglich, aber verbindlich bleibt der arabische Urtext Landshut, 05.03.2016 Die Sunna (Prophetentradition) - Sunna enthält Überlieferungen (Taten und Worte) Muhammads, sog. „Hadithe“ - zweite Hauptquelle neben dem Koran vor allem für die religiöse Praxis und das islamische Recht - im sunnitischen Islam sechs anerkannte Hadithsammlungen - im schiitischen Islam eigene Hadithsammlungen mit Überlieferungen Mohammeds, Fatimas und der Imame => Frage nach Authentizität Landshut, 05.03.2016 Landshut, 05.03.2016 Scharia Scharia ist die islamische „Lebensordnung“: Sie gründet auf Koran und Sunna sowie Methoden der Auslegung dieser Quellen Scharia umfasst zum einen religiöse Pflichten („Fünf Säulen) und regelt zum anderen alle zwischenmenschlichen Beziehungen (Ehe-, Erb-, Strafrecht etc.) verschiedene Rechtsschulen, die sich nach Auslegungsmethoden unterscheiden: im sunnitischen Islam vier anerkannte Rechtsschulen (Hanafiten, Schafiiten, Malikiten und Hanbaliten), Schia hat eigene Rechtsschulen (Dschafariten, Zaiditen) Konfliktfelder zwischen traditioneller Scharia und modernen Menschenrechten: (1)Strafrecht (Körperstrafen und Todesstrafe) (2) rechtliche Stellung der Frau (3) Rechte von Nichtmuslimen, Religionsfreiheit => Grundsätzliche Frage nach Trennung von Religion und Staat Landshut, 05.03.2016 FÜNF SÄULEN DES ISLAM Landshut, 05.03.2016 ERSTE SÄULE: ISLAMISCHES GLAUBENSBEKENNTNIS (SHAHĀDA) „Ich bezeuge: Es gibt keinen Gott, außer Gott und Muhammad ist der Gesandte Gottes“ Landshut, 05.03.2016 SECHS ISLAMISCHE GLAUBENSARTIKEL (AL-AQĪDA) Glaube an: 1) die Einheit und Einzigkeit Gottes (tauhīd) 2) die Existenz der Engel 3) die Offenbarungsschriften (Tora, Psalter, Evangelium, Koran) 4) die Propheten und Gesandten (Abraham, Mose, Jesus, Muhammad) 5) die Auferstehung und das Gericht 6) die „Vorherbestimmung“ Landshut, 05.03.2016 ZWEITE SÄULE: RITUALGEBET (SALAT) Gebetsruf des Muezzin „Gott ist der Allergrößte, Gott ist der Allergrößte. (2x) Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Gott gibt. (2x) Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist. (2x) Kommt her zum Gebet. (2x) Kommt her zum Heil. (2x) (beim Ruf zum Morgengebet wird hier noch zweimal eingefügt: Gebet ist besser als Schlaf.) Gott ist der Allergrößte, Gott ist der Allergrößte. Es gibt keinen Gott außer Gott!“ Landshut, 05.03.2016 Gebet als Antwort des Menschen auf Gottes Wort in der Offenbarung fünfmal täglich (morgens, mittags, nachmittags, abends, nachts), zeitlich abhängig vom Sonnenstand wenn möglich gemeinschaftlich, Freitagsgebet für Männer verpflichtend in der Moschee Rituelle Reinheit des Beters (kleine oder große Waschung) und des Ortes nötig Gebetsrichtung nach Mekka ganzheitliches Beten (Körperhaltungen) neben dem Pflichtgebet freiwillige Gebete Landshut, 05.03.2016 Sure 1 als wichtigstes islamisches Gebet: „Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers. Das Lob gebührt Gott, dem Herrn aller Welt, dem barmherzigen Erbarmer, dem Herrscher am Tag des Gerichts. Dir dienen wir und dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen du Gnade schenkst, denen nicht gezürnt wird und die nicht irregehen.“ Landshut, 05.03.2016 ISLAMISCHE GEBETSHALTUNGEN Landshut, 05.03.2016 DRITTE SÄULE: PFLICHTABGABE (ZAKAT) - verpflichtende Abgabe (2,5% des jährlichen Einkommens) für Bedürftige - "ruhendes Netto-Kapitalvermögen" - Als ruhendes Vermögen gelten unter anderem Bargeld, Schmuck und Mieterträge. Außerdem muss ein Muslim mindestens ein Mondjahr (im Kalender des Islams) lang im Besitz dieses Vermögens sein. - daneben freiwillige Spenden erwünscht - Drei Sinndimensionen: Dankbarkeit für das eigene Wohlergehen, Solidarität mit den Schwachen, Bekämpfung der Habgier und des Geizes => Sozialpflichtigkeit des Eigentums Landshut, 05.03.2016 VIERTE SÄULE: FASTEN IM MONAT RAMADAN (SAWN) im Monat Ramadan hat Gott die erste koranische Offenbarung herabgesandt (in der „Nacht der Bestimmung“ am 27. Ramadan) darauf bereitet man sich mit Fasten, Koranlesen und Gebet vor Enthaltung von Essen und Trinken von Sonnenauf- bis -untergang, danach gemeinschaftliches Fastenbrechen (Iftar) Ramadan gilt als segensreiche Zeit Ramadan endet mit dem Fest des Fastenbrechens (Id al-Fitr/Scheker Bayram) Landshut, 05.03.2016 FÜNFTE SÄULE: PILGERFAHRT NACH MEKKA (HADSCH) Landshut, 05.03.2016 PRAKTISCHE FRAGEN DES ALLTAGS Ernährung - haram (verboten) und halal (erlaubt) ausgehend vom Koran und Sunna - Schweinefleisch oder seine Nebenprodukte wie Gelantine, Raubtierfleisch und nicht regelgerecht geschlachtete Tiere sind ebenso verboten wie der Genuss von Alkohol (auch Bestandteil von Saucen etc.). Eine Berührung damit reicht zum Verbot schon aus! Kleidung Landshut, 05.03.2016 Wo ist dieser Text zu finden? „Wenn eine Frau kein Kopftuch trägt, dann soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen. Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen.“ Regionalverbund Freising, 21.01.2016 1 Korinther 11 Landshut, 05.03.2016 Pflicht zur Verhüllung? - keine Einigkeit, in welcher Form sich Frauen in der Öffentlichkeit verhüllen müssen - Sure 24:31 geht nicht hervor, dass auch der Kopf bzw. die Haare bedeckt sein sollen ("sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham bewahren, ihren Schmuck [d. h. die Körperteile, an denen sie Schmuck tragen] nicht offen zeigen, mit Ausnahme dessen, was sonst sichtbar ist. Sie sollen ihren Schleier auf den Kleiderausschnitt schlagen und ihren Schmuck nicht offen zeigen"). - Auch Sure 33:59 schafft keine Klarheit ("O Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf [djilbab] über sich herunter ziehen"). - Im Allgemeinen aber wird aus diesen Suren die Pflicht zur Verhüllung (nur in Gegenwart Fremder) abgeleitet. Landshut, 05.03.2016 Islamischer Fundamentalismus/ Islamismus/Salafismus Landshut, 05.03.2016 „Fundamentalismus“ – Was ist das? - lat. fundamentum = Grundlage, Basis - Anfang 20. Jh. Selbstbezeichnung protestantischer Bewegungen in Nordamerika (Zeitschrift „The Fundamentals“ 1910) - Begriffsunschärfe („Container-Begriff“): Spektrum von sehr konservativtraditionalistisch bis terroristisch -> Notwendigkeit einer klaren Definition Landshut, 05.03.2016 Mitte 18. Jh. M. Ibn Abd-el-Wahhab (1703-1792), Saudi-Arabien - Vordenker des „Wahhabismus“ und Salafismus (salaf – Vorfahre, Vorgänger) - Ideologie: 1) Alleingeltung und wörtliche Auslegung von Koran und Sunna (vgl. Ibn Hanbal, Ibn Taimiyya) 2) Kampf gegen sog. „Neuerungen“ wie Heiligenverehrung und Gräberkult, Ablehnung von Schia, Sufismus, Islam. Philosophie, Rechtsschulen -> „Für-Ungläubig-Erklären“ (takfīr) -> Bündnis mit den Sauds, erster saudischer Staat 1744, 1802 Massaker an Schiiten in Kerbela, 1803 Herrschaft über Mekka, seit 1932 Staatsdoktrin im Königreich Saudi-Arabien (mit britischer Unterstützung) -> missionarisch, bes. ab 1960er Ideologieexport („Islamisches Erwachen“ -> Verbindung mit Muslimbruderschaft) Landshut, 05.03.2016 Kampf gegen Kolonialismus (19./20. Jh.) - Vorkoloniale Penetration der islamischen Welt (1789: Napoleon erobert Ägypten, 1830 Algerien, 1881 Tunesien etc.) - Macht- und Gebietsverluste des Osmanischen Reiches, europäische Kolonialisierung der gesamten islamischen Welt nach 1. Weltkrieg -> Identitäts- und Machtverlust, kulturelle Entwurzelung -> Niedergang der islamischen Welt, ökonomische Ausbeutung -> Kränkung der „islamischen Seele“ -> Aufstände (z.B. Sudan) - Reformversuche durch Rückbesinnung auf die eigenen religiösen Wurzeln (Salafiya): (1) Jamal ad-Din al-Afghani (1838-97): -> Islam als antikoloniale Waffe (2) sein Schüler Muhammad Abduh (1849-1905), (3) sein Schüler Rashid Rida (1865-1935) -> Modell des „islamischen Staates“ (Kalifat) Landshut, 05.03.2016 - Förderung des Jihad gegen Briten und Franzosen im ersten Weltkrieg durch Deutschland (Max von Oppenheim) - 1920-40er: Gründung islamisch-politischer Bewegungen, v.a. ägypt. Muslimbruderschaft (1928) durch Hassan al-Banna -> islamische Gesellschafts- und Staatsordnung als Ziel und Lösung aller Probleme -> zuerst Kampf gegen Kolonialmächte, dann gegen eigene Regime; Israel-Palästina-Konflikt (1917 Balfour-Erklärung) Landshut, 05.03.2016 Zweite Hälfte 20. Jh.: zunehmende Radikalisierung und Internationalisierung - Sayyid Qutb (1906-1966): einer der Ideologen des radikalisierten Islamismus: offensiver militärischer Jihad als individuelle Pflicht; Hass gegen Westen und das ägypt. Regime; Islam als dritter Block neben Kapitalismus und Kommunismus - Sayyid Abu-l-A‘la Maududi (1903-1979, Indo-Pakistan): Idee der Gottesherrschaft; Legitimierung des Jihad - 1967 Sechstagekrieg -> Islamismus ersetzt arab. Nationalismus - 1979: iranische Revolution - 1979: Mujaheddin in Afghanistan -> 1988 al-Qa‘ida („die Basis“) -> Selbstmordanschläge: Anfang 1980er im Libanon, ab 1993 in Israel und anderswo - 1990: Kuwait-Krieg -> Stationierung us-amerikanischer Truppen auf arab. Halbinsel -> Kriegserklärung bin Ladens - Tschetschenien, Bosnien etc. als weitere Konfliktherde => Internationaler Jihadismus Landshut, 05.03.2016 21. Jahrhundert: Globalisierung des Jihad - 1998: „Islamische Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzfahrer“ (bin Laden) - 11.9.2001: Terroranschläge in USA -> US-Krieg gegen Taliban (2001) und Irak (2003) -> „Franchise-Qa‘ida“: Irak, Arabische Halbinsel (2003), Jemen (2006), Maghreb (2007) etc. -> al-Qa‘ida im Irak: Ausrufung eines Islamischen Staates im Irak (ISI) 2006; 2013 Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) -> Trennung von al-Qa‘ida; 2014 Islamischer Staat (IS) - 2010 arabische Revolutionen Landshut, 05.03.2016 „Islamischer Staat“ (IS) Salafistisch-dschihadistische Terrormiliz seit 2003 im Irak (aus ehemaligen Offizieren der irakischen Armee) -> Ableger von al-Qaida (bis Mitte 2013); Erstarkung nach Abzug der US-Truppen 2011 Finanzierung: Zölle, Steuern, Raubgrabungen, Erpressung, Ölverkäufe, (zumindest anfangs) auch finanzielle Unterstützung durch Geldgeber aus Golfstaaten (?), Rolle der Türkei? 29. Juni 2014: Ausrufung des Kalifats mit staatsähnlichen Strukturen -> fundamentalistisch ausgelegte Scharia als Gesetz für alle; Praxis des Takfir (Fürungläubig-Erklären anderer Muslime, v.a. von Schiiten); Christenverfolgung, Genozid an Jesiden z.Z. ca. 20-30.000 Kämpfer, davon ca. 700 aus Deutschland Breite Ablehnung durch islamische Gelehrte weltweit, aber auch Minderheit von Sympathisanten Landshut, 05.03.2016 Islamischer Staat Anfang 2015 Mai 2015 Landshut, 05.03.2016 Salafismus Begriff: „salaf“ = „Altvordere“ (as-salaf as-salih) -> Bezugnahme auf idealisierte Anfangszeit des Islam (1.- 3. Generation) und Wiederherstellung des „reinen Islam“ 19./20. Jh. in Arabien, Ägypten, Indien als Reaktion auf europäische Kolonialherrschaft und Moderne wichtige Bezugsgrößen: Ibn Taimiyya (1263-1328), Ibn Abd al-Wahhab (17031792); al-Maududi, Nasir ad-Din al-Albani (1914-1999), Sayyid Qutb, Ibn Uthaimin -> Salafismus unterscheidet sich vom Wahhabismus durch geringere Bindung an saudische Dynastie oder deren Ablehnung; Ablehnung der Rechtsschulen Starke Tendenz zur innerislamischen Zersplitterung durch takfir Ausbreitung der Ideologie durch weltweite saudische Einrichtungen Landshut, 05.03.2016 Kennzeichen und Typen des Salafismus Pietistisch/quietistisch: - unpolitisch, gewaltablehnend, missionarisch, kein takfir - Ziel: islamische Gesellschaft von unten nach oben Politisch-reformerisch: - gewaltlos, aber politisch aktiv (z.B. Ägypten) - Ziel: islamische Gesellschaft von oben nach unten -> Mehrheitsströmung im Salafismus Jihadistisch-revolutionär: - gewaltlegitimierend, zum Teil gewalttätig, Märtyrertum; Minderheit (in Dtl. ca. 500); Jihad als individuelle Pflicht - Ziel: islamischer Staat durch Gewalt => Für alle gilt das „Prinzip von Loyalität und Lossagung“ Landshut, 05.03.2016 Salafismus in Deutschland im türkisch geprägten Islam eher nicht verbreitet seit Ende der 90er kleine Gruppen seit 2004/05 offensiveres Auftreten durch sogenannte Wanderprediger wie z.B. Pierre Vogel alias Abu Hamza und Vernetzung 2012 kostenlose Koranverteilungen und „Straßenmission“ zur Zeit circa 7000 Anhänger Konkurrenz zu etablierten Moscheegemeinden prägt als winzige Minderheit stark das öffentliche Islambild Landshut, 05.03.2016 Salafismus als radikale Jugendsubkultur Salafismus bietet vor allem (männlichen) Jugendlichen (16-35) und Konvertiten aus instabilen Familienverhältnissen: - einfache Antworten (Wissen) und ein transzendentales Orientierungssystem (Wahrheit) - klare Handlungsanweisungen (Werte) - Gemeinschafts- und Selbstwertgefühl, Gefühl der Auserwählung, Gehorsamsstrukturen - Protestmöglichkeiten und Solidarisierung mit anderen Muslimen („Kampf für Gerechtigkeit“) durch Charisma der Prediger und modernes Medienangebot (Facebook, YouTube, Chat-Groups, z.T. auch religiöse Musik (sog. Nasheeds) -> Salafismus ist „jugendgerecht“, „Ersatzfamilie“ Landshut, 05.03.2016 Phasen der individuellen Radikalisierung 1. persönliche Krisensituation; familiäre Konflikte; tiefer Unmut über wirkliche oder vermeintliche Ungerechtigkeiten: persönlich (Diskriminierung, Ausgrenzung) oder seitens der „Glaubensbrüder“ (Palästina, Afghanistan etc.) 2. Kontakt mit islamistischer Ideologie (z.B. über Internet) ->Indoktrinierung 3. Gruppendynamische Prozesse der Radikalisierung (abgeschottete Peergroups) bis hin zu Gewaltausübung => Komplexes Ursachenbündel, meist abseits der Moscheegemeinden Landshut, 05.03.2016 Kennzeichen des Islamischen Fundamentalismus/Salafismus • • • • • • • • • • • • Alleingeltung und politische Umdeutung von Koran und Sunna „Souveränität Gottes“ statt Volkssouveränität Wortwörtliche, unhistorische und selektive Schriftbenutzung; Distanzierung von (Teilen) der Tradition, Entkulturalisierung Exklusivitäts- und Überlegenheitsanspruch („Ideologie der Ungleichwertigkeit“) Intoleranz; Praxis des „Takfīr“ (Andersdenkende zu Ungläubigen erklären) Dualismus (ethisch, kosmisch) -> rein-unrein Verschwörungstheorien und Feindbilder (Israel, Juden, USA/Westen, Christentum); Holocaust-Leugnung Aggressive Mission („Höllenpädagogik“), unbarmherziges Gottesbild Patriarchalismus; Geschlechtersegregation Totalitäres Denken; Ambiguitätsverlust Halbierte Moderne: Gebrauch moderner Medien und z.T. Waffen, Ablehnung moderner Menschenrechte und Werte Erweckungsphänomen/Konvertiten Landshut, 05.03.2016 Ursachen des islamischen Fundamentalismus (1) psychisch: Entfremdung, Angst vor Identitäts-, Macht-, Einflussverlust, Demütigung (z.B. durch Diskriminierung), Ohnmacht (2) kognitiv: Orientierungslosigkeit in der pluralen und globalisierten Welt, mangelnde Bildung (3) sozio-ökonomisch: Armut, mangelnde Teilhabechancen, Verteilungskämpfe (Arbeit, Geld, Güter), Ausgrenzung (4) religiös: problematische Aussagen in den Quellen und geschichtliche Vorbilder Landshut, 05.03.2016 Religiöse Legitimationen - Gewaltlegitimierende Aussagen in Koran und Sunna „Schwertvers“ in Sure 9,5: „Sind die heiligen Monate abgelaufen, dann tötet die Beigeseller, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie und lauert ihnen auf aus jedem Hinterhalt! Doch wenn sie sich bekehren, das Gebet verrichten und die Armensteuer geben, dann lasst sie laufen!“ -> historischer Anlass, bedingt - Sure 9,29: „ Kämpft gegen die, die nicht an Gott glauben und auch nicht an den Jüngsten Tag, die das was Gott und sein Gesandter verboten haben, nicht verbieten und die nicht der Religion der Wahrheit angehören – unter den Buchbesitzern -, bis sie erniedrigt den Tribut entrichten.“ -> überzeitliche, unbedingte Pflicht? Landshut, 05.03.2016 Geschichtliche Vorbilder - Prophet Muhammad als Kriegsherr - Militärische Expansion durch die ersten Kalifen - Klassische Lehre vom Jihad (Haus des Islam, Haus des Krieges, Haus des Vertrags) -> Auslegungssache: - Mehrheit der Gelehrten und Muslime heute sehen keine Pflicht zum offensiven Jihad (Vordenker: Sayyid Ahmad Khan, 1817-1898, Indien), nur im Verteidigungsfall (dehnbar) - Dschihadisten sehen kollektive und individuelle Pflicht (Vordenker: Sayyid Qutb, Abdassalam Faraj) - Seit Ibn Taimiya (1263-1328) auch Krieg gegen ungläubige Muslime legitim -> Exkommunikation (takfir) als Praxis der Salafisten Landshut, 05.03.2016 Dschihadismus Veränderungen der klassischen Lehre vom Jihad durch modernen Dschihadismus: 1. Legitimierung der wahllosen Tötung von Zivilisten 2. Legitimierung von Selbstmordattentaten als „Märtyreroperationen“ 3. Ästhetisierung von Gewalt Landshut, 05.03.2016 Pädagogische Präventionsarbeit Islamischer Religionsunterricht an staatlichen Schulen Friedenspädagogik Moderne Moscheepädagogik (Selbstreflexion statt Memorieren) -> Aus- und Fortbildung der Imame Professionelle Jugendarbeit und Erwachsenenbildung Inhaltliche, theologische Auseinandersetzung mit Salafismus Aufbau von kommunalen Netzwerken im Jugend und Familienbereich sowie mit muslimischen Gemeinden Anerkennung der Jugendlichen und ihrer Religion fördern Kulturalisierungen vermeiden (nicht alles auf den Islam zurückführen) Ambiguitätstoleranz fördern Unterschiede zulassen, gleichzeitig klare Grenzen setzen, wo Würde und Rechte anderer verletzt werden Landshut, 05.03.2016 VIELEN DANK !!! Landshut, 05.03.2016