SCHOSTAKOWITSCH PROKOFJEW BEETHOVEN 1. SINFONIE- & 1. SONDERKONZERT 16/17 Das Konzert wird von SWR2 aufgezeichnet und im SWR2-Mittagskonzert am 27.12.16 um 13.05 Uhr gesendet. Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind. SCHOSTAKOWITSCH PROKOFJEW BEETHOVEN 1. SINFONIE- & 1. SONDERKONZERT Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975) Sergej Prokofjew (1891 – 1953) Kammersinfonie op. 110a 21‘ Orchestrierung des 8. Streichquartetts op. 110 von Rudolf Barschai 1.Largo 2. Allegro molto 3.Allegretto 4. Largo 5. Largo Violinkonzert Nr. 2 g-Moll op. 63 Percussion Concerto 1. Allegro moderato 2. Andante assai – Allegretto 3. Allegro ben marcato 25‘ – Pause – Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 „Pastorale“ 40‘ 1. Allegro ma non troppo: Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande 2. Andante molto mosso: Szene am Bach 3. Allegro: Lustiges Zusammensein der Landleute 4. Allegro: Gewitter, Sturm 5. Allegretto: Hirtengesänge – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm Julian Rachlin Violine Justin Brown Dirigent BADISCHE STAATSKAPELLE 18.9.16 11.00 GROSSES HAUS 19.9.16 20.00 GROSSES HAUS Dauer ca. 2 Stunden, Einführung mit Künstlern 45 Minuten vor Konzertbeginn 20.9.16 19.00 GROSSES HAUS Dauer ca. 2 ¼ Stunden, mit Moderation und anschließendem Künstlertreff DOPPELTE BÖDEN Die drei Werke des 1. Sinfoniekonzerts eint die Distanz, die ihre Schöpfer quasi als doppelten Boden eingezogen haben. Bei Schostakowitsch geschah dies aus Zwang, um sich äußerlich den Vorgaben der sowjetischen Kulturbürokratie zu beugen und dem stalinistischen Terror zu entgehen. Seine auf dem Achten Streichquartett beruhende Kammersinfonie op. 110a trägt die Widmung „den Opfern des Krieges und des Faschismus“, ist jedoch vielmehr ein Requiem auf den verfolgten und gegängelten Komponisten selbst. Prokofjew verbirgt in seinem melodiereichen Zweiten Violinkonzert höchste Kunstfertigkeit und Virtuosität hinter dem Mantel der „Neuen Einfachheit“ oder „Neuen Sachlichkeit“ – auch aus persönlichem Antrieb, aber von der gleichen Kulturbürokratie durchaus gerne gesehen, da dies im Einklang mit der herrschenden Ideologie stand. Beethoven schließlich komponiert in seiner Pastoralen ganz bewusst keine primäre Naturschilderung, sondern seine eigenen Seelenzustände und Empfindungen beim Erleben der Natur. 2 Schostakowitsch: Kammersinfonie op. 110a (1960) „Kurz nach der Uraufführung des Achten Streichquartetts 1960 beauftragte mich der Musikverlag Peters, es für Streichorchester zu bearbeiten. Da ich Schostakowitschs Ansichten über Bearbeitungen jeder Art kannte (offen gesagt: Er stand ihnen ziemlich skeptisch gegenüber), bemühte ich mich zunächst um seine Zustimmung. Als ich die Partitur beendet hatte, zeigte ich sie ihm. Sie gefiel ihm sehr, und mit dem ihm eigenen Humor und voller Überschwang rief er: ‚Also, das klingt ja besser als das Original. Wir werden dem Stück einen neuen Namen geben: Kammersymphonie op. 110a.’“ Dies notierte der Dirigent und Bratscher Rudolf Barschai, den mit Schostakowitsch eine enge künstlerische Beziehung verband. Dem Gründer des Borodin-Quartetts und des Moskauer Kammerorchesters vertraute Schostakowitsch auch die Uraufführung seiner 14. Sinfonie an. Insgesamt fünf Streichquartette bearbeitete Barschai für sein Kammerorchester, die mit eigenen Opuszahlen in Schostakowitschs Werkverzeichnis aufgenommen wurden. Der Kammersinfonie op. 110a liegt das Achte Streichquartett zugrunde, das 1960 in nur drei Tagen in Gohrisch bei Dresden entstand. Der Komponist hielt sich dort wegen eines Filmprojekts über die Bombardierung Dresdens auf, das als Koproduktion der DDR und der Sowjetunion geplant und von ihm vertont werden sollte. Statt großer bombastischer Filmmusik entstand jedoch in der Abgeschiedenheit der Sächsischen Schweiz ein in höchstem Maße verinnerlichtes Werk, das „den Opfern des Krieges und des Faschismus“ gewidmet wurde – ob auf eigenen Antrieb oder Druck von außen ist unklar; im ursprünglichen Manuskript taucht die Widmung jedenfalls noch nicht auf. Man muss davon ausgehen, dass der Autor die Widmung nachträglich angebracht hat, um den eigentlichen Inhalt zu verschleiern. Wie so oft bei Schostakowitsch, der Zeit seines Lebens unter der Gängelung des stalinistischen Staatsapparats stand und deswegen mit scheinbarer äußerlicher Anpassung eine persönliche wie künstlerische Fassade aufbaute, verbirgt sich hinter dem gleichsam Eindeutigen ein doppelter Boden. Um den wahren Inhalt auch nur annähernd zu erreichen, muss man hinter diese Fassade blicken. Doch manchmal lässt sich der Komponist auch nachträglich in die Karten schauen, wenn eine der seltenen direkten und ungefilterten Äußerungen zu einem seiner Werke Einblicke gewährt. In einem erst vor wenigen Jahren veröffentlichten Brief an seinen Freund Isaak Glikman schreibt Schostakowitsch nach der Komposition: „... ich [habe] ein niemandem nützendes und ideologisch verwerfliches Quartett geschrieben. Ich dachte darüber nach, dass, sollte ich irgendwann einmal sterben, kaum jemand ein Werk schreiben wird, das meinem Andenken gewidmet ist. Deshalb habe ich beschlossen, selbst etwas Derartiges zu schreiben. Man könnte auf seinen Einband auch schreiben: ‚Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts’. …“ Schostakowitschs späte Werke handeln zwar beinahe in toto vom Tod und der Vergänglichkeit, aber hier plante er nichts anderes als eine Art Requiem, einen Totengesang auf sich selbst. Später im Brief fährt er fort: „Grundlegendes Thema des Quartetts sind die Noten D. Es. C. H, d. h. meine Initialen. Im Quartett sind Themen aus meinen Kompositionen und das Revolutionslied Gequält von schwerer Gefangenschaft verwandt. Folgende meiner Themen: aus der 1. Symphonie, der 8. Symphonie, aus dem [2. Klavier-]Trio, dem [1.] Cellokonzert, aus der [Oper] Lady Macbeth. Andeutungsweise sind Wagner (Trauermarsch aus der Götterdämmerung) und Tschaikowsky (2. Thema des 1. Satzes der 6. Symphonie) verwandt. Ach ja: Ich habe noch meine 10. Symphonie vergessen. Ein netter Mischmasch. Dieses Quartett ist von einer derartigen Pseudotragik, dass ich beim Komponieren so viele Tränen vergossen habe, wie man Wasser lässt nach einem halben Dutzend Bieren. Zu Hause angekommen, habe ich es zweimal versucht zu spielen, und wieder kamen mir die Tränen. Aber diesmal schon nicht mehr nur wegen seiner Pseudotragik, sondern auch wegen meines Erstaunens über die wunderbare Geschlossenheit seiner Form.“ Auch wenn sich Schostakowitsch hier in Distanzierung und Ironie flüchtet, merkt man dennoch, wie viel ihm dieses Werk bedeutete – und wie viel Persönliches er hineinlegte, wie viele Schlüsselwerke aus seinem trotz aller Ehrungen immer fragilen Komponistenleben zitiert werden. 3 Das Initial-Thema D. Sch. liegt allen Sätzen zugrunde, vom einleitenden langsamen Fugato am Beginn bis zu dessen Wiederkehr beim ebenso langsamen Verklingen des letzten Satzes. So entsteht eine fünfteilige Bogenform – obwohl man das Werk auch ganz klassisch viersätzig verstehen kann, der erste Satz wäre dann die langsame Einleitung zum Hauptsatz Allegro molto. Es folgte das Allegretto-Scherzo und auf den langsamen dritten Satz ein ebenso langsamer düsterer Finalsatz. Die Parallelen zu einem anderen persönlichen Totengesang, Tschaikowskys 6. Sinfonie, sind unverkennbar. In der wilden Jagd des zweiten Satzes Allegro molto hörten die oberflächlichen Parteifunktionäre das faschistische Regime mitsamt Verfolgung und Gewalt heraus, doch für Schostakowitsch unterschieden sich die stalinistischen Verfolgungsorgien davon keinen Deut. Neben der Hatz auf Intellektuelle beschäftigte ihn dabei besonders der Furor Stalins gegen die Juden, auskomponiert im Zitat des jüdischen Klagegesangs aus dem Zweiten Klaviertrio. Im grotesken 3. Satz Allegretto, einem sarkastisch-banalen Scherzo, verkomponiert Schostakowitsch auf grotesk verzerrte Weise das, was man von ihm erwartete: Der emsig komponierende staatstreue Schöpfer. Dass er dazu in dieser Zeit, in der man ihn frisch gezwungen hatte, endlich in die KPdSU einzutreten, überhaupt nicht in der Lage war oder sein wollte, zeigt gleich anschließend der vierte Satz, der in das revolutionäre Klagelied Gequält von schwerer Gefangenschaft mündet – der hier von der Verfolgung gequälte ist niemand anderes als Schostakowitsch selbst. Dass es aus dieser Gefangenschaft kein Entrinnen gibt, zeigt der in der Düsternis des Beginns stehende letzte Satz, der ohne Hoffnung erstirbt und ein 4 letztes Mal das Thema D-Es-C-H anklingen lässt. Rudolf Barschai folgte Schostakowitschs Quartettvorlage bis ins Detail. Das volle Streichorchester mit seinen zusätzlichen Kontrabässen verleiht der Bearbeitung einen satteren, sinfonischen Klangeindruck. Gleichzeitig differenzierte Barschai den Klang des ursprünglichen Streichquartetts: Die Stimmgruppen des Streichorchesters sind mitunter in sich geteilt und ermöglichen so subtilere Klangschattierungen. Was das Quartett an herber Sprödigkeit verliert, gewinnt es also an größerer Bandbreite – beide Versionen bringen uns Schostakowitschs vielleicht persönlichstes Werk nahe. Barschai gebührt das Verdienst, durch die Bearbeitung entscheidend zu seiner Popularität beigetragen zu haben. Prokofjew: Zweites Violinkonzert (1935) War das Erste Violinkonzert 1917 noch unter größten Mühen und schwierigen Umständen ganz zu Beginn seiner Komponistenlaufbahn entstanden und durch Revolutionswirren und Emigration beinahe unaufgeführt geblieben, so entstand sein Nachfolger 18 Jahre später weitaus problemloser. Nicht erst durch das direkt davor entstandene Ballett Romeo und Julia war Prokofjew inzwischen ein angesehener und arrivierter Tonschöpfer, der sein eigenes unverwechselbares Idiom gefunden hatte. Seine Stellung als weltweit angesehener Komponist entspannte auch die Beziehung zu seinem Heimatland, sodass er in die Sowjetunion zurückkehrte. Ohne seinen Personalstil komplett zu verändern, hatte dies dennoch Einfluss auf seine Art zu komponieren. Melodische Aspekte Rudolf Barshai & Dmitri Schostakowitsch 5 wurden ihm wichtiger, vor allem erfolgte unter der Prämisse der „Neuen Sachlichkeit“ ein Rückgriff auf klassische Formstrukturen und melodische Entwicklungen. „Wir möchten einen einfacheren und melodischeren Stil für die Musik, einen einfacheren, weniger komplexen Gefühlszustand, und wir möchten die Dissonanz wieder als eines von mehreren, gleichberechtigten musikalischen Parametern an dem ihr zustehenden Platz sehen“, schrieb Prokofjew in den 1930er Jahren. In einem anderen Artikel formulierte er: „Vor allem sollte sie [die Musik] melodisch sein, melodisch auf eine schlichte und verständliche Weise, ohne sich aber zu wiederholen oder trivial zu sein. […] Das gleiche gilt für die Technik, die Form – auch sie muss klar und einfach, keinesfalls jedoch stereotyp sein. Es geht hier nicht um die alte, sondern um eine neue Einfachheit. Diese kann ein Komponist nur dann erzielen, wenn es ihm gelungen ist, ernsthafte, bedeutende Musik zu komponieren, und er damit auch die technischen Fähigkeiten errungen hat, sich selbst in einfachen und doch originalen Worten auszudrücken.“ Zur „Neuen Einfachheit“ ist also nur ein Meister in der Lage, dem alle Erfahrungen zur Verfügung stehen und dem es gelungen ist, die Komplexität abzulegen. Damit einhergehend ist jedoch auch ein Verlust an Individualität zugunsten der Objektivität sowie die Überwindung von psychologischem Subtext. Hier wurde und wird immer noch diskutiert, ob Prokofjew dabei eigenen Vorstellungen gefolgt ist oder sich den Anforderungen der sowjetischen Kulturbürokratie unterordnete – wir werden es wohl nie genau erfahren, denn ähnlich wie Schostakowitsch legte auch er sich eine zweite Haut, einen doppelten Boden zu. Anlass zur Komposition des Zweiten Violinkonzerts war eine ausgedehnte Konzertrei6 se Prokofjews mit dem französischen Geiger Robert Soëtens. Dieser hatte bereits die Sonate für zwei Violinen aus der Taufe gehoben – gemeinsam mit dem Geiger Samuel Dushkin, für den Strawinsky sein Violinkonzert schrieb. So beschloss Prokofjew, für Soëtens das gleiche zu tun. Die Entstehungsgeschichte des Zweiten Violinkonzerts liest sich wie ein Tourneebericht: „Die Anzahl der Städte, in denen das Konzert entstand, ist ein Spiegelbild meines Nomadendaseins auf dieser Tournee. Das Hauptthema des Kopfsatzes wurde in Paris geschrieben, das erste Thema des Mittelsatzes in Woronesh, die Orchestrierung vollendete ich in Baku, und zum ersten Mal gespielt wurde es im Dezember 1935 in Madrid. Damit ist eine interessante Konzertreise in Gesellschaft von Soetens durch Spanien, Portugal, Marokko, Algier und Tunis verknüpft.“ Die Uraufführung erfolgte durch den Widmungsträger, und Robert Soëtens hatte für ein Jahr das alleinige Aufführungsrecht. Danach nahmen bedeutende Geiger wie Jascha Heifetz und David Oistrach es schnell in ihr Repertoire auf. Das Konzert ist klassisch dreisätzig aufgebaut. Das elegische Hauptthema zu Beginn wird von der Solovioline gleich zu Beginn ganz ohne Orchesterbegleitung eingeführt. Und bereits hier hören wir die „Neue Einfachheit“: Die gesamte Phrase steht in g, darauf folgen acht Takte in h, sechs wieder in g und vier in cis. Also keine Modulationen in entfernte Regionen, keine überraschenden harmonischen Wendungen, vielmehr klare melodische Kantabilität. Im lang ausgesponnenen zweiten Satz voller blühender Lyrismen besteht die Hauptaufgabe des Solisten darin, die melodischen Linien des Tutti zu umspielen. Dies geht natürlich nicht ohne einige typische grotesk-satirische Einwürfe, die uns auch im Finalsatz wieder begegnen. Sergej Prokofjew 7 Hier übernimmt ein pochender Rhythmus die Federführung, darüber ein markant-tänzerisches Thema der Violine. Die kunstvoll polyphone, aber dennoch klare Verarbeitung dieses thematischen Materials steht vielleicht am sinnfälligsten für die vom Komponisten gewünschte „Einfachheit“, die man hier ob der großen Kunstfertigkeit und Virtuosität besser mit „Sachlichkeit“ umschreiben sollte. Besondere klangliche Würze erhält besonders diese Satz durch die außergewöhnliche Orchestrierung im Schlagzeug: Statt Pauken spielt nur die große Trommel mit einem Schlagzeugensemble aus kleiner Trommel, Triangel, Becken und Kastagnetten – eine Reverenz an den Uraufführungsort Madrid? Beethoven: Sechste Sinfonie „Pastorale“ (1808) Man mag es kaum glauben, dass diese beiden Sinfonien ein Paar bilden, gemeinsam in einem Akademiekonzert 1808 uraufgeführt: Die schicksalsträchtige Fünfte und die heute zu hörende Sechste verbindet dennoch mehr, als auf den ersten Blick vermutet. Man kann sie als zwar gegensätzliche, aber dennoch inhaltlich verbundene Schwestern betrachten. Sie eint die Suche nach der Identität, nach einer Utopie – die der politischen Freiheit bzw. die der Einheit zwischen Mensch und Natur. Beide sind Finalsinfonien und als solche Entwicklungsgeschichten mit einem utopischen Abschluss als Antwort. Zunächst einmal stellt sich Beethoven mit einer Pastoralsinfonie in eine Tradition, die sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt. Die Kunstform der Pastorale (Hirtenstück oder Schäferspiel) zog über die Poesie in die Musik des 17. und 18. Jahrhun8 derts ein als deskriptive Musik mit Naturschilderungen, Vogelstimmen-Imitation, Sturmmalereien, wie z. B. in Dittersdorfs Sinfonien nach Ovid, wo gar die Frösche quaken. Doch bereits hier gilt es, Einhalt zu gebieten, denn dies war es genau nicht, was Beethoven intendierte. Zwar benannte er seine Sechste, nachdem über den Skizzen noch „Sinfonia caracteristica“ gestanden hatte, als „Pastoral-Sinfonie“, weiter jedoch „oder Erinnerung an das Landleben“ und über die Stimme der 1. Violine „Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey“. Nimmt man dazu noch weitere Bemerkungen aus den Skizzen wie „Jede Mahlerey, nachdem sie in der Instrumentalmusik zu weit getrieben, verliehrt“, so wird deutlich, dass Beethoven kein musikalisches Abbild der Natur im Sinne einer Programmmusik geben wollte, sondern seine seelischen Empfindungen beim Erleben der Natur. „Erinnerung“ meint somit auch nicht das entfernt Vergangene, sondern die tatsächliche Reflexion, die Erinnerung als „inneren“ Vorgang. Diese Distanz oder Überhöhung wirkte auf manchen Zeitgenossen befremdlich, wie auf den Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung: „Doch wurde es dem nichteingeweihten Zuhörer schwer, in all diese, ihm verschlossenen Geheimnisse einzugehen. Wir haben in dem pantomimischen Tanze die oft nur willkürlich angenommenen Zeichen verstehen gelernt: die hier gebrauchte Sprache der Musik aber ist gar Vielen noch unbekannt, worüber sich Niemand eben wundern wird, da von ihrer Seite noch so wenig gethan worden, um sich dem gemeinen Verstande zu erklären.“ Waren die Zeitgenossen „noch nicht so weit“, so sind wir heutigen Hörer hoffentlich noch nicht „zu erfahren“, um diese Musik noch mit unvoreingenommenen Ohren zu hören! Ludwig van Beethoven JULIAN RACHLIN VIOLINE Julian Rachlin fasziniert durch unverwechselbare Musikalität, seinen reichen und differenzierten Ton und herausragende Interpretationen als Geiger, Bratscher und seit neuestem auch als Dirigent. Zwölf Jahre lang leitete er das Festival „Julian Rachlin & Friends“ in Dubrovnik, Plattform für kreative und pulsierende Projekte mit führenden Musikern und Schauspielern. Anerkennung erfährt er durch seine Arbeit als Goodwill-Botschafter der UNICEF und wegen seines sozialen Engagements im Bildungsbereich. Jüngste Konzert-Highlights waren seine Residenz im Wiener Musikverein, wo er die Saison mit den Münchner Philharmonikern unter Semyon Bychkov eröffnete und das English Chamber Orchestra während seiner Europatour dirigierte. Daneben stehen die Europatour mit dem Leipziger Gewandhausorchester 10 unter Riccardo Chailly, Konzerte mit dem Philharmonia Orchestra unter Vladimir Ashkenazy, dem London Philharmonic und Andrey Boreyko, dem Bayerischen Staatsorchester unter Zubin Mehta bzw. Kirill Petrenko sowie dem Boston Symphony mit Alan Gilbert. Mit dem Orchestre National de France und Daniele Gatti als Artist in Residence des Orchesters folgte eine WeltTournee. Er eröffnete die Konzertsaison der Scala mit Riccardo Chailly und trat beim Lucerne Festival auf. 2012 spielte er als Widmungsträger die Uraufführung von Pendereckis Concerto doppio im Wiener Musikverein mit Janine Jansen. CD-Einspielungen erschienen für Sony Classical, Warner Classics und die Deutsche Grammophon. Er spielt eine „ex Liebig“-Stradivari von 1704, zur Verfügung gestellt von der Angelika Prokopp-Privatstiftung. JUSTIN BROWN DIRIGENT Justin Brown studierte in Cambridge und Tanglewood bei Seiji Ozawa und Leonard Bernstein und arbeitete später als Assistent bei Leonard Bernstein und Luciano Berio. Als Dirigent debütierte er mit der gefeierten britischen Erstaufführung von Bernsteins Mass. Für seine Programmgestaltung beim Alabama Symphony Orchestra, wo er fünf Spielzeiten als Chefdirigent wirkte, wurde er drei Mal mit dem ASCAP-Award ausgezeichnet. Auf Einladung des renommierten „Spring for Music Festival“ dirigierte er 2012 das Orchester in der Carnegie Hall. Brown leitete zahlreiche Uraufführungen und dirigierte wichtige Stücke bedeutender Zeitgenossen wie Elliott Carter und George Crumb. Er musizierte zudem mit namhaften Solisten wie YoYo Ma, Leon Fleisher und Joshua Bell. Zahl- reiche Gastengagements führten ihn an renommierte Opernhäuser und zu Orchestern weltweit, in Deutschland u. a. an die Bayerische Staatsoper München und zu den Dresdner Philharmonikern. Komplettiert wird sein Erfolg durch viele CD-Einspielungen, 2006 wurde er für einen Grammy nominiert. Als Generalmusikdirektor am STAATSTHEATER KARLSRUHE, der er seit 2008 ist, wird Brown vor allem für seine Dirigate von Wagners Ring sowie den Werken Berlioz, Verdis und Strauss gefeiert. Unter seiner Leitung stehen auf dem facettenreichen Konzertspielplan Werke wie Amériques von Edgar Varèse, Mahlers 5. Sinfonie oder die GurreLieder von Schönberg. Gemeinsam mit seinem Team erhielt er die Auszeichnung „Bestes Konzertprogramm 2012/13“. 11 DIE BADISCHE STAATSKAPELLE Als sechstältestes Orchester der Welt kann die BADISCHE STAATSKAPELLE auf eine überaus reiche und gleichzeitig gegenwärtige Tradition zurückblicken. 1662 als Hofkapelle des damals noch in Durlach residierenden badischen Fürstenhofes gegründet, entwickelte sich aus dieser Keimzelle ein Klangkörper mit großer nationaler und internationaler Ausstrahlung. Berühmte Hofkapellmeister wie Franz Danzi, Hermann Levi, Otto Dessoff und Felix Mottl leiteten zahlreiche Ur- und Erstaufführungen, z. B. von Hector Berlioz, Johannes Brahms und Béla Bartók, und machten Karlsruhe zu einem der Zentren des Musiklebens. Neben Brahms standen Richard Wagner und Richard Strauss gleich mehrfach am Pult der Hofkapelle; Niccolò Paganini, Clara Schumann und viele andere herausragende Solisten waren gern gehörte Gäste. Hermann Levi führte 1856 die regelmäßigen Abonnementkonzerte ein, die bis heute als Sinfoniekonzerte der BADISCHEN STAATSKAPELLE weiterleben. Allen Rückschlägen durch Kriege und Finanznöten zum Trotz konnte die Tradition des Orchesters bewahrt werden. Generalmusikdirektoren wie Joseph 12 Keilberth, Christof Prick, Günther Neuhold und Kazushi Ono führten das Orchester in die Neuzeit, ohne die Säulen des Repertoires zu vernachlässigen. Regelmäßig fanden sich zeitgenössische Werke auf dem Programm; Komponisten wie Werner Egk, Wolfgang Fortner oder Michael Tippett standen sogar selbst vor dem Orchester, um ihre Werke aufzuführen. Die große Flexibilität der BADISCHEN STAATSKAPELLE zeigt sich auch heute noch in der kompletten Spannweite zwischen Repertoirepflege und der Präsentation zukunftsweisender Zeitgenossen, exemplarisch hierfür der Name Wolfgang Rihm. Der seit 2008 amtierende Generalmusikdirektor Justin Brown steht ganz besonders für die Pflege der Werke Wagners, Berlioz’, Verdis und Strauss’ sowie für einen abwechslungsreichen Konzertspielplan, der vom Deutschen Musikverleger-Verband als „Bestes Konzertprogramm 2012/13“ ausgezeichnet wurde. Auch nach dem 350-jährigen Jubiläum 2012 präsentiert sich die BADISCHE STAATSKAPELLE – auf der reichen Aufführungstradition aufbauend – als lebendiges und leistungsfähiges Ensemble. BESETZUNG 1. Violine Janos Ecseghy Axel Haase Gustavo Vergara Rosemarie Simmendinger-Kàtai Susanne Ingwersen Thomas Schröckert Werner Mayerle Herbert Pfau-von Kügelgen Ayu Ideue Juliane Anefeld Judith Sauer Eva Unterweger* 2. Violine Annelie Groth Shin Hamaguchi Km. Toni Reichl Km. Uwe Warné Christoph Wiebelitz Dominik Schneider Birgit Laub Steffen Hamm Eva-Maria Vischi Fiona Doig Viola Michael Fenton Christoph Klein Ortrun Riecke-Wieck Kyoko Kudo Sibylle Langmaack Akiko Sato Nicholas Clifford Anna-Maria Dragun Violoncello Fabien Genthialon Km. Norbert Ginthör Alisa Bock Hanna Gieron Johannes Vornhusen Emily Härtel* Kontrabass Km. Joachim Fleck Peter Cerny Xiaoyin Feng Karl Walter Jackl Junsu Chun* Flöte Thomas von Lüdinghausen* Horatiu Petrut Roman Carina Mißlinger Horn Dominik Zinsstag Peter Bühl Trompete Jens Böcherer Km. Peter Heckle Posaune Sandor Szabo Angelika Frei Pauke & Schlagzeug Helge Daferner David Panzer Km. Rainer Engelhardt Oboe Stephan Rutz Nobuhisa Arai Klarinette Daniel Bollinger Martin Nitschmann Fagott Lydia Pantzier Ulrike Bertram * Gast der STAATSKAPELLE Km.: Kammermusiker/in 13 14 15 BILDNACHWEISE UMSCHLAG S. 5 S. 7 S. 9 S. 10 S. 11 S. 14, 15 Julia Wesely Internationale Schostakowitsch-Tage Gohrisch Unbekannter Fotograf Porträt von Ferdinand Schimon Janine Guldener Felix Grünschloss Falk von Traubenberg IMPRESSUM HERAUSGEBER STAATSTHEATER KARLSRUHE GENERALINTENDANT Peter Spuhler KAUFMÄNNISCHER DIREKTOR Johannes Graf-Hauber VERWALTUNGSDIREKTOR Michael Obermeier TEXTNACHWEISE S. 2 – 8 Originalbeitrag von Axel Schlicksupp Sollten wir Rechteinhaber übersehen haben, bitten wir um Nachricht. GENERALMUSIKDIREKTOR Justin Brown ORCHESTERDIREKTOR & KONZERTDRAMATURG Axel Schlicksupp REDAKTION Axel Schlicksupp KONZEPT DOUBLE STANDARDS Berlin STAATSTHEATER KARLSRUHE Saison 2016/17 Programmheft Nr. 337 www.staatstheater.karlsruhe.de GESTALTUNG Kristina Schwarz DRUCK medialogik GmbH, Karlsruhe UNSERE KONZERTE – AM BESTEN IM ABO! AB 11,00 BZW. 5,50 EURO PRO KONZERT Jederzeit einsteigen – unser Abonnementbüro berät Sie gerne! 16 ABONNEMENTBÜRO T 0721 3557 323 F 0721 3557 346 [email protected] DIE NÄCHSTEN KONZERTE 1. KLEINKINDERKONZERT – EINE BALLONFAHRT 3+ Es geht hoch hinaus! Und wir sind schon ganz gespannt, wohin unsere Reise mit dem Ballon führen wird: in weit entfernte Länder oder nur knapp bis über die Grenze? Auf jeden Fall gibt es viel Musik zum Hören, Tanzen und Mitspielen. Rahel Zinsstag Konzept & Moderation Mitglieder der BADISCHEN STAATSKAPELLE 2.10. 9.30 & 11.00 INSEL 3.10. 11.00 & 15.00 INSEL 1. KAMMERKONZERT Sergej Rachmaninow Trio élégiaque Nr. 1 g-Moll Dmitri Schostakowitsch Sieben Romanzen nach Gedichten von Alexander Blok op. 127 Robert Schumann Klaviertrio Nr. 3 g-Moll op. 110 Hoch expressiv, wild-romantisch und typisch melancholisch begegnet uns Rachmaninow in seinem 1. Klaviertrio. Die Besetzung ergänzt Schostakowitsch in seinem ausdrucksstarken Romanzen-Trio um Gesang mit symbolistischen Texten über Liebe, Trauer, Angst und Tod. Zu Schumanns 3. Klaviertrio bemerkte Ehefrau Clara: „Es ist originell, durch und durch voller Leidenschaft, besonders das Scherzo, das einen bis in die wildesten Tiefen mit fortreißt.“ Ks. Barbara Dobrzanska Sopran Katrin Adelmann Violine Thomas Gieron Violoncello Angela Yoffe Klavier 9.10. 11.00 KLEINES HAUS Mit Vor-Wort und anschl. Sonntagsbrunch 2. SINFONIEKONZERT Max Reger Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin op. 128 Franz Liszt Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur Béla Bartók Konzert für Orchester Für Publikum und Kritik war der „nur“ mit dem 4. Preis bedachte Lucas Debargue der wahre Sieger des Tschaikowski-Wettbewerbs 2015, der Autodidakt trat dort zum ersten Mal mit Orchester auf. Nun zeigt er seine unglaubliche Musikalität in Liszts farbig instrumentiertem 2. Klavierkonzert. Als Schlusswerk suchte sich Constantin Trinks, international erfolgreiche ehemalige Karlsruher Kapellmeister, Bartóks effektvolles und mitreißendes Konzert für Orchester aus. Lucas Debargue Klavier Constantin Trinks Dirigent BADISCHE STAATSKAPELLE 30.10. 11.00 & 31.10. 20.00 GROSSES HAUS 1. NACHTKLÄNGE – EL CIMARRÓN Zum Eindrücklichsten Henzes gehört dieses Rezital. Die durch einen Bariton verkörperte Titelfigur wird durch Gitarre, Flöte und Schlagzeug begleitet. El Cimarrón ist unmittelbar ansprechendes und höchst expressives Musiktheater, es packt den Zuhörer sofort. Der Komponist durchschreitet musikalisch kongenial die komplette Gefühlswelt zwischen Unterdrückung und Befreiung, Verfolgung und Liebe, plakativer Anklage und höchster Verinnerlichung. Gabriel Urrutia Benet Bariton Ulrich Wagner Dirigent & Moderator Mitglieder der BADISCHE STAATSKAPELLE 6.11. 21.00 INSEL