PHYSIKALISCHE BEMERKUNGEN ZUR TEKTONIK DER ERDBAUMASSEN AUSZUG AUS EINEM IM NORSK GEOLOGISK FORENING IN KRISTIANIA AM 12. MÄRZ 1923 GEHALTENEN VORTRAGE. (11\IT 3 FIGUREN 111\ TEXT). VON F. R I N N E, Leipzig. eine Herren! Ihrer freundlichen Aufforderung, bei Gelegen­ heit meiner skandinavischen Reise einen Vortrag in der Norwegischen geologischen Gesellschaft zu halten, komme ich mit besonderer Freude nach. Es soll sich dabei handeln um einige physikalische Bemerkungen über die Tektonik der Erd­ baumassen unter Heranziehung der Ergebnisse von mir ange­ stellter Versuche und unter Verwendung von Beispielen aus der deutschen Gesteinswelt Dadurch ist mir willkommene Gelegenheit gegeben, in diesen fachmännischen Kreise gewisser­ maßen mein geologisch-petrographisches Glaubensbekenntnis über die Grundzüge der Erdtektonik abzulegen. M 1. Für die physikalische Gliederung der Erdbaumassen bietet sich der Aggregatzustand der Materialien dar. Eine demgemäße Einteilung in Gasiges, Flüssiges und (in gewöhnlichem Sinne) Festes findet ihre geologische Verkörperung wie allbekannt in der Atmosphäre, Hydrosphäre und Lithosphäre, sowie in der die letztere unterlagernden und sie örtlich durchdringenden Magmenzone. Der Tiefenkörper der Erde kommt bei tekto­ nischen Ereignissen nicht in Betracht; als Objekt solcher Geschehnisse handelt es sich lediglich um die aus Luft, Wasser, Gestein und Schmelzfluß bestehende Haut der Erde. Sie ist in einer Stärke von etwa 120 km. anzunehmen, entsprechend der errechneten Tiefenlagerung der Ausgleichfläche. Das beherrschende Moment für das Gleichgewicht dieser peripheren Bauzone der Erde ist deren gewaltiges, zentripetal 144 wirkendes Schwerefeld. Dem entspricht die allgemeine Kugel­ form der Erde. Modifizierend wirkt hierauf die zentrifugale Kraft der Erdrotation. Es herrschen hier also nicht rein isosta­ tische, sondern isodynamastatische Gleichgewichtsverhältnisse; sie erhalten ihren Ausdruck in der rotationsellipsoidischen Erdgestalt in Form einer radial 22 km. betragenden, die Gebirgs­ höhen mithin wesentlich übersteigenden äquatorialen Auswöl­ bung. Als tektonischer Effekt der Stellung der Erde im Sonnen­ system tritt eine tägliche, pulsierende Dislokation insbesondere der Hydrosphäre in Form von Ebbe und Flut hinzu. 2. Der Entwicklungsgang der Erde bringt wie in früheren Zeiten auch jetzt noch Störungen des Gleichgewichts mit sich. Bei Anerkennung des KANT- LAPLACE'schen Grundzuges der sterngeschichtlichen Entwicklung unseres Planeten ist seine Kon­ traktion zu folge einer durch manche LI mstände verzögerten Abkühlung der tieferen Erdschale eine physikalisch naturge­ mäße Annahme. In dieser Zusammenziehung erscheint auch mir ein ursächliches Hauptmoment der Dislokationen in der äußer­ sten festen Erdzone zu liegen; sie selber ist seit langen geolo­ gischen Perioden thermisch kompensiert (derart, daß seit dem Cambrium die Streuungsweite der Temperaturschwankungen auf der Lithosphäre das geringe Wärmeintervall, das die Exi­ stenz von Organismen und Wasser verlangt, nicht übertraf ) . Die äußere Lithosphäre erfuhr also seit jenen alten geolo­ gischen Zeiten keine endogene Kontraktion, aber als schwer auf den tieferen sich zusammenziehenden Massen ruhende Zone mußte sie zufolge dieses Auflastens beim Nachgeben an das zentripetale Moment Dislokationen erfahren. Zu diesen Störungsumständen im Gefolge der Kontraktion tritt die Mannig­ faltigkeit der Veränderungen in der Verteilung von Erdbau­ massen, die in dem großen Akte der Verfrachtung fester, flüs­ siger auch gasiger Stoffe als Abtragung von Hochgebieten, Entstehen und Vergehen von Inlandeis, Verlegung magma­ tischer und hydrosphärischer Massen und anderes mehr sich vollziehen. Kontraktionstheorie und Isodynamostasielehre sind nach meinem Dafürhalten physiologisch ineinander wirkend zu verknüpfen. PHYS. BEMERK. Z. TEKTONIK D. ERDBAUMASSEN 145 3. Als Grunderscheinungen der mechanischen Effekte bieten sich Bruchtektonik, Faltungen, Deckenschübe und Strömungen dar. Sei zu letzteren vermerkt, daß es sich um eine Verlage­ rung des Materials als Ganzes und in Teilen handelt, die bis zu molekularer Masse herabgehen können. Solche Disloka­ tionen sind wie allbekannt typisch für gasige, glut- und kalt­ flüssige Massen. Man kann die Erscheinung physikalisch aber nur als das eine Extrem einer durch Übergänge innerlich ver­ knüpften Erscheinungsreihe vom geologischen Bruch bis zur Iep­ tonischen Verschiebung ansehen. 1 Auch bei fe­ sten Stoffen sind Strö­ mungen bei Translations­ möglichkeiten und auch durch allgemeine innere Verschiebung nicht aus­ geschlossen. Versuche sind zum Ü berblick dieser Erscheinungsreihe vom Fig. 1. Holzkugel gepreßt, mit regelmäßigen Bruch bis zur feinbauRissen. Iichen Bewegung von Interesse. Sei in der Hinsicht zunächst auf die MoHR'schen Linien als den Ausdruck für regelmäßig zweischarig- rhythmi­ sche Rißlokalisierung hingewiesen. Für die Betrachtung des Erdganzen haben Experimente an Kugeln Bedeutung. Ich stellte sie an solchen aus Holz an. Sie lassen bei "N-S­ Druck" die Regelmäßigkeit einer Bruchbildung im SO-NW, NO-SW und N-S- Verlauf der Risse gut erkennen. (Fig. 1.) Unter den Bedingungen allseitigen Eingeschlossenseins eines mechanisch beanspruchten Probekörpers erwies sich der Kalkspat als ein interessanter Stoff der in Rede stehenden t Es ist dabei auch zu bedenken, daß die Wahrnehmung von Diskon­ tinuitäten von der Beobachtungsart abhängt. unter Risse mit Dimensionen der halben Wellenlänge des Lichts können auch im Mikroskop nicht mehr erkannt werden. F. RINNE 146 Reihe1• Klare Spaltstücke des Materials werden beim Versuch undurchsichtig weiß, zum Zeichen, daß sie von feinen Dis­ kontinuitäten durchzogen sind; im übrigen erscheinen sie in eigenartigster Weise mehr oder minder zusammenhängend de­ formiert. Ebenso verhält sich unter den Salzmineralien der Carnallit2. Bei beiden Stoffen ist es bedeutsam zur Erläuterung der an ihnen zu beobachtenden halbplastischen Erscheinungen, daß sie sich durch Zwillingsgleitung auszeichnen. Eine höhere, dem Ieptonischen Fluß noch näher kom­ mende Stufe nimmt das durch sechsfähige Translationsmög­ lichkeit gekennzeichnete Steinsalz ein 3. Es bleibt bei Deforma­ tionen oben geschilderter Art beachtenswerterweise klar durch­ sichtig und läßt sich unter den erwähnten Umständen aus der Würfelform heraus scheibenförnig deformieren, bruchlos wirr hin und herfalten und förmlich kneten; insbesondere wenn, wie Milch zeigte, eine gelinde Temperaturerhöhung zu Hilfe kommt4. Von mir studierte röntgenographische Lauediagramme5 von satteiförmig gebogenen Steinsalzplatten ergaben in polychro­ matischer Strahlung Photogramme nach Art der E. SCH!EBOLD'I F. RINNE, Beitrag zur Kenntnisse der Umformung von Kalkspatkrystal­ len und von Marmor unter allseitigem Druck, N. Jahrb. f. Min. 1903, I, 160. S. auch F. RINNE, Gesteinskunde 8/9. Auf!. 1923. S. 30. 2 F. RINNE, Über die Umformung von Carnallit unter allseitigem Druck. 3 F. RINNE. Plastische Umformung von Steinsalz und Sylvin. N. Jahrb. f. v. Koenen-Festschrit't 1907. S. 369. Min. 1904, I, S. 114. S. 28. S. auch F. RINNE, Gesteinskunde 8'9. Auf!. 1923, F. RINNE, Natürliche Translationen an Steinsalzkristallen. Z. f. Kristallogr. Bd. 50, S. 259, 1912. 4 L. MILCH, Zunahme der Plastizität von Kristallen durch Erhöhung der Temperatur. N. Jahrb. f. Min. 1909, I. S. 60. Die Kunst des Schmiedens zum Glühen erhitzter Eisenstücke beruht auf der entsprechenden Temperaturerhöhung. Begünstigung des Gleitvermögens durch die Wie ja auch bei Flüssigkeiten die Herabsetzung der inneren Reibung durch Wärmesteigerung eine große Rolle spielt. Die Beobachtung des Ausfließens von heißem Wasser einerseits und kaltem Wasser anderseits aus zwei gleichen Trichtern und die Fest­ stellung der wesentlich kürzeren hierbei verbrauchten Zeit bei heißem Wasser zeigt das auf lehrhafte Art. 5 F. RINNE, Beiträge zur Kenntniss der Kristall-Röntgenogramme. Sächs. Ces. d. Wissensch. Leipzig, Bd. 67, S. 303, 1915. Ber. PHYS. BEMERK. Z. TEKTONIK D. ERDBAUMASSEN 147 sehen Drehspektren, zum Zeichen, daß unter den Umständen des Experiments keine Diskontinuität im Feinbau erkennbar ist. Es lassen sich also am Steinsalz (auch am Sylvin) die Erscheinungen eines Strömens fester Körper erkennen. Bei einer schicklichen Abänderung der Versuchsbedingungen kann man den Effekt umwandeln in ein Abfließen unter Ausströmen durch einen Kanal: eine Steinsalzplatte die unten und seitlich von einem Eisenbehälter fest umschlossen ist und mittels einer durchbohrten Druckplatte von oben gepreßt wird, zeigt das sehr gut. Das Salz strömt unter Dickenverminderung durch die Bohrung ab, wobei im Experiment naturgemäß Brucher­ scheinungen wieder auftreten können. 1 Von Interesse sind auch Erscheinungen des Verschweis­ von Steinsalz- oder Sylv.inbruchstücken, die man locker auf der unteren wagerechten Backe einer Presse anhäuft und von oben zusammendrückt. Die Salze für sich oder auch ein Gemenge beider fügen sich dabei zu leidlich festen Platten zu­ sammen 2, ja es lassen sich lockere Salzgemenge durch kräftigen Druck in einer Hülse zu außerordentlich kompakten Zylin­ dern pressen. Durch röntgenographische Untersuchungen ist es im übrigen festgestellt, daß sich solche mechanischen Gemische durch Verreiben gewissermaßen feinbaulich verzahnen, d. h. in Form isomorpher Mischungen ineinander wandern. sens 4. Neben den Versuchsergebnissen haben geologische Beobach­ für die vorliegenden Erwägungen eine besonders hohe Bedeutsamkeit, wobei eine Tektonik der Atmosphäre die der Lithosphäre zu ergänzen vermag. Geophysiker wie DovE, MAR­ GULES, BJERKNES (Vater und Sohn) haben uns die Beobachtung und Deutung in diesem Falle abgenommen; sie arbeiteten ein Schema des Atmosphärenbaues und seiner Dislokationen aus, tungen I F. RINNE, Die geothermischen Metamorphosen und die Dislokationen der deutschen Kalisalzlagerstätten. Fortschr. d. Mineral. Bd. 6, S. 101, 1920. 2 S. auch F. RINNE, Gesteinskunde, 8/9. Auf!. 1923. S. 293. F. RINNE, Entstehung der kieseritischen Sylvinhalite. N. Jahrb. f. Min. 19 16, I, S. I. 148 F. RINNE das mit seinen Unter- und Überschiebungen, Faltungen, geraden und wirbeligen Strömungslinien einen durchaus geologischen Charakter besitzt. In Fig. 2 ist ein von BJERKNES gegebener Schnitt durch seine Böen- und Kurslinien zu einer perspektivischen Darstellung verarbeitet. Das Schema würde den aerotektonischen Umständen vielleicht noch mehr gerecht, wenn die Schneide des U nterschiebungskeiles wulstförmig erhöht würde und die Unter- wie Überschiebungsflächen mit weit flacherem Generalfallen ausgestattet würden 1• llnfe.rsd!!dwfl9: Ukrxhieou119: kc/tt.. nter#'brm.. lr&rm Li.ber fro/C Fig. 2. Unter- und Überschiebungen der Atmosphäre. Die Tektonik der Hydrosphäre mit ihren Ausgleichströmungen und Übereinanderhinweggleiten warmer und kalter Wassermassen unter Faltung der Grenzflächen wird voraussichtlich später einmal ein geologisches Parallelstück zum Atmosphärenbau geben. 5. Das Schwergewicht der Betrachtung über die Tektonik liegt für den Petrographen und Geologen natürlich in der Lithosphäre. Mit der Entstehung einer starren Panzerung aus dem Schmelztluß trat die Erde in den physikalischen Zustand der Möglichkeit dauernder peripherer Rißbildungen. Die mit der t Die häufigen sogenannten Wogenwolken stellen die Streichungslinien von Luftschichtensätteln dar; in ihnen haben sich die in den Antiklinalen befindlichen Wasserdämpfe zu Wolkenstreifen kondensiert. PHYS. BEMERK. Z. TEKTONIK D. ERDBAU MASSEN 149 Kristallisation verbundene Kontraktion mußte eine Veränderung der Abkühlung und Erdrotation zur Folge haben. Es entspricht das einer mechanischen Beanspruchung in Richtung der Rota­ tionsachse. Damit kam der Erdball in die Umstände des oben erwähnten an der Kugel vollzogenen Experiments. Schräg­ zonen stärkster Beanspruchung konnten zur Bruchbildung führen, wobei die aus der turbulenten Urzeit herrührenden Ungleichmäßigkeiten des Erdbaues lokalisierend wirkten. Absen­ kungen von schwereren Schalenteilen unter entsprechender Verdrängung der unterlagernden Magmenmassen, die seitlich abströmten und die Nachbarregionen hoben, riefen ein Erdrelief mit seinem Wechsel von leichteren kontinentalen Hoch- und schwereren ozeanischen Niedergebieten hervor. Zwar wird man bei der Mannigfaltigkeit späterer Sedimentbedeckung die Narben solcher alten MoHR'schen Erdlinien nicht mehr in auffälliger Bekundung erwarten können. Indes will es beim Über.blick der paläogeographischen Umstände scheinen, als ob die Bruch­ systeme früherer Zeiten im wesentlichen beibehalten wurden. Die heutigen Rißsysteme in SO-NW, NO-SW, N-S, gleichwie auch 0-W- Richtung haben wohl einen alten Sinn. Bei einer starken Verlagerung der Erddrehachse hätte der äquatoriale Wulst mitwandern und neue Bruchsysteme hätten sich bilden müssen, welche die alten tektonischen Formen durchschrägen. Das ist ersichtlich nicht in dem Maße der Fall, daß man Erdachsenpendulationen in weiten Ausmaßen annehmen könnte. Beim Überblick beispielsweise des deutschen Landes mit seinen Bruchlinien aus paläozoischer und neozoischer Zeit treten die Beanspruchungssysteme gleichgerichtet heraus. Die Großformen der Faltungen und Deckenschübe im Erdbilde werden dem physikalischen Verständnis am ehesten näher gebracht in der Vorstellung, daß es sich in ihrem Areal um tektonische Schwächefelder handelt. Ihre Faltungen entwickel­ ten sich in Bandform bei dem Andrängen starrer Schildblöcke unter Beteiligung eindringender Teile der unterlagernden Mag­ menzone. Gerade die Großartigkeit der Faltungs- und Überschie­ bungserscheinungen ist der Ausdruck besonderer tektonischer Schwäche des Schauplatzes, auf dem sie sich herausbildeten. In sich stärker struierte Erdbauteile widerstehen dem tangen- F. 150 RINNE tialen Druck weit mehr und schließlich wie bei den Schilden bis zur völligen Unnachgiebigkeit. Eine von F. KossMAT ent­ worfene Skizze 1 von Großfaltungen der Erde unter dem Ein­ fluß sich gegeneinander b:::wegender Schildmassen scheint mir die Verhältnisse glücklich zum Ausdruck zu bringen. Die phv­ sikalishe Möglichkeit für solche Faltenzüge zwischen starren Schilden liegt in der Gliederung der peripheren festen Erd­ schale in Areale, deren Massen auf plastisch verschiebbarem Tiefenmaterial ruhen. In dem Sinne erscheint eine Bewegung starrer auf der Magmenzone schwimmender Felder unter dem Einfluß der die Polflucht begünstigenden Erdrotation und der Magmenströmungen verständlich. Die geosynklinalen sediment­ erfüilten Zwischenstreifen bilden zufolge ihrer petrographischen Natur den physikalisch gegebenen Bezirk für den angestrebten Ausgleich durch Faltung. Wie bei den oben besprochenen Absenkungen und Hebungen an Brüchen wird man auch hier in großen Zügen im Allgemeinen eine Permanenz der Erschei­ nungen durch die Erdgeschichte hindurch erwarten dürfen. In der Generalgleichzügigkeit alter und junger weitziehender Fal­ tungen liegt sie in der Tat wohl vor. Natürlich verengt sich dabei der geosynklinale Schauplatz der Faltung durch das Hineinwachsen der Schildblöcke zufolge der Angliederung von gefalteten Zonen, bei symmetrischer Lage dieser kokarden­ artigen Anwachsstreifen bis zum völligen Verschwinden eines noch faltbaren Bezirks. Im Verlaufen der Faltenzüge könnten sich die Erdbruchsysteme in bogenförmig verrundeter Form MoHR'scher Systeme darstellen. Hinsichtlich der geologischen Beobachtung von Strömungen fester Massen ist es bekannt, daß sich in Kohlenflözen, Ton­ schiefern, Kalksteinen, selbst in Kieselschiefern zuweilen als Begleiterscheinungen der Faltung sehr eigenartige innere Materialverschiebungen einstellen, welche ein Anschwellen der Mächtigkeit an den Umbiegungsstellen und eine Verjüngung der Faltenschenkel zuweilen auf ein Nullmaß mit sich brint F. KossMAT, Die mediterranen Kettengebirge. Wissensch. Bd. 38, 1!, S. 3, 1920. Abh. Sächs. Akad. d .. PHYS. BEMERK. Z. TEKTONIK D. ERDBAUMASSEN 15 1 gen. Bei Salzen stellt sich das in extremer Art ein. So ist nach H. STILLE im Schacht Riedel der Lüneburger Heide eine normalerweise 70 m. mächtige Schichtenfolge auf 2 m. ausge­ walzt, interessanterweise unter Erhaltung aller Horizonte mit Ausnahme des spröden Anhydrits, der zerbrochen wurde. Auf eine eigenartige Begleiterscheinung machte E. S EIDL 1 aufmerksam; er fand z. B. am. Schönehecker Vorkommen, daß an die Umbiegungsstellen besonders das Salz hingequetscht wurde, der Anhydritgemengteil der Salzmasse an den Flanken der Falten zurückblieb, ein Vorgang, der förmlich an das fließende Ausquetschen von Wasser aus einem nassen Schwamm erinnert. Im übrigen macht sich ein Salzströmen in physika­ lisch außerordentlich interessanter Weise in den sog. Ekzemen geltend. Wie es auch sonst bei plastischen Stoffen, etwa Erd­ wachs, Ton, Eis oder Wasser geschieht, setzte der Hangend­ druck, wie insbesondere HARBORT betonte, das Salz des Zech­ steins in Ausweichungsbewegung und zwar in aufsteigender Richtung unter beständigem Nachfluß von den Seiten her. Offenbar spielt dabei das geringe spezifische Gewicht des Sal­ zes im Vergleich zu seinen Nachbargesteinen eine Rolle worauf bereits L ACHMANN und ARRHENIUS hinwiesen. In dem beweg­ lichen Gesteinsverbande haben die gewichtigen Massen das Bestreben einzusinken, die leichten die Tendenz, als Schwim­ mer aufzusteigen. Der Hangenddruck bringt das plastische Salz, sofern eine Ausweichungsmöglichkeit vorliegt, zu innerem Hin­ strömen nach der Abflußstelle der Lagerstätte. Es steigt hier injektionsmäßig empor. Demzufolge wandern Salzmassen im festen Zustande aus ihrem Ablagerungsgebiete aus, um in tek­ tonisch widerstandsarmen Zonen gelegentlich tausende von Metern emporzudringen. Sie stehen nun gangförmig, sei es in Form vertikaler Stielgänge, sei es als Plattengänge zwischen den Nebengesteinen an. Das Hangende des sich nach und nach entleerenden Salzabflußgebietes wird mehr oder minder tekto­ nisch unversehrt nachsacken oder, und zwar insbesondere an den Flanken des Ekzems, staffelförmig disloziert, z. T. wird es t E. SEIDL, Salzlagerstätte im Graf Moltke stättenforschung d. Preuß. Landesanstalt Schacht. Archiv f. Lager­ Heft 10, 19 14. F. RINNE 152 hier als Breccie von aufsteigendem Salze mitgenommen. Die Verteilung der Injektionshorste ist zuweilen entsprechend der Bruchtektonik des Hangenden reihenförmig. Das petrogra­ phische Gefüge dieser Salzinjektionen mit ihrem an Fluidal. texturen der Eruptive oder an Strömungsbilder trüber Flüssig­ keiten erinnernden Schlingwerk von wirren Faltungen, Wirbeln, Abschnürungen, Stauchungen und inneren Abschiebungen der Massen von einander entspricht ganz der ausgesprochenen Pla­ stizität ihres Hauptmaterials, des Steinsalzes. Besonders in Rundhorsten sind die schlierigen Dislokationen oft sehr wirre bei plattenförmigen Salzrücken nähert sich die Tektonik, wie zu erwarten, gelegentlich der von Faltenzügen. 6. Wenn auch der gestaltliehe tektonische Effekt bei Sedi­ menten in Ansehung der Aufrichtungen, Faltungen und Bruch­ erscheinungen ihrer Schichten von den Lagerungsformen der Eruptive sehr verschieden ist, so gehört das Empordringen magmatischer Materialien als Ortsveränderungen von Erdbau­ massen dennnoch in die allgemeinen Betrachtungen über geolo­ gische Dislokationen. Die magmatischen Materialien werden von den das Erdgleichgewicht anstrebenden Kräften wie die festen Gesteine gepackt. Ähnlich dem plastischen Salze folgen sie als mobile Stoffe einem tektonischen Zwange eher und länger, aber dabei natürlich unter andersartiger tektonischer Formentwicklung als die starren Gesteine. In diesem Zusammenhange sei ein Hinweis auf die in Fig. 3 dargestellte petrographische Skizze Sachsens gestattet als eines Landes, das für die in Rede stehende Magmen­ tektonik typisch erscheint. Die varistische Verlagerung der Schmelzflüsse und Gesteine 1 hat hier ein Vorspiel im Herauf­ dringen von Einschüben, Ejektionen und Ergüssen der Diabas­ magmen des Vogtlandes (Db). Es folgt nun der Hauptakt, der sich zu einer Starkstreßphase entwickelt, und sich in Faltungen, Schubdeckenpackungen und Verwerfungen bekundet. In seinem 1 F. RINNE, Gesteinskunde, 8/9. Auflage. Titelfigur S. V I I I. PHYS. BEMERK. Z. TEKTONIK D. ERDBAUMASSEN 153 Orogenetischen Kerngebiete kommt es zu plutonischmigmatiti­ schen Arealintrusionen, die zudem unter der Gunst des Stresses eine weitgreifende durchbewegte Glimmerschiefer- Phyllit- Kon­ taktmetamorphose hervorriefen. Es handelt sich dabei um die stressitischen kristallinen Schiefer und die silikatischen, mar­ morischen und Schwermetall-führenden Einlagerungen des Erz- Fig. 3. Gesteinskundliehe Übersicht Sachsens. LR Tertiär-Diluvium-Bucht. I\'L -- Nieder-Lausitser Tertiär-Diluvium-Bucht. MP :--= Muldcnpr:Jphyrgehiet. /IJ := N\eissener Granit-Syenit-Massiv. L Lau�itzer Granitmassiv. G = Kretazisches Elhsandsteingebiet. ZB =� Zittauer Tertiär-Diluvium-Gebiet. Gn:nuli:g�biet. ES Erqehirgisch� paläozoische Bu.:ht. E --:. Kristallinc Schiefer des Erzgebirgcs. Db EH Dia­ basg;ehiet des \'o.t:tlandes V. K Kirchberger Granitrnassiv. Ei � Eibenstocker Granitmassiv. D - Duprauer Vulkanitgebirge BM = Böhmisches Vulkanitgebirge. JP :.:__- Kretazische Iserplatte. -: L'::ip:iger gebirges. Die Kristallisation unter starkem Zwange lieferte eine ausgeprägte Abbildung der kinetischen Verhältnisse. Auch nach der Erstarrung, also am festen Gestein, äußerte sich der Stress in mächtiger Wirkung in Form von Deckenpackungen, In­ einanderschieferungen der Gesteinsmassen und im texturellen Ausdruck der Massenbewegungen bis in die mikroskopischen Dimensionen. Die Augentextur, im großen der linsenförmigen Einlagerungen, im kleinen der flaserigen Schiefergesteine, wird Norsk Ceol. Tidsskr. \"ll. II F. 154 RINNE man mit K. H. ScHEUMANN in manchen Fällen als das Abbild der nach dem HELMHOLTz'schen Prinzip zu erwartenden Wellen­ lagerung der sich durcheinander bewegenden Massen auffassen können. Die anschließende tektonische schwach- oder unstressitische Phase führt zu nichtmigmatitischen Intrusionen von mehr oder minder deutlich fluidalen, plutonischen Großlagern und zu Lagergängen, wie man sie in den westerzgebirgischen Graniten, Meißener Syeniten und im Lausitzer Granit vor sich hat. Sie sind von normalen astressitischen Kontakthöfen begleitet, deren Schiefergesteine lediglich das Abbild der sedimentären Textur sind. Ein vulkanisches Nachspiel mit seinen spätpaläo­ zoischen Durchbrüchen, Ejektionen und Ergüssen in Art der Plutonitporphyre, Gangschizolithe, Melaphyre, Porphyrite und Quarzporphyre beendete den großen einheitlich aufzufassenden varistischen tektonischen Akt am Material der Lithosphäre und der unterlagernden Magmenzone. 7. Die bislang unbekannte 1 allgemeine physikalische Erklä­ rung fiir die geologische Periodizität der tektonischen Aus­ wird man meines Erachtens in der physika­ lischen Natur des betroffenen Materials suchen müssen. Wie bei allen Deformationen und Dislokationen kommt es in den beanspruchten Materialien zu einem Spannungszustande. Um ihn tektonisch auszulösen, bedarf es einer bestimmten Erhöhung dieser latenten Wirkung, die nach dem inneren Widerstand des Materials verschieden ist. Gase und gewöhnliche Flüssig­ keiten gleichwie plastische Gesteine folgen (natürlich tektonisch abgestuft) bereits geringen Beanspruchungen. Die gewöhnlichen Sedimente oder eingebettete Eruptivlager müssen (gleichfalls nach Art abgestuft) ein sehr viel beträchtlicheres Maß von Spannung in sich ansammeln, ehe sich an ihnen der mecha­ nische Zwang als Faltungs- oder sonstiger Dislokationseffekt auslöst. Bei stark in sich verfestigten Massen wie batholithischen gleichbewegungen I H. STILLE, Die Schrumpfung der Erde, 1922. PHYS. BEMERK. Z. TEKTONIK D. ERDBAUMASSEN 155 Arealen prägt sich der Effekt lediglich in MoHR'schen Syste­ men aus, oder er unterbleibt ganz. Auch in dieser Hinsicht sind die Salze von besonderer Lehrhaftigkeit. Als sehr mobi­ lem Material wohnt ihnen ein weit leichteres Dislokationsver­ mögen inne als ihren starren Nachbarn im Liegenden und Hangendem. Sie schieben sich von beiden ab, eilen nach einem Ausdruck von H. S TILLE, falls auch die Nebengesteine in tekto­ nische Bewegung kommen, genden Schichten in voraus und als Kern eines Sattels den han­ komplizierten durchspießen Schlingen gewissermaßen und durchfluten die Hindernisse. Daß sie in ihrem tektonischen Zwangszustande fähig sind, auch ohne Begleitung durch schwerfälligere Gesteinmassen empor­ zudringen, zeigen die erwähnten Ekzeme. Die Salze pressen sich im Hangenden empor bis etwa der fluidale Auftrieb durch die Ekzemhöhe kompensiert wird oder sie auf einen undurch­ dringlichen, etwa transgredierenden Marsche nach oben Halt gebietet. sind sie, vergleichbar Bei ihrer großen Mobilität dem Wasser, in ihrer keine bestimmte gebirgsbildende treten Riegel treffen, der ihrem bei Periode gewöhnlichen Dislokation an gebunden. Gesteinen Im Ge­ gensatz dazu die tekto­ nischen Auslösungen erst nach einer jeweiligen beträchtliche n Aufsummierung der Spannung ein. De.m Auslösen ihrer poten­ ziellen Energie entsprechen die Orogenetischen Perioden der geologischen Erdgeschichte. Caledonische, varistische, alpidische Dislokationen der sind physikalischen die naturgemäß periodischen Auslösungen Zwangszustände der betroffenen Erdbau­ materialien. Der Sinne des Rhythmus dieser Orogenetischen SrrLLE'schen Erscheinungen im Gleichzeitigkeitsgesetzes widerspricht im übrigen weder der Kontraktionstheorie noch der Lehre von der Isostasie. Es löst sich eben das beiden zu Grunde liegende ständige Moment des Schwerefeldes zeitlich und örtlich perio­ disch aus, soweit es Dislokationen der gewöhnlichen Sedimente betrifft. Bezieht man entsprechend den Salzströmungen die mag­ matischen Verlagerungen, wie oben als nötig hingestellt wurde, in die Erscheinungen der Dislokation von Erdbaumassen ein, so werden die zeitlichen Diskontinuitäten noch inniger durch Zwischenakte verknüpft. Es entspricht das der ständigen Wirk- 156 F. RINNE samkeit des ursächlichen geotektonischen Momentes, der Schwere, die sich sowohl im Falle der Kontraktions- als auch der isostatischen Erscheinungen betätigt. Wie Salze so geben Magmen zufolge großer Beweglichkeit den Ursachen weit eher und damit häufiger nach als die starreren Sedimente. Sie wer­ den nicht nur in den von Orogenetischen Zeiten der Dislokation Sedimenten mit letzteren in Bewegung gesetzt, sondern auch in deren Ruhezeiten. Indes ist dabei als wichtiges Nebenmoment zu bedenken, daß die Massen der peripheren Magmenzone, wenn sie auch physikalisch den leicht beweglichen Materialien gleichzustellen sind, zufolge einer Tiefenlage eine für den ständigen tektoni­ schen Vollzug ungünstige Position haben: sie werden durch das Hangende im allgemeinen stark abgeriegelt, also am Marsche nach oben wesentlich gehindert. Beginnen die festen Gesteins­ massen, welche die Magmenzone überlagern, sich tektonisch zu regen, so ist es leicht verständlich, daß letztere als besonders mobde Materialien ersteren voraneilen und ein magmatisches Vorspiel auf der Erdoberfläche eröffnen. Dabei werden im all­ gemeinen in erster Linie die tieferen, leichtbeweglichen basi­ sch e n Schmelzflüsse in die höheren Regionen passiv aufsteigen. Im Hauptakte der tektonischen Faltungsgeschehnisse spielen die magmatischen Intrusionen eine große Rolle und es ist nach ihrem physikalischen Wesen erklärlich, daß sie auch oft in aus­ giebiger Weise das Schlußspiel tektonischer Episoden darbieten. 8. Alles das kann sich ganz wie bei den dislozierten Sedi­ menten ohne eine endogene Aktivität der Eruptive ereignen. Sie folgen schen dann einem in sie von außen verpflanzten tektoni­ Zwange. Eine endomagmatische Ursache ihres Aufslei­ gens ist aber im Gegensatz zu den sonstigen Gesteinen den Magmen nicht ganz fremd. Sie betätigt sich bei fortschreitendem Vorgange der Kristallisation und Erhöhung der Dampfspan­ nung wie bekannt in den selbstmotorischen tektonischen Er­ scheinungen der Explosionsrohre und verwandter Vorkomm- PHYS. BEMERK. Z. TEKTONIK D. ERDBAUMASSEN 157 nisse. Hinzu kommt das Emporreißen von Magmenmassen bei plötzlicher Auslösung von Dampfspannung zufolge einer Druck­ entlastung, wie beim Aufreißen von Spalten. Es ist nicht un­ interessant, daß ein Analogon bei Salzen aus den Lagerstätten der Rhön bekannt ist, wo sich durch plötzliches Entbinden von Kohlensäure aus dem Salz sehr ausgedehnte Explosions­ rohre herausgebildet haben 1. I K. BECK, Kohlensäureausbrüche im Werragebiete Kalisalzlagerstätten. Kali, ßd. 6, 125, 1912. der deutschen