Vögel an Gewässern Muscheltauchen und Adoptionen: Reiherente Die besonders bei Männchen auffälligen „Reiherfedern“ am Hinterkopf haben der Reiherente ihren Namen gegeben. Nach Arealausweitungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts von Russland nach Westeuropa ist die Reiherente in Deutschland mittlerweile die häufigste Süßwassertauchente. Unverwechselbar und leicht zu beobachten sind die kleinen schwarz-weißen Reiherentenmännchen und die braunen Weibchen mit ihrem gelben Auge, wie sie in der Mitte tieferer Gewässer auf der Suche nach Nahrung untertauchen und den Beobachter verwirren, indem sie später an ganz anderer Stelle wieder auftauchen. D er Körper der Reiherente ist relativ klein und kompakt, im Vergleich dazu erscheint der Kopf fast etwas zu groß. Deutlich kontrastieren beim Männchen die weißen Flanken zum übrigen schwarzen Federkleid, das vor allem am Kopf metallisch grün-violett schillert. Das Reiherentenweibchen ist einfarbig dunkelbraun, mit etwas helleren Flanken. Auch das Weibchen trägt am Hinterkopf einen Schopf, allerdings ist dieser wesentlich kürzer als beim Männchen. Gelegentlich kommt es zu Mischbruten mit anderen Tauchenten. Die Nachkommen haben dann fast immer einen angedeuteten Schopf. Die kräftigen Schnäbel beider Geschlechter sind hell blaugrau, an der breiten Spitze dunkel. Einzig leuchtende Farbe ist die gelbe Iris. Im Flug ist eine weiße Flügelbinde ein gutes Erkennungsmerkmal. Die Reiherente ist in ganz Mittel-, Nord- und Osteuropa heimisch, sie kommt in ganz Skandinavien und weiten Teilen Russlands vor. Von dort hat die Art innerhalb des letzten Jahrhunderts ihr Brutareal nach Westen ausgeweitet, wobei die wärmeren Gegenden Südeuropas weitgehend gemieden werden. In Deutschland ist die Reiherente mit einigen Lücken flächig verbreitet. stark zugewachsen sind. Die bevorzugte Tiefe liegt bei ein bis drei Metern. Hierzu zählen beispielsweise natürliche und künstliche Seen, Kiesgruben, aber auch Flussmündungen und langsam fließende Gewässer. Die überwiegend tierische Nahrung besteht hauptsächlich aus Muscheln und Schnecken, je nach Jahreszeit ergänzt durch andere im Wasser lebende Kleintiere, zum Beispiel Insekten, kleine Fische und Amphi- bien sowie deren Laich. Weiterhin stehen auf dem Speisezettel Blätter und Samen von Pflanzen. In Tauchentenmanier wird die Nahrung unter Wasser gesucht. Dabei tauchen die Reiherenten häufig an einer Stelle unter und etliche Meter weiter wieder auf. Als Hauptgrund für die Arealausweitung der Reiherente sowie eines auffälligen Anstiegs der Winterbestände in den 1960er und 1970er » Neozoen auf dem Speiseplan Reiherenten besiedeln stehende Gewässer unterschiedlichen Nährstoffgehaltes und unterschiedlicher Tiefen, sofern sie im Uferbereich und unter der Wasseroberfläche nicht zu Der Reiherfedern ähnliche Schopf am blau-violett schillernden Hinterkopf der schwarz-weißen Reiherentenmännchen hat der Art ihren Namen gegeben. Foto: F. Derer. Bodensee, 25.2.2013. Der Falke 60, 2013 305 Vögel an Gewässern Bei den Reiherenten müssen die Weibchen bei Nestbau, Brut und Jungenaufzucht ohne die Hilfe der Männchen auskommen. Gelegentlich werden Junge adoptiert oder führen zwei Weibchen ihren Nachwuchs gemeinsam. Foto: H.-J. Fünfstück. Stausee Krün, 7.8.2009. Jahren gelten verbesserte Nahrungsbedingungen durch die Ausbreitung der Wander- oder Dreikantmuschel (Dreissena polymorpha) in Europa. Ursprünglich stammt diese Muschelart aus dem Schwarzen Meer. Am Bodensee wird die Ausbreitung dieses Reiherente Jan. 2000-2013 0 1 - 150 151 - 400 401 - 1.000 1.001 - 3.000 3.001 - 8.000 > 8.000 Verbreitung der Reiherente im Januar in Deutschland nach den Daten der Wasservogelzählung. Dargestellt ist der Mittelwert je Gebiet in den Jahren 2000 bis 2013. Es ist zu beachten, dass die dargestellten Gebiete teils sehr unterschiedliche Größen aufweisen und mitunter große Gebiete umfassen (z. B. Bodensee, Donau, Main und Rhein). Quelle: DDA. 306 Der Falke 60, 2013 Neozoons seit der Entdeckung in den 1960er Jahren intensiv beobachtet, ebenso die Anzahlen der überwinternden Enten im Rahmen der monatlichen Wasservogelzählungen. Untersuchungen haben ergeben, dass die Vögel im Winter Muschelbänke in Tiefen bis zu zehn Meter regelrecht abernten (FALKE 2012, H. 6). Auf einem Quadratkilometer Seefläche werden auf diese Weise pro Winter mehrere Hundert Tonnen (!) Muscheln konsumiert. Ab dem ausgehenden Winter bis März/April sind die Reiherenten in Balzstimmung. Balzende Männchen versuchen, durch auffällige Kopfbewegungen und Zurschaustellung des gespreizten Schopfes ein Weibchen für sich zu interessieren. Die Paare bleiben nur kurze Zeit, etwa bis zum Brutbeginn, beisammen. Das Weibchen baut am Boden auf Inseln oder am Ufer nah an der offenen Wasserfläche, aber gut in der Vegetation versteckt, ein Nest, das es mit feinem Pflanzenmaterial und Federn polstert. Im Mai/Juni legt es sechs bis elf Eier. Gelegentlich liegen wesentlich mehr Eier in einem Reiherentennest, die von weiteren Reiherenten, zum Teil aber auch anderen Entenarten stammen. Nach dreieinhalb bis vier Wochen schlüpfen die Jungen, die als Nestflüchter von der Mutter bald ins Wasser geführt werden. Bereits nach sechs Wochen trennt sich die Mutter von den Jungen, die weitere drei Wochen später flugfähig sind. Die Aufzucht von fremden Entenküken, selbst erbrütet oder „adoptiert“, ist nicht ungewöhnlich. Manchmal führen auch zwei Weibchen ihre Jungen gemeinsam. » Bestand und Gefährdungen Die bei uns brütenden Reiherenten sind Standvögel und Kurzstreckenzieher mit Überwinterungsgebieten in West- und Südeuropa. Außerhalb der Brutzeit gesellen sich hierzu Mausergäste, Durchzügler und Wintergäste in großer Zahl, die teils aus weit nördlich und vor allem östlich gelegenen Regionen stammen. Reiherenten überwintern häufig in großen Gruppen in geschützten Meeresbuchten, Häfen und eisfreien Wasserflächen im Binnenland, oftmals gemeinsam mit Tafel- und Schellenten. Der europaweite Bestand der Reiherente wird auf 730 000 bis 830 000 Brutpaare geschätzt, von denen über drei Viertel im europäischen Teil Russlands und in Skandinavien zu finden sind. In Deutschland brüten 12 000 bis 15 000 Reiherentenpaare. Der Winterbestand ist mit etwa 325 000 Individuen um ein Vielfaches höher. Die Reiherente ist damit die häufigste Tauchentenart im Winterhalbjahr. Im internationalen Kontext von großer Bedeutung sind die Rastansammlungen an der südlichen Ostseeküste, auf der ostholsteinischen Seenplatte sowie auf den großen Voralpenseen, allen voran der Bodensee. Beachtlich sind auch die Ansammlungen zur Zeit der Schwingenmauser im Hochsommer mit einem Gesamtbestand von mehreren Zehntausend Reiherenten. Zu dieser Zeit bedeutende Gewässer sind die Ostholsteinische und Mecklenburgische Seenplatte sowie der Ismaninger Speichersee mit Fischteichen nahe München. Die Vögel sind während der Schwingenmauser für rund drei Wochen flugunfähig und deshalb auf geschützte, störungsfreie Flächen mit ausreichend geeigneter Nahrung angewiesen. Milde Winter, günstige Nahrungsbedingungen und neu entstehende Gewässer wie Sand- und Kiesgruben begünstigen anscheinend auch weiterhin die Ausbreitung der Reiherente als Brutvogel hierzulande. Regional zeigen sich jedoch kurzfristig auch rückläufige Trends, beispielsweise im Nordosten Deutschlands, sodass in Mecklenburg-Vorpommern die Reiherente auf der Roten Liste bedrohter Arten in die Kategorie „gefährdet“ eingestuft wurde. Gefahren bestehen hauptsächlich durch Störungen zur Brutzeit und während der Mauser (Freizeitbetrieb, Bootsfahrer, Angler) sowie durch Störungen bei der Bejagung der Stockente (die Reiherente zählt gemäß § 7 Absatz 2 Nr. 13 des Bundesnaturschutzgesetzes zu den besonders geschützten Arten). Großflächige Ruhezonen könnten hier Abhilfe schaffen. Anita Schäffer Informationen zum Thema: Bauer H-G, Berthold P 1996: Die Brutvögel Mitteleuropas – Bestand und Gefährdung. Aula-Verlag, Wiesbaden. Bauer H-G, Werner S 2012: Stille Revolution am Bodensee: Wasservögel und wirbellose Neozoen. Falke 59: 212–218. Fünfstück H-J, Ebert A, Weiß I 2010: Taschenlexikon der Vögel Deutschlands. Quelle und Meyer Verlag, Wiebelsheim. Wahl J, Dröschmeister R, Langgemach T, Sudfeldt C 2011: Vögel in Deutschland – 2011. Dachverband Deutscher Avifaunisten, Bundesamt für Naturschutz und Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten, Münster. www.dda-web.de www.bfn.de/natursport/info www.bodensee-ufer.de Beobachtungstipps zur Reiherente Auffälligstes Merkmal: Männchen schwarz mit weißer Flanke, Weibchen dunkelbraun, blaugrauer Schnabel, gelbes Auge Wann: ganzjährig Wo: Gewässer aller Art, vornehmlich tiefere, weniger verunkrautete Seen und langsame Fließgewässer Was: Unterschied Männchen–Weibchen, Nahrungssuche (auch im Vergleich zu Schwimmenten), Familienleben, Wintergäste 140 % 120 100 80 60 40 20 0 67/68 72/73 77/78 82/83 87/88 92/93 97/98 02/03 07/08 Bestandsentwicklung der Reiherente im Winterhalbjahr in Deutschland. Dargestellt ist die Entwicklung relativ zum Winter 1989/1990 (= 100 %). Die Zunahme in den Anfangsjahren ist vor allem auf die Einwanderung der Dreikantmuschel und die Schaffung neuer (Abgrabungs)Gewässer zurückzuführen. Quelle: DDA. Tauchenten und Schwimmenten Das namengebende „Tauchen“ beziehungsweise „Schwimmen“ bezieht sich bei der Einteilung der Enten in Tauch- und Schwimmenten auf die Art des Nahrungserwerbs. Daraus haben sich unterschiedliche Lebensräume sowie typische Körpermerkmale dieser Gruppen ergeben. Tauchenten tauchen nach Nahrung oder gehen schwimmend unter Wasser auf Beutesuche und sind in tieferen Gewässern zu finden. Sinneszellen auf dem Schnabel dienen dabei zum Aufspüren beispielsweise von Muscheln oder Krebstieren. Tauchenten erkennt man daran, dass sie tief im Wasser liegen, die Schwanzfedern immer nach unten gerichtet und ihre Flügel keinen Federspiegel aufweisen. Die relativ kurzen, aber kräftigen Beine der Tauchenten setzen weit hinten am Körper an, wodurch die Vögel an Land eher unbeholfen wirken. Auch die Flügel sind relativ kurz, sodass Tauchenten zum Auffliegen von der Wasseroberfläche zunächst „Anlauf“ nehmen müssen. Tauchtiefen liegen in der Regel zwischen ein und drei Metern. Zu den Tauchenten zählen neben Reiher- und Bergente auch Kolben-, Tafel- und Moorente. Das Gründeln mit Kopf im Wasser, Schwanz in der Höhe, ist typisch für Nahrung suchende Schwimmenten. Mit dem Schnabel durchseihen sie das Wasser am Boden, um kleine Wirbellose herauszufiltern, und suchen am Grund nach geeigneter Pflanzennahrung, ohne ganz unterzutauchen. Hierzu sind sie auf flache Gewässer angewiesen. Insgesamt liegen Schwimmenten höher im Wasser als Tauchenten, die Schwanzfedern zeigen meist nach oben, typisch ist ein farblich abgesetzter Spiegel im Flügelgefieder. Schwimmenten gehen auch an Land auf Nahrungssuche, zum Beispiel Gras und Sämereien, ihre Beine sind vergleichsweise länger als die von Tauchenten. Die wohl bekannteste Schwimmente ist die Stockente, weiterhin zählen zu dieser Gruppe Spießente, Löffelente, Krick- und Knäkente, Pfeifente und Schnatterente. Gelegentlich gründeln auch Tauchenten, und Schwimmenten können auch tauchen. Der Falke 60, 2013 307