FORTBILDUNG Medikamentöse Therapie Demenz vom Alzheimer Typ Das effiziente Management bei Alzheimer Erkrankung ist multifaktoriell. Dabei spielen die frühzeitige Diagnose, adäquates Assessment, Stadien Zuteilung und die stete individuelle Ausrichtung und Anpassung aller therapeutischen Massnahmen an Patienten, deren Lebensbedingungen und ihre Betreuer eine wichtige Rolle! Die multifaktorielle Therapie umfasst medikamentöse und nicht-medikamentöse Interventionen. Der Krankheitsverlauf ist entscheidend abhängig von Betreuern und Angehörigen, weshalb im erfolgreichen Krankheitsmanagement entsprechende Massnahmen dazugehören (Abb. 1). Die in der Folge präsentierte Zusammenfassung konzentriert sich auf die medikamentöse Therapie bei Alzheimer Demenz. Symptomatische pharmakologische Therapien bei Alzheimer Erkrankung Für die Alzheimer Erkrankung zugelassene und krankheitsspezifische Moleküle sind (seit Jahren) die Cholinesteraseinhibitoren Donepezil, Galantamin, Rivastigmin, sowie der NMDA Antagonist Memantin. Beide Wirkungsgruppen haben auf die von den regulatorischen Behörden festgelegten resp. für die Zulassung geforderten Endpunkte (ADASCog) signifikante Wirkungen gezeigt. Cholinesterasehemmer sind in der Schweiz zugelassen einsetzbar in einem MMSE-Bereich von 10-30, Memantin ist zugelassen verschreibbar bei MMSE 3-19. Nicht-krankheitsspezifische, jedoch bei demenzassoziierten Symptomen oft zum Einsatz kommende Medikamente sind Antidepressiva und Antipsychotika. Hier werden SSRI’s respektive atypische Neuroleptika klar bevorzugt. Andere, oft bei Demenz eingenommene Moleküle mit pharmakologischer Wirkung sind Ginkgo Biloba, zerebrovaskuläre Agentien, Antioxidantien, Statine, Entzündungshemmer, Vitamine (B/C/E), Antiepileptika, Fischöle/Omega-3 Fettsäuren, Hormone, ABB. 1 Prof. Dr. med. Reto W. Kressig Basel “Nootropika”. Keines dieser Molküle hat einen aufgrund grosser prospektiver randomisiert kontrollierter Alzheimerstudien nachgewiesenen therapeutischen Effekt. Krankheitsmodifizierende pharmakologische Therapien bei Alzheimererkrankungen Die diesbezüglich intensive pharmakologische Forschung musste in den letzten Jahren gleich mehrere „Pitfalls“ mit wegen Unwirksamkeit abgebrochenen Phase-3-Studien mehrerer Moleküle hinnehmen. So wurde 2011 die klinische Weiterverfolgung des Amyloidaggregationhemmers Tramiprosate (Alzhemed), sowie der Gammasekretasehemmer Tarenflurbil (R-flurbiprofen) und Semagacestat gestoppt. In 2012 wurden die Phase-2-Studie des RAGE Inhibitors PF-04494700 und die Phase-3-Studie des mitochondrial wirksamen latrepiridine (Dimebon) wegen Unwirksamkeit abgebrochen. Ebenfalls in 2012 endeten erfolglos die Phase-3-Studien der Amyloidbetaantikörper Bapineuzumab and Solanezumab. Inwieweit der mit den Molekülen bisher vornehmlich verfolgte Eingriff in die Betaamyloid-Kaskade am Misserfolg schuld war (und damit eine grundsätzliche Überdenkung des heutigen pathophysiologischen Verständnis der Alzheimererkrankung notwendig ist), oder die Patienten im Krankheitsverlauf zu spät behandelt wurden ist aktueller Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Neueste Studien zielen auf deutlich frühere (asymptomatische) Krankheitsstadien und beinhalten wieder Moleküle mit deutlich diverseren pathophysiologischen Therapieansätzen (Abb. 2). Multifaktorielles Management bei Alzheimer Erkrankung Notwendig Nicht-Pharmakologische Interventionen Pharmakologische Interventionen Angehörige und Betreuer sind entscheidend! l Frühe Diagnose, Assessment & l Psycho-Edukation l Eliminieren ungeeigneter l Aufrechterhaltung der therapeuti- Staging l Stete Anpassung aller Massnahnach Atri A. Am J Manag Care, 2011 men an Patienten, Betreuer und Umgebung l Verhaltensinterventionen l Beratung, UnterstützungsNetzwerke l Überwachung von Gesundheit, Sicherheit und Umgebung l Betreuung der Betreuer! 20 Medikationen l Stadium angepasste Demenz-(Kombinations) therapie (Cholinesterasehemmer/Memantin) schen Allianz l Massgeschneiderte Massnahmen für den Patienten & die Unterstützung seiner Umgebung l Vorsichtiger und sorgfältig l Sicherheit kommt an erster Stelle abgewogener Gebrauch l Pragmasie: Vereinfachung der Pfleanderer demenzassoziierter Medigeroutine (wo möglich), bestehende kationen (Antidepressiva, atypische Präferenzen beachten Neuroleptika, Ginkgo etc.) 08 _ 2013 _ der informierte arzt FORTBILDUNG Verwendung der klassischen symptomatischen Andidementiva: Update und Praktische Hinweise ABB. 2 Aktuelle Trends: Evaluation potentieller krankheitsmodifizierender Therapien* Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Finnland, Phase 3 studies: Failure of phase 3 Spanien oder Griechenland mit Behandlungsquos IVIG failure announced 05/13 trials of amyloid Failures of phase 2 s DIAN TU study aggregation ten um 80–100% werden in der Schweiz nur rund trial of Rage inhibitor s Gantenerumab (anti-Aβ) Inhibitor PFFailure of phase 3 ein Drittel aller Demenzkranken mit Antidementramiprosate 04494700 and trials of Aβ antibodies s TRx0237 (tau agg. inhibitor) (Alzhemed), and phase 3 trial of bapineuzumaband tiva behandelt. Die Gründe dafür sind schwierig s EGCg (neuroprotection) γ-secretase mitochondrial agent solanezumab inhibitors s Nasal insulin latrepiridine oder nur z.T. nachvollziehbar. Die Demenzdiagnose tarenflurbil (Rs MK8931 & Thalidodime (Dimebon) flurbiprofen) and (BACE inhibitors) wird in der Schweiz nur bei rund der Hälfte der Desemagacestat s LU58054 (5H6Treceptor antag) menzkranken gestellt. Häufig werden typische Demenzsymptome dem normalen Alterungsprozess September-October zugeschrieben oder wegen der angeblichen Futili2007- April 2011 Nov. 2011-2012 Ongoing – 2013 2012 tät bei fehlenden kurativen Therapieansätzen nicht weiter abgeklärt. Möglicherweise wird die zurzeit BACE = Beta-site APP-cleaving enzyme; DIAN = Do minantly Inherited Alzheimer Network Trial; vom Bundesrat und Parlament in Auftrag gegebeEGCg = Epigallocatechin-Gallate ; IVIG = intravenous immunoglobulin G; ne und bis Ende Jahr fertigzustellende nationale Demenz-Strategie eine neue Sensibilisierung in der *abgebrochene Studien in rot Demenzthematik bewirken. Die initial hohen Therapie-Kosten sind mittleroffizielle Zulassung in Europa und der Schweiz ist von der Firma Pfiweile nach mehreren deutlichen Preisreduktionen sowie aufgrund des letztes Jahr abgelaufenen Medikamentenschut- zer nicht geplant. Basiert auf ähnlich positiven Resultaten bei höhezes von Donepezil derart nach unten korrigiert worden, dass dies rer Rivastigmin-Dosierung (OPTIMA-Studie) wird die aktuell in der Schweiz erhältliche Erhaltungsdosis des Rivastigmin Patches von wohl kaum mehr als Grund aufgeführt werden kann. Die im Kurzverlauf (meiste Studien mit 24 Wochen Dauer) nach 10mg (NOVARTIS) ab Herbst 2013 mit einer zusätzlichen höheren begonnener Antidementiva-Therapie gesehenen geringen, klinisch Dosierung von 15mg ergänzt. Auch hier gilt es, allfällige v.a. gastroinkaum sichtbaren Verbesserungen sind mittlerweile mit deutlich testinale Nebenwirkungen sorgfältig zu monitorisieren. Häufig treten aussagekräftigeren grossen retrospektiven Studien ergänzt worden, diese nur zu Beginn der Erhöhung auf und klingen dann spontan wiedie die Langzeitvorteile einer über mehrere Jahre durchgeführten der ab. Dennoch müssen (bei Demenz allgemein) ernährungsspezifimedikamentösen antidementiven Therapie eindrücklich sichtbar sche Massnahmen mit nährstoffverdichteter Nahrung (meist nur mit machen: Antidementiv behandelte Demenzkranke werden deutlich Supplementen möglich) getroffen werden, um einer Malnutrition mit weniger oder signifikant später in Pflegeheime eingewiesen und ha- all ihren Konsequenzen rechtzeitig vorzubeugen. Neben den gastrointestinalen Nebenwirkungen muss bei der ben deutlich weniger Verhaltensstörungen (siehe auch „Kombinationstherapie“). Die retrospektiven Analysen zeigten ebenfalls, dass Verschreibung von Cholinesterasehemmern auch die seltene poes keine Assoziation zwischen Therapie und Lebensdauer gibt, d.h. tentiell bradykardisierende Wirkung (rund 10% Reduktion der Herzruhefrequenz) beachtet werden. Eine klinische Kontrolle sodie Antidementiva bewirken keine Lebensverlängerung. Die klassischen Antidementiva (Cholinesterasehemmer und wie die Durchführung eines Kontroll-EKG’s nach rund 2 Wochen Memantin) verändern den symptomatischen Verlauf der Krank- Therapie mit einem Cholinesterasehemmer bei vorbestehenheit. Sie stehen im Gegensatz oder in Ergänzung zu kurativen der Bradykardie ist empfehlenswert. Bei kardialen Problemen unkrankheitsmodifizierenden Therapieansätzen, die zurzeit noch ter Cholinesterasehemmer ist Memantin als Alternative (auch bei MMSE über 19) möglich. Eine allfällige Verschlechterung einer benicht existieren. stehenden Urininkontinenz unter neu begonnener CholinesteraseCholinesterasehemmer hemmertherapie ist eine andere mögliche (seltene) Nebenwirkung Cholinesterasehemmer sind in der Schweiz zugelassen einsetz- von Cholinesterasehemmern. Eine sorgfältige Monitorisierung der bar in einem MMSE-Bereich von 10–30 und sind die klassische Urininkontinenz sowie ein sorgfältiges Abschätzen der Pros und Behandlung bei Frühstadien der Alzheimerdemenz. Neben den Cons der Cholinesterasehemmertherapie resp. eine Umstellung auf neuropsychologisch messbaren Verbesserungen sind es v.a. auch Memantin können hier ein Lösungsansatz sein. psychiatrische Minus-Symptome (wie Apathie), die positiv beeinMemantin flusst werden. Cholinesterasehemmer haben eine strenge Dosis-Wirkungsbe- Memantin ist in der Schweiz zugelassen verschreibbar bei MMSE ziehung und müssen zur optimalen Wirkungsentfaltung schrittwei- 3–19 und kommt deshalb v.a. ab mittelschweren Stadien zum Einse auf die maximale Dosis auf-titriert werden. In der Schweiz liegt satz. Neben klassischen neuropsychologischen Verbesserungen hat die täglich zugelassene Tagesdosis bei 10 mg. In Nordamerika ist ne- es eine gut dokumentierte Wirkung bei psychiatrischen Plus-Sympben 10 mg Donezepil eine Maximaldosis von 23 mg pro Tag auf dem tomen (Agitation, Aggression). Solche Symptome verbessern sich Markt, gestützt auf Daten, die im Vergleich zu 10 mg/Tag zusätzli- unter längerfristiger Therapie mit Memantin und treten unter Meche Verbesserungen mentaler Funktionen zeigten. Allerdings waren mantin signifikant weniger neu auf. die (vor allem zu Beginn der Dosiserhöhung) auftretenden gastroinMemantin hat (wie die Cholinesterasehemmer) eine strenge testinalen Nebenwirkungen deutlich häufiger. Eine Einführung resp. Dosis-Wirkung Abhängigkeit, so dass auch hier (nach entsprechender informierte arzt _ 08 _ 2013 21 FORTBILDUNG Kaplan-Meier Analyse für Pflegeheimeintritte und verschiedene antidementive Therapieansätze Lopez et al., 2009 Estimated proportion not admitted to nursing home 1.00 Memantine + ChEI 1.00 ChEI monotherapy No dementia medication 0.75 Estimated proportion not admitted to nursing home ABB. 3 0.50 0.25 0.00 0.75 0.50 0.25 Memantine combination therapy ChEI monotherapy 0.00 0.0 2.5 5.0 7.5 10.0 12.5 15.0 17.5 20.0 0 1 Follow-up time (years) der Eintitrierung) nur mit der Maximaldosis von 20 mg/Tag ein maximaler Therapie-Benefit eintritt. Memantin ist in der Regel sehr gut verträglich. In der Zulassungsstudie traten mehr Nebenwirkungen bei der Placebo-Gruppe auf als bei der Verum-Gruppe. Trotzdem muss bei neu auftretenden und mit dem Memantin-Therapiebeginn assoziierbaren Symptomen an eine Nebenwirkung gedacht werden. CAVE: Das (auch nur vorübergehende) Absetzen von Antidementiva führt zu einer irreversiblen kognitiven Verschlechterung, die auch nach Therapiewiederaufnahme nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Patienten und deren Betreuer müssen diesbezüglich unbedingt aufgeklärt werden, um auch bereits kurze Therapieunterbrüche (z.B. Medikamente vergessen in den Ferien) wenn immer möglich zu vermeiden. Kombinationstherapie: Kombination von Cholinesterasehemmer mit Memantin Angesichts der verschiedenen Wirkmechanismen von Cholinesterasehemmern und Memantin wird deren Kombination zur Wirkungsverstärkung bereits in vielen Ländern (Europa und Amerika) praktiziert und ist entsprechend von den regulatorischen Behörden zugelassen und auch kassenpflichtig. Das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat einen diesbezüglichen Antrag im Jahr 2012 aufgrund nicht ausreichender wissenschaftlicher Evidenz abgelehnt. Dies bedeutet, dass die Kombination im MMSE Bereich zwischen 10 und 20 off-label mässig möglich ist, von der Grundversicherung jedoch nicht finanziert werden muss. Bei Zusatzversicherten wird die Kombination meist von der Versicherung übernommen. Ist dies nicht der Fall, gehen die Kosten (jährlich rund CHF1‘000.--) zulasten des Patienten. Mittlerweile gibt es 4 prospektive kontrolliert-randomisierte Studien zur Kombinationstherapie (Tariot et al., 2004; Porsteinsson et al., 2008; Howard et al., 2012; Grossberg et al., 2013), drei davon waren positiv (überlegene Wirkung der Kombination Cholinesterasehemmer/Memantin im Vergleich zu Cholinesterasehemmer-Monotherapie), eine war negativ. Die staatlich subventionierte englische Negativstudie (obwohl im N Engl J Med 2012 publiziert) ist unter Experten höchst umstritten. Nach einer ursprünglich berechneten Teilnehmerzahl von 800 wurde diese bei schwierigen Einschlusskriterien auf 430 korrigiert, effektiv eingeschlossen wurden lediglich 295. Davon schieden 76% der Teilnehmer frühzeitig aus der Studie aus. Der frühzeitige Studienaustritt war signifikant höher bei Patienten, die an22 2 3 4 5 6 7 Follow-up time (years) stelle von Memantin Placebo bekamen. In den 30 ersten Studientagen schnitten unter Kombinationstherapie stehende Patienten in allen Belangen signifikant besser ab; der diesbezügliche Zusatzeffekt der Kombination zur Monotherapie korrigierte sich im Laufe des Jahres (mit allen Drop-outs) langsam gegen Null, so dass die Autoren auf keinen zusätzlichen Benefit der Kombination schlossen. Retrospektive Analysen in Alzheimer Patientenkohorten mit verschiedenen antidementiven Therapien (keine/Monotherapie mit Cholinesterasehemmer/Kombinationstherapie (Cholinesterasehemmer + Memantin) zeigten, dass Patienten unter Kombinationstherapie 3–7 mal weniger in ein Pflegeheim eingewiesen werden mussten als Patienten unter Monotherapie (Abb. 3). Dabei fand sich keine Assoziation zwischen Medikation und Lebensdauer, womit die Sicherheit besteht, dass mit einer antidementiven Therapie keine Lebensverlängerung bewirkt wird. Prof. Dr. med. Reto W. Kressig Universität und Universitäres Zentrum für Altersmedizin Basel Felix Platter-Spital, Burgfelderstrasse 101, 4012 Basel [email protected] Literatur beim Verfasser Take-Home Message ◆ Die pharmakologische symptomatische Therapie der Alzheimer Demenz ist lediglich ein Bestandteil im multifaktoriellen Management bei Alzheimererkrankung ◆ Zum heutigen Zeitpunkt gibt es keine rationalen Gründe, die heute zur Verfügung stehenden symptomatisch wirkenden Antidementiva (Cholinesterasehemmer und Memantine) nicht einzusetzen ◆ Bei klinisch relativ gering ausfallenden Sofortwirkungen bei Therapiebeginn stehen vor allem Benefits im Langzeitverlauf (um Jahre verzögerte Institutionalisierung, signifikant weniger Verhaltensstörungen) im Vordergrund ◆ International ist heute die Kombinationstherapie (Kombination von Cholinesterasehemmer und Memantin) State of the Art der Alzheimer Demenz Therapie (Alzheimer Association International Conference 2013, Boston), bis diese hoffentlich in ein paar Jahren durch eine kurative krankheitsmodifizierende Therapie abgelöst werden wird ◆ Die Kombinationstherapie ist in der Schweiz off-label mässig möglich, wird jedoch infolge einer zurzeit noch bestehenden Limitatio von der Grundversicherung nicht übernommen 08 _ 2013 _ der informierte arzt