Doppeladler oder Hakenkreuz? Das „Heeresarchiv Wien“ 1938–1945 Michael Hochedlinger Rainer Egger (1935–2009) zum Gedenken Das Jahr 1938 markiert in der Geschichte des Wiener Kriegsarchivs einen entscheidenden Wendepunkt: nicht so sehr durch personelle Säuberungen oder dramatische Archivalienverluste als vielmehr durch eine von den neuen Machthabern dekretierte Abkehr von seinem ursprünglichen Gründungsauftrag: Aus einem selbstbewussten Institut für Kriegsgeschichte und (k. u. k.) „Traditionspflege“ sollte eine nachgeordnete Aktensammelstelle ohne eigene Forschungstätigkeit werden. Die Herabstufung war – wenn auch sehr widerwillig – bereits weitgehend vollzogen, als ein alliierter Luftangriff am 14. April 1945 mit dem Heeresarchiv Potsdam zugleich das archivalische Fundament der preußisch-deutschen Militärgeschichte auslöschte. Das relativ glimpflich aus dem Krieg entkommene Wiener Kriegsarchiv war damit das mit Abstand bedeutendste militärhistorische Quellenlager im deutschen Sprachraum. Ein (gar remilitarisiertes) Forschungs­ institut ließ sich aber in der Wiener Stiftkaserne (Wien VII), von 1905 bis 1992 Standort des Kriegsarchivs, nicht mehr etablieren. Die verständliche „Entmilitarisierung“ der österreichischen Geschichtswissenschaft nach 1945 und die bis weit in die 1960er Jahre erdrückenden administrativen Aufgaben des Kriegsarchivs im Dienste des Sozialversicherungswesens schoben allen Ambitionen in diese Richtung einen Riegel vor. 1. Vorgeschichte 1.1. Das Trauma des Zusammenbruchs 1918 Erzherzog Karl hatte das Kriegsarchiv 1801 nicht eigentlich als Archiv, sondern als historisch-kriegswissenschaftliche Forschungsanstalt der bewaffneten Macht gegründet. Für ihre applikatorische, also auf militärische Nutzanwendung bedachte und zunächst nicht zur Veröffentlichung bestimmte Kriegsgeschichts­ schreibung schufen sich die k. k. Offiziersarchivare die dokumentarische Grund­lage durch rücksichtslose Plünderungszüge in einschlägigen Behörden­ Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Band 54/2010 Moesta 54.indb 221 221 05.08.2010 10:33:08 Michael Hochedlinger registraturen kurzerhand selbst. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wuchs das Wiener Kriegsarchiv durch Übernahme von archivreifem Behördenschriftgut allmählich auch in die Rolle eines echten militärischen Zentralarchivs hinein.1 Dem Monopol auf das Quellenmaterial entsprach die unangefochtene Dominanz des k. (u.) k. Kriegsarchivs auf dem Gebiet der Militär- oder besser: Kriegsgeschichtsschreibung. Hier wurde von den ab Ende des 19. Jahrhunderts in einem verkürzten Lehrprogramm am Institut für Österreichische Geschichtsforschung hilfswissenschaftlich geschulten 2 Offiziersarchivaren Beträchtliches geleistet. Waren die ersten ab 1850 im Druck veröffentlichten „Generalstabswerke“ noch primär amtlich-propagandistische Beiträge zur militärischen Zeitgeschichte, vergleichbar den „Farbbüchern“ auf außen­ politischem Gebiet, so wandte man sich ab den 1870er Jahren den Waffentaten der Frühen Neuzeit und – jubiläumsbedingt – den Revolutionskriegen, dem Kriegsjahr 1809 sowie dem „Zeitalter der Befreiungskriege“ zu. Der Erste Weltkrieg unterbrach diese erfolgreiche Entwicklung; das Kriegsarchiv wurde zu einer auch personell stark aufgeblähten Propagandastelle der k. u. k. Armee. Nicht zufällig war der Direktor des Kriegsarchivs, FeldmarschallLeutnant Maximilian von Hoen (1867–1940) 1914–1917 auch Leiter des Kriegspressequartiers, nicht umsonst schrieben und dichteten berühmte Literaten wie Stefan Zweig, Franz Theodor Csokor, Alfred Polgar oder Rainer Maria Rilke 1 2 Den solidesten Überblick zur frühen Institutionengeschichte des Kriegsarchivs vermittelt: Das k. und k. Kriegs-Archiv von seiner Gründung bis zum Jahre 1 9 0 0 (2. Auf l. Wien 1900). Zu den kriegsgeschichtlichen Arbeiten des Kriegsarchivs vgl. Z i t t e r h o f e r , Karl: Die literarische Tätigkeit des Kriegsarchivs 1784 –1909. In: Österreichische Militärische Zeitschrift 1909/2, S. 1 7 17–1 7 26; R e g e l e , Oskar: Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von 1779 (Kaiser Joseph II.) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918). In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs (in Hinkunft: MÖSt A) Erg.-Bd. 2 (1949), S. 732-743; A l l m a y e r - B e c k , Johann Christoph: Die Militärgeschichtsschreibung in Österreich von ihren Anfängen bis zum Jahre 1918. In: Militärgeschichte in Deutschland und Österreich vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Vorträge zur Militärgeschichte 6), Herford-Bonn 1985, S. 70-86; P e b a l l , Kurt: Militärwissenschaft, Kriegsgeschichts- und Militärgeschichtsschreibung. In: Broucek, Peter – Peball, Kurt: Geschichte der österreichischen Militärhistoriographie, Köln-Weimar-Wien 2000, S. 11-73. A llgemein H o c h e d l i n g e r , Michael: Bella gerant alii...?“ On the State of Early Modern Military History in Austria. In: Austrian History Yearbook 30 (1999), S. 237-277. Zu den Sonderschulungen für Off iziere des Kriegsarchivs vgl. G a s s e r , Peter: Die Ausbildung der Archivare in Österreich. In: Archivum 4 (1954), S. 7-24, hier S. 2123 und auch L h o t s k y , A lphons: Geschichte des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1854 –1954 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (in Hinkunft: MIÖG) Erg.-Bd. 17), Graz-Köln 1954, S. 200 f. 222 Moesta 54.indb 222 05.08.2010 10:33:08 Heeresarchiv in einer beim Kriegsarchiv eingerichteten „Literarischen Gruppe“ zum höheren Ruhm des zerzausten Doppeladlers. 3 Die traumatisierende Niederlage und die politische Zäsur von 1918 trafen das Kriegsarchiv und seine Offiziersarchivare hart, deutlich härter als die zivilen Kollegen in anderen Archiven. Die k. u. k. Armee löste sich auf, und mit ihr das stolze Offizierskorps, dessen Angehörige über Nacht soziales Prestige und oft auch jede materielle Absicherung verloren. 4 Der gewaltige Personalstand des Kriegsarchivs – 429 Personen bei Kriegsende, darunter alleine 90 Offiziere (Dezember 1918) – musste vor diesem Hintergrund möglichst rasch abgebaut werden. Zu Jahresbeginn 1920 stand man bei 177 Beschäftigten, im Sommer 1923 bei immerhin noch 81 Bediensteten. 5 Zu gleicher Zeit wuchsen die eigentlich archivischen Aufgaben dramatisch an; mit einem Mal sah sich das Archiv mit dem Problem der Massenschriftgut­ver­ waltung konfrontiert und musste auch erstmals Verwaltungsaufgaben übernehmen, denn die militärischen Personalunterlagen bildeten jetzt vielfach die einzig brauchbare Grundlage für Dienstzeitbestätigungen, Staatsbürgerschaftsnachweise usw. Die nur mehr in Eisenbahnwaggons zu quantifizierenden Papiermassen der höheren Frontkommanden hatten schon während des Kriegs die Speicher des Kriegsarchivs zu überfluten begonnen. Mit dem Zusammenbruch 1918 kamen außerdem schlagartig verwaiste, zum Teil besonders „sensible“ Registraturen wie jene des Armeeoberkommandos (1914–1918) oder der Militärkanzlei des Kaisers hinzu. 6 Die Archivalienabtretungen an die Sieger- und Nachfolgestaaten fielen im Kriegsarchiv bei weitem nicht so schmerzlich aus wie im Haus-, Hof- und Staatsarchiv oder im Staatsarchiv des Innern und der Justiz. Nur Ungarn durfte sich – noch vor dem Badener Abkommen von 1926 – in den Kernbeständen 3 4 5 6 P e b a l l , Kurt: Literarische Publikationen des Kriegsarchivs im Weltkrieg 1914 bis 1918. In: MÖSt A 14 (1961), S. 240-260. E g g e r , Rainer: Das Kriegsarchiv vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg. In: MÖSt A 49 (2001), S. 13-39 und die sehr materialreiche Arbeit von E l m e r , A lexandra: „Der Bohemien unter den Generälen“. Maximilian R itter von Hoen 1867–1940. Ein österreichischer Historiker und Militärjournalist, ungedr. phil. Diss. Wien 1992. Die Archivgeschichte im Inventar des Kriegsarchivs Wien 2 Bde. in 1 (Inventare österreichischer Archive 8), Wien 1953, hier Bd. 1, S. 1-73, ist leider unergiebig und wird nur punktuell zu zitieren sein. Inventar 1, S. 33 f. Für ihre Verwahrung und die geplante Auswertung in Gestalt einer A ktenpublikation bestand zunächst eine eigene „Abteilung für militärische Staatsakten“: B r o u c e k , Peter: Die „Abteilung für militärische Staatsakten“ 1918 –1920. In: Scrinium 28 (1983), S. 324332. 223 Moesta 54.indb 223 05.08.2010 10:33:09 Michael Hochedlinger des Kriegsarchivs recht ausgiebig bedienen, um in Budapest das Hadtörténelmi Levéltár aufzubauen. Als oft problematisch erwies sich hingegen die Einrichtung ausländischer Delegationen in der Stiftkaserne, am langlebigsten waren die tschechoslowakische (bis 1937) und die italienische (bis 1940/1943); eine ungarische Archivdelegation besteht bis heute. Alte Kameraden und langjährige Archivmitarbeiter wurden, wie auch bei anderen Wiener Zentralarchiven, gleichsam über Nacht zu Vertretern einer fremden Macht: der Leiter der Kartensammlung Oberst Josef Paldus (1863–1937) war plötzlich tschechoslowakischer Archivdelegierter. Oberst Alois Veltzé (1864–1927), einer der talentiertesten Militärhistoriker aus den Reihen des Kriegsarchivs, stellte sich 1924 zur großen Empörung seiner ehemaligen Kollegen ausgerechnet den verhassten Italienern zur Verfügung, ebenso FeldmarschallLeutnant Albert Freiherr von Margutti (1869–1940), 1917–1918 Vizedirektor des Kriegsarchivs. Oberst Oskar Criste (1858 – nach 1941), ein besonders produktiver Offizier-Historiker des k. u. k. Kriegsarchivs, verbrachte unautorisiert wertvolle Akten des 18. Jahrhunderts in seine neue rumänische Heimat; 1937 wurde der letzte tschechoslowakische Archivdelegierte Václav Zelený bei der unbefugten Mitnahme von Archivalien ertappt. 7 Der tiefste Einschnitt lag nach 1918 aber wohl im Bereich der von den Betroffenen als Statusverlust empfundenen Statusveränderung der ehemaligen Offiziersarchivare und der Institution insgesamt. Zwar kam es zu keiner personellen Säuberung (auch Direktor Hoen blieb nach 1918 an der Spitze des Archivs), immerhin aber im August 1920 zu einer Überführung des Kriegsarchivs in ein ziviles Institut in Unterordnung unter die Staatskanzlei (Bundeskanzleramt). Für die Überstellung der Offiziere in den höheren (akademischen) Dienst wären damit eigentlich ein abgeschlossenes Studium der Geschichte sowie die Absolvierung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung verpflichtend gewesen. Man fand eine gangbare Sonderregelung, indem man einigen ehemaligen Generalstabsoffizieren auch ohne Studium und Institutskurs die A-Qualifikation zubilligte. Truppenoffiziere wurden dagegen nur als „militärische Fachberater“ in den gehobenen Dienst (B) übernommen, wo man 7 W i n t e r , Otto Friedrich: Die italienische Kriegsarchivdelegation nach dem Ersten Weltkrieg In: MÖSt A 31 (1978), S. 442-450; E g g e r , Rainer: Die ungarische Kriegsarchivdelegation in Wien vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg. In: Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (MÖSt A Sonderband 4), Wien 1998, S. 65-73. K i s z l i n g , Rudolf: Meine Direktionsführung im Kriegsarchiv vom 1.9.1936 bis zur Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich: Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv (in Hinkunft: K A), Manuskripte zur Geschichte des Kriegsarchivs (in Hinkunft: MS/K A) 13 (I); Direktionsakten Zl. 5 745/1937. 224 Moesta 54.indb 224 05.08.2010 10:33:09 Heeresarchiv sie zu ihrem großen Missvergnügen mit dem „mittleren Fachdienst“, ehemaligen Unteroffizieren, in einer Verwendungsgruppe zusammenführte. Zu den Nutznießern der selektiven Nachsicht von der Hochschulbildung zählte auch der journalistisch begabte und gesellschaftlich bestens vernetzte ehemalige Pressereferent im Armeeoberkommando Major im Generalstab Edmund (von) Glaise-Horstenau (1882–1946), der erst 1919 dem Kriegsarchiv (Staatsaktenabteilung) zugeteilt worden war. Er konnte sein im Wintersemester 1920/1921 begonnenes Studium nach nur vier Semestern ohne Abschluss auslaufen lassen und musste auch zur Aufnahmeprüfung in den widerwillig begonnenen Institutskurs nicht antreten, als sich abzeichnete, dass er in jedem Fall im höheren Dienst Verwendung finden würde. Immerhin war auch Kriegsarchiv-Direktor Hoen der Ansicht, dass der Kurs dem Dienst im Kriegsarchiv nicht viel bringe. „Die Maiuskeln und Minuskeln des braven Professors Ottenthaler von Ottenthal gingen mir zu stark auf die Nerven“, notierte Glaise-Horstenau später spöttisch in seinen Lebenserinnerungen. 8 Der Generalstabsoffizier Viktor Meduna (1881–1942) und der schon 1915 wegen Kriegsuntauglichkeit als Hauptmann pensionierte Josef Mündl (1887– 1950) hatten weniger Glück und mussten trotz vorgerückten Alters den von Glaise eilig abgebrochenen Institutskurs (1921–1923) an der Seite später so prominenter Kollegen wie Otto Brunner, Heinz Zatschek und Friedrich Walter absolvieren. Wenigstens war Meduna und Mündl gestattet, ihre Staatsprüfungsarbeiten der Fortsetzung des 1914 unvollendet stecken gebliebenen „Generalstabswerks“ über den Österreichischen Erbfolgekrieg (Italienfeldzug 1745/1746) zu widmen. Sogar der dem Kriegsarchiv dienstzugeteilte Bundesheeroffizier Dr. Eduard Czegka (1887–1953) drückte 1925–1927 die Kursbank, gemeinsam mit Ferdinand Stöller (1891–1968), der – schwer kriegsbeschädigt – seit 1916 im Archiv arbeitete. Beide wählten für ihre Institutsarbeiten konventionsgemäß mediävistische Themen. Die Zukunft gehörte indes dem Aufsteiger Glaise-Horstenau, der durch seinen Protektor Generaloberst Alois (Fürst) Schönburg-Hartenstein (1858– 1944) über nützliche Kontakte zum Obmann der Christlich-Sozialen Partei und Bundeskanzler Ignaz Seipel (1876–1932) verfügte. Schon 1923 war Glaise zum Direktor-Stellvertreter aufgestiegen; im Februar 1925 wurde er mit der 8 Über Glaise-Horstenau vgl. die ausführliche biographische Einleitung von B r o u c e k , Peter: Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau 1 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 67), Wien 1980, S. 15-62, 2 (e b e n d a 70), Wien 1983, S. 11-44, 3 (e b e n d a 76), Wien 1988, S. 13-58, das Zitat aus Erinnerungen Bd. 1, S. 538. L h o t s k y : Institut, S. 369, vermerkt die „Desertion“ Glaise-Horstenaus lapidar. 225 Moesta 54.indb 225 05.08.2010 10:33:09 Michael Hochedlinger Pensionierung Hoens auch dessen Nachfolger als Direktor. 9 Eine ganze Reihe dienstälterer Kollegen trat aus Protest in den Ruhestand. 1.2. Im Felde unbesiegt? Militärische Vergangenheitsbewältigung „Kriegsschuldfrage“ und „Dolchstoßlegende“ waren nicht nur politische Reizthemen, sie bestimmten nach 1918 auch die zeit- und militärgeschichtliche Forschung. Dem Kriegsarchiv war größere publizistische Aktivität in den ersten Jahren nach dem Krieg verwehrt. Der zur Sozialdemokratie bekehrte ehemalige k. u. k. Generalstabsoberst Theodor Körner (1873–1957) blockierte in seiner Eigenschaft als Amtsleiter (Präsidialchef ) im Heeresministerium und Heeresinspektor die kriegsgeschichtliche Forschung ebenso wie jede k. u. k.nostalgische Traditionspflege.10 Die Offiziere des Kriegsarchivs hatten umso freudiger an deutschen Publikationsvorhaben mitgearbeitet, etwa jenem des preußischen General­ leutnants Max Schwarte (1860–1945).11 Glaise-Horstenau kooperierte auch von Anfang an eng mit dem eben neugegründeten Reichsarchiv in Potsdam, das u. a. das deutsche Weltkriegswerk herausgeben sollte. Die Torso gebliebenen Erinnerungen des österreichisch-ungarischen Generalstabschefs Franz Conrad von Hötzendorf (1852–1925) „Aus meiner Dienstzeit“ (publiziert 1921–1925), A ls aussichtsreiche (zivile) Konkurrenten hatten Theodor Mayer (1883 –1972) aus dem Archiv für Niederösterreich und aus dem Hof kammerarchiv Franz Wilhelm (1870 –1942) gegolten. E l m e r : Hoen, S. 736 f. 10 Zum Folgenden P e b a l l , Kurt: Österreichische militärhistorische Forschung zum Ersten Weltkrieg zwischen 1918 und 1968. In: Ursula von Gersdorff (Hg.): Geschichte und Militärgeschichte. Wege der Forschung, Frankfurt-Main 1974, S. 89-98; B r o u c e k , Peter: Militärgeschichte in Österreich von 1918 bis 1938/45. In: Militärgeschichte, S. 87-107; J e ř á b e k , Rudolf: Die österreichische Weltkriegsforschung. In: Wolfgang Michalka (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung-Wahrnehmung-Analyse, MünchenZürich 1994, S. 953-971; B r o u c e k , Peter: Österreichische Militärgeschichtsschreibung 1918 –1938 und Militärgeschichtsschreibung in Österreich 1938 –1945. In: Broucek – Peball: Geschichte, S. 75-105 und besonders ausführlich Ü b e r e g g e r , Oswald: Vom militärischen Paradigma zur ‚Kulturgeschichte des Krieges‘? Entwicklungslinien der österreichischen Weltkriegsgeschichtsschreibung im Spannungsfeld militärischpolitischer Instrumentalisierung und universitärer Verwissenschaftlichung. In: Derselbe (Hg.): Zwischen Nation und Region. Weltkriegsforschung im interregionalen Vergleich. Ergebnisse und Perspektiven (Tirol im Ersten Weltkrieg 4), Innsbruck 2004, S. 63-122. Zum allgemeinen Hintergrund auch M e l i c h a r , Peter: Die Kämpfe merkwürdiger Untoter. K. u. k. Offiziere in der Ersten Republik. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 9 (1998), S. 51-84. 11 S c h w a r t e , Max (Hg.): Der große Krieg 1914 –1918. 10 Bde., Leipzig 1921–1925, hier Band 5 (1922): Der österreichisch-ungarische Krieg, bearbeitet von hohen k. u. k. Offizieren unter Federführung Max Hoens. 9 226 Moesta 54.indb 226 05.08.2010 10:33:09 Heeresarchiv das dieser mit tatkräftiger Unterstützung des Kriegsarchivs erarbeitete, 12 mussten einstweilen das Fehlen eines veritablen österreichischen „Generalstabswerks“ einigermaßen kompensieren, wie überhaupt eine Vielzahl von Generälen und Offizieren aus fast psychohygienisch zu nennenden Gründen ihre Kriegs­ erinnerungen zu Papier, manchmal auch zum Druck brachten. Erst nach der Pensionierung Körners 1924 zeichnete sich eine Wende im „Kampf um die Erinnerung“ ab. In den „Militärwissenschaftlichen (und technischen) Mitteilungen“ erschienen Beiträge zur Geschichte des Weltkriegs. Das Bundesministerium für Heerwesen konnte für die Abordnung aktiver Bundesheeroffiziere an das Kriegsarchiv gewonnen werden, wo 1925/26 eine neue kriegsgeschichtliche Abteilung unter der Leitung des ehemaligen Oberstleutnants im Generalstab Rudolf Kiszling (1882–1976) entstand. Die kriegsgeschichtliche Forschung alten Stils wurde wiederbelebt. Hauptaufgabe sollte die Erarbeitung einer militärischen Geschichte des Ersten Weltkriegs aus österreichischer Sicht sein, wozu Bundeskanzler Seipel 1926 seine Zustimmung erteilte. 1929–1938 erschien trotz großer finanzieller Probleme in sieben Darstellungs- und sieben Beilagenbänden samt einem Registerband und zehn Ergänzungsheften unter dem wehmütigen Titel „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ das letzte „Generalstabswerk“ des Wiener Kriegsarchivs und das einzige europaweit, das bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vollendet vorlag.13 Die großangelegte publizistische „Ehrenrettung der alten Armee“ schuf die Basis für ein starkes Wiederanknüpfen an k. u. k. Traditionen durch das Bundesheer, das 1933 in der Wiedereinführung der alten „österreichischen“ Uniformierung gipfelte. Die „Offiziersgeschichtsschreibung“ (O. Überegger) hatte den „Kampf um die Erinnerung“ gewonnen. Unschönes konnte dabei unschön unter den Teppich gekehrt werden, und zwar auch im archivischen Bereich. So ließ Kiszling – selbst Generalstabsoffizier – später als Archivleiter einen Sammelakt zur berüchtigten „Affäre Redl“ B r o u c e k , Peter: Der Nachlaß Feldmarschall Conrads von Hötzendorf und das Kriegsarchivs. In: MÖSt A 28 (1975), S. 164-182. Eigentlich war das Erinnerungswerk bloß eine kommentierte A ktenedition. 13 Das militärische Pendant, wenn man so will, zu dem 1930 erschienenen A kten­ werk „Österreich-Ungarns Außenpolitik 1908 –1914“, das von den Archivaren des Haus-, Hof- und Staatsarchivs erarbeitet wurde. Der ehemalige k. u. k. Seeoff izier Hans Hugo Sokol (1892–1982) behandelte zu gleicher Zeit die Kriegsereignisse auf hoher See: Ö s t e r r e i c h - U n g a r n s S e e k r i e g (Wien 1933). Die Wirtschaftsgeschichte des Weltkriegs wollte die Carnegie-Stiftung behandeln. Der Redaktion gehörten auch Hoen und Glaise-Horstenau an, als Autoren erscheinen u. a. Emil Ratzenhofer (1877–1964) und Hugo Kerchnawe (1872–1949): W i r t s c h a f t s - u n d S o z i a l g e s c h i c h t e d e s W e l t k r i e g e s . Österreichische und ungarische Serie 15 Bde. (Wien 1923 –1932). Vgl. auch K A, MS Carnegie-Stiftung. 12 227 Moesta 54.indb 227 05.08.2010 10:33:10 Michael Hochedlinger Edmund Glaise-Horstenau (1882–1946) in deutscher Generalsuniform 228 Moesta 54.indb 228 05.08.2010 10:33:16 Heeresarchiv (1913) in einem versiegelten Kuvert falsch ablegen und damit für die Forschung verschwinden. Erst 1994 wurde das lange vermisste Konvolut durch Zufall wieder aufgefunden.14 Offiziell figurierte zwar der glänzende Selbstdarsteller Glaise-Horstenau als Herausgeber von „Österreich-Ungarns letzter Krieg“, er erntete auch – obwohl er ab Band 2 kaum noch wirklich Anteil daran nahm und sich mehr und mehr auf militärhistorischen bzw. militärpolitischen Journalismus, eine rege Vortragstätigkeit und schließlich auf seine zunehmend steile politische Karriere konzentrierte – die meisten Lorbeeren, darunter 1932 sogar die philosophische Ehrendoktorwürde der Universität München: für sein mutiges Ankämpfen gegen die „Kriegsschuldlüge“, wie es zur Begründung hieß.15 Die tatsächliche Arbeit leistete freilich Rudolf Kiszling, der auch den Großteil der Beiträge selbst schrieb. Als ewiger Zweiter entwickelte er beträchtliche Ressentiments gegen seinen eitlen Vorgesetzten und betrachtete Glaise – wohl zu Recht – nur als „historisierenden Journalisten“. Für den fehlenden äußeren Erfolg im Schatten eines übermächtigen Vorgesetzten revanchierte sich der nicht minder selbstgefällige Kiszling, indem er sich als eifriger Chronist des Kriegsarchivs für die Zeit zwischen 1925 und 1945 die Deutungshoheit über die Geschichte der Institution zu sichern suchte. Auch im Bereich der Selbstdarstellung lief ihm allerdings Glaise-Horstenau mit seinen 1980–1988 von Peter Broucek postum veröffentlichten Erinnerungen langfristig den Rang ab. Kiszlings autobiographische Beiträge zur Geschichte des Kriegs- bzw. Heeresarchivs blieben hingegen ungedruckt.16 1.3. K. u. k. Nazis? Glaise-Horstenau war seit 1925 im österreichisch-deutschen Volksbund aktiv und gehörte auch dem „Deutschen Club“ an, dem Vereinigungspunkt der Deutschnationalen in Österreich, dessen Geschicke lange Jahre der ehemalige k. u. k. Feldmarschall-Leutnant Carl (Freiherr von) Bardolff (1865–1953) lenkte. Glaise gab trotz des Engagements im deutschnationalen Lager seine publizistische Tätigkeit im katholisch-restaurativen Sinne nicht auf, war auch Vorsitzender der „Katholischen Akademikergemeinschaft“, galt also als „Katholisch U n t e r Ö s t e r r e i c h s F a h n e n . Militärhistorische Kostbarkeiten aus sechs Jahrhunderten. Katalog zur Ausstellung „200 Jahre Kriegsarchiv“, Wien 2001, S. 31. 15 B r o u c e k : Glaise, Bd. 1, S. 51. 16 Für die Zeit der Direktion Glaises vgl. K i s z l i n g , Rudolf: „Beitrag zur Chronik des Österreichischen Kriegsarchivs für die Zeit der Direktionsführung durch Hofrat Generalstaatsarchivar Dr. h. c. Edmund Glaise-Horstenau“: K A, MS/K A 8. Seine autobiographischen Aufzeichnungen spendete Kiszling 1956 dem Kriegsarchiv. Zur Direktion Glaise-Horstenau vgl. auch B r o u c e k : Glaise, Bd. 1, S. 43-52. 14 229 Moesta 54.indb 229 05.08.2010 10:33:17 Michael Hochedlinger Nationaler“. Diese merkwürdige Verbindung von unterschiedlich radikalisiertem großdeutschem Gedankengut und tief verinnerlichter altösterreichischer Traditionspflege kennzeichnet auch so manch anderen Offiziers- und Archivkameraden. Kiszling selbst sprach nach dem Krieg von „k. u. k. Nazis“.17 Das Kriegsarchiv war zwar nicht wie das Haus-, Hof- und Staatsarchiv am Minoritenplatz ein Bollwerk des illegalen Nationalsozialismus – der habsburg­ nostalgische Legitimismus wird wohl unter den ehemaligen Offizieren deutlich stärker gewesen sein. Aber es fehlte auch in der Stiftkaserne, wo sich im höheren und im gehobenen Dienst sehr viele Sudetendeutsche, ein Ungarndeutscher und ein Gottscheer fanden, nicht an NS-Sympathisanten. Kiszling war als Banater Deutscher bekannt „nationalbetont“ eingestellt und im Übrigen wie GlaiseHorstenau der Meinung, dass die k. u. k. „Offiziere deutscher Nationalität“ am treuesten zu Kaiser und Reich gestanden hatten. Schon 1932 entstand im Kriegsarchiv eine über die „Deutsche Beamten­ vereinigung“ getarnte nationalsozialistische „Betriebszelle“, der u. a. die ehemaligen k. u. k. Offiziere und nunmehrigen „militärischen Fachberater“ Franz Fink (1887–1969), Gustav Reichert (1880–1961), Ludwig Schnagl (1888– 1945), Maximilian Raubal (1886–1954) und – als „Leiter“ – Friedrich Hof (1881– 1973), seit 1. Juli 1932 NSDAP-Mitglied und SA-Sturmmann, angehörten. Die Initiative ging nach Aussage Hofs vom Kriegsarchivdirektor Glaise-Horstenau aus, der dadurch „die nationale Bewegung im Institute in akademischen Bahnen vor Radikalismus geschützt wissen wollte“. Nach Hausdurchsuchungen und kriminalpolizeilichen Untersuchungen stellte die Betriebszelle auf explizite Weisung Glaise-Horstenaus ihre Arbeit nach dem Verbot der Partei, spätestens aber im August 1934 ein.18 E g g e r : Kriegsarchiv, S. 37 Anm. 80. Besonders exponierte deutschnationale Off iziere waren die nach 1918 allerdings bereits im Ruhestand bef indlichen Generäle A lfred Krauss (1862–1938), der mit dem Kriegsarchiv im Streit lag, weil er seine Rolle im Serbienfeldzug 1914 im „Generalstabswerk “ nicht hinreichend gewürdigt glaubte, und Hugo Kerchnawe, der sich in der Zwischenkriegszeit Hoffnungen auf die Direktion des Kriegsarchivs machte (1902–1909 als Generalstabshauptmann im Kriegsarchiv). Vgl. dazu auch S c h ö c k l , Marianne: Der Militärhistoriker Hugo Kerchnawe, Lehramtshausarbeit Wien 1982, S. 43 f. Dem bald nach dem Anschluss verstorbenen Krauss bewilligte Hitler ein Staatsbegräbnis. 18 K A, Direktionsakten Zl. 4 164/1938. K A, MS/K A 163 (Fink), 164 (Hof ). Wiener Stadt- und Landesarchiv (in Hinkunft: WStL A), Volksgericht A 1 – VgVr Strafakten Vg2Vr 4 185/45 (Verfahren gegen Friedrich Hof ), besonders die Erklärung Hofs vom 15. November 1945. Nach dem „Anschluß“ gab Hof natürlich an, Parteiarbeit und politische Tätigkeit – die ihm sein Vorgesetzter Kiszling 1940 gerne bescheinigte – erst nach Hausdurchsuchungen und Schikanen im Jahre 1934 eingestellt zu haben. Reichert und Fink, die sich wie die anderen Truppenoffiziere bei der Überstellung in den Zivilstaatsdienst nach 1920 zurückgesetzt sahen, waren es auch, die 1937 in einer sehr deutlichen Denkschrift an die Direktion vehement für eine Remilitarisierung des Archivs eintraten. Kiszling erklärte 17 230 Moesta 54.indb 230 05.08.2010 10:33:17 Heeresarchiv Ernst Wisshaupt (1890–1971) war bis 1934 Mitglied der sozialdemokratischen Partei gewesen und soll deswegen vom Langzeit-Heeresminister Carl Vaugoin kaltgestellt und ins Kriegsarchiv abgeschoben worden sein. Ob er dort zum Nationalsozialismus bekehrt wurde, bleibt offen. Er galt jedenfalls ab Juli 1934 als NSDAP-Mitglied.19 Angelpunkt der Nationalen im Kriegsarchiv mag Kurt von Regenauer (1888– 1945) gewesen sein, der seit 1928 als Verbindungsmann des Reichsarchivs Potsdam bzw. der Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte in der Stiftkaserne amtierte. 20 Auch Bohemien-Existenzen wie der Leutnant a. D. der ukrainischen Armee und Theaterjournalist Hermann (Freiherr von) Rüling (1899–1944) aus alter Offiziersfamilie fanden im Kriegsarchiv unter Glaise-Horstenau Zuflucht. Dass Rüling mehrere Jahre als Sekretär für Generaloberst Schönburg-Hartenstein, unter Dollfuß 1934 Landesverteidigungsminister, gearbeitet hatte, wird der Anstellung und weiteren Förderung nicht geschadet haben. 21 1933/34 stand Glaise-Horstenau in engem Kontakt zum deutschen Militär­ attaché in Wien, später auch zum deutschen Gesandten von Papen, war aber in den Juliputsch der Nationalsozialisten nicht direkt verwickelt. Kurt von Schuschnigg suchte ihn jedenfalls als „Vorzeigenationalen“ zu gewinnen und berief ihn im November 1934 in den Staatsrat und sogar zum Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses. Heinrich Ritter von Srbik ermöglichte Glaise, der ja nur Dr. h. c. der Universität München war, 1934 sogar die Habilitation für Kriegs- und Heeresgeschichte an der Universität Wien. Seine Lehrtätigkeit beschränkte sich schließlich aber auf sich zwar mit dem Anliegen grundsätzlich einverstanden, gab die Projektschrift aber dennoch nicht weiter. Vgl. MS/K A 11: Geschichte des Kriegsarchivs vom 1. September 1936 bis März 1938. 19 K A, MS/K A 170. Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik (in Hinkunft: AdR), Bundesministerium für Inneres (in Hinkunft: BMI) Gauakt Nr. 261 5 72. Wisshaupt war wie Mündl in die Affäre um die „SA-Brigade Jäger“ verwickelt. Vgl. Anm. 104. 20 K A, MS/K A 51: Erinnerungen Dr. Walther Heydendorffs (1971); Direktionsakten Zl. 358/1928. Regenauer galt als Balkanexperte und beschäftigte sich mit den Balkanfeldzügen des Ersten Weltkriegs. Sein bescheidener wissenschaftlicher Nachlass befindet sich heute im K A, Nachlass B/405 (bis 1970 im Haus-, Hof- und Staatsarchiv). Sein Versorgungsakt K A, Versorgungsaktensammlung R 118 454 (14 8 62) gibt leider biographisch nichts her. 21 Rüling erarbeitete gemeinsam mit dem Münchener Professor für Heeres- und Kriegsgeschichte Eugen von Frauenholz (1882–1949) die Fortsetzungsbibliographie „Weltkriegsliteratur“ (1933 –1940). Dem NS-Regime war er natürlich suspekt: „während der Verbotszeit vaterländisch-legitimistisch eingestellt, Mitglied der Heimwehr, eifriger Anhänger der Systemregierung und entschiedener Gegner unserer Bewegung“: AdR, BMI Gauakt Nr. 123 0 95. 231 Moesta 54.indb 231 05.08.2010 10:33:17 Michael Hochedlinger die Geschichte des Ersten Weltkriegs und die „Kriegsschuldfrage“ in militärischer Sicht. Mittlere und neuere Kriegs- und Heeresgeschichte musste ein Untergebener Glaise-Horstenaus vermitteln, Staatsarchivar Ferdinand Stöller, der ebenfalls 1934 habilitiert wurde. 22 Der institutsgeprüfte Stöller galt vor allem als Spezialist für mittelalterliche (Kriegs-)Geschichte, die Wilhelm Erben (1864–1933) Ende der 1920er Jahre zum würdigen Gegenstand der Mediävistik erhoben hatte. 23 Die Etablierung der Militär- bzw. Kriegsgeschichte im universitären Betrieb der Zwischenkriegszeit entsprach einem allgemeinen Trend, der der fortschreitenden Militarisierung von Staat und Gesellschaft in autoritär geführten Ländern Rechnung trug. Im Deutschen Reich wurden in Berlin, Heidelberg und München sogar eigene Lehrstühle bzw. Dozenturen für Kriegs- oder Wehrgeschichte geschaffen. Hohe Militärs erhielten häufig die Ehrendoktorwürde verliehen. Srbik war es auch, dem Glaise die Aufnahme in die Kommission für Neuere Geschichte Österreichs (1931) und später in die Wiener Akademie der Wissenschaften zu danken hatte. 24 Glaise publizierte selbstverständlich im Renommierband der österreichischen Deutschnationalen „Österreich. Erbe und Sendung im deutschen Raum“25 und in offiziösen militärhistorischen Publikationen Nazi-Deutschlands. 26 B r o u c e k : Militärgeschichte, S. 90 f. Dabei hatte sich Srbiks Zwillingsbruder Oberstleutnant im Generalstab Robert von Srbik (1878 –1948) 1922 nach nur kurzem Dienst im Kriegsarchiv in einem aufsehenerregenden Eklat verabschiedet. Er war als „Protektionskind“ auf Intervention des Archivbevollmächtigten Oswald Redlich und natürlich seines Bruders Heinrich im Kriegsarchiv als Leiter der „Neuen Kriegsaktengruppe“ untergebracht worden – unter Präterierung zahlreicher ältergedienter Offiziersarchivare. Vgl. besonders E l m e r : Hoen, S. 730-736. 23 E r b e n , Wilhelm: Kriegsgeschichte des Mittelalters, München-Berlin 1929. 24 1944 wurde auch Kiszling in die Kommission für Neuere Geschichte des zu diesem Zeitpunkt schon „ehemaligen“ Österreich kooptiert. Das angestrebte Ehrendoktorat erhielt er nicht mehr. Dem „militärischen Geist“ der Zeit entsprach es, dass zugleich auch der Direktor des Heeresmuseums A lfred Mell (1880 –1962), 1920 –1934 Leiter der Bibliothek des Kriegsarchivs, in die Kommission aufgenommen wurde. Vgl. F e l l n e r , Fritz: „… ein wahrhaft patriotisches Werk “. Die Kommission für neuere Geschichte Österreichs 1897–2000 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 91), Wien-Köln-Weimar 2001, S. 104, 119. Srbik wollte sich während des Kriegs auch für eine Universitätsdozentur für Seekriegsgeschichte einsetzen, für die der österreichische Marinehistoriker Peter von Handel-Mazzetti (1893 –1981), Korvettenkapitän bei der Kriegswissenschaftlichen Abteilung des Oberkommandos der Kriegsmarine in Berlin, vorgesehen war: K A, Nachlass Bayer-Bayersburg B/388 Nr. 10. 25 Ö s t e r r e i c h s W e h r m a c h t i m d e u t s c h e n S c h i c k s a l . In: Nadler, Josef – Srbik, Heinrich von (Hg.): Österreich. Erbe und Sendung im deutschen Raum (3. Auf l.), Salzburg-Leipzig 1936, S. 207-222. 26 Vgl. seine Beiträge „A lt-Österreichs Heer in der deutschen Geschichte“ und „ÖsterreichUngarns Völkerheer 1866 –1918 im deutschen Schicksal“ in dem von Karl L i n n e b a c h (1879–1961) herausgegebenen Band Deutsche Heeresgeschichte, Hamburg 1936. 22 232 Moesta 54.indb 232 05.08.2010 10:33:18 Heeresarchiv Nach dem Stillhalteabkommen zwischen Schuschnigg und Hitler vom Juli 1936 trat GlaiseHorstenau als „Garant“ dieses Vertrags und Vertreter der deutschnationalen Opposition in die österreichische Regierung ein (Minister ohne Portefeuille, später Innenminister) und setzte Rudolf Kiszling als „einstweiligen“ Leiter des Kriegsarchivs ein (Oktober 1936). Dafür musste der stellvertretende Direktor und Leiter der Kartensammlung, der bekannte Althistoriker Dr. Erich Nischer von Falkenhof (1879–1961), unter Zusicherung der Beförderung zum Generalstaatsarchivar in den Ruhestand gedrängt werden. Kiszling war in Wahrheit nur Audienz beim „Führer“ 1937 eine Art Direktor auf Abruf, denn (rechts: Glaise-Horstenau – im Hintergrund: Kiszling) Glaise trug ihm auf, in grundsätzlichen Fragen stets mit ihm Rücksprache zu halten, und behielt sich auch die Repräsentation nach außen vor. Erst 1937 räumte Glaise das Direktionszimmer, das er nach dem Wechsel in die Politik in kritischen Stunden gerne als Refugium nutzte. 27 Nur vordergründig zu den angesprochenen reservaten Repräsentationsaufgaben zählte die Vertretung Österreichs bei der feierlichen Amtseinführung des Chefs der deutschen Heeresarchive im April 1937. In Wahrheit hatte Schuschnigg Glaise damit betraut, Hitlers Absichten auf Österreich zu sondieren, und musste dabei in Kauf nehmen, dass ein österreichisches Regierungsmitglied den Diktator bei der Audienz in der Reichskanzlei mit „Mein Führer!“ ansprach und sich auch des 27 Vgl. K i s z l i n g , Rudolf von: „Geschichte des Kriegsarchivs vom 1.9.1936 bis März 1938“ (K A, MS/K A 11) bzw. „Meine Direktionsführung im Kriegsarchiv vom 1.9.1936 bis zur Eingliederung Österreichs in das deutsche Reich“ (K A, MS/K A 13-I). B r o u c e k : Glaise, 2, S. 88: Kiszling war wie sehr viele Mitarbeiter des Kriegsarchivs in dieser Zeit evangelisch, was Glaise-Horstenau, der seinen Freund und Jahrgangskameraden Meduna als Leiter eigentlich für geeigneter hielt, vor Bundeskanzler Schuschnigg geheim halten zu sollen glaubte. Nischer-Falkenhof versuchte nach 1945 verzweifelt (bis hinauf zum Verwaltungsgerichtshof ), sich als erstes Opfer der NS-Willkür (vor 1938!) darzustellen. Vgl. K A, Nachlass Nischer-Falkenhof B/1 0 55 Nr. 23 und 24. 233 Moesta 54.indb 233 05.08.2010 10:33:20 Michael Hochedlinger „deutschen Grußes“ bediente. Dass der wenig geschmeidige Kiszling, der Glaise nach Berlin begleiten durfte, Hitler damals in einem Gespräch mit deutschen Generälen als „Hysteriker“ bezeichnete, blieb hingegen ein sorgsam gehütetes Geheimnis. 28 2. Das Kriegsarchiv als Teil der deutschen Heeresarchivverwaltung 29 Nach dem „Anschluß“ im März 1938 trennten sich die Wege der bis dahin nur lose zusammengefassten Wiener Zentralarchive: die „zivilen“ Abteilungen wurden zum Reichsarchiv Wien unter der Leitung des Direktors des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Ludwig Bittner (1877–1945) zusammengefasst, das Kriegsarchiv erreichte seine Remilitarisierung. 2.1. Die Überführung in das deutsche System Wenige Tage nach der Besetzung Österreichs beantragte Kiszling als geschäftsführender Direktor des Wiener Kriegsarchivs die Übernahme seiner Anstalt mit 38 Beamten (darunter acht Mitarbeiter des wissenschaftlichen Dienstes und neun „militärische Fachberater“) und 25 sonstigen Bediensteten in die deutsche Heeresarchivorganisation (18. März 1938). Im Reich war es ab 1934 zu einer Remilitarisierung der Kriegsgeschichts­ schreibung und schließlich auch des Militärarchivwesens gekommen. Durch Verselbständigung der historischen Abteilung des Reichsarchivs Potsdam entstand 1934 die Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte 28 29 K i s z l i n g : Beitrag (wie Anm. 16): K A, MS/K A 8; B r o u c e k : Glaise, 2, S. 167-177. Die zentrale Überlieferung für die Geschichte des Kriegs- bzw. Heeresarchivs ist natürlich die Registratur der Anstalt selbst (K A, Direktionsakten); sie ist gerade für die NS-Zeit sehr umfangreich, inhaltlich aber oft enttäuschend. Reiches Material, Zweitund Drittschriften von Stücken aus den Direktionsakten, Sammelakten aus originalen Dienststücken und sehr viel Ergänzendes enthalten die „Manuskripte zur Geschichte des Kriegsarchivs“, die aus dem Schriftgut der Abteilungskanzleien, Schreibtischnachlässen und bewusster chronikaler Überlieferung zusammengestoppelt wurden. Eingehend, wenn auch stark subjektiv-rechtfertigend gefärbt und daher gerade für diesen kritischen Zeitabschnitt mit der gebührenden Vorsicht zu gebrauchen: K i s z l i n g , Rudolf: Die Übernahme des österreichischen Kriegsarchivs in die deutsche Wehrmacht (K A, MS/ K A 12, masch.) und Die Überleitung des österreichischen Kriegsarchivs in die deutsche Wehrmacht (K A, MS/K A 13 [III], handschriftlich, abweichend). Beilagensammlung dazu in MS/K A 14. Die archivalische Überlieferung der Dienststelle „Chef der Heeresarchive“ (R H 18) im Bundesarchiv/Militärarchiv, Freiburg im Breisgau, konnte im vorliegenden Rahmen nicht ausgewertet werden. Ein Teil bef indet sich noch im Sonderarchiv Moskau. Die NS-Zeit behandeln die Arbeiten von B r o u c e k : Militärgeschichte, S. 100-102; B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte, S. 99-105 (mit vorigem weitgehend deckungsgleich) und E g g e r : Kriegsarchiv, S. 36-39. 234 Moesta 54.indb 234 05.08.2010 10:33:20 Heeresarchiv ( 1 9 3 7 : K r i e g s g e s c h i c h t l i c h e Forschungs­a nstalt des Heeres). 30 Im April 1937 wurde aus der Abteilung II des Reichsarchivs (Militaria), den Reichs­a rchivzweigstellen in Dresden und Stuttgart und dem Kriegs­a rchiv München eine separate Heeres­ archivorganisation gebildet. Diese war wie die Forschungsanstalt dem Chef des Generalstabes (Ober­quartier­ meister V) unterstellt. An der Spitze stand der „Chef der Heeres­a rchive“ Generalmajor (später General der Artillerie) Friedrich von Rabenau (1884–1945), Dr. phil. h.c. der Uni­ versität Breslau. Luftwaffe und Marine hatten oder schufen sich jeweils eigene Kriegs­ wissenschaftliche Abteilungen und gesonderte Archivstrukturen. Auch Rudolf Kiszling (1882–1976) in wenn letztere keinem Vergleich mit dem deutscher Generalsuniform Bereich des Chefs der Heeresarchive mit in Summe 735 Bediensteten (1943) stand­h ielten: die heillose Zersplitterung des Militärarchivwesens war durch die Segmentierung nach Waffengattung – 1942 entstand sogar ein eigenes Archiv der Waffen-SS – vorprogrammiert. 31 Bereits Anfang April 1938 besuchte der Chef der Heeresarchive General Rabenau das Wiener Kriegsarchiv, das mit 1. Juli 1938 im Einvernehmen mit dem Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich wunschgemäß als „Heeresarchiv Wien“ in die deutsche Organisationsstruktur eingepasst wurde. Die Bediensteten wurden zu uniformierten Wehrmachtsbeamten. Selbst der „beurlaubte Direktor“ GlaiseU m b r e i t , Hans: Von der preußisch-deutschen Militärgeschichtsschreibung zur heutigen Militärgeschichte. Teilstreitkraft Heer. In: G e r s d o r f f : Geschichte, S. 17-54; H i l l e r v o n G ä r t r i n g e n , Friedrich Freiherr: Militärgeschichte in Deutschland von 1918 bis 1945. In: Militärgeschichte, S. 108-133. 31 S t a h l , Friedrich-Christian: Die Organisation des Heeresarchiv wesens in Deutschland 1936 –1945. In: Heinz Boberach – Hans Booms (Hg.): Aus der Arbeit des Bundesarchivs. Beiträge zum Archiv wesen, zur Quellenkunde und Zeitgeschichte (Schriften des Bundesarchivs 25), Boppard-R hein 1978, S. 69-101 und D e v a n t i e r , Sven Uwe: Das Heeresarchiv Potsdam. Die Bestandsaufnahme in der Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs. In: Der Archivar 61 (2008), S. 361-369. 30 235 Moesta 54.indb 235 05.08.2010 10:33:25 Michael Hochedlinger Horstenau beeilte sich, die monarchisierte Bundesheeruniform gegen den deutschen Generalsrock umzutauschen … und im neuen Gewand auch das Kriegsarchiv aufzusuchen. Sein Amtsvorgänger, Feldmarschall-Leutnant Hoen, konnte sich dabei den Ausruf nicht verkneifen: „Nun ist Königgrätz endgültig verloren!“32 2.2. Personalia Personelle Säuberungen hielten sich im Kriegsarchiv 1938 in sehr engen Grenzen. Der nominelle Direktor Glaise-Horstenau war seit vielen Jahren ein „Parade-Ostmärker“ im Blickpunkt der Öffentlichkeit; im Kabinett SeyssInquart fungierte er im März 1938 für wenige Tage sogar als Vizekanzler. Das Kriegsarchiv galt insgesamt, wie man sich nach dem „Anschluß“ gerne rühmte, als „braunes Haus“ und „Nazinest“; deshalb hatte man angeblich auch seitens der Polizei einiges zu erdulden gehabt und fühlte sich bei Belohnungsanträgen vom Ständestaat systematisch zurückgesetzt. „Dessen ungeachtet“, schrieb Kiszling 1939 stolz nach Potsdam, „wurde bei uns die Idee des Anschlusses nicht nur illegal, sondern ganz offen hochgehalten.“33 Der Chef der Heeresarchive Rabenau hatte bei seinem Besuch im Zwiegespräch mit Kiszling rasch durchblicken lassen, dass er selbst durchaus kein National­ sozialist, sondern altpreußischer Monarchist war … für Kiszling nach eigener Aussage ein Signal, ebenfalls keine Parteimitgliedschaft anzustreben. 34 Die übrigen Mitarbeiter des Heeresarchivs mussten hingegen einen ganz anderen Eindruck gewinnen, erklärte ihnen Rabenau doch in seiner Vorstellungsansprache, es sei erwünscht, dass jeder Bedienstete der Partei beitrete. Entfernt wurde sofort nach dem „Anschluß“ der 1920 mit dem Militär­ gerichtsarchiv übernommene einzige jüdische Mitarbeiter des Kriegsarchivs, Amtsrat Paul Panzierer (1882–1961), der nach Venezuela auswanderte und hier einen Exilösterreicher-Verband auf baute. 35 B r o u c e k : Glaise, Bd. 2, S. 306. Kiszling an Heeresarchivdirektor Georg Strutz (1893 –1963), die rechte Hand Rabenaus (26. August 1939): K A, MS/K A 14, Beilage 6. 34 Kiszling stellte in Wahrheit am 11. Mai 1938 einen Antrag auf Aufnahme in die Partei. Das Gaupersonalamt beurteilte ihn sehr kritisch und als nicht für die nationalsozialistische Idee zu gewinnen. Kiszling sei eine ehrsüchtige Strebernatur und überhaupt „der Typus jenes altösterreichischen Beamtentums […], dass [!] sich jedem herrschenden Regime anzupassen versteht“ und außerdem „ein gewisses Gefühl für Konjunktur“ besitze: AdR, BMI Gauakt Nr. 495. 35 In Entsprechung des Erlasses vom 8. April 1938 betreffend die Dienstentlassung von Juden: K A, Direktionsakten Zl. 1 9 02/1938. Von Venezuela aus engagierte sich Panzierer nach dem Krieg mit Spendenaktionen für den Wiederauf bau Österreichs. Im Oktober 1946 ersuchte er vergeblich um Wiederanstellung im Kriegsarchiv. 1947 wollte er vom 32 33 236 Moesta 54.indb 236 05.08.2010 10:33:25 Heeresarchiv Glaise-Horstenau (links außen in Zivil) auf dem Obersalzberg 1938 In den (unfreiwilligen) Ruhestand versetzte man nach längerer Untersuchung Ende 1939 die „militärischen Fachberater“ Amtsrat Ludwig Schnagl, immerhin NS-Sympathisant, und Dr. phil. Albin Hausknecht (1888–1961). Sie hatten 1935 Informationen über deutsche Sabotageakte in Nordamerika während des Ersten Weltkriegs weitergegeben, die in weiterer Folge zu Reparationsforderungen der USA führten, und waren schon damals auf Intervention der deutschen Vertretung in Wien gemaßregelt worden. 36 Entlassen wurde mit 1. März 1939 Staatsarchivar (Heeresarchivrat) Dr. Joseph Sokoll (1898–1966), und zwar auf Grundlage der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums (seine Frau war „Mischling ersten Bundespräsidenten zumindest mit dem Titel „Regierungsrat“ belohnt werden: K A, Direktionsakten Zl. 1 187/1946, 6, 362 und 432/1947. Panzierer starb 1961 in Salzburg. 36 K i s z l i n g : Beitrag (wie Anm. 16): MS/K A 8; Direktionsakten Zl. 5 5 81/1938. Die kriegsarchiveigenen Personalunterlagen der beiden wurden 1939 zu Untersuchungszwecken an die Reichsstatthalterei ausgefolgt und sind nicht zurückgekehrt. Hausknecht erreichte nach 1945 seine Rehabilitierung: AdR, Bundeskanzleramt (in Hinkunft: BK A) Personalakten (in Hinkunft: PA) II. Republik Personalakt Hausknecht A lbin. 237 Moesta 54.indb 237 05.08.2010 10:33:27 Michael Hochedlinger Grades“, Vater, Onkel und Tante wurden später verschleppt). 37 Sokoll ließ sich im Einvernehmen mit seiner Gattin scheiden, lebte aber weiterhin mit ihr zusammen (1946 heiratete er sie zum zweiten Mal) und wurde dafür im Dezember 1939 wieder eingestellt. Glimpflich kam der in legitimistischen Kreisen gut vernetzte Meduna davon: Er wurde nur aufgefordert, seine engen Kontakte zur Familie Habsburg-Lothringen abzubrechen, und bemühte sich nun umso engagierter um die Aufnahme in die NSDAP. Dass er die „richtige“ Einstellung hatte, bewies er schon 1934, als er sich während des „marxistischen Putsches“ sogar zum Dienst mit der Waffe meldete. 38 Die Hochstimmung unter den Anschlussbefürwortern wurde bald dadurch gedämpft, dass das komplexe österreichische Personal- und Entlohnungsschema bei der Übernahme der Bediensteten als Wehrmachtsbeamte nicht abgebildet werden konnte. Die meisten fielen in der Hierarchie deutlich zurück, die A-Beamten um einen Rang, die B-Beamten sogar um zwei Stufen. Die Regierungs- und Amtsräte unter den „militärischen Fachberatern“ (Oberstleutnants) sahen sich so zu „Verwaltungsamtmännern“, bestenfalls zu „Regierungsoberinspektoren“ im Hauptmannsrang degradiert. Es bedurfte engagierter Korrespondenzen mit der Zentrale in Potsdam, um die Wogen zu glätten. In der Zwischenzeit sollte das Zugeständnis beruhigend wirken, dass die Betroffenen auf ihrer Wehrmachtsuniform (mit Kriegsausbruch im September 1939 bestand Uniformpflicht!) die Rangabzeichen ihrer höheren österreichischen Einstufung tragen durften. Auch der Archivleiter Kiszling war betroffen: Als österreichischer Generalstaatsarchivar rangierte er nach dem Anschluss zunächst nur als Heeresoberarchivrat (Oberstleutnant), im April 1939 wurde er dann (mit Wirkung vom 1. Oktober 1938) immerhin als Oberst höherer Gebühr mit dem Titel „Heeresarchivdirektor“ und dem Recht, die Rang- und Dienstgradabzeichen eines Generalmajors zu führen, eingestuft. Für die Nicht-Generalstabsoffiziere, die nach 1920 den Sprung in den höheren Dienst nicht geschafft hatten, ergab sich mit 1. Oktober 1939 sogar eine unverhoffte Wendung zum Besseren: Sie wurden endlich ihren akademischen bzw. akademisch eingestuften Kollegen gleichgestellt und zu „Heeresarchivräten“ ernannt. Trotzdem sollten nach 1945 viele Mitarbeiter des Heeresarchivs, auch Parteimitglieder, ihre (einstweilige) hierarchische Rückstufung benützen, um auch sich selbst ein wenig als Opfer des NS-Regimes in ein besseres Licht rücken zu können. Kiszling setzte sich unter Hinweis auf Sokolls Verdienste vergeblich für seine Belassung ein: K A, Direktionsakten Zl. 2 8 25/1938. 38 K A, MS/K A 166: Personalfragebogen Meduna (15. November 1938). 37 238 Moesta 54.indb 238 05.08.2010 10:33:27 Heeresarchiv Josef Mündl (1887–1950) Viktor Meduna (1881–1942) Dr. Eduard Czegka (1887–1953) Dr. Josef Sokoll (1898–1966) Dr. Walter Nemetz (1910–1958) Heinrich Bayer (1889–1980) 239 Moesta 54.indb 239 05.08.2010 10:34:39 Michael Hochedlinger Karl Martinez (1879–1961) Gustav Reichert (1880–1961) Friedrich Hof (1881–1973) Franz Fink (1887–1969) Ernst Wisshaupt (1890–1971) Hermann Rüling (1899–1944) 240 Moesta 54.indb 240 05.08.2010 10:35:26 Heeresarchiv An der seit 1936 de jure recht unklaren Situation in der Führungsetage des Kriegsarchivs änderte sich nach dem Anschluss im März 1938 nicht viel. Glaise wurde zwar Mitglied des Reichstages und SA-Brigadeführer und war schließlich sogar als Präsident einer erst zu schaffenden reichsweiten Verwaltung der zivilen Reichsarchive im Gespräch. Dem ungeduldigen Kiszling bedeutete man trotzdem, dass auch die deutsche Heeresarchivverwaltung Glaise-Horstenau ein Rückkehrrecht zugesichert hatte. Die reale Gefahr war freilich spätestens dann gebannt, als Glaise im April 1941 zum „Deutschen General in Agram“ ernannt wurde und so dem Kriegsarchiv auch physisch ferne stand. Der Gesamtpersonalstand wuchs indes an und erreichte 1942–43 mit 87 Personen (darunter konstant acht Mitarbeiter des höheren Dienstes) den Maximal­ stand. 39 Wiederholte Kommandierungen in militärarchivischen Belangen oder die Einberufung tauglicher Männer zur Kriegsdienstleistung rissen aber seit Kriegsbeginn böse Lücken in die Reihen der Mitarbeiter. Viktor Meduna starb 1942 nach längerem Herzleiden in einem schlesischen Kur­lazarett, Rüling, seit 1939 dauernd im Felde, 1944 an Tuberkulose. Durch Reaktivierung pensionierter Kollegen konnte man einige Lücken notdürftig schließen. So kehrten etwa 1939–1944 Hofrat Oberst Maximilian Ehnl (1875–1954), der 1925 aus Enttäuschung über Glaises Bestellung zum Direktor in den Ruhestand getreten war, 1940–1944 Hofrat Oberst Blasius Schuster (1878–1949) und 1940–1946 auch Hofrat Jakob Gallent (1877–1950) als wissenschaftliche Angestellte an ihre alte Dienststelle zurück. 40 Feldmarschall-Leutnant i. R. (Generalleutnant z. V.) Rudolf Schneider (1879–1967) erarbeitete im Auftrag des Oberkommandos des Heeres zunächst „Richtlinien für die Gebirgsbefestigung“, dann ein sehr umfangreiches Manus­ kript über das Fortifikationswesen Österreich-Ungarns 41 und sollte sich schließlich als Vertragsangestellter (1942–1945) ordnend und verzeichnend der technisch und fortifikatorisch relevanten Bestände des Heeresarchivs annehmen, die man zu einer eigenen Sachgebietsgruppe „Technische Akten“ unter seiner Leitung zusammenzog (Geniehauptamt/Generalgeniedirektion, Artilleriehauptzeugamt/ Generalartilleriedirektion, Technisches Militärkomitee usw.). Generalmajor Inventar 1, S. 34 f. Der Mayerling-Forscher Oberstleutant Dr. Hermann Zerzaw y (1880 –1976), 1919–1932 (1937) im Wiener Kriegsarchiv, hatte weniger Glück, als er sich um Aufnahme in die Prager Heeresarchivzweigstelle bemühte. Kiszling bezeichnete ihn auf Befragen der Prager Kollegen als Wichtigtuer, Mitglied der Paneuropa-Bewegung und mutmaßlichen Freimaurer: K A, MS/K A 14. 41 Das Manuskript blieb ungedruckt, heute K A, Manuskripte zur Geschichte der Reichsbefestigung Nr. 1 ff. Insgesamt vgl. B r o u c e k , Peter: Bemerkungen zu den Manuskripte-Sammlungen des Kriegsarchivs. In: MÖSt A 49 (2001), S. 117-130, hier S. 127. 39 40 241 Moesta 54.indb 241 05.08.2010 10:35:27 Michael Hochedlinger (des Bundesheeres) Adolf Staab (1882–1970) betreute 1941–1945 den Bestand Territorialkommanden. Die technische Ausstattung des Archivs verbesserte sich: Erstmals erhielt das Kriegsarchiv eine eigene Lichtbildstelle. Bis dahin hatte man Privatfirmen beauftragen oder aber die besser ausgerüstete Ungarische Archivdelegation um Hilfe bitten müssen. 2.3. Die „verlorenen Söhne“: Kriegsmarinearchiv, Heeresbücherei, Luft(fahrt)archiv Die Überführung in reichsdeutsche Organisationsstrukturen implizierte eine Zerschlagung des Archivs in seiner bisherigen Form: Marine und Luftwaffe forderten ihre Anteil. Auch Glaise zeigte sich über die „preußische Unifizierungswut“ entsetzt. 42 Auf Weisung des Marineoberkommandierenden Admiral Raeder (20. Mai 1938) wurde zunächst das Marinearchiv ausgegliedert und dem Marine­ober­ kommando (Kriegswissenschaftliche Abteilung der Marine) unterstellt. 43 An der Spitze des „neuen“ Kriegsmarinearchivs Wien blieb der bisherige Leiter des Marinearchivs Titular-Korvettenkapitän Maximilian Raubal, „ein übermäßig genauer und dienstfordernder Kanzlei-Fuchs“ (H. Bayer-Bayersburg). Er hatte im Ersten Weltkrieg als k. u. k. Linienschiffsleutnant gedient. Wegen spinaler Kinderlähmung galt er als zu 75 Prozent erwerbsunfähig, führte aber dennoch ab 1920 als Amtsrat-Regierungsrat („militärischer Fachberater“) das dem Kriegsarchiv einverleibte Marinearchiv. 1939 als Seeoffizier reaktiviert, stieg er in der deutschen Kriegsmarine noch bis zum Kapitän zur See (1944) auf. 44 Sein bloß mit Personal- und Verwaltungsangelegenheiten befasster Stellvertreter war Korvettenkapitän Dipl. Ing. Rudolf Pfeffer (1897–1945), der es im Krieg zum Fregattenleutnant gebracht und danach als Ingenieur bei AEG gearbeitet hatte. 1938, noch kurz vor dem „Anschluß“, entkam er der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme in das Kriegsarchiv. Die Marinebibliothek führte ab Jänner 1944 der B r o u c e k : Glaise, 2, S. 307. K A, Direktionsakten Zl. 2 814/1938. Nur ganz wenige organisationsgeschichtliche Bemerkungen leider bei W a g n e r , Walter: Das Archiv der k. u. k. Kriegsmarine im Kriegsarchiv Wien. In: Österreich zur See (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 8), Wien 1980, S. 91-107. Die reichsdeutsche Organisationsstruktur erläutert S a n d h o f e r , Gert: Von der preußisch-deutschen Militärgeschichtsschreibung zur heutigen Militärgeschichte. Teilstreitkraft Marine. In: G e r s d o r f f : Geschichte, S. 5566. Die Überlieferung der Kriegswissenschaftlichen Abteilung und des Marinearchivs erliegt heute im deutschen Bundesarchiv R M 8. 44 K A, MS/K A 168. 42 43 242 Moesta 54.indb 242 05.08.2010 10:35:27 Heeresarchiv als kriegsversehrt aus dem aktiven Marinedienst ausgeschiedene Korvettenkapitän Franz Nejebsy (1884–1953). „Referent für historische Angelegenheiten“ im Marinearchiv war der später als Marinehistoriker hervorgetretene ehemalige k. u. k. Korvettenkapitän Heinrich Bayer von Bayersburg (1889–1980), der 1921–1938 im Bundesministerium für Inneres bzw. im Bundeskanzleramt, ab 1938 im Amt des Reichsstatthalters gearbeitet hatte, ehe ihn die deutsche Kriegsmarine reaktivierte und er im Dezember 1940 als Offizier z. V. ins Marinearchiv kam. 45 Insgesamt verfügte Raubal gegen Kriegsende über zwölf Mitarbeiter. Maximilian Raubal (1886–1954) Jaromir Diakow (1882–1970) Dr. Ferdinand Stöller (1891–1968) Die Bibliothek des Kriegsarchivs ordnete man 1938 als Zweigstelle der Berliner Heeresbücherei nach, 1941 wurde sie als Heeresbücherei Wien verselbständigt (1945: 350 0 00 Bände). Zu ihrem Aufgabenbereich gehörten auch die Bibliothek der Theresianischen Militärakademie und die zu Kriegsende großteils vernichtete Wehrkreisbücherei XVII. Leiter blieb Ferdinand Stöller mit (1945) neun Mit­ arbeitern. Für eine besonders schillernde Figur der 1930er und 1940er Jahre, Jaromir Diakow (1882–1970), richtete die Luftwaffe noch im Sommer 1938 in Wien eine Zweigstelle ihrer „Kriegswissenschaftlichen Abteilung“ (1943: Generalstab der Luftwaffe, 8. Abteilung, Teilkommando Wien) mit einem eigenen Luft(fahrt) 45 K A, MS/K A 161; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); AdR, BK A PA II. Republik PA Bayer Heinrich. B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte, S. 292 f. Bayers Lebenserinnerungen liefern z. T. interessante Beiträge zur Geschichte des Marinearchivs: K A, Nachlass Bayer-Bayersburg B/388 Nr. 20-21 (Kopien). Im Marinearchiv arbeitete außerdem Linienschiffskapitän d. R. Erno K lein († 1948). Etwas Material zur Geschichte des Marinearchivs 1938 –1945 f indet sich in K A, MS/K A 159. 243 Moesta 54.indb 243 05.08.2010 10:35:40 Michael Hochedlinger archiv ein, die dem Chef des Generalstabs der Luftwaffe in Berlin unterstand. Für das neue „Archiv“ entnahm man den entsprechenden Beständen des Kriegsarchivs (insbesondere Kriegsministerium und Ministerium für Heerwesen bzw. Landesverteidigung) kurzerhand die auf die militärische Luftfahrt des Ersten Weltkriegs und des Österreichischen Bundesheeres bezüglichen Registraturteile, mit allen Problemen und Inkonsequenzen, die mit solch willkürlich geschaffenen Auslesearchiven verbunden sind. Hinzu kamen später Schriftgut der deutschen Luftwaffe, nämlich der Luftflotte 4, und Beutematerial aus Jugoslawien und der Tschechoslowakei. 46 Diakow hatte die Theresianische Militärakademie und die Kriegsschule absolviert. Nach Kriegsdienstleistung im Generalstabsdienst schied er 1920 als Major aus, um in der Privatwirtschaft zu arbeiten. 1927–1930 war Diakow Stabsleiter beim Österreichischen Heimatschutz, 1933–1935 Leiter des freiwilligen und des staatlichen Arbeitsdienstes. 1930–1936 gehörte er – mit Unterbrechungen – als Mitarbeiter am Generalstabswerk dem Personalstand des Kriegsarchivs an. 1936 holte ihn sein Freund General Alexander Löhr, der Kommandant der österreichischen Luftstreitkräfte, in seinen Kommandobereich. 1939 wurde Diakow, der sich nach 1938 als illegaler Nationalsozialist und Mitwisser des Juli-Putsches 1934 darzustellen suchte, in den Dienststand der deutschen Luftwaffe übernommen und brachte es hier noch bis zum Oberst. 47 Das wissenschaftliche Personal Diakows – der Dienststand insgesamt betrug maximal 19 Köpfe – bestand aus Angehörigen der Luftwaffe, aber auch Ruhestandsoffizieren, die in der k. u. k. Luftfahrtruppe gedient hatten und jetzt als freiwillige wissenschaftliche Mitarbeiter zur Geschichte ihrer Waffengattung sammeln und „forschen“ wollten; einige Manuskriptbände zur österreichischungarischen Luftkriegsgeschichte 1914–1918 konnten fertig gestellt werden, gedruckt wurde fast nichts. 48 Denn die Luftwaffe erwartete sich in erster Linie Inventar 2, S. 69-75. K A, Direktionsakten Zl. 2 554/1938, Zl. 3 3 81/1938, Zl. 3 7 89/1938, Zl. 1 9 61/1945 (Erich Kahlen, Beitrag zum Werdegang in der Entwicklungsgeschichte des österreichischen Luftfahrtarchivs in Wien). Splitterüberlieferung in K A, MS/K A 60. Teile der Registratur des Luftfahrtarchivs K A, MS/K A 366-378. Personalia von Angehörigen der Zweigstelle Wien in MS/K A 37 und 255. Zu den reichsdeutschen Strukturen insgesamt K ö h l e r , Karl: Von der preußisch-deutschen Militärgeschichtsschreibung zur heutigen Militärgeschichte. Teilstreitkraft Luftwaffe. In: G e r s d o r f f : Geschichte, S. 67-73. Im Bundesarchiv, Militärarchiv, Freiburg, erliegt der Bestand R L 2-IV Kriegswissenschaftliche Abteilung des Generalstabes der Luftwaffe. 47 Zur Person Diakows vgl. K A, MS/K A 26; MS/K A 162; Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); Nachlass B/727 und auf dieser Grundlage B l a s i , Walter: Vom Fin de siècle bis zur Ära Kreisky. Erlebte österreichische Geschichte am Beispiel des Jaromir Diakow (Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs 5), Wien 1996. 48 K A, MS/K A Manuskripte zur Geschichte der militärischen Luftfahrt. Vgl. die Liste der Arbeiten des Luftfahrtarchivs im Inventar 2, S. 72. 46 244 Moesta 54.indb 244 05.08.2010 10:35:40 Heeresarchiv applikatorische, im Wesentlichen militärgeographische Forschung, etwa zu den Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkriegs, die mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wieder aktuell wurden. Im Luftarchiv fand auch ein Mann Zuflucht, der in der Geschichte des Kriegsarchivs nach 1945 noch eine große Rolle spielen und – nach erheblichen Anfangsschwierigkeiten – sogar zum Direktor aufsteigen sollte: Dr. rer. pol. Oskar Regele (1890–1969). Als Sohn eines k. u. k. Offiziers besuchte er die Theresianische Militärakademie, kämpfte im Ersten Weltkrieg als Hauptmann und machte nach dem Zusammenbruch im Österreichischen Bundesheer eine steile Karriere bis zum Pressereferenten und Ministeradjutanten, 1933 zum Militärattaché für Ungarn und Rumänien und Oberst. 1938 war Regeles Ernennung zum Kommandanten der Theresianischen Militärakademie vorgesehen. Der Anschluss verhinderte dies, Regele wurde als überzeugter Anhänger des Ständestaates zwangspensioniert und lebte bald in bedrängten materiellen Verhältnissen. Sein Versuch einer Reaktivierung als Offizier scheiterte 1940 am Einspruch der NS-Parteistellen. Im November 1941 verschaffte ihm Diakow ein Unterkommen als freiwilliger Mitarbeiter seiner Abteilung, wo er zur Geschichte der k. u. k. Fliegertruppe im Ersten Weltkrieg arbeitete. 49 Räumlich und praktisch hatten die Ausgliederungen keine tiefgreifenden Folgen; sie konnten daher 1945 ohne Mühe rückgängig gemacht werden. Das Marinearchiv mit seinem erst 1930 vollständig in die Stiftkaserne eingesiedelten Bestand und die Heeresbücherei Wien blieben auch nach 1938 in ihrem angestammten Gebäude. Nur das winzige Luftarchiv bezog 1940/1941 eigene Räumlichkeiten in der ehemaligen Leibgardeinfanterie-Kaserne in der KarlSchweighofergasse 3 unweit der Stiftkaserne.50 K A, MS/K A 168; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Nachlass B/656; K A, Direktionsakten Zl. 1 6 40/1945; AdR, BK A PA II. Republik Personalakt Regele Oskar; BMI Gauakt Nr. 169 0 81. Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs Personalakt Regele Oskar. Nachruf von Johann Christoph A l l m a y e r - B e c k . In: MÖSt A 22 (1969), S. 532-540; B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte, S. 566-574. Andere hielten die Zwangspensionierung 1938 für eine nicht unverdiente „Retourkutsche“ des NS-Regimes, da Regele, wie es hieß, 1936 seinen Militärattaché-Kollegen Lothar Rendulic (1887–1971), später deutscher Generaloberst, wegen seiner NS-Sympathien denunziert und damit dessen vorzeitige Ruhestandsversetzung provoziert hatte. Die NSOrtsgruppenleitung beurteilte Regele 1940 natürlich sehr kritisch. Er sei „groß, schlank “, habe „ein hochnasiges elegantes Benehmen. […] Sein Auftreten im Beruf ist nach unten scharf und herrisch, gegen Gleichgestellte arrogant, gegen Höhergestellte sehr ergeben“ (Gauakt Regele). 50 K A, Direktionsakten Zl. 7 6 94/1940. 49 245 Moesta 54.indb 245 05.08.2010 10:35:41 Michael Hochedlinger 2.4. Von der Forschungsanstalt zur Aktensammelstelle Kiszling versuchte sich nach 1945 gerne als unbeugsamer Hüter (alt-) österreichischer Traditionen gegen die „Prussifizierungsabsichten“ der Heeres­ archivverwaltung darzustellen – nicht ganz zu Unrecht. Seine Form des „Widerstands“ galt etwa dem preußisch-deutschen Aktenplan, der sich mit der österreichischen Kanzleitradition der Einzelfallakten nicht vertrug, oder der Einführung der für ihn lächerlichen deutschen Archivterminologie (Aktenbund statt Faszikel, Aktenbuch statt Protokoll, „hinterlegter Bestand“ statt Nachlass usw.). Am meisten erbitterte den Schriftleiter von „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ aber die bald aus Potsdam einlangende Direktive, das Heeresarchiv habe möglichst nur die amtliche Fremdforschung (durch die kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt) zu unterstützen und im übrigen „nicht totes Aktenmaterial zu sammeln, sondern Quellen lebendiger soldatischer Geistesbildung zu erhalten und zu erschließen“.51 Kaum war „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ 1938 mit dem letzten Band abgeschlossen, da machte auch schon der „Anschluß“ das ganze traditionspflegerische Unternehmen zum Produkt einer anderen, überlebten Zeit. Die Mitarbeiter kamen dadurch weitgehend um die erhoffte breitere Anerkennung, sieht man von einem Belobigungsschreiben des Oberbefehlshabers des Heeres ab. Bei Kiszling, der sich kaum als „Archivar“ gefühlt haben kann, verstärkte gerade die Knebelung der wissenschaftlichen Betätigung eine latente Aversion gegen das „Altreich“ und seine als arrogant und herrisch empfundenen Exponenten in der Ostmark. Auch dem Luft(fahrt)archiv Diakows untersagte Berlin Ende 1942 jede weitere Forschung über die k. u. k. Fliegertruppe. Als das Südosteuropa-Institut Leipzig für die Vierteljahrsschrift für Südosteuropa 1941/1942 um eine dreiseitige Vorstellung des Heeresarchivs Wien bat, verbot der Chef der Heeresarchive für die Dauer des Kriegs die Einsendung des gewünschten Textes.52 Dafür wurde das Heeresarchiv rasch in die rassenideologisch motivierte „Sippenforschung“ hineingezogen, die das NS-Regime seinen Rechtsunterworfenen aufzwang. Zum einen hatten die Bediensteten für sich und den Ehepartner bis Juli 1938 ihre arische Abstimmung durch Vorlage der entsprechenden Urkunden zu dokumentieren. Friedrich Hof war der zentrale Prüfer der Abstammungsnachweise seiner Kollegen. 51 52 Schreiben Rabenaus an Kiszling (28. Juni 1938): K A, Direktionsakten Zl. 1 168/1938. K A, Direktionsakten Zl. 10 8 56/1941. 246 Moesta 54.indb 246 05.08.2010 10:35:41 Heeresarchiv Zum anderen provozierten die im Heeresarchiv verwahrten Personalakten militärischer Provenienz insbesondere aus der Zeit nach Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1867 einen Massenansturm der amtlichen „Ahnenforschung“ und der dadurch angestoßenen Populargenealogie, der nur durch Einrichtung eines eigenen „Referats für Sippenforschung“ samt Kanzlei abgefedert werden konnte. 5 500 Erhebungsansuchen wurden hier unter Leitung von Karl Martinec (1879–1961) zwischen 1938 und 1940 erledigt.53 Auch die private Forschung hatte es nach 1938 nicht leicht – das begann schon bei der schwerfälligen Erteilung der Benützungsbewilligung, die (nominell) dem Chef der Heeresarchive in Potsdam vorbehalten war, und endete bei der zensurartigen Vorlagepflicht des Manuskripts; sie fand sichtlich auch nur in relativ beschränktem und kontinuierlich abnehmendem Maße statt. Es galten die Bestimmungen betreffend „Ausleihen und Benützen von Akten der Heeresarchive“ von 1937 und die Benützungsgrenze 1890.54 Auch schriftstellerische Privatarbeiten von Heeresarchivbediensteten waren zu melden. Im dienstlichen Rahmen gewonnene Erkenntnis durften für nichtdienstliche Publikationen nicht verwendet werden.55 Mit der von Postdam angeordneten Inventarisierung bzw. Repertorisierung der Bestände im deutschen Stil hatte man in Wien ebenfalls wenig Freude. Lediglich im Rahmen der „Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften“ ließ sich eine bescheidene öffentlichkeitswirksame Aktivität entfalten. Bald nach dem Anschluss war der Präsident der Gesellschaft, General Friedrich von Cochenhausen (1879–1946), in Wien erschienen und hatte die Gründung einer Zweigstelle unter Kiszlings Leitung angeregt. Der Heeresarchivdirektor überließ einem österreichischen Offizierskameraden, Generalmajor (des Bundesheeres) August von Pitreich (1881–1960), die Führung der Wiener Filiale, stellte der Gesellschaft aber Räumlichkeiten im Archiv zur Verfügung und übernahm die Leitung der „Arbeitsgemeinschaft Kriegsgeschichte“. Ehrenvorsitzender der Ende 1938 mit reichlich Marsch­ musik, Sieg-Heil-Rufen und Bier eröffneten Zweigstelle Wien wurde niemand Geringerer als Feldmarschall-Leutnant Bardolff.56 K A, Direktionsakten Zl. 2 3 75/1938; Inventar 1, S. 38. Die „Erledigungen des Referats für Sippenforschung“ finden sich heute in K A, MS/K A 695-701, die Kanzleimittel ebenda unter MS/K A 653-657 bzw. unter den Archivbehelfen des Kriegsarchivs AB 31/15a und 31/15b. 54 Inventar 1, S. 49. K A, Direktionsakten Zl. 2 9 61/1938. Meldungen über Archivbenützung K A, MS/K A 14, MS/K A 56. 55 Wahrscheinlich eine Nachwirkung der Affäre Schnagl-Hausknecht: K A, Direktionsakten Zl. 2 3 67/1939. 56 E r ö f f nu n g d e r „ Zw e i g s t e l l e W i e n“ d e r D e u t s c h e n G e s e l l s c h a f t f ü r W e h r p o l i t i k u n d W e h r w i s s e n s c h a f t e n . In: Militärwissenschaftliche 53 247 Moesta 54.indb 247 05.08.2010 10:35:41 Michael Hochedlinger Der von Kiszling initiierte Vortragszyklus „Österreichische Heerführer und ihre Beziehungen zum Deutschtum“ ließ auch Mitarbeiter des Kriegsarchivs zu Wort kommen. Ehnl sprach zu Erzherzog Karl, Czegka über Fürst Schwarzenberg, Kiszling selbst behandelte Conrad von Hötzendorf. Die Vorträge erschienen 1941 im Verlag der „Militärwissenschaftlichen Mitteilungen“, dem Organ der Wiener Zweigstelle der „Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften“.57 Hier konnte Kiszling während des Kriegs auch kleinere Aufsätze platzieren. Die Beiträge zu einer Vortragsreihe über die Nationalitäten der österreichischungarischen Monarchie („Das Völkerbild der ehemaligen österreichischungarischen Monarchie“, Dezember 1944) wurden nur mehr hektographiert vervielfältigt.58 Ein Buchprojekt über „kroatisches Soldatentum“ – ein Beitrag zur Untermauerung der Waffenbrüderschaft mit dem faschistischen UstaschaRegime – scheiterte, obwohl alle Manuskripte eingingen.59 Wenig Glück hatte Kiszling auch mit geplanten Beiträgen für das Organ der kriegswissenschaftlichen Abteilung des Generalstabs, die „Militärwissen­ schaftliche Rundschau“. Ein Aufsatz über Durchbruchsschlachten an der italienischen Front während des Ersten Weltkriegs durfte aus Rücksicht auf den italienischen Verbündeten nicht gedruckt werden, 60 eine alternativ angebotene Studie über die russische Front endete ebenfalls in Berliner Schubladen, angeblich wegen ihres zu großen Aktualitätswertes. Ferdinand Stöller, der als Leiter der Heeresbücherei Wien nicht mehr dem Personalstand des Archivs angehörte und auch Universitätslehrer war, hatte mehr Glück und publizierte immerhin zwei größere biographische Arbeiten. 61 An kriegsgeschichtlichen Publikationen alten Stils kam aus österreichischer Feder nur eine Studie über den Kärntner „Abwehrkampf “ heraus. Autor war aller­ dings kein Mitarbeiter des Kriegsarchivs, sondern der ehemalige Heeresinspektor des Österreichischen Bundesheeres, General der Infanterie Siegmund Knaus 57 58 59 60 61 Mitteilungen 70 (1939), S. 3 f. Material zur Zweigstelle Wien auch im Nachlass Kiszling: K A, B/800 Nr. 24. K i s z l i n g , Rudolf (Hg.): Österreichische Feldherren und ihre Beziehungen zum Deutschtum, Wien 1941. Dabei vergaß Kiszling (S. 132) nicht „der unübertreff lichen Staatskunst unseres Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler“ seinen Tribut zu zollen. Peter von Handel-Mazzetti, Glaise-Horstenau, Reinhold Lorenz, Oskar Wolf-SchneiderArno und Hugo Kerchnawe steuerten „österreichische Beiträge“ zu dem Sammelband D e u t s c h e S o l d a t e n . Bildnisse und Lebensbeschreibungen, Berlin 1943 bei, für den Srbik ein pathetisches Vorwort schrieb. Die Materialien sind im K A, Nachlass Kiszling B/C/800 gesammelt (Nr. 218-220). Kiszling wärmte sein Interesse für Kroatien nach dem Krieg wieder auf und publizierte: Die Kroaten. Der Schicksalsweg eines Südslawenvolkes, Graz-Köln 1956. K A, MS/K A 13 (III): Überleitung (wie Anm. 29); Direktionsakten Zl. 3 4 42/1938. Feldmarschall Franz Graf Conrad von Hötzendorf, Leipzig 1942; General Carl von Clausewitz. Der Lehrmeister der Kriegskunst, Leipzig 1944. 248 Moesta 54.indb 248 05.08.2010 10:35:42 Heeresarchiv (1879–1971). 62 Das Marinearchiv konnte 1942 einen Fortsetzungsband zur Geschichte der k. k. Kriegsmarine (1802–1814) publizieren. 63 Mehrere geplante Tagungsteilnahmen Kiszlings – 1927 und 1928 hatte er Glaise-Horstenau noch zu den deutschen Archivtagen nach Speyer und Kiel begleiten dürfen – zerschlugen sich durch Verkettung unglücklicher Umstände; mehr als Vortragsreisen nach Kroatien und Rumänien, die eher Urlaubscharakter hatten, vermochte Kiszling beim Versuch einer wissenschaftlichen Bilanz nicht aufzuweisen. 64 Heeresarchivrat Ernst Wisshaupt, der 1937–1938 an der Theresianischen Militär­ akademie Kriegsgeschichte unterrichtet hatte und „ein ziemlich dialektfreies Deutsch“ sprach, durfte immerhin Vorträge an deutschen Kriegsschulen halten. 65 1942 übernahm der mit der Glorifizierung Hitlers als „militärischer Führer“ betraute „Beauftragte für die militärische Geschichtsschreibung“ Oberst d. G. (später Generalmajor) Walter Scherff (1898–1945) auch die bisher vom Generalstab (Oberquartiermeister V) geübte Oberaufsicht über die Heeresarchive, die Heeresbüchereien und die Forschungsanstalt des Heeres. Rabenau wurde enthoben und dann in den Ruhestand versetzt. 66 Die Geschäfte des Chefs der Heeresarchive führte der Vorstand des Heeresarchivs Potsdam Karl Ruppert (1886–1953) in Personalunion. Mit ihm arbeitete Kiszling entspannter zusammen als mit dem allzu preußischen Rabenau, obwohl er sich – von Rang- und Hierarchiefragen geradezu besessen – als dienstälterer Kollege K n a u s , Siegmund: Freiheitskämpfe in Deutschösterreich. Kärntner Freiheitskampf (Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps 7/8), Berlin 1941/1942. Über Knaus B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte, S. 475 f. 63 Autor war der pensionierte k. u. k. Konteradmiral Arthur (von) K huepach (1869–1951). Die Fortsetzung (1814 –1847) erschien erst 1966 in der Bearbeitung von Heinrich Bayer. Korrespondenzen zwischen K huepach und Mitarbeitern des Marinearchivs während der NS-Zeit in seinem Nachlass: K A, Nachlass B/200 Nr. 3-6. Vgl. auch Nachlass Bayer-Bayersburg B/388 Nr. 17. Fregattenkapitän Theodor Braun (1877–1946), 1919– 1924 Mitarbeiter des Kriegsarchivs, erarbeitete während des Kriegs eine (ungedruckt gebliebene) Neufassung des ersten Bandes der k. (u.) k. Marinegeschichte (1500 –1797). 64 K i s z l i n g , Rudolf: „Meine Auslandsreisen während des Zweiten Weltkrieges und damit verbundene A ktenerwerbungen“. In: Die Vermehrung des A ktenbestandes des österreichischen Kriegsarchivs (K A, MS/K A 13 [V ]). Eine Übersicht über seine wissenschaftliche Tätigkeit auch in „Aufzeichnungen über meine militärwissenschaftliche Tätigkeit“: K A, MS/K A 15. 65 K A, Direktionsakten Zl. 4 8 36/1938. 66 General Rabenau studierte nach seiner Ablöse 1943 Theologie und stand dem Widerstand nahe. 1944 verhaftet, wurde er im April 1945 im K Z Flossenbürg (Zellengenosse von Dietrich Bonhoeffer) ermordet. Vgl. den etwas hagiographischen Aufsatz von M ü h l e i s e n , Horst: Friedrich von Rabenau. Soldat, Archivar und Gelehrter. In: Archivalische Zeitschrift 79 (1996), S. 127-140. Rabenaus engster Mitarbeiter, Georg Strutz, wurde in die Heeresarchivzweigstelle Danzig abgeschoben. 62 249 Moesta 54.indb 249 05.08.2010 10:35:42 Michael Hochedlinger durch Rupperts Berufung eigentlich übergangen und als „Ostmärker“ ohnedies permanent diskriminiert fühlte. Scherff signalisierte kurzfristig Interesse an den Erfahrungen der Wiener Kollegen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Generalstabswerk „Österreich-Ungarns letzter Krieg“. Kiszling legte mit stolzgeschwellter Brust eine entsprechende Denkschrift vor, in der er auch nochmals klarstellte, dass er und nicht Glaise-Horstenau die Federführung gehabt hatte; Hoffnungen auf eine Trendwende erwiesen sich aber als unberechtigt. 67 3. Bestandserweiterung Im Laufe des Kriegs vergrößerte das Heeresarchiv seinen Bestand gegenüber 1938 um 25 Prozent. 1944 zählte man insgesamt 200 0 00 Faszikel und 62 0 00 Geschäftsbücher – ohne die ausgegliederten Abteilungen Marine und Luftfahrt. 68 3.1. Erwerbungen innerhalb der „Ostmark“ Die sehr beachtliche Vermehrung des archivalischen Besitzstandes erfolgte zunächst noch „auf natürlichem Wege“, etwa dadurch, dass 1938 mit einem Schlag – nur 20 Jahre nach dem Bruch von 1918 – neuerlich das militärische Schriftgut eines untergegangenen Staates „archivreif “ wurde. Diesmal waren es die Geschäftsbücher und Akten des Bundesministeriums für Heerwesen bzw. (ab 1933) Landesverteidigung sowie der Bundesheerdienst­ stellen und -kommanden, die in der ersten Zeit nach dem „Anschluß“ ein eigener „Archivstab des Ministeriums für Landesverteidigung“ betreut hatte. Nach dessen Auflösung 1940 kam das Archivgut (immerhin 15 0 49 Faszikel und 5 9 00 Bände Geschäftsbücher) mit dem Personal des „Archivstabs“ in das Kriegsarchiv. 69 Hier bereiteten die Bundesheerakten nicht nur erhebliche Platzprobleme, in Scherff an den Chef der Heeresarchive und Heeresarchivdirektor Kiszling (10. März 1944): K A, MS/K A 165. K i s z l i n g , Rudolf: Entstehung des amtlichen österreichischen Kriegswerkes. Die dabei angewandten Forschungsmethoden und gewonnenen Erfahrungen: K A, MS/K A 13 (II) und MS/K A 115. 68 Inventar 1, S. 14. Zum Folgenden insbesondere K A, MS/K A 13 (V ): K i s z l i n g , Rudolf: Die Vermehrung des A ktenbestandes des österr. Kriegsarchivs in der Zeit von 1936 bis 1945. Detaillierte Übersichten auch über kleinere Zuwächse u. a. in K A, MS/K A 407 (gesammelte Vierteljahresberichte für Potsdam 1938 –1945). 69 Inventar 2, S. 41-52. Der Archivbestand „Erstes Österreichisches Bundesheer“ steht heute in Verwahrung des Archivs der Republik. Das Heeresarchiv Wien war nicht zur Übernahme von Wehrmachtsunterlagen bestimmt. Vgl. A r t l , Gerhard: Die Bestandsgruppen Landesverteidigung und Deutsche Wehrmacht im Archiv der Republik. In: MÖSt A 49 (2001), S. 221-236. 67 250 Moesta 54.indb 250 05.08.2010 10:35:42 Heeresarchiv organisatorischer Hinsicht musste eine neue Abteilung gebildet werden, deren Leitung Dr. Czegka, bis 1934 selbst aktiver Offizier des Bundesheeres, übernahm. Die kurrenten Bundesheerpersonalangelegenheiten bearbeitete wie schon beim „Archivstab“ der pensionierte Generalmajor (des Bundesheeres) Heinrich Klein (1881–1953) als wissenschaftlicher Angestellter; er entfaltete auch eine rege Sammeltätigkeit in Hinblick auf eine – politisch natürlich wenig genehme – Geschichte des österreichischen Bundesheeres. Die schon in den beiden letzten Lebensjahrzehnten der Monarchie verfolgte Tendenz, das Kriegsarchiv zu einem militärischen Zentralarchiv und Dokumentationszentrum auszubauen, wurde nach 1938 offensiv aufgegriffen. Interesse zeigte Heinrich Klein Kiszling für alles, was den Dokumentationsgrad zur (1881–1953) Geschichte des Ersten Weltkriegs verbesserte, und für die Schriftgutüberlieferung der nach 1918 nur zu einem geringen Teil nach Wien gelangten militärischen Territorialkommanden. 1940 plante das Reichsgauarchiv Inns­bruck Teile der dort deponierten Regis­ tra­t ur des XIV. Korps (1869–1924) im Rahmen einer Altpapieraktion zu ent­ sorgen, ehe das Heeresarchiv sein Interesse bekundete und ab August 1940 9 270 Faszikel und 1 506 Geschäftsbücher über­nehmen durfte. Im April 1941 sicherte sich Kiszling vom Staatsarchiv des Innern und der Justiz die 4 857 Faszikel und 1 204 Kanzlei­bücher umfassende Registratur des k. k . Ministeriums für Landes­ ver­teidigung (1868–1918), wenig später aus dem Finanzarchiv 1 748 Faszikel und 558 Bücher des Militärliquidierungsamtes (1919–1931). Aus dem Reichsgauarchiv Graz kamen 1943 nicht weniger als fünf Eisenbahnwaggons mit der gewaltigen Registratur des III. Korpskommandos (6 739 Faszikel und 1 201 Bücher) und einigen kleineren Draufgaben.70 Im gleichen Jahr trat das Haus-, Hof- und Staatsarchiv die Militärkanzlei (1898–1914) des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand an das Heeresarchiv ab.71 Gerade die quantitativ sehr bedeutenden K A, Direktionsakten Zl. 4 3 82/1942. AB 418/2. Inventar 1, S. 162, 168. K A, Direktionsakten Zl. 2 0 07/1943 (= MS/K A 188). Die Testamentsreihe des Grazer Judicium delegatum militare mixtum war zur Zeit der Abtretung aus Graz bereits nach Schloss Herberstein ausgelagert. Zur Übernahme der Registratur des Ministeriums für Landesverteidigung vgl. auch AdR, Reichsarchiv Wien Karton 16: Heeresarchiv Wien 1940 (Zl. 478/1940) und Heeresarchiv Wien 1941 (Zl. 431/1941). 71 K A, Direktionsakten Zl. 8 197/1943. AdR, Reichsarchiv Wien Karton 16: Heeresarchiv Wien 1943 (Zl. 1 5 78/1943). Inventar 1, S. 128 f.; E g g e r , Rainer: Die Militärkanzlei des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand und ihr Archiv im Kriegsarchiv Wien. 70 251 Moesta 54.indb 251 05.08.2010 10:35:57 Michael Hochedlinger Zugewinne aus Innsbruck und Graz erlitten bei der Auslagerung ab 1944 in ihren Ausweichquartieren schwere Verluste in Substanz und Ordnungszustand. Das Heeresarchiv interessierte sich auf Weisung aus Potsdam auch erstmals für die archivalischen Hinterlassenschaften von Regimentern, deren Archive beim Zusammenbruch 1918 großteils am Garnisonsort zurückgeblieben, an „Regiments­museen“ gekommen oder überhaupt vernichtet worden waren, denn das Kriegsarchiv besaß während des Ersten Weltkriegs keinerlei Über­n ahme­ auftrag für Schriftgut militärischer Verbände unterhalb der Brigadeebene. 72 Vom Reichsgauarchiv Graz erhielt man 1943 – neben kleineren Splitter­ überlieferungen – das „Archiv“ des Infanterieregiments Nr. 27, von der Regimentskameradschaft „Erzherzog Rainer“ jenes des Infanterieregiments Nr. 59. 73 Am Innsbrucker Kaiserjägermuseum biss man sich indes die Zähne aus: Trotz förmlichen Abgabebefehls aus Berlin verweigerte das Museum die Herausgabe der Feldakten und Grundbuchblätter der Tiroler Kaiserjäger, die heute im Tiroler Landesarchiv verwahrt werden. 74 3.2. Archivraub im besetzten Ausland Das rege Bemühen um archivalischen Rück- bzw. Zugewinn machte nicht an den Grenzen des ehemaligen Österreich halt, sondern richtete sich nach Kriegsausbruch 1939 auch und vor allem gegen besiegte Gegner. Die verhassten und bekämpften Archivverträge Österreichs mit anderen Nachfolgestaaten wollte die deutsche Reichsregierung nicht mehr anerkennen, wo nötig immerhin – auf Drängen des Auswärtigen Amtes – Entgegenkommen zeigen, insbesondere gegenüber dem befreundeten Ungarn. Insgesamt spiegelte sich bald der politische Revanchismus und Triumphalismus auch in großangelegten In: MÖSt A 28 (1975), S. 141-163. Der private Teil verblieb als Depot der Familie Hohenberg im Haus-, Hof- und Staatsarchiv: B i t t n e r , Ludwig (Hg.): Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs Bd. 2, Wien 1937, S. 50 f.; K i s z l i n g , Rudolf: Das Erzherzog Franz Ferdinand Archiv. In: MÖSt A 6 (1953), S. 407-410. Der Schriftennachlass Franz Ferdinands lagerte seit 1917 im Haus-, Hof- und Staatsarchiv und wurde 1920 erstmals geöffnet (übrigens in Gegenwart Glaise-Horstenaus als Vertreter des Kriegsarchivs), der Forschung aber nicht zugänglich gemacht. 72 K A, Direktionsakten Zl. 3 5 03/1938; MS/K A 650 (Handakt). Die Potsdamer Zentrale hatte den Wert der Regimentsarchive für den Bereich der „Kriegserfahrungen“ erkannt. 73 Inventar 1, S. 170. K A, Direktionsakten Zl. 5 592/1940, Zl. 7 359/1940. Auch aus dem Ausland, z. B. aus Polen wurden A kten ehemaliger k. u. k. Formationen verschleppt, die sich aus Galizien und der Bukowina ergänzt hatten. Vgl. die Spezif izierung im Inventar 1, S. 170 Anm. 4. 1946 wurden diese Splitter an Polen restituiert. 74 K ö f l e r , Werner: Militaria im Tiroler Landesarchiv. In: MÖSt A 49 (2001), S. 391-400, hier S. 395-397; S c h e n n a c h , Martin: Militärhistorisch relevantes Archivgut für die Zeit des Ersten Weltkrieges im Tiroler Landesarchiv. In: Überegger: Zwischen Nation, S. 199-208, hier S. 204 f. 252 Moesta 54.indb 252 05.08.2010 10:35:57 Heeresarchiv archivalischen Beutezügen wider, die in jüngerer Zeit auf verstärktes Interesse der archivgeschichtlichen Forschung stoßen. 75 Die im Unterschied zur zivilen Reichsarchivverwaltung vollkommen zentralisierte Heeresarchivverwaltung beteiligte sich am deutschen Archivraub mit besonderem Aufwand und entsandte eigene „Beauftragte des Chefs der Heeresarchive“ zu den Militärbefehlshabern in den besetzten Gebieten: von Oslo bis Athen, von Kiew bis Paris. Das Heeresarchiv Wien spielte dabei, beflügelt von Kiszlings Bemühen, verlorengegangenes oder vermeintlich „entfremdetes“ k. u. k. Militärschriftgut – durchaus auch gegen das „Provenienzprinzip“ – heimzuholen, eine nicht geringe Rolle. Von September 1939 bis Mai 1940 war Josef Mündl als Beauftragter des Chefs der Heeresarchive nach Krakau kommandiert. Eduard Czegka und (nach dessen Ablöse wegen zu geringen Engagements) Ernst Wisshaupt gingen nach Warschau. 76 An geschlossenen Beständen übernahm man aus Polen die Akten des XI. Korpskommandos (Galizisches Generalkommando, Lemberg) und des Militärgeneralgouvernements Lublin, nur Splitter der Korpskommanden Krakau (I) und Przemysl (X). 77 Der Rest des polnischen Kriegsarchivs wurde nach Danzig verbracht, wo die Aktensammelstelle (später: Heeresarchiv-Zweigstelle) Danzig entstand. Sie hatte ab 1941 auch die im Zuge des Rußlandfeldzuges erbeuteten Akten aufzunehmen. Nicht alles, was man an Austriaca „erbeutete“, kam in das Heeresarchiv. Die im fürstbischöflichen Ordinariat Krakau auf bewahrten k. (u.) k. Militär­m atriken (Militärkirchenbücher) wurden 1942 dem Zentralnachweisamt für Kriegs­ verluste und Kriegergräber, Zweigstelle Wien (vormals: Militärmatrikenamt) übergeben. Die mit besonderem Eifer gesammelten Militärgrundbuchblätter der k. u. k. Militärdienstpflichtigen, die bis 1918 bei den lokalen Ergänzungsbezirks­ behörden angefallen waren, verschleppte man massenweise aus Warschau und vor allem aus Prag nach Wien. Jene der Geburtsjahrgänge vor 1865 kamen in das Heeresarchiv, das jüngere Material ging an die Vereinigten Wehrevidenz­stellen Zahlreiche Beiträge auf dem 75. Deutschen Archivtag: K r e t z s c h m a r , Robert (Hg.): Das deutsche Archiv wesen und der Nationalsozialismus (Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag 10), Essen 2007, S. 166-271. Hinweise auch bei M u s i a l , Torsten: Staatsarchive im Dritten Reich. Zur Geschichte des staatlichen Archiv wesens in Deutschland 1933 –1945 (Potsdamer Studien 2), Potsdam 1996. 76 Wisshaupt war auch Bearbeiter der Kriegsjubelschrift „Der große deutsche Feldzug gegen Polen. Eine Chronik des Kriegs in Wort und Bild“, Wien 1939. 77 A ktenverzeichnisse K A, Direktionsakten Zl. 10 3 06/1939 und 10 6 95/1939. Vgl. auch Inventar 2, S. 26. 75 253 Moesta 54.indb 253 05.08.2010 10:35:57 Michael Hochedlinger (VWest) in Wien, die für die Erhebung anrechenbarer Militärdienstzeiten, Rentenansprüche usw. zuständig waren. 78 Friedrich Hof ging im Sommer 1940 nach Brüssel. Hier amtierte er von November 1941 bis 1944 als Beauftragter des Chefs der Heeresarchive beim Militärischen Befehlshaber in Belgien und Nordfrankreich mit Sitz in Brüssel (1943: elf Mitarbeiter). Er sandte eher Lebens­m ittel und Genusswaren nach Hause als Archivalien, sieht man von den sogenannten „Nivelles-Akten“ ab, der einst im Stadtarchiv von Nivelles gestrandeten Registratur des späteren Infanterieregiments Nr. 42 aus seiner belgischen Garnisonszeit in den 1740er Jahren. Wohlmeinende deutsche Waffenbrüder hatten diese Akten schon während des Ersten Weltkriegs aus dem besetzten Belgien nach Wien geschickt. Direktor Kiszling (rechts) und Nach Kriegsende mussten die ungeöffFriedrich Hof (links) in Brüssel net geblieben Kisten wieder an Belgien restituiert werden, im Herbst 1940 kamen die immer noch ungeöffneten Transportbehältnisse ein zweites Mal nach Wien. Kiszling zeigte sich nach einer Stichprobe tief enttäuscht. 1948 gingen die „Nivelles-Akten“ neuerlich zurück nach Belgien. 79 Hof arbeitete in Brüssel an einer Aufstellung jener belgischen Archivalien, die man bei Friedens- und Archivverhandlungen zu fordern gedachte, 80 und ließ viel photographieren, allerdings für die Potsdamer Zentrale. K A, MS/K A 80. Nach dem Zweiten Weltkrieg erklärte man eine „Herauslösung“ der in die alten Wiener Bestände eingeordneten Stücke für nicht durchführbar und wollte die Tschechoslowakei auffordern, auf die Rückstellung der mehr als 800 0 00 Grundbuchblätter zu verzichten. 79 K A, Direktionsakten Zl. 10 2 63/1940. Inventar 1, S. 12 f., 75. Das Desinteresse ist kaum verständlich, immerhin enthielten die „Nivelles-A kten“ auch die Musterlisten des Regiments aus der Zeit von 1703 bis 1742. 80 Vgl. z. B. K A, MS/K A 187: „Verzeichnis … über jene Archivalien deutscher oder österreichischer Provenienz in den Staatsarchiven Belgiens, die beim Abschluß von Verhandlungen gestellt werden müssen oder können“ (25. Februar 1942); K A, Direktionsakten Zl. 855/1944. 78 254 Moesta 54.indb 254 05.08.2010 10:35:58 Heeresarchiv Viel rücksichtsloser verfuhr man natürlich auf dem Balkan. Nach der erfolgreichen Besetzung Jugoslawiens wurde der 1932 pensionierte General­ staatsarchivar und Vizedirektor des Kriegsarchivs Oberst Rudolf (Edler von) Hödl (1876–1967) als Oberst z. V. der Deutschen Wehrmacht nach Kroatien und Serbien entsandt. Im Staatsarchiv Zagreb wurde ein Großteil der 1918 nach dem Zusammenbruch liegen gebliebenen und ins Kroatische Landesarchiv verbrachten Registratur des Heeresgruppenkommandos an der Isonzofront („Boroević-Akten“) sichergestellt und mit persönlicher Zustimmung des Poglavnik Ante Pavelić im Sommer 1941 nach Wien gesandt, wo man sie in die Feldakten einteilte. Aus der Kriegsgeschichtlichen Abteilung des jugoslawischen Heeres- und Marineministeriums in Belgrad, wohin 1935 Teile der „BoroevićAkten“ gelangt waren, kamen bald Ergänzungen. In Zagreb tauchten auch die Akten des 2. Armeegeneralkommandos aus der Zeit der Okkupation Bosniens und der Herzegowina (1878) auf, die nach dem Feldzug nicht nach Wien eingeliefert worden waren. Dafür erhielten die Kroaten 1944 nicht weniger als 1 966 Faszikel Standes- und Verpflegsakten der Grenzinfanterieregimenter 1-11 für das im Auf bau befindliche Kroatische Kriegsarchiv geschenkt. 81 Im restlichen Jugoslawien war man aus Kiszlings Blickwinkel trotz äußerst umfangreicher Archivalienverschickungen weniger erfolgreich. Hödl erklärte nach einer bis nach Bosnien führenden Inspektionsreise die hauptsächlich interessierenden Registraturen des Korpskommandos XV (Sarajewo) für vernichtet und schickte dafür über 300 Kisten mit Akten des 12. Grenzinfanterieregiments und des Tschaikistenbataillons nach Wien, wo sie Kiszling nach enttäuschenden Probesondierungen kurzerhand einstampfen ließ. In dem bombenzerstörten Gebäude der serbischen Akademie der Wissenschaften entdeckte Hödl Anfang Mai 1941 die nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv an Jugoslawien abgetretene archivalische Hinterlassenschaft der Republik Ragusa sowie Urkunden der bosnischen Fürsten und Könige. Nach Beginn der Offensive gegen die Sowjetunion wechselte Hödl nach Galizien bzw. in die Ukraine, wo er als Beauftragter des Chefs der Heeresarchive in Kiew eine Archivdienststelle auf baute (Ende 1943 aufgelöst). 82 Zur Abgabe der Standes- und Verpf legsakten der ehemaligen Grenzinfanterieregimenter: MS/K A 32. Inventar 1, S. 171. Die Initiative ging vom Heeresarchiv aus, das an akuter Raumnot litt und das weniger wertvolle Material abstoßen wollte. 82 Hödl war 1918 mit dem X V II. Korps in die Ukraine eingerückt und dann beim Gouverneur von Odessa stellvertretender Generalstabschef gewesen, durfte also als Ukraine-Fachmann gelten. Vgl. auch den Nachruf von Rainer Egger MÖSt A 21 (1968), S. 527-531. K A, Nachlass B/460. L e h r , Stefan: Ein fast vergessener „Osteinsatz“. Deutsche Archivare im Generalgouvernement und im Reichskommissariat Ukraine (Schriften des Bundesarchivs 68), Düsseldorf 2007, S. 184 erwähnt kurz die Einziehungstätigkeit Hödls in Kiew. Die interessante privatdienstliche Korrespondenz zwischen Kiszling und den kommandierten 81 255 Moesta 54.indb 255 05.08.2010 10:35:59 Michael Hochedlinger Major z. V. Kurt von Regenauer amtierte von Mai 1941 bis Dezember 1943 als Beauftragter des Chefs der Heeresarchive für den Südosten mit Sitz in Belgrad. Kroatien, Bosnien und die Herzegowina hatte er bis zum Sommer 1941 Hödl zu überlassen. In Wien bestand für Beuteakten aus dem südöstlichen Kriegsschauplatz als Zweigstelle des Beauftragten Belgrad eine eigene „Aktensammelstelle Südost“. Mit 1. Jänner 1945 wurde die „Aktensammelstelle Südost“ als „Sichtungsstelle Wien“ unter der Aufsicht von Heeresoberarchivrat Martinec in das Heeresarchiv eingegliedert. Regenauer selbst konnte dem Personalstand des Kriegsarchivs nicht mehr gutgeschrieben werden, da er im März 1945 anstelle von Joseph Sokoll als Kriegstagebuchführer zur Heeresgruppe E abberufen wurde und in Peterwardein Anfang Juli 1945 ums Leben kam. Das Verhältnis der ostmärkischen Kollegen zu Regenauer hatte sich ohnedies in dem Maße verschlechtert, in dem er „nordische Allüren“ (R. Kiszling) annahm und angeblich sogar den Posten des Heeresarchivleiters in Wien anstrebte. Heeresarchivrat Dr. Walter Nemetz (1910–1958) wurde, da von bekannt fragiler Gesundheit, nach seiner Einziehung zum Kriegsdienst über Intervention beim Beauftragten des Führers für die militärische Geschichtsschreibung im September 1943 dem Stab des Oberbefehlshabers Süd als Beauftragter des Chefs der Heeresarchive in Italien zugeteilt. Hier sollte er sich um die Rückführung allen­ falls entfremdeten k. u. k. Aktenmaterials kümmern und zugleich italienisches Archivgut auf Relevanz für die deutsche Kriegsgeschichtsschreibung prüfen. 83 Nach dem Übertritt des ehemaligen italienischen Verbündeten auf die Seite der Alliierten musste man sich keinen Zwang mehr auferlegen. Nemetz durchstöberte ohne großen Erfolg das verlassene Archiv des italienischen Generalstabs (Ufficio storico) in Rom; der größte Teil war nach Orvieto ausgelagert worden. Was er Richtung Österreich verfrachtete, war überwiegend ganz rezentes italienisches Material. Dabei hatte man sich Großes erhofft, immerhin hatte die italienische Waffenstillstandskommission 1919 aus Graz ansehnliche Mengen militärischen Schriftguts (k. k. Territorialkommanden in Norditalien) abgeführt. 84 Mitarbeitern des Kriegsarchivs, insbesondere Friedrich Hof, Rudolf Hödl oder Walter Nemetz erliegen bei MS/K A 13 (V ). Zu den schon vor dem Balkankrieg Ende 1939 begonnenen Verhandlungen mit Jugoslawien MS/K A 184-190 (u. a. auch Korrespondenz Hödl-Kiszling MS/K A 186). 83 Kopien wichtiger Dienststücke, insbesondere der Berichte der Beauftragten Nemetz und Sokoll aus der Überlieferung des „Chefs der Heeresarchive“ (R H 18) im BundesarchivMilitärarchiv, Freiburg, f inden sich unter MS/K A 193 (hauptsächlich Material zu Jugoslawien). 84 T h i e l , Viktor: Das Steiermärkische Landesregierungsarchiv 1906 –1928. In: Archiva­ lische Zeitschrift 37 (1928), S. 208-224, hier S. 215 f. 256 Moesta 54.indb 256 05.08.2010 10:35:59 Heeresarchiv Bei einem Sturz vom Zug brach sich Nemetz im Mai 1944 in Verona das rechte Bein, das im Juni nach Knocheneiterung amputiert werden musste. Im September 1944 prüfte Dr. Sokoll als sein Nachfolger die nun von Orvieto in die Gegend von Bergamo geflüchteten Unterlagen des Ufficio storico, konnte aber keinerlei k. u. k. Beuteakten feststellen. Nemetz’ Frau kam einen Tag vor seiner Rückkehr aus dem Lazarett im September 1944 in Wien bei einem Bombenangriff ums Leben, er selbst trat im März 1945 wieder seinen Dienst im Archiv an. Das Marinearchiv war in Italien erfolgreicher. Bayer-Bayersburg reiste in den Jahren 1943 und 1944 nach Italien, um hier wie die Kollegen des Heeresarchivs nach k. u. k. Aktenbeständen und vor allem nach 1919 aus Pola verschleppten Musealgegenständen für ein geplantes Marinemuseum zu suchen. Mehr als die fünf Kisten Archivmaterial, die Bayer in Rom sicherstellen konnte, beeindruckte ihn die fast einstündige Privataudienz bei Pius XII., die er 1944 durch Zufall erhielt. Wirklich bedeutend war aber die Sicherstellung der „Pola-Bibliothek“. Schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte Österreich die in Pola befindliche Marinebibliothek beansprucht, Italien diese Forderung 1924 auch akzeptiert, ohne dass es tatsächlich zu einer Überführung nach Wien gekommen wäre. Erst nach der Besetzung Polas durch die Wehrmacht wurde die Bibliothek wirklich Richtung Wien abtransportiert (April 1944). Nach dem Zweiten Weltkrieg reklamierte Jugoslawien die Bibliothek als „deutsches Beutegut“ und erhielt sie 1975 ohne Anerkennung des geltend gemachten Rechtsanspruchs als Zeichen des guten Willens ausgefolgt. 85 3.3. Militärarchivischer Kolonialismus: Die Heeresarchivzweigstelle Prag Mit der Besetzung der Sudetengebiete im Oktober 1938 stellte sich auch die Frage hinsichtlich der nunmehr von der zerfallenden Tschechoslowakei abzutretenden Archivalien. Das betraf für den militärarchivischen Bereich in erster Linie „wehrdienstliches Schriftgut“, also für aktuelle Verwaltungszwecke („Ariernachweise“, Dienstzeitbestätigungen usw.) benötigte Personaldokumente und Akten von Ergänzungsbezirkskommanden, Dienststellen, Truppenkörpern und sonstigen Militärbehörden, die 1918 in den sudetendeutschen Gebieten gelegen waren. Auch auf die Militärmatriken (Militärkirchenbücher) wurde 85 Sie ist heute wieder in Pola zugänglich. K A, MS/K A 191 (Splitter). J u n g , Peter: „Archivalien auf Tauchstation“. Tatsächliche und vermeintliche A ktenverluste der k. u. k. Kriegsmarine nach 1918. In: MÖSt A 49 (2001), S. 161-182, hier S. 176. A llgemein W a g n e r , Walter: Zur Geschichte der k. und k. Marinebibliothek. In: MÖSt A 15 (1962), S. 336-389. Zu Bayers Archiveinziehungsreisen vgl. dessen Lebenserinnerungen in seinem Nachlass K A, Nachlass B/388 Nr. 20-21. 257 Moesta 54.indb 257 05.08.2010 10:36:00 Michael Hochedlinger nicht vergessen. Erst in einem zweiten Schritt sollten militärhistorisch relevante Bestände gefordert werden. 86 Nach der Errichtung eines völlig entrechteten „Protektorats Böhmen und Mähren“ unter NS-Kuratel schien eine systematische Verschleppung des mit der Auflösung der tschechoslowakischen Armee „herrenlos“ gewordenen militärischen Archivguts aus dem „Zentralarchiv der tschechoslowakischen Revolution“ nicht sinnvoll. Kiszling schlug daher noch im März 1939 die Errichtung eines Heeresarchivs Prag vor, das er natürlich von Wien aus zu steuern gedachte. 87 Zunächst wurde im November 1939 ein „Referat Heeresarchivwesen“ beim Wehrmachtsbevollmächtigten in Prag eingerichtet, dessen Leitung Generalmajor Pitreich, der Präsident der Wiener Zweigstelle der Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften, übernahm. Es war als Dienststelle im Bereich des Oberkommandos der Wehrmacht dem Zugriff der Heeresarchivverwaltung entzogen; fortwährende Reibereien und Animositäten, institutionell wie per­ sönlich, hemmten die Arbeit. Im Juli 1940 bereinigte man die Lage durch Gründung einer HeeresarchivZweigstelle Prag, zu deren Auf bau Kiszling von August bis November 1940 in die böhmische Hauptstadt abkommandiert wurde. Bei seiner Ankunft fand der Wiener Heeresarchivdirektor bereits einen Personalstand von nicht weniger als 42 Köpfen vor, darunter den späteren Leiter der Waffensammlung des Historischen Museums der Stadt Wien Dr. Walter Hummelberger (1913–1995). 88 Das Kommando über die Archivzweigstelle übernahm zur Enttäuschung Kiszlings im November 1940 allerdings niemand aus seinem Einflussbereich, sondern mit Generalleutnant Hans Lieber (1882–1952) ein enger Freund und Mitarbeiter Rabenaus. Kiszling hatte sich durch recht selbständiges Vorgehen in Prag den wiederholten Tadel des Chefs der Heeresarchive zugezogen. Die Akten der österreichisch-ungarischen Armee blieben mit dem Schriftgut der untergegangenen tschechoslowakischen Streitkräfte in der böhmischen K A, Direktionsakten Zl. 5 745/1938; MS/K A 180 (Archiv verhandlungen mit der Tschechoslowakei). Im Überblick K i s z l i n g , Rudolf: Die militär-archivalischen Beziehungen zwischen Wien und Prag 1939–1944 (K A, MS/K A 13 [IV ]). Zur Archivsituation in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit vgl. H u m m e l b e r g e r , Walter: Über die tschechoslowakischen Archive in der Ersten Republik 1918 –1939 und nach 1945. In: Scrinium 12 (1975), S. 33-44. Auf den zivilen Sektor beschränkt: L e h r , Stefan: „Den deutschen Einf luß beträchtlich steigern“. Archivare und Archive im Protektorat Böhmen und Mähren 1935 –1945. In: Der Archivar 61 (2008), S. 370-376. 87 Kiszling an Rabenau (22. März 1939): K A, Direktionsakten Zl. 302/1939 (= MS/ K A 180). 88 Hummelberger musste 1945 seine böhmische Heimat verlassen und arbeitete 1945/1946 als Volontär im Wiener Kriegsarchiv. Bis 1973 leitete er dann die Waffensammlung des Historischen Museums der Stadt Wien. Vgl. K A, Direktionsakten Zl. 1 9 84/1945; B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte, S. 411-420 (mit Werkverzeichnis). 86 258 Moesta 54.indb 258 05.08.2010 10:36:00 Heeresarchiv Hauptstadt. Kiszling musste aber nicht ganz ohne Trophäen abziehen: Eine beträchtliche Zahl militärische Grundbuchblätter, k. u. k. Militärgerichtsakten und Feldakten des Ersten Weltkriegs wurde in Marsch gesetzt. 89 Mit besonderem Stolz erfüllte Kiszling die „Heimholung“ der „Wallenstein­ akten“, womit die im 17. Jahrhundert zerrissene (Feld-)Kanzlei des Generalissimus gemeint war. Ein Teil lag von jeher in den Alten Feldakten des Wiener Kriegsarchivs und konnte auch 1926 vor einem Schiedsgericht gegen tschechische Forderungen behauptet werden. Ein zweiter Teil war ins Haus-, Hof- und Staatsarchiv gelangt und wurde nach dem Ersten Weltkrieg an die Tschechoslowakei ausgeliefert, um im Archiv des Ministeriums des Innern in Prag mit einem dritten Überlieferungssegment zusammengeführt zu werden. Mit der Verbringung der Prager Wallensteiniana nach Wien 1941 wurde in den 1630er Jahren Zerrissenes erstmals wieder zusammengeführt. Der österreichische Wallensteinexperte Srbik signalisierte zwar Interesse, doch ist die nun für kurze Zeit optimale Überlieferungslage von der Forschung, wie es scheint, nicht genützt worden.90 1944 setzte Kiszling gegen die ursprüngliche Linie in Potsdam durch, dass auch das Schriftgut der ehemaligen General- bzw. Korpskommanden VIII (Prag), IX (Josefstadt bzw. Leitmeritz) und X (Brünn) einschließlich des abgesprengt im Landesarchiv Brünn lagernden Judicium delegatum militare mixtum dem Heeresarchiv Wien zugesprochen wurde und nur für die Dauer des Bombenkriegs im Protektorat verblieb. Zu einer tatsächlichen Überstellung des Archivguts ist es natürlich nicht mehr gekommen. Im Zuge einer Sondierung in Rumänien besuchte Kiszling nicht nur Verwandte, sondern auch Oskar Criste, um Näheres über den Verbleib der von diesem verschleppten Hofkriegsratsakten zur Annexion der Bukowina zu erfahren. Umsonst: Criste war bereits so senil, dass er keinerlei Auskunft mehr geben konnte.91 K A, MS/K A 180. Im Heeresarchiv Wien bearbeitete Oberst Blasius Schuster die „Wallensteinakten“. Der Autor plant eine eingehendere archivgeschichtlich-quellenkundliche Behandlung der „Wallensteinakten“. Siehe einstweilen R o u b í k , František: Osudy registratury A lbrechta z Valdštejna a jeho Jičinské Komory. In: Sborník archivu ministerstva vnitra 2 (1929), S. 117-150 und auch H u m m e l b e r g e r , Walter: Das österreichisch-tschechoslowakische Archivübereinkommen vom 18. Mai 1920. In: Scrinium 32 (1985), S. 43-63, hier S. 57 f. 91 Zu Kiszlings „Vortragsreisen“ vgl. Anm. 64. Auch spätere Bemühungen, das Schicksal der von Criste „entwendeten“ Hof kriegsratsakten aufzuklären, blieben erfolglos. Im April 2006 waren dann einige Stücke im Rahmen der Ausstellung „Österreichische Dokumente in rumänischen Archiven“ zu sehen und auch im Katalog Iaşi 2006 abgebildet. 89 90 259 Moesta 54.indb 259 05.08.2010 10:36:00 Michael Hochedlinger 4. Die Bedrohung durch den Luftkrieg Der Zweite Weltkrieg war nicht nur eine humane Katastrophe, auch wertvollstes Kulturgut ging, insbesondere im Bombenkrieg, in nie dagewesener Menge zugrunde. Auch die deutsche Archivlandschaft wurde schwer getroffen. Spätestens im Laufe des Jahres 1942 musste selbst Skeptikern klar werden, dass mittelfristig nur die möglichst weitgehende Auslagerung der Archivbestände in Ausweichquartiere auf dem platten Land Archivkatastrophen größeren Ausmaßes verhindern konnte. Im Juli 1942 wurde der Generaldirektor der preußischen Staatsarchive Dr. Ernst Zipfel (1891–1966), ehemals königlich sächsischer Offizier, vom Reichsministerium des Innern als Kommissar für den Archivschutz mit der Koordinierung der Luftschutzmaßnahmen für die (zivilen) Archive im gesamten Reichsgebiet beauftragt.92 Die Heeresarchive fielen grundsätzlich nicht in Zipfels Arbeitsbereich … mit katastrophalen Folgen, wie die Vernichtung des nicht evakuierten Heeresarchivs Potsdam bei einem einzigen Luftangriff im April 1945 zeigt. Dass das Heeres­a rchiv Wien demgegenüber in den Genuss einer besonders intensiven Betreuung durch Zipfel kam, war einem prolongierten Wutausbruch des Reichsinnenministers und Reichsführers SS Heinrich Himmler zu „danken“, dem im Februar 1944 aus SS-Kreisen von angeblich ungenügenden Schutzmaßnahmen im Bereich der Wiener Archive berichtet wurde. Das Reichsinnenministerium entsandte darauf Zipfel als „Kommissar für die Räumung der Wiener Archive“. Dieser fand die vom Reichsarchiv Wien sowie vom Reichsgauarchiv Niederdonau ergriffenen Maßnahmen durchaus befriedigend, nur beim Heeresarchiv Wien war wenig geschehen. Kiszling hatte sich vor allem mit der Umschichtung der Bestände innerhalb des Hauses, also mit der Evakuierung der oberen Lagerstockwerke (bei Kriegsende waren nur mehr das Parterre und die Keller belegt), und der Ausquartierung der wertvollsten und ältesten Bestände in einen Tresorraum des Wehrmachtsfürsorgeamtes in der Hohenstaufengasse in Wien beschäftigt und – natürlich vergeblich – gegen den Bau eines mächtigen Flakturmes im Hof der Stiftkaserne angekämpft, der das unmittelbar benachbarte Archivgebäude natürlich in den Brennpunkt des Luftkriegs rücken musste. 93 Sogar unter Androhung des Konzentrationslagers im Falle des Versagens hetzte Himmler Generaldirektor Zipfel mehrfach nach Wien, um – Eingriff in Vgl. R o h r , Wilhelm: Die zentrale Lenkung deutscher Archivschutzmaßnahmen im Zweiten Weltkrieg. In: Der Archivar 3 (1950), Sp. 105-122. 93 Aufzeichnungen Kiszlings über den Bau des Flakturmes und Evakuierung des Heeresarchivs: K A, MS/K A 13 (V I) und MS/K A 16 (masch.). Zipfels Tätigkeit in Wien aufgrund der Einmischung Himmlers sehr ausführlich bei R o h r : Lenkung, Sp. 115 f. 92 260 Moesta 54.indb 260 05.08.2010 10:36:01 Heeresarchiv ein fremdes Ressort hin oder her – die Räumung des Heeresarchivs gemeinsam mit Kiszling umzusetzen. Dazu mussten, was bisher auf große Schwierigkeiten gestoßen war, erst passende Ausweichquartiere ausgewählt und besichtigt und die knapp gewordenen Transportmittel organisiert werden. Täglich sollte dem Reichsinnenminister berichtet werden, wie viele Waggons und Lastkraftwagen in die Ausweichquartiere abfuhren. Von einem Gesamtbestand von geschätzten 150 Eisenbahnwaggons gingen zwischen Jänner und Juni 1944 tatsächlich 60 Eisenbahnwagen mit Archivalien in die bewachten Ausweichlager. Alleine zwischen März und Mai 1944 waren 416 Tonnen Archivgut verlagert worden. 1949 veranschlagte das Kriegsarchiv die Gesamtmenge an ausgelagerten Archivalien auf 917 Tonnen.94 Als Notquartiere dienten: 1. die Conrad-von-Hötzendorf-Kaserne (ehem. Nonnenkloster) in Retz, die zwölf Eisenbahnwaggons oder 144 Tonnen Militärgerichtsakten mit einem bis zum Vorstoß der Sowjetarmee im April 1945 dauernd vor Ort eingeteilten Beamten aufzunehmen hatte. 2. das Stammersdorfer Reservelazarett XIVa, in das 165 Tonnen Korps­ kommanden Wien (neuer Teil), Graz und Innsbruck sowie Bundesheerakten kamen (10 179 Faszikel und 4 942 Bücher). 3. Klosterbruck bei Znaim, wo man die Registraturen der Quartier­ meisterabteilungen aus dem Ersten Weltkrieg, das Generalkommando (2. Korpskommando) Wien (älterer Teil) und die polnischen Beuteakten unter­ brachte (8 500, Faszikel, 108 Tonnen), und schließlich 4. Stift Göttweig für 144 Tonnen des Bestandes Hofkriegsrat (jüngerer Teil) und angeschlossener kleinerer Fonds. Ursprünglich hatte man an die großen Prunkräume des Klosters gedacht, das allerdings von einer Nationalsozialistischen Erziehungsanstalt (Napola) genützt wurde, so dass man am Ende in die Krypta auswich. Besondere Pretiosa wie die Militärkanzlei des Kaisers, die josephinische und die franziszeische Landesaufnahme, die Alten Feldakten oder den alten Teil samt 94 Zu den Verlagerungen (und Rückführungen) insgesamt vgl. Inventar 1, S. 13, 42, K r a u s , Wilhelm: Das erste Jahrzehnt des Österreichischen Staatsarchivs 1945 –1955. In: MÖSt A 8 (1955), S. 236-301, hier S. 249, 251 f. K A, MS/K A 13 (V I); MS/K A 17 (Tagebuch der Kriegsarchivdirektion 28. Dezember 1945-2. Jänner 1947); MS/K A 61; MS/K A 171 (Sammelmappe); MS/K A 225; MS/K A 524; Direktionsakten Zl. 1 520/1945 (= MS/ K A 120) – Bericht Mündls, Beilage I; Zl. 496/1944 (= MS/K A 189); Direktionsakten Zl. 1 5 60/1945. – Dass Verluste, Zuwächse und Skartierungen in den 1940er und 1950er Jahren nur mehr in wenig aussagekräftigen Tonnen (!) und nicht etwa in archivalischen Einheiten gemessen wurden, lässt keine besonders enge Bindung an das Archivgut erkennen. 261 Moesta 54.indb 261 05.08.2010 10:36:01 Michael Hochedlinger Sonderreihen des Hofkriegsrates konnte man in Wien in der Hohenstaufengasse deponieren. Das Marinearchiv, die Marinebibliothek und das in statu nascendi begriffene Marinemuseum erhielten Stift Dürnstein (Kapitelsaal) und die liechtensteinischen Schlösser Eisgrub (Lednice) und Feldsberg (Valtice) als Bergeorte zugewiesen, die sie mit fast 170 Tonnen Archiv- und Bibliotheksgut, aber auch mit wertvollen Museumsstücken aus Pola belegten. 5. Der Zusammenbruch 5.1. Chaos Die letzten Kriegswochen über konnte in dem weitgehend leer geräumten Heeresarchiv Wien kaum noch gearbeitet werden; 95 laufende Bombenangriffe reduzierten die Arbeitszeit auf die Vormittagsstunden. Die Detonationen des Flakturm-Dauerfeuers im Endkampf um Wien zerstörten fast alle Fenster des Gebäudes. Angesichts des raschen Vorrückens der Sowjetarmee bat Direktor Kiszling seinen Generalstabskameraden Theodor Körner, für den Ernstfall den Schutz des Kriegs­a rchivs zu übernehmen, da dieser Sozialdemokrat war und 1934 in der Haft zudem russisch gelernt hatte. Kiszling hatte den pensionierten Körner, der von k. u. k. Offizierskameraden als „roter Hund“ beschimpft und beleidigt worden war, ab 1939 im Heeresarchiv an russischen Übersetzungen arbeiten lassen, ehe der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner persönlich 1943 95 K i s z l i n g , Rudolf: Meine letzten Wochen im Kriegsarchiv ( Juli 1945): K A, MS/K A 13 (V II), eine handschriftliche Fassung mit (originalen Beilagen) im Nachlass Kiszling B/800 Nr. 19. H e y d e n d o r f f , Walther: Die Sturm- und Drangjahre des Kriegsarchivs Wien 1945/46 –1947: MS/K A 50 (handschr.) sowie Bericht des Regierungsrates (Dr.) Walther Heydendorff über seine Tätigkeit im Kriegsarchiv (1971): MS/K A 51, auch Nachlass Heydendorff B/844 Nr. 35. (Vertrauliches) Material zur Entnazif izierung in K A, MS/ K A 26; zur personellen Umstrukturierung AdR, BK A Liquidator der Einrichtungen des Deutschen Reiches in der Republik Österreich – Heeresarchiv. Nützlich ist auch die Sammlung von Jahresberichten 1946 ff. im Nachlass Regele B/656 Nr. 18 d. Für die unmittelbare Nachkriegsgeschichte des Kriegsarchivs gibt die Schriftgutüberlieferung der Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs nur wenig her. In die unerfreulichen Interna des Kriegsarchivs gewährte schon R a u c h e n s t e i n e r , Manfried: Die Militärgeschichtsschreibung in Österreich nach 1945. In: Militärgeschichte, S. 134161, Einblicke. Vgl. weiters B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte („Strömungen und Ziele seit 1945“), S. 107-180 und fokussierter H i l l b r a n d , Erich: Das Kriegsarchiv von 1945 bis zur Jahrtausendwende. In: MÖSt A 49 (2001), S. 41-58. 262 Moesta 54.indb 262 05.08.2010 10:36:01 Heeresarchiv ein Hausverbot für Körner erwirkte, das man dem General in schonendster Form über den mit ihm befreundeten Josef Mündl ausrichten ließ.96 Am 13. April 1945 war der Kampf um Wien zu Ende. Theodor Körner wurde als Wiener Bürgermeister eingesetzt. Die Bediensteten des Heeres- und des Marinearchivs – die männliche Belegschaft war ursprünglich trotz ganz mangelhafter Bewaffnung zur militärischen Verteidigung des Areals eingeteilt und von 1. bis 10. April kaserniert – hatten das Gebäude am 10. April geräumt und blieben fürs erste zuhause. Währenddessen war es in der leerstehenden Kaserne zu Plünderungen durch die österreichische Zivilbevölkerung gekommen, die sich freilich nicht für das Archivgut interessierte. Ab dem 11. April 1945 hatten sowjetische Truppen begonnen, sich im Areal der Stiftkaserne einzuquartieren; sie drangen auch in das Archivgebäude ein und vandalisierten insbesondere die Kanzleien und Dienstzimmer. Die im Hause verbliebenen Archivalien kamen relativ glimpflich davon, allerdings wurden einige Kartotheken und Akten des Kriegsministeriums (Armeeoberkommando) aus den 1850er Jahren verheizt. Am 15. April 1945 sammelte sich das Personal erstmals wieder im Archiv.97 Am 17. April 1945 verhafteten die Sowjets Kiszling und Mündl, nicht gezielt, sondern eher durch Zufall. Czegka hatte sich bei einer Personenkontrolle auf der Straße drei Tage zuvor mit einem Dokument ausgewiesen, das ihn in deutscher Uniform zeigte, und war daraufhin festgenommen worden. Seine Arretierung zog jene Kiszlings und Mündls nach sich. Die anschließenden Verhöre galten möglicher Spionage gegen die Sowjetunion, russischen Beuteakten und Akten der Deutschen Wehrmacht. Da das Heeresarchiv kein Schriftgut von Wehrmachtsverbänden übernommen hatte, fanden sich bei einem Lokalaugenschein in der Stiftkaserne in der Tat nur vier vorübergehend untergestellte Kisten mit Kriegstagebüchern der 13. deutschen Panzerdivision, die Kiszling den Russen übergab. 98 Aber erst am 26. April 1945 kamen die Archivare dank einer von der Ehefrau Mündls initiierten Intervention Theodor Körners frei. Den Sowjets zur Orientierung übergebene genaue Bestandsverzeichnisse blieben verloren.99 K i s z l i n g , Rudolf: General Körner und das Kriegsarchiv: K A, MS/K A 10. Vgl. auch Kiszling an Ludwig Jedlicka (2. August 1959): K A, Nachlass Kiszling B/800 Nr. 230 (Kopie). Josef Mündl stellte Körner dafür sein Dienstzimmer zur Verfügung. Im Heeresarchiv arbeitete während des Kriegs mancher pensionierte Off izier, auch der Geheimdienstspezialist Generalmajor (des Bundesheeres) Maximilian Ronge (1874 – 1953). Brief wechsel zwischen Körner und Kiszling bzw. Mündl im Nachlass Körners: K A, B/201 Nr. 13 und 17. Mündl und Körner stammten beide aus Komorn. 97 K A, Direktionsakten Zl. 1 5 85/1945. 98 Die Amerikaner beschlagnahmten Ende 1945 die im Luftfahrtarchiv bef indlichen A kten der deutschen Luftf lotte 4, im April 1946 u. a. Schriftgut des Luftgaues X V II. K A, Direktionsakten Zl. 2 0 08/1945 (mit umfangreichen Beilagen); MS/K A 17; MS/K A 120: Staatskanzlei, Heeresamt, an Kriegsarchiv (15. November 1945). MS/K A 376. 99 K A, Direktionsakten Zl. 1 6 23/1945. 96 263 Moesta 54.indb 263 05.08.2010 10:36:02 Michael Hochedlinger 5.2. Der Kampf um die Direktion Eine viel bösere Überraschung erwartete Kiszling aber seitens des wieder­ erstandenen österreichischen Staates. Er selbst ging naiverweise davon aus, den politischen Bruch überleben zu können. In Wahrheit aber war bereits unmittelbar nach der Befreiung Wiens der Kampf um die Archivdirektion ausgebrochen – ohne ihn, und natürlich ohne Glaise-Horstenau. Dieser war vor dem siegreichen Vordringen der Sowjets nach Salzburg geflohen und geriet hier in Kriegsgefangenschaft, wo er 1946 durch Selbstmord endete. Es gab bedeutendere Herausforderer. Dem ehrgeizigen Oskar Regele wurde sein Exil im Luft(fahrt)archiv von Diakows Gnaden zu eng. Zunächst bemühte er sich, von Kiszling in den Dienststand des Kriegsarchivs aufgenommen zu werden – vergeblich. Dann verkündete er von der Widerstandsgruppe O5 mit der kommissariatischen Leitung des Heeresarchivs, der Heeresbücherei, des Kriegsmarinearchivs und des Luft(fahrt)archivs betraut worden zu sein. Tatsächlich übernahm Regele am 17. April 1945 – Kiszling, Mündl und Czegka saßen ja in sowjetischer Haft – vom Luft(fahrt)archiv aus das Kommando. Kiszling und Raubal wollte er weiterhin als Leiter des Heeres- bzw. Marinearchivs dulden.100 Das Führungschaos wurde am 8. Mai 1945 durch die Staatskanzlei (Abteilung Heerwesen) behoben, der bisherige Stellvertreter Josef Mündl zum provisorischen Leiter des „österreichischen Heeresarchivs“ ernannt und die Dienststelle, der auch das Marine- und Luft(fahrt)archiv einzuverleiben waren, dem im Auf bau befindlichen „österreichischen Zentralarchiv“ (Österreichisches Staatsarchiv) eingegliedert. An die Spitze dieser neuen, der Staatskanzlei (Bundeskanzleramt) zugeordneten „Dachorganisation“ aller Wiener Zentralarchive trat der Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Univ. Prof. Dr. Leo Santifaller (1890–1974).101 Mündl hatte diesen unverhofften Aufstieg seinen bekannt guten Beziehungen zu Theodor Körner, aber auch zu Walther Heydendorff (1888–1974) zu verdanken.102 Heydendorff (eigentlich Auspitz) war Sohn eines Generalmajors, K A, Direktionsakten Zl. 1 8 39/1945; MS/K A 159 (Besprechung mit den Angehörigen des Luftfahrtarchivs 17. April 1945); Nachlass Regele B/656 Nr. 18. Aufzeichnung Bayer-Bayersburgs über ein Gespräch mit Regele ([1]7. April 1945): K A, Nachlass BayerBayersburg B/388 Nr. 10. H i l l b r a n d : Kriegsarchiv, S. 43. 101 K A, Direktionsakten Zl. 1 4 90/1945. Behördenüberleitungsgesetz 28. Juli 1945: Staatsgesetzblatt Nr. 94/1945. Die Ungarische Kriegsarchivdelegation nahm schon Ende Mai 1945 wieder ihre Tätigkeit auf: K A, Direktionsakten Zl. 1 532/1945. 102 K A, MS/K A 164; Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Nachlass B/C 844. B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte, S. 390-394. Nachruf von Rudolf Neck in MÖSt A 27 (1974), S. 573-575. 100 264 Moesta 54.indb 264 05.08.2010 10:36:02 Heeresarchiv Jahrgangskamerad Mündls an der Theresianischen Militärakademie, 1933–1934 kurzzeitig unbezahlter Mitarbeiter an „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ gewesen und politisch der Heimwehrbewegung sehr nahegestanden. Bis 1945 arbeitete er in der Privatwirtschaft; der Verfolgung aus rassischen Gründen entging er durch den schon 1921 vollzogenen Namenswechsel. Im Mai 1945 wurde der in der Widerstandsbewegung O5 tätige Heydendorff als Major und Präsidialchef im Heeresamt (Staatskanzlei – Heerwesen) aktiviert, das in den Akten der Zeit als unmittelbar vorgesetzte Behörde des Kriegsarchivs-Heeresarchivs erscheint. Kiszling fühlte sich von Mündl hintergegangen, den er jetzt, seine stets vorzüglichen Dienstbeschreibungen Lügen strafend, als faul und wissenschaftlich unambitioniert kritisierte und nur deshalb gehalten habe, weil er fürchtete, dem auf die Heeresarchivdirektion lauernden Major Regenauer sonst die Türe zu öffnen. Seinen Vorgänger Glaise-Horstenau gleichsam kopierend, okkupierte Kiszling noch bis Juli 1945 das Direktionszimmer, zumal er auch seine Privatbibliothek dort untergebracht hatte. Er unterfertigte sogar weiterhin interne Verlautbarungen des Heeresarchivs, bis die Staatskanzlei (Heerwesen) eingriff, ihn rückwirkend mit 27. April 1945 suspendierte und seine Forschungen für beendet erklärte. Danach arbeitete Kiszling in einem ruhig gelegenen Raum an seinen autobiographischen Beiträgen zur Chronik des Kriegsarchivs. Der etwas zu voreilige Regele wurde im Mai 1945 ebenfalls kaltgestellt und, da ihm auch der Wunsch nach einer Stelle in der Nationalbibliothek nicht erfüllt werden konnte, mit der Funktion eines Generalsekretärs der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz abgefunden. Erst als die ÖVP mit Leopold Figl als Bundeskanzler Ende 1945 die provisorische Regierung Renner ablöste, begann Regeles Aufstieg. Anfang 1946 erfolgte die Wiedereinstellung in den aktiven Bundesdienst mit dem Titel eines Generalmajors d. R., und am 17. Mai 1946 übernahm Regele aus den Händen Mündls endlich die Direktion des Kriegsarchivs, aus dem er einen „Weihetempel der österreichischen Geschichte“ zu machen gedachte – freilich der altösterreichischen.103 Die Ablöse Mündls sollte eigentlich mit größtmöglicher Schonung und im Einvernehmen mit diesem stattfinden, aber schon im Sommer 1946 – Regele mag seine Hand im Spiel gehabt haben – verdichteten sich Hinweise, wonach nicht nur Glaise-Horstenau, Kiszling und der bereits enthobene Ernst Wisshaupt, sondern auch der eben noch mit dem Hofrats-Titel ausgezeichnete Mündl der illegalen Wiener SA-Brigade 6 („Brigade Jäger“) angehört hätten. Theodor Körner höchstpersönlich entlastete seinen Freund Mündl, indem er ihm u. a. für 103 Dazu und zu Regeles Interventionen eingehend mit Verweisen auf das entsprechende Archivmaterial H i l l b r a n d : Kriegsarchiv, S. 45. 265 Moesta 54.indb 265 05.08.2010 10:36:02 Michael Hochedlinger die Zeit nach 1918 sozialdemokratische Gesinnung attestierte, und ermöglichte ihm so 1947 eine problemlose Ruhestandsversetzung.104 Der Beginn einer neuen Ära: Dr. Oskar Regele (1890–1969) 104 AdR, BK A, PA II. Republik Personalakt Mündl Josef. Zum Verhängnis wurde Mündl die Broschüre des angeblichen SA-Brigadeführers Emil Jäger (1892–1946/47): Illegale SA-Brigade 6. Ein Schicksalsbeitrag aus der Kampfzeit der NSDAP in Österreich von 1933 bis 1938, Oels 1939. Die „SA-Brigade Jäger“ dürfte ein Hirngespinst gewesen sein. Jäger, Absolvent der Theresianischen Militärakademie, Off izier im Ersten Weltkrieg, anschließend im Österreichischen Bundesheer, nach 1938 in der Deutschen Wehrmacht, zuletzt Oberst und Inselkommandant auf Korfu, verschaffte vielen „Konjunkturrittern“ nach dem Anschluss eine „illegale Vergangenheit“, von der sie sich einen Karriereschub versprachen. Nach 1945 ließ sich dann das Gegenteil schwer beweisen. Neben Mündl erwähnt Jäger noch rühmend Ernst Wisshaupt, beide allerdings nicht in führenden Positionen, und einzelne Mitarbeiter des Generalstabswerks. Die wichtigsten Unterlagen seiner SA-Brigade seien im Kriegsarchiv ebenso versteckt worden wie (nicht benützte) Waffen für den Juli-Putsch 1934. Zu Jägers kurioser „Illegalenwerkstätte“ nunmehr erschöpfend E c c h e r , Roman: Die SA-Brigade Jäger, ungedr. Diplomarbeit Wien 2008, zum Kriegsarchiv speziell S. 52 f., S. 137-142. Knappe Bemerkungen bei M o r i t z , Verena – L e i d i n g e r , Hannes – J a g s c h i t z , Gerhard: Im Zentrum der Macht. Die vielen Gesichter des Geheimdienstchefs Maximilian Ronge, Sankt Pölten-Salzburg 2007, S. 325 ff. Wie Kiszling, Wisshaupt, Hof und Regenauer war auch Mündl (angeblich durch einen Irrtum) Träger der „Ostmarkmedaille“ (Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938). Die entsprechenden A ktenstücke der Kriegsarchivregistratur waren 1946 bereits verschwunden. Vgl. K A, Direktionsakten Zl. 978/1946. Im Oktober 1946 ermittelte die Polizei auch gegen Kiszling, zumal er verdächtigt wurde, belastendes A ktenmaterial beseitigt zu haben: K A, Direktionsakten Zl. 1 2 27/1946. – Santifaller befürwortete die Ernennung Mündls zum Hofrat ( Juni 1946) alleine schon als Entschädigung dafür, „daß, nachdem er über ein Jahr unter den schwierigsten Verhältnissen das Kriegsarchiv in ausgezeichneter Weise geleitet hat, ein für den wissenschaftlichen Archivdienst nicht qualifizierter Beamter [Regele !] vorgesetzt wurde“ (Personalakt Mündl). 266 Moesta 54.indb 266 05.08.2010 10:36:08 Heeresarchiv 5.3. Die Rückholung der verlorenen Söhne Enthoben wurde im Juli 1945 auch der Leiter des Kriegsmarinearchivs Kapitän zur See Raubal, der im Juni 1938 einen (neuen) Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP gestellt hatte. Nach eigenen Angaben ruhte seine Anwartschaft aber mit der Aktivierung als Marineoffizier, weshalb er auch keine Mitgliedsbeiträge entrichtete. „Nach den bisher gemachten Erfahrungen“ habe er ohnedies keine Lust mehr gehabt, der Partei anzugehören. Sicherheitshalber ließ er sich aber doch von den Mitarbeitern des Marinearchivs bescheinigen, dass er niemals Propagandavorträge gehalten und nie den Hitlergruß eingefordert habe. Er müsse also, so der Persilschein seiner Untergegebenen, „sehr gegen das NS-Regime eingestellt“ gewesen sein! Parteiamtliche Unterlagen weisen ihn demgegenüber als illegales Parteimitglied mit der Nr. 684 (9. Mai 1933) und unterstützendes Mitglied der SA (1931–1937) aus. Auch seine Frau hatte einen Aufnahmeantrag gestellt.105 Material des Luft(fahrt)archivs war nach Klamm-Schottwien ausgelagert gewesen. Hier geriet sein Leiter Diakow bei einer Überprüfung der Notquartiere buchstäblich zwischen die Fronten, als er sich weigerte, das Kommando über den lokalen Volkssturm zu übernehmen, und von der SS inhaftiert wurde. Das ausgelagerte Archivgut ging zu einem erheblichen Teil verloren. Diakow selbst kehrte Ende Mai 1945 für zwei Monate an die Spitze des Luft(fahrt)archivs zurück. Im Juli 1945 wurde er schließlich enthoben und 1946 in den Ruhestand versetzt. 1948 verschleppten die Sowjets den unruhigen Geist wegen Spionageverdachts in ein russisches Arbeitslager, aus dem er erst 1955 zurückkehren durfte.106 Das Kriegsmarinearchiv und das Luft(fahrt)archiv wurden per 1. Juli 1945 wieder mit dem Mutterarchiv vereinigt.107 Der unbelastete Bayer-Bayersburg K A, MS/K A 168; Direktionsakten Zl. 650/1946, Zl. 430/1947; AdR, BK A PA II. Republik Personalakt Raubal Maximilian; BMI, Gauakt Nr. 30 110. Die „Sonderkommission“ erklärte Raubal dennoch für tragbar und entschuldigte sein Drängen in die Partei mit seinem Wunsch, Leiter des Marinearchivs zu bleiben. Regele bestätigte ihm, dass er sich nie politisch betätigt und nur aus Karrieregründen einen Aufnahmeantrag gestellt habe. 1947 wurde er in den Ruhestand versetzt. Am 13. Juni 1938 hatte Direktor Kiszling seinem bisherigen Untergebenen Raubal für die Marinebehörden allerdings folgende Bescheinigung ausgestellt: „ist ein ritterlicher Off izier von untadeliger, ruhig abgeklärter Denkungsart, kerndeutsch eingestellt, seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP. Er ist schuldenfrei, mit einer reinen Arierin verheiratet, kinderlos“ (K A, Direktionsakten Zl. 3 185/1938). Raubal war mit Angela Raubal, der Halbschwester Hitlers, verwandt. 106 Zu den Verlusten im Ausweichquartier K lamm-Schottwien vgl. K A, Direktionsakten Zl. 1 5 45/1945, 1 5 70/1945, 1 7 13/1945. Diakow scheint später an einer größeren Studie über Conrad von Hötzendorf gearbeitet zu haben. Aus seiner Feder erschien noch eine Biographie A lexander Löhrs, Freiburg 1964. 107 K A, Direktionsakten Zl. 1 5 69/1945, 1 6 06/1945. 105 267 Moesta 54.indb 267 05.08.2010 10:36:08 Michael Hochedlinger führte die Marineabteilung als Teil des Kriegsarchivs bis zu seiner Pensionierung 1954.108 Das Luftfahrtarchiv zählte in der Geschäftseinteilung von 1946 schon zur Bestandsgruppe Bundesheer unter Eduard Czegka. Bayer war mit Mündl gut befreundet und hatte keine Probleme, sich in die erneute Unterordnung des Marinearchivs unter das Kriegsarchiv zu finden. Mit Regele sah es anders aus: Regele, ein ehrgeiziger, eitler Generalstäbler, führte sich bei uns nicht gut ein; es ging ihm auch der Ruf voraus, daß er falsch sei und einen schlechten Charakter habe, was sich in der Folge auch als richtig bestätigte. 109 Die ausgegliederte Heeresbücherei wurde neuerlich zur Bibliothek des Kriegsarchivs. Ihr Leiter Ferdinand Stöller, im Juli 1945 enthoben, aber bis zur Entscheidung über sein Ansuchen um Nachsicht von der Registrierung weiterhin im Dienst, war seit 1941 Parteimitglied gewesen und durfte 1946 durchaus wahrheitsgemäß angeben, dass ihn die direkte dienstliche Aufforderung des Chefs der Heeresarchive dazu bewogen hatte, den Antrag auf Aufnahme in die NSDAP zu stellen, nicht ohne ehrlicherweise den Eindruck zu vergessen, den das „überwältigende Ergebnis der Volksabstimmung“ auf ihn gemacht hatte. Die „Sonderkommission I. Instanz beim Bundeskanzleramt“ attestierte ihm, der eine ganze Reihe ehemaliger Kollegen – darunter sogar den einzigen nicht-belasteten Lehrenden am Institut für Geschichte, Dozent Paul Müller (1895–1948) – als Zeugen für seine stets bewährte österreichische Gesinnung aufzubieten vermochte, innere Distanz zum NS-Regime und erklärte ihn 1946 für tragbar. Regele verhinderte seine Wiedereinstellung, 1947 wurde Stöller in den Ruhestand versetzt.110 5.4. Entnazifizierung von Personal und Beständen Der Personalstand – auf dem Papier 67 Bedienstete per 1. Juni 1945 – entwickelte sich ungeachtet der Rückgliederung der abgesprengten Abteilungen Bayer-Bayersburg wurde von Parteistellen günstig („immer national eingestellt“), wenn auch als politisch phlegmatisch beurteilt: AdR, BMI Gauakt Nr. 10 160. 109 Erinnerungen Bayer-Bayersburgs: K A, Nachlass Bayer-Bayersburg B/388 Nr. 20, S. 138. 110 K A, MS/K A 169; Direktionsakten Zl. 855/1946; AdR, BK A PA II. Republik Personalakt Stöller Ferdinand. 1946 hatte Regele mit einer sehr günstigen Beurteilung Stöllers noch zu dessen Tragbarkeitserklärung beigetragen: K A, Direktionsakten Zl. 628/1946. Nach WStL A, M A 119 A 42 – NS-Registrierung (Ferdinand Stöller) ergaben offensichtlich kriminalpolizeiliche Erhebungen, dass Stöller nicht nur Anwärter, wie er selbst angab, sondern NSDAP-Mitglied war. H e i s s , Gernot: Von der gesamtdeutschen zur europäischen Perspektive? Die mittlere, neuere und österreichische Geschichte sowie die Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien 1945 –1955. In: Margarete Grandner et al. (Hg.): Zukunft mit A ltlasten. Die Universität Wien 1945 bis 1955 (Querschnitte 19), Innsbruck etc. 2005, S. 189-210, hier S. 192 und 202. 108 268 Moesta 54.indb 268 05.08.2010 10:36:09 Heeresarchiv rapide nach unten. Im Jahre 1950 arbeiteten nur mehr 39 Personen im gesamten Kriegsarchiv.111 Denn nicht nur an der Spitze rollten nach 1945 die Köpfe. Wegen Zugehörigkeit zur NSDAP wurden 1945 insgesamt 25 Bedienstete des Kriegsarchivs entlassen, darunter auf Referentenebene Reichert, Fink, Hof und Wisshaupt; der Parteianwärter Karl Martinec war schon Anfang 1945 mit Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand getreten.112 Aus dem Personalstand vom 13. März 1938 dienten nur drei Archivare nach 1945 unbehelligt weiter, nämlich die Doctores Czegka, Sokoll und Nemetz.113 Ende Oktober 1945 erschien die Staatspolizei im Kriegsarchiv, wo sie sich – auf der Basis überraschend gründlicher Vorinformation – besonders für die beiden als „Illegale“ geführten Friedrich Hof und Ernst Wisshaupt interessierte.114 Wisshaupt wurde seit Juli 1934 als Mitglied der NSDAP geführt und 1939 als Scharführer der angeblichen „SA-Brigade Jäger“ sowie als politischer Leiter der Ortsgruppe Penzinger Au gemeldet. Im September 1938 hatte er in der „braunen Uniform“ des politischen Leiters am Parteitag in Nürnberg teilgenommen. 1945 versicherte Wisshaupt, kaum aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, erst im Sommer 1938 der NSDAP beigetreten zu sein, und garnierte seine Eingabe mit lebhaften Tiraden gegen alles Preußisch-Norddeutsche; seine in der NS-Zeit gemachten Angaben erklärte er für aus Karrieregründen erlogen bzw. als von Emil Jäger erfunden. Seinen Österreichpatriotismus hatte er nach eigenem Empfinden mit seinem zweibändigen Werk „Die Tiroler Kaiserjäger im Weltkriege 1914–1918“ (1935/36) hinreichend unter Beweis gestellt. Archivdirektor Mündl bescheinigte Wisshaupt, mittlerweile Hilfsarbeiter beim Bundesdenkmalamt, noch im Februar 1946 einen guten Leumund. Das 1946 gegen ihn eingeleitete Volksgerichtsverfahren wurden 1948 eingestellt, Wisshaupt 1949 in den Ruhestand versetzt.115 Inventar 1, S. 35; K A, Direktionsakten Zl. 1 5 02/1945, 1 5 44/1945, 1 595/1945. Martinec wurde von Juni 1938 bis zur endgültigen Ablehnung seines Aufnahmeantrags im Mai 1944 als Anwärter geführt. Eigener Einschätzung zufolge trug die Tatsache, dass er bekennender Katholik war, kein Hitler-Bild besaß, an keinen Parteiveranstaltungen teilnahm und auf der Straße weiterhin mit Juden sprach (!), zur Ablehnung bei: WStL A, M A 119 A 42 – NS-Registrierung (Karl Martinec). 113 K A, MS/K A 22 (Übersicht der seit 1. Mai 1945 aus dem Dienststande des ehemaligen Heeresarchivs, Heeresbücherei, Wehrkreisbücherei, Kriegsmarinearchiv und kriegs­ wissen­s chaftlichen Instituts der Luftwaffe ausgeschiedenen Personen); MS/K A 159 (= Zl. 359/1946); Direktionsakten Zl. 1 183/1946. 114 Kriegsarchivleiter Mündl an den Liquidator (26. Oktober 1945): K A, Direktionsakten Zl. 1 9 30/1945. 115 Wisshaupt an Direktion des Heeresarchivs (6. August 1945): K A, MS/K A 170; Direktionsakten Zl. 1 7 81/1945, 1 9 01/1945. Meldung des Heeresarchivdirektors Kiszling an die Wehrkreisverwaltung Wien über Anrechnung von „Parteidienstzeiten“ 111 112 269 Moesta 54.indb 269 05.08.2010 10:36:09 Michael Hochedlinger Wie formal komplex NSDAP-Mitgliedschaften im Lichte der Entnazifizierungs­ gesetze aussehen konnten, zeigt der Fall Friedrich Hofs. Gegen ihn wurde nach Kriegsende besonders energisch vorgegangen; da half es auch nichts, dass er unmittelbar nach der Befreiung die rot-weiß-rote Armbinde anlegte und sich auch in der Trümmerbeseitigung an vorderster Front engagierte. Ende 1945 saß Hof, der mangels Registrierung nicht enthoben worden war und so weiterhin als Leiter der Bestandsgruppe „Militärische Zentralstellen“ arbeiten konnte, nach einer Vorladung zur Staatspolizei einen Monat in Untersuchungshaft und musste sich nach seiner im Dezember 1945 erfolgten Entlassung als Bauhilfsarbeiter durchschlagen. Im September 1947 wurde er in einem Volksgerichtsprozess von der Anklage des Hochverrats (illegale Mitgliedschaft in der NSDAP) und des Betrugs (unterlassene Registrierung) freigesprochen, ohne dass der Verdacht auf illegale Mitgliedschaft gänzlich hätte ausgeräumt werden können. 1948 wurde er in den Ruhestand versetzt. Wir verdanken dem Verfahren gegen Hof eine anonyme Schilderung von Hofs politi­schem Verhalten in der NS-Zeit, die von einem intimen Kenner der Vor­g änge in der Stift­k aserne, wohl einem Mit­a rbeiter des Heeres­a rchivs selbst, stammen muss. Hier tritt Hof eindeutig als d e r „Exponent der NSDAP im Heeresarchiv“ auf. „Wo immer es nur galt, die braune Geistigkeit zu dokumentieren, stand er an erster Stelle“ – auch als Schöpfer nationalsozialistischer Spaßgedichte, mit denen er angeblich die Wände des archiveigenen Speiseraumes plakatieren ließ: „Kriegsarchiv, das Nazi­nest, steht zu seinem Führer fest !“ Von Hofs frühem Engagement als NS-Aktivist im Kriegsarchiv war schon die Rede. Nach dem „Anschluß“ wuchsen ihm manche unbedeutende Funktionen zu: Vertrauensmann der NSDAP im Heeresarchiv, Verbindungsmann der Gesellschaft für Wehrpolitik (Zweigstelle Wien) zum Kreispropagandaamt der NSDAP, politischer Leiter einer Ortsgruppe (Wien XVIII) mit dem Sachgebiet Abstammungsnachweise. Seine Behauptung, er sei weder in der Verbotszeit noch in der NS-Zeit Parteimitglied gewesen, konnte nicht widerlegt werden. Hof selbst gab an, nur zwischen Juli 1932 und dem 19. Juni 1933 (Verbot der Partei in Österreich) der NSDAP mit der Mitgliedsnummer 1 089 638 und auch der SA angehört zu haben. (11. Oktober 1939) in MS/K A 164; K A, Direktionsakten Zl. 627/1946. AdR, BK A Liquidator Heersarchiv 2 Zl. 202/1949: Wisshaupt an den Liquidator (10. November 1945); BK A PA II. Republik Personalakt Wisshaupt Ernst (insbesondere Lebenslauf vom 4. November 1939 mit Betonung seiner „Begeisterung für unseres Führers Ideen“). WStL A, M A 119 A 42 – NS-Registrierung (Ernst Wisshaupt); Volksgericht A 1 – Vg8aVr 1 2 30/1946 (Voruntersuchung gegen Ernst Wisshaupt). Im Rahmen der Untersuchung gutachtete Oskar Regele im Juni 1947 im Auftrag des Gerichts über Wisshaupts Publikation zum Polenfeldzug 1939 (vgl. Anm. 76), die er als NS-Propagandaschrift qualifizierte. 270 Moesta 54.indb 270 05.08.2010 10:36:09 Heeresarchiv Im Sommer 1938 stellte er wohl einen neuen Aufnahmeantrag, dieser wurde aber von der Partei 1942 definitiv zurückgestellt. Verschiedene Begründungen standen im Raum, Hof selbst brachte seine Ablehnung der NS-Rassenpolitik und speziell sein Engagement für den 1938 entlassenen jüdischen Kollegen Paul Panzierer ins Spiel, dem er 1939 durch eine Art Schutzbrief die Flucht nach Venezuela ermöglicht hatte. In der Tat bestätigte Panzierer 1947 aus Caracas brieflich die Hilfeleistung Hofs bei der Ausreise.116 Gustav Reichert, der sich nach 1945 als geläuterter NS-Gegner darzustellen versuchte und seine nationale Gesinnung mit der „völkischen Not“ des Grenzlanddeutschen erklärte, attestierte die „Sonderkommission“ 1946 trotz Parteimitgliedschaft ab 1938 Distanz zu und Schwierigkeiten mit der NSDAP. Sie erklärte den Reuigen daher für weiterhin „tragbar“.117 Franz Fink wollte nach 1945 bloß Parteianwärter und nicht Mitglied (seit Mai 1938) gewesen sein und versah bis zum Eintreffen Dr. Sokolls aus der Kriegsgefangenschaft dessen Funktion als Leiter des Personalaktenreferats.118 Beide wurden trotzdem nicht übernommen und 1947 pensioniert. Aber nicht nur das Personal wurde entnazifiziert (und „entmilitarisiert“), auch das Haus und seine Bestände. Das Kriegsarchiv hatte sich vor diesem Hintergrund verschämt „Staatsarchiv II“ zu nennen; eine Benutzung durch externe Forscher fand nicht statt. 1946 versuchte die Österreichische Nationalbibliothek, sich die Kartensammlung des offensichtlich dem Untergang geweihten Kriegsarchivs einzuverleiben.119 Selbst der Standort Stiftkaserne war akut gefährdet. Alliierte Stellen forderten die vollständige Räumung des Gebäudes. In aufreibenden Verhandlungen konnte der Verbleib des Archivs an seinem angestammten Platz WStL A, M A 119 A 42 – NS-Registrierung (Friedrich Hof ); Volksgericht A 1 – VgVr Strafakten Vg2Vr 4 185/45 (Verfahren gegen Friedrich Hof ), hier insbesondere Erklärung Hofs vom 15. November 1945 und anonyme „Daten über das politische Verhalten des Major a. D. Friedrich Hof “ (daraus die Zitate); K A, Direktionsakten Zl. 1 6 32/1945, 2 0 03/1945. Der Staatspolizei waren sogar Auszüge aus dem Exhibitenprotokoll der Direktionskanzlei zugespielt worden (Direktionsakten Zl. 2 0 03/1945). In parteiamtlichen Aufzeichnungen wurde August 1934 als Ende von Hofs NSDAP-Mitgliedschaft angegeben, da er keine Mitgliedsbeiträge mehr entrichtete. Dieser de facto-Austritt war auch der wahre Grund für die Verweigerung der Neuaufnahme 1940/41: AdR, BMI Gauakt Nr. 20 0 61. In einer Aufstellung der im September 1945 Dienst versehenden Beamten (K A, Direktionsakten Zl. 1 8 60/1945) wird bei Hof die Frage der Zugehörigkeit zur NSDAP verneint. 117 WStL A, M A 119 A 42 – NS-Registrierung (Gustav Reichert); K A, Direktionsakten Zl. 1 196/1946 (Regele korrigierte die von Mündl entworfene Stellungnahme für die „Sonderkommission“ in für Reichert ungünstiger Weise); Zl. 1 556/1946; AdR, BK A PA II. Republik Personalakt Reichert Gustav. 118 K A, Direktionsakten Zl. 1 595/1945; Zl. 1 184/1946. AdR, BMI Gauakt Nr. 219 179. 119 Dazu K A, Direktionsakten Zl. 363/1946. Vgl. auch den Beitrag von Rudolf Jeřábek (S. 384 f.). 116 271 Moesta 54.indb 271 05.08.2010 10:36:10 Michael Hochedlinger sichergestellt werden. Bis 1951 nutzten die US-Truppen allerdings den alten Forschersaal (Festsaal) als Lagerraum und Schießstätte.120 Ganz generell geriet das „Staatsarchiv II“ ins Fadenkreuz der Alliierten. Das Kriegsarchiv durfte weiterhin keine „wissenschaftlichen Arbeiten“ durchführen und hatte ein Gesamtverzeichnis aller Archivbestände ab dem Grenzjahr 1914 vorzulegen.121 Ab Juni 1946 amtierte zudem eine Interalliierte Archivkommission (IAAK) im Kriegsarchiv, um nazistisches und „anti-alliiertes“ Archiv- und Bibliotheksgut zur Vernichtung bzw. zur Übernahme durch die vier alliierten Mächte vorzubereiten. Und wirklich fanden im Dezember 1946 großflächige Verbrennungen statt.122 Besonders hart traf es die Buchbestände. Hier wollte die IAAK – ausführendes Organ war kein Geringerer als der als US-Kulturoffizier aus der Emigration zurückgekehrte Musikwissenschafter Dr. Marcel Prawy (1911–2003) – alle nach 1933 in Deutschland und Italien bzw. nach 1938 in Österreich erschienenen Druckwerke ausgeliefert erhalten. Insgesamt sollen 31,5 Tonnen Akten und Bücher durch Verbrennen oder Versenken im Löschteich im Hof der Stiftkaserne tatsächlich vernichtet worden sein.123 K A, Direktionsakten 1946 passim, besonders Zl. 728/1946, Zl. 970/1947. K r a u s : Jahrzehnt, S. 248; H i l l b r a n d : Kriegsarchiv, S. 46 f. — Kiszling hatte noch Anfang Mai 1945 von einer Inbesitznahme der ganzen Kaserne durch das Kriegsarchiv geträumt, da er nicht nur die seit 1938 ausgegliederten Teile des Archivs, sondern auch die Vereinigten Wehrevidenzstellen und das Militärmatrikenamt an sich ziehen und ein neues „Österreichisches Militärarchiv“ errichten wollte: K A, Direktionsakten Zl. 1 472, 1 474, 1 479 und 1 4 80/1945. 121 Ein Exemplar MS/K A 196/I = AB 48: „Inventar der Archivalien, Druckschriften, Bücher und Karten, welche nach 1914 entstanden (erwachsen) sind“ (Stand: 23. Mai 1946) mit Vernichtungsaufträgen der A lliierten. „Jede wissenschaftliche Tätigkeit“ war dem Kriegsarchiv „auf die Dauer der gegenwärtig ungeklärten Lager“ schon am 25. Juni 1945 durch die Staatskanzlei-Heerwesen untersagt worden: K A, Direktionsakten Zl. 586/1945. 122 K A, Direktionsakten Zl. 490/1946 (Sammelakt) = MS/K A 195; Zl. 50, 206, 208, 211, 313, 325, 971/1947. MS/K A 17 (wie Anm. 94); AdR, A kten der Generaldirektion Karton 17 Konv. Kriegsarchiv 1947 (Zl. 62/1947). Ob die Inhalte der Jäger-Broschüre von 1939 (vgl. Anm. 104) die massive Intervention der A lliierten provozierten, müsste tiefer dringende Forschung klären. 123 Inventar 1, S. 13; R a u c h e n s t e i n e r : Militärgeschichtsschreibung, S. 140 f.; H i l l b r a n d : Kriegsarchiv, S. 45 f.; B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte, S. 122 f. Erinnerungen Bayer-Bayersburgs: K A, Nachlass Bayer-Bayersburg B/388 Nr. 20, S. 138 f. Der Materialverlust vergrößerte sich in den Jahren 1952–1955 durch unprofessionelle Skartierungen, die Regele ehemaligen Off izieren überließ. 4 0 00 Faszikel gingen damals verloren. H i l l b r a n d : Kriegsarchiv, S. 48. — Regele war auch kriegsarchivintern sehr umstritten. Im Mai 1947 ging – nicht zum ersten Mal – bei Regele und in der Generaldirektion am Minoritenplatz eine wüste Beschimpfung ein, die mit „Die Angehörigen des Staatsarchivs 2“ gezeichnet war und Regele als „Totengräber des Staatsarchivs 2“ beschuldigte, an der Vernichtungsaktion der I A AK wesentlich Mitschuld 120 272 Moesta 54.indb 272 05.08.2010 10:36:10 Heeresarchiv Die Arbeit der Interalliierten Kommission blieb auch nicht ohne personelle Konsequenzen. Zunächst verdächtigten die Alliierten Walther Heydendorff, der nach der unter alliiertem Druck erfolgten Liquidierung des Heeresamtes eben erst ins Kriegsarchiv versetzt worden war (Mai 1946), der Spionage und suspendierten ihn. Heydendorff arbeitete während dieser Zeit in der Bundesparteileitung der ÖVP. Als die Kommission trotz der Zusage, alles kritische Material sei aus den Akten entfernt und vorgelegt worden, „verbotene Dokumente und Bücher“ entdeckt zu haben meinte, wurde gegen die beschuldigten Archivare Regele, Mündl, Czegka, Bayer-Bayersburg und sogar gegen Santifaller vorgegangen. Den betroffenen Kriegsarchivbediensteten und dem Generaldirektor verwehrten die Alliierten den Zugang zum Archivgebäude (April 1947), einige kamen vorübergehend in anderen Abteilungen des Staatsarchivs zum Einsatz. Erst im Juli 1947 beendete die Kommission ihre Tätigkeit und gab das Kriegsarchiv wieder für den Normalbetrieb frei. Die allgemeine Benützung war ab 1. September 1947 wieder gestattet; die gebannten Mitarbeiter durften zurückkehren.124 5.5. Rückführungen und Restitutionen Zurückkehren mussten natürlich auch in den Strudel der Ereignisse gerissene Archivalien: die ausgesiedelten Archivbestände in die Stiftkaserne, die von der Wehrmacht zusammengeraubten Fremdprovenienzen zu ihren rechtmäßigen Besitzern und Verwahrern, darunter 1949 auch die „Wallenstein-Akten“.125 Wie das Haus-, Hof- und Staatsarchiv ging auch das Heeresarchiv Wien aus dem Bombenkrieg ohne gröbere bauliche Schäden hervor. Ausgerechnet in den Ausweichquartieren mussten beide Abteilungen des Österreichischen Staatsarchivs umso bittere Verluste hinnehmen.126 Das nach Retz verlagerte Militärgerichtsarchiv wurde während der Nutzung der Kaserne als russisches Lazarett und beim Rücktransport 1948 besonders schwer in zu sein: Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs Personalakt Regele Oskar. K A, Direktionsakten Zl. 228/1947. 124 K A, Direktionsakten Zl. 973/1947. 125 K A, Direktionsakten Zl. 727/1946. Zu den Rückstellungsverhandlungen mit Polen und Tschechien: K A, MS/K A 32, 173-174, 180 (Sammelakt), 182, 397; mit Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg: K A, MS/K A 191-192, 398. Von jugoslawischer Seite J o v a n o v i ć , Vojislav: Jugoslovenske arhive u drugom svetskom ratu [ Jugoslawiens Archive im Zweiten Weltkrieg]. In: Zbornik Matice Srpske za knijževnost i jezik 22 (1974), S. 392-444, 23 (1975), S. 50-101 und 24 (1976), S. 101-128, S. 253-275, S. 404-488, eine Teilübersetzung f indet sich in MS/K A 194. Vgl. auch R i l l , Gerhard – S p r i n g e r , Elisabeth – T h o m a s , Christiane: 60 Jahre österreichisch-jugoslawisches Archivübereinkommen. Eine Zwischenbilanz. In: MÖSt A 35 (1982), S. 288-347. 126 Zu den Rückführungen vgl. insgesamt die in Anm. 94 genannten Quellen. 273 Moesta 54.indb 273 05.08.2010 10:36:11 Michael Hochedlinger Mitleidenschaft gezogen. Die Sowjetsoldaten hatten die Archivalien zunächst in den Hof, dann in den Keller geworfen, wobei sich die archivalischen Einheiten in ein Wirrwarr loser Blätter auflösten. 8 0 00 Faszikel, die meisten Geschäftsbücher und vor allem die Personenkartei gingen verloren, der Rest wurde zum Teil durch Feuchtigkeit beschädigt. Der Bestand ist heute ein Schatten seiner selbst und nur erschwert benützbar.127 Massiv betroffen waren auch die nach Stammersdorf verlagerten Registraturen der General- bzw. Korpskommanden Wien, Graz und Innsbruck. Im Zuge des Rücktransports aus dem mittlerweile ebenfalls von den Sowjets genützten Lazarett konnten 1949 nur mehr zwei Drittel der Bestände sichergestellt werden, die archivalische Ordnung war vollständig zerstört, die Faszikeldeckel aus Karton hatte man wohl verheizt. Das Kriegsarchiv brauchte bis 1952, um die völlig vermischten Provenienzen auseinanderzusortieren. 30 0 00 neue Faszikel ent­standen dabei!128 Die durch die Notwendigkeit enger Kooperation mit den alliierten Besatzungsmächten doppelt mühsamen Rückführungsarbeiten konnten im Wesentlichen bis 1951 abgeschlossen werden. Für die zum Teil außerhalb des österreichischen Staatsgebietes, also etwa in den Schlössern Eisgrub und Feldsberg gelagerten Marinebestände benötigte man diplomatische Unterstützung. Die nach Znaim verbrachten polnischen Beuteakten lieferte die Tschechoslowakei 1950 gemeinsam mit den österreichischen Provenienzen an Polen aus, nur ein Teil kehrte 1959/1960 von dort nach Wien zurück. Den im Weltkrieg erlittenen Gesamtverlust berechnete man 1953 mit 154 Tonnen.129 6. Ausblick: Folgeschäden Das Kriegsarchiv hatte noch viele Jahre an den Folgen des Kriegs zu tragen, auch und gerade im personell-zwischenmenschlichen Bereich. Santifaller hielt nichts von Regele, der ja kein ausgebildeter Historiker war, geschweige denn den Kurs am Institut für Österreichische Geschichtsforschung besucht hatte. Welch’ Ironie, dass ausgerechnet Regele nach dem Ausscheiden Santifallers als Dienstältester bis zu seiner Pensionierung Ende 1955 fast ein ganzes Jahr die Geschicke des Österreichischen Staatsarchivs lenkte! Unter Regele war und blieb das Kriegsarchiv, was es schon vor 1938 gewesen war, nämlich ein Gedenkort der k. u. k. Armee, für die jetzt aber nicht mehr durch K A, AB 46 (alt 301-3-1). Vgl. auch F o d o r , Livius: Die österreichischen Militär­ gerichtsakten. In: Scrinium 7 (1972), S. 23-43, hier S. 25. 128 K A, Direktionsakten Zl. 1 6 04 und 2 144/1949. K r a u s : Jahrzehnt, S. 251. 129 Die Zahlenangaben nach Inventar 1, S. 13. 127 274 Moesta 54.indb 274 05.08.2010 10:36:11 Heeresarchiv institutionelle Forschung, sondern durch eine merkwürdig rückwärtsgewandte und verklärende Musealisierung Propaganda gemacht wurde. Platz war hinreichend vorhanden (das Archiv verfügte in der Stiftkaserne über 290 Räume) … und auch eine Marktlücke, denn das alte Heeresmuseum wurde erst 1955 als Heeresgeschichtliches Museum wieder eröffnet. So entstand im Archivgebäude bis 1949 eine ganze Reihe von Gedenk- bzw. Schauräumen (Conrad von Hötzendorf, Tegetthoff, Payer-Weyprecht, Hauslab usw.), die Regele mit einem engagierten Führungsprogramm bespielte. In drei Räumen des ehemaligen Luftfahrtarchivs richtete er ein kleines Luftfahrtmuseum mit immerhin 633 Inventarnummern ein, für das Diakow schon während des Kriegs gesammelt hatte.130 Zu den Zweifeln an der archivfachlichen Kompetenz des Kriegsarchivdirektors kamen schwere, aus der jüngeren Vergangenheit ableitbare Konflikte zwischen dem militärisch-herrischen Regele und einzelnen Mitarbeitern, so mit dem schwierigen Walther Heydendorff. 1950 war dessen Verhältnis zu Regele so weit vergiftet, dass er um Versetzung in das Haus-, Hof- und Staatsarchiv ansuchen musste. Heydendorff ersetzte im Kriegsarchiv der einzige wirkliche Militärhistoriker im vollen Wortsinn, über den das Kriegsarchiv bis in die frühen 1960er Jahre verfügte: Johann Christoph Allmayer-Beck (*1918), der nach einer Offizierslauf bahn im Zweiten Weltkrieg auch noch Studium und Institutskurs absolviert hatte. Allmayer-Beck übernahm 1961 die Militärwissenschaftliche Abteilung beim Bundesministerium für Landesverteidigung 131 und 1965 nach dem Tod Heinz Zatscheks (1901–1965) auch noch die Leitung des Heeresgeschichtlichen Museums. Heydendorff war nicht der einzige „Kriegsarchivdeserteur“: Auch der schwer kriegsversehrte Walter Nemetz, Mitglied der Widerstandsorganisation O5 seit 1943, flüchtete 1953 an den Minoritenplatz, angeblich weil er aus psychischen Gründen die belastende Beschäftigung mit Krieg und Militär aufgeben musste, in Wahrheit hatte er sich ebenfalls mit Regele zerkracht.132 Kaum war letzterer Inventar 1, S. 43 und 2, S. 75. Heute die Militärgeschichtliche Forschungsabteilung des Heeresgeschichtlichen Museums. Die Militärwissenschaftliche Abteilung hatte 1957 Johann Heinrich Blumenthal (1895 –1964) aufgebaut, der 1940 als Mitglied einer Widerstandsgruppe verhaftet worden war und das Kriegsende 1945 in Auschwitz erlebte. 1947–1950 war er, obwohl „nur“ Jurist und ohne Institutskurs, zur Wiedergutmachung im Kriegsarchiv als Staatsarchivar 1. K lasse eingeteilt. Vgl. B r o u c e k – P e b a l l : Geschichte, S. 300-304. 132 Nemetz warf Regele vor, sich erst im letzten Augenblick aus opportunistischen Gründen der Widerstandsgruppe O5 angeschlossen zu haben (R a u c h e n s t e i n e r : Militärgeschichtsschreibung, S. 137; K A, Nachlass Nemetz B/2 210), und genau so sah es Walther Heydendorff (K A, Nachlass B/844 Nr. 49). 130 131 275 Moesta 54.indb 275 05.08.2010 10:36:11 Michael Hochedlinger in den Ruhestand getreten, kehrte Nemetz mit Anfang 1956 in die Stiftkaserne zurück. Joseph Sokoll dagegen vertrug sich mit Regele hervorragend. Er hatte sich bei Kriegsende von Zagreb nach Oberösterreich durchgeschlagen und geriet hier im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Im Jänner 1946 trat Sokoll seinen Dienst im Kriegsarchiv wieder an und zeichnete sich insbesondere bei der Rückführung der nach Göttweig und Retz ausgelagerten Archivbestände aus. Als 1947 Regele, Mündl, Czegka und Bayer von der Interalliierten Archivkommission der Zugang zum Kriegsarchiv verweigert wurde, leitete er den Notdienst zur Erledigung unaufschiebbarer Geschäfte. Regele versuchte ihn ganz offensichtlich zu seinem Nachfolger aufzubauen – vergeblich. Neuer Leiter des Kriegsarchivs wurde Anfang 1956 – angeblich auf Intervention des Linzer Bürgermeisters und Nationalratsabgeordneten Ernst Koref – Wilhelm Kraus (1900–1978), der 1929 Einlass in Ludwig Bittners Kaderschmiede im Haus-, Hof- und Staatsarchiv gefunden und 1942–1945 als provisorischer Leiter des Reichsarchivs Troppau amtiert hatte. Nach kurzzeitiger Enthebung als NSDAP-Mitglied war er über das Finanz- und Hofkammerarchiv erst 1950 in das Kriegsarchiv gekommen. Der verbitterte Sokoll verwand die Zurücksetzung nicht und wurde 1957 wegen zu großer Spannungen mit Kraus ins Finanz- und Hofkammerarchiv versetzt. Für Regele musste dies eine doppelte Niederlage sein, denn Kraus war niemals Offizier gewesen, ja er hatte nicht einmal gedient, war also in Regeles Worten ein „militärischer Analphabet“.133 Weniger die Tatsache aber, dass mit Kraus erstmals ein Zivilist das Kommando in der Stiftkaserne übernommen hatte, als vielmehr das sintflutartige Dienstzeitbestätigungswesen für die österreichischen Sozialversicherungen ab 1958 war es, das das Kriegsarchiv daran hinderte, zu seiner Rolle als militärhistorische Forschungsanstalt zurückzufinden. Die Forschung fand nun überwiegend außerhalb des Kriegsarchivs statt, nicht zuletzt durch die Pensionisten wie z. B. Rudolf Kiszling.134 Regele an General Liebitzky (5. Jänner 1956): K A, Nachlass Liebitzky B/1 0 30 Nr. 52. 1951 hatte Regele Kraus wie folgt beurteilt: „Da militärisch nie gedient, im Kriegsarchiv nicht universell verwendbar“ (K A, MS/K A 165). MS/K A 22 (Personalaufnahmebögen), Vermerke Regeles „Kein Militärdienst“ und „P(artei)g(enosse)“. Vgl. auch den Nachruf aus der Feder von Kraus’ Nachfolger Otto Friedrich W i n t e r MÖSt A 32 (1979), S. 487492 mit wiederholten Hinweisen auf die Tatsache, dass Kraus „ungedient“ war. Der chaotische Kraus war mit dem Dienstzeitbestätigungswesen sichtlich überfordert: W i n t e r , Otto Friedrich: Personalunterlagen des Zweiten Weltkriegs im Kriegsarchiv. In: MÖSt A 28 (1975), S. 50-67. 134 Dabei hatte Mündl der Leitung des Österreichischen Staatsarchivs im Oktober 1945 noch hochf liegende Pläne einer ziemlich bruchlosen Anknüpfung an die Tätigkeit des alten Kriegsarchivs präsentiert: Bericht und Anträge über die wissenschaftlichen 133 276 Moesta 54.indb 276 05.08.2010 10:36:12 Heeresarchiv Kiszling, der im Juni 1946 mit Wirkung vom 1. Mai 1945 pensioniert wurde, erreichte zwar nicht die angestrebte Ruhestandsversetzung mit dem österreichischen Generalmajorstitel, aber sein zäher Kampf um Rehabilitierung trug langfristig doch Früchte. Zunächst wurde er allerdings von seinem Nachfolger Regele, der ihm auch gerne vorwarf, das Archiv in der „Schlacht um Wien“ Anfang April 1945 einige Tage unbeaufsichtigt gelassen zu haben, mehr oder weniger des Hauses verwiesen. In den Augen Regeles standen die enthobenen und pensionierten Bediensteten des Archivs mit ihren aktiven Kollegen über ihr Ausscheiden hinaus weiterhin in zu engem Kontakt und suchten sie sogar zu nicht korrekten Handlungen, insbesondere zu Bücher- und Aktenentlehnungen, zu bewegen. Besonders störte den neuen Archivleiter natürlich die „Arbeitsgemeinschaft Kiszling“, die in der Ära Mündl kurzerhand Bedienstete des Archivs zu Hilfsarbeiten herangezogen hatte. Mit einigen überlebenden Mitarbeitern von „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ (darunter Jaromir Diakow und Maximilian Ehnl) hatte sich Kiszling nämlich schon bald nach Kriegsende daran gemacht, die revolutionären Erschütterungen der Jahre 1848/49 in der Habsburgermonarchie aufzuarbeiten.135 Regele verbot den Bediensteten des Kriegsarchivs, insbesondere Czegka und Mündl, jede Mitwirkung und auch den privaten Verkehr mit Kiszling und benützte die Arbeit der Interalliierten Archivkommission dazu, seinem Vorgänger buchstäblich den Sessel vor die Türe zu stellen. Ein freundliches Abschiedsschreiben, das Kiszling nach seiner definitiven Pensionierung im August 1946 an alle Mitarbeiter des Kriegsarchivs richtete, ließ Regele nicht wie erbeten verlautbaren, sondern stillschweigend einlegen.136 Der Konflikt zwischen den „k. u. k. Dinosauriern“ Kiszling und Regele spaltete nicht nur die Belegschaft des Hauses, sondern auch die winzig klein gewordene Schar österreichischer Militärhistoriker. Noch in den frühen 1960er Jahren dehnte sich der Streit auf die Wiener Katholische Akademie aus, in der alle Kontrahenten Mitglieder waren. Hugo Hantsch (1895–1972) weigerte sich als Leiter der Historischen Arbeitsgemeinschaft, Regele von den Veranstaltungen Arbeiten des Österreichischen Kriegsarchivs (Zl. 1 9 36/1945). Immerhin wurde 1947, also in der Ära Regele, mit der Arbeit am Inventar des Kriegsarchivs begonnen. A ls erster Schritt erfolgte im September 1947 die Vorlage einer A llgemeinen Bestandsübersicht (K A, Direktionsakten Zl. 1 0 00/1947). 135 K i s z l i n g , Rudolf (Hg.): Die Revolution im Kaisertum Österreich 1848 –1849, 2 Bde., Wien 1948. 136 K A, Direktionsakten Zl. 993/1946: eigenhändiges Schreiben Kiszlings (14. August 1946). Unter Zl. 779/1947 erliegt eine „Liste jener Personen, die das Archivgebäude bis auf weiteres nicht betreten dürfen“ (16. Juli 1947). Sie umfasst u. a. die Herren Kiszling, Stöller, Reichert, Hof, Raubal, Fink, Wisshaupt. Die Genannten durften nur beim Direktor vorsprechen. 277 Moesta 54.indb 277 05.08.2010 10:36:12 Michael Hochedlinger auszuschließen. Kiszling und Heydendorff boykottierten daraufhin ihrerseits den Betrieb.137 Erst nach Regeles Abgang war Kiszling wieder gerne gesehener Gast in der Stiftkaserne, beriet hier und in seiner Wohnung bis ins hohe Greisenalter Studenten und junge Forscher, besonders im Einvernehmen mit Ludwig Jedlicka (1916–1977), dem Begründer der österreichischen Zeitgeschichte, der selbst bei Glaise-Horstenau an der Wiener Universität gehört und sich während des Kriegs in dessen Umfeld bewegt hatte. Kiszling publizierte weiterhin am laufenden Band – fast so als wolle er die Jahre der wissenschaftlichen Knebelung 1938– 1945 wettmachen und zugleich dem Gegenspieler Regele sein wissenschaftliches Potential beweisen.138 Auch das offizielle Österreich glaubte Kiszling mittlerweile seinen heroischen Kampf gegen die reichsdeutsche Überfremdung in den Jahren nach dem „Anschluß“; die „konsequente Verhinderung der Einstellung von Wehrmachtsbeamten aus dem Altreich in das Kriegsarchiv, wodurch dieses als rein österreichisches Institut erhalten blieb und das Enttragen für Österreich wertvollen historischen Aktenmaterials verhindert wurde“ pries Kiszling selbst im April 1946 als die größte Leistung seiner Direktionszeit.139 Eine Anbiederung an den antideutschen Affekt der österreichischen Politik der ersten Nachkriegsjahre, dem auch die scharf antipreußische Publizistik Walther Heydendorffs, eine Generalabrechnung mit der „gesamtdeutschen Geschichtsauffassung“, Ausdruck verlieh.140 Zu seinem 90. Geburtstag 1972 erhielt Kiszling den Berufstitel Professor und das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, ja er wurde sogar Ehrenmitglied des „Verbands Österreichischer Archivare“ (VÖA). Regele schnitt insgesamt weit weniger gut ab. Er wollte aber auch mehr. Regele, promovierter Staatswissenschafter, strebte nicht nur die Remilitarisierung des Kriegsarchivs an, sondern nach seiner Pensionierung auch die Habilitation bei den Historikern und den Juristen – beides vergeblich. Es ärgerte ihn verständlicherweise, dass der „Nazi-Professor“ Stöller 1955 die Lehrbefugnis zurückerhielt. Gemeinsam mit dem Leiter des Amts für Landesverteidigung, seinem ehemaligen Militärattaché-Kollegen und Freund Emil Liebitzky (1892– 1961), arbeitete Regele 1955 sogar an der Errichtung einer „Lehrkanzel für Landesverteidigung“(!) – auch dies ohne Erfolg. Wie Kiszling war Regele ein Diesen Querelen verdanken wir eine ausführliche Schilderung des Konf likts zwischen Regele und Kiszling aus der Feder des letzteren: K A, Nachlass Kiszling B/800 Nr. 20. 138 An Monographien unter anderem Fürst Felix zu Schwarzenberg, Graz-Köln 1952; Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este, Graz-Köln 1953; Die hohe Führung der Heere Habsburgs im Weltkrieg 1914 –1918, Wien 1976 (postum). 139 Erklärung Kiszlings vom 19. April 1946 (K A, MS/K A 165). 140 Österreich und Preußen im Spiegel österreichischer Geschichtsauffassung, Wien 1947. 137 278 Moesta 54.indb 278 05.08.2010 10:36:12 Heeresarchiv fleißiger Schreiber und legte bis zu seinem Tod im Jahre 1969 noch eine ganze Reihe militärhistorischer Arbeiten vor.141 Anhang I: Die Geschäftseinteilung Heeresarchiv Wien 1941/1945142 Sachgebietsgruppe I (Militärzentralstellen, Militärgerichtsarchiv, Militärkommanden und Personalakten) Leiter: Viktor Meduna († 1942), danach Karl Martinec, 1945: Friedrich Hof Mitarbeiter: Franz Fink (später Gruppe III), Dr. Joseph Sokoll, Jakob Gallent, Maximilian Ehnl, Generalmajor Adolf Staab, Friedrich Hof (bis 1944 abwesend) Sachgebietsgruppe II (Feldakten aller Kriege) Leiter: Gustav Reichert Mitarbeiter: Karl Martinec (bis 1942), Ernst Wisshaupt, Dr. Walter Nemetz Sachgebietsgruppe III (Bundesheer 1918–1938) Leiter: Dr. Eduard Czegka Mitarbeiter: Hermann Rüling (Kriegsdienst seit 1939), Generalmajor Heinrich Klein (Personalia) Sachgebietsgruppe IV (Karten- und Bildersammlung) Leiter: Josef Mündl In der Geschäftseinteilung 1943 erscheint eine eigene Sachgebietsgruppe V „Technische Akten“ unter Generalleutnant z. V. Rudolf Schneider. Sie wurde 1945 als Sachgebiet 10 in die Sachgebietsgruppe I (Zentralstellen) eingegliedert. Als Sachgebietsgruppe V wird stattdessen 1945 „Beuteakten Süd-Ost“ unter Major z. V. Regenauer genannt. K A, Nachlass Liebitzky B/1030 Nr. 52. Feldmarschall Conrad, Wien-München 1955; Feldmarschall Radetzky, Wien-München 1957; Feldzeugmeister Benedek, WienMünchen 1960; Generalstabschefs aus vier Jahrhunderten, Wien-München 1966; Gericht über Habsburgs Wehrmacht, Wien-München 1968. – Die Redaktion der Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs bot ausgerechnet dem Intimfeind Regeles, Walther Heydendorff, Gelegenheit. In: MÖSt A 9 (1956), S. 605-610 eine vernichtende Rezension der Regeleschen Conrad-Apologie zu publizieren. 142 K A, MS/K A 14; MS/K A 536 (Personalstand 1. April 1941); MS/K A 159 (Personalstand 7. April 1945); MS/K A 428 (Geschäftsverteilungsplan: Sachgebietsgruppen und Sachgebiete 1945 mit Angabe der Auslagerungsorte). 141 279 Moesta 54.indb 279 05.08.2010 10:36:13 Michael Hochedlinger Anhang II: Die Mitarbeiter der Heeresarchivs Wien 1938–1945143 Czegka, Eduard, Dr. phil. (Wien 17.11.1887 – Wien 19.6.1953): 1907–1911 Studium der Geschichte (Universität Graz). 1913 Dr. phil. Volontär in der Steiermärkischen Landesbibliothek. Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Reserve- bzw. aktiver Offizier (verwundet, mehrfach dekoriert). 1920 in das Österreichische Bundesheer übernommen (Major), seit September 1925 dem Kriegsarchiv (kriegsgeschichtliche Abteilung) zugeteilt. 1925–1927 Institut für Österreichische Geschichtsforschung. 1934 als Staatsarchivar 1. Klasse in den Personalstand des Kriegsarchivs übernommen. 1938 Heeresarchivrat. 1939 Beauftragter des Heeresarchivs Wien in Warschau. 1940 Heeresoberarchivrat (nach 1945: Oberstaatsarchivar). 1951 Titel Hofrat. 1952 pensioniert. K A, MS/K A 160; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Nachlass B/C/992; AdR, BK A PA II. Republik; Broucek, Peter: Hugo Kerchnawe und Dr. Eduard Czegka – 25 Jahre Tätigkeit für die Heereskunde. In: Festschrift der Gesellschaft für Heereskunde 1984, S. 25 f.; Leesch, Wolfgang: Die deutschen Archivare 1500–1945. 2: Biographisches Lexikon, München etc. 1992, S. 109. Nachrufe von Oskar Regele MÖStA 6 (1953), S. 548 f. und Josef Sokoll MIÖG 63 (1955), S. 275 f. Fink, Franz (Kletsch, Gottschee 23.12.1887 – Wien 16.1.1969): Infanteriekadetten­ schule Triest. Teilnahme am Ersten Weltkrieg (mehrfach verwundet) als Offizier (1916 Hauptmann). 1920 Übernahme ins Kriegsarchiv (1924 „militärischer Fachberater“). 1922 Titular-Major. 1930 (1934) Amtsrat. 1938 Regierungsoberinspektor. 1939 Heeresarchivrat. 1942 Heeresoberarchivrat. 1943 bis Ende 1944 Kriegstagebuchführer Heeresgruppe F (bis Februar 1945 Kurlazarett Bad Kissingen). 1945 enthoben (NSDAPMitglied). 1947 im Ruhestand. K A, MS/K A 163; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); AdR, BK A PA II. Republik Glaise (von) Horstenau, Edmund (Braunau/Inn 27.2.1882 – [Selbstmord] Lager Langwasser bei Nürnberg 20./21.7.1946): Theresianische Militärakademie. Kriegsschule. 1913 als Hauptmann im Generalstabskorps dem Kriegsarchiv zugeteilt (kriegsgeschichtliche Abteilung). 1915–1918 Pressereferent des Armeeoberkommandos, zuletzt Major (1921 Oberstleutnant a. D., 1934 Oberst a. D.). 1919 Staatsaktenabteilung, 1920 Kriegsarchiv. 1924 Hofrat. 1925 Generalstaatsarchivar und Direktor des Kriegsarchivs. 1931 Mitglied der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs. 1932 Dr. phil. h. c. der Universität München. 1934 Habilitation für neuere Kriegsund Heeresgeschichte an der Universität Wien. 1934 Mitglied des Staatsrates. 1936 Bundesminister (ohne Portefeuille, später Innenminister). 11.-13.3.1938 Vizekanzler im Kabinett Seyss-Inquart. 1938 Generalmajor. 1940 Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften. 1941 „deutscher General in Agram“. 1943 General der Infanterie. Beauftragter für die militärische Geschichtsschreibung im Südosten. 1945 Kriegsgefangenschaft. Zeuge der Verteidigung im Nürnberger Prozess. 143 A kademische Referenten und ihnen Gleichgestellte (ohne reaktivierte Pensionisten). 280 Moesta 54.indb 280 05.08.2010 10:36:13 Heeresarchiv K A, Personalkartothek (AB 32); K A, Nachlass B/67. Broucek, Peter (Hg.): Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, 3 Bde., Wien 1980–1988; Leesch: Archivare, S. 187; Broucek – Peball: Geschichte, S. 363-377 (mit Werkverzeichnis). Hof, Friedrich (Wien 25.11.1881 – Wien 23.10.1973): Kadettenschule. 1913 als Oberleutnant und definitiv 1914 nach Ruhestandsversetzung (Hauptmann) dem Kriegsarchiv zugeteilt. 1914–1916 Kriegsdienstleistung in der Etappe, danach wieder im Kriegsarchiv. 1920 Major d. R. 1921 Übernahme in den Zivilstaatsdienst (1924 „militärischer Fachberater“). 1929 Amtsrat (1935 Regierungsrat). 1938 Regierungs­ oberinspektor. 1939 Heeresarchivrat. 1942 Heeresoberarchivrat. August 1940 kommandiert nach Brüssel. November 1941 bis September 1944 Leiter der Dienststelle „Beauftragter des Chefs der Heeresarchive beim Militärischen Befehlshaber in Belgien und Nordfrankreich“ (Juli-Oktober 1941 vertretungsweise Beauftragter des Chefs der Heeresarchive in Paris). September 1944 Rückkehr nach Wien. Dezember 1945 (mit Wirkung vom 6.6.1945) als illegales NSDAP-Mitglied entlassen (1947 Entlassung aufgehoben, 1948 pensioniert). K A, MS/K A 164; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); AdR, BK A PA II. Republik. Kiszling, Rudolf (Nagy Becskerek, Banat 8.1.1882 – Purkersdorf bei Wien 8.5.1976): Sohn eines k. u. k. Generalmajors. Theresianische Militärakademie. Kriegsschule. Kriegsdienstleistung im Ersten Weltkrieg als Generalstabsoffizier (1918 Oberstleutnant). 1921 ins Kriegsarchiv übernommen. 1924 Beamter des wissenschaftlichen Dienstes (Nachsicht vom Erfordernis der Hochschulbildung). 1926 Staatsarchivar. 1928 Oberstaatsarchivar. Schriftleiter des Generalstabswerks „Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914–1918“. 1929–1931 Lehrer für Strategie am Höheren Offizierskurs des Bundesheeres. 1930 Titular-Oberst. 1934 Hofrat. 1936 „einstweiliger Leiter“ für Direktor Glaise-Horstenau. 1937 Generalstaatsarchivar. 1938 Heeresoberarchivrat. 1939 Heeresarchivdirektor. 1944 Mitglied der Kommission für Neuere Geschichte des ehemaligen Österreich. 1945 enthoben. 1946 pensioniert. 1972 Berufstitel Professor. K A, MS/K A165; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Nachlass B/C/800; AdR, BK A PA II. Republik. Leesch: Archivare, S. 311; Broucek – Peball: Geschichte, S. 484-490 (mit Werkverzeichnis). Würdigung zum 75. Geburtstag durch Wilhelm Kraus MÖStA 10 (1957), S. 539-546 (mit Werkverzeichnis), anlässlich des 90. Geburtstages durch Otto Friedrich Winter Scrinium 6 (1972), S. 3-7. Nachruf u. a. von Peter Broucek Scrinium 14 (1976), S. 3-5. Klein, Heinrich (Wien 10.7.1881 – Wien 4.12.1953): Offizier im Ersten Weltkrieg (mehrfach verwundet), danach bis 1933 Berufsoffizier (1931 Oberst) und Dienstleistung im Präsidialbüro des Bundesministeriums für Heerwesen. 1933 Pensionierung mit dem Titel eines Generalmajors. Nach dem Anschluss 1938 Mitarbeit an der Liquidierung des Österreichischen Bundesheeres. 1938–1940 Archivstab des ehemaligen Österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung (Heeresgruppenkommando 5 bzw. Wehrkreiskommando XVII). Mit 1.12.1939 als Oberst in die Führerreserve übernommen. 1940 Charakter eines Generalmajors. Dezember 1940 zum Heeresarchiv übersetzt (Sachgebietsgruppe Bundesheer). Juni 1946 ausgeschieden. K A, MS/K A 165; AdR, BK A PA II. Republik 281 Moesta 54.indb 281 05.08.2010 10:36:14 Michael Hochedlinger Martinec, Karl (Hinterwasser, Böhmen 20.10.1879 – Wien 14.4.1961): Truppen­offizier im Ersten Weltkrieg (verwundet, russische Kriegsgefangenschaft). 1920 als Major d. R. in das Kriegsarchiv übernommen (1924 „militärischer Fachberater“). 1922 TitularOberstleutnant. 1928 (1936) Amtsrat (1934 Regierungsrat). 1938 Verwaltungsamtmann bzw. Oberamtmann. 1939 Heeresarchivrat. 1941 Heeresoberarchivrat. Februar 1945 im Ruhestand. K A, MS/K A 166; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); AdR, BK A PA II. Republik Meduna (von Riedburg und Langenstauffen-Pyllwitz), Viktor (Teplitz-Schönau, Böhmen 20.8.1881 – [Herzinfarkt] Reservekurlazarett Kudowa, Preußisch Schlesien 5.8.1942): Sohn eines k. u. k. Feldmarschall-Leutnants. Militärakademie. Kriegsschule. Kriegsdienstleistung als Generalstabsoffizier im Ersten Weltkrieg (1918 Major). 1921 Übernahme in das Kriegsarchiv als Zivilangestellter bzw. Beamter. 1921 TitularOberstleutnant. 1921–1923 Institut für Österreichische Geschichtsforschung. 1927 Oberstaatsarchivar. 1934 Hofrat. 1938 Heeresoberarchivrat. K A, MS/K A 166; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Splitternachlass B/64. Leesch: Archivare, S. 392 f. Mündl, Josef (Komorn, Ungarn 6.11.1887 – Wien 2.3.1950): Theresianische Militär­ akademie. 1909 probeweise (1910 definitiv) aus Gesundheitsrücksichten als Leutnant ins Kriegsarchiv versetzt. Nach kurzem Kriegsdienst 1915 wieder als pensionierter Oberleutnant (1917 Hauptmann) dem Kriegsarchiv zugeteilt. 1917–1923 Adjutant des Kriegsarchivdirektors. 1921 Übernahme in den Zivilstaatsdienst. 1921 Titular-Major. 1921–1923 Institut für Österreichische Geschichtsforschung. 1927 Staatsarchivar. 1934 Oberstaatsarchivar. 1937 Vorstand der Kartenabteilung. 1938 Heeresoberarchivrat. September 1939–Mai 1940 Beauftragter des Chefs der Heeresarchive in Krakau. 1944 Titel Heeresarchivdirektor. Mai 1945 bis Mai 1946 Leiter des Kriegsarchivs (Staatsarchiv II). 1947 im Ruhestand. K A, MS/K A 166; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); AdR, BK A PA II. Republik. Leesch: Archivare, S. 426. Nemetz, Walter, Dr. phil. (Wiener Neustadt 1.4.1910 – Wien 18.10.1958): 1928–1933 Studium der Geographie (Universität Innsbruck und Graz). 1933 Dr. phil. 1935–1937 Nachholung des Geschichtestudiums durch eine „Nostrifikationsarbeit“ bei Srbik. 1934 unbesoldeter freiwilliger Mitarbeiter (Volontär) im Kriegsarchiv. 1937 Aspirant. 1938 provisorischer Staatsarchivar. 1938 außerplanmäßiger Heeresarchivrat. 1941 wirklicher Heeresarchivrat. 1943–1944 Beauftragter des Chefs der Heeresarchive (Kriegstagebuchführer) beim Oberbefehlshaber Süd. (Verlust des rechten Beines nach Unfall.) März 1945 Wiederaufnahme des Dienstes im Kriegsarchiv. 1946–1948 Institut für Österreichische Geschichtsforschung (bereits 1937/38 begonnen). Vorstand der Bibliothek des Kriegsarchivs. 1947 provisor. Staatsarchivar 2. Klasse. 1948 Staatsarchivar 2. Klasse. 1952 Staatsarchivar 1. Klasse. 1953–1956 Haus-, Hof- und Staatsarchiv. 1956 Rückkehr ins Kriegsarchiv und mit 1.1.1957 stellvertretender Direktor. Anerkannter Heeres- und Uniformkundler, Berater mehrerer österreichischer Nachkriegsfilme in Uniformfragen („Liebelei“, „Johann Strauß“, „Kaisermanöver“). 282 Moesta 54.indb 282 05.08.2010 10:36:14 Heeresarchiv K A, MS/K A 167; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Nachlass B/2210; AdR, BK A PA II. Republik. Leesch: Archivare, S. 430; Broucek – Peball: Geschichte, S. 517-520. Nachrufe von Wilhelm Kraus MÖStA 11 (1958), S. 609-612 und Walter Hummelberger MIÖG 67 (1959), S. 514 f. Reichert, Gustav (Wokrinek, Böhmen 28.12.1880 – Wien 16.2.1961): Sohn eines Domänenverwalters, der 1866 auf preußischer Seite gekämpft hatte. Offizier. Kriegsdienstleistung im Ersten Weltkrieg (verwundet). 1918 Major. 1920 Übernahme in den Zivilstaatsdienst und dem Kriegsarchiv zugeteilt („militärischer Fachberater“). 1922 Titular-Oberstleutnant. 1926 (1934) Amtsrat (1934 Regierungsrat). 1938 Verwaltungsamtmann bzw. Oberamtmann. 1939 Heeresarchivrat. 1941 Heeres­ oberarchivrat. Juli 1945 (Februar 1946) enthoben (NSDAP-Mitglied). 1947 im Ruhestand. K A, MS/K A 168; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); AdR, BK A PA II. Republik. Rüling, Hermann (Freiherr von) (Linz 26.1.1899 – Wien 10.2.1944). Sohn eines Offiziers und Enkel eines k. k. Generalmajors. 1918–1921 Dienst in der ukrainischen Armee. Nach der Rückkehr nach Wien 1922 in der Privatwirtschaft. Mitarbeiter und Redakteur der Theaterzeitschrift „Wiener Leben“. 1928 Volontär im Kriegsarchiv (Bibliothek). 1930 Übernahme als Vertragsangesteller, dann „militärischer Fachberater“. 1938 Regierungsinspektor. 1939 Heeresarchivrat. Ab August 1939 ununterbrochener Kriegsdienst (zuletzt Rittmeister). K A, MS/K A 168; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32) Sokoll, Josef, Dr. phil. (Trautenau, Böhmen 12.8.1898 – Wien 15.4.1966): 1916–1918 Kriegsdienst (Leutnant der Reserve, Träger der Großen Silbernen Tapferkeitsmedaille). 1920–1926 Bankbeamter, danach ohne Anstellung. Studium der Geschichte (Universität Wien). 1929 Dr. phil. 1931–1933 Institut für Österreichische Geschichtsforschung. 1934 freiwilliger Mitarbeiter (Volontär) im Kriegsarchiv. 1936 Aspirant. 1937 provisorischer Staatsarchivar 2. Klasse. 1938 außerplanmäßiger Heeresarchivrat. Februar 1939 auf Grund der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums entlassen. Dezember 1939 Wiedereinstellung. 1940 Heeresarchivrat. 1944 Heeresober­ archivrat. 1944–1945 Kriegstagebuchführer der Heeresgruppe F bzw. E. 1945 amerikanische Kriegsgefangenschaft. Jänner 1946 Dienstantritt im Kriegsarchiv (Staatsarchivar 2. Klasse). 1950 Staatsarchivar 1. Klasse. Ab 1957 im Finanz- und Hof kammerarchiv. 1958 Oberstaatsarchivar. 1963 im Ruhestand. Vorstandsmitglied der Genealogisch-Heraldischen Gesellschaft „Adler“. K A, MS/K A 169; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Teilnachlass B/1 555; Personalakt Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs. Leesch: Archivare, S. 577; Stoy, Manfred: Das Österreichische Institut für Geschichtsforschung 1929–1945 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 50), Wien-München 2007, S. 335. Nachruf von Hanns Jäger-Sunstenau Adler. Zeitschrift für Genealogie und Heraldik 22 (1966) S. 123. Stöller, Ferdinand, Dr. phil. (Wien 15.2.1891 – Klosterneuburg 14.12.1968): Theresianische Militärakademie. Kriegsdienstleistung als Offizier (zuletzt Hauptmann) 283 Moesta 54.indb 283 05.08.2010 10:36:14 Michael Hochedlinger im Ersten Weltkrieg (schwer verwundet). Ab 1916 im Kriegsarchiv. 1921 Übernahme als Zivilbediensteter (1924 „militärischer Fachberater“). 1922 Titular-Major. 1924–1928 Studium der Geschichte (Universität Wien). 1928 Dr. phil. 1925–1927 Institut für Österreichische Geschichtsforschung. 1929 Staatsarchivar. 1934 Habilitation für mittlere und neuere Kriegs- und Heeresgeschichte Universität Wien. 1936 Oberstaatsarchivar. Leiter der Bibliothek des Kriegsarchivs (1938 als Heeresbücherei Wien verselbständigt). 1938 Heeresoberarchivrat. 1941 außerplanmäßiger Professor. 1945 (1946) enthoben (NSDAP-Anwärter). 1947 im Ruhestand. 1946–1965 Mitarbeiter des Museums für österreichische Kultur. 1955 Wiedererteilung der Lehrbefugnis. K A, MS/K A 169; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Teilnachlass B/527; AdR, BK A PA II. Republik. Leesch: Archivare, S. 595; Broucek – Peball: Geschichte, S. 606 f.; Fellner, Fritz – Corradini, Doris A.: Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 99), Wien-Köln-Weimar 2006, S. 398. Wisshaupt, Ernst (Winterberg, Böhmen, 25.6.1890 – Wien 7.11.1971): Studium Geographie-Geschichte Universität Wien (Abschluss mit Absolutorium). Kriegsdienstleistung als Offizier im Ersten Weltkrieg (Oberleutnant), danach im Österreichischen Bundesheer (Major). 1925 in das Kriegsarchiv (kriegsgeschichtliche Abteilung) kommandiert. 1935 in den Personalstand des Kriegsarchivs übernommen („militärischer Fachberater“ – Archivsekretär). 1937 Lehrer für Kriegsgeschichte an der Militärakademie Wiener Neustadt. 1938 Regierungsinspektor. 1939 Heeresarchivrat. 1942 Heeresoberarchivrat. 1939–1945 Kriegsdienst (Kriegstagebuchführer). 1945 entlassen (illegales NSDAP-Mitglied). 1949 im Ruhestand. K A, MS/K A 170; K A, Personalkartothek des Kriegsarchivs (AB 32); K A, Nachlass B/1 278 (Schreibtischsplitternachlass); AdR, BK A PA II. Republik. Eccher: Die SA-Brigade Jäger, S. 130132. 284 Moesta 54.indb 284 05.08.2010 10:36:15