Michael Tippett wurde am 2. Januar 1905 nahe London geboren. Nach Abschluß seiner Studien am Royal College of Music in London hatte er mehrere Stellen als Lehrer und Orchesterleiter in den dreißiger Jahren, die von den Folgen der Weltwirtschaftskrise, Depression und Massenarbeitslosigkeit, geprägt waren. Er dirigierte u.a. das South London Orchestra für arbeitslose Musiker, gespielt wurde in Schulen, Kirchen, Krankenhäusern und öffentlichen Parks. Er hatte auch Kontakt zu radikalen politischen Gruppierungen, war zeitweise Anhänger Trotzkis, wendete sich aber bald wieder enttäuscht ab. Als überzeugter Pazifist und Kriegsdienstverweigerer war er nicht bereit, seinen Militärdienst zu leisten, was ihm drei Monate Gefängnis im Sommer 1943 einbrachte. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg sein Ansehen schnell, vor allem, nachdem sein Oratorium „A Child of Our Time“, an dem er von 1939 bis 1941 gearbeitet hatte, am 19. März 1944 zur Uraufführung in London gekommen war. Sein Werk sollte für den Komponisten zu einem Aufschrei gegen die Barbarei werden; Tippett übernahm den Titel von dem Roman „Ein Kind unserer Zeit“ des antifaschistischen, österreichischen Schriftstellers Ödon von Horvath. Die Ablehnung von Krieg und Gewalt bestimmt auch den Inhalt von "A Child of Our Time". Anlaß zur Komposition war das 1938 von dem 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan verübte Attentat auf den deutschen Botschafter in Paris, „das wiederum den Nazis die lang ersehnte Berechtigung für die grausamen Judenpogrome gab, die unter dem euphemistischen Titel "Kristallnacht" unrühmliche Geschichte geschrieben haben. Grynszpan war für Tippett das archetypische "Kind unserer Zeit", der Sündenbock, an dem sich das atavistische Aggressionspotenzial der Menschheit austobt“ (Zitat: Thomas Schulz). Das Wort "archetypisch" verweist denn auch auf den zweiten Hintergrund, der im Oratorium thematisiert wird: die Psychologie Jung'scher Prägung, mit der Tippett sich intensiv befasst hatte. Die zu erzielende Versöhnung der positiven und negativen Kräfte des Menschen ist letztlicher Endpunkt des Werks, der sich in den (frei übersetzten) Worten "Erkenne ich Licht und Schatten in mir, werde ich endlich ein Ganzes sein" verdeutlicht. Grundlage für seinen kompositorischen Ansatz sind u.a. die Passionen Bachs und Händels Messias. Die Dreiteiligkeit v.a. des Messias war Inspirationsquelle für seinen kompositorisch dramaturgischen Aufbau. Tippett selbst erklärt dazu: „Teil I behandelt allgemein die Unterdrückung in unserer Zeit; Teil II bringt die konkrete Geschichte von einem jungen Mann, der versucht, Gerechtigkeit durch Gewalt zu erlangen, was katastrophale Folgen hat; während Teil III sich mit der Moral auseinandersetzt, die, wenn überhaupt, daraus gezogen werden kann“. Tippett starb im Jahr 1998 an den Folgen einer Lungenentzündung in London. Norbert Groh