6 Überspannungsschutz und EMV für Datenleitungen Aufgabe 1: Ordnen Sie der Büro-Netzwerkanlage, die im 1. OG der Firma Wilhelms (Bild 20b,→ S. 20) installiert werden soll, die richtige Umgebungsklasse zu. Was aber in den meisten Fällen vergessen wird: Die Stromversorgung eines Digitalrechners soll in Elektronikräumen genauso gut funktionieren wie bei Einsätzen in Indus­ trieanlagen, in denen eine Netzwechselspannung zu finden ist, die von Überspannungen in hohem Maße „verschmutzt” sein dürfte. 3. ­Überspannungen auf Leitungen Unter leitungsgebundener Ausbreitung versteht man die Fortpflanzung von Störungen allein über Leitungen oder leitfähiges Material. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist ein Blitzeinschlag in eine Freileitung mit nachfolgender Überspannung in den angeschlossenen Niederspannungsversorgungsnetzen. Die Störquelle muss aber nicht immer so energiereich wie ein Blitz sein. Viel verheerender sind Dauerstörer, die vom Versorgungsnetz gespeist werden und ihrerseits den ordnungsgemäßen Betrieb von anderen Verbrauchern (z. B. Geräte der Unterhaltungselektronik, Automatisierungsanlagen) unmöglich machen. Es ist davon auszugehen, dass jedes Gerät, das an einem Stromversorgungsnetz angeschlossen ist, Störungen produziert und in irgendeiner Form dieses Netz beeinflusst. Für den Praktiker sind die Kenntnis der beschriebenen leitungsgebundenen Störausbreitung und der Einkopplung von Störungen in Leitungen aller Art von großer Bedeutung. Diesen ungewollt entstehenden Spannungen soll unsere Aufmerksamkeit gelten, da sie im Zusammenspiel von Geräten und Anlagen innerhalb einer Installation technisch die größten Schwierigkeiten verursachen können. Querspannungen Beim Schalten von induktiven Lasten mit mechanischen Schaltern werden immer Überspannungen entstehen. Erkennbar ist diese Tatsache daran, dass sich ein Kontakt­ funken im Moment des Schaltens bildet, der zum Abbrand der Kontakte führt. Der kurzzeitig auftretende Licht­bogen ist das äußere Merkmal für ein Anliegen von hoher Spannung an den Kontakten. Im Zusammenwirken mit der Zuleitungsinduktivität der Versorgungsleitung treten im Moment des Schaltens hohe Spannungen aber nicht nur am eigentlichen Schalter, sondern auch in der gesamten Verteilung des Versorgungsnetzes durch die Selbstinduktionsspannung auf. Noch größere Überspannungen treten auf, wenn der Ver­ braucher einen Isolationsschaden hat und dadurch ein Außenleiter mit Erde verbunden wird. Normalerweise löst bei einem solchen Fall eine Sicherung aus und trennt das fehlerhafte Gerät vom Netz. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Strom in der induktiven Zuleitung aber schon auf sehr hohe Werte angestiegen. Der dabei auftretende Kurzschlussstrom ist in einer normalen Gebäudeinstallation mit Stromstärken von über 1 000 A gemessen worden. Das wird nach dem Abschalten der Leitung für alle anderen Verbraucher durch Selbstinduktion der Leitungsindukti­ vität eine Überspannung erzeugen. Dieser Fall tritt allerdings selten im Vergleich zu normalen Schaltvor­gängen auf. In beiden Fällen können die dabei auftretenden Spannungen ohne Schutzmaßnahmen einige kV erreichen und sind somit gefährlich für alle angeschlossenen Verbraucher. Eine große Rolle spielt dabei die Länge der Versorgungsleitung bis zur Gebäudeinstallation. Sie bestimmt die Größe der Zuleitungsinduktivität und damit auch die der durch Selbstinduktion entstehenden Überspannung, sei sie durch einen normalen Schaltvorgang oder durch Auslösen einer Sicherung verursacht. Das Bild 4 zeigt beispielhaft die Entstehung einer solchen Querspannung in der Netzzuleitung. Deshalb muss zum Erkennen solcher Störmöglichkeiten erst einmal geklärt werden, wie eine Störgröße überhaupt als Spannung oder Strom in eine Leitung kommt und welche Arten von eingekoppelten Spannungen es gibt. Zwei Arten von Überspannungen können in Leitungen auftreten: –– Ü ­ berspannungen zwischen den einzelnen Adern einer Leitung, die Querspannungen –– Ü ­ berspannungen zwischen den Einzeladern einer Leitung und dem Erdpotenzial, die Längsspannungen Beide Arten von Überspannungen können den Betrieb von elektrischen Geräten oder Anlagen stören. Elektro03_31.indb 6 Bild 4: Beispiel für die Entstehung von Überspannung 12.08.2014 10:30:19 Überspannungsschutz und EMV für Datenleitungen Aufgabe 2: a) Zeichnen Sie mit einem roten Stift in Bild 4,→ S. 6 an die richtige Stelle einen L­ eitungsschutzschalter (Si­cherung) ein. Tragen Sie die Stromwege für den normalen Betrieb der Last ebenfalls mit einem roten Stift ein. b) Wohin fließt nach Öffnen des Kontaktes (Normal­ betrieb) der Strom der Zuleitungsinduktivi­ tät? Warum entsteht eine Überspannung? 7 nen Verbrauchern ausgestrahlt (Motoren sind starke „Sender“). Jedes magnetische Wechselfeld wird in L­ eitern Spannungen induzieren, deren Höhe im ­Wesentlichen von der Stärke und von der durchdrungenen Fläche des Wechselfeldes abhängt. IB U Bild 5: Prinzip der Einkopplung c) Zeichnen Sie einen Körperschluss in Bild 4,→ S. 6 ein, kennzeichnen Sie den Weg dieses Stromes mit einem roten Stift. d)Nach Körperschluss im Verbraucher wird der Leitungsschutz ansprechen. Ist der Strom in der Zuleitungsinduktivität größer oder kleiner als im Teil b) dieser Aufgabe? Ist die entstehende Überspannung größer oder kleiner als im Teil b)? Begründen Sie Ihre Lösung. In diesem Beispiel werden von außen Spannungen „hinein“-induziert, und zwar in alle Leiter. Die beiden wichtigsten Induktionsspannungen sind –– d ­ ie Induktionsspannung zwischen den Versorgungsleitungen bei z. B. PoE-Leitungen (PoE = Power over Ethernet, Stromversorgung über Netzwerkleitung) und –– d ­ ie Induktionsspannung zwischen den Digital-Signal­ leitungen. er erste Fall sei hier genauer erklärt, die Ursachen für die D Störungen sind direkt auf den zweiten Fall übertragbar. Durch die schon erwähnte Einkopplung von Störungen in die Datenleitung wird das angeschlossene Gerät nicht nur mit der Signalspannung von 5 V versorgt, sondern auch mit einer – überlagerten – (Stör-)Wechselspannung. Dies kann zu Fehlfunktionen oder sogar zur Zerstörung des Gebers führen. Die in der Netzwerktechnik verwendeten Signalspannungen liegen meistens im Bereich von 5 V bis 48 V. Alle über den jeweiligen Nennwert hinausgehenden Spannungswerte sind Überspannungen, die den Betrieb ­beeinflussen können. Die eingekoppelte Störspannung braucht also nicht sonderlich hoch zu sein, um eine Betriebsstörung zu verursachen. Ein Überspannungsschutz muss hier sehr hochwertig sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang ein anderer Weg der Einkopplung: die Induktionsspannung durch magnetische Wechselfelder. Gezeigt wird dieses Prinzip in Bild 5. Ein elektrisches Datennetzwerk liefert Signalspannungen in der Größenordnung 5 V. Ein magnetisches Wechselfeld durchsetzt die vier Leiter, die in Netzwerkkabeln benutzt werden. Innerhalb von Gebäudeinstallationen wird dieses Wechselfeld von Netzleitungen oder daran angeschlosse­ Elektro03_31.indb 7 Bild 6: Einkopplung von Querspannungen durch magnetische Wechselfelder 12.08.2014 10:30:20 8 Überspannungsschutz und EMV für Datenleitungen Die eingekoppelte Störspannung braucht noch nicht einmal besonders groß zu sein, um eine Störung zu verursachen. Bei einer eingekoppelten Induktionsspannung von nur 7 V (Wechselspannung) ergeben sich schon massive Probleme in der Datenübertragung. auch das Potenzial der Versorgungsspannung des Gebers angehoben. Der Geber (Gebäude A) „sieht” jetzt eine Ver­­­­sorgungsspannung, deren Potenzial zu seiner ­eigenen Erdverbindung plötzlich um einige 100 kV angehoben ist. Ein planmäßiger Betrieb des Netzwerkes ist so nicht möglich, wie die Firmenvergangenheit der Firma Wilhelms es gezeigt hat. Bei Überschreitung des maximal zulässigen Spannungsbereiches wird man sogar mit der Zerstörung der Komponenten rechnen müssen. Die Maßnahmen, die der Praktiker zur Vermeidung solcher Schwierigkeiten treffen kann, werden später in Kapitel 4.2 „Leitungsverlegung”, → S. 10 behandelt. Die Isolationsfestigkeit der Versorgungsleitungen vom Geber (gegen Gehäuse und damit gegen Erde) liegt aber nur bei 2 bis 5 kV (Kabelisolation). In einem solchen Fall kommt es zu Durch- oder Überschlägen, die dann zu Betriebsausfällen führen. Diese Art der Überspannung gegen das Erdpotenzial nennen wir Längsspannung; sie muss beim Überspannungsschutz berücksichtigt werden. Es sei hier noch erwähnt, dass eine Längsspannung nicht nur durch einen Blitz hervorgerufen werden kann, sondern durch alle Betriebsstörungen, die Erdpotenzialdifferenzen zwischen Geräten hervorrufen. Blitze sind dabei allerdings die energiereichsten Störer. Längsspannungen Anhand einer durch einen Blitz eingekoppelten Größe sind Überspannungen zwischen einer Einzelader und dem Erdpotenzial am einfachsten zu veranschaulichen. Als Beispiel soll die schon erwähnte, zweiadrige Versorgungs­ leitung innerhalb einer Netzwerkleitung dienen, die unsere Stromversorgung und das Netzwerk-Gerät – z. B. ein IP-­Geber (Bild 7) – verbindet. In Gebäude A steht die Strom­ver­sorgung und in Gebäude B befindet sich der versorgte Geber. Die Hauptaufgabe der Stromversorgung ist es, den Betrieb einer kleineren Rechenanlage in Gebäude A zu versorgen. Denkbar wäre dieser Fall bei einer Power over Ethernet-Anbindung (PoE). Beispiel: Durch einen Isolationsschaden wird das Erdpotenzial von Gebäude B angehoben. Ein Außenleiter innerhalb der Gebäudeinstallation hat Erdschluss. Für die bis zum Auslösen von Schutzschaltern (Sicherungen) vergehende Zeit wird das Erdpotenzial des Gebäudes B gegenüber dem des Gebäudes A angehoben und verursacht in dieser Zeit eine Längsspannung auf allen Verbindungsleitungen zwischen den betreffenden Gebäuden. Diese Tatsache hat u. a. dazu geführt, dass die gebäudeübergreifende Vernetzung nicht drahtgebunden erfolgen soll, sondern über eine Funkvernetzung oder über eine optische Übertragung. Aufgabe 3: Ein Blitz trifft Gebäude B. Welche Geräte sind jetzt gefährdet, obwohl beide Gebäude mit Blitzschutz versehen sind? Bild 7: Kopplung zweier Geräte über zweiadrige Leitungen Die Verbindungsleitung, die eine Versorgungsspannung übertragen soll, ist meistens einige Meter lang und somit den Einflüssen der Umgebung ausgesetzt, genauso die an sie angeschlossenen Geräte. Eine mögliche Störquelle ist ein Blitz, der in das Blitzschutzsystem des Gebäudes A einschlägt. Die Leitung, die von Gebäude A nach B führt, liefert eine Spannung mit einer bestimmten Potenzialdifferenz gegen Erde. Das Erdpotenzial des vom Blitz getroffenen Gebäudes wird um einige 100 kV angehoben, das Erdpotenzial des anderen getroffenen Gebäudes nicht. Dadurch wird Elektro03_31.indb 8 Der Unterschied zwischen ungewollt eingekoppelten Längs- und Querspannungen liegt also hauptsächlich in der auftretenden Größe, die als Überspannung schädlich wirken kann. Längsspannungen können vergleichsweise sehr groß werden, ohne Schaden anzurichten, Querspannungen stören schon bei wesentlich kleineren Größen. Je nachdem, wie die Überspannung in eine Leitung kommt und um was für eine Leitung es sich handelt, muss man zwischen den beiden Arten unterscheiden und entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen. 12.08.2014 10:30:20