Ein Blick nach Norden In Schweden und Norwegen sind

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Ein Blick nach Norden
In Schweden und Norwegen sind konfessionelle Zugänge zu Religionen (als Aktivitäten
einiger Religionsgemeinschaften) strikt von schulischem Unterricht über Religion und
Religionen getrennt. Schulischer Unterricht über Religion, ein Pflichtfach im Klassenverband
ohne Abmeldemöglichkeit, beinhaltet dort eine selbst nicht-religiöse, d.h. eine säkulare
Beschäftigung mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen sowie ethischen
Fragestellungen. Dieser Zugang zu Religion wird beispielsweise im norwegischen Lehrplan
mit "objektiv, kritisch und pluralistisch" beschrieben.
Ausgangspunkt für diesen integrativen Unterricht über Religionen, Lebensanschauungen und
Ethik in Schweden und Norwegen sind religiöse und weltanschauliche Pluralität in der
Gegenwart sowie ethische Herausforderungen moderner Gesellschaften. Wissen über
Religionen sowie eine gemeinsame (d.h. nicht nach Weltanschauung getrennte)
Beschäftigung mit diesen Themen wird als unverzichtbarer Bildungsinhalt betrachtet. Die
damit einhergehenden Herausforderungen werden systematisch fachdidaktisch reflektiert.
Allgemeiner Unterricht über Religionen –
Pflichtfach in Schweden seit den 1960er Jahren
Schweden kann in Europa auf die längste Geschichte integrativen Religionsunterrichts im
Klassenverband zurückblicken. In den 1960er Jahren wurde das vorherige - auch schon
überkonfessionelle - Schulfach Christentum zunächst in Christentumskunde und 1969 in
Religionskunde umbenannt, wobei die Namen jeweils Programm sind: "-kunde" beschreibt
den nicht-normativen Zugang zum Gegenstand, zunächst zum Christentum, später zu Religion
allgemein bzw. unterschiedlichen Religionen. Die Entkonfessionalisierung des
Religionsunterrichts wurde jedoch schon 1919 mit dem Namenswechsel von Biblische
Geschichte, Bibellesen und Katechese zu Christentum ausgedrückt, eine Reaktion auf die
Kritik von unterschiedlichen freikirchlichen und nicht-religiösen Gruppen.
Die nicht-konfessionelle Beschäftigung mit dem Christentum wurde nach und nach zu einer
allgemeinen Beschäftigung mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen
ausgeweitet, stets mit einem Fokus auf aktuelle ethische Fragestellungen und die Lebenswelt
der Kinder. Im Zuge dieser Lebensweltorientierung wurde das Fach für einige Jahre in
Fragen des Menschen angesichts des Lebens und der Existenz umbenannt, jedoch kehrte man
in den 1990er Jahren zur Bezeichnung Religionskunde zurück und damit auch zur Betonung
der Relevanz der religionskundlichen Inhalte. Interessant am schwedischen Modell ist zudem
der Einbezug sogenannter säkularer Weltanschauungen als Gegenstand des
Religionsunterrichts. Damit werden beispielsweise Existentialismus und Marxismus, aber
auch das wissenschaftliche Weltbild mit denselben Analysewerkzeugen kritisch beleuchtet
wie Anschauungen, die man allgemein als "religiös" bezeichnet.
10 Jahre integrativer Religionsunterricht in Norwegen –
Kontroversen und aktuelle Änderungen
Im Gegensatz zu Schweden ist die Geschichte integrativen Religionsunterrichts in Norwegen
relativ kurz. In der norwegischen Grundschule (die die ersten 10 Schuljahre umfasst) wurde
das traditionelle Schulfach Christentum zwar auch bereits Ende der 1960er Jahre
überkonfessionell verfasst. In den 1970er und 1980er Jahren wurde jedoch Raum für ein
Parallelmodell gemacht, mit zunächst Lebensanschauungskunde (organisiert vom
Humanistischen Bund) und später konfessionellem Religionsunterricht als Alternative.
Letzterer wurde jedoch kaum etabliert.
Nachdem die (bildungstheoretischen und praktischen) Probleme dieses Parallelmodells immer
deutlicher wurden, führte man 1997 ein integratives obligatorisches Fach Christentums-,
Religions- und Lebenskunde (Kristendoms-, religions- og livssynskunnskap, KRL) ein, von
dem man sich nicht vollständig abmelden konnte. Problematisch an diesem Fach war die
enge Verknüpfung mit dem alten Fach Christentumskunde, die den Eindruck einer
übergeordneten christlichen Perspektive trotz integrativen Anspruchs erweckte.
Die Bevorzugung des Christentums (beispielsweise in der Verteilung der Stoffgebiete im
Lehrplan) führte zu einer Welle von Klagen gegen KRL, zunächst auf nationaler, später auf
internationaler Ebene, die ihren Höhepunkt im Urteil des Europäischen
Menschenrechtsgerichtshofs fand. Dieser entschied im Jahr 2007, dass die Konzeption von
KRL (mit seiner Bevorzugung des Christentums) angesichts seines obligatorischen Status den
Menschenrechten widerspreche. Norwegen reagierte auf dieses Urteil mit einer Änderung des
Schulgesetzes und des Lehrplans für den Religionsunterricht, der 2008 in Religion,
Lebensanschauung und Ethik (RLE) umbenannt wurde. Auch wenn dem Christentum als
einer für Geschichte und Gegenwart Norwegens bedeutenden Religion nach wie vor viel
Raum im Schulfach RLE eingeräumt wird, hält der neue Lehrplan die qualitative
Gleichbehandlung unterschiedlicher Religionen und Lebensanschauungen fest, welche alle
mit denselben kritischen Analysewerkzeugen studiert werden.
Das norwegische Beispiel zeigt eindrucksvoll die Wichtigkeit eines wirklich
gleichberechtigten Zugangs für ein obligatorisches Schulfach, in dem Schüler über Religionen
und Weltanschauungen lernen. Vor allem lehrt es, dass nicht die Perspektive und die
Methoden einer bestimmten Religion (wie etwa des protestantischen Christentums in
Norwegen) als Rahmen für ein solches Pflichtfach fungieren können. Die kurze Geschichte
des norwegischen Religionsunterrichts in der Grundschule zeigt aber auch, wie viele
Fortschritte man in der Entwicklung eines solchen integrativen Fachs innerhalb von wenigen
Jahren machen kann, auch wenn dieser Prozess der Reform des Religionsunterrichts auch dort
mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen ist.
Der deutsche Kontext: Bietet die Schule Raum für
gemeinsames Lernen über Religion, Weltanschauung und Ethik?
Im Anschluss an den Blick nach Norden stellt sich die Frage, wo eigentlich in deutschen
Schulen Raum dafür ist, dass Schüler von Lehrern, die genau dafür ausgebildet sind, etwas
über unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen lernen und Gelegenheit bekommen,
ethische Fragestellungen gemeinsam diskutieren.
Die Lehrerausbildung für konfessionellen Religionsunterricht bietet neben einer intensiven
Beschäftigung mit der "eigenen" Religion zudem eine konfessionelle Perspektive auf "andere"
Religionen. Diese Perspektive unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von einer
religionswissenschaftlichen Herangehensweise, die Wahrheitsansprüche einzelner religiöser
Gemeinschaften nicht bewertet. Einzelne Seminare über "andere Religionen" in der
konfessionellen Lehrerausbildung können eine umfassende religionswissenschaftliche
Beschäftigung mit verschiedenen Religionen selbstverständlich nicht ersetzen.
Ein pluraler, nicht konfessioneller Zugang, der gerade nicht das "eigene" programmatisch
"den anderen" gegenüberstellt, ist daher deutlich von konfessionellem Religionsunterricht zu
unterscheiden. Er ist anders begründet, hat andere Ziele und erfordert eine gänzlich andere
Lehrerausbildung. Anders als die im konfessionellen Religionsunterricht im Zentrum
stehende Beschäftigung mit der "eigenen" Religion oder Konfession, auch angesichts
religiöser Pluralität, wird im integrativen Religionsunterricht "Religion" als ein Gegenstand
unter anderen betrachtet, vergleichbar etwa mit "Politik", "Geschichte" und "Kultur".
Daher erfordert diese Beschäftigung mit Religion auch keine besonderen Maßnahmen wie
etwa die Trennung der Schüler oder den Rückgriff auf von Religionsgemeinschaften
autorisierte Lehrer. Schließlich wird auch Politik- und Sozialkundeunterricht nicht von
Lehrern erteilt, die lediglich in der Perspektive einer politischen Partei sowie deren
Perspektive auf "die anderen" Parteien ausgebildet wurden. Vielmehr geht es darum, den
Schülern allgemein politisches Denken (unterschiedlicher Traditionen), die Geschichte
politischer Entwicklungen sowie Dynamiken von Politik heute nahezubringen, unabhängig
davon, aus welchem politischen Lager Lehrer und Schüler kommen.
Im integrativen Modell wird der Unterricht im Klassenverband - im Gegensatz zur
konfessionellen Trennung der Schüler - als positiv betrachtet, da er einen Raum dafür bietet,
gemeinsam den Umgang mit Heterogenität und unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen zu
erlernen und genau diese Prozesse systematisch zu reflektieren. Gerade diese Kompetenz wird
in modernen Gesellschaften hinsichtlich der Frage nach Integration vs. der Bildung von
"Parallelgesellschaften" mit unterschiedlichen Werten dringend benötigt.
Die ethische Grundlage des Faches unterscheidet sich nicht von der anderer Fächer und
beinhaltet beispielsweise die Menschenrechte, die Rahmenrichtlinien für schulische Bildung,
inklusive Prinzipien wie Nichtdiskriminierung, z.B. aufgrund von Geschlecht oder sexueller
Orientierung. Dies schließt eine systematische Reflexion von Machtverhältnissen ein. Hier
wird für Religion keine Ausnahme gemacht: Auch Lehre und Praxis der einzelnen Religionen
werden kritisch in Bezug auf ihre Übereinstimmungen und Unterschiede mit diesen Werten
diskutiert. Ein aktuell häufig diskutierter Konflikt sind in Norwegen etwa die Vorbehalte
einiger Religionsgemeinschaften bzw. einzelner religiöser Würdenträger gegenüber der
Gleichstellung homophiler Paare im Eherecht, die in Norwegen kürzlich eingeführt wurde.
Integrativer Religions- oder Ethikunterricht baut auf der Erkenntnis auf, dass in unserer
heutigen Gesellschaft Wissen über religiöse und weltanschauliche Pluralität ein
unverzichtbarer Aspekt von Bildung ist und dass die Schule einen gemeinsamen Raum dafür
bieten sollte, inklusive einer entsprechenden Lehrerausbildung. In Schweden und Norwegen
hat man sich dafür entschieden, dieses Fach ab der 1. Klasse als Pflichtfach ohne
Abmeldemöglichkeit zu unterrichten.
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