Ausgabe 2/14 Universitätsklinikum Halle (Saale) medialog zeitschrift des universitätsklinikums halle (sa ale) Innere Medizin Personalisierte Medizin – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit Geburtshilfe / Kinder- und Jugendmedizin Das universitäre Perinatalzentrum Psychotherapie / Psychosomatik Multimodale Psychotherapie in der Psychosomatik Ausgabe 2/14 1 | I nn e r e M e d iz in I V Genomsequenzierung als Grundlage personalisierter Medizin Tumorerkrankungen werden durch Genmutationen ausgelöst, die auch Prognose und Ansprechen auf Therapien bestimmen. Mit Genomsequenzierung lassen sich alle genetischen Mutationen eines Tumors herausfinden. Ziel ist es, die Mutationen zu finden, die die Erkrankung auslösen und die möglichst durch spezifische Medikamente behandelbar sind. Die Abbildung zeigt als Ergebnis von Genomsequenzierungen die Verteilung der Mutationen eines Sarkoms. Sowohl Primärtumor als auch Rezidivtumor wurden sequenziert (AG Prof. Müller-Tidow). Die einzelnen Chromosomen sind angegeben. | 12 I nn e r e M e d iz in I V Personalisierte Medizin – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit Ziel von personalisierter Medizin ist es, das richtige Medikament in der richtigen Dosis zum richtigen Zeitpunkt zu finden und einzusetzen. Das ist bereits heute für viele Patienten Wirklichkeit. OA D r . J ö r n R ü s s e l P r o f. D r . C a r s t e n M ü l l e r -T i d o w D er medizinische Fortschritt ermöglicht, die Therapie nicht nur auf eine genaue Krankheitsdiagnose, sondern zusätzlich auf physische und psychische Charakteristika des Patienten zu stützen. Wirkung, Nebenwirkung und optimale Dosis der Arzneimittel werden hierdurch erheblich beeinflusst. Seit im Jahre 2001 die vollständige Genomsequenzierung des Menschen publiziert wurde, sind zahlreiche Biomarker identifiziert worden, die das Ansprechen einer Therapie vorhersagen können. Aktuell werden bereits viele Medikamente personalisiert eingesetzt, der größte Teil davon in der Onkologie. Zielgerichtete und Mutations-gesteuerte Therapie Die zielgerichtete Therapie mit monoklonalen Antikörpern und spezifischen Tyrosinkinase-Inhibitoren verbessert seit Jahren die Therapie zahlreicher Tumoren. Mit Trastuzumab steht z. B. beim Brustkrebs und beim metastasierten Magenkarzinom ein Antikörper gegen den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor her2/neu zur Verfügung. Patienten mit her2/neu Überexpression im Tumor haben eine eher ungünstige Prognose. Durch den Antikörper wird der Prognosenachteil nun ausgeglichen. Auch beim metastasier- ten Darmkrebs konnten im letzten Jahrzehnt die Überlebensraten durch zielgerichtete Therapie gesteigert werden. Mittlerweile wissen wir aber, dass nicht alle Patienten unkritisch mit allen Antikörpern behandelt werden können. Die gegen den epidermalen Wachstumsrezeptor gerichteten monoklonalen Antikörper Cetuximab und Panitumumab wirken nur dann, wenn der Signalweg, der über die rasraf-MEK-ERK-Kaskade läuft, keine Mutationen aufweist, die ihn unabhängig von der Blockade des extrazellulären Rezeptors anfeuern würden. Auf jeweils 4 Exonen der k-ras bzw. der n-ras-Gene dieser Kaskade sind aktivierende Mutationen identifiziert worden, die mit standardisierten Gewebeuntersuchungen auf DNA-Ebene analysiert werden können. Dem Kliniker steht damit ein Test zur Verfügung, der vorhersagt, ob die geplante Substanz überhaupt eine Aussicht auf Ansprechen hat. Exom-Sequenzierung Jeder Tumor hat ein eigenes Muster an krankheitsrelevanten Genveränderungen, den sogenannten molekularen Fingerabdruck. Die Bestimmung aller Mutationen ist Voraussetzung für eine in höchstem Maße personalisierte Diagnostik und Therapie sowie größere Heilungschancen. Indem man nicht das gesamte Tumorgenom, sondern gezielt das Exom (alle Protein-kodierenden Exone) sequenziert, kann dies relativ schnell und kostengünstig geschehen. Das Exom kodiert für die potenziell funktionellen Proteine eines Organismus und macht nur etwa ein Prozent der gesamten menschlichen DNA aus, während es für wohl mehr als 85 Prozent aller genetisch bedingten Erkrankungen verantwortlich ist. Bei der Exom-Sequenzierung können alle bekannten Gene auf einmal geprüft werden. Hierdurch lassen sich die Mutationen herausfinden, die die Tumorerkrankung auslösen (sog. „Driver“-Mutationen) und die geeignete Therapieziele sind. Ein Problem ist die hohe Anzahl an Mutationen, die keine ursächliche Rolle in der Tumorentstehung spielen. Ein weiteres Problem ist die Heterogenetität menschlicher Tumoren. Viele Mutationen kommen nur im Primärtumor oder der Metastase vor. Es ist unklar, wie diese genetische Vielfalt angegangen werden kann und ob es vielleicht sogar Möglichkeiten gibt, diese therapeutisch zu nutzen. Eine besondere Herausforderung ist die Auswertung der Datenmengen (mehr als 250 Gigabyte Datenmenge pro Genomsequenzierung). Die Suche nach den wirklich wichtigen Veränderungen scheint der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen zu ähneln. Aber auch hier werden Ausgabe 2/14 13 | I nn e r e M e d iz in I V Prof. Dr. Müller-Tidow (rechts), Direktor der Klinik für Innere Medizin IV, hat sich mit Dr. Petra Tschanter (Mitte) und Oberarzt Dr. Jörn Rüssel (links) in der Ambulanz und Tagesklinik getroffen, um einen Patientenfall zu besprechen. Fortschritte gemacht, sodass die Auswertung der Sequenzierungen wesentlich schneller durchgeführt werden kann. Erst dies ermöglicht die Einbindung in die klinische Versorgung der Patienten. An der Klinik für Innere Medizin IV wird aktuell an Projekten gearbeitet, das Verfahren der Exom-Sequenzierung in die klinische Routine zu integrieren. Ein Projekt wird durch die Deutsche Krebshilfe gefördert. Immuntherapie mit modifizierten T-Zellen Zielgerichtete Immuntherapien bei soliden Tumoren, Leukämien und Lymphomen könnten ebenfalls zum Inbegriff von Personalisierter Medizin werden. Beim Prostatakarzinom ist etwa Sipuleucel-T seit Ende 2013 zugelassen. Es verlängert das mediane Überleben von Patienten, bei denen eine Hormontherapie nicht mehr wirksam ist. Den Patienten werden T-Lymphozyten aus dem Blut entnommen, angereichert und in vitro mit einem Fusionsprotein versehen, das aus einem Zytokin (GM-CSF) und einem Tumorantigen (prostataspezifische saure Phosphatase) besteht. Dadurch werden die T-Zellen aktiviert und vermehrt, die vorwiegend gegen die Prostatakarzinomzellen gerichtet sind. Bei Patienten mit lymphatischer Leukämie oder Lympho- | 14 men können T-Zellen entnommen werden, die gentechnisch mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR) verbunden und anschließend dem Patienten wieder rückinfundiert werden. Das modifizierte Protein besteht aus der variablen Region eines gegen CD19 gerichteten Antikörpers sowie einem Anteil, der das Signal für die T-Zell-Aktivierung vermittelt. Sobald die veränderten T-Zellen wieder im Körper des Patienten angekommen sind, heften sie sich gezielt an das Antigen CD19 an, das sich auf den meisten lymphatischen Zellen findet. Dies ist gleichbedeutend mit einer starken und zielgerichteten Aktivierung des Immunsystems und kann eine vollständige Zerstörung aller im Körper befindlichen Tumorzellen zur Folge haben. Die bisher vorliegenden Ergebnisse der frühen Therapiestudien sind sehr ermutigend. Vorhersage von Toxizität klassischer Chemotherapie Personalisierte Medizin kann auch helfen, die zu erwartenden Nebenwirkungen klassischer Chemotherapie besser vorherzusagen. Das häufig verwendete Zytostatikum 5-Fluorouracil (5-FU) wird im Körper der Patienten normalerweise rasch abgebaut, wobei das Enzym Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) die zentrale Rolle spielt. Mittlerweile kann man den Patienten auf Mutationen testen, die zum Funktionsausfall der DPD führen. Die betroffenen Patienten können das verabreichte 5-Fluorouracil nicht schnell genug abbauen und es treten schwere bis lebensbedrohliche Nebenwirkungen auf. Gefahren der Personalisierten Medizin Die Fortschritte der Personalisierten Medizin sind ungebremst. Die Stratifizierung von Therapien nach vermeintlichen Respondern und Non-Respondern, eine sogenannte Ausdifferenzierung, bringt jedoch nicht nur Gewinner hervor. Bestimmte Patienten werden von einzelnen medikamentösen Therapien aufgrund der Tatsache ausgeschlossen, dass bei ihnen ein gewisser Biomarker gefunden wurde. Medizinethiker warnen zu Recht, dass Personalisierte Medizin nicht nur die biologische Ebene einer Erkrankung betrachten darf. Schlussfolgerungen Bei aller Euphorie muss auch bedacht werden, dass immer noch ein großer Teil der Therapie nicht personalisiert erfolgt. Es wird auch in naher Zukunft nicht so sein, dass wir für jeden Patienten eine „maßgeschneiderte Medizin“ anbieten können. Viele innovative Arzneimittel in Verbindung mit einem besseren I nn e r e M e d iz in I V Ausgabe 2/14 15 | „From bench to bedside“ Viele Behandlungsmethoden der Personalisierten Medizin wurden in Folge der Fortschritte in der Gentechnologie entwickelt. Verständnis für die molekulare Entstehung verschiedener Krebsarten machen aber Hoffnung. In vielen Fällen sind auch deutsche Kliniken und Forscher beteiligt, so dass in Deutschland mit einer schnellen Verfügbarkeit zu rechnen ist. Trotz der Fortschritte sollte die Bedeutung des Arztes in der persönlichen Arzt-Patient-Beziehung betont werden. Er ist für die ganzheitliche Betrachtung seines Patienten verantwortlich. Setzt er die Vorzüge der Personalisierten Medizin dabei gezielt und kritisch ein und ist sein ärztlicher Blick nicht eingeengt, kann er für seinen Patienten das Maximale herausholen. K o n t ak t Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin IV Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow Ernst-Grube-Str. 40 06120 Halle (Saale) Tel.: (0345) 557-2924 Fax: (0345) 557-2950 [email protected]