Interkulturelle Philosophie

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Interkultureller Weg der Philosophie als eine Wissenschaft des Friedens von Hamid Reza Yousefi Einleitende Gedanken Der Ausdruck ›Wege zur Wissenschaft‹ weist auf die Pluralität differieren‐
der Geschichten, Sichtweisen, Zugänge und methodischer Ausrichtungen und solchen hin, die sich ergänzen, überlappen oder bekämpfen. Er zeigt ferner, daß keiner dieser Wege sich in den absoluten Stand setzen kann, was häufig getan wird. Der interkulturelle Weg der Philosophie als einer Wissenschaft des Friedens ist eine denkerische Tätigkeit, mit einem dialog‐
theoretischen und dialogpraktischen Charakter auf der Grundlage einer empirisch‐hermeneutischen Methode. Interkulturelle Philosophie blickt nach Außen, und zwar nach allen Seiten, und fragt nach den Konsequen‐
zen solcher Betrachtungsweisen für die Zielsetzungen im Inneren. Sie ist darauf ausgerichtet, den Vertretern unterschiedlicher Weltanschauungen, Kulturen, Religionen, Philosophien und Wissenschaftskonzeptionen die Wahrnehmung der jeweils anderen auf gleicher Augenhöhe zu ermögli‐
chen und das Gespräch mit diesen anderen mit Gewinn für alle Beteiligten und ohne Gewalt jedweder Struktur gelingen zu lassen. Hier geht es um eine neue Kultur des Philosophierens. Davon nicht zu trennen sind naturgemäß die Fragen, welche Hindernisse sich einer friedlichen Begegnung und einem konstruktiven Austausch zwi‐
schen den Kulturen, Denksystemen und Wissenschaftskonzepten in den Weg stellen, welche Beschaffenheit diese Hindernisse haben, was sie be‐
dingt oder wer sie zu welchen Zwecken konstruiert (hat), woran sie zu erkennen und wie sie möglicherweise zu überwinden sind.1 Insofern räumt 1 Macht ist ein zentrales Hindernis jeder Form von interkultureller Ausrichtung, auf die im Kontext des vorliegenden Beitrags nicht eingegangen werden kann. 26
interkulturelle Philosophie Frage‐ und Problemstellungen Vorrang vor philosophischen Traditionen ein. Sie läßt sich am besten als ein auf keinen Abschluß und kein bestimmtes Ergebnis gerichteten Prozeß im Bewußtsein einer stets ›orthaften Ortlosigkeit der Philosophie‹2 begreifen, welche der Einsicht verpflichtet ist, daß Philosophen den Werten und Selbstbildern ihrer Heimatländer nolens volens verhaftet bleiben, Philosophien vom Zeit‐
geist und Ort ihrer Entstehung mitbestimmt werden, Philosophieren an sich jedoch überall und jederzeit möglich war, ist und bleiben wird. Es ist ein geschichtsträchtiges und wirkungsmächtiges Vorurteil, daß nur die griechisch‐europäische Tradition den Weg der ›Philosophie‹ und ›Wis‐
senschaft‹ geebnet und den gesamtmenschlichen Geist in eine kritische und rationale Dimension erhoben habe. Wer nach diesem Muster »denkt, denkt griechisch, auch wenn er es gar nicht vermutet« (Jacqueline de Romilly). Die Entstehung der Philosophie und Wissenschaft ausschließlich mit Grie‐
chenland zu verknüpfen, läßt unweigerlich das Bild des chinesischen Brunnenfrosches aufkommen, der seine Weltsicht hypostasiert und verab‐
solutiert. Das ist die traditionelle Philosophie. Die Fundamente der europäischen Philosophie und Wissenschaft gehen zweifelsohne auf die griechische Tradition zurück, die viele Elemente an‐
derer, nichteuropäischer Traditionen übernommen hat. Diesem Kultur‐
raum jedoch eine führende Stellung gegenüber den anderen Traditionen einzuräumen, stellt eine einseitige und ausschließlich vom europäischen Standpunkt ausgehende Betrachtungsweise dar, die durch Dominanz der Macht universalisiert und indoktriniert worden ist. Philosophie essentiali‐
stisch aufzufassen oder sie nur unter bestimmten Bedingungen als relevant erklären zu wollen, widerspricht dem Kern philosophischer Reflexion selbst. In diesem Sinne verwendet Ninian Smart »den Begriff ›Philoso‐
phien‹ im Plural; etliche Philosophen des Westens nehmen dagegen den Singular, weil sie sich nur auf eine Art der westlichen Philosophie bezie‐
hen«.3 2 Vgl. hierzu Yousefi, Hamid Reza u.a. (Hrsg.): ›Orthafte Ortlosigkeit der Philoso‐
phie‹. Eine interkulturelle Orientierung: Festschrift für Ram Adhar Mall zum 70. Geburtstag, Nordhausen 2007. 3 Smart, Ninian: Weltgeschichte des Denkens. Die geistigen Traditionen der Mensch‐
heit, Darmstadt 2002 S. 15. 27
Die Frage nach der Heimat der Philosophie Diesem Grundsatz zufolge gibt es eine reine, eigene Philosophie ebenso‐
wenig wie es eine reine, andere Philosophie gibt. Philosophie kennt ver‐
schiedene Wege und trägt unterschiedliche Namen.4 Die regulative Einheit der einen ›philosophia perennis‹ ist kompatibel mit der Vielfalt ihrer kon‐
kreten kulturellen Gestalten. Es ist »die philosophia perennis, welche die Gemeinsamkeit schafft, in der die Fernsten miteinander verbunden sind, die Chinesen mit den Abendländern, die Denker vor 2500 Jahren mit der Gegenwart«5. In ihr ist alles mit allem verbunden. Sie gibt es nicht in der Gestalt eines systematischen Bestandes von Erkenntnissen, die für jeder‐
mann gelten und zwingend eingesehen werden können. Wer glaubt, in welchem Kontext auch immer, »die philosophische Wahrheit liege vor und brauche nur gelernt zu werden, wird nie zur Philosophie kommen.«6 Die Idee der ›Philosophia perennis‹ geht dem Philosophiebegriff grund‐
sätzlich voraus. Die Akzeptanz dieser Prämisse ist ein Schlüssel zu einer universalen und friedensorientierten Kommunikation, die der dialogischen Konzeptualisierung einer Weltgeschichte der Philosophie das Wort redet. Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein spielen in der Formung persönlicher, kultureller und sozialer Identität eine wesentliche Rolle. Auch jeder historische Prozeß ist ein Faktor der ›philosophia perennis‹, »um die alle Philosophien kreisen und die niemand besitzt, an der jeder eigentlich Philosophierende teilhat und die doch nie die Gestalt eines für alle gülti‐
gen, allein wahren Denkgebäudes gewinnen kann«7. Damit soll gesagt sein, daß ›philosophia perennis‹ keine Vorurteile kennt, keinen Ort privilegiert, keine Tradition hat und keine Sprache als ihre Muttersprache spricht8. Phi‐
losophie bedeutet »die Weise, wie der Mensch sich des Seins der Welt und 4 Vgl. hierzu Yousefi, Hamid Reza u.a. (Hrsg.): Wege zur Philosophie. Grundlagen der Interkulturalität, Nordhausen 2006. 5 Jaspers, Karl: Weltgeschichte der Philosophie. Einleitung. Aus dem Nachlaß hrsg. v. Hans Saner, München 1982 S. 56. 6 Ebenda, 1982 S. 60. 7 Jaspers, Karl: Was ist Philosophie. Ein Lesebuch, hrsg. v. Hans Saner, München 21997 S. 193. 8 Vgl. Mall, Ram Adhar: Philosophie im Vergleich der Kulturen. Interkulturelle Philo‐
sophie – Eine neue Orientierung, Darmstadt 1995 S. 7. 28
seiner selbst bewußt wird und wie er aus diesem Bewußtsein im Ganzen lebt. Daher ist Philosophie so alt wie der Mensch«9. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen: Ein Inder, ein Chinese, ein Grieche und ein Araber stritten darüber, was sie als Nachtisch zum Käse kaufen wollten. Der Inder wollte ›angur‹ kaufen, der Chinese hingegen ›pútaó‹; während der Grieche auf den Kauf von ›stafil‹ bestand, wollte der Araber nicht auf ›inab‹ verzichten. Weil sie sich nicht verständigen konn‐
ten, gingen sie zu einem Übersetzer, der aller vier Sprachen mächtig war. Er wurde damit beauftragt, ›angur‹, ›pútaó‹, ›stafil‹ und ›inab‹ zu kaufen. Nachdem der Übersetzer zurückkam, freuten sich die Streitparteien; jeder hatte das, was er wollte, nämlich Weintrauben. Daß die Streitparteien nun wissen, daß Weintrauben in jeder Sprache anders heißen, braucht nicht besonders erwähnt zu werden. Wenn die Streitparteien nach dem Begriff der Philosophie fragen, so er‐
halten sie wiederum vier verschiedene, aber im Kern gleichbedeutende Ausdrücke. Arbeitet man universalhistorisch, so ist man auf weiten Gebie‐
ten auf Übersetzungen angewiesen, da niemand alle Sprachen kennt, in denen philosophiert wurde und wird. Philosophisches Denken geht immer dem Philosophiebegriff voraus. Man kann beispielsweise »von Mathema‐
tik« nicht dort »sprechen, wo man dafür ein Fachwort geprägt hat.«10 Kontroverse im Altertum Die Frage nach dem Geburtsort der Philosophie hat eine lange Tradition, die sich bis ins ›europäische Altertum‹ zurückverfolgen läßt. Der syrische Satiriker Lukian (um 120‐180 n.u.Z.) beschäftigt sich in seinem Dialog ›Die entlaufenen Sklaven‹ mit dem Ursprung, dem Inhalt und dem Begriff der Philosophie, wobei Lukian außereuropäische Philosophien bevorzugt und den Geburtsort der Philosophie nach Persien und Indien verlegt. Jupiter, Merkur, Herkules, die Philosophie, Orpheus, die Entlaufenen und ihre Herren sowie ein Ehepaar kommen hier zu Wort. Er läßt die Phi‐
losophie selbst reden: »Mein erster Ausflug war nicht zu den Griechen. Ich hielt es für schicklicher, mich sogleich an die schwerste Arbeit zu machen 9 Jaspers, Karl: Weltgeschichte der Philosophie,1982 S. 105. 10 Holenstein, Elmar: Philosophie‐Atlas: Orte und Wege des Denkens, Zürich 2004 S. 17. 29
und vors erste die Barbaren in meine Zucht zu nehmen. Ich ging also die Griechen vorbei, die ich viel leichter zu bemeistern und gar bald an meinen Zaum zu gewöhnen hoffte, und eilte zuerst zu dem größten Volke des Erd‐
bodens, den Indern, die ich mit ziemlich leichter Mühe überredete, von ihren Elefanten herabzusteigen und sich zu mir zu halten: kurz, ich brachte es so weit, daß die Brachmanen, eine zwischen den Nechräern und Oxy‐
drakern wohnende glückselige Menschenrasse, ganz nach meiner Vor‐
schrift leben und deswegen bei allen ihren Nachbarn in besonderem Anse‐
hen stehen; wie sie denn auch eine sehr seltsame Art aus der Welt zu gehen haben«11. Beim anschließenden Besuch bei den Griechen soll die Philoso‐
phie anfangs »ziemlich kaltsinnig empfangen«12 worden sein. Außer bei ›sieben Lehrjüngern‹ habe sie in Griechenland kein Echo gefunden, da dort das Geschlecht der Sophisten aufgeblüht sei, »Leute, die, ohne tief genug in meine Lehren einzudringen, um ihren Geist und Zweck zu fassen, doch sozusagen einerlei Ton mit mir hielten […], nicht ganz unwissend, aber ebensowenig fähig, mich scharf ins Auge zu fassen […] und […] nur ein undeutliches, halb verblichnes Gespenst und Schattenbild von mir erblick‐
ten«13. Der griechische Historiker Diogenes Laertius (um 2.‐3. Jh. n.u.Z.) hinge‐
gen übt implizit Kritik an Lukian und verlegt den Ursprung der Philoso‐
phie zu den Griechen. Er verfaßte die vollständig erhalten gebliebene Schrift ›Leben und Meinungen berühmter Philosophen‹, in der viele Philo‐
sophen des Altertums zur Darstellung kommen. Im ersten Band beschäftigt sich Diogenes mit dem Inhalt und Ursprung des Begriffs ›Philosophie‹. Dort heißt es, die Entwicklung der Philosophie habe ihren Anfang nicht, ›wie manche behaupten‹, in Indien und Persien genommen. Zwar hätten die Perser ihre Magier, die Babylonier und Assyrer ihre Chaldäer und die Inder ihre Gymnosophisten gehabt, aber »indes man täuscht sich und legt fälschlich den Barbaren die Leistungen der Griechen bei; denn die Griechen Lukian: Die entlaufenen Sklaven, in: Werke in drei Bänden (Übers. von Christoph Martin Wieland), hrsg. v. Jürgen Werner und Herbert Greiner‐Mai, Bd. 2, Wei‐
mar 1981 (49‐64), S. 51 f. 12 Ebenda, S. 52. 13 Ebenda, S. 53. 11
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waren es, die nicht nur mit der Philosophie, sondern mit der Bildung des Menschengeschlechtes überhaupt den Anfang gemacht haben«14. Neue Wege im 17. und 18. Jahrhundert Immanuel Kant (1724‐1804), der die Philosophie in einen Schul‐ und einen Weltbegriff unterteilt15, sieht die Philosophie als Weltbegriff, in sensu cosmi‐
co, zur Wissenschaft »von d e r hö ch s te n Ma xime d es Gebra uchs u ns er er Vernu nf t«16. Er behandelt und entwickelt in seiner Sittenlehre und seinem ›Entwurf zum Ewigen Frieden‹ grundlegende Kategorien, die zwar die Menschheit als Gesamtheit angehen, aber aus einer bestimmten Tradition heraus entworfen sind, die sich in vielerlei Hinsicht verabsolu‐
tiert. Kant schreibt allen anderen Völkern ein »geringeres Talent« zu als den Europäern17. In seinen anthropologischen Schriften ist zu lesen, ›orien‐
talische Nationen werden sich niemals verbessern‹. An anderer Stelle ver‐
tritt er die Ansicht, »daß der Eu ro päe r einzig und allein das Geheimnis gefunden hat, sinnlichen Reiz einer mächtigen Neigung mit so viel […] Moralischem zu durchflechten […]. Der Bewohner des Orients ist in die‐
sem Punkte von sehr falschem Geschmacke. Indem er keinen Begriff hat von dem sittlich Schönen«18. Es steht Kants eigener Forderung nach dem kategorischen Imperativ dia‐
metral entgegen, wenn er Menschen dazu auffordert, so zu handeln, daß die Maxime ihres Handelns zur allgemeinen Gesetzgebung werden könnte, dann aber die »Vollkommenheit« des Menschen nur in »temperierten Zo‐
nen«, nämlich in Europa, erreicht sieht. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Band I‐X, Ham‐
burg 1967 S. 3 f. 15 Vgl. Kant, Immanuel: Logik, in: Kants gesammelte Schriften, hrsg. v. der König‐
lich Preußischen Akademie der Wissenschaften und Nachfolgern, Bd. IX, Berlin 1923 S. 23 f. 16 Ebenda, S. 24. 17 Kant, Immanuel: Physische Geographie, in: Kants Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und Nachfolgern (A‐
kademie‐Ausgabe), Bd. IX, Berlin 1923 S. 316. 18 Kant, Immanuel: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, in: Kants gesammelte Schriften, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und Nachfolgern, Bd. II, Berlin 1902 S. 254. 14
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Im Gegensatz zum vorherrschenden Geist des 18. und 19. Jahrhunderts, in dem westliche Kolonialherrscher Einheitlichkeit und »Totalwissen«19 anstrebten, machte sich seit dem späten 17. Jahrhundert eine immanente Kritik an dieser Denkart breit. Hier seien Gottfried Wilhelm Leibniz (1646‐
1716), Christian Wolff (1679‐1754), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775‐1854) und Arthur Schopenhauer (1788‐1860) genannt, die neue Wege suchten. Leibniz vertrat die Auffassung, von den Chinesen könnten Erkenntnisse übernommen werden, die in der europäischen Ethik und Politik mit gro‐
ßem Gewinn anzuwenden seien. Insbesondere die Vernunft, die in China wirkte, schien Leibniz dieselbe zu sein wie in Europa20. Auch Wolff be‐
schäftigte sich mit der chinesischen Philosophie und hielt sie für wesent‐
lich. Er behandelte sie indes weder »neutral« noch »historisch‐distanziert […], sondern versuchte ihre Grundgedanken, die in den klassischen Bü‐
chern enthalten sind, mit seinen eigenen Kriterien aufzuarbeiten, zu ord‐
nen, zu bewerten und für das eigene Nachdenken fruchtbar zu machen«21. Schelling rückt von der These ab, es gebe nur in Deutschland Philosophie und in der übrigen Welt nicht. Er weist auf die unterschiedlichen Denkwei‐
sen hin und vertritt die Ansicht, daß »die wahrhaft allgemeine Philosophie […] unmöglich das Eigentum einer einzelnen Nation sein« kann, »und solange irgendeine Philosophie nicht über die Grenzen eines einzelnen Volkes hinausgeht, darf man mit Zuversicht annehmen, daß sie doch nicht die wahre sei, wenn vielleicht auch auf dem Weg dazu«22. Für die Philoso‐
phie Schopenhauers spielte die indisch‐buddhistische Sicht des Lebens und der Welt eine wichtige Rolle. Bereits in jungen Jahren interessierte er sich für östliche Weltanschauungen. Sein Werk ›Die Welt als Wille und Vorstel‐
lung‹ beginnt mit einer Wahrheit aus dem Buddhismus: ›die Welt ist meine Jaspers, Karl: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1949 S. 172. Vgl. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Das Neuste von China (1697), Novissima Sinica, übersetzt, erläutert, hrsg. v. Heinz‐Günter Nesselrath und Hermann Reinbothe (Deutsche China‐Gesellschaft e. V. Nr. 2), Köln 1979 S. 11. 21 Albrecht, Michael: Einleitung, in: Wolff, Christian: Oratio de Sinarum philo‐
sophia practica (Rede über die praktische Philosophie der Chinesen), übersetzt, eingeleitet und hrsg. v. Michael Albrecht, Hamburg 1985 S. LXVII. 22 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Zur Geschichte der neueren Philosophie, Münchner Vorlesungen, Darmstadt 1959 S. 170. 19
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Vorstellung‹23. Diese Gedanken sind, im Vergleich zu späteren Generatio‐
nen, von großer Hellsichtigkeit geprägt. Zentrismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert Jochen Hörisch kritisiert den expansiven Eurozentrismus und weist darauf hin, daß Mitteleuropa »ab 1800 verstärkt in allen Bereichen an der Austrei‐
bung von Pluralitäten« arbeitet, »[…] wird doch aus den vielen Sinnen der eine Sinn, aus den vielen Geschichten die eine (Welt‐)Geschichte, aus den vielen Wahrheiten die eine Wahrheit, aus den vielen Geistern (und Buch‐
staben) der eine Geist. Der Monotheismus siegt im europäischen 19. Jahr‐
hundert auch auf nichtreligiösem Terrain«24. Ein Beispiel hierfür ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770‐1831), der das tertium comparationis ausschließlich in der griechisch‐europäischen philosophischen Tradition fixiert. Für Hegel ist das historische Denken bzw. das historische Bewußtsein ein Monopol des Westens. Über Afrika führt er aus: »Was wir eigentlich unter Afrika verstehen, das ist das Ge‐
schichtslose und Unaufgeschlossene, das noch ganz im natürlichen Geiste befangen ist und das hier bloß an der Schwelle der Weltgeschichte vorge‐
führt werden müßte«25. Nach Hegel ist es ebenso unmöglich, sich in die Natur eines Afrikaners einzufühlen wie in die Seele eines Hundes. Hegel wirft, gemäß seiner teleologischen Geschichtstheorie, dem chinesi‐
schen Geist ›Phantasielosigkeit‹ vor, den Indern spricht er zuviel Phantasie zu. Das alte Persien sieht er immerhin als theokratische Monarchie, der er eine Stelle zwischen der asiatischen und der westlichen Welt zuweist. In Ägypten schreite der Geist ein Stück weiter fort und stelle einen inneren Übergang zum griechischen freien Leben dar. Bei den Griechen nehme das philosophische Denken überhaupt seinen Anfang, wenn auch erst im Sta‐
dium des Jünglingsalters: »Bei den Griechen fühlen wir uns sogleich hei‐
Obwohl Schopenhauer die indische Philosophie ernst nimmt, muß sein Bild der indischen Metaphysik, Ethik und Religion jedoch kritisch diskutiert werden; vgl. hierzu Mall, Ram Adhar: Wie indisch ist das Indienbild Schopenhauers?, in: Scho‐
penhauer‐Jahrbuch, Bd. 76 Würzburg 1995 (151–172). 24 Hörisch, Jochen: Die Wut des Verstehens, Frankfurt/Main 1988 S. 67. 25 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Philosophie der Weltgeschichte, Bd. 1, hrsg. v. Georg Lasson, Leipzig 1944 S. 224. 23
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matlich, denn wir sind auf dem Boden des Geistes«26. Für Hegel beginnt »die eigentliche Philosophie im Okzident. Erst im Abendlande geht diese Freiheit des Selbstbewußtseins auf, das natürliche Bewußtsein in sich unter und damit der Geist in sich nieder. Im Gegensatz zum Morgenland ver‐
schwindet das Individuum nur; das Licht wird im Abendlande erst zum Blitz des Gedankens, der in sich selbst einschlägt und von da aus sich seine Welt erschafft«27. In der Euphorie der sogenannten Erfolge im Zeitalter von Kolonialismus und Missionarismus und bedingt durch die innere Logik seines Systems geht er so weit zu meinen: »Mit dem Eintritt des christli‐
chen Prinzips ist die Erde für den Geist geworden. Die Welt ist umschifft und für die Europäer ein Rundes. Was noch nicht von ihnen beherrscht wird, ist entweder nicht der Mühe wert oder aber noch bestimmt, be‐
herrscht zu werden.«28 Auch Edmund Husserl (1859‐1938) und Martin Heidegger (1889‐1976) ge‐
hen von der Reinheit der europäischen Philosophie und Wissenschaft aus. Husserl sieht in Europa »etwas Einzigartiges, das auch allen anderen Menschheitsgruppen an uns empfindlich ist als etwas, das, abgesehen von allen Erwägungen der Nützlichkeit, ein Motiv für sie wird, sich im unge‐
brochenen Willen zu geistiger Selbsterhaltung doch immer zu europäisieren […]. Ich meine, wir fühlen es (und bei aller Unklarheit hat dieses Gefühl wohl sein Recht), daß unserem europäischen Menschentum eine Entelechie eingeboren ist, die den europäischen Gestaltenwandel durchherrscht und ihm den Sinn einer Entwicklung auf eine ideale Lebens‐ und Seinsgestalt als einen ewigen Pol verleiht«29. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschich‐
te, Hamburg 1955 S. 528. 27 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschich‐
te, hrsg. v. Gerd Irrlitz und Karin Gurst, Bd. I, Berlin 1984 S. 96. Heinz Kimmerle kritisiert die philosophiegeschichtliche Auffassung Hegels, vgl. Kimmerle, Heinz: Georg Wilhelm Friedrich Hegel interkulturell gelesen, Nordhausen 2005. 28 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschich‐
te, 1955 S. 763. 29 Husserl, Edmund: Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie, in: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänome‐
nologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, (Husserliana, Bd. VI), Den Haag 21962 S. 320. 26
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Heidegger greift diese Einstellungen auf und vertritt die Auffassung: »Deshalb sind sie [die Europäer] heute imstande, der Geschichte des Men‐
schen auf der ganzen Erde die spezifische Prägung zu geben«30. Heideg‐
gers Bild des Griechischen wird aber angesichts folgender Begebenheit fraglich: »An einem Frühlingsmorgen des Jahres 1962 steht der Tourist Martin Heidegger an der Reling des Kreuzfahrtschiffes ›Jugoslavija‹ und blickt auf die Küste der Insel Korfu […]. Der Philosoph ist jedoch vom An‐
blick der Insel enttäuscht: was er sieht, stimmt so gar nicht mit dem über‐
ein, was er im 6. Buch der Odyssee bei Homer gelesen hatte […]. Kurz zweifelt er daran, ob seine Eindrücke wirklich authentisch sind, denn ›Goe‐
the erfuhr doch in Sizilien zum ersten Mal die Nähe des Griechischen‹. Doch dann entschließt er sich, nicht an Land zu gehen«31. Alfred Holzbrecher sieht in der Weigerung Heideggers die Angst, »sich auf das Fremde, auf das Risiko des Lernens einzulassen« und »sein von der klassischen Literatur geprägtes und ›stimmiges‹ Bild in Frage stellen zu müssen. Es ist die Angst, sich eingestehen zu müssen, daß der Enttäu‐
schung die Täuschung vorausging, – die Angst, daß sich unsere Bilder der Realität als Konstruktionen erweisen könnten, mit denen die Realität nicht mehr begreifbar erscheint«32. Auch sei an Heideggers Dialog mit einem japanischen Philosophen erinnert, den er als ›Antwortenden‹ und ›Denker‹ bezeichnet und behandelt, während er als fragender ›Philosoph‹ über ihm steht33. Die Ansichten Heideggers zeigen, wie ein intrakulturelles Problem zum interkulturellen wird. Heidegger behauptet einerseits, daß »nur A‐
bendland und Europa, und nur sie […], in ihrem innersten Geschichtsgang Heidegger, Martin: Was ist das – die Philosophie? (1955), Pfullingen 51972 S. 7. 31 Terkessidis, Mark: Das Land der Griechen mit dem Körper besuchen. Über deutschen Alternativtourismus in Griechenland, in: Mayer, Ruth und Mark Terkessidis (Hrsg.): Globalkolorit: Multikulturalismus und Populärkultur, St. Andrä 1998 S. 65. 32 Holzbrecher, Alfred: »Vielfalt als Herausforderung«, in: Holzbrecher, Alfred (Hrsg.): Dem Fremden auf der Spur. Interkulturelles Lernen im Pädagogikunter‐
richt, (Didactica nova) Bd. 7, Hohengehren 1999 S. 2. 33 Vgl. hierzu Heidegger, Martin: Aus einem Gespräch von der Sprache, Zwischen ei‐
nem Japaner und einem Fragenden, in: Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959 (83‐155). 30
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ursprünglich philosophisch«34 sind, andererseits denkt er über die »Ret‐
tung Europas oder seine Zerstörung« nach und beschwört die »Bewahrung der europäischen Völker vor dem Asiaten«35. Die Vertreter der interkulturellen Philosophie sind einstimmig der An‐
sicht, daß ein polyhistorischer Dialog zwischen unterschiedlichen philoso‐
phischen Traditionen keinen Sinn macht, wenn wir stufentheoretisch ver‐
fahren: »Europa ist nur ein Teil der Welt, auch geistig macht es nur einen Teil des Ganzen aus. Eine dialogisch orientierte interkulturelle Philosophie setzt die Überwindung des apriorischen Universalismus voraus. Dies be‐
deutet Europa europäisch und Nicht‐Europa nicht‐europäisch sein zu las‐
sen.«36 Versuche des Ausgleichs Im 20. Jahrhundert waren vor allem Max Scheler (1874‐1928), Helmuth Plessner (1892‐1985)37 und Karl Jaspers (1883‐1969)38 in unterschiedlichen Phasen darauf bedacht, geschichtliche Vorurteile zu überwinden. Während Scheler vom ›Weltalter des Ausgleichs‹ spricht, siegt Europa nach Plessner mit dem Verzicht auf die Verabsolutierung des eigenen Wert‐ und Katego‐
riensystems. Hier geht Jaspers von einer offenen Philosophie aus. Karl Jaspers Jaspers, der in der frühen Phase seines Schaffens eine eurozentrische Philo‐
sophie betrieben hatte, kam allmählich zur Erkenntnis, daß »die Idee einer kommenden Weltphilosophie«39 unumgänglich sei. Nach ihm können die Heidegger, Martin: Was ist das – die Philosophie?, 1963 S. 13. Heidegger, Martin: Europa und die deutsche Philosophie, in: Europa und die Philo‐
sophie, hrsg. v. Hans‐Helmuth Gander, Frankfurt/Main 1993 (1–34), S. 31. Im Gegensatz zu Heidegger hält Georg Misch (1878‐1965) die Auffassung, Philoso‐
phie sei europäisch und kenne nur eine einzige Geschichte, für historisch falsch. Misch unternimmt den Versuch, Philosophie in einem globalen Zusammenhang zu sehen. Vgl. Misch, Georg: Der Weg in die Philosophie. Eine Philosophische Fi‐
bel, Berlin 1926. 36 Mall, Ram Adhar: Essays zur interkulturellen Philosophie, eingeleitet u. hrsg. v. Hamid Reza Yousefi, Nordhausen 2003 S. 178. 37 Vgl. Dejung, Christoph: Helmuth Plessner interkulturell gelesen, Nordhausen 2005. 38 Vgl. Paprotny, Thorsten: Karl Jaspers interkulturell gelesen, Nordhausen 2006. 39 Jaspers, Karl: Weltgeschichte der Philosophie, 1982 S. 56. 34
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Menschen aus der Vielheit der Ursprünge heraus miteinander in Aus‐
tausch kommen40. Seine Philosophie ist eine existenzphilosophische, die durch universelle Kommunikation das Menschsein an sich erwecken will. Philosophie »ist überall, wo Menschen sich ihres Daseins denkend bewußt werden«41. Jaspers, in dessen Denken Philosophie, Individuum und Gesell‐
schaft untrennbar miteinander verbunden sind, fordert ein praktisches Engagement für die bürgerliche Philosophie als Ganzes. Eine verordnete Unifizierung der Philosophie hat für ihn eine zentristische Einstellung zur Folge, welche die Möglichkeit eines offenen und umfassenden Dialogs zwischen den Philosophien, Kulturen und Religionen gemäß ihrer Natur nicht zuläßt. Philosophie sucht »immer in Gestalt der Bemühung eines Einzelnen […], die Universalität zu verwirklichen, die Offenheit des Men‐
schen zu bewahren, das Einfache herauszuheben, es zu konzentrieren und in seiner Unergründlichkeit zu erhellen«42. Diese Philosophie hat den Trieb zur ständigen Erweiterung ihres Horizontes: »Das Philosophieren selbst muß im universalgeschichtlichen Entwurf Ordnung und Struktur hervor‐
bringen«43. Seit 1937 vertritt Jaspers eine implizit interkulturelle Philosophie. Für ihn liegt das zentrale Anliegen darin, eine Kommunikation unter den philoso‐
phischen Traditionen zu bewirken, die bislang unterdrückt wurde. Jaspers weist den Anspruch, im Besitz der philosophia perennis zu sein, zurück. Wer philosophiert, »kann es nicht auf Grund einer Vollmacht tun, die ihm von einer Instanz in der Welt erteilt ist. Er tut es auf eigene Verantwortung vor einer Instanz, die er sich selber setzt, indem er sie vorfindet im Philoso‐
Auch ist an dieser Stelle Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), der häufig aus dem Geist eines Weltbewußtseins heraus dachte und handelte, als klassi‐
sches Beispiel in Europa zu nennen. Der ›West‐östliche Divan‹ 1819 ist Ausdruck dieses Bewußtseins. Goethe dichtete hier: »Wer sich selbst und andere kennt, / Wird auch hier erkennen: / Orient und Okzident / Sind nicht mehr zu trennen.« Im Gegensatz hierzu behauptet der englische Kolonialdichter Rudyard Kipling (1865–1936) in einer berühmten Ballade: »Ost ist Ost, West ist West, sie werden nie zueinander kommen.« 41 Jaspers, Karl: Philosophie und Welt. Reden und Aufsätze, München 1963 S. 9. 42 Jaspers, Karl: Der philosophische Glaube (1948), München 61974 S. 89. 43 Jaspers, Karl: Weltgeschichte der Philosophie, 1982 S. 163. 40
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phieren der Jahrtausende«44. Für ihn gibt es ›keinen Weg um die Welt her‐
um‹, sondern nur ›durch die Welt‹. Es gibt ebenfalls ›keinen Weg um die Geschichte‹, sondern nur ›durch die Geschichte‹. Die Idee der »Philoso‐
phiegeschichte möchte jene ewige Philosophie treffen, welche als ein in sich zusammenhängendes Leben sich geschichtlich ihre Organe, ihre Kleider und Werkzeuge schafft, aber in ihnen nicht aufgeht«45. Jaspers formulierte über die philosophischen Themenbereiche im A‐
bendland hinaus als erster das offene Konzept einer ›Weltgeschichte der Philosophie‹. Diese bietet einen gangbaren Weg für eine neue interkultu‐
relle Historiographie der Philosophie, die eine Kommunikation zwischen Philosophien überhaupt erst zu ermöglichen vermag. Eine dialogische Philosophie bedeutet nach Jaspers ständiges »Arbeiten an den Vorausset‐
zungen der Möglichkeit universeller Kommunikation«46. Demnach befaßt sich die Philosophie nach Jaspers im Gegensatz zur Wissenschaft, die etwas zum Gegenstand ihrer Untersuchung erhebt und nach dessen allgemeinen Merkmalen fragt, mit den ›Grenzsituationen‹, durch die sich das Individuum als einmalig‐selbständiges Wesen erfährt. Der Mensch entwickelt seine eigene Existenz in Kommunikation mit ande‐
ren Menschen. Dieser Prozeß der Kommunikation ist unabschließbar und Ausdruck der Geschichtlichkeit der Existenz. Aus dieser offenen Systema‐
tik heraus kommt Jaspers zur Erkenntnis, daß wir uns »vom Abendrot der europäischen Philosophie durch die Dämmerung unserer Zeit« hin zur »Morgenröte der Weltphilosophie«47 bewegen. Zentristische Haltungen in der Gegenwart In den 1970er Jahren führte Joachim Schickel für eine Sendereihe unter dem Titel ›Philosophie in Deutschland‹ eine Reihe von Gesprächen mit Philoso‐
Jaspers, Karl: Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung (1962), München 21963 S. 477. 45 Jaspers, Karl: Einführung in die Philosophie, (1950), München 61958 S. 134. 46 Jaspers, Karl: Philosophische Autobiographie (1953), erweiterte Neuausgabe, Mün‐
chen 1977 S. 121. 47 Jaspers, Karl: Rechenschaft und Ausblick. Reden und Aufsätze (1951), München 21958 S. 391. Vgl. auch ders: Philosophische Autobiographie (1953), erweiterte Neu‐
ausgabe, München 1977 S. 122. 44
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phen, vor allem mit Günther Patzig (*1926) und Carl Friedrich von Weizsä‐
cker (1912‐2007), über die Bedeutung außereuropäischen Denkens für diese Personen. Nach Patzig ist Philosophie »nur denkbar als abendländische Philosophie«48. Diese Antwort Patzigs läßt »die eigentliche Frage Schickels redundant werden, so als ob jemand auf die Frage Kants: wie sind synthe‐
tische Urteile a priori möglich, antworten würde, es gibt sie nicht«49. Auch Weizsäcker fixiert den Vergleichsmaßstab ausschließlich in der eu‐
ropäischen Tradition: »Philosophie, so wie sie bei uns entwickelt ist und nur bei den Griechen – das ist eine griechische Erfindung –, wäre ich bei‐
nahe bereit zu behaupten, habe ich in Ostasien überhaupt nicht getroffen und in Indien nur rudimentär […]. Die Gedanken, soweit ich sie habe as‐
similieren können, scheinen mir Gedanken sehr kluger Menschen, die et‐
was interpretieren, was sie erfahren haben, aber nicht eigentlich Philoso‐
phie in den Sinne, wie ich das Wort gelernt habe«50. Schickel bezeichnet solche Urteile als eurozentrisch oder gar eurochauvinistisch und weist die These zurück, daß es zwischen Kulturen und Philosophien eine ›unüber‐
brückbare Kluft‹ gibt. In der abendländisch‐westlichen Welt herrscht überwiegend die Vorstel‐
lung, andere Nationen nicht nur besser (Mutter‐Kind‐Diskurs) zu verste‐
hen, als diese sich selbst verstehen, sondern faktisch zu wissen, was für sie gut, besser oder am besten ist (Mitleid‐ und Bevormundungsdiskurs). Häu‐
fig besteht die Ansicht, die Bedürfnisse des Anderen zu kennen, ohne daß diese von jenen je explizit ausgesprochen wurden (Romantisierungsdis‐
kurs). Dieses mit der Macht einhergehende Hindernis des Dialogs hat seine Wurzeln im eurozentrischen und expansionistischen Geist Europas. »Wir brauchen eine neue auswärtige Kulturpolitik: Statt fremde Gesellschaften zu belehren, müssen wir bereit sein, von ihnen zu lernen«, verlangt Wolf Lepenies und spricht über das »Ende der intellektuellen Ideologie der Ü‐
Schickel, Joachim (Hrsg.): Grenzenbeschreibung: Gespräche mit Philosophen, unter Mitwirkung von Margherita von Brentano, Hamburg 1980 S. 194. 49 Mall, Ram Adhar: Philosophie im Vergleich der Kulturen, 1995 S. 163. 50 Schickel, Joachim (Hrsg.): Grenzenbeschreibung: Gespräche mit Philosophen, 1980 S. 214 f. 48
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berheblichkeit«, die von vielen »europäischen Denkschulen«51 geteilt wird. Gestern Kolonialismus, worunter die gegenwärtigen Beziehungen auf in‐
ternationaler Ebene leiden und heute durch den Vorwand der Demokrati‐
sierung, die Kriege und feudalistische Kommunikationsstrukturen legiti‐
mieren soll. Grundlagen interkultureller Philosophie Interkulturalität ist eine Orientierung im Denken und im Handeln, die von der ›Einheit aus der Vielheit‹ ausgeht. Dies bedeutet die Bewahrung eigen‐
kultureller und die Akzeptanz fremdkultureller Andersheiten. Kulturen sind im Kontext des Interkulturellen keine Kugeln, die aufeinanderprallen, sondern Fäden eines Gewebes, die auf vielfältige Weise miteinander ver‐
woben sind52. Sie sind offene Handlungsmuster und weisen Gemeinsam‐
keiten und erhellende Unterschiede auf. Hier liegt das Gewicht auf dem Gemeinsamen, das verbindet. Interkulturalität betrachtet die Vorstellung von der ›totalen‹ Reinheit ei‐
ner Kultur, Religion, Philosophie oder Wissenschaftskonzeption als Fikti‐
on53. Sie setzt bei der Enge kulturalistischer Tendenzen an, die das tertium comparationis auf allen fachwissenschaftlichen Gebieten von vorneherein für alle Vergleiche und für alle Kommunikationen festlegen. Hierauf beru‐
hen Theorien und Lehren, in deren Namen Gewalt ausgeübt wurde. Die erwähnten Gewalttaten Kolonialismus, Imperialismus, Expansionismus und heutige Versuche der Zwangsdemokratisierung sind Beispiele hier‐
für.54 Das eigentliche Defizit vieler vergleichender Studien ist, wie wir sahen, daß sie den Maßstab des Vergleichs in einer bestimmten Tradition fixieren. Es wird vorwiegend das Eigene im Fremden gesucht. Eigene kulturelle Handlungsweisen werden als Meßlatte hypostasiert, verabsolutiert und mit fremden Handlungsweisen beliebig verglichen. Jede Form von Kompa‐
51 Vgl. DIE ZEIT Nr. 48 vom 24.11.1995. Vgl. Holzbrecher, Alfred: ›Vielfalt als Herausforderung‹, 1999 S. 9. Vgl. Mall, Ram Adhar: Philosophie im Vergleich der Kulturen, 1995 S. 1. 54 Vgl. hierzu Yousefi, Hamid Reza und Sarah Ginsburg: Kultur des Krieges. Ameri‐
kanismus – Zionismus – Islamismus, Nordhausen 2007. 52
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ratistik bleibt ohne eine grundsätzlich interkulturelle Orientierung in Theo‐
rie und Praxis ein Muster ohne Wert. Interkulturalität als Basis der interkulturellen Kommunikation setzt eine vierfach offene Hermeneutik voraus, die berücksichtigt, wie ich mich selbst verstehe, wie ich das Fremde verstehe, wie das Fremde sich selbst versteht und wie das Fremde mich versteht55. Diese analogische Hermeneutik56 weist sowohl eine strenge, essentialistische Strukturidentitätsthese, als auch eine radikale Inkommensurabilität zurück. Die analogische Herme‐
neutik verbindet die unvermeidbare Kulturgebundenheit der Hermeneutik mit ihrer Universalität. Wenn wir an einem effektiven und ergebnisorien‐
tierten Kommunikationsprozeß ernsthaft interessiert sind, dann müssen wir uns stets dessen bewußt sein, daß die Verletzung der Achtungspflicht ge‐
genüber dem Anderen in diesem Prozeß Rivalitäten erzeugt und zum Ab‐
bruch der Kommunikation führt. Eine weitere Aufgabe der Interkulturalität besteht darin, Paradigmen‐
wechsel und Perspektivenerweiterungen im Denken und in der autonomen Vernunft jedes Einzelnen zu bewirken: »Alle Versuche, die unheilvollen Spaltungen im Leben der Völker organisatorisch zu überwinden, sind letz‐
ten Endes zum Scheitern verurteilt, wenn nicht in tieferen Zonen menschli‐
cher Existenz als in denen politischer oder wirtschaftlicher Willensbildung grundlegende Wandlungen sich vollziehen«57. Ohne die Etablierung eines Verantwortungsbewußtseins der Vernunft im Zusammenhang mit ethisch‐
moralischen Maximen kann dies nicht erreicht werden. Beim Paradigmenwechsel kommen der i n tra kulturellen und der inter‐
kulturellen Tiefenstruktur jeweils unterschiedliche Bedeutung zu. Wäh‐
rend erstere notwendige Bestandteile liefert, die aufzeigen, wie die beob‐
achtbaren Elemente der Einzelstruktur zu verstehen sind, beinhaltet letzte‐
re die Elemente aller Kulturen, die sicherstellen, daß zwischen den Kultu‐
ren überhaupt ein dialogisches Verstehen in Gang kommen kann. Verste‐
Vgl. Yousefi, Hamid Reza und Ina Braun: Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen, Nordhausen 2005 S. 258. 56 Vgl. hierzu Mall, Ram Adhar: Interkulturelle Ästhetik. Ihre Theorie und Praxis, in: Singularitäten – Allianzen, hrsg. v. Jörg Huber, Wien 2002 (85‐107), S. 85 f. 57 Mensching, Gustav: Die Bedeutung einer Weltuniversität als Pflegestätte religiöser Toleranz (unveröffentlichtes Manuskript) 1955 S. 1. 55
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hen‐Wollen und Verstanden‐Werden‐Wollen gehören im Dialog zusam‐
men. Der expansionistische europäische Geist wollte und will jedoch nur verstanden werden. Hier liegt eine strukturelle Gewalt vor, die theoreti‐
scher und praktischer Natur ist. Strukturen und Aufgaben Interkulturelle Philosophie ist als eine Wissenschaft des Friedens nicht nur interdisziplinär und angewandt, sondern auch konfliktorientiert. Konflikte erscheinen zwar oft als Ausdruck der Unversöhnlichkeit, aber sie können einerseits neue Arten von Interaktionen zwischen Partnern bzw. Diskurs‐
beiträgen schaffen, die zuvor ohne Berührung waren, und andererseits den inneren Zusammenhalt verstärken. Interkulturelle Philosophie ist kein Teilgebiet der traditionellen Philoso‐
phie, sondern ihr Korrektiv und ihre Erweiterung. Es geht nicht nur dar‐
um, »daß die interkulturelle Philosophie als eine größere oder kleinere Spezialdisziplin der Philosophie anerkannt wird. Der philosophische Bei‐
trag zur Neubestimmung des Verhältnisses der Kulturen zueinander ent‐
scheidet über den Status der heutigen Philosophie. Denn er betrifft eines der Kernprobleme unserer Zeit, von dessen Lösung die Ermöglichung menschlichen und menschenwürdigen Lebens wesentlich mit abhängt. Deshalb wird die Philosophie interkulturell sein, oder sie wird nichts An‐
deres sein als eine akademische Beschäftigung ohne gesellschaftliche Rele‐
vanz«58. Neben der Forderung nach interkultureller Kommunikation ist eine der zentralen Aufgaben der interkulturellen Philosophie die praktische Be‐
schäftigung mit der gesamten materiellen und geistigen Kultur der Menschheit. Dabei verwirft sie aprioristische und dogmatisierte Behaup‐
tungen und Positionen, welche die Empirie ignorieren. Die offene Perspek‐
tive im Rahmen der interkulturellen Philosophie erscheint in besonderer Weise geeignet, zum Verständnis und zur Erklärung aktueller politischer, ethnischer und religiöser Konflikte beitragen zu können, und unter Berück‐
sichtigung der gesamten Palette vorliegender Forschungen Lösungsansätze 58
Kimmerle, Heinz: Die Dimensionen des Interkulturellen: Philosophie in Afrika – afri‐
kanische Philosophie. Supplemente und Verallgemeinerungsschritte, Amsterdam 1994 S. 31. 42
anzubieten. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die interkulturelle Tole‐
ranz‐ und Kommunikationsforschung, da Beziehungen zwischen den Kul‐
turen nur dann friedlich gepflegt werden können, wenn Dialoge zwischen ihnen auf der Grundlage wechselseitiger Toleranz geführt werden.59 Diese offene Perspektive setzt die primäre Anerkennung der Gleichbe‐
rechtigung aller Stimmen als unbedingte Grundlage des Toleranz‐Dialogs voraus. Nur im Dialog selbst kann sich erweisen, ob diese Voraussetzung tatsächlich erfüllt ist. Ausgehend von der Vermutung, daß es mehr als die eine technokratische und oft bewaffnete Vernunft gibt, der sich die Men‐
schen einer globalisierten Welt immer direkter und immer vollständiger ausgeliefert fühlen, verfolgt interkulturelle Orientierung das Ziel, den Weg für die Durchsetzung einer ›kommunikativen Vernunft‹ zu ebnen, die sich auch in interkulturellen, interreligiösen, interideologischen, interwissen‐
schaftlichen und interpolitischen Diskursen niederschlägt. Interkulturelle Philosophie geht von der Konzeption einer interkulturellen Vernunft aus. Die Universalität philosophischer, soziologischer oder ethno‐
logischer Rationalität besteht im menschlichen Streben, für Ansichten, Er‐
kenntnisse und Werte Argumente zu liefern. Die kulturspezifische Rationa‐
lität erweist sich in der konkreten Art und Weise der Begründung und Be‐
weisführung. Jaspers geht einen deutlichen Schritt weiter, setzt die Vernunft mit einem ›grenzenlosen Kommunikationswillen‹ gleich und nimmt an, daß ein Primat der Kommunikation vor dem Konsens besteht. Dies gilt intra‐ und interkulturell. Nach diesem Muster fühlt sich ein europäischer Empirist einem chinesischen Empiristen näher als einem europäischen Rationalisten. Interkulturelle Philosophie geht von der Tatsache aus, daß auch andere Völker Vernunft und Rationalität besitzen. Hier wird die oft gestellte Frage beantwortet, ›wozu überhaupt interkulturelle Philosophie‹. Dementspre‐
chend besteht eine Aufgabe der interkulturellen Philosophie darin, den selbsterhobenen Universalitätsanspruch der reduktiven Philosophieauffas‐
sungen nicht nur ideengeschichtlich und philosophiegeschichtlich, sondern auch entwicklungsgeschichtlich zu hinterfragen und zu relativieren, damit ein Dialog zwischen den Denktraditionen auf gleicher Augenhöhe geführt werden kann. 59 Vgl. hierzu Yousefi, Hamid Reza u.a. (Hrsg.): Wege zur Kommunikation. Theorie und Praxis interkultureller Toleranz, Nordhausen 2006. 43
Interkulturelle Philosophie weist alle Philosophien und Lehrmeinungen zurück, die sich verabsolutieren oder dogmatisiert werden, ob europäisch oder nichteuropäisch. Mutatis mutandis gilt dies ebenso für Wissenschaft, Religion, Kultur usw. Interkulturelle Philosophie begreift Geschichte als Weltgeschichte und Geschichte der Philosophie als Weltgeschichte der Philosophie. Grundsatz‐
forderungen der interkulturellen Philosophie sind die Entkolonialisierung geisteswissenschaftlicher Begriffe, die geschichtlich stufentheoretisch ge‐
bildet worden sind60, die Säkularisierung europäisch‐westlicher Philoso‐
phie, die intern dialogisch und extern konservativ und monologisch inter‐
agiert. Diese Eindimensionalität hat das Fremde fast nie in sich gesucht, sondern der Sache nach nur das Eigene im Fremden, das zwangsläufig zur Exotisierung des Fremden führt. Interkulturelle Philosophie und Geschichtsschreibung Die Geschichte der Philosophie ist ein integraler Bestandteil der Philoso‐
phie im Vergleich der Kulturen. Als interkulturelle Orientierung weist sie eine philosophische Apartheid zurück. Westliche Historiker sind nach Kwasi Wiredu »seit langem stolz auf ihre […] ›Objektivität‹«61. Deren »Sub‐
jektivität« muß aber stets berücksichtigt werden, wenn hinter die Tendenz einer Darstellung historischer Ereignisse als »Bereich der Intersubjektivi‐
tät«62 gesehen werden soll. Konstruierte Geschichtsschreibung muß auf ihren Gehalt hin untersucht werden, da sie häufig »von plattem Optimis‐
mus geleitet«63 ist und nicht den Grundsatz beherzigt, daß »Philosophiege‐
schichte […] universal sein«64 muß. Die »Weltgeschichte der Philosophie« ist »nur im ganzen Umfang der Menschheit zu sehen«65. Das Kommunikative an diesem universalistischen Vgl. hierzu Wiredu, Kwasi: Cultural Universals and Particulars. African Perspec‐
tive, Bloomington 1996 S. 12. 61 Wiredu, Kwasi: Cultural Universals and Particulars. African Perspective, Bloom‐
ington 1996 S. 44. 62 Ricœur, Paul: Geschichte und Wahrheit, München 1974 S. 40 u. 59. 63 Schopenhauer, Arthur: Welt und Mensch. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk, Stuttgart 1992 S. 22. 64 Jaspers, Karl: Weltgeschichte der Philosophie, 1982 S. 69. 65 Ebenda, S. 70. 60
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Geschichtsbewußtsein liegt darin, daß Menschen aus der Vielheit der Ur‐
sprünge miteinander in Berührung und in Verständigung kommen. Daher liegt die Grenze unserer geschichtlichen Auffassung »im Verstehen der alten Philosophie«66. Fortschritt und Entwicklung sind keine konstanten Eigenschaften eines bestimmten historischen Denkens. Eine interdisziplinäre und interkulturelle Vergleichsanalyse von Logik, Struktur und Funktion des Geschichtsbe‐
wußtseins würde Aufschluß darüber geben, daß die Erörterung der Eigen‐
art beispielsweise des europäischen historischen Denkens ohne fundierte Kenntnisse anderer historiographischer Traditionen konstruiert ist.67 Selbst‐
bescheidung ist also für Historiker und Philosophen die Voraussetzung einer philosophischen Geschichtsschreibung, weil kein Mensch von sich behaupten kann, die gesamten Werke aller Philosophen und alle Sprachen ausreichend zu kennen, in denen philosophiert worden ist. Philosophische Geschichtsschreibung kann kein fixiertes System oder Schema befolgen. Sie ist eine Kommunikation, in der sich Ursprünge in mannigfaltigen Formen erhellen. Man kann alles, was es gibt, als wahr oder falsch beurteilen, als wünschenswert oder verwerflich. Man kann aber auch jede Beurteilung suspendieren, alles auffassen, ohne es zu kritisieren oder hinnehmen als Faktum.68 Eine kritische Interpretation »kann nur wahr blei‐
ben, wo eine Scheu vor dem geschichtlich Großen unzerstört wirksam bleibt. Man muß […] nicht von einem vorgegebenen eigenen Standpunkt das Fremde äußerlich rubrizieren und abtun […], sondern in es selber ein‐
treten, in seinen immanenten Gedankenbewegungen die Grenzen des Un‐
stimmigen erreichen«69. Interkulturelle Philosophie steht einseitigen Periodisierungen der Philo‐
sophiegeschichte ablehnend gegenüber. Die Aufteilung in Altertum, Mit‐
telalter, Neuzeit, Gegenwart und die Beurteilung aller philosophischer Traditionen nach diesem engen Muster macht in einem interkulturellen Ebenda, S. 87. Vgl. Burke, Peter: Westliches historisches Denken in globaler Perspektive – 10 Thesen, in: Westliches Geschichtsdenken. Eine interkulturelle Debatte, hrsg. v. Jörn Rü‐
sen, Göttingen 1999 (31‐52), S. 31 f. 68 Ebenda, S. 133. 69 Ebenda, S. 133. 66
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Kontext einer Weltgeschichte der Philosophie wenig Sinn, da mit ihr die gesamte Entwicklung der Philosophie mit einem bestimmten Ort unzer‐
trennlich verbunden wird. In allen philosophischen Traditionen gibt es unterschiedliche Periodisierungen70, die in der europäischen Historiogra‐
phie kaum Erwähnung finden. Deshalb geht es nicht nur um eine neue Zielsetzung der Philosophiegeschichte, sondern auch um ein neues Ge‐
schichtsverständnis, Geschichtsbild und eine neue Historiographie. Eine strukturelle Reflexion über die Geschichte der Wissenschaft zeigt vergleichend die Bedeutung und Grenzen des Gedankens einerseits und erörtert andererseits die empirischen Beziehungen, die im Vergleich der Kulturen sehr verschieden sein können. Die Reflexion zieht dann Konse‐
quenzen mit dem Ziel, das noch Verborgene in der Geschichte zu enthüllen und es ins Bewußtsein zu heben. Eine sachlich geführte Reproduktion ist abhängig von der Entfaltungskraft eigenen Denkens und Reflektierens. Dies setzt voraus, daß wir das bereits in der Philosophiegeschichte Ge‐
schriebene vermittels eigener Anschauung der Quellen erneut überprüfbar machen. Aus dieser Perspektive heraus gesehen sind weder Philosophie noch Phi‐
losophiegeschichte endgültig, sondern vorläufig und unabschließbar. Da‐
bei darf nur Rücksicht »auf den Leser« und nicht »auf die Autoren«71 ge‐
nommen werden. Das ist ein Grund, warum »Urteile der Weltgeschichte […] ständig zu revidieren«72 sind. Wird Geschichtsschreibung ohne diese Voraussetzungen betrieben, so gibt es nicht nur in der theoretischen Dar‐
stellung einen Sieger und einen Verlierer: »Der Vorrang der Sieger hat die Folge, daß der Besiegte nicht nur seinen Lebensraum, sondern auch sein Wort verliert«.73 Schluß Während die meisten Denker seiner Zeit, gemäß der Diversitäten kolonia‐
ler Politik und Philosophie für eine Europäisierung der Welt standen, Vgl. Roetz, Heiner: Die chinesische Ethik der Achsenzeit. Eine Rekonstruktion unter dem Aspekt des Durchbruchs zu postkonventionellem Denken, Frankfurt/Main 1992 S. 46 ff. 71 Jaspers, Karl: Weltgeschichte der Philosophie, 1982 S. 175. 72 Ebenda, S. 161. 73 Ebenda, S. 159. 70
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macht Jaspers als ein bedeutender Vorläufer der interkulturellen Philoso‐
phie deutlich, Philosophie sei allgegenwärtig, ohne als solche benannt zu werden.74 Denkweisen, die sich als unverzichtbare Größen, für universal und sakrosankt halten, sind gewalttätig. In der absoluten Immanenz, die den Menschen zum Maß aller Dinge erheben will und dadurch die Trans‐
zendenz leugnet, erblickt Jaspers eine anthropozentrische Wahrnehmung, die er zurückweist.75 Er weist eine verordnete Einheitlichkeit der Philoso‐
phie und damit die Auflösung des Pluralen ebenfalls zurück. Nach Jaspers hat der Mensch lediglich eine Idee von der Philosophie, be‐
zeichnet aufgrund dessen »sehr viele Erscheinungen als Philosophie und nenn[t] ungemein verschiedene Menschen Philosophen.« Es gilt anzuer‐
kennen, daß keine Möglichkeit besteht, »die Philosophie und Philoso‐
phen«76 exakt zu definieren, jedoch besteht eine Spannbreite dessen, was unter philosophischem Denken zu verstehen ist. Interkulturelle Philosophie erfüllt als eine Wissenschaft des Friedens gleichsam eine aufklärerische Funktion. Diese ist die Emanzipation des Menschen aus seiner bewußten oder unbewußten Unreflektiertheit über andere Völker, Kulturen, Religionen, Philosophien und Wissenschaftskon‐
zeptionen. Alle interkulturell philosophischen Bemühungen bleiben jedoch unwirk‐
sam, wenn eine strukturelle Machtasymmetrie besteht, wo ein Machtzen‐
trum sich zum alleinigen Argument erhebt und eine Ohnmachtperipherie bedingt. Ein polyhistorischer Dialog zwischen unterschiedlichen Traditio‐
nen kann nur unter der Voraussetzung einer Machtsymmetrie Früchte tragen. Interkulturelle Philosophie geht als eine Wissenschaft des Friedens von einer neuen Kultur des Philosophierens aus, die historische bzw. gegen‐
wärtige Monologe dialogisieren will. Vgl. Jaspers, Karl: Philosophie und Welt, 1963 S. 9. Vgl. Jaspers, Karl: Der philosophische Glaube, 61974 S. 106 f. 76 Jaspers, Karl: Provokationen. Gespräche und Interviews, hrsg. v. Hans Saner, München 1969 S. 47. 74
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Literaturangabe: Yousefi, Hamid Reza: Interkultureller Weg der Philosophie als eine Wissenschaft des Friedens, in: Wege zur Wissenschaft. Geschichten und Gehalte eines umstrit‐
tenen Begriffs, hrsg. v. mit Klaus Fischer, Rudolf Lüthe und Peter Gerdsen, Nordhausen 2008 (25‐46). 
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