INFORMATION Philosophie am Wochenende Einführung von Dr. Frank Brosow, JGU Mainz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Freier Dozent Wieso, weshalb, warum: Philosophie? „Einfältigkeit besteht darin, zu wenige Gedanken und Gefühle zu haben, um die Welt, wie sie ist, zu begreifen.“ (Bernard Williams) Philosophie? Was ist das eigentlich? Die Philosophie (wörtlich: ‚Liebe zur Weisheit‘) kann als Mutter aller Wissenschaften betrachtet wer-den. Nachdem sich unzählige Einzelwissenschaften aus ihr entwickelt und von ihr abgespalten haben, wird die Philosophie selbst vielerorts für verzichtbar gehalten. Die abstrakten Probleme, mit denen sie sich beschäftigt, scheinen für das Leben der Menschen entweder nicht relevant oder unlösbar zu sein. Was bringt es mir zu wissen, was ich mir unter Begriffen wie ‚Erkenntnis‘, ‚Kausalität‘ oder ‚Freiheit‘ vorzustellen habe? Wozu Fragen nach der Existenz Gottes, dem Sinn des Lebens oder der richtigen Moral nachgehen, wenn sich Philosophen selbst nach 2500 Jahren Diskussion in diesen Fragen noch nicht einig geworden sind? „Genaues und richtiges Denken ist das einzige universale Heilmittel für jedermann und in jeder Verfassung.“ (David Hume) Philosophie? Wozu braucht man das? Erwähnt man in geselliger Runde, man beschäftige sich mit Philosophie, so kann man ein seltsames Phänomen beobachten: Menschen, die sich sonst nie mit Sinnfragen gleich welcher Art beschäftigen, beginnen spontan, kollektiv und ohne Vorbehalte, den Sinn eben dieser Tätigkeit zu hinterfragen. Ich habe mir angewöhnt, auf derartige Fragen mit der Gegenfrage zu antworten, ob mein Gegenüber seinem sicher sinnvollen Beruf und seinen sicher nicht weniger sinnvollen Hobbys lieber in Zentraleuropa oder in Ländern wie Syrien, dem Iran, Zentralafrika, Indien, China oder Nordkorea nachgehen würde. Die meisten gestehen daraufhin eine gewisse Vorliebe für die in Volkshochschule Kultur & Theater Musikschule Stadtbücherei Volkshochschule Datum: Oktober 2015 Kultur123 Stadt Rüsselsheim Am Treff 1 65428 Rüsselsheim Telefon: +49 (0) 61 42 - 83 26 30 Telefax: +49 (0) 61 42 - 16 89 4 www.kultur123ruesselsheim.de Unser Zeichen: Sylvia Zwick Telefon: +49 (0) 61 42 - 83 27 30 Telefax: +49 (0) 61 42 - 16 89 4 E-Mail: s.zwick@ kultur123ruesselsheim.de Eingetragen beim Amtsgericht Darmstadt HRA 81854 Steuernummer: 00722600485 Umsatzsteuer ID: DE 111608845 Kultur123 ist ein Eigenbetrieb der Stadt Rüsselsheim vertreten durch die Betriebsleitung: Eckhard Kunze Bankverbindung: Kreissparkasse Groß-Gerau IBAN: DE67 5085 2553 0002 1522 54 BIC: HELADEF1GRG Seite 2 von 3 Schreiben vom 23.06.2014 Europa vorherrschende politische und religiöse Freiheit, den ökonomischen Wohlstand, die weitestgehende Achtung der Menschenrechte und das gesellschaftliche Niveau an Bildung und Aufklärung ein. Ich weise dann darauf hin, dass all diese Dinge nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis harter, geistiger Arbeit sind; einer Arbeit, die zu wesentlichem Anteil von Philosophen und philosophisch denkenden Menschen geleistet wurde. Ganz sinnlos scheint die Philosophie im Verlauf der Geschichte also nicht gewesen zu sein, und in An-betracht der vielen noch ungelösten Probleme unserer Zeit (Überbevölkerung, Wirtschafts- und Finanzkrisen, Religionskonflikte, Diskriminierung von Minderheiten, Terrorismus, soziale Ungerechtig-keit...) wäre es kühn zu behaupten, dass kein Bedarf mehr an kreativ und gründlich denkenden Menschen besteht. „Wir philosophieren nicht, um zu erfahren, was ethische Werthaftigkeit sei, sondern um wertvolle Menschen zu werden.“ (Aristoteles) Philosophie? Was geht mich das an? ‚Nun gut‘, mögen Sie sagen, ‚vielleicht ist es doch nicht so schlecht, dass Menschen sich mit Philosophie beschäftigen. Aber warum sollte gerade ich das tun?‘ Die Antwort ist einfach: Weil es Ihr Denken bereichern wird. Durch Philosophie können Sie lernen: die Urteile des gemeinen Menschenverstandes zu hinterfragen; eigene Erfahrungen in richtige und klare Begriffe zu fassen; Probleme konsequent und von allen Seiten zu durchdenken; die eigene Position durch gute Argumente abzusichern; gesellschaftliche & individuelle Reflexionsgrenzen abzubauen; geistiges Selbstvertrauen zu entwickeln. „Weiß ich viel? Durchaus nicht. Ein gewöhnlicher Bauer fragt mich etwas, und ich fühle mich wie leer. Aber ich betrachte das Problem von allen Seiten und beantworte ihm die Frage, so gut es nur geht.“ (Konfuzius) Philosophie? Wie geht das? Populärphilosophische Bücher erwecken zuweilen den Anschein, Philosophie bestünde darin zu wissen, was (und wenn ja, wie viele) große Philosophen gedacht haben. Das stimmt nur bedingt. Oft ist die Kenntnis der Klassiker und ihrer einander widersprechenden Theorien nur ein Mittel zum Zweck. Sie lehrt uns, einen Sachverhalt eben dadurch zu verstehen, dass man ihn von verschiedenen Seiten betrachtet und auf unterschiedliche Arten beschreibt. Dabei ist das Verständnis der Frage mindestens ebenso wichtig wie das Suchen nach einer Antwort. Nichts könnte unphilosophischer sein, als sich zu einer Frage zu äußern, über deren genaue Bedeutung man sich noch keine Klarheit verschafft hat. Die Viel-falt philosophischer Antworten ist aber kein Selbstzweck. Eine philosophische Diskussion ist mehr als der bloße Austausch von Meinungen. Was zählt, sind nicht Meinungen, sondern die Argumente, mit denen Meinungen begründet oder kritisiert werden. Die Qualität dieser Argumente zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen ist das Kerngeschäft der Philosophie. Seite 3 von 3 Schreiben vom 23.06.2014 „In der Philosophie genügt es nicht, recht zu haben; man muß darüber hinaus verstehen, wo der Fehler liegt.“ (Peter Bieri) Philosophie? Ist das nicht bloße Ideologie? Der philosophische Diskurs unterscheidet sich dabei grundlegend vom politischen Diskurs. Die Argumente des politischen Diskurses dienen dazu, das subjektive Interesse verschiedener Gruppen an einer bestimmten Entwicklung zu ermitteln und zu gewichten. Es gehört dabei zum Prozess der demokratischen Meinungsbildung, dass jede Interessengruppe versucht, ihre Position möglichst stark zu machen. Dies ist solange unschädlich und legitim, wie alle Parteien dieselbe Möglichkeit haben, sich in diesem Diskurs Gehör zu verschaffen. Wer hingegen philosophisch über eine Frage diskutiert, betrachtet sie nicht nur aus seiner eigenen Perspektive, sondern versucht, sie von allen denkbaren Seiten zu betrachten. Er sucht nicht nur nach Argumenten, die seine eigene Meinung stützen, sondern ist für alle Argumente offen, die ihm helfen, die Frage besser zu verstehen oder zu einem besseren Verständnis des Spektrums an möglichen Antworten zu gelangen. Dazu gehört auch, eine Meinung erst dann zu verwerfen, wenn man verstanden hat, warum andere sie vertreten, und wenn man überzeugt ist, die Argumente, die für sie sprechen, entkräften zu können. Wo die Sachlage es nicht zulässt, sich eine wohlbegründete Meinung zu bilden, gebietet die intellektuelle Redlichkeit dem Philosophen, sich eines Urteils über die ihm gestellte Frage vorerst zu enthalten. „Philosophieren bedeutet, im Denken schwindelfrei zu werden.“ (Otfried Höffe) Philosophie? Was kommt dabei heraus? Die Antworten, die am Ende eines philosophischen Diskurses stehen, sind keine einfachen Antworten im Sinne eines ‚Ja‘ oder ‚Nein‘. Das Ergebnis eines philosophischen Diskurses ist eine systematische Zusammenstellung aller Gründe, die für oder gegen eine bestimmte Hypothese sprechen. Die Philosophie produziert keine Antworten so wie die Automobilbranche Autos produziert. Philosophen sind auch keine Dienstleister, die für andere abstrakte Probleme lösen, so wie ein Uhrmacher eine steheng-bliebene Uhr repariert. Die Philosophie ist ihrem Selbstverständnis nach nicht dazu da, den Menschen das Nachdenken abzunehmen; sie will sie vielmehr zum eigenen Nachdenken anregen und anleiten. An-ders als andere Wissenschaften, die öffentlich für ihren gesellschaftlichen Nutzen gelobt werden, will sie das Leben der Menschen nicht einfacher, sondern komplexer machen und gerade dadurch auf eine ihr eigentümliche Art bereichern. – Ob Sie dieses Angebot annehmen wollen, ist allein Ihre Entscheidung. Behaupten Sie hinterher aber nicht, Sie seien nicht dazu eingeladen worden! „Weder soll, wer noch Jüngling ist, zögern zu philosophieren, noch soll, wer schon Greis geworden, ermatten im Philosophieren.“ (Epikur)