Umwelt Forum Wettswil Oh du Schreck! Manchmal verirrt sich eine ins Haus und ich finde sie, tot, irgendwo in einer Ecke, beim Staubsaugen oder Abstauben oder einfach so, zufällig. Manchmal hockt da eine grün oder braun, im Gras, auf einer Staude und springt plötzlich weg. Manchmal zirpt da eine in der Wiese oder nächtens im Apfelbaum und erinnert mich an das laute Gezirpe der Zikaden in Griechenland. Und diese da hockt einfach da, grün gepanzert, dasselbe Grün wie das grosse Blatt der Bananenstaude, die ich mit einem Tuch umhülle, damit die Staude die ersten kühlen Herbstnächte übersteht. Sie hockt noch da am nächsten Morgen, wo ich das Tuch entferne, zwei weitere Tage hockt sie einfach da. Ich fotografiere sie, die Grüne, die Zierliche mit den langen Fühlern und Beinen, dem langen Legestachel – eine sie?- und ich stelle fest, dass ich beinahe gar nichts weiss von ihnen, den Heuschrecken. Später dann stellt Harald Cigler, welcher zur Zeit für eine Broschüre 40 der 108 einheimischen Heuschrecken- und Grillenarten zeichnet, mit einem Blick auf das unscharfe Bild fest, dass es sich um eine gepunktete Zartschrecke handelt. Er schenkt mir nebst einer Kopie seiner Zeichnung der „Gepunkteten Zartschrecke“ auch eine des „Grünen Heupferdes“, der wohl bekanntesten, da grössten und auffälligsten Heuschreckenart hierzulande. Heuschrecken gehören zu den Insekten. Aber im Gegensatz zu beispielsweise den Schmetterlingen schlüpfen aus Heuschreckeneiern nicht klar ersichtliche Larven, nein diese Larven ähneln bereits stark den erwachsenen Heuschrecken. Die Larven häuten sich dann mehrmals, da ihr festes Aussenskelett kein Wachstum zulässt; das Puppenstadium fällt jedoch weg. Die erwachsenen männlichen, selten die weiblichen Tiere können je nach Art mit ihren Flügeln und/oder Hinterbeinen artspezifische Töne hervorbringen. Dabei gibt es eine ganze Fülle von Gesängen: Neben dem Spontan- und Lockgesang (meistens des Männchens) kommen der Rivalengesang (zur Abgrenzung des Reviers) und der weibliche Antwortgesang vor. Die meisten Heuschreckenarten überwintern als Eier, wobei das Eierstadium auch mehrere Jahre dauern kann. Diese Eier werden je nach Heuschreckenart im oder am Boden, an Grasbüscheln, an Gräsern oder andern Pflanzen, in markhaltigen Stengeln von Wildstauden und unter Rinden abgelegt. Heuschrecken fressen andere Insekten, Pflanzen oder beides und sind daher Nützlinge. Die gepunktete Zartschrecke Diese Tiere sind gelbgrün mit zahlreichen feinen, dunkelroten Punkten, die Fühler viermal so lang wie der Körper und weiss und schwarz geringelt. Die Flügel sind schuppenförmig verkümmert, daher sind die Tiere flugunfähig. Über den Rücken der Männchen verläuft ein schmaler, brauner Streifen; ebenfalls leicht braun gefärbt sind die verkümmerten Flügel der männlichen Tiere. Die erwachsenen Männchen sind 10 bis 14 mm gross, die Weibchen 13 bis 17 mm. Da diese Heuschreckenart vor allem in Höhenlagen zwischen 200 und 400 m ü.M. vorkommt, ist es schon eine kleine Besonderheit, dass ich sie bei uns auf 625 m ü.M. entdeckt habe. Die erwachsenen Tiere findet man zwischen Juli und September, können aber auch bis im November gefunden werden. Die Zartschrecken ernähren sich vor allem von Wildrosen, Himbeer- und Brombeer-blättern sowie von Klee-, Ginster-, Brennessel-, Löwenzahn- und Taubnesselarten. Der männliche Lockgesang ist für uns Menschen nur etwa 50 cm weit zu hören. Die Antwort des Weibchens ist noch schwächer. Die Rufaktivität beginnt bereits am Vormittag und erstreckt sich bis weit in die Nacht. Die Rufe sind im Spätherbst bis zu Temperaturen von 2°C zu vernehmen. Die Weibchen kopulieren mehrmals mit verschiedenen Männchen und legen dann ungefähr 30 ca. 3 mm lange Eier in rissige Rinde ab. Das Eierstadium dauert meist nur einen Winter, kann aber auch auf zwei Jahre ausgedehnt werden. Die punktierte Zartschrecke durchläuft während ihrer Entwicklung sechs Larvenstadien. Als erwachsene Schrecke lebt sie an intakten Waldsäumen, in waldnahen Hecken und in Hochstammobstwiesen. Daher wird sie vorwiegend auf folgenden Pflanzen gefunden: Brombeere, Brennessel, Holunder, Buchsbaum, Eiche, Birke, Weide, Rose u.a. (die Bananenstaude war da wohl ein Versehen!). Wegen ihrer Flugunfähigkeit ist diese Heuschreckenart eher standorttreu. Das grüne Heupferd Wie schon der Name sagt, hat das Heupferd eine grüne Grundfarbe, kommt jedoch selten auch vollständig gelb gefärbt vor. Die erwachsenen Männchen sind 28 bis 36 mm, die Weibchen 27 bis 38 mm gross. Die Tiere sind gut flugfähig. Auch diese Heuschreckenart kommt vor allem in Höhenlagen unter 500 m ü.M. vor und die erwachsenen Tiere findet man zwischen Juli und September, selten bis im Oktober. Die Tiere ernähren sich bereits im Larvenstadium vorwiegend räuberisch. Es werden Insekten wie Fliegen, Wanzen, Blattläuse, Falter, Raupen und Käferarten, aber auch Heuschrecken sowie verletzte, kranke Artgenossen gefressen. Daneben ernähren sie sich von weichen Kräutern. Die Männchen benötigen Singwarten von mindestens 30 cm Höhe. Sie sind nachmittags bis zwei Uhr morgens aktiv. Ihr Gesang ist – bei genügend hoher Singwarte – bis zu 100 Meter weit zu hören. Sie stellen ihren Gesang bei Temperaturen unter 16°C ein. Die Männchen verteidigen ihr Revier aggressiv und können einen eindringenden Rivalen schwer verletzen. Das Weibchen wird nur einmal begattet. Die Eiablage erfolgt in den Boden. Ein Weibchen produziert zwischen 200 und 260 Eier, welche ca. 5.3 mm lang und dunkelbraun sind. Das Eistadium kann zwischen 1 1/2 bis über 5 Jahre dauern. Die Jungtiere sind leuchtend grasgrün, haben einen dünnen braunen Rückenstrich und durchlaufen sieben Larvenstadien. Wegen seines grossen Wärmebedürfnisses bevorzugt das grüne Heupferd besonnte, windstille und warme Stellen in verbuschten Flächen mit gut ausgebildeter Krautschicht. Sie sind also an warmen Waldsäumen, in Hecken, auf Ruderalflächen und in Brachen anzutreffen. Ob sich in all den absterbenden Brennessel-, Nachtkerzen-, Mädesüss-, Distelund Kardenstengeln in unserem Garten jetzt wohl Eier von Heuschrecken befinden? Verena Berger Illustrationen: Harald Cigler; Heuschrecken-Broschüre des SVS-BirdLife CH; Frühling 2004