Theorie zum mathematischen Anfangsunterricht Ein Konzept für den Beginn der schulischen Mathematik, erstellt von Mag. Elisabeth Charlotte Kefer und Mag. Roswitha Kuchar Theoretisches über Zahlen „Zahlen sind abstrakte, mathematische Objekte beziehungsweise Objekte des Denkens, die sich historisch aus Vorstellungen von Größe entwickelten. Durch eine Messung wird ein als Größe verstandener Aspekt einer Beobachtung mit einer Zahl in Verbindung gebracht, beispielsweise bei einer Zählung. Sie spielen daher für die empirischen Wissenschaften eine zentrale Rolle.“ 1 Zahlen werden nach unterschiedlichen Aspekten verwendet. Man unterscheidet: Kardinalaspekt: Beschreiben von Anzahlen (Wie viele?) Ordinalaspekt: Beschreiben einer Reihenfolge innerhalb einer Reihe (an welcher Stelle/ der wievielte?) Maßzahlaspekt : Bezeichnung von Größen in Bezug auf eine Einheit (wie lang? Wie schwer? etc.) Operatoraspekt: Beschreibung der Vielfachheit einer Handlung (Wie oft?) Rechenzahlaspekte: algebraischer A.: auf algebraischen Gesetzen beruhend (z.B. Assoziativgesetz: (a+b)+c= a+(b+c)) algorithmischer A.: mit Zahlen kann man nach eindeutig bestimmten Folgen von Handlungen (Algorithmen) rechnen (z.B. schriftliche Additionen) Relationaler Zahlenaspekt: Die Beziehung zwischen Zahlen kann wieder als Zahl ausgedrückt werden. Codierungsaspekt: Zahlen als Nummern, als Code verwendet Um in der Schule gut zu bestehen, sollte ein Kind möglichst viele dieser Zahlaspekte verstehen. Besondere Beachtung verdient dabei aber der kardinale Aspekt. Schon Busemann stellte 1958 fest, „das zählschwache Kind beziehe das Zahlwort vier nur auf das vierte Objekt als solches und nicht auf das Insgesamt der vier Objekte.“ 2 Michael Gaidoschik bezeichnet dieses mangelhafte Zahlverständnis als 1 John Bigelow, Sam Butchart: Number. In: Donald M. Borchert (Hrsg.): Encyclopedia of Philosophy. 2005, ISBN 0‐02‐ 866072‐2. Zit. nach: Wikipedia: Zahl. (7.12.2014) 2 A. Busemann: Psychologie der Intelligenzdefekte. (Basel/München, 1971), zit. nach: Hans Grissemann, Alfons Weber: Grundlagen und Praxis der Dyskalkulietherapie. (Bern, 1993), S. 15. „ordinale Verwechslung“ und die Tatsache, dass manche Kinder nicht mit der Reihenfolge der Zahlwörter, die sie durchaus beherrschen mögen, auch den Gedanken einer stetig um 1 anwachsenden Menge verbinden, als „nichtkardinales“ Zahlverständnis. Für ihn stellt dies „das typische Zahlverständnis am Beginn einer Rechenstörung“ dar. 3 Modell der Entwicklung des Zahlen-/Mengenbegriffs nach Kristin Krajewski (Zahl- Größen- Verknüpfung) 4 3 Michael Gaidoschik: Rechenschwäche‐ Dyskalkulie. (Buxtehude, 20084), S. 27‐29. Entwicklungsmodell der Zahl‐ Größen‐ Verknüpfung nach Kristin Krajewski. In: Wolfgang Schneider, Petra Küspert, Kristin Krajewski: Die Entwicklung mathematischer Kompetenzen. (Paderborn, 2013), S. 25. 4 Krajewskis Modell von der Entwicklung des Zahlen- und Mengenbegriffs umfasst die Zeit von der Geburt bis ins Grundschulalter. Sie nimmt mehrere Phasen an, die durch eine zunehmend festere Verflechtung von Zahlwörtern mit Mengen und Größen gekennzeichnet sind. Die erste Phase beginnt mit dem Aufsagen der Zahlwörter, die im zweiten Lebensjahr mit dem Einsetzen des Spracherwerbs zunehmend verwendet werden. Diese Zahlwörter haben anfangs noch keinen Bezug zu Mengen oder Größen. Dieser Bezug passiert in der zweiten Phase. Er muss als Meilenstein in der kindlichen Entwicklung gesehen werden und beginnt mit etwa drei Jahren. Die erste Phase wird von Krajewski als „unpräzises Anzahlkonzept“ bezeichnet, in der zweiten Phase lernen Kinder durch das oftmalige Zählen, dass es exakt zu jeder Anzahl ein Zahlwort gibt (präzises Anzahlkonzept/ präzise Größenrepräsentation). Manche Kinder erreichen schon mit etwa vier Jahren für einen kleineren Zahlenraum die dritte Kompetenzebene, die meisten Kinder mit etwa sechs Jahren. Nun kann es gelingen, Wissen über Beziehungen zwischen Mengen und Größen mit Zahlwörtern zu verknüpfen. Zahlen können nun in ein Teil- Ganzes- Schema eingeordnet werden, Differenzen zwischen Zahlen können durch eine weitere Zahl ausgedrückt werden. Prädiktoren für mathematische Schulleistungen 1. Unspezifische Prädiktoren: 1.1: Intelligenz: Nachgewiesenermaßen gibt es hohe korrelative Beziehungen zwischen nonverbaler Intelligenz und Mathematikleistungen von Grundschülern bis zur dritten Schulstufe. 5 Allerdings wird in Hinsicht auf den frühen Erwerb von mathematischen Kompetenzen Bedeutsames festgehalten: „Obwohl es an den insgesamt bedeutsamen Zusammenhängen zwischen unterschiedlichen Komponenten der Intelligenz und Leistungen im Bereich der Mathematik wenig Zweifel gibt, haben Untersuchungen von Stern (1998, 2003) im Rahmen der Münchner LOGIK-Studie dennoch belegen können, dass der Anteil der „reinen“ Intelligenz an den individuellen Unterschieden im mathematischen Problemlösen relativ gering ist. (...) Defizite in der Intelligenz können dabei durch Vorwissen im Bereich der Mathematik kompensiert werden, Defizite im mathematischen Vorwissen durch die Intelligenz dagegen nicht.“ 6 5 R.B. Cattell, R.H. Weiß, J. Osterland: Grundintelligenztest Skala 1 (CFT 1). (Göttingen, 1997). Zit. nach: Schneider, Küspert, Krajewski (wie Anm. 4), S. 56. 3 Schneider, Küspert, Krajewski (wie Anm. 4), S. 56‐57. 1.2: Anregungsgehalt der Umwelt: Es gibt vielfache Belege dafür, dass mathematische Kompetenzen durch anregende oder nicht anregende Umwelt positiv oder negativ beeinflusst werden. 1.3: Geschlecht: Dazu gibt es keine eindeutigen Belege; Krajewskis Studien scheinen allerdings zu belegen, dass sich in Teilgruppen von Kindern mit Rechenschwächen mehr Mädchen befanden. 1.4: Arbeitsgedächtnis: Die Relevanz des Arbeitsgedächtnisses für alle schulischen Leistungen und somit auch für die mathematischen ist unstrittig und eindeutig. 1.5: Phonologische Bewusstheit: Alloway, Gathercole, Willis und Adams fanden 2005 einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen der im Alter von fünf Jahren erhobenen phonologischen Bewusstheit und dem kurz nach Schuleintritt erfassten Lehrerurteil über die mathematischen Kompetenzen der Kinder. 7 2. Spezifische Prädiktoren für Mathematikleistungen 2.1: Merkmale des Langzeitgedächtnisses: Es gibt mehrere Untersuchungsergebnisse darüber, dass rechenschwache Kinder speziell beim Umgang mit Mengen und Zahlen Probleme dabei haben, Zahlen und Zahlenfakten aus dem Gedächtnis abzurufen. Wahrscheinlich dürfte der lexikalische Zugriff auf das Gedächtnis durch falsche Assoziationen gehemmt sein. 8 2.2: Mengen- Zahlen- Kompetenz: Es ist das Ausmaß der vor der Schule gesammelten Zahl-, Zahlwort- und Ziffernkenntnis, insbesondere aber die Verknüpfung von Mengen und Zahlen, das die Grundlage für das Verständnis der Mathematik bildet.Nach dem Entwicklungsmodell der Zahlen- Größen- Verknüpfung von Kristin Krajewski (2007) können die beiden ersten Kompetenzebenen (nummerische Basisfertigkeiten und Verständnis für Mengenrelationen und Anzahlkonzept) als mathematische Vorläuferfähigkeiten betrachtet werden. 7 8 Schneider, Küspert, Krajewski (wie Anm. 4), S. 64. Schneider, Küspert, Krajewski (wie Anm. 4), S. 65‐66. 2.3: Der Zahlensinn: Dies ist nach Dehaene die angeborene Fähigkeit, Zahlen nicht sprachlich zu repräsentieren und zu manipulieren. Derzeit wird kontrovers diskutiert, wie Zahlen im Gehirn von jüngeren Kindern repräsentiert sind. 9 9 Stanislas Dehaene: The number sense. (Oxford, 1997). Zit. nach: Schneider, Küspert, Krajewski (wie Anm. 4), S. 66‐67.