VORARLBERGER LANDESTHEATER Das Stück ist heute kein Stück mehr, das zu spät gekommen ist, nämlich nach einem Krieg. Schrecklicherweise droht ein neuer Krieg. Niemand spricht davon, jeder weiß davon. Die große Menge ist nicht für den Krieg. Aber es gibt so viele Mühsale. Könnten sie nicht durch einen Krieg beseitigt werden? Hat man nicht doch ganz gut verdient im letzten, jedenfalls bis knapp vor dem Ende? Gibt es nicht doch auch glücklichere Kriege? Ich möchte gern wissen, wie viele Zuschauer von Mutter Courage und ihre Kinder die Warnung des Stücks heute verstehen. Bertold Brecht in einem Gespräch mit Friedrich Wolf 2 Besetzung Mutter Courage Adelheid Bräu Kattrin, ihre stumme Tochter Alexandra Maria Nutz Eilif, ihr ältere Sohn Lukas Kientzler Schweizerkas, ihr jüngere Sohn Daniel F. Kamen Der Werber/ u. a. Helmut Rühl Der Feldwebel/ u. a. Andreas Jähnert Der Koch Maximilian Laprell Der Feldhauptmann/ u.a. Wolfgang Pevestorf Der Feldprediger Burkhard Wolf Yvette Pottier Steffi Staltmeier Anderer Feldwebel/ u.a. Robert Finster Zeugmeisterin/Schreiberin/ u.a. Heide Capovilla Bauer/ u.a. Willy Kiesenhofer Regie Alexander Kubelka Musikalische Leitung Arndt Rauch Dramaturgie Dirk Diekmann Bühnenbild Carlo Baumschlager, Ingrid Amann Kostümbild Andrea Hölzl Lichtgestaltung Arndt Rössler Ton Andreas Niedzwetzki Regieassistenz Nina Stix Ausstattungsassistenz Anne Schaper Jesussek 3 Musik Klavier Arndt Rausch Schlagwerk Andreas Wachter Akkordeon Damian Keller Trompete Florian Ess Flöte/ Piccolo Pamela Bereuter Kinderstimme Irina Yashin/ Jakob Horner 4 Autor Bertolt Brecht (eigentlich Eugen Bertold Friedrich Brecht) wurde am 10.2.1898 kaufmännischen als Angestellten Sohn in eines leitenden Augsburg geboren. Während seiner Schulausbildung arbeitete er bereits für die "Augsburger Neuesten Nachrichten". Nach seinem Abitur im Jahr 1917 begann er ein Literaturstudium in München und besuchte medizinische nebenbei naturwissenschaftliche Lehrveranstaltungen. Seine und literarischen Leitbilder waren Villon, Verlaine, Rimbaud, und Wedekind. 1918 musste er sein Studium unterbrechen. Es folgten Kriegsdienst in einer Kaserne und die Arbeit als Sanitätshelfer - seine Antikriegshaltung formierte sich. Bis 1924 lebte er in Berlin. 1933 emigrierte er nach Dänemark, blieb dort bis 1939 und ging dann 1941 in die USA. 1947 kehrte er nach Europa zurück; das Land seiner Wahl wurde die Schweiz. 1949 ging er schließlich nach Berlin zurück. Brecht begann mit expressionistisch-anarchistischen Dramen ("Baal", 1918/19; "Trommeln in der Nacht", 1919). Großen Erfolg hatte er dann mit der desillusionistischen, die bürgerlichen Konventionen verspottenden "Dreigroschenoper" (1928, nach J. Gays "Beggar's Opera", Musik von Kurt Weill) und seiner an F. Villon und den Bänkelsang anknüpfenden Lyrik "Hauspostille", 1927. Unter dem Einfluss des Marxismus kam er zur strengen Disziplin der "Lehrstücke" ("Der Jasager" und "Der Neinsager", 1929/30; "Die Maßnahme", 1930).Seine Hauptwerke entstanden im Exil: "Mutter Courage", 1939; "Der gute Mensch von Sezuan, 1942; "Leben des Galilei", 1938/39, mehrfach bearbeitet; "Der kaukasische Kreidekreis", 1945. 5 Brechts Stil und Sprache übten großen Einfluss auf die moderne Dichtung aus. Sein episches Theater, das mit Verfremdungen arbeitete, sollte kritisches Bewusstsein wecken und zu gesellschaftlicher "Änderung" führen. Gegenüber den Lehrstücken gewann in Brechts späteren Werken (auch in seiner Theorie) das ästhetische Element wieder neue Bedeutung. Sowohl in den Dramen wie in der Lyrik Brechts spielen neben der sozialen Kritik auch andere Motive, z.B. das Mitleid mit den unglücklichen Menschen, eine Rolle. In dem 1949 in Ost-Berlin gegründeten "Berliner Ensemble" schuf sich Brecht zusammen mit seiner Frau Helene Weigel eine Experimentierbühne; seine Inszenierungen erlangten Weltruhm. Mitarbeiter waren u.a. H. Eisler, P. Dessau, C. Neher, Elisabeth Hauptmann. Bert Brecht starb am 14.8.1956 in Berlin. Wichtig Werke Baal, Trommeln in der Nacht, Dreigroschenoper, Mutter Courage und ihre Kinder, Der gute Mensch von Sezuan, Leben des Galilei, Der kaukasische Kreidekreis, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (Musik Kurt Weill), Die hl. Johanna der Schlachthöfe, Herr Puntila und sein Knecht Matti, Furcht und Elend des Dritten Reiches, Schweyk im zweiten Weltkrieg; zahlreiche Essays und Aufsätze zum Theater. Das Stück Anna Fierling, genannt Courage, ist Marketenderin, Geschäftsfrau, die mit ihrem Planwagen voll von Waren mal auf der protestantisch-schwedischen, mal auf der kaiserlich-katholischen Seite am Kriegsgewinn teilhaben will. Ihrer Meinung nach ist Krieg Geschäft und auch die Großen führen den Krieg nur um des Gewinnes willen. Mutter Courage handelt nach der Devise, dass gut ist, was dem Geschäft nützt. 6 Während sie am Gewinn teilhaben will und so den Krieg unterstützt, will sie sich jedoch zugleich heraushalten und sich und ihre Kinder vor seinen Folgen bewahren, was ihr aber nicht gelingt. Sie muss dem Krieg ihre Kinder opfern: ihren Sohn, den kühnen Eilif, den zweiten Sohn, den redlich-dummen Schweizerkas, und schließlich die stumme Kattrin, die gegen die unmenschliche Ordnung rebellierende ProtestFigur des Stücks. Mutter Courage selbst bleibt letztlich unbelehrt und zieht weiter: „Ich muss wieder in ‘n Handel kommen.“ Brechts Episches Theater Das Epische Theater ist um das Jahr 1936 unter der Mitwirkung Brechts entstanden und war eine totale Umkehr vom damaligen Dramatischen Theater, es war sogar ein Tabubruch. Es ging nichtmehr darum stundenlang dem Protagonisten zuzusehen, wir er eine Katastrophe nach der anderen erlebt um dann am Ende als Held da zustehen. Das Epische Theater war knapper und episodenhafter. Man spricht unter anderem vom Epischen Theater wenn ein Sprecher, der nichts mit der Handlung zu tun hat, die Situationen kommentiert. Die Hauptbotschaft war es, nicht mit dem Protagonisten mitzuleiden, sondern zu erkennen, dass das Dargestellte nur eine Möglichkeit ist und dass es verschiedene Handlungsmöglichkeiten gibt. Der Zuschauer wird aufgerufen, Dinge zu verändern und Missstände anzuprangern. Am Ende wird er angehalten, eine Entscheidung zu treffen. Allerdings ist die Änderung der Gesellschaft unmöglich und um dieses Grundkonstrukt zu durchbrechen, will Brecht der Gesellschaft zeigen, dass sie veränderlich ist. 7 Inhalt 1.Bild Frühjahr 1624 Mutter Courage zieht mit ihren drei Kindern und einem Planwagen durch Südschweden. Ein Feldwebel und ein Werber wollen ihre beiden Söhne als Soldaten anwerben. Mutter Courage verteidigt die Söhne mit einem Messer gegen die Werber. Der Feldwebel handelt zum Schein um eine Schnalle. Währenddessen gelingt es dem Werber, ihren Sohn Eilif zu entführen. 2.Bild in den Jahren 1625 und 1626 Mutter Courage zieht im Gefolge der schwedischen Heere durch Polen. Vor der Festung Wallhof trifft sie ihren Sohn wieder. Außerdem verkauft sie dem Koch Pfeifenpieter einen Kapaun zu einem vollkommen überhöhten Preis. Dabei hört sie, wie der Feldhauptmann ihren Sohn Eilif für seine Heldentat - er hatte mit einer List einer Horde bewaffneten Bauern 20 Stück Vieh geraubt - auszeichnen will. Von seiner Mutter bekommt Eilif für diese Tat eine Ohrfeige und sie wirft ihm vor, dass er sich bei dieser Gelegenheit nicht ergeben hat. Eilif und Mutter Courage singen das Lied: „Vom Weib und dem Soldaten.“ 3.Bild 1629 Mutter Courage handelt zunächst mit einem finnischen Zeugmeister um einen Sack Gewehrkugeln, damit dieser seinem Obristen Likör kaufen kann. Ihren Sohn Schweizerkas, der inzwischen die Regimentskasse verwaltet, warnt sie, unredliche Sachen zu tun. Yvette, die Lagerhure erzählt ihre Lebensgeschichte und singt das Lied vom Fraternisieren. Der Koch und der Feldprediger reden über die politischen Verhältnisse. Der Feldprediger behauptet, dass in diesem Glaubenskrieg zu fallen, eine Gnade sei und 8 spricht von den edlen Motiven Schwedens. Der Koch, aus der Sicht des armen Mannes, sagt, dass sich dieser Krieg nicht von anderen unterscheidet. Er bedeutet Tod, Armut und Unheil für das Volk und Gewinne für die Herrschaft, die den Krieg zu ihrem Nutzen führt. Da wird das Gespräch durch Kriegslärm unterbrochen, Katholiken überfallen das schwedische Lager. Mutter Courage nimmt die Regimentsfahne vom Wagen, beschmiert Kattrin das Gesicht mit Asche, rät Schweizerkas die Kasse wegzuwerfen und gibt dem Feldprediger Unterschlupf. Sie geraten in Gefangenschaft. Da das katholische Regiment keine Marketenderin hat, kann Mutter Courage ihre Tätigkeit aber fortsetzen. Schweizerkas will die Regimentskasse retten, gesteht jedoch unter Folter, dass er die Kasse versteckt hat, verrät aber nicht den Ort. Mutter Courage verpfändet ihren Wagen, von dem ihr Lebensunterhalt abhängt, an Yvette, die sich mit einem alten Obristen eingelassen hat. Mit diesem Geld will Mutter Courage Schweizerkas loskaufen. Dabei hofft sie auf die Regimentskasse, um anschließend den Wagen von Yvette zurück zu kaufen. Mutter Courage feilscht jedoch zu lange, Schweizerkas wird erschossen. Um ihr Leben, und das Leben ihrer Tochter zu schützen, verleugnet sie ihren Sohn. 4.Bild 1629 Auf der Suche nach der Regimentskasse verwüsten die katholischen Soldaten ihren ganzen Wagen samt Waren und verlangen eine Bußzahlung, daraufhin will sich Mutter Courage beim Rittmeister beschweren. Ein junger Landsknecht will sich ebenfalls beschweren, weil man ihm eine Belohnung vorenthalten hat. Die Courage spricht mit dem Landsknecht und singt „Das Lied von der großen Kapitulation“. Die Wut des Soldaten verraucht und beide verzichten auf eine Beschwerde. 9 5.Bild 1631 In der Zwischenzeit hat Mutter Courage Polen, Mähren, Bayern und Italien durchquert. Sie schenkt in einem zerstörten Dorf Schnaps aus. Der Feldprediger will von ihr Leinen, um verwundete Bauern zu versorgen. Unter Gewalt nimmt er 4 Offiziershemden, die er zu Verbandszeug zerreißt. Kattrin rettet einen Säugling aus einem Trümmerhaus. 6.Bild 1632 Die Courage besucht das Begräbnis des gefallenen Feldhauptmann Tilly. Sie befürchtet, dass der Krieg nun zu Ende sei. Der Feldprediger beruhigt sie. Krieg gebe es auch weiterhin. Mutter Courage schickt ihre Tochter Kattrin in die Stadt, um neue Waren einzukaufen, da der Krieg weiterginge. Der Feldprediger wirbt um Courage, sie weist ihn zurück. Kattrin kehrt mit einer Wunde am Kopf zurück. Sie wurde überfallen und verunstaltet, die Waren hat sie aber behalten können. Zum Trost schenkt die Courage ihr die roten Schuhe der Yvette und verflucht den Krieg. 7. Bild 1632 Die Courage ist auf dem Höhepunkt ihres Geschäftslebens. Sie zieht mit Kattrin und dem Feldprediger über eine Landstraße. Sie verteidigt den Krieg und sagt: „Ich las mir den Krieg von euch nicht madig machen.“ 8.Bild 1632 Der Schwedenkönig Gustav Adolf fällt. Glocken läuten und es verbreitet sich das Gerücht, dass Frieden sei. Diese Tatsache würde ihr das Geschäft ruinieren. Nach vielen Jahren taucht der Koch wieder auf. Auch Yvette erscheint wieder. Diesmal als reiche Witwe eines Obristen. Sie warnt Mutter Courage durch den Feldprediger vor den Avancen des Kochs, weil dieser der „Schlimmste“ gewesen sei. Mutter Courage 10 und Yvette fahren schnell in die Stadt, um ihre Waren, deren Preise im Frieden fallen würden, zu verkaufen. In der Zwischenzeit werden der Feldprediger und der Koch Zeuge wie Eilif, der im Krieg so wie im Frieden geplündert und geschändet hat, zur Hinrichtung abgeführt wird. Mutter Courage kommt unverrichteter Dinge zurück, weil der Krieg noch nicht vorbei ist und weiß nicht, das Eilif inzwischen hingerichtet wurde. 9.Bild Herbst 1634 Der Krieg dauerte schon sechzehn Jahre. Deutschland ist verwüstet. Mehr als die Hälfte des Volkes ist umgekommen und die Menschen hungern. Im Herbst ´34 sehen wir die Courage und den Koch vor einem Pfarrhaus betteln. Der Koch erzählt, dass seine Mutter in Utrecht an der Cholera gestorben ist. Er hat dort eine kleine Wirtschaft geerbt und möchte mit der Courage dorthin ziehen. Allerdings will er Kattrin nicht mitnehmen. Kattrin hat das Gespräch gehört und will heimlich weglaufen. Mutter Courage entscheidet sich für ihre Tochter und gegen den Koch und ein bürgerliches Leben. Mutter und Tochter ziehen alleine weiter. 10.Bild 1635 Das ganze Jahr ziehen die beiden einem zerlumpten Heer nach. Bei einem Bauernhaus hören sie einem Lied zu „Uns hat eine Rose ergetzt“. 11.Bild Januar 1636 Die kaiserlichen Truppen bedrohen die Stadt Halle. Soldaten zwingen die Bauern, ihnen den Weg zur Stadt zu zeigen, um die Einwohner zu überraschen. Kattrin hört das, nimmt eine Trommel und steigt aufs Dach. Sie trommelt, um die Bewohner Halles zu warnen und kann davon durch keine Drohungen abgehalten werden. Soldaten zwingen den Bauern die Trommelschläge durch Axtschläge zu übertönen. 11 Das genügt aber nicht und Kattrin wird erschossen, ihre Trommelschläge jedoch sind in der Stadt gehört worden. 12.Bild Januar 1636 Am nächsten Morgen, als die Truppen sich schon entfernt haben, kehrt Mutter Courage von einem Geschäftsgang zurück und findet die tote Tochter. Sie gibt den Bauern Geld für das Begräbnis und zieht den Soldaten nach, da sie noch immer glaubt, dass ihr Sohn Eilif lebt, und ihn wiederfinden will. „Ich muss einfach wieder in’n den Handel kommen“ 12 Der Dreißigjährige Krieg Der Dreißigjährige Krieg war ein religiöser Konflikt, der in ganz Mitteleuropa wütete. Er begann 1618 mit dem Böhmisch-pfälzischen Krieg und endete am 24. Oktober 1648 mit dem Westfälischen Frieden. Der in drei Phasen verlaufende Krieg begann mit dem Böhmischen Aufstand (1618-23). Die Böhmen haben König Ferdinand II abgesetzt, woraufhin dieser eine Koalition mit Spanien einging und den Aufstand blutig beendete. In der zweiten Phase, dem Dänisch-niedersächsischen Krieg (162529), stand auf der einen Seite der Dänenkönig Christian IV mit seinen Verbündeten und auf der anderen Seite die katholische Liga mit den kaiserlichen Truppen. Nach einer bitteren Niederlage für die Protestanten folge die Rekatholisierung. Im Jahr 1630 wurde der Kaiser durch die Fürsten der Liga gezwungen den mächtigen Wallenstein zu entlassen. In der dritten Phase, dem Schwedischen Krieg (1630-35) wurde Wallenstein erneut zum Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen ernannt. Nach seiner Ermordung 1634 und einer weiteren Niederlage Schwedens kam es 1635 zum Frieden von Prag. Es folgte der Schwedisch-Französische Krieg (163548). Trotz des Bündnisses zwischen Frankreich und Schweden konnte keine Seite militärisch einen entscheidenden Sieg erringen. Am 24. Oktober 1648 unterschrieben die kriegsmüden Parteien den Westfälischen Frieden. 13 Figuren Mutter Courage handelt gern; Mutter von drei unehelichen Kindern; schlagfertig; eigenwillig; pragmatisch; zieht extra dem Krieg entgegen; will mit Waren für den Krieg Geld verdienen; will ihre Kinder bei sich behalten. Für Geschäfte ist die Courage immer zu haben - ihre Geschäftstüchtigkeit steuert ihre Handlungen Eilif ältester Sohn; mutig; kräftig; vorlaut; möchte gern Soldat werden; wird selbst zum Kriegstreiber; zynisch; roh; Frieden kostet ihn das Leben; Schweizerkas schwächlicher als Eilif; zurückhaltend; einfältig (beschränkt, leichtgläubig); hört auf seine Mutter; bürokratischer Pragmatismus; überholter Begriff von Ehre, Treue und Moral; Beamter des Krieges; unflexibel Kattrin unauffällig; stumm; Sehnsucht nach Frieden; opferbereit; tragisch: findet ihre Stimme und muss sterben; Feldprediger Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit; Zynismus; Alkoholismus; Bewunderung für Courages Pragmatismus; kein Liebespartner 14 Koch Pragmatiker; Macho; erotisch; Attraktiv für Courage; unsentimental; roh; Egoist; spießige Hoffnung: Wirtshausidylle; Yvette Überlebenskonzept aus Not (Syphilis): widmet sich alten Offizieren; liebt den Koch; Die Inszenierung Wenn man es genau betrachtet, ist Alexander Kubelkas Inszenierung von MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER eine österreichische Erstaufführung, denn in der Kombination mit der Bühnenmusik des Schweizer Komponisten Paul Burkhard wurde das Stück nur einmal in Zürich zur Uraufführung gebracht. Ursprünglich wurde das Stück über die couragierte ‚Kauffrau‘ Anna Fierling, die aus der Gemengelage des Krieges, mit all seinen alltäglich gewordenen Entbehrungen, Gefahren und Schicksalsschlägen für sich und ihre Kinder „das Beste“ zu machen sucht, von dem finnischen Komponisten Simon Parmet vertont. Brecht lebte zur Entstehungszeit 1938 bereits im schwedischen Exil. Schon 1935 war ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden. „Wer mit dem Teufel frühstücken will, der braucht einen langen Löffel“, kommentierte Brecht seine Arbeit an diesem Lehrstück. Brecht sah deutlich voraus, wie der Krieg enden würde und welche seelische Deformation er bei den Beteiligten hinterlassen würde. Der WK II war noch in seiner Anfangsphase und niemand rechnete wohl mit einem so verheerenden Ausgang: mit Millionen von Toten, Obdach- und Heimatlosen, Vertriebenen, mit einer solchen Unmenge an Witwen und Waisen mit einer solchen Vernichtungsmaschinerie. Die erwähnte finnische Komposition verschwand in den Kriegswirren und blieb 15 verschollen. 1941 fand die besagte Uraufführung des Stückes in Zürich statt - mit der legendären Theres Giehse in der Titelrolle. Brecht war zu der Zeit schon nach Amerika emigriert und kannte Burkhards Arrangements und Vertonungen wohl nicht. Mit dem Komponisten Paul Dessau arbeitete Brecht gleich nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1946 zusammen. 1948 fand dann die überarbeitete Fassung des Stückes mit der nun durch den Autor legitimierten Musik von Paul Dessau statt. Die Erben wachten streng über die Einhaltung dieser Aufführungstradition und so ist es ein kleines Wunder, dass diese Fassung vom Verlag abgesegnet wurde. Der Anteil der Musik ist bei Dessau wesentlich grösser, die Musik wirkt hier nicht als szenischer Höhepunkt oder als vorwärtstreibendes Element, sondern ist eher als Kommentar der Bühnenfiguren zu sehen. Das mag auch daran liegen, dass das Stück nach dem Krieg nicht mehr vorausschauend zu verstehen war, sondern eine Reflexion der seinerzeit jüngsten Vergangenheit darstellte. Paul Burkhards Fassung nutzt die Musik als szenische und emotionale Verstärkung, sozusagen als psychologisches Vergrößerungsglas. Die Musik wurde ja mitten im Krieg geschrieben. Paul Burkhard ist Brecht dann später einmal begegnet – das Zusammentreffen dürfte etwas unterkühlt ausgefallen sein, denn Brecht hatte wohl für die Operetten und Singspiele des sehr erfolgreichen Komponisten Burkhard, der mit DAS FEUERWERK (Oh, mein Papa) internationalen Erfolg verzeichnete, nichts übrig – Operetten wurden vom NS-Regime als ‚DURCHALTEMUSIK‘ missbraucht, eine Strategie um von den Missständen abzulenken (Paul Burkhard übrigens ging nach seinem riesigen Erfolg in der leichten Muse einen gänzlich anderen musikalischen Weg und befasste sich zunehmend mit spirituellen Themen). Das Theater des Bertolt Brecht im Nachkriegs-Berlin setzte nicht auf Unterhaltung sondern auf Aufklärung – seine Stücke sollten nicht sinnlich erfahren, sondern verstanden werden. Den eigentlichen Vorgang unerschüttert zu begreifen und quasi 16 wie im Labor bei genauer Betrachtung der Fakten eine Situation und ihre Ursache und Wirkung zu erkennen(!), um sie dann gegebenenfalls zu ändern, das ist das erklärte Ziel des epischen Theaters bei Brecht. Der junge Brecht, Sohn eines einfachen Augsburger Angestellten, der sich zum Fabrikdirektor hocharbeitete, verblüffte die Berliner Theaterwelt in den goldenen Zwanziger Jahren mit völlig neuen Theaterformen, mit dieser gänzlich anderen Herangehensweise an inhaltliche Vermittlung. Natürlich war er auch ein Kind seiner Zeit. Die sozialen Ungerechtigkeiten, die sich zum Ende des 19.Jahrhunderts verstärkten, spiegelten sich z.B. in Gerhard Hauptmanns Dramen, die im bürgerlichen, kleinbürgerlichen und Arbeitermilieu angesiedelt waren. Hier wurde das L E B E N erfasst; das Werden und Vergehen des Menschen in seinen Zuständen, ob arm, ob reich wurde gezeigt. Wir verdanken Hauptmann die Weiterführung des durch Lessing und Schiller entwickelten bürgerlichen Trauerspiels, seine RATTEN oder DER BIBERPELZ brachten das Bewusstsein für die Existenz des Prekariat in die großbürgerlichen Theater. Brechts Theater ging eindeutig weiter: er wollte nicht nur in den großbürgerlichen, adeligen und politischen Kreisen Bewusstsein schaffen. Brecht erlebte sehr wohl die Bewusstwerdung der Arbeiterschaft, der Frauen, der Minderheiten und ging davon aus, dass die Betroffenen selbst ihre Situation ändern müssten. Neue Strömungen erschütterten Europa: Sozialismus, Bolschewismus, Kommunismus schienen das einzig humane Mittel, die erniedrigte und bewusst kleingehaltene Arbeiter- und Bauernschaft aus ihrer unsozialen und körperlich wie seelisch ungesunden Knechtschaft zu befreien. Wenn wir soeben Hauptmann erwähnten, der die Missstände ebenso empathisch wie humanistisch beschrieb, dann darf man nicht den russischen Arzt und Theaterschriftsteller Anton Tschechov vergessen, dessen theaterschriftstellerische Arbeit auch immer wieder die Verschwendung der natürlichen Ressourcen und die äußerst prekäre Lage der Arbeiter – und Bauernschaft anprangerte. Die Welt, in der der junge Brecht und seine 17 eben beschriebenen Vorgänger lebten, liebten und litten, befand sich im Umbruch: Mit der russischen Revolution setzte in der Folge ein weltweites Umdenken ein: der Sozialismus / Kommunismus schien ein probates Mittel, die Gier, der für Krisen äußerst anfälligen, kapitalistischen Gesellschaften, im Zaum zu halten, und die Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit mancher Systeme zu korrigieren. Dass diese Vision scheiterte und in ebenso unmenschlichen Systemen endete, ändert nichts an der Tatsache, dass wir neue Visionen für Lösungen brauchen werden, um die Missstände zu ändern. Denn trotz eines erheblichen technischen Fortschritts, gibt es weltweit weiterhin Ausbeutung und daraus resultierend Hunger, Durst, Armut und weltweit mehr kriegerische Auseinandersetzungen, als zur Entstehungszeit der MUTTER COURAGE. Dass kriegerische Auseinandersetzungen auch immer wieder als Glaubenskriege geschürt werden, um das eigentliche Ziel, nämlich rein wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, das macht Brechts Lehrstück so aktuell und so brisant. Brecht hat uns eine einfache Warnung auf die Bühne gestellt: „Ich wollte klarmachen, dass der einen langen Löffel haben muss, der mit dem Teufel frühstücken will.“ Nach seinen Inszenierungen von LEBEN DES GALLILEI und DIE DREIGROSCHENOPER beschäftigt sich Alexander Kubelka mit Brechts MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER nun zum dritten Mal mit dem epischen Theater des Bertolt Brecht (1898 -1959) und somit mit der Verantwortung des Menschen. 18 Die Bühne Alles ist Ware! Im Stück „Mutter Courage“ soll das Bühnenbild die Reduktion der Werte auf Waren vorführen. Regale als Gefäße für Waren aller Art, die dem Stück statisch und dynamisch folgen, sind zugleich Lager, Wagen und Kriegsgerät. Je nach Einpassung in den Maßstab der Bühne, je nach Umgang mit Licht und Schatten, werden Zustände abgebildet, die der Absicht der jeweiligen Szene entsprechen und immer ist Krieg. Zum Interview mit Carlo Baumschlager: http://landestheater.org/kalender/2013/09/27/mutter_courage_und_ihre_kinder.html Die Kostüme Die Zusammenarbeit zwischen Regisseur Alexander Kubelka und Kostümbildnerin Andrea Hölzl ist immer wieder geprägt von einer prozessorientierten Entwicklung während der Proben. In jeder Probe arbeitet sie an den Figuren und untersucht, wie sehr sich ein Charakter über das Kostüm bildet oder umgekehrt. Dieser Prozess ist ganz eng an die Probenarbeit, an die szenische Herangehensweise geknüpft und geht immer wieder neu auf Stück, Schauspieler und Situation ein. Inhaltlich lehnt Andrea Hölzl sich an den 30jährigen Krieg an. Sie versucht die Kostüme in eine Zukunftsvision von diesem Krieg zu übersetzen. Diese absolute Anarchie und Armut, wo jeder alles von Jedem trägt finden Sie auch auf der Bühne wieder. 19 Das Thema Camouflage wird bis aufs Letzte ausgereizt. Sogar die Unterwäsche ist in diesem Print zu finden. So wie in unserem Alltag nicht nur Soldaten, sondern auch die Zivilbevölkerung Camouflage trägt. Im Kontrast dazu sind die Kostüme der Musiker zu sehen, die als Puppen bzw. Marionetten dargestellt werden. Ein weiterer Kontrast ist das Kostüm des singenden Kindes, das all jenes verkörpern soll, was die Tochter Kattrin nie haben wird. Kontakt Nina Kogler Theaterpädagogin Vorarlberger Landestheater Seestrasse 2 6900 Bregenz Tel 05574 42870-618 [email protected] www.landestheater.org 20