4. Problemstellungen der Praxis 4.1 Gleichrichterschaltungen mit Halbleitern Auch bei einer einfachen Einweggleichrichtung ergibt die Simulation einige überraschende Effekte, wenn alle relevanten Bauelemente berücksichtigt werden. In der Leistungselektronik erzeugen die Schaltungen oft abrupte Strom- und Spannungsänderungen, daher müssen Zuleitungsinduktivitäten und parasitäre Kapazitäten in der Schaltung enthalten sein, um realistische Ergebnisse zu erhalten. Bei der Gleichrichtung führen die Netzzuleitungsinduktivität und die Speicherladung in der Gleichrichterdiode bzw. -thyristor und deren Sperrschichtkapazität zu einem Serienschwingkreis, der durch die ohmschen Widerstände in diesem Kreis eine mehr oder weniger starke Dämpfung enthält. Die Impedanzen der Netzzuleitung müssen als einzelne Bauelemente in die Schaltung eingegeben werden. Die Kapazitäten der Diode können entweder ebenfalls als einzelne (vom Arbeitspunkt der Diode abhängige) Bauelemente eingegeben werden oder es wird zweckmäßigerweise ein passendes Diodenmodell verwendet, das die Bauelementehersteller erstellt haben. Gleichrichterschaltungen mit kapazitiver Glättung nehmen nur kurzzeitig Strom vom Netz auf, um den Glättungskondensator nachzuladen. Dieser oft weniger als 1 ms kurze, aber sehr steile Stromimpuls führt in der Diode dazu, daß deren Speicherladung nicht gleichzeitig mit dem Strom zu Null wird, sondern der größte Teil noch im pn-Übergang gespeichert ist. Die an der Diode bzw. Thyristor inzwischen negativ gewordene Spannung saugt diese Speicherladung ab; es fließt ein hoher negativer Strom durch den Schalter. Wenn die Ladung abgesaugt ist, reißt dieser Strom ("reverse recovery current irr") innerhalb von µs ab und erzeugt an den Zuleitungsinduktivitäten Ls kurzzeitig eine diesem Stromabriß proportionale Überspannung ∆U: ∆U = Ls* dirr/dt. Diese Überspannung addiert sich zur der Sperrspannung am Bauelement, die von der Netzspannung gegeben ist. Bei größeren Lastströmen und insbesondere bei Steuerwinkeln α > 30o kann hier die Überspannung einige 100 V betragen und den Halbleiterschalter zerstören. Abhilfe schafft ein parallel zum Halbleiter geschalteter Kondensator, der (über einen strombegrenzenden Widerstand) die in den beteiligten Induktivitäten gespeicherte Energie (Ls*irr2/2) im ersten Moment aufnimmt und damit die Überspannung begrenzt: ∆U max = irr Ls / C . Dies nennt man die TSE-Beschaltung (Trägerstaueffekt). C ist die Kapazität des TSE-Kondensators zuzüglich der Sperrschichtkapazität des Halbleiters. Die nun im Kondensator gespeicherte Energie schwingt wieder zurück. Die Dauer dieses Schwingungsvorganges (im kHz oder im MHz-Bereich) hängt stark von der Schwingkreisdämpfung ab. Die Simulation mit SPICE oder ICAPS zeigt diesen im wesentlichen durch die Halbleitereigenschaften bestimmten Effekt sehr deutlich. Durch das Verständnis für die Vorgänge fällt es nicht schwer, die Beschaltung geeignet zu dimensionieren. Dieser Vorgang tritt bei allen schnell geschalteten bipolaren Schaltern wie Dioden, Thyristoren oder Bipolartransistoren auf. Die Stromflußzeit in den Halbleitern ist bei kapazitiver Glättung umso kürzer, je größer der Glättungskondensator ist. Die Halbleiter werden also auch bei kleinen mittleren Strömen mit sehr hohen Spitzenströmen belastet. Dadurch wirken sich auch die ohmschen Spannungsabfälle während der Stromflußphase ungünstig aus, d. h. die Ausgangsspannung kommt auch bei sehr großen Glättungskondensatoren nicht auf den von der Netzspannung her möglichen Wert. Durch die Simulation läßt sich die Ausgangsspannung für verschiedene Belastungen oder auch verschiedene Bauelementeeigenschaften einfach bestimmen. 4.2 Schalten von induktiven Lasten mit MOSFET Eine häufige Grundfunktion in allen Wechselrichterschaltungen ist das Schalten von ohm'schen und induktiven Lasten mit einer Gleichspannung als Quelle. Als Schalter werden bei kleineren Leistungen (bis ca. 10 kW) und Spannungen bis 600 V MOSFET verwendet. Im Bereich bis 300 kW und 1200 V kommen meist IGBT's zum Einsatz (die zunehmend die Bipolartransistoren ablösen). Im Großleistungsbereich (bis 10 MW und 3500 V) werden GTO-Thyristoren und vereinzelt noch schnelle Thyristoren mit Löschschaltung eingesetzt. Das Problem ist bei allen Schaltern ähnlich: Beim Abschalten will die Induktivität - das kann die Lastinduktivität oder eine Zuleitungsinduktivität - den Strom weiter treiben. Es muß also für den Strom ein Freilaufzweig geschaffen werden. Das ist in der Regel eine schnelle Diode, meist eine FRED (Fast recovery diode), welche antiparallel zum Schalter liegt. Diese muß sehr niederinduktiv angeschlossen werden, denn das bei der Kommutierung des Stromes vom Schalter zur Freilaufdiode entstehende di/dt erzeugt an der Zuleitungsinduktivität eine Überspannung, welche den Schalter zusätzlich zur Batteriespannung belastet. Da die Induktivitäten nie vollständig vermieden werden können, muß eine Abhilfemaßnahme getroffen werden: Entweder wird ein avalanchefester MOSFET verwendet, welcher eine spezifizierte Energie als Überspannung verkraftet. Ist die Energie in der Zuleitungsinduktivität kleiner als die Avalancheenergie des MOSFET, begrenzt der MOSFET ohne weitere Schutzmaßnahmen die Überspannung. Oder es wird eine TSE-Beschaltung wie bei Thyristoren eingesetzt (nur wesentlich kleiner entsprechend den kleineren Spannungen und Strömen). Werden MOSFET als Schalter verwendet, so ist zu berücksichtigen, daß alle MOSFET eine antiparallele Diode enthalten. Diese ist im allgemeinen als Freilaufdiode nicht geeignet, weil sie zu langsam ist. Eine schnelle Freilaufdiode muß also extern dazugeschaltet werden. Es gibt aber auch MOSFET mit integrierter FRED (ein sog. FREDFET), der keine externe Diode mehr benötigt. In der Simulation müssen unbedingt alle Zuleitungsinduktivitäten berücksichtigt werden, wenn die Spannungen, die den Schalter gefährden können, richtig simuliert werden sollen. Auch die richtige Auswahl des Modelles für den MOSFET ist entscheidend, da dessen Kapazitäten und der innere Aufbau den Abschaltvorgang erheblich beeinflussen. Eine Reihe von Firmen liefern bereits Modelle und Subcircuits für die von ihnen gelieferten Halbleiterschalter. In diesen wurden die physikalischen Eigenschaften der MOSFET und auch alle relevanten parasitären Elemente bestmöglichst berücksichtigt. Solche Modelle sind in der Simulation bevorzugt einzusetzen. Liegt ein Herstellermodell nicht vor, muß ein Standardmodell verwendet werden. Es gibt für MOSFET sechs Standardmodelle (LEVEL 1 bis 6), die in unterschiedlicher Weise physikalische Eigenschaften berücksichtigen. Hier muß auf die einschlägige Literatur verwiesen werden. In den Übungen werden Modelle der Hersteller verwendet. Sie tragen die übliche Typenbezeichnung. Mittels der Simulation kann die Belastung des Halbleiters bei verschiedenen Strömen hinsichtlich Spannung aber auch hinsichtlich der Verluste gezeigt werden. Den Verlauf der Verluste erhält man, wenn Strom und Spannung des MOSFET in der Ausgabe vereinbart werden und dann aus der Strom- und der Spannungskurve durch Multiplikation die Momentanleistung errechnet und dargestellt wird. Zweckmäßigerweise wird ein zeitlicher Ausschnitt gewählt, der dem eingeschwungenen Zustand entspricht. Dann kann der Mittelwert der Verlustleistung errechnet werden, der für die Temperaturbelastung entscheidend ist. Alle Halbleiter haben temperaturabhängige Kennlinien. Daher ist es wichtig auch die Simulation bei der richtigen Temperatur durchzuführen. So steigt beispielsweise der Einschaltwiderstand RDSon eines MOSFET mit der Temperatur an und damit auch seine Verlustleistung. Die tatsächliche Temperatur des MOSFET kann iterativ wie folgt ermittelt werden: Erst die Verlustberechnung bei Standardtemperatur (27 oC), dann die Berechnung der Sperrschichttemperatur mit Hilfe des thermischen Widerstandes. Dann erneut die Verlustberechnung, nun bei der errechneten Sperrschichttemperatur. Diese Schritte werden mehrfach wiederholt, bis sich keine nennenswerte Änderung mehr ergibt. Dieser Prozeß läßt sich auch automatisieren. 4.3 Zweipulsige Brückenschaltung mit Gleichstrommotor Stromrichter liefern an die Last eine pulsierende Gleichspannung. Der Laststrom schwankt deshalb ebenfalls und wird deshalb häufig über eine Glättungsdrossel geglättet. Ein Gleichstrommotor als Last liefert eine zur Drehzahl proportionale Gleichspannung, welche als Gegenspannung wirkt. Unterschreitet die Stromrichterspannung diese Gegenspannung, sinkt der Laststrom stark ab und kann zu Null werden. Es entstehen Stromlücken, die einen unrunden Lauf ergeben und deshalb vermieden werden. Auch ergeben die Stromänderungen bei den vorhandenen Induktivitäten Überspannungen. Die Simulation kann diese Effekte verdeutlichen und die Lückgrenze als Funktion von Laststrom und Glättungsinduktivität kann ermittelt werden. Der Zuleitungsstrom im Netz enthält natürlich die gleichen Stromänderungen wie der Lastkreis. Der aufgenommene Strom ist im nichtlückenden und im lückenden Betrieb stark nichtsinusförmig. Eine Fourieranalyse zeigt die Netzbelastung mit den Stromoberschwingungen qualitativ und quantitativ. Damit kann überprüft werden, ob die DIN und EN Normen eingehalten werden. Die Kommutierung von einem Thyristor auf den nächsten führt zu einem kurzzeitigen Kurzschluß zwischen den Zuleitungen. Die Kommutierungsdrossel soll verhindern, daß der Kurzschluß direkt am Netz wirksam wird und auch daß der Kommutierungsvorgang, welcher die Thyristoren belasten kann (di/dt und Überspannungen), nicht zu schnell erfolgt. Ist die Netzimpedanz bekannt und wird sie in die Simulationsschaltung mit eingebaut, so lassen sich die spannungsmäßigen Netzrückwirkungen ebenfalls ermitteln. Auch hier gibt es Grenzen für die Spannungseinbrüche. Das hier gewählte einfache Beispiel kann mit allen Programmen simuliert werden. Das Simulationsprogramm SIMPLORER ermöglicht jedoch eine einfache Steuerung der Thyristoren über die Steuerdatei; zum Ändern des Steuerwinkels muß nur eine Startgröße verändert werden. Bei komplexen Steuer- und Regelvorgängen, wie sie in dreiphasigen Wechselrichtern auftreten, ist daher SIMPLORER das geeignete Programm. 4.4 Spannungswechselrichter Ein Spannungswechselrichter (U-Umrichter) wird an einer Gleichspannung betrieben, welche durch eine Gleichrichterschaltung (gesteuert oder ungesteuert) mit Glättungskondensator gespeist wird. Die Ausgangsspannung einer Phase schaltet bei der hier angewendeten Blocksteuerung zwischen der positiven und der negativen Gleichspannung mit der Taktfrequenz um, welche damit die Frequenz der Ausgangsspannung ist. Der i. a. induktive Verbraucher (Motor) nimmt einen sägezahnförmigen Strom auf. Er wird also mit nichtsinusförmigen Größen betrieben. Aufgrund der Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung am Motor fließt der Strom noch in eine Richtung, wenn die Spannung bereits umgepolt wurde. Die Schalter können den Strom nicht in Rückwärtsrichtung führen, daher sind Freilaufdioden antiparallel zu den Schaltern notwendig. Als Schalter werden meist Leistungs-MOSFET, IGBT’s, Bipolartransistoren oder bei Leistungen über 500 kW GTO-Thyristoren verwendet. Beim Umschalten von einem Schalter eines Zweiges zum nächsten sperrt der abgeschaltete Schalter erst nach einer (laststromabhängigen) Speicherzeit von einigen µs. Daher ist eine Totzeit zwischen den beiden Steuersignalen erforderlich. Bei der Umpolung der Spannung kommutiert der Laststrom von einem Schaltern zu der entsprechenden Freilaufdiode. Befinden sich zwischen den Schaltern und den Dioden Zuleitungsinduktivitäten, so entstehen an den Schaltern Überspannungen. Diese können durch parallele Kondensatoren oder TSE-Beschaltungen begrenzt werden. MOSFET haben inhärente Dioden, welche normalerweise aber für den Freilaufbetrieb nicht schnell genug sind. Externe schnelle Freilaufdioden sind daher notwendig. Trotzdem fließt ein Teil des Laststromes in der Freilaufphase über die interne Diode. Bipolartransistoren und IGBT’s sperren (in geringem Maße) in Rückwärtsrichtung. Bei ihnen fließt praktisch der volle Laststrom während der Freilaufphase in der Freilaufdiode. Die Bestimmung der Schalterverluste und der Diodenverluste ist für den ganzen Betriebsfrequenzbereich und für die vorkommenden Belastungen (Maximalstrom, ohm’sche Last, stark induktive Last) wichtig. Die Verluste setzen sich aus den Durchlaßverlusten und den Schaltverlusten zusammen. Die Schaltverluste steigen mit dem Strom und der Betriebsfrequenz an. Die Erwärmung aufgrund der gesamten Verluste begrenzen die Betriebsfrequenz. Zum Wirkleistungsumsatz in der Last tragen beim Motor praktisch nur die Grundschwingungen von Strom und Spannung bei. Sie können mit der Fourieranalyse ermittelt werden. Dabei zeigt sich, daß bei induktiven Lasten die Stromoberschwingungen durch die Lastinduktivität stark reduziert sind und der Stromgrundschwingungsfaktor meist über 0,95 liegt. Bei der rechteckigen Ausgangsspannung beträgt der Spannungsgrundschwingungsfaktor 2 2 / π = 0,9. Dies kann verbessert werden durch Pulswechselrichter. Hier wird die Spannung nicht blockweise umgeschaltet, sondern mit einer sehr hohen Frequenz während einer Periode der Ausgangsspannung so umgeschaltet, daß im Mittel eine sinusförmige Ausgangsspannung entsteht. Der Laststrom ist damit natürlich auch sinusförmig. Voraussetzung hierfür sind Schalter mit niedrigen Schaltverlusten. Die Ausgangsspannung eines Spannungswechselrichters enthält steile Sprünge (insbes. bei Pulswechselrichtern mit IGBT-Schaltern), welche von der Motorzuleitung abgestrahlt werden und die Motorisolation belasten. Es wird daher meist ein Tiefpaßfilter vorgeschaltet, das die Spannungssteilheit auf Werte unter 500 V/ms begrenzt. 4.5 Netzrückwirkungen Versorgungsnetze der EVU’s oder in der Industrie werden von mehreren Quellen gespeist und von vielen Verbrauchern belastet. Die Speisung erfolgt von Hochspannungsnetzen oder direkt von Generatoren über Transformatoren. Für die Simulation sind die Speiseleistung und Impedanz der Quellen und die Nennscheinleistung und Kurzschlußimpedanz des Trafos wichtige Kenngrößen. Das Netz selbst wird durch Leitungen mit einem Reaktanz- Kapazitäts- und Widerstandsbelag sowie die Leitungslängen gekennzeichnet (Betriebsgrößen). Die Last ist eine sehr vielseitige Größe, da sie sich zeitlich häufig ändert. Im Extremfall schaltet sie zwischen Leerlauf und Kurzschluß abrupt hin und her; bei Stromrichtern sogar mehrfach in jeder Netzperiode. Je länger die Netzzuführungen sind, umso größer ist die Netzimpedanz und umso stärker wird die Rückwirkung von Verbrauchern auf das Netz. Eine besondere Belastung stellen die schnell schaltenden Stromrichter dar, welche während der Kommutierungszeit einen zweipoligen Kurzschluß am Netz verursachen. Das Verhältnis von Netzimpedanz und Impedanz des Stromrichters bestimmt das Ausmaß der Rückwirkung. Bei langen Netzzuführungen stellt das Netz ein schwingungsfähiges Gebilde dar, das durch abrupte Laständerungen oder sonstige Störungen zu drastischen Spannungsschwankungen führen kann.