Articoli/3 Von der Seele der Tiere und dem menschlichen Denken

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N. 18, 2015 (II) - Confini animali dell’anima umana. Prospettive e problematiche
Articoli/3
Von der Seele der Tiere und dem
menschlichen Denken*
Reinhard Brandt
Articolo sottoposto a peer-review. Ricevuto il 17/03/2015. Accettato il 05/05/2015.
The intelligence of animals is marvellous; their communication by signs is extremely refined,
nobody can deny it. How can one defend the opinion that animals cannot think? My thesis:
The mental activities of animals can be explained as psychological processes, they cannot be
subsumed under the norms of logics, they are not true or false, they don´t contradict each
other, they are not necessarily affirmative or negative. By this, thinking activities of men are
different from the intelligence of animals.
***
Überblick
Es soll zunächst an den Anfang aller Anfänge erinnert werden, an die arché,
die Schöpfung oder das unvordenkliche Chaos oder den poesielosen Urknall
vor über 13 Milliarden Jahren. Er ist Thema der Physik, die nach unserer
kolportierten Einsicht in ihren Grundzügen gegen jeden Zweifel resistent ist:
der Anfang fand wirklich statt, Raum, Zeit und sich entwickelnde Formen der
Energie breiten sich aus bis heute. Die Zäsur, die uns auf dem Weg vom Anfang
hin zu uns selbst interessiert, ist die Entstehung von Lebewesen, die räumliche
und zeitliche Wahrnehmungen und Vorstellungen entwickelten; dies wiederum
war nur möglich mit je subjektiven Vorstellungsbühnen, auf denen Dinge
und Ereignisse erscheinen, sie sind Thema der Biologie und Psychologie. Und
drittens folgen die besonderen Lebewesen, die nicht nur etwas wahrnehmen und
in sich als äußerlich vorstellen, sondern es erkennen können, etwas als etwas:
den Anfang als den Anfang, das Ende als das Ende und den Morgenkaffee als
solchen. Zu diesem Erkennen und seinem Mitteilen sind wir Menschen befähigt,
aber wohl keine anderen Tiere; sie können durch die Jahrtausende vor sich hin
* Dieser Beitrag ist eine Erweiterung von Wahrnehmen, Fühlen, Verhalten, Denken – Was können Tiere? in Der Mensch und seine Tiere. Mensch-Tier-Verhältnisse im Spiegel der Wissenschaften,
hrsg. von P. Janich, Stuttgart 2014, S. 139-154.
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leben, die Einzeller, die kaledonischen Krähen und die Schimpansen, das uns
so vorteilhafte und schädliche Denken ist ihnen dagegen versagt, wenn unsere
folgenden Konjekturen zutreffen. Ob diese drei Stufen der kosmologischen
Wirklichkeit (13 Milliarden Jahre, größte galaktische Schauspiele), der
zweckgerichteten Biologie und Psychologie (Darwin und die Folgen) und
drittens des Denkens der Menschen mit ihren Einfällen und ewigen Einwänden
für sich und aus sich möglich sind oder ob noch viertens oder erstens ein großer
Manitou dazu gehört, als denknotwendig anbietet, das wird hier nicht erörtert,
nicht einmal gefragt.
Noch eine Vorbemerkung: Die Ebene, in der unsere Überlegungen
angesiedelt sind, ist ein Alltagspragmatismus. Wenn ich Wörter benutze wie
‘ich’ oder ‘Mensch’ oder ‘rot’, dann bin ich nicht gewappnet gegen gelehrte
Nachfragen des Typs, woher ich denn überhaupt wisse, was ‘ich’ oder ‘Mensch’
etc. bedeute. Ich gestehe gleich: Ich weiß es nicht genau, ich vertraue nur
darauf, dass wir uns einigermaßen verständigen können und uns schon jetzt
in einem Areal bewegen, in dem Nachfragen möglich sind und als sachlich
erörtert oder als eristisch abgewiesen werden können; man bricht dann, wie
schon Aristoteles empfahl, das Gespräch ab und spricht über das Wetter oder
die letzten Gichtanfälle.
Bekanntlich lassen sich mit ziemlich schmutzigem Wasser ziemlich
schmutzige Gläser ziemlich rein waschen, mehr ist hier nicht angestrebt. Aber
lassen Sie mich noch in diesem pragmatischen Wegspülen von Irrtümern
auf eine spagathafte Zumutung verweisen: Wir sollen uns einerseits in einer
wissenschaftlich abgesicherten Welt von Erkenntnissen und damit Wirklichkeiten
bewegen, und andererseits sagt jeder hermeneutisch eingestimmte Historiker,
dass es selbstverständlich keine objektive Erkenntnis der Wirklichkeit gibt,
sondern nur subjektive Vorstellungen, die dem historischen Wandel unterliegen.
Wir sind Opportunisten und wechseln blitzschnell die Ansicht.
Im übrigen wird versucht, mit der Rede Gedanken herzustellen, die
fertigen Überlegungen aufzuheben und sie noch einmal zu erzeugen, jetzt.
1. Der Anfang von Raum und Zeit + (...): „Thank you, nature“
(CERN, 4. Juli 2012). Zur Erinnerung
Es muss nach den beglaubigten Erkenntnissen der Physik und Kosmologie
einen Anfang von allem gegeben haben, der nicht von unserer Vorstellungsund Denkfähigkeit begleitet war, sich geräuschlos, wortlos, unvorgestellt und
unvorstellbar und absolut unabhängig vollzog. In der Wissenschaft wird mit
näher bestimmten Qualitäten von Raum, Zeit und Energiegrößen operiert;
diese sind in einer Evolution begriffen und gelangen in ca. 13 Jahrmilliarden zu
den Formen, die wir heute vorfinden.
Diese genetische Szene ist in zwei Ebenen zweifelsimmun. Wir können
uns nicht skeptisch gegen den Stand der Kosmologie überhaupt wenden, und
wir können der Wissenschaft nicht die Grundlage entziehen, indem wir dem
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Substrat überhaupt das Sein verweigern. Wir müssten für das erstere eingehen
auf die vorliegenden wissenschaftlichen Teilschritte und wären dadurch immer
schon weiträumige Ja-Sager statt Skeptiker. Hat das Universum zu dieser Zeit
diese oder jene Ausdehnung? Ist es aus diesen oder jenen Elementen zusammen
gesetzt? Wie steht es um die Hitzegrade? Nicht mehr: Gibt es sog. Schwarze
Löcher, sondern als was genau gibt es sie?
Für das Zweite gilt: Um unseren Generalzweifel nicht nur à la Descartes
im je eigenen Geist zu denken, sondern ihn öffentlich zu äußern, etwa in diesem
Buch hier, bedarf es der Wirklichkeit der Welt, in der der Zweifel mitgeteilt
wird, wir würden uns also regelwidrig selbst widersprechen, wenn wir der
Außenwelt ihr doch gehörtes oder gedrucktes Sein absprächen. Aber wie, wenn
die öffentliche Mitteilung nur mein Traum ist und mit ihr auch alle andere
vermeintliche Wirklichkeit? Das Traumargument sticht nicht, weil der Begriff
des Traumes substantiell klingt, tatsächlich aber auf das Gegenteil angewiesen
ist; ‘Traum’ ist ein Relationsbegriff, nicht-wirklich; wer also auf die unwirklichen
Träume setzt, braucht ihren handfesten Kontrast, die Wirklichkeit. Und weiter:
Die Wirklichkeit einer nur im Inneren gedachten wie auch der geäußerten Rede
ist auf eine objektive Wirklichkeit der Rede vieler Subjekte angewiesen; das
Denken kann sich nicht selbst im Monolog erdenken, es kann sich nicht selbst
ausdenken, auch in Gott nicht und durch Gott nicht. Aber damit greifen wir
dem Gang der Ereignisse vor.
Der Anfang von allem kann nur post festum zurückberechnet und -gedacht
werden, dies kann im Einzelnen irren, ist jedoch pauschal zweifelsimmun.
Zweifelsimmun und doch mit dem Einbekenntnis, die Herkunft des
Anfangs nicht zu kennen. Für uns ist unbegreiflich, wie aus ihm das Ergebnis
wurde, das es ermöglicht, sich selbst zum Gegenstand dieser Erkenntnis zu
machen. Schon in der Antike lachte man über Epikur, der aus bloß mechanischen
Prinzipien die Welt herleiten wollte. Wie sollte das möglich sein?
2. Weltgegenstände und -ereignisse als Vorstellungen von Lebewesen.
Die Intervention der Psyche und ihrer Bühne mechanischen
Prinzipien die zweckbestimmte Welt herzuleiten
Die erste Weltepoche, die wir insgesamt als immun gegen jeden späteren
sinnvollen Zweifel annehmen wollten, endet mit einer unsichtbaren Revolution.
Vorher gibt es die Welt durch ihre vielen Milliarden Jahre in rasanter Expansion
als pures ‘An sich ohne Für sich’, ohne Hörer, Betrachter, unbemerkt, ohne
mitdenkendes Subjekt. Sie endet mit Pflanzen und sich selbst bewegenden
Lebewesen. Diese wiederum benötigen äußere Empfindungen, eine innere
Erinnerung ebendieser Empfindungen und die Stimulierung einer Handlung
zur Lebens- oder Arterhaltung. Die Selbstbewegung also führt äußere Reize
mit sich, die äußeren Reize oder Empfindungen werden auf einer inneren,
perspektivischen Vorstellungsbühne deponiert und wirken dort attraktiv
oder repulsiv; das Ergebnis stimuliert das äußere körperliche Handeln des
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Lebewesens. In der Verhaltensforschung wird dieser Kreislauf von außen nach
innen und wieder nach außen als ein essentielles Thema besprochen. Hier schon
gilt: Die Lebewesen existieren im äußeren objektiven Raum, und dieser Raum
wird zugleich einverleibt als perspektivischer Vorstellungsraum jedes einzelnen
Tieres und Menschen. Hierauf kommen wir gleich zurück.
3. Die Entstehung des Denkens der Menschen
Denken ist eine geistige Tätigkeit, die wir z. B. jetzt in deutscher Sprache
ausüben. Wird der Vortrag übersetzt, ist es derselbe Vortrag auch in anderen
Sprachen. Kein nicht-menschliches Lebewesen würde dem nach unserer Kenntnis
zustimmen; Tiere unterscheiden menschliche Laute offenbar nur als akustische
Zeichen, während wir darüber hinaus diese Laute als künstliche Symbole
erkennen, die das identische Denken in unterschiedlichen Verlautbarungen
ermöglichen. Dasselbe gilt für die schriftliche Fassung; Tiere können verschiedene
optische Zeichen als solche wahrnehmen, aber sie erkennen nicht die Identität
der verschiedenen Zeichen qua sprachlicher Symbole. Für sie ist der übersetzte
Text notwendig ein anderer Vortrag. Wir wollen uns im Folgenden über die
mentalen Fähigkeiten von Tieren im Grenzbereich des Denkens verständigen.
Eine Ausgrenzung der Tiere aus dem Kreis der denkenden Wesen schmerzt oder
empört heutzutage jeden korrekt gesinnten Menschen; aber wer behauptet,
Tiere könnten sich ihrerseits über unsere Fähigkeiten verständigen, würde
nach einigem Zögern doch ausgelacht werden. Auf der documenta 2012 wurde
behauptet, dass Erdbeeren und Feldhasen über uns nachdenken und dass sie das
Wahlrecht für Menschen beschlossen haben, aber den Beweis dafür blieb die
Leiterin uns schuldig.
Die These
«Beschreibende Sätze in allen menschlichen Sprachen bestehen
zumindest aus einem Subjekt und einem Prädikat und erlauben eine
Negationstransformation.»1 Denken in dem hier gemeinten Sinn soll durch
diese ‘S ist / ist nicht P’-Struktur bestimmt sein. Die Explikation dieser Sätze,
Behauptungen oder Urteile findet sich schon bei Platon, der als Beispielsatz
das Urteil bringt: «Theätet fliegt»2, zu ergänzen ist das notwendig mögliche
R. G. Millikan, Die Vielfalt der Bedeutung. Zeichen, Ziele und ihre Verwandtschaft, Frankfurt
a.M. 2008, p. 139; S. 300 u. ö.
2
Hier wird nur paraphrasiert, was Platon im Sophistes 261c6-263e13 ausführt; ihm dient als
Beispiel des Denkens oder Urteilens die minimale Verknüpfung von Subjekt und Prädikat,
«Der Mensch lernt» (262c9), «Theätet sitzt bzw. fliegt» (263a2 und 8) mit den jeweiligen
Verneinungen.; apophasis 257b9 u.ö. S. auch Aristoteles, De interpretatione, 16a. Menschliches
Denken und Sprechen sind, weil bezogen auf Seiendes oder sein Gegenteil, notwendigerweise
Bejahung oder Verneinung. Platon und Aristoteles nehmen eine Zäsur an zwischen mentalen Möglichkeiten, die auch die Tiere haben, wie z. B. das Unterscheiden (krinein) und der
menschlichen Denkfähigkeit wie der dianoia.
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«Theätet fliegt nicht», was hin und wieder vorkam. Am Anfang steht der
einfachste Satz aus Subjekt und Prädikat qua Bejahung oder Verneinung. Tiere
sind offenbar zur Bildung dieser so einfachen und nützlichen Struktur nicht
in der Lage. Sie können, so weit wir wahrnehmen oder erschließen können,
nicht denken. Sie müssten wenigstens eine von zwei Bedingungen erfüllen: Sie
müssten ihre Denktätigkeit unmittelbar in einer ihrer ‘Sprache’ mitteilen und
/ oder es müssten Bereiche ihres Verhaltens nur durch eine Tätigkeit des eben
charakterisierten Denkens möglich sein. Tiere, so dürfen wir vorweg annehmen,
erfüllen keine dieser beiden Bedingungen; sie verbleiben immer nur in der
Psychologie und unterwerfen sich nicht der Logik, die unser mitteilbares Denken
bestimmt oder bestimmen kann. Nichts in der inneren oder äußeren Natur als
solcher kann negieren oder widersprüchlich sein, wohl aber unser Denken und
Sprechen. Dass umgekehrt unsere psychischen Geschehnisse nicht völlig zum
Denken in diesem Wortsinn gehören, versteht sich von selbst, wir imaginieren
und assoziieren und fühlen und ersehnen und verabscheuen, halluzinieren und
träumen gedankenlos und bilderreich vor uns hin.
Alle Phänome der mentalen Ausstattung von Menschen und Tieren sind
als solche so negationsresistent wie die Alpen. Es gibt eine Wissenschaftsfraktion
und viele ihrer Anhänger, die ängstlich bedacht sind, dass dies als Wahrheit bitte
auch nicht bezweifelt wird; in der politischen Landschaft würden wir sie zu den
Repubikanern zählen. Sie können die Negation nicht ausstehen und verbitten
sich in erfolgreichen euphorischen Publikationen wie Wie Tiere denken. Von
sprechenden Walen, gläubigen Affen und Vögeln mit Sinn für Kunst (GEO 2012)
so abwegige Fragen wie die einfache: Können Tiere sich widersprechen? Gibt
es überhaupt eine Publikation mit dieser neugierigen Nachfrage? Sollen Tiere
denken können ohne die Möglichkeit des Widerspruchs? Ohne Ahnung von
Logik? So wie die Pflanzen und Steine, aber anders als Menschen, die permanent
Einspruch erheben und sich widersprechen können.
Bei den komplizierten wissenschaftlichen Untersuchungen zur Frage,
ob Tiere denken können, fehlt meistens die Angabe dessen, was denn genau
erreicht werden soll, um auf die Frage «ja» oder «nein» zu antworten. Was heißt
‘denken’, zu dem die Tiere vielleicht nicht befähigt sind? Julia Fischer möchte
sich einen weiten Begriff des Denkens offen halten3; dadurch umgeht sie die
Frage, ob es vielleicht eine harte Zäsur in der Natur gibt zwischen der spezifisch
menschlichen geistigen Tätigkeit und der der anderen Tiere, eine Zäsur, die
grundsätzlich verhindert, dass sie, die anderen, sich über unser Denken oder
sonst etwas Gedanken machen. Wir sind der antiquierten Meinung, dass es
hierin eine Grenze zwischen Menschen und Tieren gibt; beim Fliegen ist uns
der Kondor überlegen, beim Schwimmen jeder Stichling, beim Kriechen die
Schlange, aber beim Denken stechen wir alle aus.
J. Fischer, Affengesellschaft, Berlin 2012, S. 90, aber damit geht auch die spannende Frage
verloren, wo die entscheidende Grenze zwischen Menschen und Tieren ist; die Sprache ohne
gleichzeitige Implikation des Denkens ist uninteressant, sicher auch für Humboldt, S. J. Fischer, Affengesellschaft, cit., S. 245.
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Zu den weiteren Festsetzungen soll gehören, dass die wahr-falschKennzeichnung den Sätzen im diskursiven Denken und Sprechen vorbehalten
bleibt. Eine passende Schraube wird man allenfalls als die richtige bezeichnen,
das Glucksen des Huhns beim Auffinden von Futter wird von den Küken als
willkommen erlebt, aber nicht als wahr oder falsch; welch ein Gelächter auf
dem Hühnerhof! Visionen sind nicht wahr oder falsch, sondern gehen nicht in
Erfüllung oder doch etc.
Dies also meinen wir, wenn wir von Denken sprechen. Wir haben uns auf
Autoritäten von Platon bis zu Ruth Millikan berufen, wir haben den Sachverhalt
pragmatisch auf ein plausibles Minimum reduziert und meinen, dass wir damit
gerüstet sind, um auf der Tierseite nachzusehen, ob dort die Bedingungen für
das so bestimmte Denken gegeben sind.
Im ersten Kapitel unserer Untersuchung sollen Raum und Zeit qua
zweckmäßige Vorstellungen von Tieren und Menschen erläutert werden. Die
Vorstellungsfähigkeit ist auf keine diskursive Denkleistung angewiesen, sie ist
zweckmäßig, aber nicht urteilsförmig. Im zweiten Kapitel wird das räumliche
und zeitliche Vorstellungsgeschehen von Tieren daraufhin befragt, ob wir in
ihm auf die Operationen stoßen, die zum Denken gehören könnten; auch hier
ist der Bescheid negativ; das mentale oder psychische Geschehen bei Tieren
wird von uns zwar mit Begriffen und Urteilen zu erkennen versucht, jedoch
damit noch nicht von den Tieren selbst so artikuliert. Das dritte Kapitel ist dem
Denken gewidmet und der Frage, wie es auf natürliche Weise entstehen konnte.
Der Vorschlag zielt auf eine Kooperation vieler Menschen, die eine deiktische
Handlung im öffentlichen Raum mit Lauten begleiten, die zu Behauptungen
werden, diese Behauptungen können bestritten werden. So entsteht das
bejahende oder verneinende Urteil als Keimzelle des menschlichen und nur
menschlichen Sprechens und Denkens.
Ein Zirkel, weil hierbei die Logik vorausgesetzt wird? Es sollen weder
die vorhergehende Naturgeschichte noch der Satz vom ausgeschlossenen
Widerspruch deduziert werden, sondern es werden die Bedingungen mit unseren
Sprech- und Denkmitteln rekonstruiert, die das Sprechen und Denken auf
natürliche Weise ermöglichen konnten, ohne Wunder, ohne Selbstbescheidung.
Wird nicht in diesem Ansatz das Denken mit dem menschlichen Sprechen
identifiziert? Wir kennen das Denken als eine logisch kontrollierbare Tätigkeit,
die grundsätzlich sprachlich geäußert werden kann und dadurch ihren
öffentlichkeitsfähigen Charakter zeigt. Wenn Tiere urteilsförmig denken können,
gibt es, wie schon erwähnt, zwei Zugänge. Sie haben entweder Äußerungsformen,
die unserer Sprache gleichen (z. B. Gesang), oder ihr Denken vollzieht sich zwar
ohne homologe Mitteilung, kann aber aus dem Verhalten eindeutig erschlossen
werden. Benutzt man dagegen die Wörter ‘Denken’ und ‘Gedanken’ für alle
mentalen Geschehnisse bei Menschen und Tieren, kann man unsere Titelfrage
gleich bejahen und sich gemeinsam mit den anderen Tieren einen feinen Tag
machen.
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Gehört unser Denken in das kognitive Kontinuum der Naturentwicklung,
so daß die mentalen Errungenschaften der Tiere alle Ansätze unseres Denkens
enthalten, oder gibt es einen Bruch in der Natur, den wir gleichwohl als
Naturphänomen erklären können? Wir plädieren für diese zweite These.4
3.1. Raum und Zeit
Raum und Zeit bzw. räumliche und zeitliche Dinge und Ereignisse ‘gibt’
es; sie sind Gegenstand unserer Alltagsüberzeugungen und der besterprobten
Wissenschaften. Wer an der wirklichen Wirklichkeit von Raum und Zeit zweifelt
und diesen Zweifel äußert, widerspricht sich selbst, wie wir schon sahen: Zum
öffentlichen Zweifel benötigt er beides, Raum und Zeit, ein räumliches und
zeitliches extra se, das mit Maßeinheiten und Uhren zu vermessen ist. Anders
aber ist es mit ihrem seltsamen, meist unbemerkten Double, der subjektiven
räumlichen und zeitlichen, immer perspektivischen Vorstellung. Wer einem
Saal sitzt, ist in ihn hereingekommen und hat sich dabei von seiner oder ihrer
räumlichen Vorstellung des Saales leiten lassen. Die individuelle Vorstellung
antizipiert den wirklichen Saal, in dem man sich gerade befindet, unweigerlich bei
jedem, und unweigerlich perspektivisch verschieden. Wenn wir annehmen, dass
psychische Tätigkeiten oder Geschehnisse irgendwie in den jeweiligen Personen
stattfinden (wo sonst?), dann müssen wir die Vorstellung des bestimmten
Raumes einbeziehen; sie ist subjektiv, sie ist in uns und auch in den Tieren, für
die wir zwangsläufig dasselbe annehmen. Der Raum selbst ist wie die Zeit eine
ontologische Gegebenheit, die Vorstellung von Räumlichem und Zeitlichem
sind dagegen zweckmässige Einrichtungen der Natur in den Lebewesen. Diese
Letzteren setzen, im Fall des Raumes, den objektiven Raum voraus und sind
subjektive Strategien des Überlebens in der objektiven Lebenswelt. Jeder von
uns ist getrennter Binnen-Kosmograph in dem einen Kosmos, und es gehören
auch Tiere zu den Kosmographen5. Wir finden also auf diese einfache Weise zwei
Räume, den objektiven, mit Raumteilen messbaren Weltraum, in dem wir und
alle anderen Lebewesen sind, und die subjektive perspektivische Raumarena, die
in uns und in gleicher Weise in allen anderen vorstellungsfähigen Lebewesen ist.
Diese Differenz des objektiven und je subjektiven Raumes ist nicht bestreitbar
und ist trotzdem ein völliges Rätsel. Sie findet sich als hilfreiche Täuschung in
Den Fehlschluß von stammesgeschichtlicher zu mentaler Kontinuität bei Markus Wild zeigt
aus neurokognitiver Perspektive A. Nieder, Der Tierphilosophie anthropomorphe Kleider: Wie
stammesgeschichliche Kontinuität mit kognitiver Gleichheit verwechselt wird, in «Erwägen - Wissen - Ethik», XXIII, 2012, S. 96-98. Vgl. auch R. Brandt, Tierphilosophie. Antwort auf Markus
Wild, in «Erwägen, Wissen, Ethik», XXIII,1, S. 44-46.
5
Nikolaus von Kues, Philosophisch-Theologische Werke, mit einer Einleitung von K. Bormann,
Hamburg / Darmstadt 2002, IV, Compendium VIII, S. 31: «Das vollkommene Sinnenwesen,
das Sinne und Vernunft besitzt, ist also wie ein Kosmograph zu betrachten, der eine Stadt mit
fünf Toren, nämlich den fünf Sinnen, besitzt, durch welche Boten aus der ganzen Welt eintreten und vom gesamten Aufbau der Welt berichten, […].» Wie Tiere, die ebenfalls mit äusseren
Sinnen ausgestattet sind, mit den Botschaften verfahren, interessiert Nikolaus von Kues nicht
und ist durch die gewählten Metaphern von vornherein ausgeblendet.
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der mentalen Tätigkeit der Lebewesen von den Stichlingen über die Grasmücken
bis zu unserem Präsidenten. Der Raum ist eine physikalische Weltgegebenheit,
die Raumvorstellung oder genauer: die Räumlichkeit eines Teiles unserer
Vorstellungen dagegen ein zweckmäßiges Naturprodukt, das sich mit Darwin
dechiffrieren lassen muss.
Die Raumvorstellung passt exakt zum objektiven Raum aller anderen
und ist doch subjektiv ausgegrenzt, ist schon bei der Grasmücke eine je eigene
Bühne, grenzenlos.
Unsere These: Wir entdecken die Entstehung von Sprechen und Denken
und damit die vermutliche Grenze zwischen Tieren und Menschen nur,
wenn wir die Naturteleologie über die Genese der Raumvorstellung hinaus
zur zweckbestimmten Überwindung der räumlichen Distanz durch Zeichen
betrachten, Zeichen, die bei den Menschen zu propositional geordneten
Symbolen wurden. Wir antizipieren: Die Denk- und Sprachgenese ist ohne den
Raum und die Raumvorstellung und die körperliche Gestik im Raum nicht
möglich. Die Sprache und das Denken der Menschen gehören entsprechend
zur Naturentwicklung der Menschen auf Grund des ganz unwahrscheinlichen
Zusammentreffens natürlicher Faktoren. Hirten und Priester hatten dazu
Wunder, ein kluger Ausweg, der uns nicht mehr offensteht.
Zur Orientierung: Wir kehren von der analytischen Philosophie zu einem
modifizierten Kantianismus zurück, in dem Ästhetik und Logik in neuer Form
voneinander getrennt werden. Raum und Zeit und Raum- und Zeitvorstellung
sind nicht auf Begriffe reduzierbar. Aber das muss hier noch ganz rätselhaft
klingen.
Beginnen wir mit der Phase der Entwicklung von selbstbewegten
Lebewesen, als sie lichtempfindliche Zellen ausbildeten und allmählich zu den
heute bei Tieren und Menschen üblichen verschiedenen Sehorganen gelangten.
Die Pflanzen hielten sich zurück. Während der Tastsinn über das Nervensystem
die unmittelbare Gegenwart anderer fester oder flüssiger Körper anzeigt und
der Geruchssinn schon über die eigene Körpergrenze hinauszielt und so zur
Lebenserhaltung beiträgt, ist der Sehsinn die erste große Als-ob-Veranstaltung
der Natur. Die lichtempfindlichen Zellen der Sehorgane übermitteln
dem Gehirn auf dem Weg über Nerven bestimmte Impulse, die neuronal
verarbeitet und in Form einer optischen Schaustellung vor dem Lebewesen so
ausgebreitet werden, ‘als ob’ das Ferne zum Greifen nahe sei. Dazu bedarf es
der zweckgerichteten Umwandlung des zweidimensionalen Sehbildes in ein
den haptischen Informationen angepasstes dreidimensional-perspektivisches
Abbild des Raumes selbst. Das Tier dort hinten, der andere Mensch hier vorne;
der Fernsinn des Auges bringt sie, zerebral vermittelt, in einer 3D-Fern-SehVorstellung zur Erscheinung, so dass sich das Lebewesen von dem Ort, an dem
es sich befindet, zu diesem oder jenem realiter bewegen oder vor ihm fliehen
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kann. In der Forschung wird von einer «dreidimensionalen Innenwelt»6, einem
«visuellen System»7 oder einer Raumarena der Lebewesen8 gesprochen.
Die räumliche Vorstellungsbühne ist so beschaffen, dass sie auch dort
aufgeschlagen oder ergänzt wird, wo keine optischen Empfindungen das
Lebewesen affizieren. Das höhere Lebewesen stellt sich Räumliches auch hinter
einer Wand oder dem eigenen Körper vor; der Hund imaginiert den gerochenen
Braten an einer realen Raumstelle, die im Moment nicht sichtbar ist, und
orientiert die eigenen Bewegungen in der holistischen Raumarena gemäß dieser
Information.
Wir haben es also mit zwei Raumarten zu tun. Es gibt einmal den Raum,
in dem wir selbst und andere sinnlich wahrnehmbare Körper plaziert sind
und, durch ihre räumlichen Gehirne gesteuert, interagieren; es gibt zweitens
den visuell stimulierten Vorstellungsraum, in dem das höhere Lebewesen sich
und andere Körper hier und dort hinten wie auf einer großen Bühne plaziert.
Wir trennen diese beiden Raumarten in der Praxis nicht voneinander, sondern
benutzen ebenso wie die Tiere den bloßen Vorstellungsraum als reale Ergänzung
in unserem Lebensraum. Die Verschachtelung wird aktualisiert, wenn wir
Menschen z. B. den inneren Vorstellungsraum in bildlichen Repräsentationen
nach außen stellen, so bei einfachen Bildern oder auch im Schauspiel. Dazu
sind Tiere nicht mehr in der Lage, sie können weder etwas abmalen noch
schauspielern. Sie imaginieren zwar etwas nicht Sichtbares auf der inneren
Raumbühne, sie antizipieren den Haken, den der Hase vermutlich gleich schlägt,
auf ihrer Vorstellungsbühne und rennen schon jetzt in die falsche Richtung, aber
sie können dies nicht noch einmal zum äußeren Bild erheben. Sie träumen, aber
stellen die Traumbilder nicht im Äußeren für sich und andere dar.
Es kommt eine dritte Raumart hinzu. Gegenüber der Raumtheorie noch
des 18. und 19. Jahrhunderts gibt es nicht nur Materieteile, die sich auf Grund
ihrer Kleinheit der menschlichen Anschauung entziehen wie schon Demokrits
Atome, sondern es gibt eine von uns erschlossene physikalische und räumliche
Wirklichkeit, die mit anderen Dimensionen operiert, als denen, die uns
vorstellbar sind. Am Maßstab unseres und der anderen Lebewesen gemessenen
Lebensraumes ist der dritte, erschlossene Raum übermäßig groß oder klein und
hat eine partiell andere Qualität; das war für die Wissenschaft vor dem Ende des
19. Jahrhunderts undenkbar. Heute verliert der physikalische Raum, von dem wir
N.Tinbergen, Vergleichende Erforschung angeborenen Verhaltens, Berlin-Hamburg 1979, S. 2425: «Während also viele Sinne Richtungsangaben machen, ist zur Wahrnehmung auch des Abstandes der Reizquelle vor allem das Auge befähigt. So ist es das wichtigste Werkzeug zur dreidimensionalen Innenabbildung der Außenwelt. […] Der Tastsinn läßt manche Tierarten eine
dreidimensionale Innenwelt aufbauen.» M. Tomasello, Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition, Frankfurt a.M. 2002, S. 26: «Alle Säugetiere
leben in grundsätzlich derselben sensumotorischen Welt, die in einem Repräsentationsraum
angeordnet wird […].» Weder Tinbergen noch Tomasello gehen auf die Herkunft dieses subjektiven Repräsentationsraums ein. Sie würden jedoch sogleich der Annahme zustimmen, dass
er darwinistisch akkreditiert, also zweckmäßig sein muss.
7
R.G. Millikan, Die Vielfalt der Bedeutung. Zeichen, Ziele und ihre Verwandtschadt, cit., S. 279.
8
D. Mainardi, Nella mente degli animali, Milano 2006.
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ausgingen, schon im 1. Semester seine anschauliche Wirklichkeit. Dieser dritte
physikalische Raum ist Gegenstand der Mikro- und Makrophysik und verbirgt
sich in Dimensionen und Realitäten, die wir weder anschauen noch vorstellen
können. Wir müssen also drei ineinander geschobene Räume unterscheiden,
am besten mit drei Namen: Newton, Darwin, Einstein. Mit Newton soll der
objektive Raum unserer traditionellen Geometrie und Physik gekennzeichnet
sein, mit Darwin die zweckmäßige perspektivische Raumvorstellung der
höheren Lebewesen (von Darwin selbst zufällig nicht thematisiert), mit Einstein
der Raum, der sich der Vorstellung entzieht, aber den Raum Newtons in sich als
Grenzfall begreift. Tiere halten sich, soweit wir wissen, an Darwin und zeigen
kein Interesse für Newton oder gar Einstein.
Der Theater- oder Vorstellungsraum der Tiere und Menschen, den die
Natur spätestens mit den Sehorganen9 entwickelt hat, ermöglicht es, das Ferne
als präsent anzusehen; der Löwe und der Hai sind hier sichtbar, obwohl sie
sich haptisch in dezenter Ferne befinden – die Kleinen sind optisch gewarnt.
Die äußere Erfahrung von Tier und Mensch ist ein Geschehen auch auf dieser
Sehbühne, es ist jedoch zu unterscheiden zwischen der sinnlichen Vorstellung
der jeweils gegenwärtigen Dinge und Ereignisse und der bloßen Imagination der
komplementären Gegebenheiten wie des deponierten Fressens hinter der Tür.
Wir und alle Tiere sind im Raum, und der Raum ist, soweit vorstellbar, in uns. Mit
diesem Rätsel vor unserer Körpertür wachen wir jeden Morgen bis zum Ende
auf.
Der eine Raum zerfällt also gemäß der heute landläufigen Wissenschaft in
drei unterschiedliche Raumarten: Den Raum der Makro- und Mikrophysik, den
dreidimensionalen Raum, in dem wir uns bewegen und orientieren, und den
isomorphen Vorstellungsraum von Lebewesen. Diese Trennung ist nur objektiv
möglich; subjektiv gibt es für Tiere und Menschen den physikalischen Raum
nicht, und eine Grenze zwischen dem wirklichen äußeren Raum der Lebenswelt
und dem inneren Vorstellungsraum, der inneren Raumarena, lässt sich in der
Vorstellungspraxis nicht nachvollziehen.
Ein wichtiges Indiz für die notwendige Trennung von physikalischer und
vorgestellter Wirklichkeit liegt darin, dass ein Widerspruch in der räumlichen
Vorstellung nicht für die physikalische Wirklichkeit gelten muss: Das sich der
Vorstellung Entziehende ist nicht notwendig physikalisch nicht existent. Wir
denken uns zwanghaft, dass es ein Kontinuum zwischen unserem Raum, in
dem wir gemeinsam mit den Tieren leben und unsere Vorstellungen entwickeln,
und dem theoretisch erschlossenen, uns sinnlich unzugänglichen Raum gibt.
So vermögen wir auch keine Differenz zwischen dem wirklichen Tier- und
Menschenraum einerseits und dem Vorstellungsraum, der Raumarena im
Inneren der Lebewesen, zu erkennen.
Ein anderer Unterschied, der uns interessieren wird, ist die perspektivische
Ausrichtung des inneren Vorstellungsraumes; hier und nur hier gibt es ein ‘hier’
Es ist nicht notwendig, dass mit den Sehorganen auch der Vorstellungsraum entwickelt wird;
Fledermäuse scheinen ihn nicht zu kennen.
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in der Anschauung jedes Lebewesens, während der Raum als solcher natürlich
kein ‘hier’ kennt. Wir werden gleich das Pendant dieser Dopplung in der Zeit
entdecken, und am Ende die Überwindung der perspektivischen Begrenzung,
die Menschen und Tiere in ihrer Raum- und Zeitvorstellung teilen, durch die
Sprache beim Menschen.
Aus philosophischer Schwerfälligkeit verdrängen wir die Tatsache, dass
die Raumarenen bei Tieren und Menschen je subjektive Kreationen sind, die
neuronal gestiftet und erhalten werden, wobei die sonst paradoxe Tatsache, dass
die Nerven und das Gehirn selbst wiederum räumlicher Natur sind, sich so
versteht, dass es sich hierbei um den primären objektiven Raum handelt, den
wir jedoch, durch das Gehirn vermittelt, in unserer subjektiven Raumarena
etwa bei einer für uns sichtbaren, weil gespiegelten Hirnoperation vorstellen.
Am Raum und unserer eigenen Existenz im Raum (qua res extensa) öffentlich
zu zweifeln ist, wie schon bemerkt, widersprüchlich, weil der mitgeteilte Zweifel
beides voraussetzt. Den nur allein gedachten Zweifel der cartesischen cogitatio
können wir als eristisch vergessen.
Aber an diesem paradoxen Sachverhalt sollten wir kurz stillhalten: Der
Vorstellungsraum der Lebewesen muss ein neuronales Erzeugnis eben dieser
Lebewesen sein. Sie stellen sich selbst und ihre Mitwelt räumlich vor und sind
zugleich der je subjektive neuronale Ursprung der eigenen Raumvorstellung. Das
muss für alle Lebewesen gelten: Sie schaffen die Bühne mit ihren lokalisierbaren
Neuronen selbst! Auch der homo sapiens sapiens, der hiergegen Einspruch erhebt,
muss erkennen: Das Gehirn ist als räumliches tastbares anschaubares Phänomen
sein eigenes Geschöpf, wir mögen diese Selbst-Erkenntnis vor uns verbergen, wo
wir wollen.
Erst durch die innere Bearbeitung von externen Reizen können wir also
auch unsere äußeren Wahrnehmungsorgane außerhalb von ‘uns’ wahrnehmen,
meine Augen hier, meine Ohren dort. Dasselbe gilt für die körperliche
Selbstwahrnehmung anderer Lebewesen und die reziproke Fremdwahrnehmung.
Ich bin hier an dieser Stelle im Raum, dann aber auch in der Wahrnehmung der
anderen Lebewesen an eben dieser Stelle in deren äußerem Wahrnehmungsraum.
Die Tatsache, dass sich viele Tiere auf den direkten Heimweg machen, nachdem
sie mit verbundenen Augen in irgendeinen Winkel des ihnen bekannten Territoriums
gebracht worden sind, wurde schon häufig als Beleg dafür interpretiert, dass sie über
so etwas wie mentale Landkarten verfügen, und zwar nicht nur über topologische
Karten in der Art eines schematischen Lageplans, sondern über Repräsentationen eines
abgemessenen geometrischen Raumes. […] Auf jeden Fall scheinen sie in der Lage zu
sein, eine Art von vielseitig verwendbarer Repräsentation der räumlichen Anordnung
eines Territoriums zu erzeugen.10
Die dreidimensionale Außen- oder Binnenwelt ist das identische Raster
für die Informationen aller äußeren Sinneswahrnehmungen, der Basar, in dem
sie sich treffen und ihr Material für die zweckmäßige Bearbeitung im Raum10
R.G. Millikan, Die Vielfalt der Bedeutung. Zeichen, Ziele und ihre Verwandtschaft, cit., S. 257.
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und Zeit-Gehirn abliefern, mögen es nun Düfte aus dem nahen Garten oder das
Klirren der metallenen Fahnen vom winterlichen Kirchturm sein.
Es wird an dieser Stelle gern ein subversiver Joker aus dem kleinstbürgerlichen Revers gezogen: Der Raum bei Tieren ja, aber ihr Raum sei ‘ganz
anders’ als unser Raum. So wie Gott denkt, aber Gott denkt doch ganz anders
als wir, please. Nun wird man sich beim Letzteren auf die Lösung einigen
können, dass es keine menschliche Erkenntnis des göttlichen Denkens gibt,
also ein «vacat» einzutragen und damit auch das vermeintlich tiefsinnige ‘ganz
anders’ als sinnlos zu streichen ist. Umgekehrt beim Raum der Tiere. Die Gazelle
kommt in Eigenbewegung und -orientierung zu exakt der Quelle, die wir von
hier aus sehen, es ist kein ganz anderer Ort als dieser dort. Damit erledigt sich
das ‘ganz anders’; Tiere mögen besetzte Raumstücke immer ganz anders sinnlich
wahrnehmen, aber an der Identität mit dem Raum, in dem wir uns mit ihnen
an einem bestimmten Ort treffen, ist nicht zu zweifeln. Er ist nur subjektiv,
weil er in der je eigenen Raumarena perspektivisch lokalisiert ist, aber objektiv
in dem Sinn, dass alle sehfähigen Lebewesen denselben perspektivlosen Raum
aufspannen.
Tiere und Menschen treffen räumliche (im Vorstellungsraum)
Unterscheidungen; Einzeller unterscheiden aus ihrem ‘Hier’ oben und unten,
alle höheren Tiere unterscheiden rechts und links und orientieren sich so am
eigenen Körper im Raum. Es kann keine Rede davon sein, dass diese mentalen
Leistungen schon Denkakte sind. Derselbe Einzeller bewegt sich zuerst nach
oben, dann nach unten, aber kann darin ein Widerspruch liegen?
Tiere und Menschen ergänzen die Räumlichkeit ihrer Vorstellungen
durch die Zeitlichkeit. Für alle mit Sinnen ausgestatteten Wesen gelten die
elementaren Zeitreihen des Vorher-Jetzt-Gleich und Früher-Später (modal und
relational). Wir setzen als selbstverständlich voraus, dass sich höhere Lebewesen
in der Vergangenheit orientieren und dass sie irgendwie Zukünftiges als solches
antizipieren können und dass die gerichtete Zeitlinie bei Mensch und Tier
identisch ist. Nur so ist ein kohärentes Verhalten der Lebewesen mit äußeren
Sinnen möglich, nur so sind wir synchrone Weltbürger, die Maus dort, ich hier,
die sich gegenseitig vorstellen und beäugen.
[...] viele Tiere müssen in der Lage sein, zukünftige Sachverhalte zu repräsentieren.
[…] für die meisten Tiere ist es notwendig, Zeichen für herannahende Raubtiere
zu erkennen, und diese Zeichen in ein angemessenes Verhalten zu übersetzen. Die
Erzeugung innerer Repräsentationen zeitlich distaler Sachverhalte ist in keiner Weise
exotischer als die Erzeugung räumlich distaler Sachverhalte.11
Die relationale, von uns messbare Zeit entspricht dem relationalen
wirklichen Raum mit den wirklichen Dingen und Ereignissen in ihm, während
die modale Zeit das Gegenstück zum subjektiven Vorstellungsraum ist, jetzt und
hier.
11
R.G. Millikan, Die Vielfalt der Bedeutung. Zeichen, Ziele und ihre Verwandtschaft, cit., S. 228.
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Raum-zeitlich organisierte Nerven verarbeiten die Einwirkungen der
äußeren Natur und führen zur physiologisch-psychologischen subjektiven,
leibgebundenen Weltformation. Menschen und Tiere erschaffen sich in der
identischen zweckhaften Raum-Zeit-Welt, in der sie sich und uns begegnen,
ihre je eigenen Selbst- und Weltanschauungen. Mit welchen Algorithmen diese
Formationen ermöglicht werden, wie groß der Energieaufwand ihrer Erzeugung
ist, wissen wir nicht. Die Raum-Zeit-Vorstellungen und -orientierungen sind
selbstverständlich identisch, bei uns nicht größer als bei den Mäusen und
Walen, aber perspektivisch sortiert wie bei mir hier und meinem Hauswal dort.
Dadurch ist es möglich, dass wir in derselben einen Welt leben, gemeinsam
spazieren gehen (von spatium, Raum) oder uns gegenseitig umbringen und so
unser Dasein und die Raum- und Zeitvorstellungen in ihm und den sonstigen
Aufwand beenden.
Wir haben keinen Grund, Tieren räumliche und zeitliche
Vorstellungsentwürfe zuzuschreiben, die nicht im natürlichen Lebensprozess
fundiert und begrenzt sind. Auf ihn zwecken sie ab, sei es unter der Leitung
einer angeborenen Direktive, sei es mit momentaner eigener Steuerung. Bei
Zugvögeln wird man beides annehmen; die Steuerung der weiten Strecken
übernehmen angeborene Verhaltensmuster, die Feineinstellung beim Anflug auf
den Ast erledigt dagegen der Vogelpilot individuell und selbst. Selbst, nicht frei.
Raum und Zeit sind unveränderliche formale Vorgaben der Reize
und Sinnesinformationen und des durch sie möglichen äußeren Verhaltens.
Wir müssen annehmen, dass beide von den Lebewesen als Vorstellungen
gewissermaßen für immer einverleibt wurden, um das Überleben in der
gemeinsamen realen Welt zu ermöglichen. Die innere Uhr der sogenannten
Taktgeberzellen findet sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten der
Organismen. Sie ermöglicht das subjektive Abschätzen von Zeitteilen, wobei
das Abzuschätzende, die vorgestellte Zeit, vorausgesetzt wird. Nur so geraten wir
nicht in die hermeneutische Tiefsinnsfalle des ‘ganz anders’.
Die äußeren Sinnesorgane liefern das Material, das von Tieren und
Menschen so verarbeitet wird, dass es möglich ist, dass sie einen Ortswechsel
durch Lenkung der Schwimm- oder Flug- oder Gehbewegung vollziehen
und dass sie den Ortswechsel anderer Wesen als solchen neuronal vermittelt
wahrnehmen und genetisch oder am Leitfaden der Erinnerung antizipieren.
Raum und Zeit sind objektiv äußerlich, aber auch verinnerlicht, so dass sie für
frühere und zu erwartende Erfahrungen verfügbar sind. Das Raubtier nimmt das
Beutetier dort hinten wahr und verfolgt es, indem es ihm den Weg, die Bewegung
antizipierend, abschneidet. Diese Vorstellung und Bewegung ist intentional
und damit zweckorientiert wie der Körperbau und die Organisation der Sinne.
Eigenes wahres oder falsches Denken ist für Tiere auch hier überflüssig.
Wir brauchen keine Übersetzung zu leisten, wenn von den Grenzen und
Orten eines Tierreviers gesprochen wird: Hier und dort hinten, wie für die Tiere
selbst. Die Zeit und die Zeitvorstellung führen zu demselben Ergebnis. Wir sind
auf eine wunderbare Weise in keine Utopien ausgelagert, sondern gehören in
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denselben einen Weltraum, und wir sind voll synchronisiert, keine Verspätung,
und keiner kommt je zu früh.
Die Vorstellung eines die Orientierung und Verortung ermöglichenden
Raumes und desgleichen der Zeit kann nicht exklusiv auf ein einziges äußeres
Sinnesorgan zurückgeführt werden, sondern dient der Realisierung aller
äußeren Vorstellungen als gemeinsame Bühne; ohne sie ist die Vorstellung
von Gegenständen und deren Bewegungen und Identität bei den heterogenen
äußeren Sinnen nicht möglich. Es gibt viele Arten äußerer Sinnesorgane, allein
41 unterschiedliche Augen sind registriert; es gibt sicher zahllose unterschiedliche
Arten, in denen die räumlichen und zeitlichen Inhalte der Wahrnehmungen
ausgebildet und erlebt werden; neben diesen subjektiven Ausgestaltungen gibt
es jedoch die eine gemeinsame Invariable, die den unterschiedlich organisierten
Lebewesen ermöglicht, ungleiche Bewohner der einen Welt zu sein. Eine
Probe: Wir können Fehlleistungen von Tieren und Menschen nicht darauf
zurückführen, dass für sie der Raum oder die Zeit unregelmäßig waren, dass der
Panther beim Sprung sein Ziel verfehlte, weil der Raum sich zusammengezogen
oder die Zeit sich verlangsamt hatte, wie immer der subjektive Eindruck war.
Desgleichen wird ein abwegiges Laborergebnis nicht damit bei der Prüfung
erklärt, dass Raum und Zeit in der Mittagsstunde pausierten. Wir unterstellen
für uns und alle belebten höheren Wesen, dass der reale und vorgestellte
Raum ein invariables System von Orten und Relationen ist, in dem sich die
Lebewesen selbst verorten und in das hinein jeweils subjektive, ego-implizite
Dinge, Eigenschaften und Erlebnisse gebracht werden. Diese Verortung durch
das Lebewesen bedarf keiner bewussten Tätigkeit oder gar der Begleitung durch
das irrtumsanfällige Denken. Raum und Zeit können nicht wahrgenommen
werden, und sie sind keine Gegenstände des Denkens der Tiere, und trotzdem
müssen wir sie ihnen als ein Apriori aller Erfahrung zugestehen.
Die Analysen der mentalen Fähigkeiten von Tieren setzen die Erstellung der
Raum-Zeit-Arena für die Vorstellung äußerer Gegenstände immer schon voraus,
etwa bei der Verwendung des Begriffs äußerer Sinnesorgane. Was ist dieses ‘außen’?
Die Augen, Nasen und Ohren gehören zur leiblichen Beschaffenheit der Tiere
und Menschen, von denen wir ausgingen. Jetzt haben wir zwei Gegebenheiten
entdeckt, die nicht materieller und auch nicht sinnlich-wahrnehmbarer Natur
sind und die doch von jedem, auch dem härtesten Materialisten und Sensualisten,
als real unterstellt werden müssen, so leid es uns tut: Raum und Zeit. Beide sind
übersinnlich, wiewohl den Tieren und Menschen als subjektive Vorstellungen
psychisch einverleibt.
Wir brauchen dieser Verrätselung nicht näher nachzugehen, sondern
nehmen eine stabile Raum-Zeit-Welt an, die zugleich bei jedem mit äußeren
Sinnesorganen ausgestatteten Lebewesen in einer isomorphen RaumZeit-Vorstellung in Ausschnitten repräsentiert werden kann. Ohne diese
stellvertretenden Vorstellungen hätten die Lebewesen keine Chance zu
überleben. Entwicklungsgeschichtlich müssen wir also, von Darwin belehrt,
annehmen, dass es einen objektiven, unvorgestellten Welt-‘Raum’ und dito
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Weltzeit gibt und dass die um ihr Leben ringenden Lebewesen sich Raum und
Zeit als isomorphe Matrix ihrer Vorstellungen verinnerlichen mussten, nur so
hatten sie im Kräftegetümmel eine Chance, bis in die Gegenwart vorzudringen.
Raum und Zeit und deren stellvertretende Vorstellungen bilden im
alltäglichen Verhalten von Mensch und Tier die Arena, in der alles stattfindet,
sie öffnet die Möglichkeiten und begrenzt und bestimmt sie. B liegt für alle
Lebewesen zwischen A und C, der Weg von A nach C führt über B (mutatis
mutandis), so in der vorgestellten, so in der wirklichen Raumarena. Lokale
Änderungen sind Änderungen in Bezug auf diese Örter.
Wir erkennen, wie falsch unsere gleichwohl ‘unentbehrliche’ Opposition
von Innen und Außen ist; als ob die Psyche oder Seele der Lebewesen ein innerer
Kasten ist, dessen Schlüssel wir zufällig verlegt haben. Den Kasten gibt es
nicht, aber es gibt doch, was mit der Metapher gemeint ist. Der naturalistische
Hirnforscher ist ganz ratlos.
In unsere erste Übersicht der mentalen Fähigkeiten von Tieren war
unwillkürlich der Begriff der Bewegung geraten. In der eigenen und fremden
Bewegung und der Abschätzung ihrer Geschwindigkeit müssen Raum- und
Zeitteile kalkulatorisch aufeinander bezogen werden. Wie dies bei Menschen
und Tieren geschieht, ist Gegenstand der naturwissenschaftlichen Forschung.
Sinnesorgane sind immer Organe spezifischer Unterschiede, qualitativer
(warm – kalt; laut – leise etc.) und räumlicher. Diese Unterscheidungsleistungen
der Sinne, ihr krinein, ist elementar und besagt nicht, dass die Sinne dazu der
Fähigkeit zur Bejahung und Verneinung bedürfen. Die Einzeller unterscheiden
oben und unten, aber nicht mit dem Bewußtsein, dass oben nicht unten und
unten nicht oben ist. Diese sinnlichen Unterscheidungen können sich auf die
feinsten Nuancen von Tönen und Farben etc. beziehen, ohne dass es expliziter
Verneinungen bedürfte.
Bezogen auf unsere Leitfrage halten wir fest: Wir können die diskursive
Tätigkeit des Denkens sicher nicht mit der Aufgabe der Lebewesen betrauen, eine
Raum- und Zeitbühne zu errichten, auf der die vielerlei Vorstellungen agieren
können und Bewegungen registriert werden. Also haben wir die Fähigkeit zu
denken in der Raum-Zeit-Anschauung nicht entdeckt.
Wenn man einräumt, dass Menschen und Tiere über äußere Sinnesorgane
verfügen, dann muss man einräumen, dass sich das Kennzeichen der
Äußerlichkeit in beiden Fällen auf den einen identischen Weltraum bezieht;
dasselbe gilt für die Zeit: Wenn Tiere über ein Gedächtnis und die Fähigkeit der
Antizipation und Identifikation von Ereignissen verfügen, dann ist die zugrunde
gelegte Zeit bei Mensch und Tier identisch. Würde dies nicht vorausgesetzt,
wäre eine Wahrnehmung wahrnehmender anderer Lebewesen nicht möglich,
von ihr waren wir jedoch als zugestanden ausgegangen. Wir könnten nicht mit
dem Hund in derselben einen Welt am Fluss Heraklits entlanggehen, und die
Fische könnten uns nicht wiedererkennen und aus dem Wasser grüßen. Der
Unterschied zwischen uns und ihnen besteht nur darin, dass wir Menschen uns
diese selbst nicht wahrnehmbare Voraussetzung aller Wahrnehmung bewusst
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machen können, genauer: Wir können sie diskursiv thematisieren, was weder
den Fischen noch sonst einem Tier gelingt. Sinnlich wahrnehmen lassen sich die
übersinnlichen Vorstellungen Raum und Zeit von niemandem, ihre Existenz
leugnen kann man trotzdem nicht.
Die Erstellung einer Raum-Zeit-Arena ist also sicher keine Denkoperation
der einzelnen Lebewesen; sie gehört zur irrtumsimmunen mentalen oder
psychischen Grundausstattung, auf die das Denken der Menschen keinen Einfluss
hat. Raum und Zeit sind intuitiv gewiss als Realitäten und Vorstellungen, alles
andere folgt später.
In welchem Hirnareal werden die Raum-Zeit-Vorstellungen bei Tieren
und Menschen generiert? Kann man die Räumlichkeit und Zeitlichkeit
operativ entfernen? Und: Stellen sich Tiere die Zeit als Linie vor? Oder sind ihre
Vorstellungen zwar zeitlich, aber sie selbst doch unfähig, die Vorstellung der Zeit
selbst als Linie zu imaginieren? Sicher.
Wenn Tiere etwas vorstellen können, sind sie nach der landläufigen
Zweiteilung von Leib und Seele beseelt. Blättert man in den deutschsprachigen
Publikationen, wird man kaum auf die sprachliche Wendung einer Seele der
Tiere stoßen, als ob man davon peinlich berührt wird. Niemand erhebt jedoch,
soweit bekannt, Einspruch gegen die Rede von psychischen Erkrankungen der
Tiere; nicht nur Säugetiere, sondern auch Vögel können durch Gefangenschaft
psychisch erkranken, zugestanden bis in die Sonntagszeitungen hinein. Aber die
Voraussetzung einer psychischen Pathologie, die Seele selbst, dem möchte man
nicht zustimmen und wendet sich ab.
Wir sollten noch eine mentale Leistung von Tieren und Menschen erwähnen:
Es ist das begrifflose Erstellen einer lebendigen Einheit des Körpergebildes, das sie
durch Selbstbewegung im Raum in die Zukunft hinein bestimmen. In und auf
allen drei Elementen des Wassers, des Landes und der Luft sind die Lebewesen
Dirigenten in der durch ihre neuronale Tätigkeit ermöglichten Raum-Zeit-Welt.
Nicht die Flügel, die Flossen und die Beine bewegen das Lebewesen, sondern
sie bewegen sich, so wie nicht die Augen das Ereignis an einem anderen Ort
erblicken, sondern das Tier oder der Mensch. Das höhere Lebewesen erfährt
sich als eine bestimmte Einheit in der Selbstbewegung und der räumlich-zeitlich
lokalisierten Sinneswahrnehmung; dieses Selbst gibt es nicht ohne die je eigene
mentale Tätigkeit, die den Pflanzen fehlt. Die fundamentale Selbstkonstitution
des Lebewesens durch die raum-zeitliche Selbstbewegung und die sensorische
Selbstlokalisierung scheint einerseits für jedes Lebewesen notwendig zu sein, sie
ist andererseits ein nicht erforschbares Apriori des Lebens; bis der Tod es fallen
läßt. Alles ohne propositionales Denken.
Es kennzeichnet die jetzige Tierphilosophie, dass sie sich nicht für die RaumZeit-Strukturen der Vorstellungen von Tieren (und Menschen) interessiert,
sondern sogleich die logifizierbaren Bereiche der psychischen Anlagen und
Tätigkeiten untersucht. Dass Tiere sich in unserem gemeinsamen Weltraum
bewegen und orientieren, aber darüber hinaus auch mit räumlichen und zeitlichen,
perspektivisch organisierten Vorstellungen ausgestattet sein müssen, wird hin
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und wieder erwähnt, wie wir sahen, aber nicht zu einem eigenen Gegenstand der
Untersuchung gemacht. Dieses Defizit bedarf wissenschaftsgeschichtlich einer
eigenen Untersuchung und Herleitung; es ist zu vermuten, dass die Dominanz
der analytischen Philosophie in der Nachfolge von Frege und Wittgenstein die
Ursache dieser Verkürzung ist. Auch die Orientierung am Diskurs entfernt den
Raum. Man teile einem reinen Geist bei einem telefonischen12 Anruf mit, was
das Räumliche an räumlichen Vorstellungen ist und was Faust meint, wenn er
vom «verfluchten Hier» spricht, und man wird das Ende des Diskurses wie schon
vorher der Logik erleben.
3.2. Gefühl, Bewußtsein, Selbstbewußtsein bei Tieren
«[...] denn es fühlt wie du den Schmerz.» Wohl nicht die Ameisen, aber
alle höheren Lebewesen. Wer sie quält, sei, so wünscht man, wieder gequält13.
Es muss ein rudimentäres Selbstgefühl bzw. Bewusstsein und Selbstbewusstsein
von Tieren geben. Das psychische Geschehen auf der Raum-Zeit-Bühne mit
den elementaren Kombinationen von Vorstellungen wird angetrieben durch
starke oder schwache Lust- und Schmerzimpulse. Wir berufen uns auf den
Entwicklungsgang der lebendigen Natur, die bei uns und in derselben einen
Weise bei den höheren Tieren die emotionale Attraktion und Repulsion
zur Lebenserhaltung eingeführt hat. Schmerz und Lust werden gespürt, sie
sind dadurch phänomenal erkennbare Impulse bei Menschen und Tieren.
Das begleitende Bewusstsein, die Aufmerksamkeit, kann durch Ohnmacht
oder Anästhesie außer Kraft gesetzt werden. Bei Menschen und Tieren gibt
es schwere Verletzungen, die sie im Moment einer tiefen Erregung nicht als
schmerzhaft spüren; sie sind sich dann der Verletzung nicht bewusst. Eine dieser
Erregungsformen ist die Panik, die Menschen und Tiere der Besinnung beraubt
und ausser sich bringt. So auch der raptus sexualis. Tiere können traumatische
Erfahrungen haben, die in der Psychotherapie behandelt werden, teuer und
entsprechend seriös.
Tiere und Menschen verfügen über ein Selbstbewusstsein je eigener Art,
ohne damit dieses Selbst im Denken zu thematisieren. Man denke an einfache
Phänomene wie die oben genannte Selbstverortung oder die Einschätzung
der eigenen Körpergröße und des Körpergewichts bei Katzen und Elefanten.
Die Selbsterhaltung vollzieht sich bei Tieren durch Verhaltensformen, die
zweckmäßig auf das eigene Leben und Wohlleben bezogen sind. Viele Tiere
haben die Fähigkeit zu bemerken, dass sie von anderen Lebewesen bemerkt
werden. Eine verwandte reflexive Anlage mag dazu führen, dass bestimmte
Tiere sich vor einem Spiegelbild auf sich beziehen können. Den Vorgang der
Spiegelung können sie sicher nicht als solchen erkennen. Sie wissen nach allen
Indizien nicht, was ein Bild ist. Kein Tier nimmt einen Spiegel, um etwas anderes
im Spiegel zu betrachten. So haben sie auch den iconic turn nie begriffen.
12
13
Die Idee mit dem Telefon verdanke ich Bernd Ludwig (Göttingen).
Der Wunsch muss gestattet sein, er soll jedoch nicht in Erfüllung gehen.
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Weder beim animalischen Bewusstsein noch Selbstbewusstsein liegt
zwingend ein Akt des propositionalen Denkens vor. Alle bisher genannten
kognitiven Leistungen bleiben der naturalen Situation verhaftet und sind
zweckhaft bezogen auf die Lebenspraxis, an die sie auch in Experimenten durch
das Kräftespiel von Lohn und Strafe gebunden bleiben.
3.3. Die Reizverarbeitung im Gehirn und das Verhalten und Handeln
Menschen und Tiere sind Lebewesen in einer Raum-Zeit-Welt; sie erfahren
Sinnesreize, die sie zweckorientiert so verarbeiten, dass das Erzeugnis bei Tieren
ein lebens- und arterhaltendes Verhalten ist.
Wir wissen heute, wie unglaublich komplex der Import der Sinnesreize ist,
in welche verwegene Hirnareale diese Reize geleitet werden, wie kompliziert es
im Gehirn zugehen muss, um das art- und individuenerhaltende Verhalten zu
erzeugen. Der Umschlag im Gehirn ist jedoch off limits, seit Urzeiten sind hier
die Fenster und Türen geschlossen, und wir müssen raten oder erschließen, was
da vorgehen mag. Die bildgebenden Verfahren zeigen keine Bilder von dem,
was wir wissen möchten, sondern nur Abfolgen von Epiphänomenen, die einem
anderen Geschehen kausal zugeordnet werden.
Um eine Antwort auf die Frage zu gewinnen, ob Tiere denken können,
haben wir jetzt zwei (schon erwähnte) Möglichkeiten. Es wird erstens aus der
empirischen Forschung gemeldet, dass Tiere einander als Urteile geordnete
Denkakte inklusive Negationen übermitteln, oder wir erschließen aus ihrem
Verhalten, dass das bejahende und verneinende Denken im Bereich ihrer
Kompetenzen liegt.
Zum ersten: Keine empirische Forschung hat bislang, wenn man die Flut
der Publikationen so zusammen ziehen darf, gemeldet, dass sie bei Tieren auf
die Mitteilung gestoßen ist, dass irgendetwas Interessenneutrales nicht der Fall
sei. Weder bei den Superorganismen14 noch bei den Einzellern oder höheren
organischen Lebewesen hat man offensichtlich dieses sichere Kennzeichen des
Denkens gefunden, die mitteilbare Behauptung und ihre Negation. Wenn ein
Bedürfnis nicht befriedigt wird, wenn eine bedürfnisbezogene Erwartung nicht
erfüllt wird, sind wir im Bereich der vitalen Attraktion und Repulsion oder
Leere, aber nicht der Meldung, dass etwas nicht der Fall ist.
Der zweite Weg ist die Erforschung der mentalen Tätigkeit selbst. Im
physischen, also raum-zeitlich erstreckten Gegenstand sind hierbei zugelassen
die materielle Grundlage von Neuronen und ihre Synapsen, die Kausalbeziehung
von Ursache und Wirkung und eine Teleologie, die diese Effektivbeziehung für
eine Zweckbeziehung nutzt15. Anschaulich können, wie in der übrigen Natur,
Dazu B. Hölldobler und E.O. Wilson, Superorganismus. Der Erfolg von Ameisen, Bienen,
Wespen und Termiten, Berlin / Heidelberg 2009.
15
Vgl. die Hinweise N. Tinbergen, Vergleichende Erforschung angeborenen Verhaltens, cit., S.
3-7.
14
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nur materielle Gegebenheiten und Raum-Zeit-Beziehungen werden, aber nicht
ein Warum und Wozu.
Grundsätzlich ausgeschlossen scheint auch die Erfassung der Gedanken
von Forschern, die mit der Beobachtung und Interpretation befasst sind. Die
Hirnforschung ist nicht selbstreflexiv, weil sie das forschende und denkende
Subjekt nicht als identisches zum Objekt der Erforschung machen kann. Ich
meine, wir können dies erweitern: Es werden keine Gedanken als solche erfasst,
sondern nur affektive Auswirkungen oder Begleiterscheinungen. Das gilt für
Mensch und Tier; oder können wir hoffen, eine Denktätigkeit bei Menschen
und – wonach wir suchen – bei Tieren im Gehirn zu finden? Alle physiologischen
Befunde sind verknüpft mit vitalen Prozessen, die vom Hirn aus gelenkt werden
können und die umgekehrt die Hirntätigkeit beeinflussen. Erregt etwa ein
Gedanke Angst oder Freude, lassen sich diese affektiven Regungen genau erfassen;
in das Innere des Denkens jedoch, das den Affekt auslöste, gelangte bislang kein
Forscher, weder bei Menschen noch bei den, wie wir meinen, gedankenlosen
Tieren. Aber wir bewegen uns im Bereich der Empirie und können nur bitten,
uns ein Protokoll der in den Gehirnneuronen von Bienen, Elstern oder Affen
und Menschen aufgefundenen Gedanken zu übermitteln, in welcher irdischen
Kodierung auch immer. Zwei mentale Ereignisse, denen die Forschung im
Konsens attestiert, dass sie einen Widerspruch darstellen, wohlgemerkt nicht die
gelehrten Aussagen über sie, sondern die neurologischen oder psychologischen
Tatbestände selbst. Ein kleiner Widerspruch, ein kurzer Denkakt sollen genügen
zur Antwort: Ja, Tiere können denken.
Das Hauptfeld der Forschung ist die Interpretation von Änderungen
im neuronalen Bereich und im Verhalten der Menschen und Tiere. Zwischen
Neurologie und externem Verhalten liegt die Psychologie, mit deren basaler
Raum-Zeit-Struktur wir uns schon befasst haben. Wenn Tiere befähigt sind,
sich und andere in die Hierarchie eines Rudels von Wölfen oder einer Schar etwa
von Dohlen16 einzuordnen, wird man versuchen, daraus Rückschlüsse für ihr
spezifisches Selbst- bzw. Identitätsbewusstsein zu ziehen.
Wir geben es auf, in der Hirnforschung der Tiere etwas über deren Fähigkeit
zu denken zu erforschen. Für das Offenlegen von Denken und Gedanken ist die
Hirnforschung bei Menschen und Tieren inkompetent.
Wir können ausschließen, dass sich Tiere zu ihren räumlichen und
zeitlichen Vorstellungen selbst verhalten, etwa so, dass sie sich nach einem Detail
in einem erinnerten Eigenschaftsbündel fragen: steckte am Hut des Jägers eine
Feder, oder wann sie dem Jäger begegnet sind. Insofern wird man nur mit sich
selbst organisierenden Vorstellungstätigkeiten rechnen können, die nicht durch
ein Ich oder ein einheitliches Bewußtsein beobachtet und dirigiert werden. Kein
Tier, so dürfen wir schließen, klagt im Alter über Gedächtnisschwund.
Die raum-zeitlichen Vorstellungen vermögen miteinander zu interagieren
und das Lebewesen zu einem zweckrationalen Verhalten zu leiten; aber warum
soll dieses psychische Geschehen nach propositionalen Strukturen verlaufen?
16
Ibid., S. 140.
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Es scheint eher so zu sein, dass wir unser Forschungsdenken in die nichtmenschlichen Lebewesen hinein projizieren und so das uns verschlossene
Geschehen in alter Ignoranz kolonisieren.
Bringen Tiere die mentalen Voraussetzungen zum Denken mit? Uns
interessieren speziell mentale Fähigkeiten, die zu dem eingangs charakterisierten
Denken gehören, etwa die Bildung von Begriffen oder das rein gedankliche
(nicht assoziative) Erschließen von Sachverhalten. Gedanken werden
gedacht, operational nach gewissen logischen Regeln erzeugt, so dass ihre
Reproduzierbarkeit beim Hörer gewährleistet ist. Wer von Gedanken von Tieren
spricht, sollte zeigen, wie Tiere genau ihre mitteilbaren Gedanken denken, oder
sollte auf das Wort ‘Gedanken’, ‘thought’ etc. generös verzichten.
Untersuchen wir Begriffe, Urteile und Schlüsse im Hinblick auf ihre
Tiertauglichkeit.
Können Tiere Begriffe bilden17? Kaum, denn Begriffe gehören in den
Zusammenhang von Ober- und Unterbegriffen und sind mögliche Prädikate von
Sätzen. Auch so: Begriffe gehören als solche nicht in die Psychologie18, sondern
die Logik, in der den Begriffen eine bestimmte Funktion zukommt. Kein Tier
folgt uns, so wollen wir wetten, beim Übergang von der Psychologie zur Logik19.
Begriffe werden geprägt und benutzt von Subjekten, die eben dies im Prinzip
rechtfertigen können. Glücklicherweise gibt es weniger anspruchsvolle Varianten,
nämlich wiederkehrende Typen (z. B. die Farbe rot) und Wahrnehmungs- oder
Eigenschaftsbündel («bundle or collection of different perceptions»)20; sie bilden
sich ‘stückhaft’21 heraus aufgrund der subjektiven Bedürfnisse der Arten und
Individuen und können relativ konstant sein. Sie genügen zur Steuerung eines
bestimmten Verhaltens; es können sich in diese Kollektion z. B. Hasselemente
einschleichen, so dass der Hund plötzlich losbellt und die Katze einen krummen
Buckel macht; warum nur? An Begriffen wird es nicht liegen. Die bundles of
perceptions entstehen im Vorstellungsfluss und können sich lange bewähren oder
rasch vergehen, mit dieser Kennzeichnug bleiben sie bei Mensch und Tier im
Bereich der Psychologie. Sie wechseln in die Logik, wenn sie logische Funktionen
Zu dem verfehlten Ansatz von Markus Wild vgl. die Kritik von A. Nieder, Der Tierphilosophie
anthropomorphe Kleider: Wie stammesgeschichliche Kontinuität mit kognitiver Gleichheit verwechselt wird,cit., und R. Brandt, Tierphilosophie. Antwort auf Markus Wild, cit.
18
Oder auch Chemie, Alexander Rigos, in «Geo», N. XX, 2013, S. 57: «Und so, als hörten sie
einen Satz, geraten die Tiere mit jedem der chemischen Begriffe in zunehmende Erregung.»
Die Tiere, die über chemische Begriffe verfügen, sind Ameisen. Sog. Wissenschaftler schätzen
nach Rigos (s. 58), «dass Ameisen im Allgemeinen zwischen zehn und 20 chemische Vokabeln
verwenden und diese zu Dutzenden Gemischen zu kombinieren vermögen – wenn man so
will, also zu Dutzenden von Sätzen.»
19
Vgl. zu einer einschlägigen Debatte im 17. Jahrhundert R. Specht, Das Allgemeine bei Locke,
Berlin 2011, S. 112-118 (allgemeine Vorstellungen, Urteile und Schlussfolgerungen bei Tieren).
20
D. Hume, A Treatise of Human Nature, hrsg. v. L. A. Selby-Bigge, Oxford 1896, S. 252 – A
Treatise of Human Nature I 4, 6 («Of Personal Identity»). S.J. Shettleworth, Cognition, Evolution, and Behavior, New York-Oxford 1998, p. 221 spricht von ‘prototypes’. J. Fischer, Affengesellschaft, cit. geht mit der Frage so um, dass sie den Tieren Begriffe zugesteht, der Frage jedoch,
wie diese Begriffe sich als solche zeigen sollen, ausweicht.
21
So N. Tinbergen, Vergleichende Erforschungen, cit., S. 104.
17
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übernehmen und sich erstens in ein stabiles Netz von Ober- und Unterbegriffen
fügen und zweitens eine Funktion in einem bejahenden oder verneinenden
Urteil übernehmen. Es ist nicht entdeckt worden, dass Tiere zu gemeinsamen
Tätigkeiten wie Nestbau, Jagd oder etwa Reviermarkierung sinnliche Zeichen
austauschen, die tatsächlich für Begriffe stehen und nicht nur von uns post
festum so interpretiert werden.
Wie steht es mit Zahlen und Mengen? Ein «grundlegendes Verständnis
von Anzahlen und Mengenverhältnissen ist nicht humanspezifisch, sondern
im gesamten Tierreich verbreitet.»22 In der Arbeitsgruppe der kognitiven
Neurowissenschaft von Andreas Nieder (Tübingen) wird gezeigt, wie sich
Tiere im Problembereich von Zahlen und Mengen verhalten und sich ihre
Kenntnisnahme in der Hirnforschung dokumentieren lässt. Nieder spricht
Tieren einerseits alle Symbole ab, läßt sie jedoch über abstrakte ‘Konzepte’
verfügen.
Basic numerical competence does not depend on language, it is rooted in biological
primitives that can already be found in animals. Animals possess impressive numerical
capabilities and are able to nonverbally and approximately grasp the numerical properties of
objects and events.23
In der Sache wird bei den Tieren eine rudimentäre Fähigkeit des Reagierens
auf unterschiedliche Anzahlen und Proportionen nachgewiesen, aber damit kein
intellektuelles Kontinuum von den Tieren zu den Menschen angenommen24.
«Animals can only non-verbally estimate numerosity», während wir genau
abzählen können, was ohne Sprache nicht möglich ist25. Wir wollen diesen
intellektuellen Fähigkeiten der Tiere nicht zu nahe treten: Sie reichen auch
nach Nieder nicht aus zu den geringsten Rechenoperationen mit den abstrakten
Größen, die ein Zahlbegriff voraussetzt. Die «numerical competence», die
Nieder findet, ist nicht hinreichend, numerische Identitäten festzuhalten,
dazu bedürfte es der sprachlich kontrollierten Begriffe. Daher Nieders strikte
Opposition gegen den jeden Versuch, ein mentales Kontinuum zwischen Tier
und Mensch herzustellen.
Das Urteil oder der Satz besteht rudimentär aus Namen und (oder)
Begriffen, aus Subjekt und Prädikat und kann und muss damit bejaht oder
verneint werden. Bejahung und Verneinung widersprechen einander und sind
als Behauptungen notwendig entweder wahr oder falsch. Auch hier winken die
Tiere ab und wollen mit der Logik nichts zu tun haben. Sie müssten dazu in
der Lage sein, das Urteil als Einheit zu begreifen, die auch dann erhalten bleibt,
D. Vallentin et al., Neurobiologische Grundlagen der Verarbeitung von Anzahlen und Proportionen im Primatengehirn, in «Neuroforum», II, 2012, S. 196-203, hier S. 196.
23
A. Nieder, The Neurol code for Number, in «Space, Time and Number in the Brain. Searching
for the Foundations of Mathematical Thought», hrsg. v. S. Dehance u. E.M. Brannon, Elsevier
2011, S. 103.
24
Ibid.
25
A. Nieder, Der Tierphilosophie anthropomorphe Kleider: Wie stammesgeschichtliche Kontinuität
mit kognitiver Gleichheit verwechselt wird, cit.
22
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wenn die inhaltliche Verbindung von Subjekt und Prädikat aufgelöst wird, d. h.
bei der internen Verneinung.
In der neueren Diskussion gibt es den Begriff «propositionale Einstellung»;
er soll auf Haltungen wie die des Glaubens, Meinens, der Überzeugung und
damit auch auf mentale Zustände von Tieren zutreffen. Nun ist das Wort
etymologisch ambivalent; es kommt von proponere, propositio und kann sich
einmal auf eine Vorstellung ohne innere Artikulation beziehen, aber auch auf
Sätze, also begrifflich artikulierte Urteile der Form «S ist / ist nicht P». Wenn es
das Haben von Vorstellungen meint, ist es unproblematisch, sie jedem höheren
Lebewesen zuzuschreiben. Der Hund von Pawlow hat die dringende Vorstellung
des Eintreffens des Fressens nach dem Klingelzeichen, die Assoziation von
beidem durch Gewohnheit führt ihn zum urteilsfreien Glauben, Überzeugtsein,
Meinen etc. Diese mentalen Einstellungen gehören zur Zweckausstattung des
Seelenlebens der Tiere, Darwin ist unser Zeuge. Wenn jedoch die propositio
urteilsförmig ist, wird man sie Tieren absprechen, da für Urteile Begriffe benötigt
werden und Tiere über keine Begriffe verfügen. Im ersten Fall wird man nicht
erwarten, dass die zweckgerichtete Vorstellung auch verneinend ist, im zweiten
ist die Möglichkeit der Verneinung der propositio eine notwendige Bedingung.
Wenn Tiere nicht urteilen, können sie sich und einander nicht
widersprechen. Sie mögen maulen, wenn ihnen etwas nicht passt (in unserer
Diktion, das ‘nicht’), aber niemals kommt ein Einspruch: «Halt, Sie widersprechen
sich!» Alle psychischen Prozesse und Dramen sind ein ruhiger oder wilder und
herzzerreißender Fluss, aber ein Widerspruch hat in diesem reinen Sein keinen
Ort. Und der Hund, der zugleich bissig und zahm ist? Die Antwort: Er beißt
nach außen und ist zugleich zahm nach innen.26
Wenn Tiere nicht urteilen, folgt natürlich, dass Tiere keine Urteile zu
Schlüssen verbinden können. Sie mögen zu einem Verhalten kommen, das in
unserer Sicht das Ergebnis von logischen Schlüssen ist, aber der Weg ist ihnen
versperrt; entsprechend steht der Tierphilosoph vor der Frage, wie das Ergebnis
genau aussieht und wie ein Weg frei von Wundern von a zu o führt. Der stoische
Philosoph Chrysipp hat schon um 380 v. Chr. vermutlich sein Veto eingelegt
gegen die Unterstellung, ein Hund verfolge einen Hirsch bei einer Weggabelung
am Leitfaden der stoischen Syllogistik: a, b, oder c; nun nicht a oder b, also
c27. Sowenig es Tieren gelingt, den Raum und dessen Vorstellung geometrisch
zu bestimmen und Beweisfiguren zu entwickeln (nicht nur die Bienenwaben
ungefähr im Sechseck zu bauen), so wenig ist es ihnen vergönnt, ihrem mentalen
Geschehen von Vorstellungen die Form zu geben, die von der Logik verlangt
wird. Die Gesetze, die sie beherrschen, sind nicht die der Logik, sondern der
Psychologie mit den Kräften der Attraktion und Repulsion und angeborenen
ökonomischen Mustern. Sollte nun doch ein Hund seine Beute mit dem
Platon, Politeia 375c7-376c5. Sämtliche Werke, hrsg. v. E. Grassi, Hamburg 1959, III, S.
112-113.
27
Vgl. dazu L. Floridi, Scepticism and Animal Rationality: The Fortune of Chrysippus’ Dog in
the History of Western Thought, in «Archiv für Geschichte der Philosophie», LXXIX, 1997, S.
27-57.
26
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Syllogismus verfolgen, dann möchte man gern wissen, in welcher Sprache der
Syllogismus sich präsentiert bzw. vom Hund formuliert wird. Chrysipp hat
diesen Nichtgedanken klugerweise vermutlich abgewiesen. Nicht unwichtig:
Die gesamte antike und mittelalterliche Tierphilosophie verzichtete darauf,
ihre Aussagen experimentell zu stützen; bei dem Hund hätte man sogleich
erkannt, dass das postulierte Nicht-Riechen des dritten Weges experimentell
nicht nachgewiesen wurde (Experimentell: Nicht durch wiederholte Erfahrung,
sondern das Arrangieren der Bedingungen eines Geschehens! Das gibt es bei
aller Tierbeobachtung nicht in der Antike und nicht im Mittelalter).
Wir müssen Tieren die veranschaulichte Vorstellung von Zielen des
eigenen und des fremden Verhaltens zubilligen, bei letzterem auch der rein
mechanischen Bewegung, etwa bei einem vorbei oder heran fliegenden Ball.
Tiere antizipieren in ihrer Raum-Zeit-Arena die Ergebnisse sei es eigener, sei
es fremder momentaner Tätigkeiten und tragen das, was noch nicht ist, in
die strukturierte Karte ein und bewegen sich dann auf das imaginierte Ende
zu28. Die Repräsentation des Zieles des eigenen Verhaltens hat eine anleitende
Funktion der Attraktion oder Repulsion oder auch des Experimentierens oder
Probierens, d. h. des Sammelns von Erfahrungen z. B. zur Überwindung von
Hindernissen. Dies alles geschieht, ohne dass sich das propositionale Denken
einmischt – glücklicherweise, denn auf das Denken müssten die Tiere und ihre
Fürsprecher wohl lange warten.
Wenn Tiere sich Werkzeuge zurecht biegen können, dann werden wir uns
bescheiden und gestehen, dass wir den dazu nötigen mentalen Vorgang nicht
kennen. Es könnte ein Derivat der angeborenen Fähigkeit zum Nestbau sein29,
es können Assoziationen von zielgerichteten Vorstellungen sein. Wir können
deswegen jedoch nicht die Psyche mit Kalkülen bevölkern, die wir uns bei
solchen Gelegenheiten ausdenken.
Menschen und Tiere leben in dem einen gemeinsamen Raum und der
einen gemeinsamen Zeit; sowohl Menschen wie auch Tiere haben räumlich und
zeitlich geordnete Vorstellungen, die sich auch auf Dinge und Ereignisse beziehen,
die den Sinnen im Moment nicht präsent sind. Der Hund stellt sich offenbar
die Katze vor, die auf dem Baum verschwunden ist; das Raubtier stellt sich die
Gazelle vor, die es verfolgt, die aber in einer Bodensenke unsichtbar geworden
ist. Tiere wie Menschen entwerfen individuell eine perspektivisch angelegte
Raum- und Zeitarena, die in unsere gemeinsame Welt eingepaßt ist. Nur so sind
die äußere und innere Erfahrung und die gesteuerten Bewegungen möglich.
Die Gefühle von Lust und Schmerz, die Begehrungen und Leidenschaften sind
körpergebundene Ereignisse der Einzelwesen, die sich zugleich nach außen
wenden; die Tiere sind hierbei überraschend selbstbezüglich und eher autistisch
als kommunikativ. Den Schmerz des Hungers erlebt jedes Körperwesen allein
und für sich; das den Menschen vorbehaltene Urteilsdenken ist dagegen immer
Vgl. R.G. Millikan, Die Vielfalt der Bedeutung. Zeichen, Ziele und ihre Verwandtschaft, cit.,
S. 262 ff.
29
Zu den „Kunsttrieben“ von Tieren vgl. H. S. Reimarus, Betrachtungen über die besonderen
Artend er thierischen Kunsttriebe, Hamburg 1773, u. ö.
28
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schon durch seine Form universal, es verdankt sich einer kollektiven Erzeugung
und bleibt dem öffentlichen Forum verhaftet. Wie dies möglich wurde, soll am
Schluss konjiziert werden.
Der antike Philosoph Aristipp wurde mit einer Gruppe anderer Reisender
auf eine Insel verschlagen. Am Strand entdeckten sie eine geometrische Figur
im Sand, «Vestigium hominis video! Ich sehe die Spur eines Menschen!» rief
der Philosoph aus. Was gab ihm die Sicherheit, dass die Figur nicht durch
Zufall von Wind und Wasser geformt worden war? Oder dass eine seltsame
Tiergattung diese Figur bei ihren Balztänzen formte? Die Reisenden waren
von der früheren Gegenwart von Menschen überzeugt, weil es sich um eine
geometrische Beweisfigur handelte, und die Denkoperationen, die zu einem
Beweis nötig sind, nach allen Erfahrungen nur Menschen vollziehen30. Kein Tier
kann denken, dachten die Reisenden kühn, und behielten Recht können.
Metakognition ist die reflexive Erkenntnis des eigenen mentalen Vermögens.
Sind Tiere zu dieser Selbstthematisierung in der Lage? Zunächst: Sie können mit
Sicherheit nicht zwischen physischen und psychischen Phänomenen als solchen
unterscheiden, sie haben mit Sicherheit keine theory of mind, die sich nur im
Gegensatz zu einer theory of body begreifen könnte, doch wohl postcartesianisch
ist, es sei denn, einige Tiere hätten einen anderen Seelenbegriff und folgten einer
biblischen oder aristotelischen bzw. neoaristotelischen oder gar animistischen
Lehre. Ist diese Theorie sprachfrei? Etymologisch legt sich das nahe, weil theoria
‘Schau’ heißt, also ‘Seelenschau’ wie ‘Himmelsschau’. Aber daran dürfte hier
nicht gedacht sein; die Entdecker oder Erfinder der neuen animalischen theory of
mind werden ans Englische gedacht haben. Ist die theory of mind angeboren und
irrtumsfrei? Oder erwerben die Tiere die Theorie in ihrer Jugend individuell?
Ist es immer dieselbe Theorie? Fragen über Fragen im Angesicht größter neuer
Autoritäten.
Können Tiere ihre eigenen psychischen Kräfte in ihren Grenzen erkennen?
Die Katze ‘weiß’, wie weit sie ungefähr springen kann; es ist der habituelle
Umgang, der sicher nicht darauf angewiesen ist, die eigenen psychischen und
physischen Kräfte zu thematisieren, die Katze muss sich nicht propositional
sagen, dass der Sprung zum Nachbardach zwar ein wunderbares Flugerlebnis,
aber auch das Ende ihres Lebens überhaupt wäre. Sie denkt nicht daran, auf das
Nachbardach oder den Mond zu springen. Da sie nicht daran denkt, braucht
sie sich die Negation nicht zu eigen zu machen. Wenn man die psychologischen
Einsichten von Tieren ihres Theoriecharakters entkleidet und rein praktisch
interpretiert, könnte man sie mit Ruth Millikan als «uniception» fassen.31
Große und kleine Tiere sind insgesamt unmündig, ihnen können
nicht ernsthaft bestimmte Handlungen und eventuell deren Folgen rechtlich
‘zugeschrieben’ werden. In der deutschen Sprachtradition wird der Begriff der
‘Zuschreibung’ als Übersetzung der rechtlichen ‘imputatio’ benutzt, und wir
R. Brandt, Philosophie in Bildern, Köln 2001, S. 194-200.
R.G. Millikan, What’s Inside a Thinking Animal? in «Welt der Gründe. Beiträge zu den Kolloquien des XXII. Kongresses für Philosophie in München», hrsg. v. J. Nida-Rümelin und E.
Özmen, Hamburg 2012, S. 25.
30
31
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würden mit einem Salto zurück in die Antike und ins Mittelalter springen, wenn
wir Tiere für sittlich und rechtlich verantwortlich hielten, auch wenn der Hund
dort drüben die Wiedergeburt des Parmenides oder Mephisto selbst sein sollte.
Tierisches Verhalten läßt sich ‘beschreiben’, aber die psychische Ausstattung
ist nicht beschreibbar; man wird hier in einem nicht-rechtlichen Sinn von
Zuschreibung sprechen, etwa: Wir schreiben Tieren die Fähigkeit des nichtphysischen Leidens zu, etwa beim Tod von Jungen.
3.4. Die Assoziation von Vorstellungen
Der Titel bezieht sich auf eine antike und bis in das 19. Jahrhundert lebendige
Theorie der Psyche von Tieren und Menschen, gemäß der es Verknüpfungen
von Vorstellungen gibt, die in der Ähnlichkeit, Nähe und kausalen Abhängigkeit
von numerisch unterschiedenen psychischen Gegenständen oder Ereignissen
begründet sind. Hierbei kann es sich um epistemische oder auch emotionale
Eindrücke oder Erinnerungen handeln. Platon und Aristoteles, Leibniz, Hume
und Kant nehmen das Assoziationsphänomen als unbezweifelbar an, wie jedes
Historische Wörterbuch ausweist. Jeder kennt es durch Selbstbeobachtung oder
die Beobachtung des Verlaufs von Gesprächen und Erzählungen. Die für uns
entscheidende Frage lautet jedoch: Handelt es sich um ein häufig auftretendes
Phänomen, oder gibt es ein Assoziationsgesetz, gemäß dem alle psychischen
Prozesse überhaupt assoziativ verlaufen? In diesem letzteren Fall wäre unsere
Trennung von Psychologie und Logik nicht haltbar, weil das gesamte Denken
den Assoziationsprinzipien unterliegt und alle Tiere und Menschen über dieselbe
Vernunft verfügen32. Dies impliziert einen psychologischen Determinismus; ein
im Kausalnetz nicht zu verortendes Menschen-Ich hätte dann ausgeträumt, es
wäre als subjektive Illusion leicht aufzuspüren und auszutreten.
Der bekannteste Vertreter dieser Auffassung ist David Hume. Seine gesamte
Philosophie folgt der «connexion or association of ideas»; ihre Bestandteile sind
Vorstellungen und Eindrücke und deren drei Assoziationsformen, «resemblance,
contiguity in time or place, and cause and effect»33, dies sind die «elements of
this philosophy»34. Sie bilden eine gesetzliche Ordnung, wobei das Muster
die kosmische Ordnung ist, die durch die Schwerkraft erstellt wird. Newton
mit seiner exakten Wissenschaft der Körper dient als Vorbild. Wie immer wir
bezweifeln mögen, dass wir die Natur der Kräfte selbst erkennen können, die
gesetzliche Ordnung ist nach Hume so wenig im Inneren wie im Äußeren zu
leugnen.
Im Kapitel über die persönliche Identität schreibt er: «For my part,
when I enter most intimately into what I call myself, I always stumble on
some particular perception […].»35 Nun sollte der Inhalt der Lehre auf ihre
D. Hume, A Treatise of Human Nature, cit., S. 176-179.
Ebd., S. 11.
34
Ebd., S. 13.
35
Ebd., S. 252.
32
33
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Darstellung selbst anwendbar sein; man kann also billig von Hume verlangen,
in seinem d. h. im ersten Buch des Treatise auf das ‘I’ zu verzichten und durch
die Vorstellungskomplexe, die gebündelten ‘perceptions’, zu ersetzen. Das von
ihnen getrennte ‘I’ ist ja eine Illusion, die damit auf ihre wahre Nichtigkeit
reduziert wäre. Hume macht jedoch durchgängig von einem ‘I’ Gebrauch, das
nicht identisch sein kann mit dem ‘myself’, von dem in unserem letzten Zitat die
Rede war und das dem ‘I’ gegenübersteht. Es muss eine notwendige Instanz sein,
von der die Hume´sche Theorie selbst nichts weiß.
Ein zweiter Punkt betrifft die Negation. Es gibt Bestimmungen, die im
positiven Naturalismus nicht aufgehen. So die Idee der «non-existence»36, die
nicht aus dem Fundus der naturalen «impressions» kommt, denn die NichtExistenz gehört weder zur äußeren noch inneren Natur und ihrem Gravitationsbzw. Assoziationsmechanismus, und man wird sie entsprechend im bundle of
perceptions vergeblich suchen. Es soll gelten «Whatever we conceive, we conceive
to be exsistent»37. Aber der Treatise of Human Nature beginnt mit dem Satz:
«Nothing is more usual and more natural for those, who pretend to discover any
thing new to the world in philosophy and the sciences than [...]». Das Satzsubjekt
ist also das alt-ehrwürdige ‘nothing’, vor dem schon Parmenides warnte38. Hume
beginnt seine Untersuchung mit der Anrufung dieses ‘nichts’. Dies scheint
zunächst nur eine façon de parler zu sein, auf die auch verzichtet werden könnte.
Aber erstens ist damit das wenn auch überflüssige Vorkommen dieses RedeNichts nicht erklärt, und zweitens ist der gesamte Treatise durchsetzt von an sich
verbotenen Negationen. Hume widerlegt andere Autoren und widerlegt damit
sich selbst, denn die Assoziationsgesetze bilden eine positive Barrikade gegen
alle sachhaltigen Verneinungen. Die «elements of this philosophy» sind, wie wir
sahen, «impressions» und «ideas» und ihre drei Assoziationsformen, «resemblance,
contiguity in time or place, and cause and effect», also ein durchgängig positiv
besetztes seelisches Aufkommen, etwas, das nicht ist, ist nicht in Sicht. Wo sind
die «impressions» und «ideas» der «existence and non-existence»39, besonders der
letzteren?
Falls die beiden Punkte der Kritik stichhaltig sind, könnte eine
gemeinsame Lösung im Rückgriff auf Kant gefunden werden, im «Ich denke»
und der Urteilstheorie. Das ‘Ich’ der Kritik der reinen Vernunft ist für alle
Verstandestätigkeit unentbehrlich, und es kann nicht als ein bundle of perceptions
erkannt werden. Dieses unhinterschreitbare Ich und seine Spontaneität muss als
der Grund der Möglichkeit jedes Urteils gedacht werden, und dies ist entweder
bejahend oder verneinend (oder unendlich). Die Verneinung braucht also nicht
vergebens aus dem Fluß von Perzeptionen herausgewrungen zu werden, sondern
entspringt der spontanen Tätigkeit des Denkens in Urteilen.
Und ein letztes Bedenken: «To consider the matter aright, reason is nothing
but a wonderful and unintelligible instinct of our souls, which carries us along
Ebd., S. 5.
Ebd., S. 67.
38
Parmenides Fragment 7: «Denn es ist unmöglich, dass Nichtseiendes sei (...)»
39
D. Hume, A Treatise of Human Nature, cit., S. 15.
36
37
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a certain train of ideas, [...]»40. Ist dieser «train of ideas» der Autor eines Werks,
dem man zustimmen soll und gegen das man Einwände hat? Dem wird man
nicht zustimmen wollen, weil die Möglichkeit der Ablehnung nicht vorkommt.
Die Ansprüche des Hume´schen Determinismus lassen sich auf diese Weise
oder anders widerlegen. Damit aber ist die Assoziationspsychologie für Tiere
und Menschen, wenn sie nur auf den gesetzlichen Allanspruch verzichtet, frei
verfügbar. Der Fall des Pawlow-Hundes kann dann aus seiner deterministischen
Betonierung befreit und als lokale Angelegenheit rehabilitiert werden: Wir
können sagen: So weit wir wissen, funktioniert hier die künstliche Abfolge von
Klingelzeichen und Fressen vorzüglich. Die anschließende Reflexion darüber
lässt sich jedoch nicht mehr mit den Mitteln der Assoziationspsychologie
rekonstruieren und beurteilen.
Zu den entscheidenden Punkten im Übergang von der Psychologie zum
logisch kontrollierten Denken gehört: Die psychologischen, auch assoziativen
Vorstellungssequenzen sind privater Natur, das Denken ist nur als öffentlicher
Akt erklärbar. Pawlows Hund ist dieses eine trainierte Individuum, das Denken
dagegen geschieht in einer wirklichen oder doch möglichen kollektiven
Öffentlichkeit. Die Vorstellungen, die das Denken ermöglichen, sind öffentlich
fixiert, während die psychologischen Syndrome und Verläufe sich selbst im
Mentalbereich des Einzelnen und allenfalls des Du in Nachbarschaftsnähe
genügen.
3.5. Das Denken der Menschen
Ein Held unserer Zeit: der sympathische Affenforscher, der alles schon bei den
tierischen Vorfahren angelegt sieht. Er erkennt seine Mission darin, gegen die Arroganz
von homo sapiens aufzutreten, der sich einbildet, er habe Neues in die Welt gesetzt. Der
Gradualist setzt auf Übergänge. Vom Unterschied zwischen Faustkeil und h-moll-Messe
will er nichts hören. Und das breite Publikum gibt ihm recht, weil es in seiner
Schwankung zwischen dem Affen und dem Genie lieber die Tierseite wählt41.
Zu den mathematischen Analysen fehlten nähere Angaben, auch zu der
Frage, was denn satzähnlich heißt. Just pronounce the word ‘science’, and all is okay.
Als die Tiere sich von den Pflanzen trennten und sich im Raum zu bewegen
begannen, brauchten sie eine Hilfe bei der Orientierung: Wohin schwimmt,
fliegt oder geht man heute, und wohin lieber nicht? Die aus lichtempfindlichen
Zellen entwickelten Augen entstanden an den günstigsten Körperstellen, um
Ausschau zu halten und zu warnen und zu verlocken. Keine Pflanze konnte es
den Tieren nachtun und Augen gebrauchen und andere und sich selbst sehen
und vorstellen.
Beim Überschritt von den Tieren zu den Menschen spielt wieder der
Raum und die Ent-Fernung die entscheidende Rolle. Während der Augensinn
immer an den einzelnen Körper des Fisches, Säugetieres oder Vogels gebunden
war, entwickelten die Menschen im Naturprozess eine mentale und physische
40
41
Ebd., S. 179.
P. Sloterdijk, Zeilen und Tage. Notizen 2008 - 2011, Berlin 2012, S. 260.
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Tätigkeit, durch die sie sich über Geschehnisse im Raum und später über
Geschehnisse und Fakten überhaupt informieren und öffentlich austauschen
konnten. Das Denken und die sprachliche Mitteilung waren diese natürliche
Errungenschaft, mit der die Menschen die Tiere überboten, sich unterwarfen
und zum Thema ihrer Vorträge machten.
Können Tiere denken? In der Tradition dieser alten Frage wird ‘denken’
als diskursive Tätigkeit gefasst, die mit bestimmten versetzbaren Elementen,
Symbolen, vorgenommen wird und sprachlich ausgedrückt werden kann.
Denken unterliegt der Logik; die Logik ist ein «Begriffssystem, welches das
Denken ermöglicht und dem sich jede von denkenden Wesen benutzbare
Sprache anpassen muss.»42 Es werden mindestens zwei Symbole so vereinigt, dass
sie verknüpft bleiben, auch wenn sie in der Verneinung das Getrenntsein ihrer
Bedeutungen oder gemeinten Inhalte besagen. Wir fixieren das Denken auf die
mentalen Operationen, die entsprechend in einem Grundschema von «S ist / ist
nicht P» vollzogen werden. «Der Vogel fliegt». Dieser in sprachlichen Symbolen
formulierte Satz drückt einen Denkakt aus, den wir bei keinem Tier unterstellen
können. Seine grundsätzlichen Eigentümlichkeiten: Die Bestandteile des Urteils
sind Namen oder Begriffe, die in Symbolen ausgedrückt werden. Symbole sind
im Unterschied zu Zeichen künstliche Setzungen. Der Satz ist negierbar: «Der
Vogel fliegt nicht»; er ist wahr oder falsch, er ist im Prinzip in alle menschlichen
Sprachen übersetzbar; er kann als Prämisse in einem Schluss dienen, und
Schlüsse sind ohne Sätze dieses oder eines anderen Typs nicht möglich. Anders
als das Sein und die Natur selbst ist das Denken widerspruchsfähig. Also: Sätze
oder Urteile können einander widersprechen und unterliegen dem Satz vom
ausgeschlossenen Widerspruch. Z. B.: «Es gibt eine widerspruchsfreie Logik / Es
gibt keine widerspruchsfreie Logik». Dagegen: Kein Seiendes ist widersprüchlich,
weder der Mond, den man zur Hälfte sieht und der doch rund und schön ist,
noch die Atome, unteilbar, und schon sind sie ohne Widerspruch gespalten,
noch irgendein anderes Phänomen in der widerspruchslosen physischen und
psychischen Welt.
Das notwendig negierbare Urteil findet sich seit Platon in der Logiktradition,
wie wir gleich zu Beginn sahen; auch Ruth Millikan beruft sich darauf; das
Denken der Menschen entwickele sich mit dem Gebrauch der Sprache qua
«representation that has the subject-predicate structure, the predicate being
sensitive to a negation transformation.»43 Tieren sei die Negation unbekannt,
weil sie nicht denken. Ruth Millikan nennt als Beispiel die Bienen: «Different
bee dances can tell of nectar in different places, but there are no bee dances that
say where there isn´t any nectar.»44 Wenn die Bienen mit hängenden Köpfen
und traurigen Mienen zurückkommen, dann entnehmen wir dieser Gestik und
Mimik die negative Botschaft «Da ist nichts», aber die Bienen winken ab; dass
da ‘Nichts’ sein bzw. doch nicht sein soll, können sie nicht begreifen.
Th. Nagel, Das letzte Wort, Stuttgart 1999, S. 58.
R.G. Millikan, What’s Inside a Thinking Animal?, in Welt der Gründe, cit., S. 4.
44
Ibid. Ich sehe nicht, wie Millikan trotzdem vom Denken und den Gedanken der Tiere sprechen kann.
42
43
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Ist je eine andere Äußerung irgendeines Tieres nachgewiesen worden, in
der es jaulend oder singend und tanzend mitteilt, etwas sei nicht der Fall? Die
gesuchte Mitteilung soll explizit sein, also nicht in einem Verhalten bestehen,
aus dem zu erschließen ist, dass irgendetwas im Bedürfnisbereich des Tieres
nicht da ist.
Alle mentalen Regungen der Tiere gehören in die Psychologie, Stolz und
Demut, Aggression gegen andere und Zuneigung zu den Nachkommen, Triebe
und Instinkte, das ganze Treiben, das wir auch von Menschen kennen und vieles
mehr, wie wir gerne zugestehen. Mit dem ersten Satz oder Gedanken (ob nun
als Beschreibung oder, als Derivat, Befehl oder Gebet etc.) wird ein Sprung aus
dem psychischen Geschehen in die Logik vollzogen, die völlig neue Gesetze mit
sich führt. Einen Gedanken oder ein Urteil zu denken, ist auch ein psychisches
Unternehmen, aber nicht nur; mit diesem ‘nicht nur’ wird der Vorhang geöffnet
zu einem neuen Schauspiel auf unserm Planeten.
Wir legen wert auf die explizite Negation, weil an ihr die logisch-künstliche
Operation des Urteilens noch sinnfälliger wird als bei der bloßen Bejahung.
Eine Negation als solche gibt es nicht im turbulentesten Flussgeschehen des
psychischen Verlaufs, sondern erst unter der Obhut logischer Regeln.
Gedanken oder Denkakte lassen sich sprachlich formulieren und mitteilen.
Wir sehen uns als verantwortliche Urheber der Mitteilung, obwohl wir nicht
genau wissen, wie sich der Sprechakt zum Denkakt, der ihn ermöglicht, verhält.
Wir akzeptieren den Hinweis: «Du hättest dir besser überlegen sollen, was du
sagtest.» «Bedenke gut, was du schreibst.»
Tierverhalten ist immer spezies- und bedürfnisbezogen. Das sprachlich
formulierbare Denken bezieht sich dagegen nicht nur auf Dinge der
eigenen oder gemeinsamen Verwendung, sondern kreiert einen nicht mehr
subjektiven, sondern objektiven Objektbegriff: Das naturale, nützliche oder
schädliche Vorstellungsensemble wird zu einem neutralen, der gemeinsamen
Erkenntnis zugänglichen Objekt. Zu denken impliziert das Bewusstsein,
dass die eigenmächtige Verknüpfung der Bestandteile des Denkaktes auch
nicht zutreffen könnte – gibt es irgendeine Äußerung von Tieren, die auf ein
derartiges Bewusstsein schließen läßt? Das Denken setzt die Unterbrechung des
bedürfnisbezogenen Verlaufs der Empfindungen und Erwartungen voraus, im
Denken nimmt das Subjekt eine eigene Operation mit den Vorstellungen vor, die
dadurch zu Begriffen werden. Sie fungieren in einer, gegenüber den bisherigen
Verläufen neuen Funktion im Muster «S ist / ist nicht P». Aus psychologischen
Ereignissen sind logische Verknüpfungen geworden. Aus dem bloß praktischen
Agieren und Kommunizieren der Tiere und Protomenschen wird, bei aller
Praxissucht, eine theoretische Einstellung. Der Mensch betritt die Bühne.
Wie konnte die Fähigkeit zu denken und zu sprechen auf natürliche Weise
entstehen? Wie konnte aus dem Maulen und Grunzen der Affen, dem Pfeifen
der Delphine und dem Gesang der hochbegabten Nachtigall je die menschliche
Sprache sich bilden? Alles ohne einen Gott, der die Grammatikalisierung
dieser Flut von Lauten vornahm oder den Menschen gleich im Paradies eine
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Universalgrammatik schenkte? Es muss für unseren Zweck nicht gezeigt
werden, wie diese Genese sich historisch wirklich vollzog, sondern wie sie unter
natürlichen Bedingungen denkbar ist. Dass es dafür eine natürliche Lösung
geben muss, ist evident.
Vorausgesetzt ist eine biologische Körperentwicklung, die z. B. die
Kiefer von der Muskulatur befreit, die zum Fressen von rohem Fleisch nötig
ist. Vorausgesetzt ist eine Entwicklung, die die Menschen aus der intensiven
Familienbindung freisetzt zu einem Leben in größeren Verbänden und freien
Räumen. In einer autonomen Familie genügt eine Kommunikation unter den
Mitgliedern, die sich auf die nächsten Bedürfnisse und Gefühle bezieht, mit
stimmungsvollem Jammern, Kiechern, Husten. Wir werden auf der Suche
nach der Genese des Sprechens und Denkens weder beim Ich noch beim Du
fündig und wenden uns an die dritte und letzte Instanz, die anonyme präsente
Öffentlichkeit.
Es ist nicht schwer, das Szenario einer möglichen natürlichen Denkgenese
zu skizzieren. Die Eckdaten sind Öffentlichkeit, Referenz der Äußerung
auf einen Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit, Auszeichnung dieses
Gegenstandes als eines so und so gearteten und die Möglichkeit des Einspruchs.
In der Entwicklungsgeschichte der Menschheit muss sich diese Konstellation
in irgendeiner Form geboten und verstetigt haben. Man kann sich eine
Musterszene ausdenken, die diese Bedingungen erfüllt: Das Zeigen auf etwas
eindeutig Sichtbares und Identifizierbares in einem öffentlichen Raum, also
nicht im Urwald, sondern eher in der Savanne, die lauthafte Benennung und
Charakteristik, der Einspruch eines Hordenmitglieds gegen die Äußerung und
damit die Kommunikation über den Gegenstand, der für alle sichtbar da ist,
aber unterschiedlich beurteilt wird. That´s it.45
Das anthropologisch gesicherte Zeigen enthält die Aufforderung an alle
anderen, ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Etwas dort
hinten zu lenken. Das Zeigen behauptet gewissermaßen: Das Etwas dort ist
identisch, aus welcher Perspektive es auch gesehen wird; in dem Sinn also: Es ist
objektiv dort. Die sich allmählich entwickelnde Rede behält die Aufforderung
bei, sie bietet den Hörern eine Anweisung, diesen oder jenen Gedanken
herzustellen; die Regeln der Herstellung finden wir in der Logik.
Mit dieser zweckmäßigen Konstellation ist gegenüber allen Formen der
affektiven Verlautbarung ein qualitativ neues Niveau erreicht. Unter der Pression
der Verbesserung von Lebenschancen wird eine lautliche Kooperation entwickelt,
die vom animal zum animal rationale führt. Die öffentliche Sprache und das sie
tragende Denken sind nicht mehr bedürfnisbezogene Nahlaute und psychische
Regungen von Du zu Du, feierlich alter ego, sondern sie sind fernbezogen und
potentiell interessenneutral, sie können daher an beliebigen offenen Orten
ebenfalls entwickelt oder in sie übertragen werden. Die sich ausbildende
Menschen-sprache ist daher in alle anderen übersetzbar, weil in allen dasselbe
Die Meinung Wilhelm von Humboldts, es handle sich beim Sprachursprung um eine unbeantwortbare Frage (J. Fischer, Affengesllschaft, p. 245), ist nach Darwin unbegründet.
45
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gedacht werden kann. Die Tiere haben diese Wende zum Denken verpasst46. Die
Menschen schufen dagegen durch Sprache und Denken einen Superorganismus
neuer Art, dessen Glieder sich räumlich und später auch zeitlich getrennt
reproduktiv verständigen konnten. Damit werden Informationen kostengünstig
aufbereitet und sind überall verwendbar, wenn Medien ihrer Übermittlung
gefunden sind.
Als essentiell erweist sich eine Größe, die wir gleich zu Beginn einführten:
Der Raum, damit aber auch die Zeit. Wir entwickeln das Denken und Sprechen
im Anschluss an den Zeigegestus, der nur sinnvoll ist in einem offenen Raum
und bei den Adressaten einer menschlichen Gesellschaft, der ersten Form
der Öffentlichkeit. Mit dieser Vorstellung haben wir die Verbindung mit der
analytischen Philosophie gekappt; sie sucht das Denken als ein selbständiges
semiotischen System aus lautlichen Zeichen zu entwickeln und verliert damit
die Möglichkeit, Sprechen und Denken schon im Ansatz als raum-öffentliche
Angelegenheit zu betrachten47. Ohne den Raumbezug gibt es keine Referenz
und damit kein Denken. Kommunizieren können auch Tiere, aber sie denken
so wenig wie leiblose Geister (soweit wir wissen).
Diese Überlegung steht in einer gewissen Analogie zur «Widerlegung
des Idealismus» in Kants Kritik der reinen Vernunft48. Die bloßen fließenden
Vorstellungen im Bewusstsein tragen in sich keine Garantie, sich auf eine vom
Subjekt unterschiedene Außenwelt zu beziehen. Erst die Substanz der Dinge im
Raum bringt eine Größe ins Spiel, die dem Zeitfluss nicht entstammen kann, d.
h. erst der identische beharrliche Körper im Raum ermöglicht es, den Idealismus
der Bewusstseinsbestimmungen zu durchbrechen und zu einer objektiven
gemeinsamen Welt zu gelangen. Dieselbe Funktion hat in unserem Vorschlag
das öffentlich gezeigte räumliche, für alle identische Etwas in der Realgenese
des menschlichen Denkens und Sprechens. Die Geste und ihre Lautbegleitung
transzendieren das Heulen und Jaulen und Trällern der Wale und Waldbewohner,
die nur die affektiven Befindlichkeiten und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen
und allenfalls koordinieren.
Nun wird man hier eine Frage an Kant ergänzen: Überwindet die solitäre
Beziehung auf einen Körper im Raum den Idealismus, oder bedarf es einer
Vielheit von Subjekten, die den einen Körper als identischen fixieren und
meinen Bewusstseinsfluss verobjektivieren?
Wir hatten moniert, dass der Begriff oder das Wort „Begriff“ im Hinblick auf
Tiere verwendet wird; von Begriffen spricht man in der Ordnung der Logik, in der
empirischen Psychologie dagegen von Eigenschafts- oder Vorstellungsbündeln
und Verknüpfungen oder Abstoßungen. Unser Vorschlag zur Genese des
menschlichen, logikfähigen Denkens aus den animalischen Strömen psychischer
Wir kommen dieser Sternstunde bzw. diesen Sternenjahrtausenden sicher nicht näher durch
die Bemühungen der Glottochronologie. Das Sammeln ohne Idee hilft nicht weiter.
47
Wenn das Urteil als ‘p’ (propositio) gefaßt wird, ist die Möglichkeit, es auf Anschauung zu
beziehen, schon verbaut.
48
Ich beziehe mich hier nur auf die unter eben diesem Titel gebrachten Ausführungen der 2.
Auflage (1787) B 274-279.
46
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Ereignisse muss noch näher erläutert werden. Wir haben die Konstellation des
«S ist / ist nicht P» in einer bestimmten kollektiven Situation nachgestellt. Die
Mitteilung, sei es der Bejahung, sei es der Verneinung hat einen Überlebenswert,
weil sie zeitsparend über die Gegenwart z. B. attraktiver Beute oder repulsiver
Gefahr informiert.
Es ist somit Teil einer kooperativen Kommunikation, in der mit der
ausgestreckten Hand auf etwas Körperexternes, Fernes gewiesen wird, das sich
daraufhin im Hinblicken aller anderen als ein gemeinsames ‘Das da’ präsentiert,
als wäre es nahe. Ohne den offenen Raum konnte die darwinistisch strenge Natur
auf das Zeigen verzichten; die urwaldfreudigen Nahsinne der zurückgebliebenen
Primaten brauchen den Gestus nicht und begreifen ihn bis heute nicht. Das
Natur- (nicht Haus-)tier guckt auf die Fingerspitze, aber nicht den Horizont.
Mit dem distalen Zeigen (oder anderen Formen der demonstrativen
Identifikation) bietet sich die Möglichkeit anschließender akustischer
Verlautbarungen, die die Referenz des optischen Zeigens teilen. Sie helfen, das
gezeigte Etwas genauer zu identifizieren. Hiermit wird eine zirkelfreie Einführung
möglich von referierenden Verlautbarungen, die nicht mehr nur selbstbezogene
Äußerungen sind, sondern optische und lautliche Bezugnahmen auf etwas
bestimmtes Äußeres enthalten, die allmählich verstetigt werden können. Es
legt sich nahe, die stimmliche Referenz durch die Verlautbarung der eigenen
Emotionen sei es des Schreckens oder des Begehrens oder von weiterführenden
Beobachtungen zu ergänzen. Damit kommen zwei Elemente zusammen, das
äußere Etwas dort und die je eigene Emotion oder Beurteilung.
Die deklarative Zeigehandlung kann noch nicht bejahen oder verneinen;
erst der ergänzenden Verlautbarung kann eine andere entgegengestellt werden,
dieser Kontrast ist zu einer Verneinung verkürzbar. Erst die kontradiktorische
Verneinung stellt sicher, dass beide dasselbe meinen, aber es unterschiedlich
interpretieren. Die immer positive Referenz auf den Gegenstand des Zeigens
kann in einer komplexen kommunikativen Situation mit der Erwartung begleitet
sein, etwas Negatives zu assoziieren. Jemand zeigt auf den Rücken des Kindes
– es hat, so soll eine andere Person assoziieren, den Schulranzen vergessen. Den
fehlenden Ranzen selbst kann ich nicht zeigen.49
Der Vorteil der Negation zeigt sich in der Öffentlichkeit, in der das
Sprechen und Denken entsteht. Die Negation ist keine Sache eines isolierten
Kopfes oder der kommunizierenden Sippe, sondern der öffentliche Einspruch
eines Gruppenmitglieds. Sprechen und Denken entspringen der Kooperation
einer Anzahl von Menschen, für die die Fehlinformation kostspielig werden
kann. So wird eine Opposition ohne physischen Kampf möglich.
Das Zeigen und die an das Zeigen sich anschließende oder es begleitende
stimmliche Verlautbarung sind kooperative Tätigkeiten, in der eine mitteilbare
Äußerung über etwas an andere als Ergebnis entsteht. Es ist eine Kooperation
zwischen verschiedenen Menschen, zwischen den Sinnen des Sehens und
Anders offenbar M. Tomasello, Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, Frankfurt
a.M. 2009, S. 92.
49
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Hörens, aber auch zwischen den einzelnen syntaktischen Gliedern eines Urteils
oder Urteilsderivats über ein identisches, deiktisch eingeführtes Etwas. Im Urteil
tut gewissermaßen jedes Satzglied «das Seine»50 und kann nicht wie in einer
additiven Ordnung vom Typ ‘barbarabar’, ‘hottentottot’ problemlos die Stelle
des anderen einnehmen. In unserer Grammatik haben Subjekt und Prädikat
bestimmte invariante und zunächst unentbehrliche Funktionen, die wir oben
mit der Abbreviatur des «S ist / ist nicht P» bezeichneten und als konstante
Form gegenüber den wechselnden Inhalten fassten. Wir können jetzt ein
arbeitsteiliges System ausmachen, in dem die funktionalen Orte als freie Plätze
für konkrete Urteile dienen. Jedes Denken ist angewiesen auf die Besetzung
der vakanten Funktionsstellen mit Wörtern in einer bestimmten Sprache. Statt
unserer Satzstruktur können andere phonetisch ausgezeichnete Positionen
der Funktionszuweisung dienen. Einzufordern beim elementaren Denk- und
Urteilsakt ist jedoch die Einheitsstiftung einer äußeren, von der sozialen
Gemeinschaft akzeptierten Referenz – das Tier dort hinten – mit einer inneren
privaten Meinung, die ihre objektive Anerkennung sucht: «ist ein / kein Löwe»
etc. Im ‘ist / ist nicht’ wird der Geltungsanspruch erhoben, der bestreitbar ist51.
Das Urteil als Einheit hat die Funktion, ein bestimmtes gemeinsames Äußeres
mit einer je subjektiven Charakteristik zu verbinden, das Äußere und das Innere,
als Denken rein mental und als Reden zugleich äußerlich und nützlich für den
Verband.
Mit diesem Instrument des syntaktisch geordneten, arbeitsteiligen
Denkens ist die einzige Weise objektiver, also theoretischer Erkenntnis erreicht,
die uns zugänglich ist. Wir können mit dem Denken das tun, was hier gemacht
wurde: Das Nichtdenken und das Denken thematisieren und nun hoffen, dass
den Ausführungen die Überzeugung folgt, dass es so in Wirklichkeit ist, d.h.
dass die Ausführungen nicht widerlegt werden.
Platons Mustersatz ist: «Theätet fliegt». Theätet dort, der den Anwesenden
bekannte Mathematiker, wird vom Redenden ein wenig surreal durch die
Fähigkeit oder Tätigkeit des Fliegens charakterisiert. Diese subjektive Meinung
kann bestritten werden: «Keineswegs! Theätet fliegt nicht».
Hier also werden Subjekt und Objekt in der uns vertrauten Weise
unterschieden. Wir erheben in unseren Urteilen über Dinge, Tiere und
Menschen und alles andere einen Wahrheits- oder Geltungsanspruch; er kann
kritisch überprüft und angenommen oder zurückgewiesen werden. Tiere leben
inmitten raum-zeitlich geordneter Bündel von Merkmalen, sie können diese
jedoch nicht sozial verbindlich als solche bestimmen, sondern beziehen sie
unvermeidlich auf ihre Lust oder Unlust und damit auf ihr Überlebensmuster,
das ihre Nahkumpanen teilen.
Mit dem Sehen, Zeigen und Sprechen erweitert sich der Mensch durch
die Delegation von Funktionen in den Raum hinein. Er ist in allen drei Formen
außer sich. Ein Ego im Tunnel gibt es nicht, auch wenn wir uns manchmal in
50
51
Platon, Politeia 419 ff.
Wir kümmern uns nicht um Derivate wie fiktionale Äußerungen.
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ihm verkriechen möchten. Aber wir sind erbarmungslos seit dem Beginn des
Denkens außerhalb, außer uns52, weder im geschlossenen Paradiesgarten noch
im ausgedachten Tunnel.
Wir gelangen hier zu einem Fortsetzungsphänomen unserer anfänglichen Raumanalyse. Der Lebensraum, in dem wir uns hier und andere
Dinge dort lokalisieren, ist für Tiere und Menschen unweigerlich zugleich ein
dreidimensionaler Vorstellungsraum, in dem wir reale räumliche Gegebenheiten
repräsentieren und zur imaginären Verfügung stellen. Bei der Rekonstruktion des
menschlichen Denkens treffen wir auf ein analoges Phänomen der Verknüpfung
von Innen und Außen. Das Denken entsteht in einer bestimmten räumlichen
Konstellation einer Vielzahl von Menschen, gewissermaßen als Schaustellung
und Rhetorik. Aber das externe Zeigen und Verlautbaren ist begleitet und wird
rasch dirigiert von internen Denkakten. Das Sprechen ist verinnerlicht und das
Denken kann ohne das Außen nicht entstehen und zu sich kommen – so wie wir
im Raum sind und der Raum in uns.
Es ist verlockend, das so exponierte Urteil als den Entstehungsort zweier
Eigentümlichkeiten des menschlichen Bewusstseins anzunehmen, des Ich und
der Begründung.
Den Einspruch gegen das affirmierende «S ist P» stellt der Neinsager
besonders heraus: »Ich dagegen» bin anderer Meinung. Das ‘Ich’, das hiermit
erscheint, ist das des Opponenten, der auch der Proponent sein könnte, beide
tragen etwas vor, jedoch in der Form von These und Gegenthese. Dass die
bejahende Behauptung überhaupt ein neuartiges Ereignis ist, mit dem die
Psychologie in die Sphäre der Logik übertritt, wird unverkennbar deutlich erst
in der Konturierung durch den Gegensatz des alter ego, «Ich dagegen [...]», kein
Kumpan in der Familie und Sippe, sondern der Proto-Bürger der bürgerlichen
Gesellschaft.
Die Gegenthese führt die Pflicht der Begründung mit sich; und wenn
nicht die Pflicht, so doch die Erwartung, weil die Gegenthese kollabiert, wenn
ihr Einspruch nicht in einer Einsicht begründet ist, die die These durch ihre
Negation ersetzen kann und damit soll.
Wenn man unserer Konjektur folgt, wird man auch den nächsten
Schritt mitvollziehen: Im Votum des Opponenten und der Begründung seiner
Gegenthese wird man auch die Handlung sehen, die als frei erlebt wird. Es
wird der Akt der Negation ohne psychische Notwendigkeit geleistet, und in der
Begründung wird die kausale Nötigung der Psychologie durch die eigene, an der
Logik orientierte Angabe von Gründen ersetzt.
Jeder ist frei, Wörter nach eigenem Gustus zu verwenden; nach dem
iconic turn wurde von einem «Denken in Bildern» gesprochen53. Aus unserer
Sicht begleiten Bilder zwar permanent unsere mentalen Prozesse, das ist ein
Th. Metzinger, Der Ego-Tunnel. Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur
Bewusstseinsethik, Berlin 2010.
53
R. Brandt, Das Denken und die Bilder, in «In Bildern denken? Kognitive Potentiale von Visualisierung in Kunst und Wissenschaft», hrsg. v. U. Nortmann und Ch. Wagner, München
2010, S. 29-42.
52
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empirisches psychologisches Phänomen, ein Denken jedoch in Bildern selbst
entzieht sich der Nachfrage durch andere Personen: «Was heißt das genau?»
«Nenne bitte die Gründe für deine Behauptung» etc. Das Denken, wie wir
es hier bestimmten, ist den Regeln der Logik verpflichtet, es kann deswegen
öffentlich sein54, seine Verlautbarungen sind daher notwendig negierbar, sonst
könnte es diesen natürlichen Desideraten des Austausches und der Kritik in
einer menschlichen Gemeinschaft nicht nachkommen.
Mit der bejahenden oder verneinenden Referenz auf räumliche Dinge
oder Ereignisse wird ermöglicht, auch Nicht-Räumliches zum imaginären oder
logischen Objekt zu machen, über das gedacht und gesprochen wird. Eben
dies geschieht in diesen Zeilen. Es wird jedoch behauptet, dass das Denken
aus seiner Entstehung räumlich strukturiert ist, auch der abstrakteste Gedanke
trägt die Spuren seiner Genese an sich und denkt sich zurück in seine bildliche
Entstehung und der Referenz auf ‘das da’.55
Dogs bark. Das Kind zeigt in ihre Richtung und sagt: «Wauwau!» Oder nur
«Wau!» Entzerrt heißt das: Das Kind wendet sich an die begleitenden Personen
als seine Öffentlichkeit und sagt ihnen in seiner Sprache, was es denkt: «Das
dort ist ein Hund!» Hunde können bellen, ob allein oder in Begleitung, aus
irgendeinem dringenden Anlass, ohne zu denken. Nachmachen kann es der
Papagei, aber denken und sagen, dass der Hund es ist, der es tut, kann nur der
Mensch, richtig oder, wenn es kein Hund, sondern ein Papagei war, falsch. Zur
expliziten Negation fehlt dem ‘Wauwau’ ähnlich wie dem Lachen über etwas
und dem Zeigen noch der letzte Schliff des sich entwickelnden Denkens.
Wir sind hiermit zu einer ‘Biologie’ des Denkens und Sprechens gelangt,
indem wir die Funktion der unentbehrlichen Merkmale von beidem in der
Kooperation von Menschen in einer bestimmten Phase der Entwicklung
aufspürten.
Wenn Menschen in einem öffentlichen Raum zum Austausch von
Verlautbarungen des Typs «S ist / ist nicht P» gelangen, dann erreichen sie die
Sphäre des ausgeschlossenen Widerspruchs und damit der Logik insgesamt, die
es in der Natur nicht gibt, sondern nur im menschlichen Denken. Wie ist der
Sprung aus der Empirie und ihrer Kontingenz in diese Notwendigkeit möglich?
Es ist notwendig unmöglich und also falsch, dass «S ist P» und «S ist nicht P»
(zugleich etc.), und diese Notwendigkeit ist die Grundlage unseres Denkens, d.h.
jedes Denkens und seiner neuen Welt. Wie ist das möglich? Wird das Denken
entdeckt oder entwickelt?
Unsere Annahme stellt die Entwicklung des menschlichen Denkens und
Sprechens in ein Kontinuum der natürlichen Entwicklung, in dem sich die
Herausbildung der beiden Fähigkeiten als Vorteil anbot. In dem – so unsere
Verbildlichung – offenen Raum etwa der Savanne ist das Denken und Sprechen
ein großer, vielleicht lebenswichtiger Vorteil. Es kann genau vor Feinden gewarnt
E. Kapp, Der Ursprung der Logik bei den Griechen, Göttingen 1965.
Dieses Phänomen ist längst bemerkt worden, S. u. a. Kant, Kritik der reinen Vernunft (1787),
§ 1.
54
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und auf Beute hingewiesen werden, wobei die entsprechenden Äußerungen
durch Hordenmitglieder korrigiert werden können. Die Gruppe verständigt
sich in einer zunehmend komplexen Weise über Fernes, als wäre es hier. Wer
denkt und spricht, thront souverän in der Mitte und behandelt das Fernste, als
wäre es zu ihm gekommen. Wenn dieses Schema oder Muster der Entwicklung
von Denken und Sprechen zutrifft, dann ist unser Vorschlag mit einem großen
Vorteil verbunden: Er konnte vor Darwin nicht gemacht werden. Es wurden
Sprachbringer erdichtet und nach der Aufklärung resigniert festgehalten, die
Entstehung von Sprache sei unerklärlich.
Eine einschneidende Stufe im weiteren Fortgang ist die Verschriftlichung
zum Zweck der Thesaurierung und öffentlichen Verkündung ohne die körperliche
und zeitliche Präsenz der einzelnen Person. Es folgt die Vervielfältigung und
Verbindung der Medien und die Delegation traditioneller menschlicher
Erkenntnisleistungen an den Computer. Hier setzen die Menschen auf der Basis
der Denkleistung das Verfahren der Natur nicht nur in den Institutionen fort
wie literarisch bei Platon, sondern auch in Apparaten und ihren Spezifikationen
– am Ende wird immer das Muster der Delegation perfektioniert, mit dem
die Natur das Leben auf seine Erfolgsbahn brachte. Wohin dieser selbstläufige
gestufte Delegationsprozess führen wird, läßt sich nicht voraussagen. In unserer
Entdeckungs- oder Entwicklungsskizze konnten wir die Genese der Sprache und
damit des sprachlich verfassten Denkens im öffentlichen Raum verfolgen. Der
Vorteil dieser Auffassung liegt einmal in der Bodenhaftung des Gedankens; wir
brauchen nicht um eine gelegentliche Einhilfe von oben zu bitten. Umgekehrt
entgehen wir der Aporie, die entsteht, wenn die Sprache aus den vielfältigen
Lautbildungen des Miauens, Blökens oder Bellens im Urwald-Miteinander
gewonnen werden soll. Die Grammatikalisierung ist dann ein deus ex machina,
den die Vernunft sonst meidet.
Vielleicht nimmt der Leser unseren Vorschlag zur Kenntnis, reagiert
jedoch mit Zweifel. Wo sind die handfesten wissenschaftlichen Beweise? Wir
können keine ausgegrabenen Sitzplätze anbieten, auf denen die Frühmenschen
kommunizierten. Wir haben ausgeschlossen, dass das Sprechen und Denken
durch eine Verfeinerung tierischer Verlautbarungen entstanden ist; es wäre kein
Denken, keine Logik, keine Verneinung in Sicht, sondern nur kommunikative,
kooperative Brüderlichkeit.
Die Summe: Wir denken und sprechen und üben dabei eine Tätigkeit aus,
die wir von den Tieren nicht kennen. Wir beziehen uns dabei in einer Kooperation
auf etwas, über das wir denken und reden; dieser Akt enthält notwendig die
alternative Möglichkeit der Bejahung und Verneinung und damit des Wahr- oder
Falschseins. Er kann öffentlich mitgeteilt werden und lässt sich grundsätzlich
als Partitur für alle Sprachen verwenden. Es wurde versucht, einen möglichen
natürlichen Ursprung dieses urteilsförmigen, widerspruchsfähigen Denkens
aufzuweisen und zu zeigen, dass es zweckmäßig und in sich zweckförmig ist und
der Mensch sich denkend und sprechend eine sozial vermittelte Welt zueignet.
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Michael Tomasello gelangt zu Formen der Kooperation von Tieren und
Menschen, bei denen wir schon als Kleinkinder den Mitgeschöpfen überlegen
sind. Kein Affenstamm, kein Krähenclan kennt ein derartiges Zusammenspiel
wie die hilfsbereiten Menschen. Nun stoßen wir beim Größerwerden auf keinen
Chomsky in uns, sondern würden im Wald bei einem bloßen Gestammel bleiben,
das für unsere Mitbewohner jeweils eine bestimmte Signalwirkung haben mag
und für das pure Überleben auch ausreicht. Welche Sonderlage in der Natur hat
die späteren Menschen dazu genötigt, ihre Kompetenzen zu erweitern, und worin
bestehen sie genau? Tomasello versäumt es anzugeben, worauf die Entwicklung
hinauslaufen soll. Wann kann der empirische Forscher sagen: Halt, jetzt sind wir
beim Sprechen und Denken angelangt? Eben dies müssen wir vorher kennen,
sonst wissen wir nicht, was wir suchen. Das Produkt muss z. B. so geartet sein, dass
es die Übersetzbarkeit trotz verschiedener Entstehungsorte ermöglicht, es muss
sich also deutlich von appellierenden Schreien, vom belustigten Kichern und
dem Hilfe-Hilfe-Ruf unterscheiden. Welches also sind die Minimalbedingungen,
die wir vor allen empirischen Funden kennen müssen? Wie will Tomasello vom
bloßen, wenn auch menschenfreundlich-kommunikativen Verhalten zu dem
Denken gelangen, das seine eigenen Gedanken und ihre sprachliche Mitteilung
ermöglicht? Und: Welches ist es genau?
Die H-Moll-Messe lässt sich ohne den widerspruchsfähigen Logos des
Denkens nicht komponieren und aufführen. Hier sind wir Separatisten und
haben versucht, dass man die Trennung von Mensch und Tier aus sachlichen
Gründen einnehmen muss – in diesem Punkt. Unabhängig davon verbindet
uns besonders mit den sog. höheren Tieren eine starke Empathie und Fürsorge,
in Einzelfällen eine beiderseitige Freundschaft, wie es Xenphon in seiner Schrift
Über die Reitkunst dargestellt hat.56
Die monströse Tierferne, wie sie in der Philosophie von Descartes
dokumentiert wurde, ist durch die Aufklärung einer nüchternen
Bestandsaufnahme gewichen. Wir stehen den Tieren in unserer physiologischen
und psychologischen Ausstattung nahe, wir sind Tiere im emphatischen
Wortsinn und können zugleich über die große Kluft staunen, die uns von den
Tieren trennt. Wir und die nachfolgenden Generationen gehören zu einer
Natur, «in ihr leben und weben und sind wir», dieses Zusammen läßt uns davor
zurückschrecken, den Tieren und der übrigen Natur vermeidbaren Schmerz und
vermeidbare Vernichtung zuzufügen. Wer sind wir, dass wir das dürften?
56
Xenophon, Über die Reitkunst, hrsg. und übers. von K. Widdra, Schondorf 2006.
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