Ein „Vier-Buchstaben Wort“

Werbung
www.israel-palaestina.de
Ein „Vier-Buchstaben Wort“
Uri Avnery, 11-3- 2006
EIN „FOUR-LETTER-WORD “ bezeichnet im Englischen einen rüden Kraftausdruck. Gemeint
ist die vulgäre Beschreibung eines sexuellen Aktes. Eine gebildete Person benutzt diesen
Begriff nicht.
Nun erscheint es so, dass es in der hebräischen Sprache auch ein „Vier-Buchstaben-Wort“ gibt,
das von anständigen Menschen nicht benutzt wird, und dies insbesondere nicht während einer
Wahlkampagne. Eine (politisch) korrekte Person vermeidet um jeden Preis diesen Begriff.
Dieses Wort heißt „Frieden“ ( das im Hebräischen mit nur vier Buchstaben geschrieben wird).
IN DIESER Woche verlagerte sich die Wahlkampfpropaganda von der Straße weg, hin zu Radio
und Fernsehen. Das israelische Gesetz gestattet jeder Kandidatenliste ein Minimum an freier
Sendezeit (10 Minuten im Fernsehen), wobei die in der auslaufenden Knesset repräsentierten
Parteien entsprechend ihrer Größe zusätzliche Sendeminuten erhalten. Weitere Fernseh- oder
Radiowahlkampfspots sind nicht erlaubt.
In der Konsequenz wurde die Aufgabe der Wahlkampfpropaganda den Politikern genommen
und in die Hände der Experten übergeben – Werbeleute, Texter und die verschiedenartigen
„Strategen“. Das ist ein Haufen von Zynikern. Wie Rechtsanwälte, so sind auch die meisten
Werbeleute Söldner. Sie bringen es fertig, heute einer linken Partei zu dienen und morgen ihre
Dienste einer rechten Partei anzubieten. Ihre persönliche Meinung zählt nicht, Geschäft ist
Geschäft.
Wenn ein Werbefachmann eine Wahlkampfkampagne plant, so ist es nicht sein Ziel, das
Programm der Partei, die ihn engagiert hat, zu erklären, sondern Wähler anzuziehen. Er ist
mehr Zirkusjongleur denn Prediger.
Wahlkampfpropaganda ist wie ein Abendkleid: es soll attraktive Merkmale seines Besitzers
betonen und die weniger attraktiven verbergen. Der Unterschied besteht darin, dass ein
Werbefachmann Körperglieder erfinden kann, die nicht existieren und andere abschneiden
kann, die tatsächlich existieren, ganz nach der Nachfrage des Marktes.
Eine der Hauptkopfschmerzen eines Werbefachmanns ist, dass seine Kandidaten - Gott
bewahre - die Show verderben könnten, indem sie den Mund aufmachen und ihre wahren
Ansichten kundgeben. Ein bekannter Werbefachmann sagte mir vor kurzem: „Einen Politiker zu
verkaufen ist wie Zahnpasta verkaufen, mit einem wichtigen Unterschied – Zahnpasta redet
nicht!“.
Daher sagt Wahlkampfpropaganda nicht viel aus über die wahren Vorhaben der Hauptpolitiker
und ihrer Parteien. Man kann von vorneherein annehmen, dass die meisten Inhalte der Spots
betrügerisch sind. Würde ein kommerzielles Unternehmen derart betrügerische Prospekte an
der Börse verbreiten, es würde angezeigt.
Heißt das, dass Wahlkampfpropaganda nicht interessant ist? Im Gegenteil, man kann eine
Menge davon lernen. Es spiegelt zwar nicht die wahren Positionen der Parteien wider, aber
sehr wohl die öffentliche Stimmung. Genauer: die öffentliche Stimmung, wie sie sich den
Experten kundgibt, die täglich Umfragen durchführen, Testgruppen untersuchen und
dergleichen.
www.israel-palaestina.de
IN EINEM seiner Fälle bemerkt Sherlock Homes, dass die Lösung des Rätsels in einem
eigenartigen Vorfall mit dem Hund während der Nachtzeit begründet sein muss. „ Aber der
Hund hat diese Nacht überhaupt nichts getan!“, ruft sein Assistent aus. „Genau das ist
sonderbar !“, erwidert Sherlock Holmes.
Der bemerkenswerte Vorfall der gegenwärtigen Wahlkampagne, ist das Wort, das in ihr nicht
vorkommt: das Wort „Frieden“.
Ein Fremder wird das nicht verstehen. Immerhin ist Israel in einem ständigen Kriegszustand.
Die Sendungen sind voll von angsterregenden Hamas-Paraden. Die Angst vor
Selbstmordattentätern ist in Israel größer als jede andere Angst. Die Logik sagt, dass eine
Partei, die den Frieden verspricht, allerhöchste Popularität erreichen wird. Dennoch, Wunder
über Wunder, keine der wichtigen Parteien beansprucht diese Krone für sich. Mehr als das,
keine der wichtigen Parteien lässt in den Sendungen auch nur das Wort „Frieden“ über die
Lippen kommen.
Kadima spricht von Hoffnung, Hoffnung, Hoffnung – ohne klarzumachen um welche Hoffnung
es sich handelt, Hoffnung auf was? Sie spricht von „Macht“, sogar von der „Chance auf einen
politischen Zug“. Frieden? Njet.
Kadima´s Meisterstück ist ein TV – Spot in welchem sie Herzl, Ben-Gurion, Begin, Sharon und
Rabin für die eigenen Zwecke einspannt. Dieser Spot zeigt Herzl beim Verkünden der
zionistischen Idee, Ben-Gurion bei der Staatsgründung, Begin beim Friedenmachen mit
Ägypten, Scharon beim Überqueren des Suez-Kanals im Yom-Kippur-Krieg und Rabin bei der
Friedenvertragsunterzeichnung mit – König Hussein.
König Hussein? Moment mal. Hat Rabin nicht ein Abkommen mit der PLO unterschrieben und
die Hand Arafats geschüttelt? War das nicht der Höhepunkt seines Lebens? Wurde ihm nicht
der Friedensnobelpreis für diese Tat verliehen? War der Frieden mit Hussein nicht eher ein
Nachtrag, da Hussein bereits mehr als 40 Jahre lang ein inoffizieller Verbündeter Israels
gewesen war? Aber Kadima hat sich entschlossen, Arafat um keinen Preis zu zeigen. Die Partei
könnte, Gott bewahre, beschuldigt werden, Frieden mit den Palästinensern anzustreben!
Amir Peretz hätte versucht sein können, über Frieden zu reden, wenn seine Wärter nicht
rechtzeitig beschlossen hätten, ihn wegzuschließen. Er fühlt sich sehr viel sicherer, über Kinder
ohne Nahrung und Alte ohne Pensionen zu reden.
Der Likud spricht natürlich nicht über Frieden. Benjamin Netanyahu ist hervorragend darin,
wenn es darum geht, Leuten einen Schrecken einzujagen. Zu diesem Zwecke holte er vom
Schrottplatz ein paar gebrauchte Generäle zurück, die bezeugten, dass Hamas und die
Palästinensische Autonomiebehörde – genau wie die schreckliche Iranische Bombe - eine
existentielle Bedrohung Israels darstellen. Nur der große Bibi weiß, wie man mit denen
umgehen muss. Frieden? Mach´ keine Witze!
Am amüsantesten ist die Meretz, die von Yossi Beilin, dem Erfinder der „Genfer Initiative“,
angeführt wird. In Ihrem Hauptwerbespot werden Frauen und Männer gezeigt, die
Papierstreifen in die Ritzen der Klagemauer stecken, während sie ihrem dringlichsten Wunsch
Ausdruck geben. Es gibt eine Frau, die sich nach einem akademischen Abschluss sehnt, ein
Mann, der einen anderen Mann heiraten will, ein Großvater, der dringend Geld braucht, um
seinem Enkelsohn ein Geschenk kaufen zu können, eine Christin, die sehnlichst als Jüdin
anerkannt werden will, eine Mutter, die ihr Kind in den Kindergarten schicken möchte, eine
Frau, die nach einer Scheidung schmachtet. Und was ist das eine, nach dem sich - laut Meretz
Propaganda – niemand sehnt, nach dem niemand schmachtet, nach dem niemand verlangt?
Richtig geraten: Frieden.
www.israel-palaestina.de
WAS SAGT das über die israelische Öffentlichkeit im Jahre 2006 aus?
Das besagt, dass die große Mehrheit der jüdischen Israelis nicht an Frieden glaubt. Frieden
wird als Traum wahrgenommen, als etwas, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Eine
Partei, die über Frieden spricht, gerät in den Verdacht, in einer Phantasiewelt zu leben. Noch
schlimmer, man könnte vermuten, sie sei „Araber-liebend“. Was könnte entsetzlicher sein?
Also an was glauben die Israelis? Sie wollen einen jüdischen Staat mit einer jüdischen
Mehrheit, die so groß wie nur irgend möglich sein soll. Darin besteht Übereinkunft zwischen
allen jüdischen Parteien. Sie glauben daran, die endgültigen Grenzen Israels unilateral
festschreiben zu können, ohne mit diesen Palästinensern zu sprechen. Die Palästinenser
haben, wie ja jedermann weiß, soeben die Hamas gewählt und wollen uns ins Meer werfen.
Welche Grenzen? Ehud Olmert enthüllt schrittweise, was er im Sinn hat. Seine Karte wird die
Leser dieser Kolumne nicht überraschen. Sein Groß-Israel beinhaltet das ganze Territorium,
das zwischen der Trennungsmauer und der Grünen Linie liegt; und zusätzlich das Jordantal;
Groß-Jerusalem einschließlich der Ma´aleh Adumim Siedlung und des Territoriums zwischen
dieser und der Stadt (wobei einige dich besiedelte arabische Viertel aufgegeben werden); die
Siedlungsblöcke von Ariel, Alfei-Menashe, Modi´in-Illit und Gush Etzion; sowie „spezielle
Sicherheitsbereiche“. Er nimmt sich in acht, nicht wirklich eine Karte zu zeichnen, so dass über
die Grenzen der Siedlungsblocks keine Gewissheit besteht. Aber er beabsichtigt definitiv mehr
als die Hälfte des Westjordanlandes zu annektieren.
Für Netanyahu ist dies natürlich krasser Verrat, eine beschämende Unterwerfung unter die
Araber. In seinen Sendungen prangert er Olmert´s Grenzen als Grenzen an, „die zum
Terrorismus einladen“. Der Likud zeichnet tatsächlich eine Karte, in der die Mauer direkt in das
Herz des Westjordanlandes geschoben wird.
Die Arbeiterpartei und Meretz stimmen im Prinzip der Annektierung der Siedlungsblöcke zu,
aber sie veröffentlichen keine Karten. Sie erwähnen halbherzig einen undefinierten Tausch von
Territorien. Kein Wunder, wo sie doch beinahe öffentlich wahrnehmbar davon träumen, sich
einer Koalition unter Olmert anschließen zu können, die ja wahrscheinlich nach den Wahlen
zustande kommen wird. Die Koaltionskarte ist wichtiger als die Karte der annektierten
Territorien.
Und Frieden? Pscht, pscht!
( Aus dem Englischen: Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)
Herunterladen