wann helfen antibiotika?

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medikamente
wann helfen antibiotika?
Bei Halsschmerzen, Mandel- und Mittelohrentzündungen verschreiben Ärzte oft ein
Antibiotikum. Viel zu häufig, stellen medizinische Studien fest.
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securvita - krankenkasse 1 | 15
B
itte, Herr Doktor, verschreiben Sie
te in einer Auswertung in diesem Jahr fest,
mir ein Antibiotikum«. Diesen Satz
hört Dr. B., Hausarzt am Stadtrand von Hamburg, häufig in dieser Jahreszeit. Das Warte-
hohe dosis
regionale unterschiede
dass bei Mittelohrentzündungen doppelt
Zahl der Antibiotika-Verordnungen in den
Bundesländern (pro 1.000 Einwohner).
werden wie nötig. Ein jüngst veröffentlich-
zimmer ist voll mit kleinen und großen Pa-
Saarland
tienten, die husten und schniefen. Jetzt ist
623,0
ter Krankenkassenreport kam zu dem konkreten Ergebnis, dass 30 Prozent sämtli-
Hochsaison für Erkältungen, Grippe, Hals-
Rheinland-Pfalz
entzündungen und Ohrenschmerzen. Viele
Nordrhein-Westfalen
Kranke wünschen sich vom Arzt ein Mittel,
Niedersachsen
565,6
Deutschland schlucken ganz offensichtlich
das sie schnell wieder gesund macht und fit
Hamburg
552,1
zu viele Antibiotika.
für den Beruf oder die Schule. Antibiotika
Hessen
stehen im Ruf, dass sie eine Krankheit
Schleswig-Holstein
514,8
oft die falsche medizin
schnell überwinden und den Kranken wie-
Bremen
510,5
In den USA kamen Untersuchungen zur Be-
der auf die Beine bringen.
Baden-Württemberg
498,3
handlung von Bronchitis zu noch heftige-
486,9
ren Ergebnissen: Obwohl nur zehn Prozent
Doch in vielen Fällen müsste der Arzt
608,0
so viele Antibiotikarezepte ausgestellt
586,0
nicht das Richtige!« Denn bei Bronchitis
sind Antibiotika in 90 Prozent der Fälle
völlig nutzlos, weil die Infektion von Viren
verursacht wird. Antibiotika sind aber
Mecklenburg-Vorp.
469,7
Sachsen-Anhalt
467,4
Thüringen
444,7
Berlin
435,9
machtlos gegen Viren und helfen nur ge-
Sachsen
gen Bakterien. Auch bei sonstigen Hals-
Brandenburg
403,5
der Bronchitisfälle durch Bakterien ausgelöst sind und damit für einen Antibiotikabehandlung in Frage kommen, erhielten
bis zu 70 Prozent der Patienten Antibiotika.
Die US-Wissenschaftler wundern sich über
das Verhalten der Ärzte. Obwohl es unstrit-
379,5
tig ist, dass Antibiotika in diesen Fällen
Quelle: Versorgungsatlas 2014
und Ohrenschmerzen sind Antibiotika oft
de fragwürdig sind. Die Patienten in
545,2
Bayern
sagen: »Ein Antibiotikum ist jetzt für Sie
cher Antibiotikaverordnungen hierzulan-
nicht wirken, und obwohl medizinische
nicht angebracht, weil sie das Immun-
ßem Tee und Lutschbonbons? In der Praxis
Richtlinien und ärztliche Fortbildungen
system nicht wirklich unterstützen und
scheint die Unsicherheit groß zu sein. Wis-
klar darauf hinweisen, ist der Einsatz von
unerfreuliche Nebenwirkungen erzeugen.
senschaftliche Studien und Auswertungen
Antibiotika dennoch gestiegen.
Haus- und Kinderärzte stehen oft vor ei-
des Medikamentenmarktes zeigen, dass
Auf europäischer Ebene hat eine Studie
ner kniffligen Entscheidung: Was tun mit ei-
Ärzte – nicht nur in Deutschland – viel zu
im Fachjournal BMC Pediatrics vom Juli
nem Patienten, der unbedingt ein »wirksa-
viele Antibiotika verschreiben.
2014 die Antibiotika-Verordnungen für
mes Medikament« haben will, dem aber ei-
Das Zentralinstitut für die kassen-
Kinder und Jugendliche in ausgewählten
gentlich am besten geholfen wäre mit hei-
ärztliche Versorgung in Deutschland stell-
Ländern verglichen. Die Unterschiede sind
wissenswert
■
Penicillin ist das bekannteste Antibiotikum. Es wurde
erstmals 1928 vom britischen Arzt Alexander Fleming aus
Schimmelpilzen gewonnen. Mittlerweile werden in der
Medizin etwa 80 Antibiotika angewandt.
■
Antibiotika helfen gegen Infektionen durch Bakterien und
einige wenige Pilze. Antibiotika wirken nicht gegen VirusKrankheiten. Bekannte Antibiotika-Wirkstoffgruppen sind Penicilline, Tetrazykline und Chloramphenicole.
■
Bakterien sind Mikroorganismen, die eigenständig
existieren können, anders als Viren. Die meisten Bakterien
sind für den Menschen ungefährlich, viele sogar nützlich
und lebenswichtig, etwa für die Darmfunktion. Antibiotika
hemmen das Wachstum der Bakterien und töten sie ab.
■
Viren sind Parasiten, die sich nur vermehren, wenn sie
Zuweilen besser als
in andere Zellen eindringen. Zu den Virus-Erkrankungen
Antibiotika: Zwiebel-
gehören zum Beispiel Grippe, Masern, Röteln, Gelbfieber
säckchen helfen
und AIDS. Antibiotika helfen nicht gegen Viren.
bei Ohrenschmerzen.
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beträchtlich: In Deutschland werden die
zu viele Menschen zu viele Antibiotika neh-
tionen, Magen-Darm-Beschwerden, Übel-
Medikamente doppelt so oft verschrieben
men und wenn sie die Medikamentenein-
keit oder Pilzinfektionen führen. Es ist daher
wie in den Niederlanden, in Italien sogar
nahme vorzeitig abbrechen, werden die
wichtig, die Vor- und Nachteile einer Ein-
dreimal so oft (siehe Grafik). »Die Nieder-
Bakterien resistent. Dann helfen die Wirk-
nahme sorgfältig abzuwägen.«
lande sind Vorreiter im sorgsamen Um-
stoffe nicht mehr in wirklich gefährlichen
gang mit Antibiotika«, erläutert Prof. Edel-
Fällen. Wissenschaftler warnen deshalb vor
aktuelle empfehlungen
traud Garbe aus Bremen, eine der Studien-
dem Gebrauch von Antibiotika bei harmlo-
Auf www.gesundheitsinformation.de gibt
autorinnen. Sie weist auf ein zusätzliches
sen Krankheiten und ebenso vor der über-
das Institut eine Übersicht über den aktu-
Problem hin: Die meistverschriebenen An-
mäßigen Verwendung in der Tiermedizin,
ellen Stand des medizinischen Wissens
tibiotika sind Breitspektrum-Medikamen-
vor allem in der Massentierhaltung.
zur Verwendung von Antibiotika bei
te, die gegen viele Bakteriengruppen
Auch das Institut für Qualität und
gleichzeitig wirken. Genau diese Antibioti-
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
ka stehen aber im Ver-
häufigen Krankheitssymptomen in der
Winterzeit:
Halsschmerzen: Für die Patienten selbst
dacht, Resistenzen zu för-
»Die Niederlande sind Vorreiter
im sorgsamen Umgang mit
Antibiotika.«
dern und damit den gefürchteten Superkeimen
den Weg zu bereiten.
Prof. Edeltraud Garbe, Universität Bremen
Dieser Zwiespalt ist ein
besonderes Merkmal der
ebenso wie für den Arzt ist es nicht einfach
zu erkennen, ob Halsschmerzen durch Viren
oder Bakterien ausgelöst sind. Dann wird
oft »für alle Fälle« ein Antibiotikum verordnet. Aber wenn in den meisten Fällen Viren
solche erkältungsbedingten Halsschmer-
Antibiotika: Einerseits gehört ihre Entde-
(IQWIG) rät zu einem zurückhaltenden Um-
zen auslösen, sind Antibiotika nutzlos.
ckung zu den Sternstunden der modernen
gang. »Antibiotika sollte man nur dann ein-
Mandelentzündung:
Medizin. Sie können lebensbedrohliche In-
nehmen, wenn sie wirklich erforderlich
Schmerzen von einer bakteriellen Entzün-
fektionen heilen, die früher oft tödlich ver-
sind«, empfiehlt das Institut. Es sei leider
dung verursacht sind, können Antibiotika
liefen, wie zum Beispiel Lungenentzün-
immer noch an der Tagesordnung, dass An-
etwas bewirken. Aber selbst dann wird der
dung, Blutvergiftung, Diphtherie und Teta-
tibiotika bei Krankheiten verschrieben wer-
Nutzen meist überschätzt. Wissenschaftli-
nus. Auf der anderen Seite führt der unsach-
den, bei denen sie keinen Vorteil bringen,
che Studien kommen laut IQWIG zu dem
gemäße Einsatz von Antibiotika dazu, dass
wie zum Beispiel bei Virusgrippe oder bei Er-
Ergebnis, dass die Halsschmerzen mit Anti-
immer mehr Krankheitserreger unemp-
kältungen. »Außerdem können Antibiotika
biotika nur um wenige Stunden verkürzt
findlich gegen die Wirkstoffe werden. Wenn
zu Nebenwirkungen wie allergischen Reak-
werden. Nach einer Woche seien diese Ent-
Nur
wenn
die
zündungen meistens wieder abgeklungen. Ohne Antibiotika sind dann laut Sta-
antibiotika für kinder
tistik 82 Prozent aller Patienten wieder be-
europäische länder im vergleich
schwerdefrei, mit Antibiotika 87 Prozent.
Zahl der jährlich verordneten Antibiotikarezepte für Kinder und Jugendliche bis
Mittelohrentzündung: Schmerzhafte Mit-
18 Jahren in ausgewählten Ländern. Der Vergleich zeigt, wie unterschiedlich oft
telohrentzündungen treten bei Kindern in
Kinder und Jugendliche mit Antibiotika behandelt werden: Besonders häufig in
der Winterzeit häufig auf. Doch gegen die
Italien, seltener in den Niederlanden. Deutschland liegt im oberen Mittelfeld,
Schmerzen helfen Antibiotika nur wenig,
seit einigen Jahren verschreiben Kinderärzte hier weniger Antibiotika.
stellte das IQWIG fest, normale Schmerzmit-
957
tel seien hilfreicher gegen die Beschwerden.
Italien
Antibiotika seien dann richtig, wenn Komplikationen eintreten, beispielsweise wenn
sich die Entzündung auf beide Ohren aus-
561
555
Deutschland
Großbritannien
weitet und die Kinder noch klein sind (unter
481
zwei Jahren). »Alle anderen Kinder haben
Dänemark
meist keinen Nutzen durch die Antibiotika,
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Quelle: BMC Pediatrics Journal 2014
Niederlande
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die zudem Nebenwirkungen hervorrufen
können«, stellt das Institut fest. Es empfiehlt
Eltern und Ärzten die Methode des »aufmerksamen Abwartens«. Antibiotika sollten
sie nur dann einsetzen, wenn sich die Erkrankung nach zwei bis drei Tagen nicht von
selbst verbessert. ■
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