Retinoblastom für Eltern, die mehr wissen wollen Inhalt Ursachen 2 Chancen 4 Beschwerden 5 Untersuchung 6 Behandlung 8 Nach der Behandlung 17 Hallo du! 20 Einleitung Bei Ihrem Kind wurde ein Retinoblastom festgestellt, ein bösartiger Tumor in der Netzhaut des Auges, der nur bei Kindern auftritt. Für Sie bricht jetzt wahrscheinlich eine Welt zusammen, und viele Fragen tauchen auf. Diese Broschüre möchte Sie über Grundlegendes bei der Behandlung eines Retinoblastoms informieren. Da der Krankheitsverlauf und die Behandlung von Kind zu Kind verschieden sind, erfordert die Heilung eines Retino­ blastoms eine maßgeschneiderte Behandlung. Machen Sie sich in aller Ruhe mit den Informationen vertraut und besprechen Sie diese mit Ihrem Arzt/Ihrer Ärztin oder dem Pflegepersonal. Das Wort „Retina“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Netzhaut, ein „Blastom“ bezeichnet eine Neubildung unreifer Zellen. 1 Ursachen Ein Retinoblastom entsteht durch einen Fehler in der Entwick­ lung von Netzhautzellen. Das Retinoblastom-Gen, welches das Zellwachstum hemmen soll, funktioniert entweder nicht oder fehlt überhaupt, wodurch sich die Zellen ungehemmt teilen. Dies kann bereits während der Schwangerschaft geschehen. Zu unterscheiden sind eine erbliche und eine nicht-erbliche Form des Retinoblastoms. Die meisten Kinder mit einem Re­ tinoblastom (60 Prozent) leiden an der nicht-erblichen Form. Die Krankheit ist spontan entstanden und tritt nur in einem Auge auf. Bei 40 Prozent der Kinder handelt es sich um ein erbliches Retinoblastom. In diesem Fall wurde die Krankheit entweder von einem Elternteil vererbt (familiär erbliches Retinoblastom) oder sie tritt als spontane Erbmaterial-Ver­ änderung beim Kind und in beiden Augen auf (sporadisch erbliches Retinoblastom). Sie fühlen sich vielleicht schuldig und möglicherweise denken Sie: „Wäre ich doch gleich zum Arzt gegangen“, oder „Hätte ich doch besser aufgepasst”. Es ist wichtig, Ihre Ängste und Gedanken mit den behandelnden ÄrztInnen Ihres Kindes zu besprechen, die Ihnen so viel wie möglich erklären werden. Zeigen Sie diese Broschüre auch Ihrer Familie, Ihren Freun­ dInnen oder Bekannten. Unreife Zellen Der menschliche Körper besteht aus vielen Milliarden Zellen, die sich immer wieder teilen. Diese neuen Zellen sorgen für Wachstum und Entwicklung. In einem gesunden Körper befindet sich die Zellteilung im Gleichgewicht. Bei Krebs hingegen ist dieses Gleichgewicht gestört. Es findet hier eine ungehemmte Teilung statt, wodurch die Zellen nicht aufhören, sich zu vermehren. Dieser Vorgang kann auch im Auge stattfinden. Zellen, die eigentlich zu Netzhautzellen auswachsen sollten, beginnen ein Eigenleben zu führen. Sie teilen sich und bilden einen Tumor, der nach einiger Zeit Metastasen bilden kann. Ein großer (links), mittelgroßer (Bildmitte) bzw. kleiner Retinoblastom-Knoten vor der Therapie Netzhaut Die Netzhaut ist eine dünne Schicht von Nervengewebe an der Innenseite des Augapfels, die durch den Sehnerv mit dem Gehirn verbunden ist. Sie enthält ca. 126 Millionen Sinnes­ zellen und in ihr wird das durch die Pupille eintreffende Licht aufgefangen. Dass wir tagsüber Farben erkennen können, haben wir ihr zu verdanken, aber sie ist auch verantwortlich dafür, dass wir im Dunkeln sehen können. In der Mitte der Netzhaut befindet sich der Gelbe Fleck, der uns in die Lage versetzt, Details scharf wahrzunehmen. Wie oft, bei wem und wo? Jedes Jahr erkranken in Österreich ungefähr vier Kinder an einem Retinoblastom. Die Krankheit tritt fast immer bei Kin­ dern unter fünf Jahren auf und wird oft schon im ersten oder zweiten Lebensjahr entdeckt. Ein Retinoblastom kann sowohl in einem Auge (einseitig) als auch in beiden Augen (beidsei­ tig) vorkommen. Es können sich auch mehrere Tumoren in einem Auge befinden. Sehr selten hat sich der Tumor bereits außerhalb des Augapfels ausgebreitet und/oder haben sich die Zellen über den Sehnerv, die Gehirnflüssigkeit (Liquor) oder die Blutbahn im ganzen Körper ausgebreitet. Chancen Kinder mit einem Retinoblastom haben ausgezeichnete Hei­ lungschancen (über 90 Prozent), wobei allerdings die Größe und die Ausbreitung des Tumors eine Rolle spielt. Ist der Tumor über das Auge hinausgewachsen oder haben sich die Krebszel­ len im Körper ausgebreitet, sinken die Überlebenschancen. Da jede Situation und jedes Kind jedoch einzigartig sind, lassen sich nur schwer punktgenaue Vorhersagen treffen. Beschwerden Häufig verursacht der Tumor bei starkem Lichteinfall eine weißliche Pupille. Dies wird „Katzenauge“ genannt und fällt Ihnen wahrscheinlich erst auf, wenn Sie ein mit Blitz geschossenes Foto Ihres Kindes ansehen (siehe Bild oben). Die weit offen stehende Pupille erscheint in diesem Fall nicht rot sondern gräulich-fahl. Ein weiteres mögliches Symptom ist das Schielen Ihres Kindes. Ihr Kind sieht zwar mit dem kranken Auge schlechter, aber das ist bei kleinen Kindern oft schwer festzustellen. Auch ältere Kinder klagen fast nie über Sehstörungen, offensichtlich gewöhnen sie sich daran. Manchmal ist ein Auge rot oder es schmerzt. Bei einem beid­ seitigen Retinoblastom treten die Beschwerden manchmal erst in einem und dann später im anderen Auge auf. Untersuchung Um eine genaue Diagnose zu stellen, muss sich Ihr Kind einer Reihe von Untersuchungen unterziehen. Diese finden auch während und nach der Behandlung regelmäßig statt. Die meisten Untersuchungen werden von AugenärztInnen, andere von KinderonkologInnen durchgeführt oder beauftragt. π Anamnese: Mittels Fragen versuchen die ÄrztInnen, einen Eindruck von der Entstehungsgeschichte der Krankheit bei Ihrem Kind und vom Auftreten eines Retinoblastoms inner­ halb der Familie zu bekommen. π Körperliche Untersuchung: Die ÄrztInnen bestimmen Größe, Gewicht, Blutdruck und untersuchen Ihr Kind und seine Organsysteme vom Scheitel bis zur Sohle, auch um Hinweise auf etwaige Metastasen zu entdecken. π Blutuntersuchung: Um eine mögliche Abweichung fest­ zustellen und den Zustand von Blut, Leber und anderen Organen zu beurteilen, wird dem Kind aus dem Arm Blut entnommen. Eine betäubende Creme kann den Schmerz des Einstichs lindern. π Augenspiegelung: Indem sie mit einer kleinen Lampe durch die Pupille leuchten, können AugenärztInnen die Innenseite des Auges untersuchen. Um die Pupillen zu erweitern, werden die Augen zuvor eingetropft. Bei vielen Kindern wird diese Untersuchung unter Narkose durchgeführt. π Lumbalpunktion: Um Metastasen im Nervensystem aus­ zuschließen, bekommen manche Kinder einen Einstich in den Rücken (Lumbalpunktion). Während Ihr Kind mit ange­ zogenen Knien auf der Seite liegt, wird mit einer Hohlnadel ein wenig Rückenmarksflüssigkeit entnommen und diese dann unter dem Mikroskop untersucht. Wenn möglich, wird diese Untersuchung unter Narkose und zeitgleich mit anderen Untersuchungen durchgeführt. π Bildgebende Verfahren: Um den Ort des Tumors zu be­ stimmen, wird unter Narkose eine Ultraschalluntersuchung gemacht. Die AugenärztInnen geben ein Gel auf die Augenl­ider Ihres Kindes und tasten mit einer kleinen Sonde darüber. Durch den Widerhall der Schallwellen wird die Innenseite des Auges auf einem Bildschirm sichtbar und als Foto festgehalten. Fast immer wird eine MRT (Magnet­resonanztomographie) durchgeführt. Diese Technik ist vor allem geeignet, sich ein genaues Bild vom Tumor und des ihn umgebenden Gewebes zu machen. Bei einer MRT werden Magnetfelder verwendet. Erst wird eine Fotoserie des Auges, der Augenhöhle und des Gehirns gemacht, dann bekommt Ihr Kind ein Kontrastmittel über eine Vene injiziert und es werden wiederum Aufnahmen gemacht. Ihr Kind muss lange still liegen bleiben und bekommt deshalb ein Schlafmittel oder eine Narkose. Ein MRT-Scan­ ner ist eine Art Röhre, in die man auf einem beweglichen Tisch hineingeschoben wird und die laute Klopfgeräusche von sich gibt. MRT Magnetresonanztomographie Die Magnetresonanztomographie, kurz MRT oder auch Kernspintomographie genannt, gehört zu den bildgebenden Verfahren – wie das Röntgen, die Computertomographie, und der Ultraschall – die ins Körperinnere schauen können, ohne den Menschen dabei zu verletzen. Die ÖKKH hat zu den bildgebenden Verfahren MRT, CT, Sonographie, Szinti­graphie und zu den Untersuchungsmethoden EKG u. EEG Informations­ broschüren herausgegeben. Bestellmöglichkeit über den Online-Shop auf: www.kinderkrebshilfe.at Behandlung Sobald der Tumor und seine eventuelle Ausbreitung genau lokalisiert worden sind, kann die Behandlung beginnen. Sie ist unter anderem von der Größe des Tumors abhängig, der Stelle im Auge, wo er sich befindet, seiner Ausbreitung und davon, ob eines oder beide Augen betroffen sind. Für jedes Kind wird die Behandlung individuell festgelegt. Im Falle eines einseitigen Retinoblastoms bedeutet dies fast immer die operative Entfernung des Auges. Dies ist zwar eine sehr traurige Entscheidung, aber die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass der Tumor weiter wächst. Als Ersatz für das eigene Auge bekommt Ihr Kind ein Kunstauge, das dem eige­ nen so weit wie möglich ähnelt. Personen, die nicht um die Krankheit Ihres Kindes wissen, können in den meisten Fällen das Kunstauge nicht vom gesunden Auge unterscheiden. Sollten sich die Tumorzellen in den Sehnerv, die Aderhaut des Auges oder andere Teile des Körpers ausgebreitet haben, be­ kommt Ihr Kind nach der Operation eine Chemotherapie. Bei einem beidseitigen Retinoblastom ist die Behandlung ab­ hängig davon, ob das Retinoblastom an beiden Augen gleich weit fortgeschritten ist, oder die beiden Augen unterschiedlich stark betroffen sind. Die Therapie hängt auch vom Alter des Kindes und den genauen Stellen im Auge ab, wo sich die Tu­ moren befinden. Die Behandlung besteht meistens aus einer Kombination aus Lasertherapie, Chemotherapie oder einer örtlichen Vereisung (der so genannten „Kryokoagulation“). Manchmal werden die Augen auch bestrahlt. Dies kann so­ wohl äußerlich als auch mit einem radioaktiven Plättchen auf dem Augapfel erfolgen. Manchmal ist es unvermeidlich, dass das stärker betroffene Auge doch noch nachträglich operativ entfernt werden muss. Die meisten Kinder haben langfristig keine Probleme mit der Verträglichkeit ihres künstlichen Auges. Operation Um das Retinoblastom so vollständig wie möglich entfer­ nen zu können, muss manchmal das gesamte Auge entfernt werden (Enukleation). Während der Operation werden das Bindegewebe rund um das Auge, die Augenmuskeln und der Sehnerv losgelöst. Anschließend wird als Platzhalter eine po­ röse Kugelplombe in die Augenhöhle eingesetzt und mit den Augenmuskeln vernäht. Die Bindehaut wird über der Plombe vernäht, sodass diese von außen nicht mehr sichtbar ist. In die Lidspalte wird später das von außen sichtbare Kunstauge eingesetzt. Dieses ähnelt einer großen Kontaktlinse, und es wird auch wie eine solche gehandhabt. Das entnommene Auge wird in den darauffolgenden Tagen unter dem Mikroskop untersucht. Basierend auf dem Befund und den Daten der anderen Untersuchungen wird das Ausbreitungsstadium des Tumors festgestellt und die weitere Behandlung festgelegt. Die Erstellung des pathologischen Befunds des entfernten Auges kann bis zu zwei Wochen dauern. Was merkt mein Kind von der Operation? In den Abteilungen für Augenheilkunde und Kinderonkologie wird Ihr Kind von pädagogisch geschulten MitarbeiterInnen so gut wie möglich auf die Operation vorbereitet. Abhängig vom Alter Ihres Kindes geschieht dies mittels Plüschtieren, Spielzeug, Fotos oder einer Informationsbroschüre. Am Tag der Operation wird Ihrem Kind ein Beruhigungsmittel verabreicht, es bekommt ein Operationshemd und Sie dür­ fen es zum Operationssaal begleiten. Die Operation dauert eineinhalb bis zwei Stunden. Nachher wird Ihr Kind – außer Übelkeit und einem Druckverband auf der Augenhöhle – von der Operation wenig spüren. Wenn alles gut gegangen ist, darf es am nächsten Tag nach Hause. Der erste Anblick des Auges ohne Druckverband kann doch ein sehr emotionaler Moment sein. Versuchen Sie, gemeinsam mit den Augenärz­ tInnen die Bindehaut in der Lidspalte anzusehen, nehmen Sie Ihr Kind in den Arm, aber nehmen Sie sich auch Zeit für Ihre eigenen Gefühle. Kurz nach der Operation sind die Augenlider dick angeschwollen, nach einiger Zeit geht die Schwellung zurück und die rosa Farbe der Bindehaut ist in der Lidspalte erkennbar. Nach der Operation wird von der Wunde anfänglich regelmäßig Wundflüssigkeit abgegeben. Die AugenärztInnen werden Sie informieren, wie Sie Ihrem Kind am besten helfen können. 10 Ungefähr drei bis vier Wochen nach der Operation sollten Sie mit Ihrem Kind zu einem/r AugenprothetikerIn (OkularistIn) gehen, also zu einem/r SpezialistIn für alles, was mit Kunst­ augen zu tun hat. Darauf werden Sie von den AugenärztInnen und dem spezialisierten Pflegepersonal vorbereitet. Sehen Sie sich den Aufklärungsfilm über Augenprothesen gemeinsam mit Ihrem Kind an oder lesen Sie zur Verfügung stehendes Informationsmaterial. 11 Lasertherapie Die AugenärztInnen werden sich für eine Lasertherapie entscheiden, wenn Ihr Kind einen oder mehrere kleine Tu­ moren im Auge hat und diese eher hinten auf der Netzhaut sitzen. Ein Laser ist eine spezielle Art Glühlampe, die einen sehr dünnen, gleißenden Lichtstrahl aussendet. Um die Tumorzellen abzutöten, wird dieser Lichtstrahl mittels eines Mikroskops oder einer Stirnlampe auf das Retinoblastom gerichtet. Um sicherzustellen, dass der Tumor auch wirklich vernichtet wurde, muss Ihr Kind vielleicht mehrere Male gelasert werden. Die Laserbehandlung erfolgt meistens in Kombination mit einer Chemotherapie. Vereisung Sitzen die Tumoren im vorderen Teil des Auges oder am Ran­ de der Netzhaut, können die behandelnden ÄrztInnen eine Vereisung, auch Kryokoagulation („kryos“ bedeutet kalt und „Koagulation“ Gerinnung) genannt, verordnen. Ihrem Kind wird eine stark abgekühlte Sonde an das Auge gehalten und so wird das Tumorgewebe bei einer Temperatur von –60° C künstlich gefroren, damit die Tumorzellen absterben. Manch­ mal sind auch mehrere Behandlungen nötig, die Vereisung wird nur bei kleineren Tumoren angewendet, bei größeren gelingt es leider nicht, alles zu vereisen. 12 Was merkt mein Kind von diesen Behandlungen? Sowohl die Laserbehandlung als auch die künstliche Verei­ sung werden unter Narkose durchgeführt. Gegen auftretende Schmerzen nach dem Eingriff bekommt Ihr Kind Schmerzmit­ tel. Nach der Behandlung wird Ihr Kind versuchen, sich die Augen zu reiben. Versuchen Sie, dies zu verhindern, indem Sie seine Hände festhalten, mit Ihrem Kind spielen, oder es auf eine andere Art ablenken. Manchmal hilft es auch, Söckchen über die Hände zu streifen. Sitzt der Tumor im Gelben Fleck, ist die Sehleistung schon sehr eingeschränkt. Nach der Laser- ­ oder Kältebehandlung formt sich dort Narbengewebe, wo­ durch sich das Sehvermögen leider nicht verbessert. Fragen Sie das Pflegepersonal oder die ÄrztInnen, wie Sie Ihr Kind am besten unterstützen können. Chemotherapie Chemotherapie ist eine Behandlung mit Medikamenten (Zytostatika), welche die Zellteilung hemmen und die Tumor­ zellen töten. Für die Verabreichung einer Chemotherapie gibt es verschiedene Gründe, z.B. um den Tumor zu verkleinern oder um Metastasen oder eine Wiederkehr des Tumors zu verhindern. Die Kombination und die Dauer der Chemothe­ rapie können unterschiedlich sein. Im Behandlungsprotokoll steht genau verzeichnet, was Ihr Kind zu welchem Zeitpunkt bekommen soll. Sollte trotz der Entfernung des Auges das Risiko bestehen, dass der Tumor über die Netzhaut oder den Sehnerv hinausgewachsen ist, wird meistens eine Kombination aus den Medikamenten Vincristin, Etoposid und Carboplatin verabreicht. Die Dauer der gesamten Behandlung wird durch den Ort, die Ausbreitung des Tumors und die Reaktion auf die Therapie bestimmt und erstreckt sich meistens über ein halbes Jahr. Hat sich der Tumor über das Auge hinaus aus­ gebreitet, werden noch andere Zytostatika hinzugefügt und die Behandlung wird ungefähr ein Jahr dauern. Natürlich wird Ihnen dies erklärt, und Sie können und sollen auch Fragen stellen. Die AugenärztInnen und die KinderonkologInnen ar­ beiten bei der Auswahl der Behandlung eng zusammen. Die Chemotherapie wird unter der Verantwortung von Kinderon­ kologInnen durchgeführt. Sie wird mittels einer Infusion oder Injektion verabreicht und Ihr Kind wird meistens stationär im Krankenhaus aufgenommen. Da das Anstechen einer Infusi­ on für kleine Kinder eine große Belastung darstellt, wird zu 13 Beginn der Behandlung ein Broviac-Katheter gelegt. Dies ist ein Plastikschlauch, der unter Narkose in eines der großen Blutgefäße eingeführt wird und dessen Ende durch die Haut nach außen ragt. Auf diese Weise können Zytostatika und andere Medikamente verabreicht werden, ohne jedes Mal wieder stechen zu müssen. Um vorzubeugen, dass sich der Schlauch verstopft, muss dieser wöchentlich durchgespült werden. Bei Metastasen kann es notwendig sein, Ihrem Kind die Zytostatika auch mittels einer Lumbalpunktion zu verabreichen. Was merkt mein Kind von der Chemotherapie? Haben Sie Fragen oder sehen Sie etwas, was Ihrem Gefühl nach nicht in Ordnung ist? Scheuen Sie sich nicht, nach dem Arzt oder der Ärztin zu rufen. 14 Neben dem erwünschten Effekt auf die Tumorzellen haben fast alle Zytostatika Auswirkungen auf die Schleimhäute, die Haut, das Haar und die Blutzellen. Als Folge davon kann es zu Übelkeit, Mundschmerzen, Geschmacksveränderungen, Durchfall und Haarausfall kommen. Überdies ist Ihr Kind durch eine geschwächte Abwehr besonders anfällig für Infek­ tionen. Obwohl diese Nebenwirkungen nach der Behandlung verschwinden, sind sie sehr unangenehm und können einen großen Einfluss auf das Leben Ihres Kindes ausüben. Oft ist eine unterstützende Behandlung in Form von Antibiotika, Medikamenten gegen Übelkeit, Mundpflege oder eine Blut­ transfusion notwendig. Jedes Zytostatikum hat seine eigenen Nebenwirkungen, die meistens vorübergehend, manchmal aber auch bleibend auf­ treten können. Vincristin kann die Enden der Nervenbahnen schädigen, was zu einem prickelnden Gefühl in Fingern und Zehen und einer verringerten Muskelkraft in Händen und Unterschenkeln führt, und wodurch Ihr Kind Schwierigkeiten beim Gehen, Schreiben oder Zeichnen entwickeln kann. Auch Verstopfung kommt oft vor, Ihr Kind erhält dann Abführmittel oder eine spezielle Diät verschrieben. Carboplatin kann die Nieren angreifen. Als Vorsorgemaßnahme bekommt Ihr Kind zusätzliche Flüssigkeit verabreicht und sein Blut und Urin werden regelmäßig untersucht. Informieren Sie bitte Ihren Arzt/Ihre Ärztin, wenn Ihr Kind Fieber bekommt (Temperatur höher als 38,5° C). Etoposid kann allergische Reaktionen aus­ lösen, zu Blutdruckabfall, zu Blutbilddepression und selten auch zu einer Sekundärleukämie führen. Bedenken Sie aber, dass nicht alle Nebenwirkungen bei jedem Kind auftreten. Strahlentherapie Die Strahlentherapie tötet Tumorzellen, arbeitet dem Wachs­ tum von Tumorzellen entgegen und mögliche neue Tumor­ zellen bekommen keine Chance, sich zu entwickeln. Da die Tumorzellen sehr empfänglich auf Bestrahlung reagieren, die gesunde Netzhaut aber weniger, ist diese Behandlung bei vielen Kindern effektiv. Bei einem Retinoblastom werden zwei Formen der Strahlentherapie angewendet: die äußerliche Strahlentherapie und radioaktive Plättchen. Äußerliche Strahlentherapie (Bestrahlung) wird ausschließlich bei Kindern mit einem beidseitigen Retinoblastom angewendet, wenn sie die einzige Möglichkeit darstellt, das Sehvermögen zu erhalten. Radioaktive Strahlen werden von einem Apparat aus auf die Augen Ihres Kindes gerichtet. Um den größtmöglichen Effekt zu erzielen und das umliegende Gewebe so weit wie möglich zu schonen, wird die Bestrahlung auf fünf Wochen verteilt, in welchen Ihr Kind täglich bestrahlt wird. Dies ist eine sehr spezialisierte Behandlung, die nur an sehr wenigen Zentren durchgeführt wird. Die äußerliche Strahlen­ therapie wird – aufgrund der geringen Anzahl an betroffenen Kindern in Österreich – am europäischen Zentrum der Uni­ versitätsklinik in Essen (Deutschland) durchgeführt. Radioaktive Plättchen werden bei Tumoren verwendet, die noch nicht so groß und weit genug vom Sehnerv entfernt sind. Auch wenn der Tumor zurückkehrt, wird manchmal eine Behandlung mittels Plättchen gewählt. An die Außenseite des Augapfels wird ein Plättchen genäht, das eine kleine Menge Radioaktivität ausstrahlt. Dieses Plättchen muss einige Tage dort verbleiben, um die Tumorzellen so effektiv wie möglich abtöten zu können. In Österreich werden Retinoblastome – zusammen mit der Augenklinik Graz – auf der Kinderonkologie der Universitätsklinik Graz behandelt. Bedenken Sie, dass in unterschiedlichen Krankenhäusern manchmal auch unterschiedliche Gepflogenheiten herrschen können. Erkundigen Sie sich, was Sie tun können, um Ihr Kind zu unterstützen. 15 Was merkt mein Kind von der Strahlentherapie? Eine äußerliche Strahlentherapie ist unsichtbar und unhör­ bar, Ihr Kind wird nichts davon merken. Ihr Kind darf sich nicht bewegen und muss auch das Auge still halten, damit die Bestrahlung genau auf die richtige Stelle trifft. Daher ist eine sehr kurze Narkose (5 bis 10 Minuten) notwendig. Sie können Ihr Kind begleiten, wenn es zur Narkose muss. Die MitarbeiterInnen der Strahlentherapieabteilung werden Ihr Kind mithilfe von Büchern, Videos und Übungen vorbe­ reiten. Radioaktive Plättchen werden operativ angebracht. Danach wird Ihr Kind zwei bis drei Tage in einem speziellen Raum gepflegt. Dies ist notwendig, weil die Plättchen eine kleine Menge Radioaktivität ausstrahlen. Sie dürfen Ihr Kind normal festhalten und versorgen, außer Sie sind schwanger oder wurden in Ihrer Jugend selbst mittels Strahlentherapie behandelt. Eine äußerliche Bestrahlung hat Nebenwirkungen, die vorübergehend, manchmal aber auch bleibend auftreten können. So kann die Haut rund um die Augen rot werden und starken Juckreiz verursachen. Nach einiger Zeit geht das meistens wieder vorbei. Langfristig kann es zu einem verringerten Wachstum des Knochens, der Muskeln der Augenhöhle und eines Teils des Nasenrückens kommen. Hierdurch entsteht ein ungleiches Wachstum im Gesicht, wogegen Ihr Kind vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt behandelt werden will. Da die Funktion der Tränendrüsen eingeschränkt ist, kann Ihr Kind an trockenen Augen leiden. Achten Sie auf Sonneneinstrahlung und verwenden Sie eine Creme mit dem höchsten Schutzfaktor. Dies gilt vor allem während und kurz nach der Bestrahlung. Abhängig vom Ort des Tumors besteht bei radioaktiven Plättchen eine geringe Möglichkeit der Schädigung des Sehnervs oder von Trübungen der Linse, wie dem grauen Star. Die AugenärztInnen werden Ihr Kind hierauf untersuchen. Bei der äußerlichen Strahlentherapie muss mit einer erhöh­ ten Sekundärmalignomrate (Zweitkrebs-Erkrankungsrate) im Bestrahlungsfeld gerechnet werden. 16 Nach der Behandlung Es beginnt ein neuer Zeitabschnitt: Keine Tumorbehandlungen mehr, aber regelmäßige Besuche beim Augenarzt/bei der Au­ genärztin, um festzustellen, ob alles in Ordnung ist. So eine Kontrolle ist belastend, kann aber auch beruhigend sein. Es wird eine Augenspiegelung durchgeführt und kontrolliert, ob sich Ihr Kind gut entwickelt. Wurde Ihr Kind an einem Auge behandelt und hat es ein erbliches Retinoblastom, dann wird das nicht behandelte Auge besonders intensiv beobachtet. Wurde Ihr Kind einer Chemotherapie unterzogen oder leidet es an einer erblichen Form des Retinoblastoms, bleibt es unter der Kontrolle von KinderonkologInnen. Der Kontrollzeitraum dauert einige Jahre, bis Ihr Kind erwachsen ist, aber auch dann wird es noch regelmäßig ins Krankenhaus müssen. Anfangs finden die Kontrollen ein Mal pro Monat statt, später werden die Intervalle immer größer. Bei der nicht-erblichen Form des Retinoblastoms befindet sich die genetische Abweichung in den Zellen der Netzhaut. Bei der erblichen Form sitzt die Abweichung in allen Körperzellen. Nur in diesem Fall ist das Retinoblastom übertragbar. 17 Die erbliche Veranlagung Sollte Ihr Kind die erbliche Form des Retinoblastoms haben, wirft dies natürlich viele Fragen auf. Bei Ihrem Kind besteht die 50-prozentige Möglichkeit, dass es das abweichende Gen später an seine eigenen Kinder weitergibt. Überdies besteht das geringe Risiko, dass Ihre anderen Kinder auch ein Retino­ blastom bekommen könnten. Sie, Ihr/e PartnerIn und Ihr Kind werden auf Genträgerschaft untersucht. Sollten Sie weitere Kinder haben, werden diese bis zu ihrem sechsten Lebensjahr einer besonderen Beobachtung unterzogen, falls es nicht sicher ist, ob sie das Retinoblastom-Gen in sich tragen. Im Falle einer Schwangerschaft kann eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt werden, denn sie kann mit hoher Wahrschein­ lichkeit ausschließen, dass das abweichende Gen vorhanden ist. SpezialistInnen, die klinischen GenetikerInnen, können Ihnen diesbezüglich mehr sagen und werden Sie und Ihr Kind zusammen mit anderen ExpertInnen begleiten. 18 Den Alltag wieder meistern Den Alltag wieder aufzunehmen ist manchmal leichter gesagt als getan. Vielleicht hat Ihr Kind noch Schwierigkeiten mit der Sehkraft oder will sein künstliches Auge nicht akzeptieren. Vielleicht kann es bestimmte Spiele (noch) nicht spielen oder möchte nicht mehr zur Kontrolle ins Krankenhaus. Und wie sieht es mit Ihren anderen Kindern aus? Benötigen diese zusätzliche Aufmerksamkeit, weil sie das Gefühl haben, zu kurz gekommen zu sein? Müssen sie auch auf ein etwaiges Retinoblastom hin kontrolliert werden? Dann gibt es natürlich auch noch Ihre eigenen Gefühle. Es scheint, als ob Ihnen erst jetzt bewusst wird, was alles geschehen ist. Dies ist völlig normal, denn Sie haben eine besondere Zeit hinter sich. Wie gehen Sie damit um? Bei wem finden Sie Unterstützung? An wen können sich Ihre Kinder wenden? Vielleicht kommen Sie damit alleine oder zusammen mit Ihrem/r PartnerIn oder FreundInnen oder mit Hilfe geschulter TherapeutInnen zurecht. Vielleicht haben Sie auch das Bedürfnis, Erfahrungen mit El­ tern, die das Gleiche durchgemacht haben, auszutauschen? Sie können immer mit den Kinder-Krebs-Hilfe Organisationen Kontakt aufnehmen. Langfristig Kinder, die ein Retinoblastom überstanden haben, werden die Folgen immer mit sich tragen. Viele Kinder haben Probleme mit ihrem Äußeren, vor allem, wenn sie bestrahlt wurden. Andere wiederum haben aber keine Schwierigkeiten damit. Kinder mit einem Auge erfahren meistens keinerlei Einschrän­ kungen, vermissen aber doch einen Teil ihres Gesichtsfelds. Hat Ihr Kind ein Kunstauge und befindet es sich noch im Wachstum, muss dieses Auge regelmäßig ersetzt werden. Wurde das Retinoblastom in beiden Augen gefunden und behandelt, kann die Sehkraft von einem guten bis zu einem kaum vorhandenen Sehvermögen variieren. Vielleicht sieht Ihr Kind nur mit einem Auge schlechter, vielleicht mit beiden Augen, möglicherweise ist Ihr Kind erblindet. Schließlich finden die meisten Kinder ihren Weg, manchmal mit externer Hilfe und Begleitung. Dennoch, langsam aber sicher wird auch Ihr Kind zu einem/r gesunden Erwachsenen heranwachsen. 19 Hallo du! Hast du selbst ein Retinoblastom (gehabt)? Hat dein Bruder oder deine Schwester so einen Tumor (gehabt) und willst du wissen, was das alles bedeutet? In dieser Broschüre geht es um Augentumoren, Operationen, Untersuchungen, Bestrahlungen, Chemotherapie und alles, was damit zusammenhängt. Sie wurde für deine Eltern ge­ schrieben, aber du kannst sie natürlich auch lesen. Vielleicht steht hier etwas, was du noch nicht weißt! Vielleicht warst du noch jung, als du den Augentumor hattest und jetzt hast du viele Fragen. Was NICHT in der Broschüre steht, ist, wie du dich damals fühltest, wie du aussahst, in welchem Krankenhaus du warst, wie du reagiert hast, welcher Herr oder welche Frau Doktor an deinem Bett stand, wie oft dein Opa und deine Oma dich besuchten, was im Sportklub oder in der Klasse passierte und was auch sonst noch los war. Diese Fragen kannst du am besten deinen Eltern stellen, denn sie waren ja schließlich dabei. Es gibt sicher noch Fotos aus dieser Zeit und, wer weiß, vielleicht haben deine Eltern etwas aufgeschrieben. 20 Oder, oder, oder … du willst wissen, wie es jetzt um dich steht. Ob du schon wieder ganz gesund bist, ob noch etwas an deinem Auge verändert werden kann und wie es mit der Schule weitergehen soll. Sind alle Eltern von Kindern, die ein Retinoblastom haben, so überbesorgt? Wer weiß, vielleicht bist du ja „nur“ ein Bruder oder eine Schwester, und du fühlst dich alleine und unverstanden. Dies sind alles ganz normale Gefühle und Fragen, aber es ist schon lästig, wenn sie immer wieder auftauchen. Probier doch selbst, hier etwas zu tun. Geh zu deinem Hausarzt oder deiner Hausärztin, zu den ÄrztInnen ins Krankenhaus oder liege deinen Eltern in den Ohren. Suche jemanden, der so alt ist wie du und das Gleiche erlebt hat, lies Bücher, geh ins Internet, denk dir eine Geschichte aus, schreib einen Brief oder sprich mit jemandem, der viel über Augentumoren bei Kindern weiß. Wer weiß, vielleicht hilft es dir, und du findest Antworten auf Fragen, die für dein Leben wichtig sind. In den Nachsorge-Camps der Österreichischen Kinder-KrebsHilfe gibt es u.a. auch die Möglichkeit zum Erfahrungsaus­ tausch mit Gleichbetroffenen. Gemäß dem Leitsatz „Kraft und Hoffnung geben – Überleben!“ lernen von Krebs betroffene Kinder und Jugendliche sowie deren Geschwister, ihr Leben wieder selber in die Hand zu nehmen, mit ihren Ängsten umzugehen und Vertrauen aufzubauen. Innerhalb der Österreichischen Kinder-Krebs-Hilfe gibt es eine eigene Elterngruppe „Retinoblastom“. e-mail: [email protected] Nähere Informationen zu den psychotherapeutisch begleiteten Nachsorge-Projekten der Österreichischen Kinder-Krebs-Hilfe gibt es per Telefon: +43/1/402 88 99 oder auf der Website: www.kinderkrebshilfe.at 21 I mpressum Herausgeberin: Österreichische Kinder-Krebs-Hilfe, Anita Kienesberger Borschkegasse 1/7, 1090 Wien Tel: +43/1/402 88 99, e-mail: [email protected], www.kinderkrebshilfe.at Idee + Konzept: Vereniging „Ouders, Kinderen en Kanker“ (VOKK), Niederlande Originaltext: Nel Kleverlaan Mitarbeit: Univ.Prof. Dr. Christian Urban, Dr. Karola Frenzel, Univ.Prof. Dr. Gerald Langmann, Dr. Werner Wackernagel Redaktion: MMag.a Monika Kehrer, Anita Kienesberger Grafik + Gestaltung: Monika Vali. Lektorat: Elisabeth Aulehla. Druck: REMAprint, 1160 Wien, 2012/2. Auflage i K K r e bs - H i lfe er nd Österreichische Kinder-Krebs-Hilfe Verband der Österreichischen Kinder-Krebs-Hilfe Organisationen Spendenkonto: PSK 7.631.111, Blz 60.000