Angststörungen - Österreichische Ärztezeitung

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Angststörungen
© Contrast
Klinisch-praktische Aspekte
40
› österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
DFP - Literaturstudium
Angsterkrankungen weisen einen hohen Chronifizierungsgrad auf. Die
Suizidrate ist ähnlich hoch wie bei Depressiven. Die Pharmakotherapie
stellt meist eine mittel- oder langfristige Behandlungsstrategie dar, die
bei einem Großteil der Betroffenen eine erhebliche Symptomminderung bewirkt. Von Peter Hofmann und Bernd Reininghaus*
A
ngststörungen findet man in nahezu allen Disziplinen der Medizin, besonders häufig aber in der
psychiatrischen als auch in der hausärztlichen Praxis. Panikstörungen beispielsweise imponieren zunächst meist als
schwere körperliche Erkrankung, ehe
man nach intensiver somatischer Abklärung eine Angststörung als Ursache
findet. Mit einer Lebenszeitprävalenz
von 24,9 Prozent für alle Angsterkrankungen stellen sie nach den Depressionen die zweithäufigste psychiatrische
Diagnose dar. Noch vor zwanzig Jahren
wurde lediglich zwischen Angstneurose und Phobien unterschieden. Heute
findet man in der Literatur einen differenzierten diagnostischen Zugang
zum Thema Angsterkrankungen; man
findet u.a. die Panikstörung mit/ohne
Agoraphobie, Zwangsstörung, spezielle
Phobien, generalisierte Angststörung,
um nur die wichtigsten zu nennen.
Die unterschiedlichen Subtypen
weisen einen unterschiedlichen Erkrankungsbeginn und Verlauf sowie
unterschiedliche Therapierbarkeit auf,
sodass es einer genauen klinischen
Diagnostik sowie eines spezialisierten
therapeutischen Settings bedarf, um
diese Patienten richtig zu behandeln
und deren Lebensqualität entscheidend zu verbessern. Einen gewaltigen
Fortschritt bei der Behandlung brachte
die Einführung der modernen Antidepressiva, die heute den Goldstandard
der Pharmakotherapie der Angststö-
Klassifikation der Angststörungen nach dem ICD 10
F 40 Phobische Störung
F 40.0 Agoraphobie
.00 ohne Panikstörung
.01 mit Panikstörung
F 40.1 soziale Phobie
F 40.2 spezifische Phobie
F 41 Andere Angststörung
F 41.0 Panikstörung
F 41.1 generalisierte Angststörung
F 41.2 Angst und depressive Stimmung gemischt
F 42 Zwangsstörung
F 42.0 vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang
F 42.1 vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale)
F 42.2 Zwangsgedanken und –handlungen gemischt
F 43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen
F 43.0 akute Belastungsreaktion
F 43.1 posttraumatische Belastungsstörung
F 43.2 Anpassungsstörungen
.20 kurze depressive Reaktion
.21 längere depressive Reaktion
.22 Angst und depressive Reaktion gemischt
.23 mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen
.24 mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens
› österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
Tab. 1
rungen darstellen. Zusammen mit
psychotherapeutischen/psychosozialen
Interventionen bedeutet das eine gute
Prognose für angstkranke Patienten,
was auch durch epidemiologische Daten belegt ist.
Diagnostik und Ätiologie
Angst stellt in der Regel eine natürliche und notwendige Reaktion dar.
Erst durch die Angstreaktion werden
vegetative Abläufe (Blutdruckanstieg,
Tachykardie, Schwitzen, etc.) aktiviert,
die das Individuum auf eine Angriffsoder Fluchtreaktion vorbereiten. Wenn
Angst als psychopathologisches Symptom, das heißt ohne reale, ursächliche
Entsprechung auftritt, spricht man von
Angststörung. Das Bestreben moderner Klassifikationssysteme (wie zum
Beispiel des ICD 10) liegt darin, eine
atheoretische, symptomorientierte,
hauptsächlich nach dem psychopathologischen Befund gerichtete Einteilung
zu schaffen. Bei der klinisch relevanten
„pathologischen“ Angst sollte die sogenannte organische von den objekt- und
situationsabhängigen oder situationsunabhängigen unterschieden werden;
diese kann man in akut, anfallsartig
und chronisch unterteilen (Abb. ).
Sogenannte organische Ängste haben
ein morphologisches Korrelat wie zum
Beispiel eine Stoffwechselentgleisung,
eine Gehirnverletzung oder aber einen
Tumor.
Die wichtigsten Differentialdiagnosen unter den Angststörungen sind
phobische Störungen, Panikstörung,
generalisierte Angststörung, Zwangsstörung, Anpassungsstörung, akute Belastungsstörung und posttraumatische
Belastungsstörung (siehe Tabelle 1 ICD
:
10).
41
:
Phobische Störungen
Charakteristisch für phobische Störungen ist eine auf – im Allgemeinen
ungefährliche – Objekte oder Situationen gerichtete Angst. Diese Objekte
oder Situationen werden typischerweise gemieden oder voller Leid ertragen. Dadurch gelingt die Kontrolle
der Angst. Phobische Angst ist subjektiv, physiologisch und im Verhalten von anderen Angstformen nicht
zu unterscheiden. Das Ausmaß reicht
von leichtem Unbehagen bis hin zu
panischer Angst, Angst davor zu sterben oder wahnsinnig zu werden. Die
Angst wird nicht durch die Erkenntnis
gemildert, dass andere Menschen die
fragliche Situation nicht als gefährlich
oder bedrohlich betrachten. Häufig
entsteht auch eine Erwartungsangst vor
der phobischen Situation. Phobische
Angst tritt auch häufig gemeinsam mit
einer Depression auf.
a) Agoraphobie
Die Agoraphobie (agora griechisch
für Marktplatz) stellt eine Sonderform
der spezifischen Phobie dar. Der Begriff beschreibt nicht nur eine Angst
vor offenen Plätzen, sondern vielmehr
die Angst davor, sich in der (belebten)
Öffentlichkeit nicht sofort wieder an
einen sicheren Ort zurückziehen zu
können, im Allgemeinen nach Hause.
Charakteristisch ist die Angst, die eigenen vier Wände zu verlassen und sich
beispielsweise in eine Menschenmenge
zu begeben, öffentliche Verkehrsmittel wie Busse Züge, Flugzeuge zu benützen. Das Fehlen eines Fluchtweges
kennzeichnet die agoraphobische Situation. Einige Betroffene sind schließlich völlig an ihr Haus gefesselt. Überwiegend sind Frauen betroffen, der
Erkrankungsbeginn liegt im frühen
Erwachsenenalter. Die Erkrankung
tendiert zur Generalisierung mit allen
sekundären psychosozialen und psy­
chiatrischen Konsequenzen.
42/43
b) Soziale Phobie
Die soziale Phobie ist charakterisiert
durch die (unangemessene) Furcht vor
kritischer Betrachtung und Beurteilung
durch andere Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen (nicht in Menschenmengen) und führt schließlich
dazu, dass soziale Situationen vermieden werden. Die soziale Phobie beginnt
häufig in der Adoleszenz und kann auf
spezielle Situationen wie beispielsweise Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit oder Treffen mit dem anderen
Geschlecht beschränkt sein. Erröten,
Zittern, Übelkeit oder Drang zum Wasserlassen sind häufige Symptome dieser
Angstform, die sich im Extremfall bis
zur panischen Angst steigern kann. Ein
ausgeprägtes Vermeidungsverhalten,
das bis zur vollständigen sozialen Isolation führen kann, ist oft die Folge.
c) Spezifische Phobien
Diese Phobien sind zielgerichtet auf
ganz spezielle Situationen oder Objekte
wie beispielsweise geschlossene Räume, Höhen, Donner, Dunkelheit, bestimmte Tiere, Fliegen, Urinieren oder
die Defäkation, Anblick von Blut, Fliegen… Auch hier kann die phobische
Situation Panik auslösen, obwohl das
Objekt beziehungsweise die Situation
eng umschrieben ist. In den häufigsten
Fällen kommt zu einem Vermeidungsverhalten, die Betroffenen leben meist
unbeeinträchtigt, solange sie der phobischen Situation ausweichen.
Panikstörung
Bei der Panikstörung handelt sich
um wiederholtes Auftreten von Panikattacken innerhalb von vier Wochen. Die Panikstörung ist nicht auf
bestimmte Umgebungssituationen
beschränkt. Vielmehr handelt es sich
um eine unerwartete, meist ohne unmittelbar subjektiv wahrgenommene
Gefahr auftretende Angst, die akut in
Anfallsform (Dauer meist bis 15 Mi-
nuten) ohne somatisch-medizinische
Ursache auftritt. Charakteristisch ist
die anhaltende Sorge vor wiederkehrenden Angstanfällen (antizipatorische
Angst). Die Anfälle sind durch ein
crescendo-artiges Ansteigen der furchtsamen Empfindungen charakterisiert.
Oft ist eine Panikstörung mit Agoraphobie vergesellschaftet. Aufgrund
der Panikattacken kommt es bei den
Betreffenden häufig zu einer Verhaltensänderung. Ferner resultiert aus der
panischen Angst häufig eine Angst vor
der Angst (Phobophobie) mit der Konsequenz einer Vermeidungshaltung
Generalisierte Angststörung
(GAD)
Die generalisierte Angststörung ist
auch unter dem Begriff „frei flottierende Angst“ bekannt, das heißt sie ist an
kein bestimmtes Objekt gebunden. Die
Dauer beträgt mindestens mehrere Wochen, wobei die Angst an den meisten
Tagen auftritt. Kennzeichnend für diese
Störung ist ein generell erhöhtes Angstniveau ohne beherrschende Paniksymptome sowie ohne klare phobische Ausrichtung der Angst (ungerichtet, weder
Objekt noch situationsgerichtet). Diese
Patienten imponieren durch ständige Befürchtungen (Verluste), erhöhte
motorische Spannung (Zittern, Muskelschmerz), eine vegetative Übererregbarkeit, ferner durch Hypervigilanz
(besondere Schreckhaftigkeit in Bezug
auf die Umwelt). Die Erkrankung neigt
zu Chronifizierung.
Zwangsstörung (OCD)
Kennzeichnend für die Erkrankung
sind wiederkehrende Zwangsgedanken
und/oder Zwangshandlungen. Zwangsgedanken sind Ideen, Vorstellungen
oder Impulse, die den Patienten immer
wieder stereotyp beschäftigen; sie sind
quälenden oder auch obszönen Inhaltes
und werden immer als sinnlos erlebt.:
›✓ ö s t e r r e i c h i s c h e ä r z t e z e i t u n g ‹ 1 7 ‹ 1 0 . s e p t e m b e r 2 0 0 6
: Sie drängen sich den Patienten auf.
Zwangsgedanken werden als eigene
Gedanken erlebt, auch wenn sie als abstoßend empfunden werden. Zwangshandlungen hingegen sind stereotype
Bewegungen, die ständig wiederholt
werden. Diese Stereotypien erfüllen
weder einen Zweck noch werden sie
vom Patienten als angenehm empfunden wie zum Beispiel zählen, wiederholen oder ordnen. Eine Sonderform ist
der Waschzwang. Die Patienten sind
einem unangenehmen, quälenden und
angstbesetzten emotionalen Stress ausgesetzt. Das Spektrum der Symptome
ist breit und reicht von abnormer Risikoabschätzung mit erhöhter Angstbereitschaft über pathologische Zweifel
hin bis zu einem inneren Unvollständigkeitsgefühl.
Reaktionen auf schwere
Belastungen und
Anpassungsstörungen
Diese Erkrankungen unterscheiden sich sowohl ätiologisch als auch
symptomatologisch von den restlichen
Angststörungen. Ein außergewöhnlich
belastendes Lebensereignis, das eine
akute Belastungsreaktion hervorruft,
oder eine besondere Änderung im Leben, die zu einer anhaltend unangenehmen Situation geführt hat, verur­
sacht eine Anpassungsstörung. Je nach
Schwere, syndromaler Ausprägung und
Verlaufsdynamik dieser Störungen unterscheidet man folgende Typen: akute
Belastungsstörung, posttraumatische
Belastungsstörung und Anpassungsstörung.
a) Akute Belastungsstörung
Sie ist definiert als eine vorübergehende beträchtliche Störung, der in der
Regel ein Trauma von ungewöhnlicher
Schwere vorausgeht. Typischerweise
klingt die Störung nach Stunden bis einigen Tagen wieder ab.
44
b) Posttraumatische Belastungsstörung
Dieser geht ein Ereignis oder ein
Geschehen von außergewöhnlicher
Schwere beziehungsweise katastrophalem Ausmaß voraus, was nahezu bei
jedem Menschen eine tiefgreifende
Verzweiflung auslösen würde. Dazu
gehören Naturereignisse oder von
Menschen verursachte Katastrophen
wie Kampfhandlungen und schwere
Unfälle. Innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis oder
nach dem Ende einer Belastungsperiode entsteht eine protrahierte Reaktion. Gekennzeichnet ist diese Störung
durch anhaltende Erinnerungen und
Wiedererlebung der Belastung durch
so genannte Flash backs („NachhallErinnerungen“) oder in Träumen.
Konsequenterweise werden von den
Betroffenen jene Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen, gemieden. Weitere
Symptome sind: das Gefühl, betäubt zu
sein, emotionale Stumpfheit, Ein- und
Durchschlafstörungen, Reizbarkeit,
Vigilanz, Schreckhaftigkeit, Wutausbrüche sowie Konzentrationsschwierigkeiten. Diese Störung steht aktuell ganz
besonders im Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit, sowohl
in der Grundlagenforschung als auch
in der Therapieforschung. Die Dimension dieses Problems wurde bisher weit
unterschätzt.
Anpassungsstörung
Im Gegensatz zur prosttraumatischen
Belastungsstörung ist die Belastung, der
die Betroffenen ausgesetzt sind, nicht
von katastrophalem Ausmaß. Die Belastung kann beispielsweise eine schwere körperliche Krankheit, ein Trauerfall
oder auch eine Trennung sein. Die
Symptomatik steht in direktem zeitlichen Zusammenhang mit dem Ereignis und beginnt meist innerhalb eines
Monats. Sie dauert meist nicht länger
als sechs Monate; im Einzelfall bis zu
zwei Jahre. Die Anpassungsstörung
imponiert symptomatologisch als affektive Störung, Angststörung oder somatoforme Störung. Die Kriterien der
einzelnen Störungen werden dabei aber
nicht erfüllt. Der Patient steht unter
einem hohen Leidensdruck, ist emotional beeinträchtigt und in seiner sozialen
Funktion und Leistung eingeschränkt.
In Bezug auf Art und Schweregrad der
Symptomatik bestehen große Unterschiede. Früher hat man unter diesem
Begriff die „reaktiven Depressionen“
summiert.
Ätiopathogenese
Die Neurobiologie der Angst
Bei Angststörungen findet man als
neurobiologisches Korrelat Balancestörungen der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA
und Glutamat (siehe Grafik 2, S. 49).
Daraus ergibt sich die Sinnhaftigkeit
pharmakologischer Interventionen, die
diese Transmittersysteme beeinflussen.
Unter neuroanatomischen Gesichtspunkten muss dem Corpus amygdaloideum eine zentrale Bedeutung als
„Schaltstelle der Angst“ beigemessen
werden. Hier werden exogene Reize
verarbeitet (konditionierte und unkonditionierte Angststimuli) und weiter zu
Regionen des Hypothalamus und des
Hirnstamms projiziert, um Furcht- und
Angstreaktionen zu vermitteln. Dem
Corpus amygdaloideum vorgeschaltet
sind die noradrenergen Neurone des
Locus coeruleus. Außerdem können
sich Störungen der Schilddrüse, der
Nebenniere und der Wachstumshormone negativ auf die Entwicklung einer Angsterkrankung auswirken. Einen
Überblick über die neurophysiologischen Vorgänge bei der Entstehung
von Angst gibt die Grafik 1 (Seite 45).
Bei bis zu sieben Prozent der Bevölkerung scheint eine genetische Prädisposition vorzuliegen. Neben neurobio­
› österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
DFP - Literaturstudium
Neurobiologie der Angst
Panikstörung
Generalisierte Angststörung Soziale Angststörung
Genetik: Familiäre Häufung
Ja
Ja
Ja
Hinweise für Störungen im Ser-
Ja Wirksamkeit seroto-
Vereinzelt Wirksamkeit Ja
otoninsystem
nerger Medikamente
serotonerger Medikamente
Hinweise für Störungen der Ja (NA, Adrenalin und Do- Verminderung der Zahl der Ja (NA)
Katecholamine
pamin)
α2-Adrenorezept. Wirksam
keit noradrenerger Medika
mente
Hinweise für Störungen des
Ja
Ja
GABA-Benzodiazepinrezeptor
Veränderungen in der HPA- Achse Ja
Nein
Teilweise
Störung der Immunfunktion
Gering
Ja (einem chronischen
Stresszustand entsprechend)
Provokationstest
Positiv für Laktat, CCK, Positiv für Laktat (schwäch- Positiv für CO2, CCK
NaHCO3, CO2, Hyperven-
er), CCK
(schwächer)
tilation, Adrenalin, NA, Koff-
ein
Überempfindlichkeit von CO2 Ja
Sensoren
EEG- Veränderungen
Teilweise
Ja (rechter Frontallappen)
Veränderungen in der Bildgebung Neuroanatomie (Temporal- Widersprüchlich und inkon- Neuroanatomie (Putamen,
lappen) zerebraler Blutfluss inkonsistent bezüglich Blut- Amygdala, Basalganglien)
fluss und Neuroanatomie Zerebraler Blutfluss
CCK: Cholezystokinin NA: Noradrenalin NaHCO3: Natriumbikarbonat logischen Erklärungsmodellen gibt
es psychologische Modelle, zu diesen
zählen die Persönlichkeitsmodelle, das
lerntheoretische Modell, kognitive
Schemata und die psychodynamischen
Modelle. Mit Hilfe des Vulnerabilitäts-Stress-Modells können neurobiologische und psychologische sowie genetische Modelle in Einklang gebracht
werden. Liegt bei einem Patienten die
Spezifische Phobie
Ja
Ja
Hinweise
Tab. 2
entsprechende biologische Vulnerabilität vor, kann es durch psychosozialen
Stress zum Ausbruch einer Angsterkrankung kommen. Die häufigsten
:
psychosozialen Ursachen sind
Neurophysiologische Vorgänge bei Angststörungen
› österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
Grafik 1
45
Benzodiazepine
Benzodiazepin
Dosierung mg/Tag HWZ
Aktive Metaboliten
Alprazolam
0,5 -4 mg
10-15h
Alpha-Hydroxyalprazolam
(für klinische Wirkung kaum von Bedeutung)
Bromazepam
3-24 mg
10-20h
Chlordiazepoxid 5-150 mg
5-30h
Demoxazepam (HWZ ca. 45h)
Nordazepam(HWZ bis zu 200h)
Clobazam
10-120 mg
12-60h
Desmethylclobazam
(HWZ ca. 50-100h)
Clonazepam 2-5mg (bis max. ca. 40h
-
15 mg)
Diazepam 5-100 mg
20-40h
Nordazepam(HWZ bis zu 200h)
Oxazepam (HWZ 4-15h)
Dikaliumclorazepat 10-100mg
1-2h
Nordazepam(HWZ bis zu 200h)
(36-200h)
Lorazepam
1-10mg
8-24h
-
Oxazepam
15-150 mg
4-15h
-
Prazepam
Nordazepam(HWZ bis zu 200h)
: emotional belastende Ereignisse in
der Kindheit beziehungsweise in der Jugend, Missbrauch, das Modell-Lernen
am Beispiel ängstlicher, vermeidender
Eltern oder auch ungünstige Bindungsstile der Eltern in Betracht.
Medikamentöse Therapie
Die Pharmakotherapie der Angsterkrankungen hat seit den 50er Jahren
des vorigen Jahrhunderts eine große
Entwicklung gemacht. Während anfänglich Angstsymptome zunächst
durch Barbiturate, später durch Benzodiazepine behandelt („gedämpft“))
wurden, rückten Antidepressiva im
Laufe der Zeit immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Grundsätzlich
sollte sich die pharmakologische Therapie der Angsterkrankungen ähnlich
der Behandlung der Depression in drei
Phasen gliedern:
Phase I: Die Behandlung in der
Akutphase sollte symptomatisch sein
und dem Patienten die Anspannung
nehmen. In dieser Phase sind Anxiolytika vom Benzodiazepin-Typ meist unverzichtbar. Dennoch sollte schon jetzt
mit einer wirksamen antidepressiven
Therapie begonnen werden.
46/47
Kommentare
Anxiol. Potenz
Möglicherweise höheres Abhängig- +++
keitspotential als Vergleichspräparate
Sicheres Anxiolytikum
++
Kumulationsgefahr wegen lang wirk- +
samer Metaboliten Kumulationsgefahr wegen lang wirk- ++
samer Metaboliten
Sicheres Anxiolytikum; First line-Anti- +++
konvulsivum
Kumulationsgefahr; Schnellster Wirk- ++
ungseintritt aller Benzodiazepine
Sehr gute Sedierung
Pro-drug; wird im sauren Magen-
++
milieu zum aktiven Nordazepam
hydroxylysiert
Schneller Wirkungseintritt; Hochpo- +++
tente Anxiolyse
Langsame Absorption bei kurzer
+++
HWZ; Sicheres Anxiolytikum
Pro-Drug, wird langsam zum aktiven +
Metaboliten Nordazepam hydroxylysiert; Wirkungseintritt erst nach 3-7h
Phase II: Nach der Stabilisierung
folgt eine Erhaltungstherapie, die
grundsätzlich ein Ausschleichen des
Tranquilizers vorsieht.
Phase III: Schließlich wird mit einer
prophylaktischen Therapie ein Rückfall
verhindert.
Heutzutage kommen Medikamente
der verschiedensten Substanzgruppen
für die Behandlung einer Angsterkrankung in Betracht, wobei die größte Bedeutung den modernen Antidepressiva
zukommt. Dennoch sollte man nicht
auf die Benzodiazepine vergessen, die
vor allem in der Akutphase eine wichtige Rolle spielen. In der Folge werden
die wichtigsten Präparate dargestellt.
Benzodiazepine
Benzodiazepine zeichnen sich durch
einen raschen Wirkungseintritt aus, oft
schon innerhalb der ersten 30 Minuten nach Verabreichung. Sie schaffen
zumeist einen akuten Durchbruch bei
hartnäckigen Angstsymptomen. Werden sie zusammen mit Antidepressiva
verabreicht, kommt es zum „boostern“
der serotonergen Wirkung. Ein großer
Vorteil der Anxiolytika vom Benzodi-
Tab. 3
azepin-Typ ist, dass sie zusätzlich
schlaffördernd wirken, was vor allem
die subjektive Schlafqualität verbessert.
Bei Angsterkrankungen ist ja oftmals
der Schlaf gestört. Die anxiolytische
Wirkung der Benzodiazepine ist ferner
durch zahlreiche wissenschaftliche Studien über Jahrzehnte belegt, wobei festzustellen bleibt, dass die Wirksamkeit
bei Zwangserkrankungen mäßig und
bei der posttraumatischen Belastungsstörung unzureichend ist.
Bei komorbider Depression (bei
bis zu 50 Prozent der Betroffenen)
ist mit der Behandlung mit Benzodiazepinen eher weniger ein klinischtherapeutischer Effekt zu erwarten.
Benzodiazepine sind im Allgemeinem
gut verträglich, relativ sicher hinsichtlich Überdosierung. Dennoch sind
sie durch die sedierenden Nebenwirkungen wie zum Beispiel Schläfrigkeit, Fehlkoordination oder Amnesie
problematisch für manche Patienten.
Innerhalb der Gruppe der Benzodiazepine gibt es große Unterschiede hinsichtlich der Pharmakokinetik und des
Metabolismus. Einige Benzodiazepine
haben ein großes Interaktionspotential,
da sie dem oxidativen Metabolismus in
:
der Leber unterliegen. › österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
: Problematisch bei der Behandlung
mit Benzodiazepinen sind vor allem das
Abhängigkeitspotential, die Toleranzentwicklung, und die Möglichkeit des
Wiederauftretens der Zielsymptomatik
bei zu raschem Absetzen. Ebenso sind
Rebound-Phänomene möglich; vor
allem nach längerer Einnahme kommt
es zu körperlichen Entzugssymptomen
(Krampfrisiko).
Aus diesem Grund sollten Benzodiazepine – abgesehen von Ausnahmefällen
– auf die Akutbehandlung beschränkt
sein; weiters sollten sie immer ausschleichend abgesetzt werden. Benzodiazepine sollten die Brücke zur serotonergen
Langzeitwirkung der Antidepressiva
darstellen. Dabei sollten den kurzwirksamen Benzodiazepinen ohne aktive
Metaboliten aufgrund der einfacheren
und übersichtlicheren Pharmakokinetik
der Vorzug gegeben werden.
Antidepressiva
Bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde über
den anxiolytischen Effekt dieser Medikamente berichtet. Imipramin wurde
in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts als potentes Medikament zur
Behandlung von Panikattacken propagiert. Weiters zeigte sich, dass Monoaminooxidase-Inhibitoren (MAOI) wie
zum Beispiel Tranylcypromin antiphobische Effekte aufweisen.
Mit dem Aufkommen der SSRI (Selective Serotonin Reuptake Inhibitors)
begann eine neue Ära bei der Behandlung der Angst, wobei diese modernen
Therapeutika auch wesentlich besser in
Studien erforscht wurden. Außerdem
gibt es heute einige neuere Antidepressiva mit alternativem Wirkansatz, die
in diversen Studien viel versprechende
Ergebnisse hinsichtlich anxiolytischer
Aktivität liefern. Einen Überblick über
das Indikationsspektrum gängiger Antidepressiva liefert Tabelle 4.
48
a) Selektive Serotonin Reuptake inhibitors
(SSRI)
SSRI erhöhen die Verfügbarkeit
von Serotonin im synaptischen Spalt
durch die Blockade des Rücktransportes in die Neuronen. Sechs SSRIs sind
momentan auf dem Markt erhältlich:
Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin,
Paroxetin, Sertralin und Escitalopram.
Bei Angsterkrankungen sind SSRI
Therapie der ersten Wahl. Für die Behandlung der Akutphase einer Angster-
krankung wird die additive Gabe eines
Benzodiazepins empfohlen, da es zu
Beginn manchmal zu Angstverstärkung, Zittrigkeit, Schlaflosigkeit und
Unruhezuständen kommen kann. Diese Vorgangsweise sollte jedoch auf die
Akutbehandlung beschränkt bleiben.
Generell sollte bei selektiven SerotoninWiederaufnahmehemmern (SSRIs)
und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRIs) zu Beginn
eine reduzierte Standarddosis verord-
Antidepressiva bei Angststörungen
Wirkstoff
Rezeptor- Dosis
Indikation Indikation Indikation Sonstige Nebenwir
profil mg/die Sozialphobie Panikstörung Zwang Indikatonenkungen
Citalopram 5 HAT
20-60 -
+
+
GIT; AKA; SEX
Escitalopram 5 HAT
10-30 +
+
-
GIT; AKA;
SEX
Fluoxetin
5 HAT
20-80 -
-
+
BUL
GIT; AKA;
SEX
Fluvoxamin 5 HAT
100-300-
-
+
GIT; AKA;
SEX
Paroxetin
5 HAT
20-50 +
+
+
GAD;
GIT; AKA;
PTSD
SEX
Sertralin
5 HT; DA 50-200 +
+
+
GAD; PTSD GIT; AKA;
SEX
Duloxetin
5 HT; NA 60-120 -
-
-
SCH
GIT; AKA
Milnacipran 5 HT; NA 50-200 -
-
-
SCH
GIT; AKA
Venlafaxin ER5 HT; NA; 75-375 +
-
-
GAD
RR↑
DA; 5 HT2
Mirtazapin 5 HT; NA; 15-60 -
-
H1;
5 HT2; α2
Tianeptin
5 HAT
37,5
-
-
Moclobemid MAO
300-600+
-
Reboxetin
NA
4-12
-
-
Clomipramin 5 HT; NA; 75-225 +
+
+
COR;
DA; SEX; KG↑
5 HT2; α2
Amitryptilin 5 HT; NA; 50-300 -
-
-
SCH;
COR;
H1; 5 HT2;
SST
SEX; KG↑
α2 DA
Doxepin
5 HT; NA 100-300-
+
+
COR;
SEX; KG↑
BUL: Bulimia nervosa; GAD: Generalisierte Angststörung; PTSD: Posttraumatische Belastungsstörung; SCH: Schmerzstörung; SST: Schlafstörung; TRMD: Therapieresistente Maior
Depressio; GIT: Gastrointestinale NW; AKA: akathisieähnliche Unruhezustände; SEX: Sexuelle
Dysfunktion; COR: Cardiale NW im Sinne von Reizleitungsstörungen; KG↑: Gewichtszunahme;
RR↑: Blutdruckanstieg; Tab. 4
› österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
DFP - Literaturstudium
Handelsnamen
Antidepressiva SSRI
Antidepressiva SNRI Antidepressiva Trizyklika
Citalopram: Seropram®
Duloxetin: Cymbalta®
Amitryptilin: Saroten®
Fluoxetin: Fluctine®
Milnacipran: Ixel®
Clomipramin: Anfranil®
Fluvoxamin: Floxyfral®
Mirtazapin: Mirtabene®
Doxepin:Sinequan®
®
®
Paroxetin: Seroxat Venlafaxin ER: Efectin ER Sertralin: Tresleen®
Escitalopram: Cipralex®
net, das heißt einschleichend dosiert
werden. In Analogie zur Therapie von
depressiven Erkrankungen können bei
Angsterkrankungen Dosierungsschritte
beziehungsweise die Umstellung von
Antidepressiva vorgenommen werden
(siehe Tab. 2, Seite 45).
Benzodiazepine
Alprazolam: Xanor®
Bromazepam: Lexotanil®
Chlordiazepoxid: Limbitrol®
Clobazam: Frisium®
Clonazepam: Rivotril®
Diazepam: Valium®, Gewacalm®
Dikaliumclorazepat: Tranxilium® Lorazepam: Temesta®,
Merlit®
Oxazepam: Praxiten®,
Adumbran®
Prazepam: Demetrin®
Andere
Buspiron: Buspar®
Hydroxyzin: Atarax®
Reboxetin: Edronax®
Tranylcypromin: Jatrosom®
Pregabalin: Lyrica®
Tianeptin: Stablon®
Moclobemid:
Aurorix®
Tab. 5
Physiologische Rolle von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin
b) Serotonin und Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
Venlafaxin ER ist für die Indikationen generalisierte Angststörung und
Sozialphobie eine gut wirksame Substanz, was sowohl in Kurz- als auch
Langzeitstudien mit hoher Signifikanz
belegt werden konnte. Milnacipran ist
für sich genommen sehr gut in dieser
Indikation wirksam; außerdem stellt es
eine günstige Alternative bei Patienten
mit einer Lebererkrankung dar, da es
keinem first pass-Effekt in der Leber
unterliegt. Das dual wirkende Antidepressivum Duloxetin ist in Österreich
noch nicht zugelassen; es zeigt eine sehr
gute Wirksamkeit bei der Behandlung
von Angststörungen.
hung der synaptischen Freisetzung von
Serotonin und Noradrenalin, ebenso
zu einer Blockade der postsynaptischen
5 HT2 und 5 HT3-Rezeptoren sowie
des H1 Histamin-Rezeptors. Mirtazapin zeigt gute Wirksamkeit bei Angstsymptomen; außerdem wirkt es günstig
durch die Verbesserung der klinischen
Schlafparameter.
c) Mirtazapin
Mirtazapin entfaltet seinen Wirkmechanismus über die präsynaptische
Blockade von Alpha II Adrenozeptoren. Dabei kommt es zu einer Erhö-
d) Trizyklische Antidepressiva(TZA)
In dieser heterogenen Gruppe von
Medikamenten wird die Anxiolyse
durch die Wiederaufnahmehemmung
› österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
Grafik 2
von Serotonin und Noradrenalin bewirkt. Die Nebenwirkungen dieser Medikamentengruppe (wie zum Beispiel
Sedierung) dürften zusätzlich einen
günstigen Effekt haben. Die anxiolytische Wirksamkeitslatenz beträgt wie
bei den SSRI zwei bis vier Wochen, in
manchen Fällen sogar sechs Wochen
und bei Zwangsstörungen generell
länger. Bei der Anwendung von trizyklischen Antidepressiva in der klinisch
notwendigen Dosierung kommt es häufig zu Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation, orthosta- :
49
: tischer Hypotension, Tachykardie, Sedierung, psychomotorischen
Störungen, Gewichtszunahme etc.
Aufgrund dieser zum Teil erheblichen
Nachteile und mangelnder Sicherheit
stellen Trizyklika Medikamente der
dritten Wahl dar.
e) Andere Antidepressiva
Reboxetin ist ein selektiver Noradrenalin Reuptake Inhibitor (NARI). Die
bisher vorliegenden Daten sind vielversprechend; es gibt Hinweise dafür, dass
die Substanz bei Panikstörungen und
bei der Sozialphobie wirksam ist.
Tianeptin ist der einzige Vertreter
aus der Gruppe der SRE (Serotonin
Reuptake Enhancer). In klinischen
Studien wurde eine Wirksamkeit bei
der Behandlung von Angstsymptomen
bei Depressionen mehrfach nachgewiesen. Der Wirkmechanismus (mitunter
Beeinflussung von glutamatergen Neuronen) lässt eine gute Wirkung erwarten.
Moclobemid ist ein reversibler Monoaminooxidase-Inhibitor (RIMA).
Andere Präparate
a) 5 HT1a Rezeptor-Agonisten
Buspiron ist ein partieller Agonist
am postsynaptischen 5 HT1a-Rezeptor. Die Substanz gilt als Klassiker bei
der Behandlung der generalisierten
Angststörung. Sie eignet sich auch zur
Behandlung der Angstsymptome bei
Depression. Bei der Panikstörung ist
Buspiron jedoch nicht wirksam. Einige Wochen nach Therapiebeginn tritt
die Wirkung ein; sie kann jedoch abgeschwächt sein, wenn der Patient zuvor
Benzodiazepine genommen hat. Insgesamt wird Buspiron gut vertragen. Es
kommt weder zu einer Abhängigkeit,
zu einer Sedierung oder zu Absetzeffekten. Die Gabe ist nur als Dauermedikation zu empfehlen, da es keine
Anhaltspunkte für akute anxiolytische
50/51
Wirkung gibt. Die Dosierung für Buspiron liegt zwischen 15 und 30 Milligramm.
b) Hydroxyzin
Hydroxyzin hat eine blockierende
Wirkung an H1-Histaminrezeptoren,
außerdem adrenolytische sowie anticholinerge Aktivität. Neben anxiolytischen und sedierenden werden auch
antiemetische Eigenschaften beschrieben. Es gilt bei schwächerer Anxiolyse
(als Benzodiazepine) als second lineTherapeutikum, zeigt jedoch kein Abhängigkeitspotential. Die empfohlene
Tagesdosis liegt bei 50 bis 400 Milligramm.
c) Antipsychotika
Früher zeigte sich, dass die niedrigdosierte Gabe eines klassischen Neuroleptikums durchaus einen günstigen
Effekt aufweisen kann, besonders bei
der Behandlung der generalisierten
Angststörung. Aufgrund des Risikos
einer tardiven Dyskinesie ist die Verabreichung derartiger Medikamente
nicht zu empfehlen. Derzeit geht man
in einer Vielzahl von Studien der Frage
nach, ob die modernen atypischen Antipsychotika bei Angsterkrankungen
wirksam sind; ein Effekt ist aufgrund
der 5 HT2-Blockade zu erwarten.
d) Antiepileptika
Pregabalin,ein Antiepileptikum der
neueren Generation, das zusätzlich
noch die Zulassung zur Behandlung
des neuropathischen Schmerzes hat,
zeigte in jüngeren Studien vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich Wirksamkeit bei der generalisierten Angststörung.
Psychotherapeutische
Behandlung
Eine wichtige Voraussetzung für
eine zielführende, effiziente psychotherapeutische Intervention stellt die Bereitschaft des Patienten dar, sich einer
Psychotherapie unterziehen zu wollen.
Wichtig dabei ist die Formulierung von
Zielen, wobei hier auf die unterschiedliche Symptomatologie beziehungsweise Ausprägung der verschiedenen
Subgruppen der Angsterkrankung eingegangen werden sollte. Außerdem ist
der Patient darüber aufzuklären, dass
eine völlige Symptomfreiheit möglicherweise nicht erreicht werden kann.
Eine supportive Psychotherapie
kann in jedem Fall sinnvoll sein: Die
Aufklärung und ausführlich wiederholte Information über die Erkrankung
und deren Behandlungsmöglichkeiten,
ein problemorientiertes Gespräch und
konkrete Ratschläge, die Vermittlung
einer Lebensphilosophie, die Bestätigung und Hebung des Selbstwertgefühls, etc. stehen hier im Mittelpunkt
dieser Therapieform.
Angststörungen stellen im Allgemeinen eine Domäne der kognitiven
Verhaltenstherapie dar, im Speziellen
die phobischen Störungen. Eine exakte
psychotherapie-spezifische Diagnose
ist Voraussetzung für den Erfolg einer
Therapie (siehe Tab. 6, Seite 52). Die
kognitive Verhaltenstherapie ist aus
der Sicht der evidence based medicine
bei Phobien das psychotherapeutische
Verfahren der ersten Wahl. Das Angebot ist vielfältig und teilweise krankheitsspezifisch. Darüber hinaus sind
auch Ansätze aus der systemischen
Therapie sowie dynamische (tiefenpsychologisch-psychoanalytische) psychotherapeutische Ansätze in Betracht zu
ziehen. Psychodynamisch-psychotherapeutische Verfahren setzen speziell
bei der Funktion des Angsterlebens in
dysfunktionalen Beziehungsmustern
an und zielen eigentlich nicht primär
auf eine Symptomreduktion ab. Nicht
zuletzt deshalb sind die psychodynamischen Kurz-Psychotherapien in vielen Fällen erfolgreich, weil unbewusste
Tendenzen zur „Flucht in die Gesund:
heit“ zur Wirkung gelangen. › österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
Verhaltenstherapie bei Angststörungen (Rief, 1995)
Panikattacke
Agoraphobie
Generalisierte Angst
Exposition an körpereigenen Signalen
Exposition an externen Auslösern
Entspannungverfahren
(z. B. Hyperventilationstest)
Kognitive Umstrukturierg.
Abbau von Vermeidungsverhalten
Biofeedback
„Sorgenexposition“
Kognitive Strategien zur
Beruhigung
: Im Gegensatz zu Verhaltenstherapeutischen Methoden, die vor allem
die Symptomreduktion zum Ziel haben
– also symptomorientiert sind – beeinflussen psychodynamische und systemische Therapien die Persönlichkeitsstrukturen und können dadurch eine
bessere Symptombewältigung bewirken
und u.a. die Compliance zur medikamentösen Therapie verbessern. Festzuhalten ist jedoch, dass bezüglich der
Effektivität einer psychodynamischen
Therapie bei Angsterkrankungen jegliche wissenschaftliche Evidenz im Sinn
von kontrollierten Studien weitestgehend fehlt.
Ein besonders erfolgreicher Ansatz,
der sich auch in der täglichen Praxis be-
währt hat, ist das rationale Modell des
Teufelskreises. Dabei wird dem Patienten in einfacher Weise ein biologisch
mitgesteuertes Reaktionsmodell als
Krankheitsmodell nahe gebracht (siehe
Grafik 3).
Zusammenfassung
Bei Angsterkrankungen handelt es
sich um psychische Störungen, die einen
hohen Chronifizierungsgrad aufweisen.
Bedauerlicherweise liegt die Suizidrate
ähnlich hoch wie bei Depressiven. Des
Weiteren finden sich zahlreiche Probleme der Co-Morbitität mit anderen
psychischen Störungen, vor allem mit
Suchterkrankungen, speziell mit Alkoholismus. Frauen sind in aller Regel
Soziale Angst
Selbstsicherheitstraining
Kommunikationstraining
Rollenspiele
In-vivo-Exposition
Tabelle 6
häufiger betroffen. Insgesamt handelt
es sich um eine Gruppe schwerwiegender Erkrankungen mit einem hohen gesundheitspolitschen Impact. Die
vielfältigen pharmakotherapeutischen
Behandlungsmöglichkeiten stellen die
Therapie der ersten Wahl dar; sie sind
sinnvoller Weise in Kombination mit
der Verhaltenstherapie anzuwenden.
Mit diesen therapeutischen Möglichkeiten, bei denen es sich in der Regel
um mittel- oder längerfristige Strategien handelt, ist es möglich, dass es
bei einem Großteil der Betroffenen zu
einer erhebliche Symptomminderung
kommt. Dies führt in der Folge zu einer Reduktion der Krankheitslast und
somit zu einer akzeptablen Lebensqua9
lität. *) Univ. Prof. Dr. Peter Hofmann und Dr.
Bernd Reininghaus; beide:
Universitätsklink für Psychiatrie Graz,
Auenbruggerplatz 31, 8036 Graz;
Tel.: 0316/ 385/83 415; Fax-DW 3556;
E-Mail: [email protected]
„Teufelskreis der Angst“
Lecture Board:
Univ. Prof. Dr. Hans-Peter Kapfhammer/
Universitätsklinik für Psychiatrie Graz
Univ. Prof. Dr. Michael Musalek/
Anton Proksch-Institut,Wien-Kalksburg
Univ. Doz. Dr. Werner Schöny/
Landesnervenklinik Wagner-Jauregg, Linz
Herausgeber:
Universitätsklinik für Psychiatrie Graz
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Grafik 3
Diesen Artikel finden Sie auch im Web unter
www.arztakademie.at/ls
› österreichische ärztezeitung ‹ 17 ‹ 10. september 2006
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